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Zum Thema siehe auch  => Die Bedeutung der Methode  => Die dialektische Methode



Über zwei Lesarten des Kapitals von Karl Marx

Ich will die vielen Interpretationen und Kommentare, die es zum „Kapital“ gibt, auf zwei Lesarten konzentrieren, die ein zentrales Problem der Marx-Rezeption verdeutlichen sollen: eine strukturalistische und eine wesenslogische.

1. Die strukturalistische Lesart will die Phänomene im Grad ihrer Allgemeinheit umfangslogisch ordnen, ihre Formen als Folgeerscheinungen ihrer Besonderungen darstellen und danach ihre Einteilung und Verteilung, Recht und Unrecht ihrer Verteilungsverhältnisse, ihre Verteilungsgerechtigkeit beurteilen. Es geht dann um die quantitativen Formen der Verhältnisse, um das Recht des Einzelnen, sich im Allgemeinen in seinem Recht bestärkt zu wissen. Nur wo das Besondere dem Allgemeinen unterliegt, wo dessen Autorität zum Maß der Verhältnisse und von daher das Einzelne bedrängt, ungerecht behandelt wird, muss man sich diesem zuwenden und es in seiner Verallgemeinerung bestärken, Solidarität zeigen, um die herrschenden Allgemeinheiten zu beschränken oder auch ganz zu stürzen. Dies wird zu einer Frage des politischen Willens, der sich auf die „richtige Seite“ zu stellen hat. Das verlangt eine moralische Entscheidung über das, was darin zum Vergleich ansteht, eine moralische Position zur Geschichte des Gebotenen. Das unterstellt ein Subjekt, welches das Für und Wider in dem frei entschließen kann, was nötig sein soll, was Fortschritt einbringt, auch, was hierfür beigebracht und erfunden werden muss. Die Notwendigkeiten bestehen hierbei also aus einem politischen Willen, der einen quantitativ erkennbaren Mangel beheben soll.

2. Wesenslogik geht von einem Widerspruch von Wesen und Erscheinung aus und verfolgt die Erscheinungen als Ausdruck ihrer Absehung (Abstraktion) von ihrem Wesen. Der wesenslogischen Lesart geht es um die Formverwandlungen einer Substanz, die sich nicht sein lassen kann, die in einer Form existiert, in der sie sich von sich selbst entfernt, weil sie sich darin im Widerspruch ihrer Verwirklichung entwirklicht. Hier geht es um Entfremdung, um die Entwicklung einer fremden Macht, in der sich die Substanzen des sinnlichen Lebens gegen dieses selbst verhalten, um sich als das zu erhalten, was für sich nichts sein kann, weil es nur Form für sich, in seiner Formverwandlung verselbständigte Macht ist. Von daher ist sowohl der Mensch im Einzelnen wie im Allgemeinen ein von dieser Macht beherrschtes Wesen, das nur zu sich kommen kann, sich emanzipieren kann, indem er diese Entfremdungsmacht aufhebt. Hier ist die Erkenntnis aller Formen der Entfremdung tragend, wie sie sich mit der geschichtlichen Dialektik (siehe historischer Materialismus) ihrer Formveränderungen ausgebildet und entwickelt hat und analytisch nachvollzogen werden muss. Das Notwendige tritt hier aus der organischen Entwicklung einer Geschichte als deren Formbestimmung hervor, deren Machtverhältnisse sich ihr widersetzen, gegen sie objektiv anachronistisch sind. Hier bestehen die Notwendigkeiten aus der Aufhebung herrschender Formationen, welche die Potenziale der Geschichte zu einem bestimmten Zeitpunkt behindern und beherrschen, sich also quantitativ gegen qualitative Entwicklungen verhalten, weil sie gegen diese sich verselbständigt haben, als Geld und Kapital Entwicklung bestimmen, die sich den Menschen entzieht.

Nun könnte man meinen, dass sich beide Positionen doch leicht vereinen ließen, wenn man das Recht in der ersten mit der Lebenssubstanz in der zweiten begründet. Heraus käme damit aber eine fatale Selbstbehauptung, die den „wahren Kämpfer“ um das „Leben der Seinen“ gegen die Macht der Herrschenden allmächtig machen muss. Nein. Um Allmacht kann es nicht gehen. Es geht um Aufhebung der politischen Form der herrschenden Verhältnisse, der Kampf gegen ihren Mystizismus, ihre Selbstermächtigung durch Täuschung und Vertauschung, um die Wendung des Lebens gegen alle ihm fremde Formen (siehe Formbestimmung) im einzelnen wie auch allgemein.

Und das macht auch die dialektische Methode von Marx im Kapital aus: die Methode der Kritik der politischen Ökonomie. Mit ihr hat sich der Entfremdungsbegriff aus der Philosophie zur Darstellung der Wertform gebracht, die sich im Warenfetischismus der Menschen unbewusst niederschlägt und die bewusst werden muss, um diese Verhältnisse auch wirklich ändern zu können, den Kampf ihrer Gegensätze, die Klassenkämpfe zwischen Armut und Reichtum durch die Potenziale der gesellschaftlichen Produktivkräfte aufzuheben..