"Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat." (MEW 1, S. 378) Die Selbstwahrnehmung erzeugt den Schein, dass Menschen das sind, was sie von sich wahrnehmen, ganz gleich, was sie von sich wahrhaben. Aber sie können nur wahrnehmen, was ihnen gegenständlich ist, von ihnen von sich objektiv zu sein scheint, worin also ihre körperliche Existenz für sie gegenständlich ist. Und das wäre lediglich ihr körperliches Dasein als bloßes Selbsterleben. Das kann man zwar verdrängen, aber nicht verlieren. Als Erinnerung verbleibt es jedem Menschen als Gedächtnis seiner Erinnerungsbilder eigentümlich – sein inneres Eigentum, Erfahrungsschatz eigener Wahrnehmungszusammenhänge. Aber in zwischenmenschlichen Verhältnissen können Menschen sich auch selbst verlieren, wenn sie keine hinreichende Wahrnehmungsidentität aus ihrer familiären Herkunft beziehen konnten. Der Begriff Selbstverlust ist dafür aber völlig unangebracht, denn er unterstellt einen in diesen Verhältnissen allen möglichen Selbstgewinn. Und dies ist auch das, was jedem als Wahrnehmungsidentität seiner gewöhnlichen (siehe Normalität) Selbstwahrnehmung implizit abverlangt ist und sein Streben nach einer Selbstoptimierung (siehe Selbstveredelung) bestimmt. Und gerade darin wirkt der Hinterhalt der bürgerlichen Kultur (siehe auch politiche Ästhetik), die jedem Menschen ein Selbst zumutet, das ihm die Teilhabe an einer ihm äußerlichen Gemeinschaft der Selbstwahrnehmungen verspricht. Doch ein Selbst kann nicht wahr sein. Es wäre das Subjekt einer allgemeinen Selbstwahrnehmung, letztlich eine allgemeine Wahrnehmungsidentität, die als das große Versprechen einer allerhöchsten Wahrheit der Philosophie bzw. Religion einer allen gemeinen Wahrnehmungsidentität sei. Das wäre ein allerhöchster Gemeinsinn, eine über alle Menschen erhabene Identität, der Familiensinn einer Staatskultur die ein unendlich bestimmter Zwischenmensch zu äußern hätte. Doch dies wäre der Widersinn des Lebens überhaupt, von dem nur Faschisten träumen können. Der Tod ist allerdings tatsächlich die Wahrheit eines allgemeinen Selbstverlust, der Verlust einer unendlichen Selbstbezogenheit, wie sie in der Fundamentalontologie von Martin Heidegger angerufen wurde. Doch der Zauber verflog schnell, als ihn die Nationalsozialisten wahrgemacht haben wollten. Er lässt jedoch immer noch die Geister einer ganz allgemeinen Wahrnehmungidentität nicht los (siehe auch Zustand). Von daher hatte Martin Heidegger die Täuschung über eine allgemeine Selbstverlorenheit ganz einfach mit der Verfassung des Todes zum Einen richtig beschrieben, zum anderen aber als ewige Wahrheit des Volkes, als Phänomenologie einer allen gemeinen Selbsterfahrung, als Frage nach dem "Sinn des Seins" fixiert. "Sein oder Nichtsein" war die Frage der zeitgenössischen Literatur schon bei bei Shakespeare im 17. Jahrhundert, Goethe ließ seine Antwort im 19. Jahrhundert von Faust in der Auseinandersetzung mit sich und dem Teufel aussprechen: "Da steh' ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor! Heiße Magister, heiße Doktor gar, Und ziehe schon an die zehen Jahr' Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum – Und sehe, daß wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832) Selbstverlust ist der Zustand einer toten Wahrnehmung, der Selbstauflösung, ein Zustand der Unterwerfung der eigenen sinnlichen Bezogenneit (siehe auch sinnliche Gewissheit), der vollständigen Abhängigkeit von fremder Selbstbehauptung. Er entsteht durch die Einverleibung fremder Wahrnehmungsidentität in den zwischenmenschlichen Verhältnissen einer symbiotischen Selbstbehauptung. Das unterstellt die Vergemeinschaftung einer verselbständigten Selbstbeziehung, die sich durch das Heil ihrer fremd gewordene Wahrnehmungsidentität – durch ihre allgemein gewordene Selbstentfremdung (siehe auch tote Wahrnehmung) – gegen sich selbst verhält und deshalb ihre persönliche Angst als eine totalisierte Lebensangst wahrnimmt (siehe Angstzustand). Darin wird die fremde Empfindung als Selbstentfremdung der eigenen Wahrnehmungsidentität gefühlt und von daher zu einem subjektiven Zirkelschluss der Wahrnehmung (siehe auch hermeneutischer Zirkel) objektiviert (siehe objektive Subjektivität). Weil die Empfindungen unter solchen Umständen für sich schon widersprüchlich bestimmt sind und sich nicht mehr als Produkt ihrer eigenen Geschichte erkennen können verspürt sie nurmehr die Auflösung ihrer Selbstgefühle. Von da her ist Selbstverlust der Zerfall der Selbstwahrnehmung einer Persönlichkeit der sich aus einer strukturell bedingten Angst ergibt und sich im Auseinanderfallen ihrer Inhalte und Erinnerungen ereignet. Diese Angst entsteht in der Beengung der Selbstwahrnehmung durch Verhältnisse, in denen ihre Beziehungen unwirklich geworden sind und sich nicht mehr unmittelbar persönlich darstellen können, sodass die zugehörigen Selbstgefühle entzweit werden. In den Verhältnissen einer symbiotischen Selbstbehauptung (siehe auch Familie) müssen die Zwiespältigkeiten zusammengehalten und die Zweifel an ihrem Sinn befriedet werden, weil sie in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen im Verhältnis der Geschlechter und Generationen nicht wirklich wahr sein und nur in ihrem Zwiespalt existieren können. Damit bleibt allerdings der Sinn ihrer wirklichen Beziehung ausgeschlossen und muss unentwegt ersetzt und anerzogen werden. Ihr zwischenmenschliches Verhältnis kann nurmehr ihre Selbstentfremdung in prothetischen Beziehungen vergemeinschaften. Selbstverlust entsteht daher aus einer Unfähigkeit der Wahrnehmung, sich als Verstand ihrer Wahrheit zu verhalten. Wenn und weil ihre Gefühle durch das Selbsterleben ihrer Empfindungen beherrscht wurden, kann sie nicht mehr wirklich wahr sein (siehe auch tote Wahrnehmung). In der Psyche fassen sich nicht nur die Selbstgefühle eines Menschen zusammen. Sie verhalten sich darin im Gegensatz ihrer Triebe als Abstraktionskraft ihrer Selbstbehauptung insgesamt (siehe Selbstgewinn), um sich im Kampf um ihre Sebstverwirklichung durchzusetzen. Dabei trägt die Entwicklung und Bildung ihrer Gewohnheiten wesentlich zur Bestärkung ihrer Selbstvergegenwärtigung bei, die in ihrem Gedächtnis ihrer Erinnerungen ihre Kraft gewinnen und haben. Auch das in einer erzieherischen Beziehung ausgeschlossene Selbstgefühl hält trotz seiner Äußerlicheit die Empfindungen eines Menschen zusammen und bewahrt die Psyche vor ihrem Auseinanderfallen in ihren vielen auseinandertreibenden Gefühlen. Selbstverlust ist der Verlust ihrer Selbstbeziehung, der Verlust von Selbstwahrnehmung durch die Veräußerung und Unterwerfung seiner Selbst in einer symbiotischer Selbstbehauptung, die außer sich geraten ist und ihren Halt verloren hat. Darin wird das Vermögen der Selbsterkenntnis an den Anderen seiner selbst mit der Symbiose einer Selbstbehauptung abgetreten und die Selbstwahrnehmung in einer Selbstentfremdung verschlossen, in der sich die Selbstgefühle durch die ihnen fremd gebliebenen Empfindungen aufheben. Weil die Selbstwahrnehmung sich nicht mehr zwischen dem Verhältnis der Selbstgefühle verhalten kann, sondern sich vor allem durch die Absichten ihres ästhetischen Willens behaupten muss, verliert sie ihre sinnliche Gewissheit, die durch fremde Selbstwertgefühle ästhetisch bestimmt und in dieser Bestimmung untergegangen ist (siehe auch Minderwertigkeitsgefühl). Sie verliert sich in den allgemeinen Verhältnissen der Wahrnehmung durch die Entgegenwärtigung ihrer Selbstwahrnehmung und damit vor allem ihre Selbstachtung, also auch das Vermögen, sich selbst entsprechend zu äußern und auseinander zu setzen. Die Auflösung einer Symbiose stellt sich als Selbstverlust dar, weil die Selbstbezehung damit aufgehoben ist und der Schmerz der Auflösung sich hiergegen als verlorenes Selbstgefühl einstellt, dieses in eine leere Erregung treibt und damit das Gefühl der Verlorenheit einer fremd gewordenen Zwischenmenschlichkeit verdoppelt, - sich auch endlos verdoppeln kann, wenn sie sich in ihrer Erregung selbst in eine schlechte Unendlichkeit treibt, sich in ihrer Äußerlichkeit verallgemeinert, so sie sich nicht durch andere zwischenmenschliche Beziehungen aufheben lässt. Selbstverlust entsteht durch die Lebenszusammenhänge einer zwischen dem Menschen durch bloße Selbstbehauptung aufgehobenen Selbsterkenntnis, die ihre sinnliche Gewissheit entfremdet (siehe Selbstentfremdung), in ihren unmittelbaren zwischenmenschlichen Lebensverhältnisse (siehe z.B. Familie) die ihr nötige Selbstbehauptung verloren hat, wenn diese darin selbst ausschließlich und ausschließend geworden ist. Es ist das Resultat narzisstischer Verhältnisse, die einander aufbrauchen, wenn sie außer sich erschöpft sind und in sich zusammenfallen, wenn also die äußeren zwischenmenschlichen Beziehungen der in ihrer Selbstwahrnehmung eingeschlossenen Menschen nicht mehr vollzogen und also auch nicht mehr empfunden werden und sich die inneren Beziehungen ihrer Selbstgefühle durch einander aufgehoben haben, in ihren zwischenmenschlichen Verhältnissen noch anwesend sind, auch wenn sie sich abwesend verhalten, ihre Abwesenheit also als ihr Lebensverhältnis vollziehen und gestalten. Hierbei entsteht Lebensangst, eine Angst, die durch Lebensverhältnisse auftritt, worin Menschen ihre Gegenwärtigkeit verlieren oder verloren haben, durch die Form ihres Lebens (siehe z.B. auch Lebensburg) ihre Lebensinhalte aufgezehrt werden, sie sich hiervon selbst bedrängt fühlen, weil sie darin untergehen oder von einem Selbstverlust bedroht sind. Wesentlicher Grund hierfür ist die darin strukturierte Selbstbeziehung, mit der sie sich außer sich vergemeinschaftet haben (siehe z.B. symbiotische Selbstbehauptung) und ihre Gemeinschaft zugleich ihre Selbstentfremdung produziert (siehe z.B. auch erzieherische Beziehung). Selbstverlust ist schließlich auch der theoretische Begriff für eine Selbstentfremdung, die sich als eine "verlorenen Identität" darstellt. Von da her kann man dies der Wirkung von kulturmächtigen Lebensstrukturen auf die Selbstwahrnehmung der Menschen zuordnen, als Entwertung ihres Selbstwerts, den sie im Geltungsstreben ihrer Selbstgefühle aneinander und durch einander aufheben und durch die Vermittlung eines übermächtigen objektiven Selbstgefühls gegen sich erfahren und erleiden. In Gesellschaften, in denen das Leben der Menschen entwertet wird, weil diese sich zur Produktion von Sachwerten verdingen (siehe auch Verdinglichung), sich selbst zur Sache der Verwertung machen müssen, suchen sie in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen ihre Selbstachtung durch einen Selbstwert zu gewinnen und in ihrer Selbstbezogenheit sich in entsprechenden Gemeinschaften (z.B. Familie, Verein, Institution, Religion, Sekte) auch selbst zu veredeln. Im Geltungsstreben der Selbstveredelung kann man seinen Edelmut in der Konkurrenz gegen andere bestärken oder sich darin auch verlieren, durch Missachtung, Kränkung, Mobbing oder dergleichen seine Fassung, seine Selbstverfassung verlieren und zum Objekt der Selbstveredelung der anderen werden. Was in diesen Verhältnissen an Selbstwert nötig ist, macht sich dann als Verlust an Selbstachtung geltend, also der Selbstbeziehung, die durch Selbstwert und Selbstveredelung sich in einem persönlichen Hintersinn bewahrt hat und sich mit ihrem Niedergang als Nichtung der Selbstbeziehung bewahrheitet.. Wo der Selbstwert als Kulturgemeinschaft herrscht, kann an dieser eben nur teilhaben, wer darin seine Selbstachtung veräußert, sich in dem entäußert, was die Selbstwahrnehmung in dieser Gemeinschaft der anwesenden Lebewesen bestärkt (siehe hierzu auch Selbstentfremdung). Aber bei all den vielen Anwesenheiten lebendiger Menschen, Tiere usw., die wahrgenommen werden, wird nur eins wahrgehabt:, wer sich darin nicht äußern kann ist verloren. Er oder sie hat keine Chance, als ebenbürtiger Mensch angenommen zu werden, wenn er oder sie sich nicht den herrschenden Lebensvorstellungen anpasst, ihren Handlungen und Ritualen nicht folgen kann, die sie immer wieder hintergehen muss. Wenn und weil nichts von alledem für ihn oder sie als Leben erkennbar ist, existiert darin schon die Hinterfragung, was solche Selbstverwertung am Leben hält. Weil das Leben nicht ausschließlich sein kann, keinen Ausschluss kennt, kann es hierbei sich nur um eine Lebensform, um Raum handeln. Es ist der Lebensraum einer Selbstveredelung, worin man irgendwann erkennen muss, dass nichts von dem wirklich da ist, was an Beziehungsinhalten wahr gemacht wird. Selbstverlust ist das Resultat einer Selbstwahrnehmung, die den vorherrschenden Edelmut anerkennt und von daher als Ohnmacht der Selbstwahrnehmung erfahren wird, die sich verloren fühlt, weil sie sich selbst fremd geworden ist (siehe Selbstentfremdung). Es ist das Gefühl eines Selbstverlustes gerade dort, wo das Selbstvertrauen zu Hause sein müsste, die Selbstwahrnehmung einer verlorenen Selbstachtung, die einem bestimmten Lebensraum entspringt, der die eigenen Kräfte beengt und von daher zu einer um sich greifenden Lebensangst werden kann. Für sich genommen erscheint Selbstverlust als Verlust seiner selbst als bestimmter, mit sich identischer Mensch, also Verlust eigener Identität. Identität kann aber nicht wirklich verloren gehen, Sie wird durch Widersprüche aufgelöst, welche Substanz verzehren, welche also aufzehren, was ein Mensch an Gefühlen und Gedächtnis für sich gebildet hat. Selbstverlust ist die Nichtung der Selbstwahrnehmung, ein Prozess, in welchem sie sich gleichgültig wird, weil sie die Regungen auflöst, die ihr zur Erkenntnis gereichen sollte, ja, gerade deren Notwendigkeit selbst ausmachen. Der Selbstverlust kann daher erregt verlaufen, wenn er mit Angst erlebt wird, wenn also noch etwas im Menschen ist, was sich beengt fühlen kann. Er kann aber auch als Verlauf einer schlechten Negation, also als subjektiver Zirkel zwischen Empfindungen und Gefühlen die eigene Kraft aufbrauchen und sich "ausbrennen" (siehe hierzu Depression). Der Grund ist dann ein doppelt bestimmtes Selbstgefühl, das sich zur Selbstempfindung treibt, die dann nur die Selbstempfindung eines Entleerungsprozesses sein kann, die oft auch als Panikattacke erlebt wird. Diese Empfindung wendet sich unmittelbar gegen alle Selbstbeziehungen (siehe Depression) und macht sie unwahrnehmbar, empfindungslos. Das kann selbstzerstörerische Kräfte entwickeln, die sich in den Beziehungen der Selbstverwirklichung so gestalten, dass hierüber eine gegen sich selbst gerichtete Identität entsteht, welche eigene Selbstentleibung betreibt. Die Voraussetzung eines Selbstverlustes ist eine im Selbstgewinn bezogene Isolation, also eine Isolation, die zum Identitätsverlust gerade dadurch führt, dass sie Identität dort gewinnen will, wo sie in der Fremdheit ihrer Beziehungen nur Selbstentfremdung finden kann. Diese bewirkt die Abtrennung der eigenen Wesenskräfte durch die Notwendigkeit wesenloser Beziehungen, das Leben in der Nichtigkeit durch die Teilnahme an Lebensvernichtung. Indem man sich mit Nichtigkeiten füllt, erfüllt man seine Wesenlosigkeit als Akt seiner Beziehung auf andere. Der Selbstverlust ist einfaches Selbstgefühl des von sich selbst ausgeschlossenen, aber nicht in sich geschlossenen Individuums. Besonders im Zusammenhang von massigen Übersinnlichkeiten (Scheinwelt, Kameradschaften, Esoterik, Familiensinn usw,) kann sich der Selbstverlust als ausschließliche Beziehung zu sich selbst leicht durchsetzen und zur Selbstunterwerfung an Gruppenzusammenhänge werden, in denen jede Identität allgemein aufgehoben ist (siehe auch Sekte). |
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