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Rubrik Psychiatrie: Die Pillengesellschaft - oder vom Kampf gegen Windmühlen

von Andy Strässle

Erschienen: 7.3.2004
aus: Surprise – Strassenmagazin (Basel), Nr. 75 (16.2. bis 7.3.2004), S. 12 – 13
»Die Pillengesellschaft - oder vom Kampf gegen die Windmühlen«
Das Bundesamt für Gesundheit der Schweiz (BAG) stellte in den letzten Jahren eine massive Ausweitung der Verwendung von Ritalin® (Methylphenidat) fest. Aufgrund der alarmierenden Zunahme liess das Bundesamt im Kanton Neuenburg eine Analyse der Methylphenidat-Verschreibungen zwischen 1996 und 2000 durchführen. Dabei zeigte sich, dass die verschriebene Gesamtmenge von 1996 bis 2000 um 690 Prozent gestiegen ist, sich also innerhalb von vier Jahren beinahe versiebenfacht hat. Die Zahl der Patienten kletterte in derselben Zeit um 470 Prozent, die Dosis pro Patient um 41 Prozent. Die überwiegende Mehrzahl der Rezepte betraf Kinder zwischen 5 und 14 Jahren. Laut BAG unterscheidet sich diese Situation nicht wesentlich von der gesamtschweizerischen.
Wir leben in einer Drogengesellschaft. Man lernt von früh auf, Probleme mit synthetischen psychotropen, das heisst stimmungsverändernden Substanzen zu »lösen«, sei es Alkohol, Cannabis oder sonst ein Mittel. Darüber hinaus bearbeiten Pharmakonzerne gezielt Funktionäre von Angehörigengruppen, Druck auf Politiker auszuüben, damit diese möglichst viel Geld für biologische Psychiatrieforschung ausgeben. Es soll nach Wegen geforscht werden, psychische Probleme sozialer Natur mit Chemie in den Griff zu bekommen. Ein solches einseitiges Herangehen ist extrem kostentreibend. Natürliche Wege werden nicht gesucht, nutzerorientierte Alternativen wie zum Beispiel die geplante »Villa Therapeutica« des Psychotherapeuten Theodor Itten in St. Gallen verhindert und Probleme nur kurzfristig künstlich unterdrückt: um den Preis hoher sozialer und gesundheitlicher Folgekosten und ständig steigender Krankenversicherungsbeiträge.

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