Wolfram Pfreundschuh (04/2006)

 

Politik und Religion
- einige Hintergründe zum sog. "Kampf der Kulturen"

 

Man spricht heute wieder oft über Religion und über Kultur. Die zentralen Probleme der Welt werden hiermit in Beziehung gebracht. George W. Bush nannte den Krieg gegen den Irak einen Kreuzzug. Seine Truppen und Raketen sollten mit ihrem Angriff die christliche Kultur verteidigen. Die Islamisten sprechen vom Dschihad, dem Heiligen Krieg, wenn sie als Selbstmordattentäter Bomben zünden. Die Juden und Christen sprechen vom Gelobten Land und der Heiligen Stadt, wenn sie den Konfliktherd der Weltpolitik, das Land Israel und die Stadt Jerusalem meinen. Von Nordirland wurde immer behauptet, es ginge dort um einen Kampf zwischen Katholiken und Protestanten, im Kosovo sollte es ein Kampf zwischen orthodoxen Katholiken und Islam gewesen sein. Eines ist all diesen sprachlichen Bezugnahmen gleich: Sobald man die kriegerischen Auseinandersetzungen der Welt so wahrnimmt, versteht man sie nicht mehr.

Samuel Huntington hat für die Thinktanks der US-Regierung ein ganzes Buch geschrieben, um einen finalen Kulturkampf der Religionen der Welt als Grund westlicher Intervention herauszukehren. Das Buch ist eine einzigartige Kampagne gegen den Islam, mit 1,7 Milliarden Gläubigen die größte Religion der Welt. Das ist der Glaube, der in den Ländern vorherrscht, unter deren Boden 95% der Ölreserven der Welt lagern. Aber es ist seltsam. Genau das, was am meisten begehrt wird, was großen Reichtum für die nähere Zukunft bedeutet, soll seine Besitzer zu Angriffen mit Massenvernichtungswaffen treiben und Terrorismus verursachen. Weil dies natürlich nicht so leicht zu verstehen ist, wird gesagt, der Islamismus wäre die Ursache für Krieg und Terrorismus.

Auch wenn dieses Buch in der Formulierung zurückhaltend erscheint, so ist es dem Inhalt nach doch die konsequenteste Kriegsvorbereitung seit Hitler’s „Mein Kampf“. Wissenschaftlich völlig unhaltbar leitet Huntington darin die Konflikte der Welt aus den großen Weltreligionen ab. Dabei geriet ihm so ziemlich alles durcheinander, was die Gegensätze der Religion und die Kämpfe der Wirklichkeit miteinander zu tun haben. Das hat bereits der Friedenswissenschaftler Harald Müller deutlich herausgestellt:

"Laut Huntington verbündeten sich die westlichen Länder mit dem katholischen Kroatien, die orthodoxen Rußland und Griechenland leisteten Serbien Hilfe, die islamische Welt unterstützte die bosnischen Muslime. Tatsächlich sah es aber so aus: Zu Beginn des Konflikts standen das (mehrheitlich protestantische) Deutschland und das gleichfalls protestantische Dänemark für Kroatien, die katholischen Frankreich, Spanien, Italien und das anglikanische England hielten es mit Serbien. Im Verlauf der Kämpfe änderten sich die Sympathien. Der Westen schwenkte unter dem Druck der öffentlichen Meinung zur Unterstützung der bosnischen Muslime über. Schließlich entschloß sich der Westen nach langem Zögern zum militärischen Eingreifen und zum Einsatz von fünfzigtausend Soldaten, um die Reste von multikulturellem Staatswesen und muslimischer Autonomie zu schützen. Rußland beschränkte sich darauf, serbische Interessen minimal zu schützen. Es stimmte bereits zu Anfang den wirtschaftlichen Sanktionen gegen Restjugoslawien zu und verhinderte die Bestrafungsaktionen der NATO nicht. Wäre der Krieg nach dem Schema des "Kulturkampfes" abgelaufen, so hätten die westlichen und orthodoxen Bündnismächte, die Pläne Milosevics und Tudjmans, Bosnien-Herzegowina zwischen Kroatien und Serbien aufzuteilen, befördern müssen - das wäre ein Beleg für Huntingtons These gewesen. Am schlimmsten schlägt sich das Huntingtons Theorie innewohnende Vorurteil in seiner abschließenden Einschätzung des Krieges nieder: "In Bosnien haben Muslime einen blutigen und verhängnisvollen Krieg mit orthodoxen Serben geführt und auch gegen katholische Kroaten Gewalt ausgeübt".

Hinter so schrägen Herleitungen steckt ein massives Interesse. Es ist der Bankrott der USA, deren Währung zu 48 % nicht mehr real, also durch eigene Wirtschaftskraft gedeckt ist, und die durch ihre deckungslosen Einkäufe unter großem Druck ist und politisch und ökonomisch auf der Kante ihres Fortbestands steht. Seit der Aufhebung der Dollardeckung durch Gold (Kündigung der Verträge von Bretton-Woods 1971) ist die einzige Sicherheit für ihre Währung und damit ihrer wirtschaftlichen Stabilität der Petro-Dollar, Indexup1, der als Zahlungseinheit für Öl seit 1971/72 durch eine „unumstößliche Vereinbarung“ der USA mit Saudi Arabien und den OPEC-Staaten verbindlich geworden war. Hierdurch ist der bereits fast zur Hälfte ungedeckte Dollar de facto durch noch nicht geliefertes Öl gedeckt, das unter fremdem Boden noch bevorratet ist: Öllieferungen können durch den Besitz von Dollars als versprochen angesehen werden, zugleich wird der Dollar, wenn er in den Besitz der Öllieferanten gelangt ist, nur wirklich realisiert durch Einkäufe in den USA, bietet dieser also die Sicherheit von Aufträgen bei ihrer Wirtschaft. Als Währung stellt er allerdings einen Betrug dar, denn die USA besitzen das Öl ja nicht wirklich, sondern nur dessen Einkaufswährung, und wieweit sie durch Einkauf gedeckt wird, hängt von wirklichem Bedarf in der Zukunft ab.

Aber der Dollar stellt auf dieser Basis reale Wirtschaftsmacht dar und bindet die Welt an eine potenzielle, also noch nicht realisierte Wirtschaftskraft der USA. Als der Irak Öl auch gegen Euro anbieten wollte und damit die Dollarabsicherung als Währungshoheit für den Ölbedarf durchbrach, bedeutete das Krieg. Die USA wären daran zerbrochen, wenn sich das durchgesetzt hätte und der Ölmarkt liberalisiert, also als Währungssicherung ausgeschieden wäre. Zwei Monate nachdem die Vereinigten Staaten in den Irak einmarschiert waren, wurde das Öl wieder nur für US-Dollar verkauft. Die Welt konnte nun nicht mehr irakisches Öl mit Euro erwerben. Die globale Vormachtstellung des Dollars war wiederhergestellt. Jetzt aber betreibt der Iran dieselbe Liberalisierung des Ölmarkts und verkauft Öl in der Euro-Währung. Wir werden die Folgen noch kennen lernen.

Mit Religion soll die Welt getäuscht werden. Allerdings ist ihr das auch nicht ganz fremd. Die Frage ist, ob es sich hierbei um einen Missbrauch von Religion handelt, oder ob sich ein Glaube, der sich über alle Täuschung stellt, nicht auch sich tatsächlich als Missbrauch ereignet, indem er seine Menschlichkeit aus seinem Gott über alles Menschliche stellt. Die Frage ist also, ob Religion nur missbraucht wird für politische Zwecke, oder ob sich in der Religion nicht schon selbst ein Missbrauch der Wirklichkeit vollzieht. Jedenfalls sind alle Religionen höchst politisch, wenn ihre Götter die Gegensätze der Welt aufheben sollen. Wäre der "Kampf der Kulturen" tatsächlich ein Streit um die rechten Gottheiten und ihre Gebote, so würde darin Politik selbst göttlich werden müssen.

 

Der Sinn der Religion

Zunächst mal ist leicht ersichtlich, dass Religion eine gewisse Faszination und damit auch Macht auf Menschen ausübt, besonders wenn sie eine äußere oder innere Not und zugleich eine darin erwachsende Sehnsucht bewegt, die über die Möglichkeiten des Diesseits hinausgeht, vor allem die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Frieden der Menschen, nach Liebe, nach Geborgenheit oder auch nach Erleuchtung durch höhere Wesenheiten.

„Erhebet die Herzen! Wir haben sie beim Herrn!“, so künden Christen sonntäglich von ihrer Beziehung zu Gott. Darin ist das Herz von seinen Kümmernissen und Zweifeln befreit, aus seiner Angst geborgen und zum Gemüt einer höheren Welt, zur Herrlichkeit Gottes gebracht. Darin fühlen sich die Gläubigen aufgehoben, darin schmücken sie ihre Seelen und Gebete und darin wird Gott zur Verfassung eines im Jenseits vollendeten Lebensmuts, zum Geist eines abstrakten Sinnes, der in der Gemeinde Gottes konkret wird als menschlicher Zusammenhalt ohne wirklichen Sinn, zu einer Gesellschaft von höherer Sinnlichkeit. Dies umso mehr, je bedrängter die Menschen sich von ihrer Welt fühlen, je mutloser und kümmerlicher ihr Leben und je vereinzelter ihnen ihre Not erscheint. Religion versöhnt das Isolierte und erzeugt eine Gemeinschaft der Seelen, den Seelenraum der höchsten Güter, den Schmuck und die Kunst tiefster Gefühle und Sehnsüchte, die Macht des Glaubens.

In Gott erwarten sie eine höhere Wahrheit als die Irdische und in ihm sind ihnen die Fragen, Zweifel und Kämpfe der Zeit konkret gelöst. Gott sei „die Wahrheit und das Leben“, die Güte des Lebens, wie die Verachtung des Widersachers in einem. Gott steht für ein Prinzip, das nicht erst befragt werden muss, was daran sinnvoll ist. Was durch ihn gut ist, kehrt sich von selbst gegen alles, was dieses nicht ist, was also böse ist. Der gerechte Gott ist immer auch selbstgerecht und von daher ein Gott der Strafe. Was die Menschen durch Gott an Achtung gewinnen, das übereignen sie ihm auch an Selbstachtung, an Beachtung ihrer eigenen Lebendigkeit. Wenn sie gegen ihn verstoßen, verweigern sie sich im Glauben an ihn in ihrem ureigensten Menschseins. Religion ist die Geistesgemeinschaft selbstverlorener Menschen, einer in Wirklichkeit verlorenen Gesellschaft, zutiefst isoliertes Menschsein durch höchste Gebotenheit der geistigen Individualgestalt des abstrakten Menschen als Geist Gottes. Das heilige Wort ist das Wort des Heils, Gott das Heil der Welt und Sinn allen Brauchtums. Wo Gott herrscht, da herrscht die Auferstehung und das Leben, da verliert sich jeder Aufstand im Leben Gottes, da herrscht nicht ein Mensch, sondern die Einheit eines abstrakten Seins.

Religiöse Sittlichkeit erzeugt die Gemeinschaft in Gott, die über alle Geschichte hinweg gilt. Darin ist jeder Moment geborgen. Der Sinn des Religiösen bewahrt alles als Frage und Fügung des Unendlichen und verwischt die Endlichkeit des Lebens, Denkens und Fühlens der Menschen. Das befördert nicht nur Geschichtslosigkeit, sondern auch die Fühligkeit des Erlebens und Wissens, das Gefühl seiner selbst überhaupt. Religion ist kultiviertes Selbstgefühl und gibt zurück, aus was sie sich auch schöpft, was sie aus einer übersinnlichen, weil ohne Sinn erfahrenen Gefühlswelt für sich gewinnt. Wofür Menschen keinen Sinn haben, dafür haben sie Gott. Alle Sinnbildung ist im religiösen Selbstgefühl durch ihn bestimmt. Hierzu allerdings muss sie sich wirklicher Empfindung entheben, sich in einer über jede Gewissheit erhabene Selbstbezogenheit, in einer Gefühlsmacht des absoluten Geistes versichern und diese zu einem Selbst erheben, das in Gott seinen Grund und Sinn hat, seine Hochkultur als Ressentiment gegen das Wirkliche schlechthin. Religion bindet alles, was die Menschen fliehen lässt. Sie erzeugt Gefühl, wo Menschen an ihrem Verstand zu zweifeln hätten, macht erträglich, was Menschen nicht tragen können und stellt alles in höhere Verantwortung, was sie selbst nicht verantworten wollen. Religion gibt in Gottes Hand, was dem Menschen nötig ist. Das Wort selbst spricht dies ja aus: re ligio, das heißt wörtlich übersetzt Rückbindung.

Isolation, Zweifel und Elend sind darin aufgehoben und zum Erzeugnis des Bösen gewandelt. Nicht menschliche Bosheit oder menschliches Unvermögen kommt hieraus zum Vorschein, sondern die Macht des Bösen, gegen die der gute Gott Sicherheit und Schutz bietet, eine Heimat des Herzens, des Geistes und der Seele und nicht zuletzt auch der Sittlichkeit. Alles weltliche Elend, die Niedertrachten und Erniedrigungen der Existenz, werden als religiös gefasstes Elend in sich aufgelöst.

Karl Marx hatte das 1843 so formuliert.

"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“ "Die Religion ist das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat.“ (Marx, 1843, MEW 1, S. 378)

 

Religion in Krisenzeiten

Die Welt ist tatsächlich unfriedlich, herzlos und geistlos. Die neuerdings wieder zu bemerkende Erstarkung der Religion zeigt ihre Krise, sowohl in der Fundamentalisierung des Christentums, wie es z.B. von amerikanischen Evangelikanern betrieben wird, wie auch im fundamentalen Islamismus und im orthodoxen Judentum, die sich wieder deutlich politisch artikulieren. Auch im gewöhnlichen Alltag ist eine gesteigerte Einflussnahme der Religion zu bemerken. In Deutschland ist der Katholizismus offenbar in der Lage, sich besonders medienwirksam darzustellen, indem er intime Botschaften auch in Massenaufführungen und Fernsehserien zu verkünden versteht. Das suggeriert eine Nähe zum Leben, die hierzulande wieder anzukommen scheint, und es heißt, die Jugend sei wieder mit religiös begründeten Werturteilen zu beeindrucken. Das erweckt neue Hoffnungen bei denen, die in der Religion ein soziales Ordnungs- und Orientierungsprinzip, die Grundlage einer Ethik sehen und gut heißen.

Vielleicht lässt sich solcher Populismus aber auch einfach nur darauf zurückführen, dass die auf diese Weise ansprechbare Jugend des beständigen Kulturkonsums überdrüssig geworden ist, dass sie einen Ernst der Weltlage verspürt und tiefere Sinnfragen stellt und Persönlichkeiten sucht, die Orientierung im Chaos einer zerfallenden Gesellschaft bieten. Jedenfalls ist es wohl schon hinlänglich erwiesen, dass Religion vor allem in Krisenzeiten eine erhöhte Bedeutung in einer Kultur bekommt, deren sinnlos gewordene Beziehungen, deren Dekadenz nach neuem Sinn verlangt.

Die Sinnentleerungen, welche am Leben zweifeln lassen, werden so zu einer Empfindung der Demütigung und in der Demut vor Gott aufgelöst. Tatsächlich wird auf diese Weise Welt überwunden. Ist die Selbstachtung der Menschen einem System unterworfen, das nur noch der Vorteilsnahme seiner Verwertungsprinzipien nachgeht, so steht der Sinn, den Menschen für ihr Leben haben, selbst im Zweifel. Und wenn diese Verhältnissen keinen Sinn mehr vermitteln, weil sie sich unendlich nötig geben, ausschließlich als Sachzwang und damit allmächtig erscheinen, da muss der Glaube an Gottes Allmacht wenigstens zu einem Leben der Seele in einer übersinnlichen Gemeinschaft verhelfen, zu einer Geborgenheit in einem vorgestellten, erhofften und ersehnten Menschsein.

Das ist eine Art Selbsthilfe, die zugleich betört. Das wissen auch die Leute, die Politik machen. Durch Religion lässt sich ihr Handeln gerne als finaler Akt in einer Heilsgeschichte vermitteln. Auf diese Weise wird plausibel gemacht, was in sich gänzlich widersinnig ist, Verständnis erweckt, wo es nichts zu verstehen gibt. Denn es geht der Politik hierbei allein um die Legitimation einer Willensmacht, die sich hinter einer Heilsvorstellung verstecken will. Es kann sich ein Politiker auch leicht selbst zu Gott erklären, wenn er diese Vorstellung auch in einer Bevölkerung unbeschränkt forttreibt und beständig als Ressentiment gegen weltliche Feinde zu bestärken versteht. Er wird hierdurch selbst zum Prophet des Volks, zum Führer. Er spricht nichts anderes an, als das, was die Menschen längst schon hoffen und fühlen und daher auch glauben mögen. Solcher Populismus hat ja schon Weltgeschichte gemacht, erst mit, dann ohne Gott.

Die Totalisierung der Politik durch Religion

Religionen erfüllen solange eine soziale Notwendigkeit, wie Gesellschaften keinen wirklichen Zusammenhang der Menschen haben, die darin leben und miteinander verkehren. Vermittelst ihrer Götter bedeuten sie sich ihr Menschsein, teilen sie mit, was sie für menschlich halten – wenn auch in abstrakter Gestalt. Gott vermittelt ihr Gemeinwesen aus dem, was es nicht wirklich ist, um ihre Wirklichkeit in einem Gemeinsinn Gottes zusammenzuhalten. Die Religionen sind von dieser Seite her selbst auch soziale Einrichtungen, worin Ethik, Sittlichkeit und Selbstverständnis aus einem Sein durch Gott gewonnen wird, aus dem, worin sich die Menschen in Gott verstehen und in göttlichem Verstand einig sind.

Aber Religion ist in Wahrheit immer sehr irdisch begründet, an den Naturnotwendigkeiten und an ihren sozial notwendigen Formen ausgerichtet. Zum einen stellt sie dar, was den Menschen eines bestimmten Kulturkreises nötig ist, zum anderen vermittelt sie ihren Zusammenhalt durch eine geistige Identität, die sie von fremden Zwecken und Mächten unterscheidet. Sie gab den weltlichen Auseinandersetzungen die definitorische Prägnanz ihrer Ethik, vermittelte wesentliche Unterscheidungen zur Erkennung des Gegners ihrer Lebensbedürfnisse und totalisierte die eigenen Belange und Grenzziehungen durch die eklatante Dämonisierung des Bösen. Von daher sind Religionen nicht gerade Friedensstifter.

Die Auseinandersetzungen der Religionen erbrachten totale Positionen, welche die Geschichte zwischen Christen, Juden und Moslems ausgemacht hatten. Sie alle neigen zu einem Totalitarismus des Guten gegen das Böse, wenn auch verschieden: im Christentum eher zum Totalitarismus der Selbstaufopferung gegenüber der Begierde, im Islamismus zu dem der familiaren Fürsorge gegen Ausbeutung und im Judentum zu dem der Geschichtsgemeinschaft eines auserwählten Volkes gegen die Blasphemie. Von daher erkennen diese Religionen ihre Götter nicht als Geister abstrakter Furcht und Macht, sondern als Träger ihrer Kulturnotwendigkeiten, ihrer Lebensverständigung, mit einer jeweils eigenen Ethik und Prägnanz. Aber sie haben ihre gemeinsame ethische Grundlage in den Zehn Geboten des Alten Testaments und berufen sich alle auf Abraham als ihrem Urvater. Sie haben sich in der Nachfolge von Moses erst in einem Jahrhunderte währenden Kampf um ein und dieselbe Region zu unterscheiden begonnen, denn es ging dabei auch um sich zunehmend wirklich unterscheidende Lebensgrundlagen. Jede dieser Religionen grenzte sich von der anderen in ihrem Zeitverständnis von der Wiederkunft des Erlösers bzw. des Propheten ab und entwickelte von daher eine andere Gotteserwartung, also auch eine andere Erwartung an Gott.

Unterschiedliche Gottesbeziehungen der Religionen

Das Christentum wurde zu einer ausgereiften Religion der bürgerlichen Gesellschaft, worin die Wechselseitigkeit der Menschen unmittelbar in ihrer Notwendigkeit und Pflicht als Nächstenliebe formuliert ist. Gerade im Austausch von Besitztümern ist eine geistige Führung nötig, die sie daran hindert, ihrer Besessenheit und ihrer Begierden anheim zu fallen. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!“, das ist das Gebot der Gerechtigkeit und Gleichheit, worin die Menschen sich sittlich bestimmen müssen, um ihre Begierde auf den Besitz an den gebotenen Gegebenheiten und Mitteln des Tauschs und des Geldes zu beschränken und unsinnigen Streit und Unfrieden hierdurch auch vermeiden können. Der Christengott ist der letztliche Hintergrund bürgerlicher Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit, in welcher ethische Fragen des Rechts und der Kultur aufgelöst werden. Die Aufklärung, und damit auch die Trennung von den Geboten des Glaubens und den politischen Gebotenheiten, lag in der Konsequent der Entwicklung des Kapitals, das sich in seiner sachlichen Konsequenz zunehmend gegen jede geistige Konsequenz stellen musste. Heute allerdings gibt es eindeutige christliche Strömungen z.B. bei den Evangelikanern und ähnlichen Sekten, die den Christenglauben wieder dogmatisieren, um ihn gegen die Zeiterscheinungen, den geistigen Krisen des Kapitalismus wiederum zu nutzen. So restauriert sich auf dieser Seite wieder eine herrschsüchtige Selbstgerechtigkeit, die sich in der Ablehnung aufgeklärter Gläubigkeit radikalisiert und aller wissenschaftlichen Fundamente entsagt. Solches Christentum will durch eine schamlose Politisierung inquisitorischer Interessen eine längst überwundene Gottesmacht mit dem Bild von einer Gotteswirklichkeit wieder erwecken, die reale Allmacht verkörpert, das Bild von einem Gott des Mittelalters, der wirklich in 7 Tagen die Welt erschaffen haben soll und also auch politisch entsprechend weltmächtig begriffen werden müsste.

Der Gott der Juden begründet seine Gebote auf der Tradition einer Volksgruppe als kultureller Glaube einer Geistesgeschichte im unmittelbaren Lebensprozess. Das Judentum hat sich auf Grundlage der Tora, den 5 Büchern Mose und einer mündlich überlieferten Sittenlehre, dem Talmud, entwickelt. Es anerkennt aber keine zentrale Lehrautorität, wohl aber eine lang tradierte und ergänzte rabbinische Gesetzgebung, der Halachah. Das orthodoxe Judentum unterscheidet sich von den nicht-orthodoxen Strömungen im Verständnis der Offenbarung am Berg Sinai, wobei die Orthodoxie davon ausgeht, Moses habe die gesamte Tora wortwörtlich - so wie niedergeschrieben - empfangen. Das nicht-orthodoxe Judentum versteht diese Offenbarung nicht als absolut, sondern als einen Prozess im Dialog Gottes mit seinem Volk, in der Zeit und in den Kulturen. Dem Judentum ist gemein, dass es sich als das Volk Gottes und unabhängig von politischer Nationalität ansieht. Das macht es per Definition schon zum Feind von Nationalisten. Als von Gott auserwähltes Volk hat es ein Selbstbewusstsein das über seine politische Existenz erhaben und darin politisch ist, dass es Gottes Gebot in politischer Konsequenz begreift.

Im Unterschied zum Christentum und Judentum hat der klassische Islam sich in der Mystik der Gottessuche fortentwickelt. Er unterordnet hierfür weltlichen Rechtsformen der Scharia, dem Weg der Gottsuchenden. Dieser gründet nicht auf Besitz, sondern auf der Gemeinschaft der familiaren Erkenntnis der Gläubigen, weil „alle Dinge von Gott kommen“ und „die Menschen nur ihre Verwalter sind“ (Ibn Arabi). Das religiöse Gesetz regelt auf dieser Basis die individuellen Rechte und ethischen Beziehungen zwischen ihnen. Es wird erwartet, dass sich die Gläubigen gegenseitig als Brüder und Schwestern behandeln, den jeweils anderen an seinen Freuden, seiner Liebe und seinem Eigentum teilhaben lassen. Als Religion ist der Islam also ein familiäres Bündnis der Gläubigen gegen Ungläubige, Politisch ist der Islam eine Religion gegen irdische Macht, vor allem auch der Besatzungsmacht. Dem Kolonialismus und Imperialismus. Ihre soziale Kraft bezieht er allerdings aus einem feudalistisch anmutenden Bekenntnis zu einer Naturgesellschaft, einem Zusammenschluss der Menschen im Glauben an das göttliche Gebot. Er versteht sich zugleich als eine quasi natürliche Demokratie auf dem Weg zu Gott, als Gleichheit der Menschen vor Gott, die sich gegen Besitz und irdische Macht richtet. Eine repräsentative Demokratie ist für einige Islamisten eine Elitenrepräsentation, die weder Gott noch den Menschen selbst gerecht wird. In seiner sozialistischen Version wurde der Islam säkularisiert und der Gottesbezug in die Moscheen verwiesen. Doch dieser Islam wurde durch die Eingriffe des Westens in die Lebenszusammenhänge dieser Länder zurückgedrängt. Mit dem Widerstand hiergegen befestigte sich zum Teil auch wieder ein eher konservativer und manchmal auch reaktionärer Islamismus.

Religion als Rückhalt und Auflösung totalitärer Machtinteressen

Religionen entwickeln sich an und mit den wirklichen Verhältnissen. Was sie an inneren Auseinandersetzungen hierbei haben, kann nicht von außen beeinflusst werden. Sie machen ihre geistige Entwicklung aus und haben in der bisherigen Geschichte immerhin schon zu einer weitgehenden Relativierung des Religiösen geführt. Evangelikanische Christen, Orthodoxe Juden und fundamentale Moslems sind lediglich Momente ihrer Zeit. Aber insgesamt und letztlich haben Religionen keinen Willen, also auch keinen politischen Willen, der sich gegen andere Religionen richtet. Sie sind so praktisch wie das Leben selbst und richten sich an der Notwendigkeit der jeweiligen Gegebenheiten aus. Sie sind immer ein Gemisch aus diesen und dem Gebotenen, das ihre Ethik ausmacht. Von daher totalisieren sie und heben zugleich ihre Totalität beständig auf. Sie können gefährlich werden, zu Fanatismus treiben, aber auch zur einfachen Friedfertigkeit führen, wo sie geboten ist und wo sich die Menschen in ihrem Glauben zurückziehen können. Religion ist das Selbstgefühl von Ohnmacht und von Macht. Sie hindert die Menschen, miteinander in eine wirkliche Auseinandersetzung hierüber zu kommen, aber sie befördert auch geistige Selbstunterscheidung, in der sie alle Konflikte als Prüfung Gottes belassen kann.

Politik hantiert mit beidem. Sie selbst ist nicht essenziell religiös, selbst wo sie das vorgibt. Sie vollzieht immer einen praktischen Willen. Sie bewerkstelligt das Überleben der Menschen und bewertet ihre Konflikte mal als sachlich nötig, mal als gottgewollt, je nachdem, wie sie sich unter bestimmten Umständen vermitteln kann. Es ist für die USA vor allem einfach praktisch, wenn sie ihre Gier nach Erdöl verdecken können, indem sie dessen Grundbesitzer zivilisatorisch herabsetzen. Es ist auch praktisch, wenn sie in diesen Regionen auf dem Boden Israels 200 Atomsprengköpfe platzieren können. Dies ist auch praktisch für Israel. Und es ist für israelische Politik auch praktisch, wenn sie ihren Expansionsinteressen nach Besiedlung mit einem Anspruch auf das gelobte Land unterlegen kann. Der Islam ist als eine ausgesprochen antiimperialistische Religion auch praktisch zur Identitätsstiftung der Menschen in den von Ausbeutung beherrschten Ländern. In den Religionen können sich diese praktischen Positionen ideell fanatisieren, aber es steckt darin zugleich auch die Mäßigung und Beugung, das Friedensgebot Gottes, wo Radikalisierung nicht geboten erscheint. Sie würden nicht aus sich heraus einen Kulturkampf auslösen und auch nicht hierzu taugen, wenn man sie nicht dazu treibt.

Man darf Religion vor allem nicht mit Wirklichkeit verwechseln. Was Religion ist, das kann sie niemals wirklich sein. Zwischen den Religionen spielt sich auf einer ideellen Ebene das ab, was praktische ökonomische und machtpolitische Interessen reflektiert, nicht aber begründet. Durch eine Gleichsetzung von Religion mit Wirklichkeit ergibt sich die Totalisierung der Konflikte. Religion taugt dann zur totalitären Selbstbegründung. Und das wurde von den USA nun in Gang gesetzt. Die Begründung der Weltordnungskriege durch einen Kampf der Kulturen, dem Einhalt zu gebieten sei, ist eine Totalitätserklärung dieser Kriege.

Indem man Religion und Kultur gleichsetzt und darin einen „Kampf der Kulturen“ wittert, macht man aus religiösen Unterschieden eine kulturelle Wirklichkeit, gibt man der Religion eine Wirkungsmacht, die mit ebensolcher, also auch mit Gewalt zu beantworten wäre. Das macht das Verhältnis als Ganzes fatal. Die wirkliche Gefahr geht nicht von den religiösen Vorstellungen aus, sondern von den Interessen, die sich dahinter verbergen. Indem sich die Weltmacht USA aus eigener wirtschaftlicher Notlage an den religiösen Gegensätzen anderer Länder als Kulturmacht begründet und ihnen Krieg androht, legt sie den gefährlichsten Brandsatz der Zeitgeschichte, denn sie mobilisiert damit tatsächlich die religiösen Urkräfte, die sich in langer Zeit in den sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen eingeregelt hatten und die den letzte Lebenshintergrund der Menschen, ihre Lebensbegründung schlechthin ausmachen. Sie greift damit die Selbstachtung der Menschen an, deren Länder schon durch die Globalisierung in Armut geraten waren. Diese tun natürlich alles und werden weiterhin alles tun, sich hiergegen aufzulehnen, weil es ihnen nicht um Macht, sondern um ihren Lebensrückhalt schlechthin, ums nackte Überleben als Menschen und Sozialwesen geht.

Die gemeinste Taktik dabei ist die Begründung des Terrorismus durch den Islam. Noch ekelhafter ist, wenn hierfür der Christengott zur Herleitung eines Menschenrechts genommen wird, das Weltmachtrecht sein will. Terrorismus entsteht immer, wo Macht und Ohnmacht als ausschließliches Verhalten gegen einander stehen und wenn darin eine ausschließliche Machtfrage gestellt ist. Das kennen alle Gesellschaftssysteme in allen Glaubensrichtungen. Das hat nichts mit dem Islam zu tun, selbst wenn sich auch islamistische Politiker aus taktischen Gründen dazu positiv, differenziert oder überhaupt nicht verhalten oder dies selbst wiederum nutzen, um durch Angstverstärkung auf die eigene Entschlossenheit aufmerksam zu machen. Der Koran verbietet Terror wie jede andere Religion, weil er jede Ethik aufhebt und den Zehn Geboten Gottes widerspricht. Wenn sich die USA hiergegen zum Weltethiker aufrüstet und den „Kampf der Kulturen“ darin entdecken wollen, dann wollen sie selbst weltweiten Terrorismus, um ihre Interessen durchzusetzen. Und es scheint, als ob sie auch schon damit propagandistisch kalkulieren, was sie an Reaktionen bei ihren Gegnern bewirken und womit sie die Psyche von Christen und politischen Nominalisten unter Nutzung der Antisemitismus-Diskussion auf ihre Seite bringen.

Eine weltethische Unterlegung von Weltkrieg ist immer Weltfaschismus. Es geht den USA offensichtlich nicht mehr um eine Auflösung einer weltumspannenden Problematik der Globalisierung, sondern um einen totalen Krieg für eine finale Machtkonstellation, die sie Weltordnung nennen. Und hierfür nutzen sie den Totalitarismus der Religionen. Ihnen muss vermittelt und von aller Welt deutlich gemacht werden, dass ihre Kriege ihrem vorgeblichen Ziel widersprechen, dass sie nichts mit Religion, und schon gar nichts mit dem Christentum, dem Judentum und dem Islam zu tun haben, dass sie Terrorismus nicht bekämpfen sondern vermehren und dass sie ausschließlich eigennützige Weltmachtinteressen der politischen US-Ökonomie und ihrem militärisch-industriellen Komplex verfolgen und dass dies von der ganzen Welt geächtet wird.

 

Wolfram Pfreundschuh