Selbstorganisation ist eine Organisationsform der Selbstverwaltung, die in Abgrenzung zu einer allgemeineren Organisationsform - meist als Alternative hierzu - auf sich selbst, also rein selbstbezüglich - ihre Reproduktion, ihren Haushalt und ihre Wirtschaft ohne äußere Eingriffe und Anforderungen oder Verpflichtungen besorgen will. Solche Selbstorganisation wendet sich gegen übergeordnete Systeme und muss sich daher wie ein in sich geschlossenes System hierzu verhalten, das sich körperlich hiervon unterschieden und von dessen Vermittlungsformen abgeschieden hat. Im Unterschied zu Subsystemen (z.B. Genossenschaften) innerhalb des allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisses, das heute weltweit durch Marktwirtschaft als Kapitalismus herrscht, soll Selbstorganisation Kräfte freisetzen, die das Potenzial in sich bergen, solche Herrschaftsformen zu ersetzen, also "unnötig werden lassen" können. Wesentlich ist hierbei der Charakter einer Parallelwirtschaft, die sich nicht beherrschen lassen, sich aber auch nicht zu den inwendigen Machtverhältnissen (Arbeitsteilung) und Kreisläufe (Zirkulation) der allgemeinen politischen Wirtschaftsform, der politischen Ökonomie des kapitalistischen Systems, verhalten will. Da hierbei das Entwicklungspotenzial jenseits aller geschichtlichen Verbundenheiten der gesellschaftlichen Reichtumsbildung auf die eigene Kraft reduziert ist, steht natürlich von vornherein die Machtfrage ins Haus, ob eine Selbstorganisation tatsächlich die geschichtlich überkommene Produktionsweise überhaupt überleben kann, die aus eben diesen geschichtlichen Gründen heraus ihre Ressourcen wesentlich wirtschaftlicher als sie beziehen kann. Es handelt sich bei Selbstorganisationen um Lebensformen und Unternehmungen, die sich aus dem Verhältnis der Beteiligten selbst bestimmen wollen (siehe Selbstbestimmung). Der Gedanke der Selbsteuerung und Autonomie ist für diese Lebens- und Wirtschaftsform tragend und gründet auf einem Bedürfnis nach Unabhängigkeit von Ordnungen oder Herrschaftsformen, die von außen an die Menschen angetragen oder gegen sie oder durch sie durchgesetzt werden. Selbstorganisation unterstellt, dass Selbsterhaltung und Entwicklung sich aus dem schöpferischen Potenzial der Menschen unmittelbar von selbst ergibt und eine soziale Ordnung (oder Lebensstruktur) sich aus ihrem Zusammenwirken ebenso unmittelbar einstellt (siehe auch Anarchismus), wenn sie sich im Prinzip der Selbstorganisation entwickelt. Im Unterschied zu einer Fremdbestimmung der Gesellschaftsform kann sich unter Selbstorganisation die Vorstellung vermitteln, dass es die Menschen selbst sind, die ihr Zusammenkommen aus "eigener Hand" entwickeln, dass sie darin also die Form ihrer Emanzipation finden (e manu cipere: Sich aus der Hand anderer, also aus fremder Hand herausnehmen). Doch in der bloßen Selbstbezüglichkeit bliebe eine solche Organisationsform für sich selbst absurd. Selbstorganisation unterstellt eine Gemeinschaft bezügliglich der Bedürfnisse und Aufwände, welche von den Beteiligten Zusammengetragen werden, und muss doch unentwegt über sich hinaus greifen, um das überhaupt verwirklichen zu können. Es verlangt die Aufhebung bloß individueller Bedürfnisse in einer Aneignung der Erzeugnisse inerhalb dieser Gemeinschaft, also in einer Gütergemeinschaft, die sich in Gemeingütern entgegenständlicht, um die Vorstellung ihres Gemeinwohls zu vergegenständlichen. "Eigentum ist Diebstahl" (Proudhon) wird dabei behauptet und das Gemeinwohl selbst als Eigentum aller verstanden, auch wenn es längst noch nicht wirkliches Gemeingut ist und dies auch nicht sein kann, weil kein einzelner Mensch unmittelbar gesellschaftlich ist, weil er sich in Gesellschaft nur vermitteln und mitteilen kann. Dies wird dann als sozialistische Form des Eigentums angesehen, die als Grundform einer kommunistischen Gesellschaft, als wirkliche Alternative innerhalb der bestehenden Gesellschaft angesehen wird (siehe auch Keimformtheorie). Selbstorganisation begründet sich damit aus unmittelbaren Verhältnissen von Menschen, die ihre Lebensform in den Nischen der bestehenden Gesellschaft aus ihren Beziehungen in solcher Organisation begründen und über ihre Aufwände und Produkte frei von Macht und Hierarchie verfügen wollen. Sie soll eine Grundform eines "Vereins freier Menschen" sein. Die Mitglieder werden hierbei aber nicht geschichtlich in ihrer bestehenden Gesellschaftlichkeit, sondern alternativ und voraussetzungslos als Menschen unterschiedslos wahrgenommen und sollen in ihrer Gemeinschaft auch als solche über sich und ihre Tätigkeit verfügen können, ihre Allgemeinheit aus ihrer Besonderheit hervorgehen und zugleich auf diese zurückkommen, gleich, warum und wie und aus welcher Bildungsgeschichte sie darin eingetreten sind. Was die Einzelnen als solche vermögen, soll auch als Vermögen in das Leben aller eingehen, wie sich auch das Vermögen aller als Bereicherung des Lebens der Einzelnen erweisen soll. Weil die Menschen damit als "Gleiche unter Gleichen" (peer-to-peer) zueinander gestellt sind, gilt auch das Allgemeine dem Einzelnen gleich (siehe Gleichheit). Das ist im Grunde eine bloße Idee und in Wirklichkeit tautologisch, aber soweit dies vorstellbar ist, handelt es sich hierbei um eine durchaus kommunistische Vorstellung, die allerdings mit der wirklichen Bewegung, die Kommunismus unterstellt, nichts zu tun hat, weil Kommunismus nur als gesellschaftliches Verhältnis, nicht aber das Statut einer Gemeinschaft sein kann. Selbstorganisation begründet sich gegen vorherrschende Verhältnisse, die als Herrschaftsform abgewiesen werden, gründet also auf einer reinen, also unbestimmten Negation. Aber die Unterschiede der Menschen, die sich ja auch jenseits der Nische weiterhin in Klassenverhältnissen bewegen, haben die existenziellen Hierarchien und Machtverhältnisse nicht einfach überwunden. In die Bedürfnisse und in den Arbeitsprozess geht immer ihre ganze Geschichte ein, die Ausbildung von Sinn und Fähigkeit, die allgemein existenziell begründet ist. Allerdings: wenn die Menschen durch Selbstorganisation aus Herrschaftsverhältnissen heraustreten und somit auch überhaupt sich neue Beziehungen in einer von politischer Herrschaft mehr oder weniger befreiten Gemeinschaft erschließen, können sie sich auch gegenseitig Lebensinhalte eröffnen, die unter anderen Bedingungen verschlossen bleiben. Zugleich allerdings entsteht auch ein innerer Druck durch die Geschlossenheit ihrer Lebensform - ähnlich der Lebensburg einer Familie. Die Menschen sind darin auf Beziehungen verwiesen, die sich nicht anders gestalten lassen, als es die Not der Gemeinschaft zulässt. Und diese ist eng gefasst im Vergleich mit der Gesellschaft, gegen die sie sich verhält. Als gesellschaftliche Alternative bleibt Selbstorganisation daher immer durch die bestehende Gesellschaft - wenn auch ideell negativ - bestimmt, oftmals auch in einem schleichenden Übergang in ihre Teilformationen (z.B. durch Marktwirtschaft, Betriebsform, Geld, Kreditverträge usw). Da Selbstorganisation durch Gemeinschaft lebt, zeigt sich darin auch immer Gesellschaft in ihrer isolierten Idealität, also auch als idealisiertes Lebensverhältnis, das sich seinen Idealen früher oder später beugen muss (siehe Moral). Allerdings kann dieser Mangel durch ein revolutionäres Potenzial aufgehoben werden, das sich in solcher Organisationsform gegen die herrschende Gesellschaftsform entwickelt und genährt wird. Selbstorganisation ist von daher ein notwendiges Durchgangsstadium unter den herrschenden Bedingungen einer gesellschaftlichen Gewalt, welche über die Aneignung der Lebensmittel verfügt und ihre Krisen an die Menschen weitergibt, sie prekarisiert. Sie ist von daher eine Krisenreaktion, eine Armutsverwaltung, die immerhin die Selbsterhaltung der Randständigen in gesellschaftlichen Nischen ermöglicht, wodurch materielle und psychische Verelendung durch organische Gemeinschaften aufgehalten werden kann, die darin also auch zum Widerstand befähigt bleiben, wenn sie nicht wieder in die ausschließlichen Reproduktionsbedingungen der gegebenen Sachverhältnisse zurückfallen. Selbstorganisation kann also kein gesellschaftspolitisches Konzept und kein Entwicklungsziel sein, sondern muss sich als Behelf in einer prekären Lebenslage wissen, der es ermöglicht, die Wirkung struktureller Gewalt zu lindern. Als Vorstellung einer gesellschaftlichen Entwicklung durch Selbstorganision ist sie eine Ideologie, die das Prinzip bürgerlicher Selbstbezogenheit im Allgemeinen affirmiert, weil sie das Gemeingut dem Überleben unterstellen muss, zu einer Mehrproduktion nur unter bürgerlichen Bedingungen in der Lage ist. Hiergegen hat Marx die Veränderung und Revolutionierung der Gesellschaft nicht in Alternativen vertsanden, sondern in der Umwälzung, der Subversion der bestehenden Verhältnisse durch das, was ihnen schon hier und jetzt zugrunde liegt, wovon die Menschen bereits den "Traum einer Sache" erfahren und sich im Bewusstsein hierüber auch wirklich verbinden können, wenn sie hierüber ihre Arbeit zustande bringen. "Es wird sich ... zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, daß es sich nicht um einen großen Gedankenstrich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit. Es wird sich endlich zeigen, daß die Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern mit Bewußtsein ihre alte Arbeit zustande bringt." (MEW 1, S. 346) Dies formuliert den Gedanken des Kommunismus, der sich nicht durch Selbstorganisation, sondern durch die Überwindung der anachronistischen gesellschaftlichen Formationen, durch die Emanzipation der Kommunen zu einer freien Gesellschaft entwickeln will (siehe hierzu auch Internationale Kommunalwirtschaft). Der Gedanke der Selbstorganisation war schon in der Antike als Entwicklungsgedanke diskutiert worden (Aristoteles bezeichnete Selbstorgansisation z.B. mit Entelechie, einer dem Organismus innewohnenden Kraft, die ihn zur Selbstverwirklichung drängt) und bezog sich auf sogenante "natürliche Ordnung", wie sie auch heute noch in der Chaostheorie beschrieben wurde. Dies beinhaltete bereits das Entwicklungsprinzip einer natürlichen Vernunft der Selbstentfaltung, die allerdings naturphilosophisch nur als Notwendigkeit der Selbstbestärkung aufgelöst werden konnte, die sich im Stoffwechsel, also im bloß stofflichen Austausch mit anderem erklären ließ. Das ist ein an und für sich geschichtsloses Prinzip, das lediglich entfalten sollte, was schon organisch gegeben ist. Der "Kampf der Gegensätze", aus dem der Fluß der Zeit sich ergeben sollte (Heraklid) war ein dem widersprechender Denkansatz, weil er Neues nur durch den Untergang des Alten für möglich hielt. Während sich die Ordnung im Chaos als Regel einer Zeitebene, also nicht in der Geschichte selbst bilden kann, erklärt sich die Ordnung aus Entgegensetzungen gerade aus dieser. Das dialektische Geschichtsverständnis führte beides zusammen durch die Entfaltung eines Wesens, welches in der Entgegensetzung durch Anreicherung seiner Inhalte in ihrer geschichtlich gegebenen Form zu einer Aufhebung auf höherem (=reicherem) Niveau gelangt (siehe historischer Materialismus). Eine Selbstentfaltung gerät von diesem Verständnis her zwangsläufig an eine innere Beschränkung, die eine geschichtsbildende Formveränderung verlangt. Ohne diese wird sie zu einer Selbstbeschränkung, die sich früher oder später selbst widerspricht. Dem entspricht die Beziehung von Selbstorganisation auf Gesellschaft, indem sie diese als bloße Daseinsform angeht. Als geschichtlich entstandene Lebensform menschlicher Sinnbildung hat Gesellschaft im Sinne der Selbstorganisation keine Bedeutug, wohl aber als Alternative zur herrschenden Gesellschaftsform. Hieraus ergab sich der Streit großer politischer Denkansätze schon im 18. und 19. Jahrhundert zwischen Anarchisten, Frühsozialisten und politischen Phislosophen (vergl. "Die heilige Familie" von Karl Marx). Er fokussierte sich am ausgeprägtesten zwischen Bakunin und Marx, in welchem eine Unversöhnbarkeit zwischen Anarchismus und Kommunismus sich verfestigte, die um das Verständnis des Gemeinwesens kulminierte. Sah Marx darin die historische Form des Gattungswesens, das erst nach Abstreifen der überkommenen Formbestimmung des Kapitalismus frei hervortreten, zur Verwirklichung der darin schon existenten menschlichen Gesellschaft emanzipiert werden kann, so wollte Bakunin durch den politischen Kampf der Menschen als kooperierende Individuen, also durch die unmittelbare Beziehung der Personen in direkten politischen Aktionen ein menschliches Gemeinwesen erst bilden. Bis heute ist der Gegensatz in verschiedenen politischen Zielen noch vorhanden, besonders in den auf Gemeinschaftsbildung zielenden Ansätzen auf der einen Seite (z.B. in der Alternativbewegung der 80ger Jahre, der Solidarischen Ökonomie und dem sogenannten Commonismus) und den gesellschaftspolitischen Ansätzen auf der anderen (z.B. Arbeiterbewegung, Frauenbewegung, parteipolitische Organisationsformen, emanzipatorischen und revolutionären Bewegungen). |
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