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Rubrik Ökonomie: Der Kapitalismus als selbstzerstörerisches gesellschaftliches Lebensverhältnis

von W. Pfreundschuh

Die aktuelle Finanzkrise stellt das Ende einer Phase des Kapitalismus dar, die als Neoliberalismus ideologisiert war.
Der Zusammenbruch der Finanzmärkte zeigt den Niedergang eines Verschuldungskapitalismus, durch den sich fiktives Kapital mit neuen Techniken der Geldverwertung (z.B. Hedgefonds, Billigkredite) zu halten suchte. Seine Selbstzerstörung belegt, dass die Kapitalverwertung auch durch ungeheuerliche Geldmengen nicht zu halten ist, weil Geldwerte nicht durch Kapital entstehen, sondern nur dort, wo sie wirklich verdient werden müssen.
Es soll aus der derzeitigen Pleite ein Zusammenhang hergestellt werden von den Prinzipien der Geldverwertung bis hin zu philosophischen Fragestellungen über Sinn und Zweck dieser Gesellschaftsform.
Kapitalismus wird meist nur als ein ökonomisches System angesehen, das mehr oder weniger unabhängig von den Menschen existiert und daher auch nur eine ihrer möglichen Existenzweisen wäre, die viele gute und viele schlechte Eigenschaften für die Menschen hat. Von daher kann es so erscheinen, als könne man diese Gesellschaftsform wählen oder verbessern, z.B. die Märkte besser kontrollieren, sie menschenfreundlicher machen oder das verfügbare Geld einfach nur gerechter aufteilen. Dass der Kapitalismus nicht nur ein mittelbares, sondern auch ein unmittelbar fatales Lebensverhältnis der Menschen ist, zeigt sich konkret an der Abstraktionsmacht, mit der er Mensch und Natur, die ganze menschliche Kultur aufsaugt und zu Geld verwirtschaftet, das als Kapital ein Prinzip der Enteignung forttreibt, durch das alle Lebensmomente bedroht sind.
In dieser Sendung soll diese Macht der Realabstraktion, die der Kapitalismus im Lebenszusammenhang der Menschen darstellt und betreibt, erläutert werden.

Zergangene Fiktionen
Man hatte es wie ein Spiel angesehen, wie Wetten in einer großen Lotterie, eine Art Nullsummenspiel für die Wirtschaft und Selbstbestätigungsarena für einige Finanzmarktgenies oder solche, die sich dafür hielten. Plötzlich kostet das Ganze ein gigantisches Vermögen. Nach Schätzung des IWF verschlang die Krise allein in den USA Werte im Umfang von 8 Billionen Dollar und erfordert dort schon zur Grundsicherung des Bankensystems eine Refinanzierung über 1,4 Billionen Dollar. Nicht zu ermitteln sind die Schäden, die durch Vernichtung von Existenzen, Betrieben und Arbeitsplätzen entstanden sind. Und niemand kann sagen, was der Bankrott der Finanzmärkte der Wirtschaft noch weiterhin abverlangen wird - und vor allem den Menschen, die sie tragen und für die sie ja eigentlich da sein sollte - wenigstens sagt man das.
Die ganz große Scheiße ist da und sie dampft und verdampft das Geldvermögen, das scheinbar nur erzeugt wurde, um im Nichts der Geldmärkte zu verschwinden. Die es durch ihre Arbeit gebildet hatten, sind die Leidtragenden. Geld, das von ihnen geschaffen und vom Kapital festgehalten worden war, soll jetzt im Nachhinein nach seiner Vernichtung durch die große Zocke nochmal verdient werden, nur damit das Kapital den verspielten Geldwert nochmal bekommt und auf den Kapital- und Devisenmärkten weiter verzocken kann, wie es will? Und dieses Spiel soll immer wieder neu beginnen können, wenn es verloren ist?
Die Menschen, die zur Altersvorsorge Geld angelegt oder gespart hatten, müssen um die versprochenen Beträge bangen und viele haben schon begreifen müssen, dass "ihr Geld" längst in eine dubiose Kreditwirtschaft "abgeführt" und verloren ist. Sie werden mit leerem Gerede beschwichtigt: Der Staat würde es schon richten, würde ihr angespartes Vermögen jetzt absichern und sich hierfür verbürgen. Aber das ist eine gewaltige Lüge, denn das kann er garnicht. Das diesbezügliche Sparguthaben von 1.200 Milliarden Euro (laut Bundesfinanzminister handle es sich dabei "nur" um 568 Mrd EUR) kann der deutsche Staat, der schon mit 1,6 Billionen Euro verschuldet ist und jährlich über 70 Milliarden Euro Zinsen zu zahlen hat, nicht mehr aus vorhandenen Mitteln stemmen. Zudem kostet das, was die Bundesregierung noch zur "Rettung" der Geldwirtschaft den Banken schenkt, nochmal 80 Milliarden. Und weitere 400 Milliarden Euro werden zum Ausgleich von Schuldverschreibungsdefizite aus der Steuerkasse der Bürger den größten Banken zu ihrer Wertsicherung zur Verfügung gestellt - sprich: verheizt - wenn ein Schuldausgleich defizitär verläuft. Soll man einfach nur hoffen, dass es so schlimm nicht kommen wird? Nein, es geht noch einfacher: Das Geld wird einfach gedruckt. Und es wird das Vermögen der Menschen weiterhin per Inflation erdrücken. Bezahlen müssen immer nur sie - wenn nicht mit ihrem Vermögen, dann mit ihrer Arbeitskraft.
Eigentlich konnte man es schon aus den Resultaten des 700-Milliarden-Zuschusses in die US-Banken entnehmen, wie solches Geld vom fiktiven Kapital des Weltmarkts aufgesaugt wird. Man hatte sich in Deutschland mit der Bürgschaft für die Sparer von der US-Wirtschaftpolitik abgrenzen wollen. Jetzt aber wird dem deutschen Steuerzahler derselbe Unsinn zugemutet - wenn auch etwas geschickter formuliert - einfach nur deshalb, weil sonst die Kapital- und Vermögenswirtschaft mit einem Schlag zusammenbrechen würde. An dieser aber will man Auf-Teufel-komm-raus festhalten. Es ist ja doch alles nur noch Psychologie!
Die ganz großen Lügenmärchen sind eingeführt. Der Bundeskasse werden überirdische Fähigkeiten zugesprochen im Auffinden des Super-Geldschöpfers. Woher sonst könnte sie solche Beträge hernehmen, wenn die Löhne schon jetzt real sinken und die Renten und die Sozialleistungen? Der Staatshaushalt ist doch schon längst ein Desaster. Deutschland hatte es noch nicht mal geschafft, mit dem normalen Jahresetat ohne Neuverschulung auszukommen. Wie soll es weitergehen, wenn hier über 100 Jahre lang jährlich zudem 40 Milliarden Euro Staatsverschuldung und deren Verzinsung abzuzahlen wären? Ach, ist doch gar nicht so schlimm! Wir haben ja bei der Bundesbank noch ungeahnte Vermögen durch die Bundesdruckerei. Es wird also auch in Deutschland finster werden für die Menschen - nicht nur in Deutschland, in ganz Europa.
Schon lange macht die Wirtschaft nicht mehr mit, bei der Schuldentilgung - im Gegenteil. Bei den OECD-Frühindikatoren, woraus die Wirtschaftprognosen gemacht werden, ist Deutschland innerhalb eines Jahres unter den großen Ländern von der besten Lage in die schlechteste gekommen. Was in den letzten drei Jahren an den deutschen Börsen angelegt wurde, hat seit dem Gipfel im August letzten Jahres bereits fast 40 % eingebüßt - der deutsche Börsenindex Dax allein von September bis Mitte Oktober 2008 mehr als 20 % seines Kurswerts. Wo die deutschen Banken das alles noch überstehen, gehen sie zumindest in die Knie, wie die Börsenkurse von Deutsche Bank und Commerzbank zeigen. Die Deutsche Bank ist nur noch ein Fünftel ihres Wertes vom letzten Sommer wert. Nichts geht mehr. Der Kapitalismus ist am Ende. Sehn wir zu, dass wir diese Gesellschaftform möglichst schnell und gut überwinden! Es geht um die Substanz der wirklichen Lebensverhältnisse der Menschen - und das ist nicht die Wertsubstanz, sondern der Reichtum, den Menschen an Produktionsmittel und Kultur längst geschaffen haben. Es geht nur darum, die politische Form der herrschenden Ökonomie zu überwinden.

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