Eine Entwicklung der Seele aus sich heraus gibt es nicht; sie wäre Mythologie. Seele entwickelt sich nur als Psyche in einem seelischen Verhältnis zu anderen Menschen in zwischenmenschlichen Verhältnissen. Seele hat keine Substanz jenseits der Erkenntnis und also keinen eigenen Antrieb, wie etwa durch ein naturtriebhaftes "ES" der Psychoanalyse, das im Unbewussten wirken und in einem "ICH" sich selbst kontrollieren können soll, indem es zugleich ein kulturanaloges "ÜBER-ICH" verwirklicht und also nur in ewigen anthropozentrischen Konflikten existieren können soll. Dieses so genannte "psychische System" ist jedoch diesen nicht vorausgesetzt; es entsteht gerade erst in der Abtrennung der seelischen Verarbeitung, den Auseinandersetzungen der Psyche von den wirklichen Verhältnissen, die sich in den Selbstgefühlen der zwischenmenschlichen Beziehungen ergeben, aus ihrem Abgetrenntsein, ihrem isolierten Dasein resultieren. Psyche ensteht durch die Abstraktion, welche die Selbstwahrnehmung in der Trennung ausmacht von dem, was sie wahrnimmt und dem was sie wahrhat. Mit der Verwirklichung ihrer Selbstbeziehung entstehen Gewohnheiten und Triebe der Selbstwahrnehmung, die zu einer eigenständigen Form der Wahrnehmung werden, worin sie im Gedächtnis in dem Maß verbleiben, wie sie ihre Absichten verwirklichen können. Der Streit darüber, ob sich seelische Entwicklung als von ihrer Wirklichkeit abgetrennte lineare Seelengeschichte vom Urvertrauen ihrer Kindheit bis zu ihrer Todesahnung im Alter (siehe auch Todestrieb) verstehen lässt, ist darin aufgelöst, dass in der Selbstwahrnehmung ein Verhältnis von Wahrnehmung und Rückbeziehung auf sich selbst im Gedächtnis der Lebensereignisse festgehalten wird. Dieses entwickelt sich daher immer in diesem Verhältnis des Erlebens, nicht als Gedächtnis der Seele und nicht als ein Gedächtnis der Wirklichkeit, sondern als Kompromiss einer wirklich seelische Verarbeitung einer Zwischenmenschlichkeit, die darin wahrgehabt wird. Darin verhält sich die seelische Verarbeitung zu ihrer Wirkung als Leidensform von Geschichte wie ein inneres Ereignis, und ereignet sich als innere Lebensgeschichte wie eine Weltgeschichte ihrer Eigenheiten und Eigenschaften, als Geschichte ihrer ganz persönlichen Sinbildung. Was die Wahrnehmung für sich selbst tut, das tut sie in ihrer Geschichte und ist daher niemals unabhängig von ihren Umständen. Aber ihre Absicht bildet sich nur in der Selbstwahrnehmung und verbildet sich in ihrem Scheitern. So können auch nicht die Personen der Geschichte als Personen das Leben bestimmen, etwa als Eltern das der Kinder. Sie bestimmen es insoweit, wie sie wirkliche Lebensbedingung sind. Das sind auch ihre persönlichen Eigenarten, ihre Heftigkeit oder Zwiespältigkeit usw. Treten jedoch andere Lebensbedingungen hinzu und stehen zur Auswahl, so setzen sich die durch, welche der Selbstwahrnehmung besser entsprechen. So wie das Gedächtnis mit ihr verfährt, wird sich persönliche Geschichte in neue Lebensbedingungen einbringen. Und aus diesem Aufeinandertreffen von Geschichte und Bedingung bilden sich die vielen Widersprüche, welche die Seele dann haben kann oder Erinnerungen verdrängen, unbewusst machen muss, um unter bestimmten Bedingungen überhaupt leben zu können. Es wird jeder Mensch, wenn er auf die Welt kommt, in unserer Kultur zugleich meist in seelische Verhältnisse geboren. Er nimmt dort alles als seine Lebensbedingungen auf und verhält sich dem entsprechend. Seine Absichten entstehen auf dieser Grundlage und kommen ihm zunehmend ins Gedächtnis. Im selben Maß beziehen sich die Menschen auf ihre Wirklichkeit unter diesen seelischen Umständen, erweitern sich durch einen Bezug auf die Welt, welche wirkliche Beziehungen eröffnen, die nicht auf die Seele zurückkommen, sondern sie verlassen, sich in wirklichen Gegenständen finden, empfinden und bestätigen, wirkliche Wahrnehmung werden, indem die Seele darin ihren Geist erkennt und weltlich, gesellschaftlich wird. Das verändert auch die Gefühle und Selbstgefühle. So wird der Mensch erwachsen und verhält und erkennt sich schließlich als Mensch unter Menschen sowohl seelisch wie gegenständlich, so wie jeweils die Anteile sich wirklich verhalten und erhalten, wie dies eben in einer bestimmten Gesellschaft aufgeht oder verschließt. Eine seelische Entwicklung ist für sich genommen die Entwicklung zwischen Selbstwahrnehmung und Gedächtnis, wie sie in zwischenmenschlichen Beziehungen nötig ist. Je nachdem, wie die Absichten der Seele sich darin wahrmachen, wird sich die Selbstwahrnehmung im Gedächtnis unter dieser Bedingung bedenken. Dort wird also die seelisch wahrgemachte Beziehung die Rückbeziehung der Seele auf die Selbstwahrnehmung auch bewirken, also seelische Ereignisse in der Weise verarbeiten, wie sie sich aus wahrgehabten Beziehungen als nötig erwiesen hatte. Von daher kommt die Resistenz der seelischen Arbeit gegen wirkliche Verarbeitung von seelischen Ereignissen in zwischenmenschlichen Lebensräumen: Was sich in dieser Beziehung als notwendig ergeben hatte, erscheint solange nötig, wie es die Selbstwahrnehmung in ihrem seelischen Verhältnis zu sich bestätigt. Und dies ändert sich in der Abgetrenntheit des seelischen Lebensraums nur dann, wenn diese Änderung selbst notwendig wird. Gegenständliche Wirklichkeit kommt hier also erst an zweiter Stelle hinzu. Das macht auch die manchmal lebenslange Abhängigkeit seelischer Verarbeitung vom Verhältnis zu ursprünglichen Lebenswelten in erzieherischen Beziehungen, meist die mit den Eltern. Deren Verhältnisse wirken solange in der Verarbeitungsweise ihrer Kinder nach, wie diese auch deren Verhältnisse begründen und bestätigen und also nicht von wirklich neuen Beziehungen durchbrochen werden oder hiergegen eine Selbstwahrnehmung gebildet haben, die sich von dieser Symbiose bedroht fühlt. Besonders wenn sie von sehr eigener Art waren, worin eigentümliche Selbstwahrnehmung sich verwirklicht hatten (in der Familie oft bestimmte Variationen von Schuldbeziehungen), können diese wie eine "Prägung" wirken, da die Wahrscheinlichkeit einer wirklichen Durchbrechung in der gewöhnlichen Weltwahrnehmung dann relativ gering ist. Hier bildet sich dann die seelische Verarbeitung nicht aus Erkenntnissen ihrer Gegenstände. Hier macht die Psyche die Erkenntnis ihrer Selbstvergegenständlichung und der Notwendigkeit ihrer Selbstvergegenwärtigung. Darin ist aber auch notwendig die Selbsterkenntnis verkehrt, entwirklicht. Indem sich ihre Entwirklichung in der Selbstwahrnehmung durchsetzt entwickelt sie in Wirklichkeit Lebensangst. Es entsteht hieraus eine Entwicklung in zunehmender Reduktion der Selbstwahrnehmung auf sich selbst, die Egozentrik der bürgerlichen Persönlichkeit mit all ihren Verrücktheiten. |