Wolfram Pfreundschuh (11. 01. 2013 )

Der rechte Glaube an die Gütesiegel einer heilen Welt

Jeder Jahreswechsel vollzieht eine gewisse Raffinesse in der Selbstwahrnehmung der christlichen Kultur: Zuerst kommt Weihnachten, dieses sonderbare Fest der Liebe und Güte mit der Ansprache des Bundespräsidenten und den Segnungen und Mahnungen des Papstes und der Bischöfe, dann die stille Einkehr ins innere der wohlstimmenden Glücksverheißungen und dann Silvester, der große Aufräumer mit dem großen Knall und einem alles übertönenende Krach, der den Kreislauf der Vergangenheit abschließen soll, um Erneuerung zu gründen. Ist der beruhigt, so geht man wieder langsam über zur Sache, zu den Grundlagen und Bedingungen der weiteren Existenz und wird besorgt, um das, was kommen wird.

Dieses Jahr werden nur wenige sorglos sein. In Europa und den USA verbreiten sich die Ahnungen, dass so nicht weitergehen kann, wie bisher. Seit Jahren dümpelt die Ratlosigkeit der politischen Klasse vor sich hin. Bislang waren noch Tricks und Schuldumschreibungen möglich, um die Glaubensgemeinschaft der Finanzpolitik an der Stange zu halten. Doch jetzt droht sie, sehr Ernst zu werden. Die Handhabung der fiskalischen Fakten steht vor ihrem Absturz. Die USA torkeln um ihre Fiskalklippe. Ihnen droht eine gewaltige Rezession. 600 Milliarden Ausgabekürzung und Steuererhöhung wird dort der Kaufkraft entzogen, in Europa können es 400 Milliarden Euro sein. Beides und die darin bestärkte Absatzkrise werden zwangsläufig den Markt der ganzen Weltwirtschaft belasten. Während die einen vom Aufschwung der Industrie reden, fürchten die anderen, dass es eine weltwirtschaftliche Katastrophe, eine Stagflation geben wird, einen Zusammenbruch der Produktion für den Weltmarkt durch die Entwertung des Geldes im Welthandel (1).

Die ungemein hoch entwickelte Produktivität zeigt nach der 3. industriellen Revolution, nach der Universalisierung intelligenter Produktions- und Kommmunikationsmittel, ihre Kehrseite: Pro Produkt wird immer weniger menschliche Arbeit aufgewendet, immer weniger Wert eingebracht, doch die Produkte dürfen nicht zu billig werden, damit der Geldwert im Großen und Ganzen stabil bleibt. Es ist absurd. Gigantische Mengen an Arbeit müssen durch Billiglöhne aufgewendet werden, nur um das Geld im Wert zu halten. Statt weniger zu arbeiten, weil immer mehr Automaten und Roboter Arbeit übernehmen, werden Menschen zum Sozialfall und in die unterste Klasse getrieben, nur damit die anderen sich durch die Verschleuderung ihrer Arbeitskraft und Lebenszeit zu Billigpreisen der Macht des Gelderdienens übereignen, weil sie ihren Niedergang fürchten müssen wie die Hölle. Für viele ist aber gerade das schon die Hölle (2). Der Himmel muss woanders sein.

Die Globalisierung hat alles internationalisisert und die Probleme und Krisen des Kapitals und das Klassenverhältnis über die ganze Welt verteilt. Die Kernfrage aber tritt immer deutlicher hervor. Und die bezieht sich immer noch auf das Geld und seinen Wert: Was ist es wert, wenn es immer weniger Menschen benutzen können, weil sie zu wenig verdienen, um den produzierten Reichtum auch einkaufen zu können. Die große Hoffnung, dass die Globalisierung des Kapitals den Geldwert und seine Vermehrung endgültig sichern könne, ist zerplatzt, weil die Masse der Produkte zwar immer größer wird und immer größere Zeitaufwände im Gesamten akkumuliert, ihr Wertanteil im einzelnen Produkt aber immer geringer wird und deshalb in immer kürzerer Zeit auch verbraucht oder zumindest vernichtet sein muss (3). Die organische Welt kommt da nicht mehr mit und wird im Terror der Umschlagzeiten des Kapitals nur noch geplündert und zerstört. Und damit wird jede Gesellschaftsform, die darauf beruht, für Mensch und Natur obsolet (4).

Die bürgerliche Gesellschaft war angetreten, gegen die Feudalherrschaft der Fürsten und Könige aus Gottes Gnaden. Sie sollte die Gemeinschaft, Solidarität und Freiheit der Bürger in ihren politischen Auseinandersetzungen und auf ihren Märkten durchsetzen. Aber das einzige Maß und Mittel für das Gemeine und das Gemeinwohl war unter der Bedingung der Marktwirtschaft immer schon das Geld. Die Wohlfahrt des Geldes verschafft den Menschen in damit beschafften Möglichkeiten des Warentauschs das Gemeinwohl des Tauschhandels - aber noch lange nicht wirklichen Reichtum, reichhaltiges Leben. Es dient lediglich einem quantitativen Verhältnis von Waren, die als Arbeitsprodukte auf dem Markt gehandelt werden, dient in seiner Verselbständigung als Kaufmittel einer gesellschaftlichen Abstraktion, die nur den Wert der Dinge und der Arbeit ausdrückt, nicht ihre Qualität, den Sinn, den sie von und für Menschen hat. Und in einer bloßen Dienstleistungsgesellschaft wie der unsrigen nützt Geld überhaupt nur der Käuflichkeit, dem allgemeinen Konsum, weil hier der Großteil der Produktion der Güter des täglichen Bedarfs schon durch den Einkauf aus ärmeren Ländern vorausgesetzt ist, weil sie also vom Export teurer Güter lebt, die mit dem Import billiger Produkte beglichen werden (5).

Die meisten Menschen leben hier immer noch in einer Mittelschicht, die den bloßen Geldwert zur Lebensgrundlage hat und ihn auch verwaltet, bedient und organisiert, aber von der realen Produktion weit entfernt existiert. Das wahre Produkt ist für diese Menschen eine Lebensart, die sich zwischen ihnen aus ihrem Geldvermögen ergibt. Einen anderen Sinn als den des Habens hat ihre Tätigkeit in den Büros ihrer Agenturen, Banken und Administrationen nicht. Eine Sinnsuche in ihrer realen Arbeitswelt geht nur im Zwischenmenschlichen auf, zwischen den Menschen, wo ihnen jedes Verhältnis natürlich menschlich erscheinen muss. In ihrem sachlichen Verhältnis ist ihr Gegenstand, das Geld, absolut mächtig und gesellschaftlich bestimmend. Hiergegen ohnmächtig geworden erfahren sie sich menschlich selbst als wertlos und nur noch als Objekte einer Geldwirtschaft. Die allerding beruht auf der Verwertung einer Sachwelt, bei der das Leben von Menschen verwertet wird. "Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu." (Marx in MEW 40, S. 511) beschrieb Marx diesen Verhalt. Wert wird durch gegenständliche Arbeit von Menschen geschaffen, um leben zu können. Für das Kapital, das leblose Arbeit verwertet, ist dies völlig gleichgültig. Im Verhältnis der Geldbesitzer bedeuten sich die Menschen nur soviel, wie ihr Geld an Wert hat.

In einer menschlich entwerteten Welt zählt für die Vermögenden daher nicht die Sache, die sie materiell am Leben hält und im Überfluss angeboten wird, sondern das zwischenmenschliche Verhältnis als solches, vor allem der Eindruck, den etwas oder jemand macht, Ereignisse und Menschen, die ein Leben am Leben hält, das auf importierten und erdienten Werten gründet, das also von jeder wirklichen Lebensproduktion getrennt ist, und selbst tote Arbeit zur Grundlage hat. Es bietet die Reize des Erlebens und trägt auf ein reizvolles Leben der Menschen an, verschafft ihnen Selbstwert und beschafft denen ein Gefühl von Minderwertigkeit, die aus dem wirklichen Arbeitsleben in einer Welt der Dienstleistungen mit seinen simplen Notwendigkeiten nicht hinreichnd viel Wert für sich entnehmen können. Es sind die Menschen, die zu wenig erdienen können, um auch zwischenmenschlich dabei zu sein, die sich der Selbstverwertung andienen müssen, um sich erhalten zu können. So wird der Selbstwert zum gesellschaftlichen Maßstab der kulturellen Beziehungen, zur Bewertung von Sachen und Menschen in den zwischenmenschlichen Verhältnissen einer Dienstleistungskultur.

Doch jeder dient dort dem anderen nur, um sich selbst zu dienen. So wird mit Geld auch kompensiert, was den Diener zum Herrn werden lässt, oder auch gelitten, was die Menschen am Leben hält, welche den Herrlichkeiten solcher Kultur fern bleiben müssen, weil sie ihr nur dienen können, dafür arbeiten müssen, dass die Selbstverwertung ihre allgemeine Existenzform erhält und behält. Im Lebensverhältnis einer Kultur des Selbstwerts wird die Geldmacht zu einer Macht der Selbstveredelung, worin Geld als Kulturmacht auftritt. Reale Ökonomie kommt darin fast nicht mehr vor. Macht und Ohnmacht des Geldvermögens verhalten sich nicht nur in seinem bloßen Quantum sondern auch kulturell. Als allgemein gesellschaftliches Mittel privater Existenz wird Geld kulturalisiert, indem sein Besitz den Fähigkeiten des Besitzers zugeschrieben, personifiziert wird. In den persönlichen Existenzen dieser Gesellschaft sind zwar die Verhältnisse der Menschen weiterhin nach ihrem Geldvermögen in Geldbesitzer und Gelderdiener gespalten, aber nur quantitativ in den verfügbaren Mengen des weltweit produzierten Mehrwerts, nicht zwischen den Produzenten und Konsumenten. Zwischen der Bereicherung der einen und der Verarmung der anderen erscheint das Verhältnis der Klassen nurmehr als kulturelles Klassenverhältnis, als Verhältnis der Selbstveredelung der oberen und mttleren Einkommen und der Selbstverwertung in der Unterschicht, welche dem Glanz einer Dienstleistungskultur zu dienen hat. Wer was gelten will, der muss für Geld eben auch knechten können, wer aber wirklich knechten muss, gilt nichts mehr in dieser Kultur (6).

Das Gemeinwohl der Selbstverwertung und das Lifestyle-Design der Glücksverheißungen

"Der Mensch erkennt sich nur im Menschen" spricht Goethe. Ohne Menschen, in der Abwesenheit jeglicher menschlichen Beziehung sind die Menschen nichts. Aber in der Ödnis der Geldverhältnisse, in ihrer gesellschaftlichen Leere können Menschen auch Menschen benutzen, um sich durch Einverleibung ihrer Lebenskraft in der Beziehung auf sich selbst zu füllen, zu bereichern und zu überhöhen. In den zwischenmenschlichen Beziehungen findet daher auch die Verleiblichung einer Kultur statt, die sich zwischen Selbstveredelung und Selbstverwertung aufspaltet. Die Edlen leben nicht nur durch ihr Geldvermögen anders als jene, die sich um ihre bloße Selbsterhaltung kümmern müssen. Sie leben auch in einer anderen Kultur. Immer deutlicher wird die Einheit ihrer geldwertigen und kulturellen Existenz, die Armut und Reichtum in doppelt bestimmter Form, also materiell wie kulturell gegensinnig verteilt und auch faktisch sich in der Abschirmung der Vermögenden als Kultur der Reichen einerseits vom Unvermögen der Armut als der Kultur der Armut andererseits formiert. Was den einen zur Szene ihrer Selbstgefühle wird, verstärkt die Not der anderen, die sich nurmehr selbst erfahren können, weil sie vom Kult der anderen zwangsläufig ausgegrenzt sind. So stellt sich das Wertverhältnis nicht nur in der Existenzform der menschlichen Gesellschaft dar, sondern auch in ihnen selbst, im kulturellen Gehalt ihrer Beziehung auf sich und Ihresgleichen.

Armut entsteht überhaupt nur durch Ausgrenzung. Die Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Ausgegrenzten, die in den Wohnsilos am Rand der gentrifizierten Städte vegetieren und für schlechte Arbeit mit wenig Lohn auskommen müssen, verselbständigt ihre Not und ihren Abstand vom gesellschaftlichen Reichtum. Aber auch hier herrscht Kulturkonsum als Bindemittel und Glücksverheißung für gesellschaftlich isolierte Menschen. Auch hier geht es um ihre Teilnahme an einer Gesellschaft, die nur aus Konsum besteht und die ihre zwischenmenschlichen Beziehungen nach dieser Kultur ausrichten müssen, auch wenn sie nur auf Ramschniveau mithalten können. Die Reichen können sich die sinnvolleren Kulturgüter zur Veredelung ihrer Selbstgefühle erwerben, die Ärmeren müssen ihren Sehnsüchten nach menschlicher Beziehung durch den Einkauf von Dingen und Drogen Folge leisten, mit denen sie in den Scheinwelten kurzlebiger Zwischenmenschlichkeit immerhin kommunizieren können. Die Durchschnittlichkeit ihrer Verkehrssymbole lenken wie die Schilder im Straßenverkehr Einfahrt und Vorfahrt, Anmache und Abgang, und geben ihrer Freizeit etwas von dem Sinn, den sie in ihrer Arbeitszeit nicht mehr finden können (7).

Die Wissenschaft hilft bei der Entwicklung solcher Scheinwelten und ihrer Verwertbarkeit fleißig mit. Man will wissen wo und in welchen Sekundenbruchteilen die Wahrnehmungen in den Belohnungszentren des Gehirns ankommen, wie es unbewusst beeinflussbar ist und wie nachhaltig sich die Bedürfnislage eines Menschen in die Erfordernisse des Produktabsatzes einfädeln lassen. Psychologen und Neurologen testen die Wirkung der Farb- und Sprachanreizungen, die ein Produkt besser verkäuflich machen. Das modisch gewordene Beweismittel des Kernspintomatografen wird zum Gehirnscreening hergenommen, um bei der Wahrnehmung von Werbebildern zu erkennen, wie sich menschliche Bedürfnisse für das Wertwachstum beeinflussen und verändern lassen. Das visuelle Belohnungssystem wird ergründet, um ein Haben wollen zu initiieren, das unendlich steigerungsfähig ist. (8).

Die Anbieter der Lifestyle-Produkte ersetzen zwischenmenschliche Wahrnehmungen durch den Selbstwert eines Lebensgefühls, das sich an Marken und Design orientiert. Der Kunde wird zum "Cooperating Citysen", mit dem man sich über die Gemeinschaft der Selbstdarstellung einig ist. Werbung ist ein ganz allgemeines Prinzip, das die Konkurrenten zwischen Produktion und Konsumtion letztlich auch vergemeinschaftet. Der aufgeklärte Verbaucher wird selbst zum Image. Jedes Klischee wird als Kritik seiner selbst angewandt, indem man es bedient und doch verneint. Man steht eben drüber, bildet im Wissen um die Scheinhaftigkeit seines Daseins eine Persönlichkeit, die den Umgang damit zu pflegen versteht, eine Ersatzpersönlichkeit für Scheinerlebnisse, die bis ins Unergründbare verwesentlicht werden. Mit diesen allgemeinen Scheinwesen, mit der Archetypologie konservativer Psychologie, welche seit C.G. Jung von den Rechten schon immer zitiert und als Symbole ursprünglicher Wesenhaftigkeit verwendet wurden, wird jeder Anhauch einer Lebensäußerung zum Urbild wesenhafter Untiefen, zum Lebensleitbild als Werbeträger, zum Mythos untergegangener Welten, zur Eugenik wesenhaft scheinender Verallgemeinerungen von Selbstgefühlen. Als vorgekauter Lifestyle herrschen sie wieder als Leitbilder einer reaktionären Phänomenologie, als Helden und Märchenprinzen und Heilsbriger,wie sie die Faschisten dereinst auch nicht besser beigebracht hatten (9).

Wer das Geld hierfür hat, wer sich die Symbole der Untiefe und auch den Konsum der damit verbundenen Marken leisten kann, findet vielleicht auch sein Glück, was immer das dann auch sein mag, wenn er damit andere Menschen oder Cliquen findet. Wer aber um seinen Selbsterhalt kämpfen muss, bezieht sich wohl eher auf Vorstellungen, die sich nur im Jenseits bestärken können und an die man glauben muss, um in den Genuss ihrer Befriedung zu gelangen. Religion und Esoterik stellen sich als schlichte Verkehrung der wirklichen Probleme gegen das Unheil, das Ungute. Ihre gesellschaftliche Bedeutung und Wirkung nimmt mit dem Elend zu und begründen oft auch Subkulturen und Prallelgesellschaften oder Gemeinschaften einer fiktiven Selbstbeziehung durch die Gnade und Gebote Gottes oder kosmischer Kräfte. Solche Identität ersetzt die Sinnfragen einer verloren gegangenen Selbstgewissheit ebenso wie der Markenkonsum. Ein höherer Sinn führt zum Übermenschlichen und der Übermensch kann leicht auch zum Führer der Menschen werden, wenn er ihnen Vorstellungen eines besseren Lebens, einer heilen Welt gegen das Elend vermittelt. Was das Kapital zum Konsumwachstum nötig hat um sein Wertwachstum zu betreiben, dem stellt sich die Güte des Übermenschlichen zur Seite und so wird das Jammertal dieser Welt zum Himmelreich unendlicher Verheißungen, in denen sich der Markt mit dem Glauben an eine Übersinnlichkeit einig sein können. Lifestyle und Religion treffen sich im gewöhnlichen Alltag und machen die Kirche ls Glaubensinstitution dadurch zunehmend überflüssig, dass der Glaube in einer entleibten, übersinnlichen Welt des Konsums immer wertloser werdender Produkte selbst einverleibt wird.

Religion als kulturelle Identität verlorender Selbstgewissheit

Die Maßgabe aller Glaubensfragen ist das Glück und Elend der Menschen auf dieser Welt (10). Und darin unterscheiden sich die gesellschaftlichen Schichten und Klassen schon durch ihre gegensätzliche Existenzen und der Erlebensweise ihres Glücks und ihres Glaubens. Inzwischen unterscheiden sie sich auch schon innerhalb der Unterschichten zum Teil auch kulturell in Sprache, Ethik, Religion und Tradition. Die Lebensorganisation, die sich danach richtet, wird dabei leicht zu einer Gegenkultur, zu einer Welt mit eigener Sitte, an die sich die Menschen je nach ihrem Gottesglauben persönlich binden. Von daher wird in den Kulturen der Christen, Muslims und Juden auch deren Existenz unterschiedlich verarbeitet. Ein Bewusstsein zur eigenen Lage wird den Lohnabhängigen nicht nur dadurch erschwert, dass sie in der unteren Gesellschaftsschicht je nach ihrer Herkunft und Kultur auch unterschiedliche Einkommen und Chancen haben, sondern dass sie sich auch unterschiedliche Verarbeitungsweisen in ihren Religionen erwerben, die umso bestimmender werden, je weniger Selbstgewissheit sie in dieser Gesellschaft finden können.

Doch eines bleibt sich gleich: Das Prinzip des Glaubens ist die Reinheit und damit bezieht er sich auch immer schon auf Gesellschaft, ist eine politische Beziehung auf das, was sittlich sein soll und was nicht. Aber nicht eine sozial begründete Sittlichkeit, sondern die Sitte eines Gottes, einer Verkündung und Heilserwartung dominiert das Verhältnis der Gläubigen. Religion ist vor allem ein sittlicher Codex, der an einer Bereinigung der Unsitten interessiert ist, um sein Gottesreich als Reich der Güte zu errichten. "Eine feste Burg ist unser Gott" singen die Christen. Und in den Lebensburgen der bürgerlichen Gesellschaft erscheint dies dann auch wie eine Parole der Befreiung aus der Enge zwischenmenschlicher Borniertheiten, mit der nicht mehr bewusst ist, dass Burgen und Bunker nur für Kriege gebaut werden. Das Ungute muss daußen bleiben und die rechte Sitte kann zum Maßstab der sittlichen Bereinigung gamacht, der Verfall der rechten Sitten abgewendet werden. Dem Unreinen wird die Schuld am Unheil der Welt zugewiesen und das Gute muss das Böse besiegen, damit sich die Welt verändere. Religion rüstet sich gegen den Verfall der Werte, ohne überhaupt sich darum zu kümmern, was einen Wert wirklich ausmacht, was Bewertung betreibt, was sie vernichten muss, um sich verwirklichen zu können. Ihre Währung ist das Blut, das vergossen worden sei zur Erlösung der Menschheit von "den Sünden der Welt", wie von Gott geheißen, das Blut, das geflossen sei zu ihrer Befreiung aus einer Erbsünde, weil sie vom "Baume der Erkenntnis" genascht hätten. Und wenn dann auch mal wirklich Blut fließt, so ist dies nur relativ zu verstehen zum Blut des Heils, das Gott verheißt. Es dient der Gerechtigkeit des Herrn und seiner Allmacht, derm Recht des abstrakt Allgemeinen im Reiche Gottes, das "Ruhm und Ehre" auf dieser Welt beflügelt. Soweit ihnen diese Zuweisung gelingt, betreiben die Religionen des Westens eine Sozialethik durch Anpassung an das große Liebesgebot sich selbst fremd gewordener Menschen. Angesichts des allgemeinen Unheils wird sie als Religion des Heils zur Grundlage einer Kultur der Selbstlosigkeit (11).

Das trifft sich dann auch irgendwie gut mit den Interessen der Politik, besonders im Populismus ihrer Willensbildung, worin die Privatheit des Meinens und Dafürhaltens gerne mit einer gesellschaftlichen Notwendigkeit aufgefüllt werden muss. Obwohl sich Ethik und Nützlichkeit widersprechen, wird Religion dadurch gemeinnützig, dass sie einen sehr gemeinen Nutzen hat: Sie treibt jedes Bewusstein zur Schaftsnatur einer Glückseligkeit, die immer nach einem Hirten verlangt. Sie ersetzt jedes Elend durch eine Glückseligkeit, die auf einer Wesensspaltung beruht, die nur Bestand haben kann, wenn sie das Herz der Menschen in gut und böse zerteilt, in Himmel und Hölle, in Sünd und Schuld - und sie somit zum Pfaffen, zum Iman oder zum Rabbi ihrer selbst macht. Der Glaube hat seinen Grund in dieser Welt, aber als Religion wendet er sich immer nur gegen ihr Unheil. Er wendet sich gegen die Unart und bestimmt damit die Art, die Sitte und die Kultur. Und von daher ist er höchst politisch und treibt jede Politik in absurde Dimensionen (12).

Die politische Macht des Glaubens hat eine ungeheuerliche Wirkung, weil die Religion aus der einfältigen Macht der Güte eine allgewaltige Güte der Macht zu erzeugen versteht. Ein Glaube entsteht ganz einfach und naiv als frommer Wunsch, als Brücke im Ungewissen. Aber er macht daraus den ewigen Grund für eine nie verzagenden Hoffnung auf Besserung, die um so mächtiger wird, je weniger sie zutrifft. Religion ist immer Aberglaube, weil sie ihre Logik aus der Macht des Zufalls erwirbt. Den unterlegt sie mit einer Mythologie aus der Welt der Märchen und bewirkt als Ritus einer Sittlichkeit wie eine sinnfällige Liturgie des Wohlgefallens die Macht des Guten, das Böses abhält wie ein Ritter, der dann auch noch besonders gut ist, wenn er zum Märtyrer wird. In der Gläubigkeit versammelt sich die Ohnmacht von Menschen so massiv, wie sie die politische Macht des Unheiligen, des Fremden als Unheil in sich zusammenfassen kann. Ihre Selbstentfremdung, die sie in ihrer Isolation in einer vom Menschsein entfremdeten Gesellschaft entwickeln, bricht auf in einem Gegner, der als Subjekt der Fremdheit, als Bedrohung der eigenen Kultur erscheint. Der Glaube kümmert sich nicht um das Schlechte, um das wirkliche Elend. Er wendet sich direkt an das Gute und stellt sich damit der Wirtschaftlichkeit und der politischen Vernunft der ganzen Gesellschaft entgegen, ist selbst schon das Andere, das die Welt von sich abzuhalten versteht, nicht ohne ihr Elend zuvor als höher bestimmtes Leiden in sich aufgenommen zu haben (13).

Der Austragungsort religiöser Selbstgerechtigkeit

Der Kapitalismus entfaltet seinen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung im Verhältnis von Mehrprodukt und Mehrwert, von Wirtschaftswachstum und Wertwachstum, das sich immer wieder als Unvermögen eines adäquaten Produktabsatzes herausstellt, der die Profitrate sinken lässt. Das Ganze der kapitalistischen Gesellschaft lebt von einem beständigen Wechsel bezüglich der Geldverwertung und schwankt zwischen produktiver Konsumtion von menschlichem Arbeitsvermögen und der produktiven Zerstörung ihres Mehrprodukts, dem Überfluss, der sich nicht als Mehrwert realisieren lässt. Die Not der Menschen ist daher eine entscheidende Produktivkraft der Verwertung, weil sie den Wert der Arbeit erhöht, indem sie ihren Preis senkt. Die Krise der Kapitalverwertung resultiert aus dem Wertwachstum und ist zugleich die Bedingung der Verbilligung ihrer Produktion, indem sie die Bereitschaft zu unbezahlter Mehrarbeit erhöht.

Das ganze ist ein endloser Kreislauf, den der Staat längst auch durch die Sozialgesetzgebung von Bismarck zu kontrollieren versucht. Die Entwicklung der Produktivität hat eben ihre Logik durch die Formbestimmung des damit erwirkten Mehrprodukts: Je raffinierter sie ist, desto größer wird die Not der Menschen, weil ihr Wert für die Produktion immer kleiner im Verhältnis zum Preis ihrer Reproduktion werden muss. Ihre Arbeit wird zu teuer und ihr Leben zu einer Belastung des ganzen Verhältnisses, das darauf gründet. Das stellt sich im Geldwert dar, der schwindet, je schlechter die Vermittlung von Wert und Preis, also die Geldzirkulation funktioniert. Der Staat sucht die auszugleichen durch Staatsanleihen, also durch Staatsverschuldung, die auf dem Finanzmarkt eine Verselbständigung des fiktiven Kapitals betreibt. Die Versorgung der aus dem Arbeitsprozess herausgefallenen Menschen mit dem Nötigsten wird zu einem weitläufigen Problem der ganzen Gesellschaft, nicht einfach nur weil sie den ideologischen Anspruch der Marktwirtschaft enttarnt, indem sie ihnen das Sozialprodukt vorenthält, sondern weil diese Menschen zugleich die Klasse der Wertlosen, der Überbevölkerung darstellen müssen, die bei der Preisbildung der Arbeitskraft grundlegend ist. Ihre Not ist die Bedingung dafür, dass die Arbeitsleute überhaupt einen Teil ihrer Arbeit praktisch unbezahlt ableistet, - und nur unbezahlte Arbeit erbringt Mehrwert.

Die Not ist inzwischen groß und wird immer größer, weil die staatliche Kraft der Sozialleistungen mit zunehmender Verschuldung immer kleiner wird. Menschen würden wieder verelenden, wären da nicht die vielen Helferinnen und Helfer, die in sozialen Einrichtungen oder durch ambulante Betreuung oft zu Billiglöhnen durch ihre Arbeit Ersatz leisten. Die Sozialinstitutionen des Staates und der Kirchen sind somit auch Träger der Mehrwertproduktion, weil sie die enorme Überbrückung der gesellschaftlichen Abgründe leisten. Das kann dann auch rein menschlich verstanden werden, so dass diese Institutionen die kapitalistische Gesellschaft als besonders human idealisieren. In solcher Ideologie trifft sich dann auch deren politische Notwendigkeit mit dem Gottesglaube, denn mit der Beherrschung der Not wird ja auch das Übel ferngehalten, das Unheil und das Böse. Die soziale Leistung der kirchlichen Institutionen ist nicht nur der Ausgleich des sozial nötigen, sondern auch die Zurichtung der Menschen auf ein Gemeingefühl als "Achse der Guten", die sich leicht auch gegen eine "Achse der Bösen" wenden lässt (so dereinst der amerikanische Präsident Ronald Reagan). Je größer und unaufhaltbarer die soziale Not der Menschen, desto höher die Wertschätzung der guten Taten von freiwiligen und oft fast unbezahlten Helfern.

Die kirchlichen Sozialinstitutionen sind zum größten Arbeitgeber der Republik geworden. Dort arbeiten weitaus mehr Menschen zu Billiglöhnen als anderswo, dort werden auf Dauer nur Angehörige der vorherrschenden Glaubensgemeinschaft, dem Christentum eingestellt und dort gibt es keine Betriebsräte und keine Einspruchsmöglichkeiten der Gewerkschaften in die Tarifgestaltung. Aber bezahlt wird das alles nicht von den Kirchen oder der Kirchensteuer, sondern von der ganz gewöhnlichen Steuer, die alle Bürger, ob Christ oder Moslem oder Jude der Atheist oder Agnostiker usw. zu tragen haben. Die Glaubenseinrichtung gilt hier ganz einfach als gemeinnützig. Das bereichert den Glauben enorm um ganz materielle Geschäfte mit der Not der Menschen.

Unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit haben Caritas und Diakonie ein trickreiches Geschäftsmodell konstruiert: Sie erfinden für sich selbst immer neue Aufgaben, die der Staat und damit die Steuerzahler finanzieren. Die Summe dafür ist gewaltig. Niemand kann die Notwendigkeit der einzelnen Ausgaben wirklich kontrolllieren, weil das "Privatsache" der Kirchen sei. So steht das in der Wirtschaftswoche vom 20.11.12:

"Ob Kita-Ausbau, Ganztagsschule oder Altenpflege – in den Wachstumsfeldern des Sozialstaats spielen die kirchlichen Wohlfahrtsträger Caritas und Diakonie die entscheidenden Rollen. Unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit haben sie ein expansives Perpetuum mobile konstruiert: Sie erfinden sich selbst immer neue Aufgaben, der Staat gibt das Geld...

Mehr als eine halbe Million Mitarbeiter hat die Caritas in Deutschland, beim evangelischen Pendant, der Diakonie, sind es etwas weniger. Die beiden Sozialkonzerne sind die größten privaten Arbeitgeber in Deutschland, wer vom Sozialstaat spricht, der meint eigentlich die Wohlfahrtsorganisationen. Nicht von langer Hand geplant, sondern aus reiner Gewohnheit hat sich in Deutschland der Modus eingespielt: Wo Wohltaten zu verteilen sind, werden die kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen mit ins Boot geholt...

Zwar sind die Verbände steuerlich dem Gemeinwohl verpflichtet, doch in der Praxis kümmern sie sich zuvorderst um die Mehrung des eigenen Einflusses. Dabei helfen Privilegien, die einst für die innere Organisation der Kirche erdacht waren. Sie müssen keinerlei Unternehmensdaten veröffentlichen, ihre Aufträge erhalten sie in vielen Feldern ohne öffentliche Ausschreibung, und ihren Mitarbeitern ist es untersagt, sich gewerkschaftlich zu organisieren."

http://www.wiwo.de/politik/deutschland/wohlfahrtsverbaende-caritas-und-diakonie-bedienen-sich-beim-staat/7397380.html

Im politischen Leben haben sich die Kirchen als Institutionen der Fürsorge längst breit gemacht und müssen sich daher auch nicht mehr unbedingt religiös geben. Im Gegenteil: Wo der Kirchgänger ausbleibt weil er ihnen seinen Gottesglauben entzieht, da stellen sich die Kirchen als Administration der Humanitas wieder ein, von der vor allem die Menschen im Sozialbereich abhängig sind, die meisten Menschen in den Sozialberufen, die Armen und Notleidenden und Hungernden. Die Macht der Kirchen besteht hauptsächlich aus der Macht der Wohlfahrt, in der sie sich als Macht der Menschlichkeit geben können und für solche Gemeinnützigkeit Unmengen von Geld aus der Steuer- und Sozialkasse des Staates, sehr wohl aber nicht aus der Kirchensteuer beziehen. Der gemeine Nutzen besteht daraus, dass die Kirchen zur größten Verwaltungsmacht der gesellschaftlichen Vorsorge und Bildung geworden sind, die allerdings seit Bismarck die unbedingte Sache des Staates sein sollte. Der Wohlfahrtsstaat hat damit also doch auch einiges von einem Gottesstaat. Zumindest befördert er das Image der christlichen Kirchen.

Der Gottesglaube ist ihre Dreingabe, indem er in der Auswahl der Beschäftigten und des Selbstverständnisses und dem Ziel ihrer Administrationen zu einer existenziellen Bestimmung geworden ist. Und so kann er sich mit dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger leicht vermengen und ein allgemeines Wohlgefühl der Güte einer Märchenwelt des guten Glaubens, einer heilen Welt der christlichen Wohlfahrt vermitteln, die ihre Ausgrenzung nur noch ganz sublim in den Herzen der Menschen selbst betreibt. Ebenso sublim verläuft dann auch die Abgrenzug vom Andersgläubigen, denn jeder Gottesglaube hat einen Allgemeinheitsanspruch, der einen anderen Glauben ausschließen muss, weil nicht jeder allgemein sein kann und das Gute doch allgemein gelten muss.

Nur wenn das Böse aus der Eingrenzung des Glaubens hie und da durchbricht als Amok, Attentat oder Fanatismus, da erschrickt der Gutgläubige, wenn dieses auch noch mit seinem Glauben begründet wird. Das Massaker von Utøya z.B., der mörderische Angriff mit unglaublicher Brutalität auf ein Ferienlager jugendlicher Sozialdemokraten war christlich und antimarxistisch und antifeministisch und antiislamistisch begründet. In seinem umfangreichen Manifest hatte der Massenmörder Anders Breivik seine Begründung niedergeschrieben, in eindringlichen Appellen zur Veränderung der Welt aufgerufen, die herrschende Politik als Ursache des Niedergangs der abendländischen Kultur angeprangert und sich als Tempelritter und Freimaurer vorgestellt. Er schrieb in seinem Manifest, was in den Webseiten der rechten Szene längst schon fast überall zu lesen war:

„Es ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, auch dazu beizutragen, unsere Identität, unsere Kultur und unsere nationale Souveränität zu bewahren, indem wir die laufende Islamisierung verhindern. Es wird kein Widerstand hiergegen mehr geben, wenn Menschen wie wir ihr Mitwirken verweigern ... Multikulturalismus (kultureller Marxismus / political correctness), ist - wie Sie vielleicht wissen - die Wurzel der Ursachen der anhaltenden Islamisierung Europas und hat zur islamischen Kolonisierung Europas durch demografische Kriegsführung (unterstützt durch unsere eigenen Politiker) geführt. " A European Declaration of Independence" (London – 2011) des norwegischen Massenmörders Anders Breivik (siehe hierzu "Der politische Exorzismus im Kampf der Kulturen" )

Dem pflichtet inzwischen - wenn auch etwas verdeckter - der katholische Kardinal Meisner bei und wendete sich am 28. Dezember 2012 in seiner Predigt im Kölner Dom gleich an das ganze deutsche Volk: “Wir sollen und dürfen nicht zuerst auf politisch korrektes Verhalten und Reden achten, sondern auf gottgemäßes politisches Denken, Reden und Handeln.” Und mit Gott kann er wohl auch nur den Gott der Christen meinen. Auf der in rechten Kreisen gut besuchten Website Political Incorrectness wird daraus geschlossen, es dürfe der Inhalt seiner Predigt "womöglich auch manchem nicht-christlichen Leser zusagen. Themen waren die Christenverfolgung, die Kinderlosigkeit in Deutschland, die Situation der Familien und die Verschwendung von Steuermitteln."

Die Scheidemarken des guten Glaubens, gleich welcher Religion, wirken so sublim wie total. Durch sie werden die dümmsten Gedanken mutig und die Selbstgerechtigkeit kann damit im Gehabe einer eitlen Hintersinnigkeit auftreten, die man nicht nur im Internet, sondern auch auf öffentlichen Plätzen und auch in den Arenen des Sports überall vorfindet. Die Angst um die Zukunft greift zurück auf das, was demgegenüber sicher erscheint: Die Vergangenheit. Ursprungssehnsucht macht sich breit und zitiert gerne den höheren Sinn einer Geschichte, die längst vergangen ist. Der rechte Glaube verwirklicht sich politisch vor allem in einer reaktionären Politik, die damit die Lebensangst der Menschen zu einer Selbstveredelung wendet, indem sie einen abartigen Feind ausmacht. Sie ist inzwischen schon weit entwickelt und verbreitet und stellt sich vorzugsweise als Habitus gegen Subversion, Niedergang und Vernichtung vor (14).

Das alles ist nicht neu. Neu ist nur, dass es sich nicht mehr antisemitisch begründet, sondern antifaschistisch. Und als Faschismus wird jetzt der Islam entdeckt, weil man im Koran ähnlich wie in der Bibel kriegerische und frauenfeindliche Textstellen finden kann. Obwohl laut Verfassungsschutzbericht nur 0,9 % der Moslems überhaupt mit islamistisch orientierten Organisationen zu tun haben, wird hier der gesamte Islamismus für die diese Religion als Angstgegner angeführt. Die eigene Ohnmacht bekommt ein Gesicht, das Bild einer fremden Macht und Gewalt in den Grundlagen einer fremden Glaubensbotschaft. Gewaltätig wird aber jeder Glaube, der sich nicht auf Wissen um seine Sache einlässt und aus der Analyse ihrer Wirklichkeit sich zu ihrem Bewusstsein emanzipiert. Der eigene Glaube hat denselben Allgemeinheitsanspruch wie der fremde. Das Gute kann immer nur das Eigene sein und deshalb ist immer nur das Fremde böse und gewalttätig. Im Kampf der Gotteskrieger hat sich noch nie wirklich Frieden ergeben, denn die Allgemeinheit Gottes lässt sich von keiner Seite relativieren, weil die Niederlage des eigenen Gottes alles zerstört, was sich daran festhält. Jeder Glaube schießt im Kampf um seinen Gott immer über sich hinaus und der Höhepunkt des Glaubens ist die Güte seiner Kultur. Die steht immer rechts und betreibt die Angst vor dem Untergang solange, bis sie selbst von ihr getrieben wird.

In der Analyse der herrschenden Verhältnisse könnten alle Gläubige sich über ihr wirkliches Leben einig werden, denn das ist ihre wirkliche Natur, ihr wirklich kulturelles Wesen. Und die bestehenden Machtverhältnisse, gegen die vom Standpunkt des Glaubens kein Mensch mehr gewachsen zu sein scheint, könnten mit der Überwindung der engen Grenzen der Glaubensbekenntnisse in ein öffentliches Bewusstsein übergehen, mit dem aus der Wut der Rechtgläubigen doch noch ein Wissen um das Recht der Menschen auf eine menschliche Gesellschaft werden könnte. Doch die Rechtgläubigen kämpfen offen oder verdeckt immer nur um das Recht ihrer Kulturherrschaft, in der sich die Menschen notwendig ausschließen und aneinander auf kurz oder lang scheitern müssen.

Der Rechtsrutsch

Thilo Sarrazin, der Christ und Parteigänger der SPD, hatte in seinem im Jahr 2010 erschienen Buch "Deutschland schafft sich ab" die Zersetzung der deutschen Lebensperspektiven beschrieben, die er durch die Andersartigkeit eines Glaubens begründet, der sich nicht an die deutsche Kultur anpassen will. Er beschrieb die Folgen, die sich seiner Ansicht nach für Deutschland aus der Kombination von Geburtenrückgang bei den Deutschen und einer durch Zuwanderung aus überwiegend muslimischen Ländern wachsenden Unterschicht ergeben würden. Nicht die Polen und nicht die Kroaten, also nicht die christlichen Einwanderer würden die Bedrohung darstellen, denn die seien leicht zu assimilieren und fleißig und das brauche die deutsche Wirtschaft. Er behauptet, dass große Teile der arabischen und türkischen Einwanderer weder integrationswillig noch integrationsfähig seien und die deutsche Kultur unterwandern und untergraben würden. Sie würden bewusst ihre Parallelgesellschaften ausbilden und sich den Ausbildungs- und Integrationsbemühungen der deutschen Behörden verschließen. Berlin habe daher besonders viele „Benachteiligte aus bildungsfernen Schichten“ und es gebe auch „keine Methode, diese Leute vernünftig einzubeziehen“. Es finde eine „fortwährende negative Auslese“ statt. Das wäre eine überflüssige Belastung für die deutsche Wirtschaft, die vor allem intelligente Fachkräfte und willige Hilfskräfte nötig habe.

Sarrazins Buch ist ein Renner, weil es sich wissenschaftlich gibt, obwohl es Argumente liefert, die schon in sich absurd sind. Aber zur Rassenkunde kann man sie ja gut brauchen. Hören wir hier mal Sarrazin persönlich. In einem Interview mitten in Neuköln, wo er von einer Fernsehredakteurin mit kurdischen Ladeninhabern konfrontiert wurde, empfand er bei ihrem Widerspruch auf seine Vorhaltungen daher auch nur, dass sie sich beleidigt fühlen würden und hub an zu einem allgemeinen Urteil, dessen Unwissenschaftlichkeit kaum zu überbieten ist.

Berliner Äußerungen Sarrazins

Sarrazin denkt eben besonders auch ans Geld, wenn er von Kultur spricht. Er fordert Elitenförderung und das „Auswachsen“ von „etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung, die nicht ökonomisch gebraucht werden“. Ähnliches gab es bisher zur zur Hitlerzeit. In diesem Zusammenhang schlug er unter anderem die komplette Streichung von Transferleistungen für Ausländer aus der „Unterschicht“ vor. Eine Auswertung von Media Control ergab, dass sein Buch "Deutschland schafft sich ab" zu den meistverkauften Sachbüchern in gebundener Form seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gehört (Stand Januar 2012: 1,5 Millionen verkaufte Exemplare). Der Damm war gebrochen. Nicht mehr die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, sondern das Gebot an ökonomische Anpassung und die totale Unterwerfung unter die Belange der Kapitalwirtschaft wurden von denen eingefordert, die für die Freiheit der anderen zu schuften hatten. Missen wollte man sie ja nicht. Aber willig sollten sie sein. Und dies würde ihr Glaube verhindern. Mit solcherlei Kulturalisierung des Klassenverhältnisses verhält sich eine längst ökonomische3 Übermacht auch noch als Kulturmacht und treibt zudem einen Keil in die öffentliche Repräsentanz der Arbeitsleute.

Dem folgte der Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (64, SPD) von der sozialen und kulturellen Seite her. Er weiß von den vielen Gemeinheiten zu berichten, die man auf den Straßen Neukölns hie und da vorfindet und wollte diese Kultur der Gewalttätigkeit zusammenzufassen. Es ist für ihn "Die bittere Wahrheit über Multi-Kulti". Und er beschreibt diese auf der Website der neu entstanden Partei der Rechten, "Die Freiheit", die sich inzwischen in ganz Deutschland ausbreitet:

"Es geht mir an dieser Stelle mehr um die alltägliche Ohnmacht in einer Welt, in der man durch den Supermarkt zieht, Waren nimmt, an der Kasse vorbeimarschiert, ohne zu bezahlen, und der Kassiererin klarmacht, was ihr droht, wenn sie die Polizei holt....

Da, wo kleineren Kindern von größeren Jugendlichen ein Wegezoll oder eine Benutzungsgebühr für das Klettergerüst abverlangt wird. Wo junge Frauen gefragt werden, ob sie einen Befruchtungsvorgang wünschen. Wo man dem Busfahrer die Cola über den Kopf schüttet, wenn er nach dem Fahrschein fragt. Das alles macht einfach nur schlechte Laune. Schon beim Lesen.

Solange wir eine Politik des Alles-Verstehens und des Alles-Verzeihens betreiben und den Menschen signalisieren, dass wir gar nicht daran denken, die Verhältnisse zu ändern, weil diese Verwahrlosung der Sitten zur kulturellen Identität und zur Weltoffenheit gehören, so lange werden wir für eine wirklich erfolgreiche Integrationspolitik nur verhalten Mitstreiter finden."

Die Rhetorik der Rechten ist immer dieselbe und hier nur beispielhaft. Wahrnehmungen, die überall möglich sind, wenn man dort genauer hinsieht und die auch von den Institutionen der Staatsgewalt ständig beantwortet werden, werden einer Bevölkerungsgruppe zugewiesen, die insgesamt als Eindringling zusammengefasst wird, weil sie von anderer Art zu sein scheint und deshalb abartig sein muss. Diese Methode wird besonders eindringlich inzwischen auch von der Partei "DIE FREIHEIT" auf den öffentlichen Plätzen, im Rundfunk und auf diversen Webseiten bundesweit aufgeführt.

Sie bezeichnet sich selbst als "Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie", die sie aber nicht im bestehenden Recht falsch verfasst sieht, sondern die sie gerade gegen dieses Recht als kulturelles Selbstverständnis politisch vorantreiben will. Sie verbindet sich in ganz Europa mit entsprechenden Strömungen wie z.B. die um den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders und die sogenannten Identitäre Bewegung, die deutsche Bewegung zur "Génération Identitaire" aus Frankreich. In ganz Europa formieren sich auf dieser Grundlage eine neue Rechte, die sich nicht nur auf Nationalismus beschränkt, sondern vor allem gegen Andersgläubige hetzt und gegen die, die sich hierzu noch tolerant verhalten, diese 68ger und Kulturmarxisten, wie sie der Massenmörder Anders Breivik und Henryk Broder und andere bezeichneten.

In München tritt die Partei "Die Freiheit" meist nur unter starkem Polizeiaufgebot auf und betreibt offene Hetze gegen ein ganzes Volk, das von einem Gottesbefehl über den Koran zu Betrug, Diebstahl und Krieg angeleitet sei. Wer das in derselben Offenheit dann Volksverhetzung nennt, wird direkt vor aller Augen angezeigt und den anwesenden Polizisten auferlegt, dessen Personalien festzustellen und diese "Verleumdung" strafrechtlich zu verfolgen.

 

MÜNCHEN AUDIO

Und das kommt tatsächlich an, weil es die Angst der Bürger um ihre Zukunft und die ihrer Kinder verdummt in dem sie ihr eine Gemeinschaft der Bürger anträgt, die ihren unbehaglichen Erfahrungen die Gewalt eines Massengefühls entgegenstellt, die in ihrer Dimension schrankenlos ist und dies auch sein will. Ein Bürger meint nach einem Auftritt der Freiheitspartei auf dem Rotkreutzplatz in München zu einigen dort aufgestellten Polizisten: "In der Schweiz üben die Islamisten bereits in Schnellkursen den Umgang mit dem Maschinengewehr, und da will der Obama die Waffengesetze verschärfen, dass sich niemand mehr wehren kann." Es folgt ein Schwall von Zustimmung. Die Schweiz ist allemal ein gutes Vorbild, nicht nur für Geislers Demokratieverständnis, sondern auch für die Ausgrenzung des Islams: Aufgeklärte Demokraten müssen sich nun mal zur Wehr setzen.

Der Erfolg der Rechten besteht in ihrem Bezug auf die praktischen Nöte des Alltags und das kleine Glück der Selbstbehauptung in schwerer Zeit. In den Kommunen - und besonders in den ländlichen - sind sie der nette Nachbar, der sich im Sportverein oder in der dörflichen Geselligkeit oder Kirchengemeinde persönlich engagieren und hervortut. Sie artikulieren, was jedem auf dem Herzen liegt und formulieren die Chance der guten Tat, die praktische und unmittelbare Alternative eines Protestes, der meist auch tatsächlich fällig ist. Es ist die Summe der kleinen Protestationen, aus denen sie ein Bewusstsein formulieren, das im Grunde gar nichts mehr damit zu tun hat. So sorgen sie auch immer dafür, dass der Populismus ihrer Haltung einfließt und die Götterdämmerung ihres Heils vorstellig wird. Sie werden zu Stadträten, Bürgermeister und Abgeordneten gewählt, gerade weil sie sich nicht in die gewohnten Formen der Politik einlassen und die untätigen Repräsentanten der parlamentarischen Logik und der politischen Disziplin der bloßen Administration platt machen.

Populismus erfindet die für seine Politik notwendigen Dimensionen und Prominenzen von Geschichten und Wahrnehmungen, die als allgemeines Unheil vorstellbar gemacht werden und Befürchtungen assoziieren, die einer Aufzucht eineses politischen Willens dienlich sind, der Größe durch die Angst der Masse bekommt. Solches kennt man ja schon lange und es braucht dies auch die Politik zur Bildung der Wählermeinung und die ist schließlich die politische Basis der repräsentativen Demokratie. Die aber soll mit ihrer eigenen Methode überboten werden. Die herrschende Untergangsstimmung bekommt eine sinnige Perspektive, wenn man sich nicht mehr an die Beschränktheit der repräsentativen Demokratie wendet, sondern an den "gesunden Menschenverstand", an das das Gute einer rechten Politik, wenn man einen rechten Glauben an sich selbst im großen Ganzen der übermenschlichen Gemeinschaft des guten Willens hat, der sich nicht mehr von dem aufhalten lässt, was als politisch korrekt gilt.

Political incorrectness wurde zu einer Leitparole, die nicht nur der katholische Kardinal oder Andres Breivik oder Henryk Broder bevorzugt. Sie meint, dass die Diskriminierung von Minderheiten ein richtiges Mittel ist, um die Unterwanderung der eigenen Kultur zu bekämpfen. Schließlich ginge es nicht um die Rationalität eines Rechts, sondern um die eigene Identität. Und daraus erst ergibt sich die wahre Größe, die wirkliche Übermacht.

So verfasst dies auch eine weitere Gruppe, die sich besonders in Frankreich und Deutschland ausbreitet und auch von der Freiheitspartei umworben wird: Die Identitären (15). Die NPD bekommt damit immer mehr Gesellschaft auch aus den Kreisen von Intellektuellen und den sogenannten Eliten der Gesellschaft. Sie stehen über der Religion als reiner Gottesglaube und ersetzen diesen durch den Glauben an ihre hochgeweihte Identität; sie suchen die Tat und ein breit wirkendes Progrom im Streben einer absoluten Selbstveredelung. Es sind die voll entwickelten, wenn auch noch verpuppten Faschisten, die schon weit tiefer direkt ins Selbstverständnis der Deutschen vordringen. Die Identitären verstehen es auch, sich dem entsprechend zu formulieren:

"Uns Identitären geht es um den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, die heute durch den demographischen Kollaps, die Massenzuwanderung und die Islamsierung bedroht ist. Wir lieben unser Land und stehen zu unserer Tradition. Wir sind Patrioten. Als Patrioten können wir unsere Heimat in der Stunde der Gefahr nicht im Stich lassen. Jeden Identitären drängt es zur Tat. Was also tun? Hier ist es wichtig, nicht in blindem Aktivismus einfach drauflos zu handeln, sondern sich ein breites Bild der Lage zu machen. Was ist die Ursache unseres ethnokulturellen Selbstmordes? Was ist der wahre Grund der deutschen und europäischen “Selbstabschaffung”? Klarerweise sind das nicht die islamischen Zuwanderer, die in das demographische Vakuum dringen. Wenn ihr die wahre Ursache von Deutschlands und Europas Misere sehen wollt, dann schaut in den Spiegel!"

Alles klar: Hier siegt die Identität, die jedem verlustig geht, die er nicht hat und die er durch Teilhabe an einer rechten Gruppierung erwerben kann. Rechte Gewalt entsteht eben nicht durch Wissen um das wirklich eigene Sein, sondern in der Anwendung und Verallgemeinerung eines verfassten Selbstverständnisses in den sozialen, politischen und zwischenmenschlichen Verhältnissen einer identitären Bewegung. Werden existenzielle und soziale Verhältnissse obsolet, so wird dieses Selbstverständnis zu einer Form des Selbsterlebens in den Symbolen zwischenmenschlicher Kommunikation in Gruppierungen, das hieraus als Befreiung, als Emanzipation nicht in, sondern von dieser Welt erscheint, und hiermit eine rein psychische Wirkung hat, die sie in sich verschließt und entwickelt. Gerade wo das soziale Unvermögen der Menschen sich in dieser Abstraktion abgrenzt und in sich unendlich fortbestimmt, weil es nur noch zwischenmenschlich verkehrt, wo es immer unauflösbarer erscheint und sich psychologisiert, bekommt es die Gewalt eines "wahren Menschseins", einer Kameradie, die süchtig macht, und das wird durch rechtes Gedankengut besonders intensiv verstärkt. Hierdurch bereitet die Symbolik der Sprache die Kanalisation einer vermeintlichen Realität vor, die nur noch zwischenmenschliche Substanz hat, auch und gerade wenn sie als politische Position dargestellt wird. Politik wird hierdurch willkürlich und sektenförmig. Vernichtungssucht entsteht erst wirklich als Verarbeitungsweise von Macht und Ohnmacht und Hass in solchen zwischenmenschlichen Verhältnissen und ihrer politischen Organisation.

Zur Verselbständigung politischer Gewalt muss Sprache auf reine Symbolik reduziert werden, so dass Kommmunikation nur noch Austausch von Vorverständnis ist, wodurch erst sich in der abgegrenzten Abstraktion politisches Verhalten mit sozialer Isolation vermengt und subjektiviert. Die Selbsterhöhung durch subjektive Verallgemeinerung soll das kompensieren, was hierdurch verlustig geht, soll Beziehungen ersetzen, die keine mehr sind und die Identität einer Gruppe verewigen, die keine mehr ist. Die Gruppe ist allerdings das existenzielle Maß und Mitel aller Beziehungen, weil sie das abstrakte Selbstverständnis auch wirklich sinnlich vollstreckt und sprachlich maskiert. Gerade deshalb ist es wichtig, ihrem Text eine andere Sprache entgegen zu halten. Nur wenn diese Sprache existiert, kann auch öffentliches Bewusstsein und eine gesellschaftliche Formation entstehen, die diese Gewalt verunmöglicht. Kulturkritik kann sie nicht verhindern, wohl aber ihren Boden zerstreuen, indem sie jede Form der Kulturalisierung aufzeigt und ihren Ansatz schon im Keim entmythologisiert.

 

Fußnoten:

(1) Die Widersprüche sind total. Die Medien stricken fleißig mit an den Vorstellungen, wie es in den kommenden Monaten weitergehen könnte. Niemand weiß das wirklich, weil alle Faktoren der Prognostik aus dem Ruder laufen, so dass keine Statistik mehr den Gewohnheiten der Auswertung entsprechen kann. Man braucht aber gute Prognosen, damit die Wirtschaft in Stimmung kommt, meinen die einen. Es geht uns gut wie noch nie, sagen sie! Die Weihnachtsumsätze waren noch nie so gut, die Arbeitslosigkeit noch nie so gering, die Aktientageskurse zum Jahreswechsel noch nie so hoch Aber man muss sich auf die Zukunft realistisch einstellen, um ihr adäquat und förderlich begenen zu können, meinen die anderen. Klar werden immer gute Umsätze gemacht, wenn eine Inflation droht, klar war die Geldanlage in Aktien noch nie so alternativlos, wie heute, wenn die Zinsen für Kredite weit unter der Inflationsrate liegen und es wird Geld sogar mit Negativzins angelegt, weil es sonst noch wertloser würde. Die Panik ist schon voll am Laufen. Während die deutsche Autoproduktion noch boomt, werden z.B. die deutschen Produkte wie BMW oder Mercedes in den USA schon zum halben Preis verschleudert. Und während wir noch gut mit^ den Billigprodukten aus armen Ländern leben können, verschärft sich dort die Unsicherheit und Armut.

Während die Arbeitslosigkeit in den südlichen Euroländern stetig wächst und mehr als die Hälfte der Jugend von Griechenland und Spanien ohne Arbeit ist, weil Sparpläne für die Kreditwirtschaft ihre Märkte zerstört, kann man in Deutschland sogar noch die Billiglöhne verfestigen, weil hier auch noch zwei oder drei Jobs zu kriegen sind. Aber fast ein Viertel der deutschen Arbeitnehmer leben an der Armutsgrenze oder drunter und die Mittelschicht, die momentan noch von einer immer noch profitablen Exportwirtschaft lebt, ist stetig am schrumpfen. Alles hängt jetzt am Vermögen der Kreditwirtschaft. Und die hängt ab von dem wirtschaftlichen Vermögen der Produzenten, der Rohstoff- und Immobilienwerte, der Mieter und Gebührenzahler

Irgendwie wirkt alles wie vor dem zweiten Weltkrieg, wo die Arbeitslosigkeit sank, weil die Kredite für deutsche Kapitalinvestitionen im Ausland die deutsche Produktion nochmal ankurbelten, durch Rüstung und Technologievorsprung. Und da sind sie immer noch die guten Deutschen, auch wenn sich Kriege nicht mehr so richtig lohnen. Wohl aber lohnt sich die deutsche Waffenschmiede und ihr Vertrieb für die Kriege der anderen, auch wenn es Kriege gegen die eigene Bevölkerung sind. Es geht um den Export um jeden Preis und zu jedem Preis. Man hofft auch im fünften Jahr der europäischen Wirtschaftskrise immer noch, dass es dann doch wieder besser weitergehe mit dem Euro, dessen Wert doch immer mehr nur noch durch Fiktionen, durch Spekulation auf übersättigte Absatzmärkte getragen wird.

(2) Ein zentrales Problem ist allgemein deutlich geworden: Das Verhältnis von Wertmasse und Arbeit ist unauflösbar negativ geworden. Hohe Umsätze werden von immer weniger Arbeitskräften betrieben und virtuelle Produkte (wie z.B. Googl oder Facebook) kassieren den Mehrwert ab. Die dritte industrielle Revolution hat es möglich gemacht, dass die Finanzmärkte sich auf immer weniger materielle Erzeugnisse beziehen und immer mehr auf den Handel mit Eigentumstitel, mit Gebühren für Wohnen und Verkehr und Kommunikation und Werbung und mit Rohstoffwerten aus dem Grundbesitz, und mit Lizienzen, also mit Ideen, Kreationen oder Allgorithmen, die schier unendlich duplizierbar sind. Das zersetzt alle Verwertungsbedingungen, die nach wie vor von menschlicher Arbeit abhängen, weil nur Menschen das Geld ausgeben, das sie erdienen müssen. Selbst der biher sicherste Produktionsfaktor der Realwirtschaft, die Automobilindustrie, muss extreme Einbußen befürchten. Was dagegen Erfolge vorweisen kann, ist die Waffen- und Militärindustrie, die von Tötungsmaschinen zu leben versteht

In den Zeiten großer Produktivitätssprünge erscheint das Risiko der Marktwirtschaft durchweg positiv. "No risk, no fun". Das war der Spruch zur Eventkultur der 90ger Jahre. Auch in der Zeit der zweiten Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Industrialisierung des Fließbands und der Akkordarbeit durch den Taylorismus und Fordismus gab es eine Hochphase der Kultur, weil es genügend Geld gab, das zum Vergnügen ausgegeben werden konte und einem gelangweilten Bürgertum der Mittelschicht die Sehnsuchtsepoche der Schlager- und UFA-Filmindustrie bescherte. "Irgendwo auf der Welt gibts ein kleines bisschen Glück und ich träum davon in jedem Augenblick." So sangen es die Comedien Harmonists der 20ger Jahre. Der Traum zerplatzte im Wahnsinn des Dritten Reiches, sobald die Technik keinen Fortschritt mit Extraprofiten mehr darstellte, sondern nur noch der Selbsterhaltung des gewöhnlichen Alltags diente und zu einem bloßen Machtmittel der Verwertung wurde, die es immer nötiger hatte, um ihren Niedergang abzuwenden. Sobald die reale Wachstumsphase der Wirtschaft nachlässt, sobald das Mehrprodukt nur noch dem bloßen Überfluss einer Klasse der Geldbesitzer dient und die Investitionen immer weniger Mehrwert realisieren, entwickelt sich die Finanzwirtschaft in den unendlichen Auftürmungen ihrer Selbstläufe nur noch in der Bemühung, ihr Geld zu retten. Das fiktive Kapital auf den Devisen- und Kreditmärkten wird dann immer fiktiver und damit zerstörerischer für die Realwirtschaft. Die dabei aufkommende Ahnung, dass die Verwertung der Lebensinhalte zugleich eine Vernichtung von Lebensinhalt und Leben selbst wird, macht Angst. Man sehnt sich in die guten alten Zeiten zurück und die Ursprungssehnsucht erzeugt seltsame Lebenswelten der Kultur, die nur noch von Vorstellungen einer heilen Welt zehren.

Der Kapitalismus wäre längst an seinem Unvermögen zugrunde gegangen, den Menschen das frei zu überlassen, was die Marktwirtschaft an Produkten liefert. Moderne Technologie produziert immer billiger und muss immer teuerer verkaufen, nur um die zunehmenden Risiken auf den Weltmärkten zu überstehen. Die Arbeit wird immer wirtschaftlicher, doch ihre Verwertung verlangt einen immer größeren Mehrwert, immer mehr unbezahlte Arbeit, um die Geldbesitzer und Geldgeber bei Laune zu halten. Eine ungeheuere Masse an Produkten muss zu immer geringeren Preisen auf den Markt geworden werden, so dass die Verwertung der sogenannten Realwirtschaft auf ihren Warenmärkten immer enger und schwankender wird. Je mehr sie aus ihrer Technologie herausholt und auf den Markt relativ billig werfen kann, desto mehr erdrosselt sie die Produktivität der Unternehmungen und Länder, die mit diesem Level nicht mithalten können. Armut wird dann das vorherrschende Resultat der Produktion, Reichtum wird unverwertbar. Die Bedrohung der Verwertbarkeit der Produkte existiert auf den Märkten und der Geldmarkt geht daher auch sehr rigoros damit um. Das immer enger werdende Wertwachstum zieht die Wirtschaft immer tiefer in die Krise, weil die sinkende Profitrate sich nurmehr durch die sogenannten Gewinne auf den Finanzmärkten, also im Kreditwesen ausgleichen lässt. Doch das hat nun auch seine Grenze erkennen lassen. Wo die Mieten und Gebühren und Zinsen nicht mehr wachsen können, weil von den Menschen das nicht mehr zu holen ist, was für die Geldanleger, die sogenannten Player genügend Erträge einbringt, da geht die Kreditwirtschaft in die Kniee und die völlig überzogenen Dimensionen der fiktiven Kapitaldeckungen schlägt sich nieder auf die Geldwerte und die Wirtschaftskreisläufe geraten ins Stocken, nurmehr durch Staatsverschuldung noch für eine immer kleiner werdende Zeitspanne und mit immer knapperen Mittel aufrecht erhalten. Die wundersame Geldvermehrung und seine Finanzpolitik sind am Ende. Wirtschaftlich und politisch befinden wir uns in einer Zeitenwende. Sie bewegt sich um die Produktivität und die Absatzmärkte.

(3) Es herrscht der Markt auf der Basis der Produktvernichtung. Es ist der Niedergang der Reichtumsproduktion, auf der bisher die bürgerliche Gesellschaft gründete. Das ist neu, denn der Kapitalismus hat sich bisher immer noch durch Wertvernichtung auf den Märkten und durch Kriegspolitik wieder fangen können - man nannte das produktive Zerstörung. Ja, er wäre längst am Ende, hätte nicht der Staat seine Politik darauf zugerichetet und einen beträchtlichen Teil seiner Probleme in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs durch Staatsverschuldung abgenommen. Doch dieses kann so nicht mehr laufen, weil das Vertrauen in das Wertwachstum sich gerade zerstört und weil ihm die Verschulung selbst inzwischen zu teuer geworden ist, denn der Preis hierfür, die Zinsen, übersteigt das nationale und internationale Produktions- und Destruktionsvermögen. Auch Kriege sind inzwischen schon zu teuer, weil deren Restaurationskraft für zukünftige Produktion sich auch nicht mehr rechnen kann

Die öffentlichen Kassen lassen sich nicht mehr so leicht mit Steuern und Gebühren füllen, und das wird in den Kommunen und Ländern immer massivere Konsequenzen ziehen. Mit den sozialen Konflikten stehen wir erst am Anfang. Das Sozialsystem und die Gesundheits- und Altersversorgung werden immer enger und strenger. Die einfachste Bedingung zur Ausweitung der Konkurrenz der Arbeitskräfte, die ganztägige Kinderbetreuung in Kitas und Ganztagesschulen ist kaum zu finanzieren. Und die Fiskalklippe der USA zeigt schon mal so richtig, wie das vollständige Ende des Sozialstaates aussehen kann: Abbruch der Hilfe für Langzeitarbeitslosen, grassierende Obdachlosigkeit, Verknappung der Sozialleistungen und Gesundheitsvorsorge, Zugriff der Finanzinvestoren auf ganze Städte und Infrastrukturen.

Mit der dritten industriellen Ravolution ist das Potenzial der Krisenmanagements enorm gewachsen. Kommunikation erschließt neue Märkte und der Börsenhandel konnte sich um tausenfaches beschleunigen und die Geldanlagen in Sekundenbruchteile fast vollautomatisch umdisponieren. Die Möglichkeiten der Korrekturen schienen unendlich und man sprach vom Ende der Geschichte. Gemeint war damit, dass der Kapitaklismus alternativlos sei und damit der Streit der Systeme hinfällig sei und die bürgerliche Politik selbst die Handhabung der Ökonomie übernommen habe. Und deshalb erhofft man sich immer noch Verbesserungen durch die Politik. Das Jahr der Änderungen und Wahlen steht ja auch an, und es ist für die Meinungsbildung günstig, wenn sich die Politik handlungsfähig gibt und ihre Ideologien per populistische Slogangs zur Wählermeinung befördert. Doch nur extreme Optimisten, die noch nichts begriffen haben, glauben noch daran. Inzwischen ist alles in enorme Turbulenzen geraten.

Das Wissen und Bewusstsein macht fatale Sprünge und verdreht seinen Realgehalt bis zur Unkenntlichkeit. Es ist absurd: Den Japanern ist mit Grauen bewusst geworden, was Atomkraftwerke anrichten, aber angesichts der großen japanischen Wirtschaftskrise und Staatsverschuldung haben jetzt den Befürworter von AKW und Atombomben an der Regierungsmacht. Wirtschaftliche Bedingungen.

(4) Im ganzen gesellschaftliche Leben dreht sich alles um den Geldwert und die Preise, die mit Euro bezahlt werden für Miete, Energie umd Verkehr. Wer Geld hat, muss sich Sorgen machen, wie er seinen Wert erhalten kann, wenn allgemeine Inflation ausbricht; wer arbeiten muss, sorgt sich um seinen Arbeitsplatz, der verloren geht, wenn die Nachfrage ausbleibt, wenn der Euro zu stark bleibt. Die Geldwertstabilitätr wird zum Zentrum der Existenzfragen und die Konkurrenz auf den Geld- und Arbeitsmärkten zum Medium der Ideologien. Die Spaltung der Gesellschaft wird sich noch weiter verschärfen, weil sich auf allen Seiten nur noch die Verknappung verstärken kann. Wer es nicht als Resultat eines absurd gewordenen Verwertungsprozesses erkennen kann, der muss nach handfesten Gestalten der Schuld am gesellschaftlichen Versagen des Kapitalismus suchen - und das können dann nur noch die Menschen selbst, die Figuren und Charaktermasken der Produktion oder der entwerteten Arbeit sein, die Superreichen auf der einen Seite und die Superarmen auf der anderen Seite. In der Mitte stellt sich das Thema als eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit, der Güte eines Gemeinwohls, das allen zukommen soll. Doch wo kommt das her? War es nicht die Marktwirtschaft selbst, von der behauptet wurde, dass es aus ihr wie von selbst entstünde?

Bei einem Zinssatz von 1% ist gut dran, wer Kredite aufnehmen kann, wer also Gläubiger findet, die seinem Einkommen vertrauen. Er kann sich alleine schon damit eine Bereicherung der ihm verfügbaren Werte um 1 bis 2 % einsacken. Wer nur von seiner Arbeitskraft lebt, hat immer weniger Wert zu seiner Verfügung, weil er diesen Mehrwert ableisten muss. Die Menschen verteilen sich gegensätzliche Einkommensentwicklungen; die Geldverteilung wird zum Maßstab gegensätzlicher Biografien. Mit den Krisen der Geldverwertung werden Glaubensfragen lebensbestimmend, weil ganze Existenzen davon abhängig sind, sowohl als Glaube an ihr geregeltes Einkommen, als auch als Glaube an die soziale Integrität eines Menschen.

(5) Die Realisierung ihres Mehrwerts, ihr kursierender Geldwert hängt davon ab, wieweit ihre Mehrprodukte abgesetzt werden und wieweit die Löhne durch die Verwertung von Eigentumstitel auf Immobilien oder Energieträger abgezockt werden können, denn Dienstleistungen existieren selten in unmittelbar materieller Warenform. Es herrscht weltweit Überproduktion, um deren Absatz geworben werden muss, nur um den Geldwert und das Risiko seines Einsatzes im Warenhandel und der Produktion zu beherrschen.

(6) Dazu muss man erzogen werden durch Verschärfung der Lebensangst, durch Hartz IV und Diskrimination. Kultur wird zum Medium des Staates als Gewaltform einer Kulturherrschaft, einer Staatskultur, die sich mal liberal und ein ander mal autoritativ geben muss, je nach dem, was sie integrieren und was sie diskriminieren will - und das ist das, was der Geldverwertung und ihrer Stabilisierung dienlich ist.

(7) Es geht eben nur um Geldeinnahme, um Konsum in einer Überproduktion, durch den die Menschen auch genötigt sind, zu den Preisen zu arbeiten, die sie für ihr kleines Glück auch bezahlen dürfen. Für das Wertwachstum ist die Ausdehnung des Konsums absolut nötig. Und der Verlust an Selbstwert, den dies einbringt, erfordert wiederum die Aneignung von Geld, mit dem man Eindruck machen kann. Es ist wie bei einer Sucht. Und wie bei dieser muss das Suchtmittel immer mehr werden, um zu halten, was es verspricht: Tittytainment nannten das bereits die Macher und Entwickler des Neoliberalismus.

(8) Man nennt das auch schon Neuromarketing - so der Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Und man hat damit längst die Nischen entdeckt, die aus den Löchern des Selbstbewusstsein einen großen Sack voll Geld für die Anbieter von Produkten einbringt, die keiner eigentlich wirklich braucht, die aber eben das vermarkten, was man braucht, wo Sinnentleerung herrscht. Es sind die Löcher im Zwischenmenschlichen, die für einen umfangreichen Körperfetischismus durch Produkte der Sport- und Modeindustrie, der Pharmazie und Psychostimulanzen aufgefüllt werden. Drogerien sind zu milliardenschweren Unternehmungen für Körperpflege geworden und jedes Mittel der Gefallsucht dient der Kommunikation durch Körperlichkeit, Sexappeal und Selbstverstärkung. Die bodenlosen Möglichkeiten der ästhetischen Selbstdarstellung dienen einem Selbstwert, der auf den Parties des Midnight-Jagdfiebers aufgepeppt wird und vor allem auch nur dort sich austoben kann. Selbstgestaltung ist inzwischen das allgemeine Medium der Verführung auf Bloggerparties und den Börsen des Partnertauschs.

Der Sinn für wirkliche Lebensgestaltung, für eine Arbeit, die in wirklichen Bedürfnissen aufgeht, findet im Zeitraffer der Konsumkultur und des Geldhandels kaum noch Möglichkeiten seiner Verwirklichung. In der Gleichgültigkeit ihrer wirklichen Lebenswelt langweilen sich die Menschen und ihr Überdruß kann leicht zu Lebensüberdruss und Lebensangst werden. Der "Aufmerksamkeitsmonitor" muss ständig laufen, damit auch überhaupt was läuft und damit die Werbung auch die Selbstgefühle der Menschen erreicht. Die Produkte müssen gut sein, zumindest ihre Verpackung muss das so erscheinen lassen. Ihr Gütesiegel allerdings ist das Gespinst einer Wirtschaft, die sich immer weniger an den wirklichen Bedürfnissen, dafür immer mehr an der Psyche der Menschen orientiert.

(9) Die Psychologie ist selbst in den Körperformen der Neurologie angelangt. Und sie kann damit beschreiben, was unbewusst wahrgenommen wird. Und sie nutzt das Unbewusste zu ihrer Selbstbegründung und macht damit Bewusstsein uneinholbar. Jeder Wille, jedes Bedürfnis lässt sich ja auch immmer auf seine Physiologie reduzieren, gilt dann also als Naturtatsache, die vor aller Bewusstwerdung steht. Auch die reicht in die Anfänge des 20ten Jahrhunderts zurück. Als Sigmund Freud 1930 das "Unbehagen in der Kultur" beschrieb, in welchem er einen Todestrieb der Menschen zu entdecken vermeinte, war er seiner wirtschaftlichen Ahnungslosigkeit aufgesessen. Er hätte sonst wissen können, dass der Todestrieb des Verwertungsprinzips sich in den Menschen nur abbildet, weil er ihre Lebensverhältnisse bestimmt. Lust und Vernichtung liegen nah beieinander, solange Geld die Lebensverhältnisse der Menschen bestimmt. Ungern wird man zur Kenntnis genommen, dass die Lust des Konsumierens selbst auch die Nichtigkeit des Produzenten betreibt. Die Frage, wodurch Vernichtung entsteht, wird von den Bildungsbürgern, die im Inbegriff ihrer Güte Böses streng von sich weisen, immer damit beantworten, dass das Gute wie das Böse selbst menschlich ist und dass es für das gesellschaftliche Wohlergehen daher nötig sei, böse Menschen zu beherrschen und zu disziplinieren. Eine gute Gesellschaft wird damit zur Gesellschaft einer Güte, die mit der Existenzweise der Menschen selbst nichts mehr zu tun hat. Das Gemeinwohl gehört dem Geldbesitzer, der seine Selbstverwertung darauf ausrichtet, immer wertvoller zu erscheinen, sich immer integrierter und menschlicher darstellt. Mitmenschlichkeit wird zum unmittelbaren Gütesiegel seiner Persönlichkeit, diese selbst zum Gottesersatz. Denn die Religion hatte es auch nicht anders gemacht, als die Nächstenliebe als hohe Form der Eigenliebe zu verkaufen. Die Psyche wird zur Mythologie wesenhafter Vereinzelung, Psychologie zu Religionsersatz. So wird dann auch die Religion selbst zur Psychologie, in welcher sich die Bürger wie eine objektive Familie zusammenschließen und zu den Rittersleut der guten Sitte werden, zum Freiheitskämpfer der Selbstveredlung, zur Doktrin der Saubermänner und Sauberfrauen einer Güte, die sich vor allem gegen die "Achse des Bösen" wendet (siehe hierzu auch Christian Felbers "Gemeinwohlökonomie").

Eine Eventkultur war das Produkt der Globalisierung im Bewusstsein der Menschen, die in den Geldverhältnissen sich freier und unbhängiger fühlen konnten als einst die Bürger auf den Matktplätzen, wo ihre Waren noch als ihre Arbeitsprodukte und Lebensmittel zirkulierten. Tittytainment nannten das die Erfinder des Neoliberalismus. Die Produktion selbst ist dabei völlig fraglos geworden und das Geld auch ohne sie denkbar, weil sie selbst im Geldverhältnis sich begründet sehen konnten.

(10) Der Willkür und Blendsucht eines Reichtums, der als materieller Überfluss erscheint, steht die wachsende Armut von Menschen gegenüber, die sich in ihrem gesellschaftlichen Anteil getäuscht sehen. Je wirkungsloser ihnen ihr Anspruch auf eine Verteilungsgerechtigkeit ist, desto mehr stellen sie sich gegen die Dekadenz einer Überflussgesellschaft, die auch tatsächlich immer geistloser wird. Ihr Hunger nach beständig Neuem, nach reizvollem Erleben kann wirkliches Leben nicht ersetzen. Die Möglichkeitswelt und Verheißung des Geldbesitzes beruht auf einem Unding, das im Leben der Menschen auch seinen Ungeist entfaltet, der sich vom Haben wollen zum Haben müssen entwickelt. Leicht wird das gesellschaftliche Unglück dieser Verhältnisse dem erkennbar, der nicht an das Glück durch Geldbesitz, dem Allgemeinbesitz des Privateigentums glauben kann. Es wird der Glaube an die Potenzen des Geldes, an seine selbsttätige Vermehrung, in Krisenzeiten ganz sinnfällig obsolet. Jede Gewissheit geht darin notwendig verloren. Wo aber das unglückliche Bewusstsein der Besessenheit durch den Geldbesitz nicht zum Bewusstsein dieses Unglücks wird, da vereinzelt es sich in seiner Ohnmacht, seiner Unmöglichkeit, an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Je geistloser die gesellschaftlichen Verhältnisse des Geldes sich gestalten, desto begeisterungsfähiger sind die Idividuen, die vereinzelten Einzelnen für eine Gemeinschaft im Glauben.

(11) Doch gerade darin unterscheiden sie sich gewaltig. Im Gegensatz der Religionen, soweit er überhapt politisch auftrit, herrscht daher kein "Kampf der Kulturen" sondern ein Kampf um die Einflussspären ihrer Sittlichkeit, der damit verbundenen Lebensplanung und -organisation, um gesellschaftliche Anpassung und Aussonderung kultureller Inhalte der Selbstachtung, wie Ehre, Liebe und Sexualität. Und das allerdings ist weit massiver als es Kultur für sich sein könnte. Es geht dabei um Zukunftsvorstellungen der eigenen Intimssphäre, wie sie sich in Beruf und Gesellschaft auswirkt. Weil die Selbstbeziehung dabei in eine Allmächtigkeit Gottes einbezogen und vermittelt wird, wird Religion zum Maß aller Dinge - vor allem zum Maß der Gefühle und Selbstgefühle. Sie will die Menschen sprichwörtlich ausstatten, ihre Empfindungen sichern und ihre Gefühle betören, sie für ein Himmelreich begeistern, das nicht von dieser Welt ist.

Dazu muss ein dem entsprechnder Sinn formatiert werden. Und damit gibt es schon allerhand Erfahrung. Die verborgene Schönheit einer Frau wirkt tiefer, als ihr offenes Menschsein, der Heldenepos eines Mannes mächtiger, als die Ohnmacht seines Lebens. Ihre Wirkung erzielt Religion vor allem in der Intimität heiligster Selbstkontrolle, welche höherem Sinn dienlich ist und einer unendliche Erlösung harrt: In der gottesfürchtigen Eigenliebe, in der Keuschheit und dem Verhütungsverbot, im Gebot der Jungfräulichkeit und dem Recht des Mannes auf Gewaltanwendung. Die Beschneidung der Frau ist die Behinderung ihrer Empfangsbereitschaft, die körperliche Erzwingung einer monogamen Zuwendung und Abhängigkeit. Die Beschneidung des Mannes erwirkt die Veräußerlichung seiner Sexualempfindung, aus der eine Verinnerlichung seiner sexuellen Gefühle erfolgt, Gefühlsabhängigkeit und Unterwerfung unter die Gebote der Kultur. Im Christentum erreicht dies die Macht der Erbsünde, der ewigen Schuld und der Erlösung durch die Marter eines Gottessohns, der allgegenwärtig ist im Gebot einer Liebe, die aus dem Leiden am Leben kommt und die Eigenliebe bereichern soll, indem sie Unschuld erweckt und konsumiert. Religion dient der Selbsterhaltung durch Unterwerfung und ist im Grunde nichts anderes als eine Subkultur der Selbstverwertung.

Den Glücksverheißungen des Geldes durch Konsum stehen damit die Glücksverheißungen der Religion gegenüber und es erscheint so, als ob das Materielle darin zum Gegensatz zu Geistigem steht. Doch im Geiste ist beides vereint, wenn er sich durch Religion in einem Geist der Ohnmacht beugt, der aus seiner Unwirklichkeit seine Kraft gewinnt und in der Wirklichkeit seinen Selbstwert gegen den Unwert seiner Gottesfurcht findet. Beides bewahrt und bewährt einander in der Ohnmacht des enteigneten Menschen, des Menschen, der einem unwirklichen Menschsein folgt, einem übermenschlichen Prinzip, von dem er anhängig wird wie ein Kind von seinen Eltern. Es ist die Enteignung dieses Kindes, die als Gegensatz der Mächte, des Geldes und der Kultur, unerbittlich gegeneinander steht und sich im Gottesglauben über sein wltliches Elend erhebt. Der Kindmensch der Religion findet tatsächlich auch eine neue Gesellschaft in seiner Gemeinde, in der Gemeinschaft der Gläubigen und Gottesfürchtigen, der Gemeinschaft einer Güte, die keine Gütergemeinschaft mehr nötig hat.

(12) Damit ein Glaube sich auch wirklich gegen Unheil wenden kann, muss er die Selbstunterwerfung auch wirklich durh Selbstveredelung ausgleichen, von einem Heil künden und also auch ein Heil verkünden, das in dieser Welt vor allem den Glauben an sich selbst befördert. Und das findet sich, wo das Große und Ganze zu beschwören ist. Letztlich ist es immer etwas wirklich Heiles, wenn das Große heilig wird, wenn es um das Heil eines Ganzen geht, das Wohl einer sozialen Ordnung, das Gemeinwohl als Wohl einer Menschengemeinde. Die Feinde der Gemeinschaft machen das Unheil aus. Gegen Nutznießer und Schmarotzer muss deshalb vorgegangen werden, denn ihnen fehlt die heilsame Güte, sie sind das eigentlich Böse, die Abart des Unglaubens. Dies drängt um so mehr zur Tat, wo der gesellschaftliche Zerfall als Zerfall des Guten, der Sitten und Gebräuche wahrgenomen wird. Die Tat für die gute Gemeinschaft muss zur Gemeinschaftstat werden, zur Notwehr einer Notgemeinschaft. "Alle sitzen in einem Boot". Das war dereinst auch die Formel, mit der einst Adolf Hitler viele Christen geeint und eingenommen hatte. Seine Volksgenossenschaft wurde vor allem zu einer rassistische Ausgrenzungs- und Tötungsmaschinerie.

(13) Jeder sei seines Glückes Schmied ist schon die Behauptung, die der Marktwirtschaft zu Grunde liegt und das Risiko der Menschen, die darin verkehren, zu einem objektiven Scheidemesser ihres Glücks und Unglücks macht. Wen der Markt rauswirft, der hat sein Glück verspielt, auch wenn er es niemals in der Hand hatte, seien Arbeit und seine Bedürfnisse zu entwickeln, weil beides nur durch die Macht des Geldes, durch eine gesellschaftliche Abstraktion vermittelt ist, welche die Verhältnisse der Menschen bestimmt.

Doch die Ausgesonderten sind wichtig für die Wohlfahrt der Eingegliederten, denn sie stellen ihren Abgrund dar. In der Angst hiervor stabilisiert sich die Unterwerfung unter das Ganze, unter das Verhältnis des Geldes und seiner Verwertung. Immerhin stellen sie die Wirklichkeit des Unglücks dar, das aus einer Marktwirtschaft auch tatsächlich hervorgeht, besonders, weil das Wertwachstum, das sie betreibt, nicht als Wachstum ihres gesellschaftlichen, also allgemeinen Lebensstandards verwirklicht wird. Dann werden sie an ihre Selbstverantwortung gemahnt. Dazu will man gerne behilflich sein, Hilfe zur Selbsthilfe bieten, damit das Ganze so bleiben kann, wie es ist.

(14) Die rechtsstaatliche Politik, die im Sprachgebrauch als sogenannte "Political Correctnes" sich gegen die Diskriminierung von Minderheiten wendet, wird zum Angriffspunkt der Kulturkämpfer von rechts, die sich besonders gegen Islamisten aufrichten und den deutschen Staat nicht mehr für fähig halten, diese zu bekämpfen. Henryk M. Broder, ein jüdischer Publizist, der auch eine eigene Fernsehsendung macht und gerne seinen Zynismus zur Schau stellt, vergleicht die "Political Correctness" mit der Appeasement-Politik gegenüber Hitler und warnt in seinem Buch „Hurra wir kapitulieren“ vor einer "Transformation Europas zu einem islamischen Kontinent". Aber auch die Politik, die nicht mehr weiter weiß, steht vor einem sozialen Wirrwarr, in das sie Ordnung zu bringen sucht, nicht indem sie ihre Probleme löst, sondern indem sie Feinde der öffentlichen Ordnung ausmacht. Für jeden Populisten eignet sich der Fremde besonders, weil er dem Gefühl der Entfremdung als Feindbild bestens entspricht, besonders, wenn er auch als Konkurrent auf einem knapper werdenden Arbeitsmarkt auftritt.

(15) Die "Identitären" stellen sich auf ihrer Website folgendermaßen vor:

"WIR sind die Generation, die für einen falschen Blick, weil sie jemandem eine Zigarette verweigert oder einfach nur weil sie deutsch ist, getötet wird.
Wir sind die Bewegung, deren Generation doppelt bestraft ist: Verurteilt, in ein Sozialsystem einzuzahlen, das durch Zuwanderung so instabil wird, dass für uns und unsere Kinder nichts mehr übrig bleibt.
Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Traditionen, Werten, Familie und Erziehung. Aber sie befreiten sich nur von ihrer Verantwortung.
Wir lehnen die Geschichtsbücher ab und wollen unsere Identität selbst wiederfinden.
Wir sind die Bewegung, die den Fernseher ausgeschaltet hat, um selbst zu denken.
Wir sind die Bewegung, die heute eine Wahl trifft: Sich zu stellen und in erster Reihe zu stehen. Wir sind die Bewegung, die lieber in die Offensive geht, als feige alles abzunicken, in Tatenlosigkeit zu verharren und sich selbst zu leugnen.
Wir sind die Bewegung, die auf unsere Identität, unser Erbe, unser Volk und unsere Heimat schaut und erhobenen Hauptes dem Sonnenaufgang entgegengeht!"