"Warum wird der Mensch erst dem Arzte unterworfen, wenn er erkrankt, und nicht, wenn er gesund ist? Weil nicht nur die Krankheit, weil schon der Arzt ein Übel ist. Durch eine ärztliche Kuratel wäre das Leben als ein Übel und der menschliche Leib als Objekt der Behandlung für Medizinalkollegien anerkannt." (MEW 1, Seite 59) Psychiatrie ist eine medizinisch ausgerichtete Fachrichtung der Psychotherapie, also der Behandlung von Menschen, die psychische Probleme, Störungen oder Krisen haben, aus denen sie entweder aus eigener Kraft und auch nicht kraft ihrer Freunde und Verwanden herausfinden oder zur Entlastung der zwischenmenschlichen Verhältnisse in ihrer Familie in psychiatrische Institutionen überstellt wurden, wo sie als "psychisch Kranke" einer medizinischen Behandlung unterzogen werden können oder sollen. Die Psychiatrie bezieht sich hierauf durch ihre "objektiven Kriterien" bzw. Kategorien, also durch ihren Krankheitsbegriff und die Maßregeln des PsychKG, das auch zunehmend Zwangeinweisungen schon dann erwirken kann, wenn Patienten z.B. ihre Medikamente nicht in der vorgesehenen Dosis einnehmen oder sich den "Ordnungskräften" widersetzen. Die Zwangseinweisungen haben sich seit Einführung dieses Gesetzes 1992 verdreifacht. Mit der Einweisung ist der hiernach als "psychisch krank" titulierte Mensch zu einem Fall ihrer curativ und institutionell begründeten Methoden überantwortet, die zugleich die gesamten Lebensverhältnisse der betroffenen Menschen bestimmen und sie deshalb auch oft auch domestizieren (siehe hierzu auch Psychokratie). In der Regel werden solche Menschen in der Psychiatrie als Individuen mit "Funktionsstörungen" angesehen und behandelt, die aus psychischen Gründen gesellschaftlich aus den gewöhnlichen sozialen und zwischenmenschlichen Verhältnissen herausgefallen sind. Die Behandlung dieser "disfunktionalen" Seelen oder Nerven wird daher rein medizinisch verstanden und in den Kategorien der Medizin diagnostiziert, wie diese auch in deren Diagnoseschemata - z.B. dem für Ärzte und Ärztinnen allgemein im Diagnoseschema, z.B. nach dem Diagnoseschema ICD-10 oder dem Diagnoseschema der WHO (DSM V) - standardisiert und verfasst sind. Hierbei wird von einer Krankheit der Psyche ausgegangen (siehe psychische Krankheit), die durch "abnormale" Phänomene in Erscheinung getreten sei und meist auch von den Betroffenen als fremd, irre oder verrückt empfunden wird und mit einer näher zu bestimmenden Art und Weise behandelt werden soll. Hierdurch werden sie zu einem diagnostisch umschriebenen "Fall", dessen Behandlung sich durch curative Handlungen und Einwirkungen oder chemischen Prothesen (siehe auch Psychopharmaka) oder auch durch "elektromagnetische Stimmunlierung" oder "Elektrokrampftherapie" (siehe Elektroschock) zumindest "verbessern" lassen oder zu einer Heilung gebracht werden soll. In der Psychiatrie wird also eine durch sie definierte Krankheit so behandelt, wie es der "wissenschaftliche Standard" der Medizin praktisch und juristisch erfordert und wie sich diese Behandlungen im Einzelnen ihrer Diagnostik anwenden lassen. Sie werden damit zu einem Lebensumstand der betroffenen Menschen, die sich darin als behandlungsbedürftige Kranke verstehen und sich der Vernunft der eingesetzten Mittel überantworten müssen. Diese reduzieren sich allerdings weitgehend auf rein naturwissenschaftliche Begrifflichkeiten, durch welche die "Probleme" der Menschen eher somatisiert werden (siehe auch Leib-Seele-Problem), als dass sie im Rahmen ihrer Institutionalisierung in ihrer sozialen Umwelt begriffen werden können. Von daher ist eine Hospitalisierung ihrer psychischen Krankheit schon der Form nach angelegt und lässt sich auch leicht durch psychokratische Interessen fortbestimmen. Hiergegen schrieb eine mit der "Psychiatrie Erfahrene", die ihr Leben nicht mehr an ihren Symptomen bemessen lassen wollte: "Ich entschied mich f�r meinen Schmerz; durch ihn musste ich hindurchgehen, um zu wachsen; ihn mir wegnehmen zu lassen, h�tte bedeutet, meiner selbst beraubt zu werden, und das hatten bereits Familienangeh�rige besorgt. Meine Selbstisolierung, mein emotionales Ausgehungertsein, die suchtartige Suche nach Beelterung trieben mich um. In diesem Spiegel sah ich auch PsychiaterInnen, die ich zwecks Krisen�berbr�ckung oder aufgrund b�rokratischer Sachzw�nge widerstrebend konsultierte. Patriarchalische Attit�den, durch S�ffisanz bem�ntelte Unsicherheit, die Bevorzugung von Methoden schwarzer P�dagogik und nicht zuletzt die Ausschließlichkeit des pharmakologischen Diktates wirken nicht eben vertrauensbildend." (Ivy Anger 2002: "Des Kaisers neue Kleider" in: Soziale Psychiatrie 1/2002, S. 20 ff.) Die moderne Psychiatrie versteht sich sozial, eben als Sozialpsychiatrie, indem sie den einzelnen Patienten in seinem sozialen Umfeld behandelt wissden will, um ihn durch die Psychiatrie zu sozialisieren, um die Psychiatrie also als Sozialisationsanstalt zu benutzen. Und natürlich werden hierbei nicht die Wirklichkeit der psychischen Widersprüche in einer widersprüchlichen Gesellschaft zum Gegenstand solcher Therapie (das kann Medizin ja auch auch schon durch ihr Grundverständnis nicht). Es wird eben nur die Sozialisierung der betroffenen Menschen in die psychiatrische Heilbehandung als spezielles Curatel der Medizin betrieben. Objektiv funktioniert die Psychiatrie als Institution des bürgerlichen Staates zur Integration von "kranken Psychen" und kann daher auch nur gemäß einer dem entsprechenden Funktionalität arbeiten. Dem Staat geht es darum, Lösungen für soziale Probleme anzubieten, um das Sozialwesen intakt zu halten (siehe Sozialstaat), gesellschaftliche Reibungen zu mindern und die Kosten zur Behebung von Disfunktionen zu minimieren und sie auf die Chancen ihrer Funktionalität hin zu sortieren. Die Sortierung besteht aus Etikettierung ("Psychische Krankheit"), Therapie durch Biopolitik (Psychopharmaka) und Verwahrung durch Anstaltspsychiatrie. Oft werden die Menschen gegen ihren Willen eingewiesen und dabei aller Freiheitsrechte beraubt, z.B. weil sie den Angehörigen oder Professionellen zu aggressiv oder selbstgefährdend erscheinen. Die Zwangseinweisungen beliefen sich allein 2009 auf ca. 200.000 - doppelt soviel wie 15 Jahre zuvor. Ein weiterer Bereich der Psychiatrie ist die Forensik, also die Behandlung von Menschen, die in ihr "Gewahrsam" kommen, weil sie f�r Verbrechen verurteilt sind, die als Ausfluss einer seelischen Disfunktion angesehen und mit entsprechendem Urteil bedacht wurden. Hierbei �bernimmt die Psychiatrie die Totalisierung der Gefangennahme mit dem �berbegriff des Gewahrsams bis in die K�rperfunktionen hinein (siehe Psychopharmaka). Es ist dies der schwierigste Bereich sozialer, psychologischer und rechtlicher Beziehungen, den die Psychiatrie hier zu vertreten hat. Demzufolge treffen sich hier auch alle Funktionen des Staates an einzelnen Individuen, deren Gesellschaftlichkeit, Recht und psychische Identit�t nicht nur beschr�nkt, sondern per medizinischem Hoheitswissen aufgehoben wird, das sich gegen jede Willens�u�erung erhaben sieht. Das Medizinische Urteil ersetzt so das juristische und in aller Regel weit folgenschwerer, weil totaler. Die Ursachen der Verflechtungen k�nnen an dieser Stelle meist nicht mehr angegangen werden und bleiben daher in hohem Ma�e undurchsichtig. Subjektiv beruht das Wissen und Selbstbewusstsein der Psychiatrie auf Vorstellungen, welche die darin tätigen Menschen von seelischer Gesundheit und "der Krankheit" ihres "Klienten" und haben (siehe z.B. Kräpelin). Das kann weit gehen oder eng sein. Meist ist der Verstand in der Psychiatrie mit dem allgemeinen Staatsverständnis konform, wenn er sich in dem administrativen Zweck einfügt, den sie erfüllen soll. Darin begr�nden sich auch Faschisten zuallererst als heilbringende Hygiene-Macht. Da sie vorwiegend aus einer �sthetischen Wahrnehmung des Zeitgeschehens hervorkommen, ist die Ordnung der Kultur ihr erstes Interesse und so ist die Psychiatrie schnell das Werkzeug, Kulturerscheinungen der "Unordnung" auszurotten. Aber auch �ber die liberalen und linken Vorstellungen, die sich auf eine Verbesserung der Psychiatrie beziehen - und seien sie theoretisch bis in die Dekonstruktion des Staates (siehe Dekonstruktivismus, Foucault) getrieben - setzt sich die Notwendigkeit funktioneller Beziehung zum Gegenstand der Psychiatrie, dem "Irren" oder "Verr�ckten" oder "Ausgeflippten", zwangsl�ufig durch, weil das funktionelle Verh�ltnis der Institution notwendig zynisch ist und eine Quantifizierung vermittelst Stellenschl�ssel und Krankenkassenbudget auch gegen kritische Attit�de provoziert. Letztlich ist Psychiatrie nur ein Ort, an dem ein gesellschaftliches Problem, das sich nicht mehr auf seine soziale Herkunft beziehen l�sst oder dort auseinandergesetzt werden kann, stationiert wird. Das ist vielleicht ein Treffpunkt, aber im Grunde ist der fatal f�r alle Beteiligten und nur f�r den gut, der dort die Willk�r seelischer Absichten austoben oder genie�en oder beherrschen will. Psychiatrie ist f�r sich selbst und f�r die Menschen eine zwangsl�ufige Unm�glichkeit, eine Absurdit�t ohne wirkliche Notwendigkeit. Gewendet ist dort lediglich das kr�nkende Verh�ltnis, dem ein Mensch durch Verr�cktheit entkommen will; aber gerade darin ist sie fatal: Sie deckelt die notwendige Verr�cktheit nur ab, indem sie den Menschen fast durchweg mit Psychopharmaka behandelt und l�hmt, aufl�st oder auch durch Chronifizierung und Abh�ngigkeit zerst�rt. Hierin ist sie die Falle kultureller Verh�ltnisse; wer da hineingelangt, muss Wege finden, wie er da m�glichst schnell wieder herauskommt. Allerdings verlangen diese auch besondere Bedingungen, die dem entsprechen, was sich treffen will, wenn mensch verr�ckt ist. Viele in der Psychiatrie T�tige verzichten daher auf ein eigenes Verh�ltnis zu ihrer T�tigkeit und verstehen sich in dem, was sie objektiv Tun m�ssen, ungebrochen. Doch auch das hat Folgen: Eine hohe Affinit�t zur "Problemlage" der Anstaltspsychiatrie wird vor allem darin signifikant, dass die Selbstt�tungsrate von PsychiaterInnen die h�chste von allen Berufsgruppen ist. Auch die ver�ffentlichen Empfindungen von PsychiaterInnen und anderem Personsonal bei der Therapieanwendung, z.B. bei der Vergabreichung von Psychopharmaka oder "harten Kuren" wie Elektroschocks (siehe Kerstin Kempker: "Mitgift" oder Gotkin: "Zuviel Zorn, zu viele Tr�nen") weist auf eine extrem widerspr�chliche zwischenmenschliche Beziehung hin. Oft bestimmt sich die Beziehung der therapeutisch arbeitenden zu den Therapieempf�ngern aus einer distanzierten N�he, die sich in symbiotischen oder gewaltt�tigen Handlungen verwirklicht - meist beides in einem. Insgesamt entbl�det sich die Einstellung der "HelferInnen" in der Frage: Wie geht man mit einem Menschen um, der in dieser Gesellschaft nicht mehr mit kann und verr�ckt wird? Nicht das Nichtwissen ist ihr vorzuhalten, - das lie�e sich �ndern, wenn �nderung verlangt w�re -, und auch nicht, dass sie eine Existenz des Verr�ckt-Seins bietet, sondern dass sie die Frage des Verr�ckt-Seins als eine Frage des Umgangs stellt, deren Beantwortung ja auch nur Umg�nglichkeiten ergeben kann. Im Umgang wird die Macht dessen , der mit anderen umgeht, indem er sie umgeht, zu einem zwischenmenschlichen Verhalten verkl�rt, das eine Gemeinschaft in der Beantwortung von Notwendigkeiten idealisiert und vor allem Gewalt darin umsetzt, dass sie nicht die Notwendigkeiten des Verr�ckt-Seins zu einem Verr�cken der Notwendigkeiten macht, sondern alleine die Notwendigkeit der Institution und ihrer Lebenswelten (z.B. Familie) als Wendung einer gemeinschaftlich behaupteten Not durchsetzt. Die Not der Institution ist immer ihre Unzul�nglichkeit in Bezug auf ihre Aufgabe, die Krisen der Gesellschaft und ihrer Verh�ltnisse aufzul�sen. Die Not des Verr�ckten ist das Gegenteil: Die Affirmation einer �bermenschlichen Vernunft unverr�ckbarer Verh�ltnisse, die Entr�ckung menschlicher Empfindungen und Gef�hle erzwingen. Psychiatrie ist die doppelte Negation dieses Zwangs, die volst�ndige Ent�u�erung des Verr�cktseins als Umgang mit Verr�ckten. Im Gro�en und Ganzen geht die Psychiatrie daher auch nur mit Psychopharmaka um, weil sie nur damit richtig und ihrem Begriff entsprechend funktioniert. Deshalb ist sie eine exklusive Institution der Bio-Politik - wohl eine ihrer wichtigsten. Beachtenwert ist auch eine psychoanalytische Form von Psychiatrie, die sogenannten Dynamischen Psychiatrie. | ![]() |