Siehe

Zum Thema siehe auch  => Nietzsche



Denken und Erkennen ist für Nietzsche letztlich ebenso instinkthaft, wie alles am Menschen. Es sei "der Instinkt der Furcht, der uns erkennen heißt" (Nietzsche "Die fröhliche Wissenschaft" WW III S.222). Es hat seine Logik daher auch nur im Psychologischen, "sucht im Grunde nur die Metamorphose der Welt in den Menschen, ... ringt nach einem Verstehen der Welt als eines menschenartigen Dinges" (Wahrheit als Lüge WW V S.316). Es ist die Philosophie der Psychoanalyse, in welcher der Mensch letztlich nur aus Seelennot heraus sich verhält und bildet. "Alles, was den Menschen gegen das Tier abhebt, hängt von dieser Fähigkeit ab, die anschaulichen Metaphern zu einem Schema zu verflüchtigen, also ein Bild in einen Begriff aufzulösen." Das menschliche Begriffsgebäude ist so Produkt einer Übertragungsleistung von höchstem künstlerischem Rang, Denken ein Wesensakt des Individuums, das darin aber lediglich seine Instinkte fortreibt und nach innen und außen abführt.

Die Psychoanalyse meint das nicht anders. Sie erklärt lediglich den Antagonismus von Natur und Kultur anders. Es sind bei ihr zwei Wesenheiten, wovon die eine Naturenergie, Trieb, die andere Geist, Sublimation.

Was die Psychoanalyse scheinbar naturwissenschaftlich hernimmt als Konstanzprinzip oder Prinzip der Trägheit (das sich übrigens längst nicht mehr halten lässt), gibt es bei Nietzsche längst als Prinzip des Geistes. Das hat fatale Folgen für die Anwendung solcher Wissenschaft: Weil die Menschen ihre Trägheit nicht freiwillig aufgeben, sind sie für sich haltlos. Halt geben kann ihnen eigentlich nichts, was Leiden oder gar Tod bringt. "Und an diesem Punkt erst beginnt Nietzsches psychologisches Hauptstück. Halt geben können Begriffe, Gedanken, Abstraktionen nur, sofern sie selbst etwas relativ Festes sind, worin die Vielzahl flüchtiger Eindrücke und Affekte aufbewahrt bleibt: Gedächtnis” (S.78). An dieser Stelle kehrt sich sein Denken zur Welt, und dies in einer ungemein offen reaktionären Psychologie, denn sein Mensch ist kein Mensch durch sich selbst: "Wie macht man dem Menschen-Tiere ein Gedächtnis? Wie prägt man diesem teils stumpfen, teils faseligen Augenblicks-Verstande, dieser leibhaften Vergeßlichkeit etwas so ein, daß es gegenwärtig bleibt? ... Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, wehzutun, bleibt im Gedächtnis - das ist ein Hauptsatz aus der allerältesten (leider auch allerlängsten) Psychologie auf Erden. ... Es ging niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen” (Nietzsche: Genealogie, WW IV, S. 802f). Was sich so wie eine Kritik an der Menschheitsgeschichte lesen ließe, wird zur Affirmation durch das Bekenntnis zur Disziplinierung des "Tiermenschen”, die Kulturnotwendigkeit von Schuld und Strafe als Tatsache des allgemeinen Menschseins, als zwangsläufiges und zugleich wohlgefälliges Verhältnis der Seele zu sich selbst. "Ohne Grausamkeit kein Fest: So lehrt es die älteste, längste Geschichte des Menschen - und auch an der Strafe ist sovie Festliches, ... eine Art Wohlgefühl, (das) als Rückzahlung und Ausgleich zugestanden wird - das Wohlgefühl, seine Macht an einem Machtlosen unbedenklich auslassen zu dürfen, ... der Genuß in der Vergewaltigung” (a.a.O. S. 806).

Der Nietzsche-Fan und Psychologe Martin Burger schreibt in PSYCHOLOGIE HEUTE SEPTEMBER 2000 zum 100. Todestag Friedrich Nietzsches :

"Die "unerhörte psychologische Tiefe und Abgründlichkeit", die Nietzsche für sich reklamiert, haben auch andere erkannt. Sigmund Freud, der nicht umhin konnte, Nietzsche zu bewundern, bemerkt in seiner Selbstdarstellung, dass "dessen Ahnungen und Einsichten sich oft in der erstaunlichsten Weise mit den mühsamen Ergebnissen der Psychoanalyse decken...". Alfred Adler nennt ihn "eine der ragenden Säulen unserer Kunst" und wird nicht müde, seine Bedeutung hervorzuheben. Für C. G. Jung war die Lektüre von Nietzsches Schriften die Vorbereitung, mit der er zur "modernen Psychologie" gelangte. Gottfried Benn meint gar, "die ganze Psychoanalyse ... ist seine Tat". Noch extremer äußert sich Karl Jaspers, der Nietzsches Denken über die Tiefenpsychologie stellt. Mehr noch: Die Psychoanalyse sei "mitschuldig an der geistigen Niveausenkung", sie habe "die unmittelbare Auswirkung des eigentlich Großen (Kierkegaard und Nietzsche) in der Psychopathologie verhindert". Tatsächlich wurden aber nahezu sämtliche Psychoanalytiker der ersten Stunde, so auch Rank, Tausk, Wittels, Reik, Hitschmann von Nietzsche inspiriert."