"Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat." (MEW 1, S. 378) Fanatismus ist die Verkehrung einer Selbstveredelung, die in ihren wirklichen Lebensverhältnissen durch ihre Gewohnheiten sich in eine Selbstverachtung verkehrt hat. Diese wird durch die Selbstlosigkeit eines Kollektivismus aufgehoben, der als abstrakter Rückhalt als eine geistige Macht subjektiviert ist. So wirkt sie als eine übermenschliche Identität, die keinen Grund aus ihrem Leben, sondern aus der Abgrenzung vom Leben der anderen bezieht, und hierdurch ihre Selbstentfremdung aufhebt - also die in eine Massenpsyche verkehrte Selbstentfremdung ist. Darin entfaltet sich eine eigenständige Energie, die an und für sich die gegen die Politik ihres Landes gleichgültige Menschen so politisieren kann, wie es politisch gewollt ist. Hierzu genügt schon die Erzeugung einer Prominenz einer alles versöhnenden Verständigkeit an der sich die Menschen vereinigen und einen reaktionären Gemeinsinn durch populäre "Anmutungen" beziehen - besonders wenn sich dieser als Heilserwartung in Krisenzeiten z.B. durch Kulte oder Rituale vermitteln lässt. Tatsächlich werden über die Kulturalisierung der Masse (siehe auch Massenkultur) Energieen frei, die sich praktisch an alles binden lassen, was heilsam erscheinen kann oder als Heil der Menschheit darstellbar ist (siehe hierzu auch Elias Canetti: "Masse und Macht - Zähmung der Massen in Weltreligionen"). Der religiöse Fanatiker kehrt die Scham für seine stoffliche Unterworfenheit, für seine objektive Wertlosigkeit in einer zerfallenden Welt, in eine Macht über das Leben, in die Ewigkeit und Größe von Gottes Allmacht, in der er sich durch Unterwerfung zum Allerhöchsten in der Tiefe eines höchsten Elends findet und sich in seiner Unterwerfung unendlich erneuert. Und darin erneuert und vertieft sich sein Elend mit der Glaubensmacht, durch die Gott in der unendlichen Spekulation einer Heilserwartung nach dem Heil und der Heilung angerufen wird. Der religiöse Fanatismus unterscheidet sich vom gewöhnlichen Fanatismus durch seinen Bezug auf die Allmacht und die Ewigkeit Gottes, einem übernatürlichen, übermenschlichen Wesen, das den "wahren Menschen" als ewige Wahrheit, als absolutes und also absolutistisches Subjekt beherrscht und richtet. Diese kann nur in der reinen Unterwerfung und Hörigkeit an Gott befolgt werden und verlangt die Reinheit des Gläubigen gegen die Sünde und irdische Begierden. Und das verlangt zugleich die Missionierung der Welt durch Gewalt und Gehorsam, die Überhebung des missionierenden Glaubenskriegers als Teilhaber an Gottes Weisheit und Wahrheit. So finden sich autoritäre Charaktere besonders zur Überwindung persönlicher Krisen und Depressionen hierin befreit und verstehen ihre persönliche Emanzipation unter der Weltbeherrschung ihres Glaubens und seiner religiösen Macht. Es scheint so, dass es sich hierbei um die Heilslehre einer "verlorenen Generation" handelt, die ihr Heil nicht mehr auf dieser Welt erwartet und sich über ihren Tod den Übergang zu ihrem "Paradies" erwarten, durch denen sie sich befreien wollen. Von daher werden sie leicht selbst zu einer lebenden Waffe, zu Selbstmordattentäter, die ihren Tod als ihre Befreiuung verstehen.. Ein solcher Fanatismus hat sich - wie jeder andere auch - in eine schlechte Unendlichkeit begeben, durch welche die Menschen selbst sich am Abgrund einer Scheidemarke (siehe auch Urteil) wahrnehmen, was ihnen erkären soll, warum sie ihr abgetrenntes und erniedrigtes Leben - ihr Leben in einer absoluten Isolation - nur noch in einer permanten Lebensangst vor etwas abstrakt Allgemeinem wahrhaben. Darin wird jede Angst dumpf und jede Dumpfheit muss Angst machen. Der Grund ihrer Verdummung ist zugleich das, woraus sie sich speist und zu retten sucht: In einem Gott, der sie und alles, das All schlechthin "nach seinem Bilde" geschaffen haben soll. Sie können ihre Angst vor seiner Macht nur in der Hoffnung auf ihn in der Gemeinde, in der Teilung und Mitteilung seiner Gotteskindschaft aufheben, der sie somit nicht nur zugehörig, sondern auch hörig im Gehorsam sein müssen. Das Heil solcher Kindschaft entlastet die Menschen dadurch, dass sie sich nicht durch ihre Welt, sondern durch das Böse bedroht fühlen, das vom Ungläubigen in sie gebracht sein soll. Hierdurch bestimmt sich solcher Fanatismus als Glaube schlechthin in jeder Hinsicht unendlich, macht sich zu einer endlosen Bestrebung, die das zerstören muss, was ihn auf sich verwirft und ihn somit bedroht, indem er ihn in das profane Leben herabzieht und damit endlich, zu einem Widersinn per se machen würde (siehe hierzu auch Sektiererei). Wie jeder Fanatismus ist er Leidenschaft von höchster Intensität (lat. fanaticus: göttlich inspiriert), die sich aber hier ausschließlich auf seine Religion bezieht. Die Ausschließlichkeit speist sich aus einer Abgrenzung gegen das gewohnte Leben, gegen die Gewöhnlichkeit und Niederträchtigkeit der irdischen Begierden und Triebe, die als Verschmutzung der Seele oder des Geistes wahrgenommen werden. Die hieraus erstrebte allgemeine Güte ist zu einer Gottesliebe geronnen, die sich als verselbständigte Sehnsucht wie eine Sucht eines darin ausgeschlossenen und im Ausschluss vom irdischen Leben verewigten Lebens forttreibt. Von daher gewinnt solche Liebe eine unendliche Wahrheit und wird zum Fixpunkt aller verbalen und emotionalen Verständigung (siehe Verstand). Wie bei jedem Fanatismus ist dieses Streben durch die Unmöglichkeit verursacht, eigene Leidenschaft im wirklichen Leben auszudrücken und zu äußern. Er radikalisiert sie im Fokus einer dem Selbstgefühl entsprungenen Sehnsucht in einer Gefühlsmasse, in welcher tiefe Einsamkeit zu hohen Erregungen versammelt wird. Fanatismus setzt die Zerstörung eines Lebenszusammenhangs voraus, der sich in der Isolation des Leidens mächtig macht und das ausgeschlossene Leben in der Idealisierung einer verallgemeinerten Selbstbeziehung durch die Masse der Gefühle liebt. Von daher ist Fanatismus ein in dieser Beziehung verselbständigtes Leiden einer Liebe, die sich gänzlich entäußert hat, die sich nur außer sich wahrnehmen lässt und sich nur außerhalb des konkreten Lebens, das nurmehr aus den Gewohnheiten des Lebens besteht, wahrhaben kann. Die Abtrennung dieses Leidens von seinem Lebensursprung reflektiert sich selbst als eine Güte gegen das absolsut Böse und folgt damit der Formbestimmung einer Gedankenabstraktion, welche aus dem hervorgegangen ist, was nicht mehr gelitten werden kann und durch die Reinheit der Liebe selbst schon überwunden sein soll. Hierin ist das ausschließliche Verhältnis zur Welt gewahrt, ohne dass es sich bewähren müsste. Ene solche Abtrennung von der sonstigen Welt kann äußere Gründe haben (z.B. Bedrohung durch Gewalt, durch Macht oder andere fremde Zerstörungsinteressen) oder innere (z.B.Selbstveredlung). In jedem Fall soll sie durch Bereinigung veräußerlicht werden, durch die Reinheit eines Geistes, der sich seine Welt erst herstellen will, die ihm als Alternative zum irdischen Leben vorgestellt worden war und zu seiner Lebensvostellung geworden ist. |