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Rubrik Kultur: Einleitung in die Kritik der politischen Kultur

von W. Pfreundschuh

Erschienen: 05.12.07
Das gesellschaftliche Leben der Menschen ist in den reichen Ländern in einen eigenartigen Widerspruch geraten: Es besteht aus einer ungeheueren Vielfalt von Ereignissen und Gütern, die geradezu explosionsartig expandieren, während in der Entwicklung gesellschaftlicher Wirklichkeit im Grunde alles gleich bleibt, einer schier endlosen ahistorischen Gleichförmigkeit folgt. Die Möglichkeiten des Konsums erscheinen zwar unerschöpflich, die wirklichen Lebensverhältnisse aber bestehen zunehmend aus einer Ödnis von Notwendigkeiten, die den einzenen Menschen in ihrem Sinn und Zweck kaum betreffen. Ihre Arbeit besteht immer mehr aus Diensten am bloßen Strukturerhalt, ihre Existenz aus bloßer Subsistenz, der Sorge um die Selbsterhaltung, die nur durch Geld möglich erscheint, dem allgemeinen Mittel, um überleben zu können. Im Geld konzentriert sich alles, was Lebensglück bedeuten, und auch alles, was Selbstverlust sein kann.
Die tragenden Lebensereignisse der Menschen entstehen nicht mehr durch geschichtliche Tätigkeit und Sinnbildung, durch ihre wirklichen, nicht bloß funktionale Beziehungen, nicht durch gegenständliche Arbeit oder aus dem gesellschaftlich wirksamen Vermögen der Menschen selbst. Sie ereignen sich eher wie Zufälle, die unmittelbar wie bloße Begebenheiten wahrgenommen werden, die dem zufallen, der eben mal Glück und Erfolg hat oder auch nicht. 
So erscheinen sich auch die Menschen selbst in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen ereignishaft, wie zufällige Begebenheiten, die sich treffen und für ihr Leben dadurch bedeutend werden, dass sich in ihren Beziehungen reizvolle Ereignisse entwickeln, Reize, welche die Einöde unendlicher Gegebenheiten und Gewohnheiten durch besonderes Erleben auflösen. Das einzelne Geschehen wird in seiner Einzelheit so bedeutungsvoll, als wäre seine Unbestimmtheit eine Dimension des Übermenschlichen, als stünde es in keiner Geschichte, keinem Zusammenhang, keiner sinnvollen Beziehung. Geschichte selbst wird durch Momente ersetzt, zum Fragment eines Ganzen, das es nirgendwo wirklich gibt. Dies zeigt sich auch in den Individualgeschichten, in denen unrealisierbare Bedürfnisse aufblühen und verwelken, deren Sinn sich in einem universellen Verlangen auflöst, das kein Anfang und kein Ende kennt, weil er selbst ohne Grund, also bodenlos ist. Solche Fragmentierung vollzieht sich in Flüchtigkeiten, weil sie eine Flucht vor Bindungen jedweder Art nötig haben, denn ohne Sinn kann nichts wirklich sein. Solche Beziehungen scheinen zu einer allgemeinen Lebensform geworden zu sein, notwendige Lebensbedingung für Menschen, welche keine andere gesellschaftliche Wirklichkeit mehr haben, als die der Zwischenmenschlichkeit, dem zwischen allem Menschlichen sein. Die Suche nach Glück und der Verlust an eigener Wirklichkeit gehen Hand in Hand.

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