Zum Thema siehe auch => Geschichte der Studentenbewegung =>
Warenwert als Begriff der Entfremdung des Menschen von seiner Gesellschaft
Die Bewegung der Studenten
Mit dem Niedergang des 1000jährigen Reiches, das gerade mal 12 Jahre existierte, war Faschismus zwar ökonomisch mangels Masse vergangen, nicht aber seine Kultur, die sich in den Familien und zwischenmenschlichen Beziehungen erhalten und fortgetragen hatte. Im Machtsystem der Welt war die Niedertracht kapitalistischer Politik gegen die Selbstbestimmung der Menschen unübersehbar für die, welche aus der faschistischen Vergangenheit radikal demokratische Positionen gegen Krieg und Kapital entwickelt hatten. "Nie wieder Krieg!" Das hatte man versprochen. Doch überall trieben Eroberungsinteressen der kapitalintensiven Nationen zu einem ungezügelten Wettrüsten weltweit. Dazu war genehm, den deutschen Faschismus als Inszenierung eines Irren und die deutsche Bevölkerung einfach als von ihm verführt hinzustellen, um seine Kulturmächtigkeit als erledigt zu klassifizieren. Doch dass Faschismus sich nicht aus bloßer Ideologie oder Charakterschwäche der Politik entwickelt hatte und dass Armut die substanzielle Basis des Kapitalismus, seine Quelle und sein Ziel ist, war angesichts des fortdauernden Sperrfeuers auf die Länder der Armut unübersehbar.
Ebenso unübersehbar war aber auch das Dilemma der bisherigen und gegenwärtigen Widerstandsformen und Alternativen. Was im Osten der Staatskapitalismus durch seine "Proletarische Einheitspartei" den Menschen diktierte, hatte Rudi Dutschke schon bald als Ausdruck eines Linksfaschismus begriffen. Und was die Arbeiterbewegung bis dahin im Westen mit ihrem Glauben an ein gleichgeschaltetes Einheitsvolk der Arbeit zustande gebracht hatte, war kaum als eine Emanzipation aus der Diktatur des Kapitals zu erkennen. Kleinbürger und Arbeiter waren an ihren Stammtischen und in ihrer BILD-Zeitung zugleich auffällig ketzerisch gegen Intellektuelle und Andersdenkende - auch gegen anders fühlende Menschen. Die so genannte Meinungsfreiheit galt immer noch nur für jene, die den Staat im alten Trott weiterführen und den Geist an den Universitäten mit dem "Muff von tausend Jahren" zustopfen wollten. Die außerparlamentarische Opposition der antiautoritären Bewegung war ihr erster ernst zunehmender Gegner. Sie war es, die den Faschismus wirklich zu verarbeiten hatte und gegen den Totalitarismus in den entsprechenden Einrichtungen des Staates, der Familien, der Herzen und der Bildung, in der Kultur überhaupt aufstand und ihm die nötigen Stiche versetzte.
Es bestand ja auch ein totaler Zwiespalt der Generationen, die nach dem Krieg nicht so einfach ihr Leben teilen und mitteilen konnten. Die alten Kämpfer wollten auf etwas andere Art weiterhin die politische Kultur ihres kapitalistischen Weltmachtstrebens gegen den Kommunismus durchsetzen und ihre Kinder wollten zu Kommunisten werden, um auf diese Weise den Kapitalismus aufzuheben. So war es logisch, dass es in der Auseinandersetzung der Generationen zu allererst mal um Erziehung ging. Es entstanden neue Lebensformen der Jugend durch die Veröffentlichung ihrer privat erlebten Ohnmacht, durch neue Formen des Wohnens, Erziehens und der zwischenmenschlichen Beziehungen überhaupt. Von ihren Eltern, ihren Lehrern und Professoren erhielten sie hierzu kein Wissen und keine Anregungen. Im Gegenteil: was immer zu ihrer Emanzipation gefunden wurde, wurde schnell als Krankheit oder Verwahrlosung diskriminiert. Die Nachkriegsgeneration musste überall erfahren, dass Zucht und Ordnung immer noch die intensivsten Bedürfnisse der alten Generation war.
Aber wie konnte es sein, dass die kulturelle und oft auch noch politisch aktive Prominenz dieses Systems im Nachkriegsdeutschland so ungeschoren und erfolgreich weiterkam? Die faschistische Propaganda hatte deren verheerende Effizienz doch gerade noch mit ihrem Machtapparat vorgeführt. Wie konnte sie sich bei einer derart kritischen Nachkriegskultur überhaupt wieder in ihrem reaktionären Politikverständnis erhalten und faschistoide Bewegungen neu bilden?
Aus dieser Frage entzündete sich die Hippie- und Studentenbewegung in unterschiedlichen Gruppierungen einer antikapitalistischen Bewegung der "fashist-babies", die zugleich subversiv und offen politisch die kalten Krieger bekämpfen wollte. Die waren ja zu einem großen Teil auch immer noch an der Macht: An der Regierung, im Parlament, der Industrie, der Bildung und fast allen Kultur- und Erziehungseinrichtungen. Mit denen war eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft nicht zu machen - wenn, dann nur gegen sie. Es waren zuallererst kulturkritische Positionen, in der sich die Jugend zusammenfand und auf ihren Konzerten und in ihren Wohngemeinschaften ihre emanzipativen Vorstellungen entwickelten. In der Vorkriegsliteratur wurde genügend Wissen und Literatur entdeckt, womit auch an alte Emanzipationabewegungen angeknüpft werden konnte. Sigmund Freud hatte die Formen der Selbstverleugnung und Verdrängung analysiert, Wilhelm Reich die "Massenpsychologie des Faschismus" beschrieben, und Erich Fromm über "Die Kunst des Liebens" und "Haben oder Sein" nachgedacht. Karl Marx vermittelte den Zusammenhang von Kulturkritik, Philosophiekritik und Kritik der politischen Ökonomie. Und Adorno und Horkheimer wollten das alles zusammenbringen mit ihrer Kritik der Aufklärung, der Vernunft der Moderne, der Kulturtechnologie und dem Totalitarismus ihrer Anwendung. Die nachwachsenden Kinder des Kleinbürgertums fühlten sich damit besser verstanden als die Arbeiterschaft der Nachkriegszeit. Die hatten das auch nicht sonderlich nötig. Die Gewerkschaften waren noch stark, die Geschichte des Sozialismus des Ostens noch eine real scheinende Alternative zum Kapitalismus und die sozialdemokratischen Gerechtigkeitsübungen in den Bündnissen der Arbeit teilweise noch erfolgreich.
Auch wenn die Leninisten und Maoisten sich mit dem Wiederaufbau einer kommunistischen Partei auseinandersetzten und einige Basisgruppen die Arbeiterschaft von der Notwendigkeit einer antikapitalistischen Revolution zu überzeugen versuchten, so ging es doch vorwiegend um Kulturkritik, um den "Subjektiven Faktor" der gesellschaftlichen Entwicklung und den kulturellen Missständen in der Bildung, Erziehung und der Gesundheits- und Arbeitskultur.
Dabei spielten die Kultur- und Sozialwissenschaften eine zentrale Rolle zur Emanzipation aus den psychischen und kulturellen Verkrustungen des Faschismus. Doch ihre Anwendungen waren zwiespältig zwischen Reform und dem Anspruch auf politischen Widerstand. Die antiautoritäre Erziehung war zum Teil Reformpädagogik wie bei Alexander Sutherland Neill (Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing) und Siegfried Bernfelds antikapitalistischer Kritik der Reformpädagogik. Zu ihren Charakteristika zählt das Ideal der Rechte, der Freiheit und der Entwicklungsautonomie des Kindes, die liberalen Persönlichkeitsidealen wie Eigenständigkeit, Selbstverantwortung und Kreativität oder auch die Befähigung der Kinder zu einem "politischen Widerstand".
Dem psychoanalytischen Triebbegriff und seiner verschrobenen Umsetzung in der Reichschen Theorie der Triebökonomie einer Sexualenergie fand seine Weiterführung in der sexuellen Befreiung der Sexpol-Bewegung und entsprechenden Derivaten bis hin zur Kommune des Otto Muehl in Österreich. Hier wurde der Mischmasch der psychologischen Befreiungstheorien durch Therapiemethoden von Fritz Pearls Gestalttherapie, Alexander Lowen (Bioenergetische Analyse) und Arthur Janov (Urschreitherapie) in einer "Aktionsanalyse" umgesetzt, durch welche "freie Sexualität" ermöglicht werden sollte. Doch gerade diese Beispiele zeigen das Dilemma einer kulturkritischen Selbstbefreiung. Der darin verselbständigte Freiheitsbegriff hatte keine andere Substanz als jede andere liberale Theorie zur Selbstverwirklichung der "freien Persönlichkeit": Freiheit war auf ein bloßes Selbstgefühl reduziert und von da her nur abstrakt begriffen.
Dagegen bestand das philosophische Emanzipationsverständnis der "Frankfurter Schule" (um Adorno, Horkheimer, Marcuse, Fromm, Löwenthal, Benjamin und andere) aus einer Kritik des Totalitarismus und der Kulturindustrie der Moderne, die als das Problem eines Bewusstseins interpretiert wurde, dessen Verblendung schon objektiv begründet sei. Weil die technische Vernunft der Produktivkraft des Kapitals selbst schon die menschlichen Subjekte unter Kontrolle bringen würde, hebe sich das Subjekt auch selbst schon auf und es sei von daher auch kein revolutionäres Subjekt mehr auszumachen.
"Denn weil in der gegenwärtigen Phase der geschichtlichen Bewegung deren überwältigende Objektivität einzig erst in der Auflösung des Subjekts besteht, ohne daß ein neues schon aus ihr entsprungen wäre, stützt die individuelle Erfahrung notwendig sich auf das alte Subjekt, das historisch verurteilte, das für sich noch ist, aber nicht mehr an sich. Es meint seiner Autonomie noch sicher zu sein, aber die Nichtigkeit, die das Konzentrationslager den Subjekten demonstrierte, ereilt bereits die Form von Subjektivität selber." (Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Band 4: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980, S. 14 (Zueignung)
Dementsprechend wurde das Verständnis des Marxismus in der Interpretation des Warenfetischismus durch Adorno zur Metapher einer philosophischen Psychologie gewendet: Die Fetischisierung der Geldform, wie sie Marx im "Kapital" und anderen Schriften verstanden hat, wurde von Adorno nicht mehr aus der realen Verkehrung ihrer Sachform begriffen (1), sondern zu einem "fetischierten" Bewusstsein, das seine Verhältnisse verkehrt versteht, weil es objektiv verblendet und von daher auch subjektiv falsch sei. Adorno macht aus der Verkehrung des Warenfetischs ein "Falsches Leben", gegen das er die Bekämpfung der Falschheit, also sich gegen die Verfälschung des Lebens zugleich mit dem hohen Imperativ stellt, alles Handeln darauf abzustellen, "dass Auschwitz sich nicht wiederhole". Eine Aussage, der fast alle Menschen zustimmen, wurde zu einem Wahrheitskriterium für eine linke politische Avantgarde, die sich mit Größe und Umfang ihrer Moral in ihrer Selbstgerechtigkeit recht bequem einrichten konnte. Doch mit solcher Negativbestimmung lässt sich nichts und alles zugleich begründen - eine Eigenschaft die alle totalitären Aussagen haben.
Bewusstsein, das sich in diesem Sinn als wahres Bewusstsein selbst objektiv versteht, überträgt seinen Selbstwiderspruch auf sein Objekt und schließt sich dadurch zugleich als Bewussten hierüber aus. Sein Wahrheitsverständnis setzt sich mit Vorgaben aus dem Marxismus durch die Identifizierung des Totalitarismus mit einer Unwahrheit eines Ganzen selbst von der Analyse eines ganzen Lebensverhältnisses ab, die sich in einer Negativen Dialektik hiergegen selbst im Widerspruch begriffen behaupten müsse. Doch dies impliziert gerade selbst die Totalisierung eines "Falschen Lebens", weil das Ganze schon die Unwahrheit schlechthin, also in und durch sich schon eine ganze Täuschung sei. Dies aber ist ein nicht minder totalitäres Denken. Es betreibt eine fundamentale Umdeutung des marxistischen Entfremdungsbegriffs, indem es die ganze Analyse das Kapitals auf den Kopf stellt und dessen Kritik praktisch nur noch philosophisch betreiben und ohne wirklichen Warenkörper, - ja, überhaupt nur im Jenseits des körperlichen Lebens - begreifen kann. Die Kritik der politischen Ökonomie wird dadurch nur noch zu einem Beispiel für die idealistische Interpretation einer unendliche Wahrheit - und fällt notwendig wieder auf eine Hegelianische Dialektik zurück. Die Folge war eine fast vollständige Lähmung der Marx-Rezeption bis hin zur Jahrtausendwende. (2)
Auch Habermas verstand sich als Vertreter der Kritischen Theorie, auch wenn er dort nicht ganz akzeptiert war. Er griff den Widerspruch des Adornitischen Subjektverständnisses auf und wendete den Widerspruch der Kritischen Theorie und ihrer psychologischen Subjektphilosophie mit Rückgriff auf Immanuel Kant zur Theorie eines autonomen Subjekts, das seine Emanzipation durch die Vernunft des kommunikativen Handelns, also in seiner zwischenmenschlichen Interaktion erwerben und verwirklichen würde, weil es damit sein materielles Dasein zugleich transzendieren könne. Von daher schloss er die in der Kritischen Theorie angelegten Ablösung vom Materialismus ab, und machte die Trennung des Bewusstseins von den Inhalten des Seins, als Trennung der Sprache von ihrer Mitteilung, absolut, und verkehrte diese als Mittel der Menschen zum Zweck ihres gesellschaftlichen Verkehrs.
Ein altes Problem mit der Beziehung von Freiheit und Notwendigkeit wurde damit zur Angelegenheit eines freien Diskurses aufgelöst, durch den jede menschliche Emanzipation ihre Grundlage entwickeln könne. Die philosophische Interpretation war wieder auf sich zurückgekommen und die intellektuelle Linke ihr verfallen. Denn diese Trennung vom Notwendigen war überhaupt das Resultat einer Diskussion, die mit ihrer abstrakten Stellung zu den Widerstandsbewegungen der Welt gebrochen hatte, indem sie selbst nur die Seite einer interpretierbaren Wahrheit, nicht aber die Analyse der konkreten Wirklichkeit nötig hat. Darin nur könnte durch wahre Aussagen der Beweis einer die Menschen beherrschenden fremden Kraft erbracht und menschliches Handeln hiergegen begründet und bewusst werden.
Aus dem Antiautoritatismus der Studentenbewegung war dort, wo er sich ideologiekritisch verfestigt hatte, eine Lebensauffassung entstanden, die zu einem großen Teil auch bestens mit dem Neoliberalismus auskommen konnte. Jetzt hieß das aber nur noch: "Die Freiheit nehm ich mir!" Die Ablösung der Freiheit von ihrer Notwendigkeit war damit perfekt formuliert und ihre Verfügung allseitig mächtig - aber eben nur dort, wo die Macht schon von ihrer Notwendigkeit freigestellt ist, wo der Geldbesitz schon absolut, also durch sich selbst herrschen kann, wenn er als Subjekt der Spekulation sich auf alles nach dem Glauben an seine Wirkung beziehen kann. Die Studentenbewegung hatte sich zwar noch auf das nationale Kapital und die nationalen Kulturverhältnisse bezogen, wie sie sich in den klassischen Bürgerrechten formuliert haben, sie war aber zugleich schon die subkulturelle Vorstellung einer neoliberal formulierten Gesellschaft. Sie hatte sich gegen Krieg und Weltmachtinteressen gewendet und die Ausbeutung der Menschen und der Natur angeprangert. Und ihre Grundstimmungen waren noch in den Bürgerrechten verankert und schienen nur durch die Blendung der Menschen durch ihre Konsumgewohnheiten beschränkt. Von daher waren ihre Forderungen zwar radikal, aber vor allem konservativ: Solidarität und gleiche Chancen für alle Menschen, für Bürger und Arbeiter, Teilhabe an der gesellschaftlichen Bildung und Entwicklung und Friede und Freiheit für alle Menschen auf der Welt. Von den Vorstellungen der Parteienpolitik des Parlaments unterschieden sie sich im Wesentlichen nur durch ihre außerparlamentarische Freiheiten und im Vorwurf der Täuschung der Bevölkerung, der Blendung des aufgeklärten Bewusstseins und der Instrumentalisierung der bürgerlichen Wissenschaften.
Diese Vorstellungen sind so gewöhnlich, wie der Markt, auf dem sie entstanden waren. Und sie sind notwendig, um ihn zu unterhalten. Aber als Vorstellung vom Menschsein formulieren sie die Widersprüche einer Gesellschaft, die sich menschlich im Grunde gleichgültig ist, weil und solange sie ihre Notwendigkeiten nicht wahrhaben, ihre gesellschaftliche Wesensnot nicht wirklich erkennen und aufheben will.
(1) Es ist die Wertform der Waren selbst, durch welche die physische Formen der Arbeitsprodukte, also ihre Naturalform des Warenkörpers, zum Träger ihres Gegenteils bestimmt werden. Marx entwickelt schon in der Darstellung dieses Gegenteils, also der Äquivalentform oder Geldform, die Grundlagen, welche die Vertauschung der Seinsweisen der Ware (relative Wertform und Äquivalentform) als Grund der Verkehrung gesellschaftlichen Wirklichkeit und ihrer Täuschung erklären:
"Die erste Eigentümlichkeit, die bei Betrachtung der Äquivalentform auffällt, ist diese: Gebrauchswert wird zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Werts. Die Naturalform der Ware wird zur Wertform."
"Es ist also eine zweite Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß konkrete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit wird."
"Es ist also eine dritte Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß Privatarbeit zur Form ihres Gegenteils wird, zu Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form." (MEW 23, S. 70f)
(2) siehe hierzu auch meine Kritik an der Wertkritik auf http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=wertkritik und der Antideutschen Bewegung auf http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=antideutsche