"Im selben Verhältnis ..., wie sich die kapitalistische Produktion entwickelt, entwickelt sich die Möglichkeit einer relativ überzähligen Arbeiterbevölkerung, nicht weil die Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit abnimmt, sondern weil sie zunimmt ..." (K. Marx, Kapital III, MEW 25, S. 232). "Man begreift die Narrheit der ökonomischen Weisheit, die den Arbeitern predigt, ihre Zahl den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals anzupassen. Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und Akkumulation paßt diese Zahl beständig diesen Verwertungsbedürfnissen an. Erstes Wort dieser Anpassung ist die Schöpfung einer relativen Übervölkerung oder industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets wachsender Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht des Pauperismus. Das Gesetz, wonach eine immer wachsende Masse von Produktionsmitteln, dank dem Fortschritt in der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, mit einer progressiv abnehmenden Ausgabe von Menschenkraft in Bewegung gesetzt werden kann - dies Gesetz drückt sich auf kapitalistischer Grundlage, wo nicht der Arbeiter die Arbeitsmittel, sondern die Arbeitsmittel den Arbeiter anwenden, darin aus, daß, je höher die Produktivkraft der Arbeit, desto größer der Druck der Arbeiter auf ihre Beschäftigungsmittel, desto prekärer also ihre Existenzbedingung: Verkauf der eignen Kraft zur Vermehrung des fremden Reichtums oder zur Selbstverwertung des Kapitals. Rascheres Wachstum der Produktionsmittel und der Produktivität der Arbeit als der produktiven Bevölkerung drückt sich kapitalistisch also umgekehrt darin aus, daß die Arbeiterbevölkerung stets rascher wächst als das Verwertungsbedürfnis des Kapitals. Das Gesetz ..., welches die relative Übervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert." (MEW 23, Kapital I, S. 674f) Die Menge einer Bevölkerung steht immer relativ zu ihren Lebensbedingungen als quantitatives Verhältnis von Arbeit und Bedarf. Demnach müssten in einer Gesellschaft auch mehr Menschen für mehr Bedürfnisse zu mehr Arbeit zur Verfügung stehen. Von Überbevölkerung ist die Rede, wenn die Lebensbedingungen für eine bestimmte Menge der Bevölkerung zu ihrer Reproduktion nicht mehr ausreichen. Im Kapitalismus wird Überbevölkerung produziert, wenn die ausgezahlten Löhne nicht mehr den Unterhalt aller Menschen ermöglichen. Es sind hier die Arbeitslosen, Alte und Kranke, die dann als Überbevölkerung oder Überalterung in Erscheinung treten. Zugleich sind sie die potenziellen Konkurrenten, also jene, die zu fast jedem Preis verfügbar sind. Von daher sind sie immer funktional für das Kapital. Mit dem Wachstum des Gesamtkapitals wächst zwar auch sein variabler Bestandteil, oder die ihm einverleibte Arbeitskraft, aber in beständig abnehmender Proportion... Die kapitalistische Akkumulation produziert... und zwar im Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative, d.h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuss-Arbeiterbevölkerung." (K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 658). Überbevölkerung entsteht daher nicht aus einer überschüssigen Geburtenzahl und auch nicht durch Migration, sondern letztlich aus der anwachsende Produktivität der Arbeit, besonders ihrer Automation, welche menschliche Arbeit entwertet und von daher deren Konkurrenzverhältnisse verschärft. Das Kapital sucht und lockt für sein Fortbestehen gerade die Masse von Arbeitskräften, um ihren Preis, ihren Lohn billig zu halten, um damit überhaupt ihre Mehrwertrate vor dem Fall der Profitrate zu bewahren. Es ist vor allem das Wirtschaftswachstum, das sich zum Leben der Menschen umgekehrt verhält, wie das Wertwachstum und sie sukzessive aus dem Arbeitsprozess entfernt, ohne ihnen das Produkt der fortgeschrittenen Arbeitsleistung als Mehrprodukt verfügbar zu machen. "Die größere Produktivität der Arbeit drückt sich darin aus, dass das Kapital weniger notwendige Arbeit zu kaufen hat, um denselben Wert und größere Quanta von Gebrauchswerten zu schaffen, oder dass geringere notwendige Arbeit denselben Tauschwert schafft, mehr Material verwertet, und eine größere Masse Gebrauchswerte. ... Es erscheint dies zugleich so, dass ein geringeres Quantum Arbeit ein größeres Quantum Kapital in Bewegung setzt." (K. Marx, MEW 42 Grundrisse, 292 f). Überbevölkerung ist der Ausdruck der Krisen des Kapitals, die durch den anwachsenden Gegensatz von Wirtschafstwachstum und Wertwachstum notwendige Zerstörungsprozesse zur Folge haben, die auch die Bevölkerung selbst betreffen und sie nicht nur arbeitslos macht, sondern auch ihren ganzen Lebensrhythmus und also auch ihre Kultur bestimmt. "Der charakteristische Lebenslauf der modernen Industrie, die Form eines durch kleinere Schwankungen unterbrochenen zehnjährigen Zyklus von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Produktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht auf der beständigen Bildung, größeren oder geringeren Absorption und Wiederbildung der industriellen Reservearmee oder (arbeitslosen) Überbevölkerung. ... Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne frei verfügbares Menschenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachstum der Bevölkerung unabhängigen Vermehrung von Arbeitern." (K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 661 f). | ![]() |