Zivilisation ist der Zusammenhalt sozialer Systeme, die in den frühen Stetten der Menschheit zu deren Selbsterhalt nötig geworden waren. Das setzte voraus, dass sich städtische Infrastrukturen im Zweck ihres Verkehrs und ihrer gesellschaftlichen Produktion reproduktiv versichern mussten (siehe auch Arbeit), Einrichtungen und kulturelle Entwicklungen und Lebenshaltungen (siehe Recht, Verfassung, Sitten) und Mittel der Kommunikation (Sprache und Schrift) hierfür entworfen wurden, die ihre Entwicklung und Reichtumsbildung als soziale Macht gegen ihre Krise und Zersetzung gewähren konnten. Vor mehr als etwa vier Milliarden Jahren entwickelte sich die Erde, – "unser Planet" (siehe auch Herbert Gruhl, S.Fischer-Verlag 1975, "Ein Planet wird geplündert"). Doch erst vor sechs Millionen Jahren begann ganz allmählich die Geschichte des menschlichen Lebens. Klimaveränderungen und wechselnde Umwelteinflüsse zwangen den Frühmenschen, sich immer wieder anzupassen. Seit etwa 300.000 Jahren gibt es Menschen - zunächst als Nomaden in Stammeskulturen. Mit der Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht wurden sie vor etwa 11.000 Jahren erstmals in Mesopotamien im Zweistromland zwischen den Flußlandschaften von Euphrat uns Tigris sesshaft, indem sie für das Wachstum ihrer Früchte die Bewässerung ihres Anbaus entwickelten und bewirtschafteten. Die Pflege des Bodens - sprich: der Erde - wurde zur wesentlichen Ressource der menschlichen Arbeit und Kultur (lat. cultura = Bearbeitung, Pflege, Bebauung, Anbau, Ausbildung, Veredelung, Verehrung). Mit der Sesshaftigkeit der Menschen in den frühen Gesellschaftsformen hatte sich aus den Nomaden und den Jägern und Sammlern eine ländliche Wirtschaftsform entwickelt, die schließlich aus ihren Marktflecken ganze Städte und mit den Städten die Teilung der Arbeit auf ihre Bürgen, auf die Stadtbevölkerung, auf die Civis (von lateinisch civis: ‚römischer Bürger', ‚Städter'; seit dem Hochmittelalter ‚Bürger‘) konzentriert. In den Städten entwickelten sich im Unterschied zur Landbevölkerung - im Gegensatz zur Kultivierung des Ackerlandes und der Viehzucht - Stadtkulturen, welche die technologischen und produktiven Kulturen verselbständigt haben. Durch den Warentausch haben sie sich zur Avantgarde des gesellschaftlichen Fortschritts politisch fortbildet und gegen eie politische Reaktion entzweit. Als Brücke, als Rückbindungen (re-ligio) verblieben lediglich die Religionen einer kulturellen Elite. So wurde Zivilisation zum Begriff einer gegensinnigen Stadtkultur, in der sich die Geschichte der Gesellschaften seitdem politisch weltweit fortbestimmt. "Der Gegensatz zwischen Stadt und Land fängt an mit dem Übergange aus der Barbarei in die Zivilisation, aus dem Stammwesen in den Staat, aus der Lokalität in die Nation, und zieht sich durch die ganze Geschichte der Zivilisation bis auf den heutigen Tag (die Anti-Corn-Law League) hindurch. - Mit der Stadt ist zugleich die Notwendigkeit der Administration, der Polizei, der Steuern usw., kurz des Gemeindewesens und damit der Politik überhaupt gegeben. Hier zeigte sich zuerst die Teilung der Bevölkerung in zwei große Klassen, die direkt auf der Teilung der Arbeit und den Produktionsinstrumenten beruht. Die Stadt ist bereits die Tatsache der Konzentration der Bevölkerung, der Produktionsinstrumente, des Kapitals, der Genüsse, der Bedürfnisse, während das Land gerade die entgegengesetzte Tatsache, die Isolierung und Vereinzelung, zur Anschauung bringt. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land kann nur innerhalb des Privateigentums existieren. Er ist der krasseste Ausdruck der Subsumtion des Individuums unter die Teilung der Arbeit, unter eine bestimmte, ihm aufgezwungene Tätigkeit, eine Subsumtion, die den Einen zum bornierten Stadttier, den Andern zum bornierten Landtier macht und den Gegensatz der Interessen Beider täglich neu erzeugt." (MEW 3, Seite 50) Zivilisation ist dadurch im Wesentlichen das geschichtliche Resultat menschlicher Sinnbildung in der Kultur (siehe hierzu historischer Materialismus). Für den Menschen ist das "Ringen um seinen Frieden" mit seiner individuellen Natur (siehe Befriedigung) die Notwendigkeit einer ihm entsprechenden Produktionsweise zur Aneignung seiner gesellschaftlichen Natur (siehe Naturmacht). Von daher verwirklicht sich in der Zivilisation menschliche Bildung, die Gestaltung des menschlichen Lebens nach einem Bild, das sich aus dem materiellen Verlangen ihrer Bedürfnisse und Arbeiten, aus ihren Produkten ergibt und neue Inhalte aus deren vorhandener Substanz als erneuerte Produkte erzeugt (siehe hierzu auch Kapitalismus). Die bürgerliche Kultur setzt die Teilung der Arbeit durch ihre Sinnbildung, also über den ihrer Bilder von sich über ihre politische Reaktion fort. Ein Bild ist aber immer schon auch ein Gedanke über das Erleben der Welt (siehe hierzu auch Existenzialismus), ein Zusammenhang von Empfindungen, die sich im Denken ihrer Beziehung durch die Gefühle für ihre Sache gestalten, die Menschen mit anderen Menschen und ihren Gegenständen verbinden und daraus auch neuen Sinn, neue Eigenschaften und neue Fähigkeiten bilden können. Die Bildung des Menschen durch die Lebensverhältnisse der Menschen (siehe Gesellschaft) als ihr Gattungswesen ist von daher die Grundlage der menschlichen Zivilisation. Das Sein der Menschen ist die Zivilisation ihrer Lebensprozesse, ist nicht einfach nur die in ihrer Individualistät isolierte Form des Daseins funktional vermittelter Zusammenhänge von Arbeit und Kultur durch die Ereignisse ihrer Geschichte, sondern die Gesamtheit ihrer Lebenszusammenhänge, wie sie durch die Aufwände an ihrer Kraft und Zeit in den verschiedensten Lebensräumen der Welt gebildet und aufgebracht worden waren und werden und das Sein der Menschen zivilisiert hat. Die bürgerliche Gesellschaft hat es bisher nur dahin gebracht, dass das gesellschaftliche Sein der Menschen nur aus dem isolierten Dasein ihres Lebens geworden ist und existiert. Das gesellschaftliche Sein der Menschen, die Substanz ihrer Gesellschaft ist nicht einfach nur der Zusammenahng ihrer Lebensproduktion durch die Produkte ihrer Arbeit, sondern das Resultat ihrer Sinnbildung, ihrer Zivilisation in Raum und Zeit, ihrer Kultur und Arbeit, wie sie in der Entwicklung ihrer Naturaneignung in der bisherigen Geschichte der Naturmächtigkeit ihrer Gesellschaften entstanden ist und entsteht. Es entsteht mit der Produktion der Lebensmittel der Menschen nicht unbedingt nur ein Zeugnis für ihre Selbsterhaltung (Reproduktion) und Selbstgewissheit (Identität), die ihre Erzeugung verursacht hat und darin ihre Wirklichkeit empfindet. Aus ihr wird der Reichtum einer besonderen Kultur, denn die findet darin ihren Sinn außer sich als Form für sich, als Dasein einer bestimmten Art und Weise der Zivilisation, wie sie durch die Äußerung der Bedürfnisse, durch das Verlangen nach einem ihnen entsprechenden Gegenstand geworden ist. Der Begriff Zivilisation wird in den Streitigkeiten der Bürger gerne hergenommen, um ein soziales Verhalten einzufordern, wodurch sich Menschen in ihren Gesellschaften organisieren und sich durch ihre "zivilisatorische Leistungen" (Sinnbildungen, Kultivierungen, Kommunikations- und Verkehrsformen) wesentlich von Tieren unterscheiden sollten. Er ist immerhin der politische Begriff für die Naturmacht einer menschlichen Kultur, für die Form, in der sie sich vergesellschaftet hat (siehe hierzu historischer Materialismus). Von daher ist er nicht ohne die Formbestimmung der jeweiligen Gesellschaft zu verstehen. Der zivilisierte Mensch ist nur zivilisiert, soweit er sich zu der jeweiligen Gesellschaftsform verhält. Und deshalb schwingt in diesem Begriff eine normative Anpassung an diese Gesellschaftsform, der moralische Anspruch einer politisch adäquaten Kultur mit (siehe hierzu auch politische Korrektheit). Kultur ist an und für sich ein wertfreier Begriff, der auf jedwede Lebensgemeinschaft bezogen wird, z.B. auch auf Bakterienkultur, und sich gerade dadurch jeder Bewertung entzieht, dass er als Ausdrucksform des Lebens selbst hergenommen wird, ob die nun gut oder schlecht, widersprüchlich oder rein strukturell zu bedeuten sei. Zivilisation ist dagegen die Abgrenzung zum Wilden und zur Barbarei, unterscheidet die Bevölkerung der Wildnis durch Menschen, die ohne gesellschaftliche Form behauptet sind von dem politisch formierten Menschen. Von daher war es die Selbstgerechtigkeit der Biedermeierzeit, die diesen Begriff gegen die "Kultur der Wilden" hervorkehrt und als Unterscheidungsmerkmal innerhalb der menschlichen Kultur selbst anwendet. Nach Friedrich Schiller kann sich der Mensch "auf eine doppelte Weise entgegengesetzt sein: entweder als Wilder, wenn seine Gefühle über seine Grundsätze herrschen, oder als Barbar, wenn seine Grundsätze seine Gefühle zerstören." Diese beiden Seiten der Moral – Wilder und Barbar, Herrschaft des Gefühls oder der Grundsätze – sieht Schiller nicht nur im historischen Nacheinander, sondern auch zur selben Zeit, nämlich in seiner Zeit verwirklicht. Doch die Staatsraison des Bürgertums sieht sich durch die Zivilisation der Kultur legitimiert (siehe Staatskultur). Und das verlangt nach einer Einheit von Zivilisation und Kultur. Die These, dass Kultur und Barbarei keinen ausschließenden Gegensatz bilden, wird bereits in der Anthropologie, der Rechtstheorie und Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts ausgearbeitet. Michel Foucault hat in seinen Vorlesungen zur Verteidigung der Gesellschaft zu zeigen versucht, dass die Geschichtsschreibung dieses Jahrhunderts die Figur des Barbaren einführt und derjenigen des Wilden gegenüberstellt, um letztlich den barbarischen Akt der konstituierenden Revolution zu legitimieren. Zivilisation ist daher letztlich ein Abgrenzungsbegriff, der durch die Politik bestimmt sein lässt, was dies ausmache, der also lediglich das Barbarische ausgrenzt und der Militanz überlässt, was begrifflich den zivilen Bürger auf seine Soldaten verweist, die seine Gewalt nach eigenen, nicht bürgerlichen Regeln durchzusetzen haben. So kann bürgerliche Kultur sich durch ihre Zivilisiertheit intakt als heile Welt verstehen, weil ihr Wächter, ihr Spießer als organisierter und trainierter Soldat im Sinne seiner Staatsformation funktioniert. Um der Zivilisation die moralische Position zu nehmen, wird heute als Ausgangspunkt für eine Zivilisation ein Begriff der Moderne hergenommen, mit dem sie als Kontingenz der Kultur zu verstehen sei. Soziologisch hat dies am deutlichsten Niklas Luhmann formuliert. Modern ist eine Gesellschaft mit einem hohen Grad an Komplexität, mit einer Vielfalt von wählbaren Möglichkeiten, aus denen durch Systeme selegiert und so Komplexität reduziert wird. Diese Aufgabe übernehmen in einer "funktiona" organisierten Gesellschaft die Systeme von Ökonomie, Politik, Recht, Wissenschaft, Kunst und Religion. "Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist." - so Luhmann. Doch dies ist im Grunde nur der Austausch von Moral in Funktionalität. Der Zwang zur Anpassung wird damit noch sublimer, ein Widerspruch zugunsten der historischen Gegebenheiten aufgelöst. Dagegen steht die Kritische Theorie. Walter Benjamins Satz: "Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein", wurde von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ja zu einer eigenen Geschichtsphilosophie ausgeweitet, die sich gegen den von Schiller initiierten deutsch-idealistisch geprägten Diskurs über die Kultur eingeführt hatte. Einige Verwendungen dieses Begriffs des Zivilen verstanden darunter, dass Menschen sich Gesellschaftsordnungen gegeben hätten, andere, dass sie alphabetisiert waren oder dass sie sesshaft wurden. All dies konnte keinen Sinn ergeben, wären demnach im einen Fall doch z.B. Beduinen, im anderen Analphabeten, im anderen Reitervölker als unzivilisiert anzusehen. Zivilisation bleibt dabei aber dennoch lediglich ein Abgrenzungsbegriff zur Wildnis, woraus sich für die Menschen Kultur ergeben hätte als Welt unterschiedlichster Kulturen und Hochkulturen. Von daher ist Zivilisation immer noch ein Werturteil über die verschiedensten Gesellschaftsformen der menschlichen Kultur schlechthin. |
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