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Zum Thema siehe auch  => Die Bürgerliche Gesellschaft  => Gesellschaft  => Bürger  => Warenwert als Begriff der Entfremdung des Menschen von seiner Gesellschaft  => Bürgerliche Kultur



Bürgerliche Gesellschaft

Die bürgerliche Gesellschaft ist die Gesellschaft des Besitzstandes, des Privateigentums, das im Widerspruch zur organischen und stofflichen Erzeugung des menschlichen Eigentums durch Arbeit auf der einen Seite und dem Genuss dieser Produkte auf der anderen Seite steht. Der Besitzstand entwirklicht und vereinseitigt und zertrennt dieses ganze Verhältnis gegen seine Eigentümlichkeiten, die in einer ihm zugrundeliegenden Beziehung sind.

"Wie das Privateigentum nur der sinnliche Ausdruck davon ist, dass der Mensch zugleich gegenständlich für sich wird und ... sich als ein fremder und unmenschlicher Gegenstand wird, dass seine Lebensäußerung seine Lebensentäußerung ist, seine Verwirklichung seine Entwirklichung, eine fremde Wirklichkeit ist, so ist die positive Aufhebung des Privateigentums, d.h. die sinnliche Aneignung des menschlichen Wesens und Lebens, des gegenständlichen Menschen, der menschlichen Werke für und durch den Menschen, nicht nur im Sinne des unmittelbaren, einseitigen Genusses zu fassen, nicht nur im Sinne des Besitzens, im Sinne des Habens. Der Mensch eignet sich sein allseitiges Wesen auf eine allseitige Art an, also als totaler Mensch. Jedes seiner menschlichen Verhältnisse zur Welt, Sehn, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Denken, Anschauen, Empfinden, Wollen, Tätigsein, Lieben, kurz, alle Organe seiner Individualität, wie die Organe, welche unmittelbar in ihrer Form als gemeinschaftliche Organe sind, sind in ihrem gegenständlichen Verhalten oder in ihrem Verhalten zum Gegenstand die Aneignung desselben. Die Aneignung der menschlichen Wirklichkeit, ihr Verhalten zum Gegenstand ist die Betätigung der menschlichen Wirklichkeit; menschliche Wirksamkeit und menschliches Leiden, denn das Leiden, menschlich gefaßt, ist ein Selbstgenuss des Menschen.

Das Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht, dass ein Gegenstand erst der unsere ist, wenn wir ihn haben, also als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unserem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz, gebraucht wird. Obgleich das Privateigentum alle diese unmittelbaren Verwirklichungen des Besitzes selbst wieder nur als Lebensmittel fasst und das Leben, zu dessen Mittel sie dienen, ist das Leben des Privateigentums Arbeit und Kapitalisierung.

An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist daher die einfache Entfremdung aller dieser Sinne, der Sinn des Habens getreten." (MEW 40, S. 539)

Die bürgerliche Gesellschaft hat durch ihre enorme Produktivkraft, durch die Industrialisierung der Arbeit, der Aneignung und Verarbeitung der Natur und der Ausbreitung der Kommunikation einerseits den Arbeitsorganismus der Menschen verwirklicht. Die Menschen sind ihrem Wesen nach gesellschaftlich; ihr Reichtum, ihre Produktions- und Kommunikationsmittel existieren nur, weil sie im Zusammenwirken der Menschen, durch Zusammenfügung ihrer Einfälle, ihres Geistes, ihrer Sinne und ihrer Kräfte in ihrer Arbeit, also gesellschaftlich geschaffen wurden, gesellschaftlich erzeugte Gegenstände sind. Auf der anderen Seite wird ihre Gesellschaft nur durch die Prinzipien der Märkte zusammengehalten, durch Geldverwertung, Ausbeutung der Arbeitskraft und der Kulturen und durch endlose Wertsteigerung des Kapitals, der die Menschen blindlings gehorchen, wenn und solange sie unendlich viel konsumieren (siehe Tittytainment). Es ist das Gesetz der reinen Masse, der abstrakten Sache, die gleichgültig gegen jeden Sinn, die von einer leeren Größe, dem bloßen Quantum der Verwertung, dem Wertwachstum, unendlich bestimmt ist, egal was sie für die Menschen sein kann. Es ist das Wertgesetz, das Marx in seinen drei Bänden über das Kapital beschrieben hat, das ökonomische Gesetz einer überkommenen Produktionsweise, das seine Verwertungskrisen nur mit politischer Gewalt gegen die Menschen austragen kann.

Es steckt in diesem Widerspruch von Form und Inhalt des gesellschaftlichen Reichtums der Keim einer menschlichen Gesellschaft, in welcher die ökonomischen Gewalten des Kapitals auch abgestreift, die Klassengegensätze aufgehoben und das Mehrprodukt in die Gesellschaft zurückgeführt werden können, wenn die Menschen sich gegen die Politik des Kapitalismus wenden. Sie haben es in der Hand, sich immer mehr den formellen Bestimmungen ihrer Existenz zu unterwerfen, bis sie sie sich als Mensch nicht mehr erkennen können (die Gesellschaft der Barbarei) oder die bisherige Geschichte als Basis ihrer weiteren Geschichte anzusehen, die nur eine Geschichte auf dem Weg zu einer Gesellschaft von Menschen sein kann, die sich als gesellschaftliche Menschen in einer menschlichen Gesellschaft ohne Klassen, d.h. ohne Privateigentum, also ohne privaten Besitz an Geld und Kapital zueinander verhalten.

Die menschliche Gesellschaft ist der gesellschaftlich entfaltete Reichtum der Menschen als gesellschaftliche Welt für die Menschen:

"Erst durch den gegenständlich entfalteten Reichtum des menschlichen Wesens wird der Reichtum der subjektiven menschlichen Sinnlichkeit, wird ein musikalisches Ohr, ein Auge für die Schönheit der Form, kurz, werden erst menschliche Genüsse fähige Sinne, Sinne, welche als menschliche Wesenskräfte sich bestätigen, teils erst ausgebildet, teils erst erzeugt. Denn nicht nur die fünf Sinne, sondern auch die sogenannten geistigen Sinne, die praktischen Sinne (Wille, Liebe etc.), mit einem Wort der menschliche Sinn, die Menschlichkeit der Sinne wird erst durch das Dasein seines Gegenstandes, durch vermenschlichte Natur. Die Bildung der fünf Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte ... Für den ausgehungerten Menschen existiert nicht die menschliche Form der Speise, sondern nur ihr abstraktes Dasein als Speise ... Der sorgenvolle, bedürftige Mensch hat keinen Sinn für das schönste Schauspiel ... Die Vergegenständlichung des menschlichen Wesens, sowohl in theoretischer als praktischer Hinsicht, gehört dazu, sowohl um die Sinne des Menschen menschlich zu machen, als um für den ganzen Reichtum des menschlichen und natürlichen Wesens entsprechenden menschlichen Sinn zu schaffen." (MEW 40, S. 541 f)