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Eine erkenntnistheoretische Grundlage der Systemtheorien hat vor allem Niklas Luhmann versucht. Wesentlich hierfür ist die Ablehnung aller methodischen Vorgehensweisen von Erkenntnis, weil diese als einzige Voraussetzung der Behauptung folgen könne, dass es nun mal Systeme geben soll (siehe hierzu Logik). Statt von "Einheiten" (z. B. menschlichen Individuen) auszugehen, die durch ihre Beziehungen einzelne Systeme letztlich sich in einer Gesellschaft bilden und darin auch im Ganzen vermitteln, geht Luhmann auf einer sehr abstrakten Ebene von Ereignissen (als wesentliche Entitäten) und von Differenzbildungen aus. Ereignisse („Operationen“) schließen sich in spezifischer Weise und in spezifischen Medien an vorangegangene gleichartige Ereignisse an. Durch diese – gegenüber andersartigen Operationen geschlossenen, also ausschließlichen – Operationsweisen würden Systeme entstehen, und mit ihnen ihre systemspezifischen Umwelten. Die Operationsweise sozialer und psychischer Systeme sei autopietisch, und die Operationen bilden abgeschlossene Kreisläufe: Die Operationen verschiedener Systeme würden sich nicht durchdringen, Operationen eines Systems könnten nicht direkt an Operationen eines anderen Systems anschließen. Dies sei unabhängig davon, dass handelnde Menschen und Folgen von Handlungen beobachtet werden. Das umfassende soziale System „Gesellschaft“ differenziere sich nur in weiteren sozialen Systemen aus, die für sich isoliert zu betrachten seien (darunter: Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Politik, Religion, Erziehung). Luhmann setzt den evolutionären Prozess der funktionalen Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems in unterschiedliche soziale Systeme als zentralen Bestandteil seiner soziologischen Theorie und nimmt in diesem Zusammenhang Bezug auf historische Gesellschaftsformen und auf die Geschichte gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Systemtheorien dienen der Verewigung herrschender Zustände als Systematik, die sich nur "beobachten", im Nachhinein wirklicher Beziehungen erkennen lassen soll, die sich daher durch "sachadäquate" Funktionalität im Sinne eines Geschichtsobjektivismus auszeichnet, der allerdings nur subjektiv wirklich sein soll, also nur subjektiv erkennbar, nämlich nur für das beobachtende Subjekt wahr sein könne. Man beschreibt sie als eine handlungstheoretische Perspektive einer wissenschaftlich begründeten Intervention. Die Anwendung soziologischer und psychologischer Theorien sorgt schließlich auch dafür, dass politische Interessen gegen Widerstände durchgesetzt werden können. Der Soziologe Wolfgang Zapf fand hierzu deutliche Worte: "Die handlungstheoretische Perspektive kommt ins Spiel, wenn Modernisierung an die psychische und soziale Mobilisierung von Individuen und Organisationen geknüpft wird, insbesondere an Innovationen, die von individuellen und kollektiven Akteuren gegen Widerstände durchgesetzt werden." (Zapf 1992, S. 10.) Theorie besteht aus der Annahme von Zusammenhängen, die durch Beweise bewahrheitet werden sollten. Dabei werden Aussagen getroffen, aus denen der Erfolg eines Handelns abzuleiten wäre. Das unterstellt ein Ganzes vieler Eigenschaften und Teile, die in dessen Beziehung und bei jeder Intervention zu begreifen und zu berücksichtigen sind. Das ist zum einen ein begriffliches Herangehen, das zugleich funktionale Folgen hat. In dem Erkenntnisinteresse an der Substanz dieser Beziehung unterscheiden sich die verschiedenen Methoden der wissenschaftlichen Analyse (siehe auch Erkenntnistheorie), also das, was unter einer vernünftigen Erklärung verstanden wird (siehe auch Logik). Mit dialektischen Methoden werden die Folgen aus dem Grund bezogen, aus der Substanz, aus der ihre Beziehungen in den Verhältnissen bestehen, die zu ihrem Gegenstand gehören. Positivistische und rationalistische Ansätze beschreiben diese Verhältnisse selbst als Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, die schon für sich in einer Wechselseitigkeit von Grund und Folge angesehen werden. Die Systemtheorien verstehen sich selbst ausschließlich in den Funktionen inbegriffen, die sie untersuchen und suchen Begriffe, welche die Funktionen so beschreiben, wie sie darin schon begriffen sein sollen. Das System wird hierdurch aus seiner Gegenständlichkeit für theoretische Annahmen herausgenommen und zum Hintergrund der Theorie selbst. Der Begriff der Funktion ergeht unmittelbar aus der Funktionalität ihres Begreifens. Mit den Systemtheorien wurde die Geschichte von ihrer menschlichen Subjektivität abgelöst und auf ihre Prozesse reduziert, die substanziell unendlich zu begreifen wären. Sie verstehen schließlich solche Unendlichkeit rein funktionell und lehnen auf diesem Hintergrund jede ideelle oder materielle Substanz ab. Hier wird Sein und Dasein, Grund und Folge vollständig mit Ursache und Wirkung gleichgesetzt und also auch ersetzbar, sinnlos. Solche Systematik ist die Form einer Ontologie, die sich aus der Funktionalität von Prozessen erklären will, also eine überhistorische Seinslehre ohne Sein ist. Systemtheorie will allerdings dennoch über die Erkundung eines systematischen Zusammenhangs eine funktionale Substanz natürlicher Verhältnisse erschließen und hieraus die Welt selbst als ein systematisches Ganzes ableiten, das nicht nur rein logisch, sondern wirklich aus den Prozessen ihrer Funktionen substanziell für die Lebensverhältnisse sein soll, um hieraus Konsequenzen für deren optimale Strukturierung zu folgern. Sie beansprucht die Theorie einer allgemeinen Logik von Interaktionen zu sein, die aus einem natürlichen Regelwerk, einer Kybernetik der Natur sich in ihrer Funktionalität ergänzen, sich also hieraus als quasi natürliches System ergeben würden. Es handelt sich um die Theorie einer Gestaltungslogik, die je nach Gegenstandsbereich sich vorhandener Substanzen bedient und sich damit naturwissenschaftlich oder psychologisch oder soziologisch begründet. Sie ist hierdurch zu einem interdisziplinären Modell einer strukturalistischen Methode der Erkenntnis geworden, mit der Systeme zur Beschreibung und Erklärung unterschiedlich komplexer Phänomene herangezogen werden. Wesentlich hierbei ist die Identifizierung der Phänomene gesellschaftlicher Verhältnisse mit natürlich scheinenden Strukturen, wodurch die gesellschaftlichen Formationen bruchlos in naturwissenschaftlichen Kategorien und deren Logik aufgehen, so dass wirkliche Gesellschaft zu einem Komplex von Naturbeziehungen durch absolut naturlogische Gründe rationalisiert wird. Damit wird jede gesellschaftliche Rationalität zu einer unmittelbaren Naturbegabung und darin absolut. Auf der Grundlage einer solchen Vernunft wird gesellschaftliche Wirklichkeit von ihrer menschlichen Substanz abgezogen (siehe Abstraktion) und das System als solches totalisiert. Alle durch die Gesellschaft der Menschen erst begründetem Lebenszusammenhänge - besondere ihre wirtschaftliche und kulturelle Wechselseitigkeit und Dialektik - werden in schalen Mustern einer natürlichen Struktur beziehungsweise einer informationstechnisch abgeleiteten Begründung mystifiziert und sinnentleert und auf die bloße Strukturbeziehung zwischenmenschlicher Verhältnisse abgesetzt (siehe Strukturalismus). Der Mensch wird darin wie ein soziales Tier aufgefasst, das bestimmten unbedingten und voraussetzungslosen Entitäten zu folgen hat, also Formationen des Daseins, die eine ontologische Substanz beinhalten - etwa wie die Existenzialen in Heideggers Fundamentalontologie. Was dort aber in ihrer drastischen Logik noch ganz offensichtlich in eine erkenntnistheoretische Sackgasse mit fatalen Folgen geführt hatte, bleibt hier unausgesprochen, weil strukturell abstrakte Vorbedingung. Systemtheorien gehen daher von kohärenten, sich selbst erhaltenden Einheiten (Entitäten) der strukturell begründeten Komplexe mit absolut gemachten Kategorien, wie etwa „Gesellschaft“, „Justiz“ oder „Haushalt“, aus und erklären die beobachteten Phänomene durch die Verortung des Phänomens innerhalb der Einheiten dieser völlig abstrakten Begrifflichkeiten. Die Analyse von Strukturen und Funktionen sollen dann Vorhersagen über das Systemverhalten erlauben und Interventionen seitens der so zum gesellschaftlichen Maß erhobenen Wissenschaft begründen. Es hat sich inzwischen eine relativ stabile Reihe an Begriffen und Theoremen herausgebildet, auf die sich der systemtheoretische Diskurs bezieht und seine Erfolge daraus bezieht, dass sie eine optimale Deckungsgleichheit mit den wahrgenommenen Phänomen einer abstrakten Gesellschaft bewirken und daher auch höchst funktional darin auf Menschen wirken, die sich in ebenso abstrakten Beziehungen zu verhalten haben. Der Begriff Allgemeine Systemtheorie geht auf den Biologen Ludwig von Bertalanffy zurück. Seine Arbeiten bilden zusammen mit der Kybernetik (Norbert Wiener, William Ross Ashby) die grundlegenden Überlegungen dieses Wissenschaftsansatzes. Weitere wichtige Theorien stammen von Humberto Maturana und Francisco Varela (Autopoiesis), Stuart Kauffman (Selbstorganisation) und Alfred Radcliffe-Brown (Strukturfunktionalismus) sowie Talcott Parsons (Strukturfunktionalismus oder Systemfunktionalismus) und Niklas Luhmann (soziologische Systemtheorie). Inzwischen wurden die Systemtheorien sich selbst zum Gegenstand ihrer Wahrnehmung und sind damit zu einer theoretischen Form der Selbstwahrnehmung geworden und auf eine allgemein psychologische Ebene gehoben, in der ihre ausschließlich Wahrheit der Selbstbezüglichkeit des hiernach handelnden Funktionärs entnommen wird. Das Soziale wird mit einer Psyche identifiziert, die sich als eine naturhafte Lebensform der Individuen und ihrer Verhältnisse entwickelt haben soll und damit Gesellschaft wie eine psychische Ganzheit der Physis zu verstehen ist. Damit wird das Leben selbst zum unmittelbaren Gegenstand einer totalitären Abstraktion von seinem Sinn, der jedem System unterworfen werden kann, das sich systemtheoretisch begründet und sich damit auch zu stabilisieren vermag (siehe hierzu auch Volksseele). Darin erscheint dann alles nur vernünftig, was in seiner Oberfläche systematisch verfestigt ist, z.B. die Marktwirtschaft, der Staat, die Familie, jedes zwischenmenschliche Verhältnis schlechthin das unmittelbar als Gesellschaft begriffen sein soll. All dies gilt als Ausdruck und Keimzelle einer abstrakt begründeten Notwendigkeit des Kooperierens. Das Befolgen des damit angelegten Gestaltungsrahmens wird zur Selbstverwirklichung einer Formbestimmung, die bloße Naturlogik befolgt, auch wenn sie nur noch aus Selbstausbeutung besteht (siehe hierzu auch den Film "Work hard, Play hard"). Jede Selbstorganisation ist damit auf die Funktionalität einer Selbstentfaltung reduziert, deren Egozentrik durch ihre systemlogische Begründung in ihrer Widersprüchlichkeit verschleiert wird, indem jeder Mensch natürlicherweise schon immer nur als Teil eines Systems wahrgenommen wird, dessen Struktur ihm vorgegeben ist (siehe Strukturalismus). Als Autopoiesis bezeichnet Humberto Maturana sowohl seine Systemtheorie wie auch den wesentlichen Prozess, den er mit seiner Theorie erfassen will, nämlich das Leben an sich. Maturana beschreibt, grob gesehen, das Gleiche wie von Bertalanffy in seiner Systemlehre, er argumentiert aber kybernetisch: er spricht von selbstbezüglichen Menschen wie von lebenden (autopoietischen) Maschinen, die sich aus der Selbstentfaltung ihrer Natur heraus von alleine gesellschaftlich einregeln. Als Selbstorganisation bezeichnet man Prozesse, die wie die Autopoiese zu höheren strukturellen Ordnungen führen, ohne dass ein steuerndes Element erkennbar ist. Ein Beispiel ist der Laserstrahl, anhand dessen die Theorie von H. Haken auch entwickelt wurde . Der Radikale Konstruktivismus wurde von Ernst von Glasersfeld entwickelt. Er hat dabei auf die Arbeiten von Jean Piaget zurückgegriffen. Die Denkweise von Piaget war konstruktivistisch und epistemologisch. Ernst von Glasersfeld argumentiert insbesondere auch mit der operationellen Geschlossenheit von Systemen. Als System Dynamics bezeichnet man die Modellierung mit Regelkreisen. Bekannt gemacht hat das Verfahren Jay Wright Forrester durch das Weltmodell „World3“, anhand dessen in der „Club of Rome“-Publikation Limits to Growth (Die Grenzen des Wachstums, Dennis L. Meadows 1972) der globale Rohstoffverbrauch prognostiziert wurde. Die soziologische Systemtheorie versteht sich als eine Universaltheorie im Sinne eines umfassenden und kohärenten Theoriegebäudes für alle Formen von Sozialität. Der soziologische Systembegriff geht auf Talcott Parsons zurück. Parsons betrachtet dabei Handlungen als konstitutive Elemente sozialer Systeme. Er prägte den Begriff der strukturell-funktionalen Systemtheorie. Niklas Luhmann erweitert die Theorie Parsons und verwendet nicht mehr den Handlungsbegriff, sondern den sehr viel allgemeineren Begriff der Operation. Die neueste Strömung ist die Theorie komplexer Systeme. Ein komplexes System ist dabei ein System, dessen Eigenschaften sich nicht vollständig aus den Eigenschaften der Komponenten des Systems erklären lassen. Komplexe Systeme bestehen aus einer Vielzahl von miteinander verbundenen und interagierenden Teilen, Entitäten oder Agenten. Die Theorie der Komplexen adaptiven Systeme beruht vorwiegend auf den Arbeiten des Santa Fe Institute. Diese neue Komplexitätstheorie, die Emergenz, Anpassung, und Selbstorganisation beschreibt, basiert auf Agenten und Computersimulationen, die Multiagentensysteme (MAS) einschließen, die zu einem wichtigen Instrument bei der Erforschung von sozialen und komplexen Systemen wurden. In dieser Abstraktion entsteht eine philosophische Analogie zum Denken von Martin Heidegger. Mit seiner Kehre von seiner Fundamentalontologie zum praktischen "Verweisungszusammenhang des Innerweltlichen", das immer schon irgendwie entdeckt sei, sah er im Wesen des Lebens eine immer schon unumgängliche Wahrheit, die sich in den Zeichen der Zeit "entbarg", bzw. offenbarte, sozusagen zugleich als Vorformation der Wahrheit existiere. Diese für das Existieren notwendige Zugehörigkeit von Wahrheit und Dasein nannte Heidegger Wahrheit der Existenz. Für sein Verständnis des Welt- und Selbstverhältnisses ist seiner Auffassung nach seitdem nicht nur die Struktur unserer Existenz von Bedeutung, sondern auch, wie sich die Welt, das Sein, für uns von sich her zeigt. Das Sein entbirgt sich dem Menschen nicht nur in Bezug zu dessen Existenz, sondern in mannigfaltiger Form, die von der Kunst bis zur Gesellschaft reicht. Die Systemtheorien wären durchaus in der Lage, diesem Verständnis zu folgen und ihm weitere "Neuheiten" zuzufügen, in denen die Strukturen und Muster zu einem existenziellen Gestaltungsprinzip würden (siehe z.B. den Menschenpark). Das wäre dann die reine Vernunft der Objekte in einer Welt der reinen Objektivität, die sich sorgsam vor die objektiven Subjekte stellt und sie vor wesentlichen Abweichungen behütet, die ihrer Subjektivität noch entspringen könnten. Und hieraus versteht sich Systemtheorie als kritische Bewahrerin der objektiven Vernunft. "Die Vernunft hat immer existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form. Der Kritiker kann also an jede Form des theoretischen und praktischen Bewußtseins anknüpfen und aus den eigenen Formen der existierenden Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sollen und ihren Endzweck entwickeln." (Marx an Ruge, MEW 1, Seite 345) (==> zurück zum Anfang <==))
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