Wolfram Pfreundschuh (26.03.04)

Gegen die Politisierung der Kulturen im Kampf um die "Weltordnung"

 

Die bewussten Vertreter des Kapitals wissen schon seit Beginn der 90ger Jahre, dass der Kapitalismus seine Widersprüche in der Verwertung(1) von Konsum und Arbeit nur dann übersteht, wenn die Menschen nicht nur in ihrer ganzen Lebensweise sich seinen Zwanghaftigkeiten beugen, sondern auch ihre Lebenssubstanz ihm überlassen. Seiner fatalen Logik(2) kann das Leben der Menschen nicht folgen, es sei denn, es wird selbst zum unmittelbaren Moment des Kapitals(3), d.h. vollständig identitätslos: Süchtig(4), nach seinen Produkten, widerstandslos gegen seine Gewalt. Tittytainment(5) hatten sie das genannt. Es soll das Ende jedweden wirklichen Sinns von menschlichen Bedürfnissen und von Arbeit werden.

Auf der anderen Seite standen die Ressourcen: Wenn der Suchtkreislauf von Stoff und Widerstandslosigkeit für das Kapital wirklich funktionieren soll, so muss der Stoff unterwertig beigebracht werden, soll er noch dauerhaft Mehrwert erbringen. Hierzu war ein weltweites Machtgefälle nötig, das sich jenseits wirtschaftlicher Beziehungen vor allem aus militärischer und politischer Ohnmacht speist. Die USA als fortschrittlichste Formation des Kapitalinteresses mussten militärisch allmächtig werden. Aus ihren Fantasien über einen "Krieg der Sterne" wurde in der Tat ein Abwehr- und Angriffssystem mit einem hochtechnischen Waffenpotential, das sie in jeder Schlacht – zumindest waffentechnisch – unbesiegbar machte. Heute weiß es jeder Mensch, der einen Fernseher hat: Der Krieg gegen die Region am Golf, dem Gebiet der dichtesten Ressourcenvorkommen der Welt, war lange vor dem 11.9.2001 bis ins Detail geplant und sollte das Machtexempel der Weltmacht USA, genannt "neue Weltordnung", statuieren. Der Krieg war längst im Gang.

Seitdem herrscht Terror, inzwischen auch schon in der Genese erkennbar als Produkt der USA – nicht nur bei Bin Laden, sondern auch in der Terrorentwicklung im Irak selbst, der erst in der Besatzungszeit und durch die Besatzung entstanden ist. Terror ist heute die Form, in welcher das Kapital agiert und in welcher sich der Widerstand formiert; - eine schier unaufhaltsame Abwärtsspirale. Terror in dieser Wechselseitigkeit ist Zerstörung schlechthin. Die Kulturen der Welt, die zur Selbstverteidigung aufgerufen waren, versacken in Barbarei.

Für die Mächtigen bestand schon lange im Vorhinein Erklärungsbedarf und so wurde auch für sie Kultur zum Thema. In der Kultur ist das Problem der Welt verschmolzen zu einem angeblichen "Kampf der Kulturen", der von dem US-Autor und Regierungsberater Huntington(6) als Bestseller in die Wohn- und Schlafgemächer getragen und von den erschrockenen Wählern zu einem zweifelhaften Wahlsieg des G. W. Bush umgesetzt wurde. Nun feiert er seine Urständ. Natürlich hat ein Krieg immer auch einen Gegner, der zurückschießt. Den jedoch kann man im Kampf um die "gerechte Sache" nicht brauchen. Die Angriffe der Terroristen gelten daher auch nicht als eine Schlacht in einem Kriegsverlauf; sie sollen einzig die Gefährlichkeit eines fanatisierten Gegners belegen und vom eigentlichen Kriegsgeschehen ablenken. Der Gegner ist in jedem Fall ein Monster. Und wenn er schon keine Massenvernichtungswaffen besitzt, so hat er ja immerhin eine Kultur.

Er sei nicht mehr wirtschaftlich oder machtpolitisch zu begreifen, sondern nur noch als "Gefahrenherd", zumindest potentiell. Seine Kultur wird deshalb im Verriss einer Religion wahrgenommen, die per se gefährlich sei - für "unsere Kultur". So ungeschützt hatten "wir" uns bis dahin noch niemals gesehen. Zwar war schon mal der "Untergang des Abendlandes" aus Angst vor "innerer Zersetzung" ausgerufen(7); jetzt aber seien wir vor allem durch fremde Kulturen, die mit fremden Religionen gleichgesetzt wurden, vom Untergang bedroht. Schließlich erbringt dies vor allem auch ein Zusammenrücken in den eigenen Reihen und nichts kann besser für die Krisenstrategien des Kapitals sein, als die Westkulturen in der Angst vor Gewalt zu bündeln und darin seine Gewalt im Wegräumen der bisherigen Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten und Sozialleistungen zu begründen. Während die West-Staaten alles tun, um die kleinen Freiheiten der Bürger zu kappen und die Gelder zu streichen, welche bisher als eigene Kulturbedingung galten, wird Kultur zum Feindbild stilisiert, wie es bis dato nur in den Zeiten war, die vor einer faschistischen Epoche lagen. "Die Offensive des Islamo-Faschismus"(8) titelte die Zeit am 18.3.2004 und brachte ein Islam-Bild, das deren Propheten sagen ließ: "Ihr liebt das Leben, und wir lieben den Tod". Das Szenario ist gespenstisch: Schon wieder beginnt ein Teil der Presse Schritt zu fassen und in Tritt zu kommen. Und Staat und Kirche laufen mit. Schon lange nicht mehr war so viel Staat in die Lithurgie des Opferkults einbezogen, wie bei der Trauerfeier nach den Madrider Bomben-Attentaten. Die Propaganda zieht durch. Wen deren Waffen alles treffen wird, bleibt noch offen. Eins ist sicher: Es wird auch ein Kampf in der Kultur selbst sein.

Der Zusammenhang von Globalisierung(9) und Kulturkampf ist offenbar geworden. Das Kapital hat seine warenwirtschaftlichen Grundlagen längst überschritten. Es besteht als selbständige Kapitalmacht über alle wirklichen Lebenszusammenhänge, die überhaupt nur noch im Verhältnis von 1 zu 100 durch Güterverkehr begründet sind. Die herrschende Form der Globalisierung des Kapitals ist die Weltform dieser Macht. Die Globalisierung als solche muss kein Problem für die Menschheit sein, wenn es eine globale Menschheit gibt. Die Globalisierung des Kapitals muss dahin gewendet werden. Ob dies gelingt, wird davon abhängig sein, wieweit die verschiedenen Kulturen der Welt sich zu Gesellschaften entwickeln können, die in Achtung der jeweils anderen und in der Selbstachtung der Menschen das Leben auf diesem engen Globus durch das geschichtliche Zusammenwirken der Völker zu einer gemeinsamen Weltgeschichte werden lassen kann. Ein Bewusstsein der Kultur des menschlichen Lebens im Einzelnen wie allgemein ist hierfür unverzichtbar.

 

(1) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=profitrate

(2) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=logikdeskapitals

(3) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=kapital

(4) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=sucht

(5) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=tittytainment

(6) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=huntington

(7) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=untergangstheorien

(8) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=islamofaschismus

(9) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=globalisierung

1. Kultur ist menschliche Identität (11)

Kultur ist der existierende Lebenszusammenhang von Geist, Kraft, Erfindungsreichtum, Gestaltung, Liebe und Sinn, den die Menschen entwickelt und ihren Produkten und Produktionsmitteln geben und gegeben haben. Sie ist geschichtliche Gegenwart ihrer Arbeit(12) und ihrer Bedürfnisse(13), welche darin verwirklicht sind und sie ist geschichtliches Resultat aller bisherigen Produktion von Gegenständen(14) für menschliche Bedürfnisse in einem bestimmten Lebensraum zu einer bestimmten Zeit, in welchem ihr Stoffwechsel(15) vollzogen wird. Kultur ist der unmittelbare Lebenszusammenhang von Menschen, auf den sich ihre Bedürfnisse beziehen und in welchem sie miteinander verkehren und sich als Menschen betätigen, erkennen(16), anerkennen und erzeugen. Sie ist Resultat und Bedingung menschlicher Lebensäußerung, Inhalt ihres Reichtums(17), sinnliche Gegenwärtigkeit ihres Lebens, Tätigkeit und Leiden(18), Dasein menschlicher Leidenschaft.

Kultivation ist die Vermenschlichung eines Stoffes der Natur(19) (z.B. Land, das zum Acker wird, Stein, der zum Haus wird, eine Farbe oder ein Ton die zu einem Gefühl oder einer Stimmung werden usw.). Kultur ist menschliche Gegenständlichkeit, identisch mit dem Verhältnis des Menschen zu sich selbst und der Menschen zu einander. In ihr sind Tätigkeit und Verlangen, Arbeit und Bedürfnis, Werden und Gewordensein eins, aufgehoben und bewahrt in einem. Gleichgültig, wie sie sich zuträgt, ob mit stofflichem Körper als Sache(20) des alltäglichen Gebrauchs oder als Ereignis(21) (z.B. als Theater, Musik usw.), sie ist immer gegenständliches Produkt von und für Menschen, ihr Lebensinhalt als ihre Sache, der sich in der Kultur als wirklicher menschlicher Lebenszusammenhang, als Sinn und Genuß des Menschseins ausdrückt.

 

Entnommen aus:

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=kultur

Siehe hierzu auch:

(11) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=dentitaet

(12) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=arbeit

(13) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=beduerfnis

(14) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=gegenstand

(15) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=stoffwechsel

(16) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=erkenntnis

(17) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=reichtum

(18) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=leiden

(19) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=natur

(20) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=sache

(21) http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=ereignis

 

 

2. Kultur ist in der bürgerlichen Gesellschaft fremdbestimmt

Was die Menschen äußern und tun, erzeugt ihre gesellschaftliche Wirklichkeit, ihren Lebenszusammenhang. Umgekehrt ist ihre gesellschaftliche Wirklichkeit auch die Lebensbedingung ihrer Äußerung. Indem sie subjektiv sind, Bewegung bestimmen und Geschichte machen, sind sie zugleich objektiv, bewegt durch ihre bisherigen Geschichte, ihren Lebensbedingungen unterworfen. Ihre subjektive Geschichte ist immer auch ihre objektive, ihre Beziehung auf sich immer ihre Beziehung unter sich, ihre gesellschaftliche Beziehung. Diese ist ihnen nicht fremd, da sie ihr Eigentum ausmacht und ihre Kultur bezieht sich über ihre Eigenheiten, wie sie auch die organische Substanz ihres Eigenstums ist.

Die bürgerliche Gesellschaft versetzt aber alles, was den Menschen hierin zu eigen ist, was ihre Eigentümlichkeit und ihr Eigentum ausmacht, in die politische Form des Besitzes. Der Besitzstand ist die gesellschaftliche Form ihres Lebenszusammenhangs, die Privatform ihres gesellschaftlichen Wirkens. Es ist die Form, in der sich die Menschen nur in dem zwiespältigen Verhälnis ihrer gesellschaftlichen Privatheit und ihrer privaten Gesellschaftlichkeit, also nur über den Doppelcharakter ihrer Sachen wirklich beziehen können, die sie als Warenhüter besitzen oder tauschen müssen. Es ist die Wirklichkeit der Warenform. Die Ereignisse und Gegenstände ihrer Kultur existieren darin nicht als Lebensausdruck, sondern als Nutzen, als Ding, das entweder zur Vernutzung oder zum Tausch gegen andere Dinge ansteht. Gesellschaftlich existieren sie als allgemeiner Nutzen für den Tausch als Tauschmittel, als Geld, und dieses wird in der Hand des Geldbesitzers zu Kapital, wo es sich als Geld für mehr Geld verwerten lässt.

Kapital bestimmt die gesamte Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Kultur - nicht als wirkliches Wertäquivalent der bestehenden Kulturgüter und Lebensmittel, sondern als Spekulationsmittel auf ihre Verwertung zur Gewinnung von mehr Geld. Das Verhältnis von Geld als Äquivalent wirklich existierende Güter der Warenzirkulation und den Geldwerten, mit denen sie in Gang gehalten und bewegt werden, ist derzeit 1 zu 100. Solche Geldmassen können ihr Spekulationsziel nicht mehr verwirklichen, zumal die Aufmassierung der Verwertungsmittel (Produktionsmittel, Maschinen, Technologie, Intelligenz) diese zunehmend wertloser werden lässt und also der Umfang der Geldwerte in der Spekulation auch nicht mehr wirklichen Gegebenheiten entspricht. Die Krisen, welche die kapitalistische Gesellschaft hat, bestehen aus der immer wieder und immer öfter unverwirklichbaren Notwendigkeit, eine immer größer werdende Masse von Gebrauchsgütern herzustellen, die auch aus der durchscnittlichen Lohntüte gekauft werden können muss. Sie lassen sich aber nicht absetzen, weil sie von denen, die sie für ihr Leben brauchen könnten, nicht in dem Umfang und zu dem Wert erworben werden können, wie es für die Geldverwertung nötig wäre. Dieser Widerspruch, der im Kapitalismus prinzipiell unlösbar ist, hat Wirkung auf alle Geschichte, die sich um den Erhalt einer Gesellschaft dreht, die überkommen ist, und bestimmt die Kultur der Menschen zu einer Geschichte der Barbarei.

 

Siehe hierzu auch:

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=subjekt

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=objekt

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=ware

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=kapital

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=profitrate

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=krise

http://www.kulturkritik.net/lex/index_statistik.html

 

3. Bürgerliche Kultur ist die Prothese einer lebendigen Negation

Alleine schon der Erhalt eines Wertverhältnisses, das sich zwischen Spekulationen als potentielle Dienstbarkeit des Geldes zur Geldverwertung bewegt, ein Verhältnis, das vor allem in Dienstleistungsverhältnissen ein großenteils unproduktives Dasein fristet, verlangt die allseitige Bereitschaft der Menschen, zu jeder Zeit an möglichst jedem Ort zur Konsumtion beliebiger Produkte bereitzustehen, die sich aus ebensolcher Beliebigkeit an irgendeinem Ort der Welt profitabel erzeugen lassen. Die Globalisierung ist letztlich nur die finale Nutzung aller Ressourcen an Leben (Rohstoffe, nationale Infrastrukturen,unterwertige Arbeitskrafte, Suchtpotentiale), um den Irssin eines in sich längst überkommenen Wertverhältnisses zu reproduzieren, um sein Erliegen zu verhindern.

Kultur ist der einzige Stoff, der jenseits der einfachen rein physischen Reproduktion der Menschen verfügbar ist, um die Menschen den Notwendigkeiten der Beweglichkeit von Verwertungsbedingungen für ein immer absurderes Mehrprodukt anzupassen. Kapital bestimmt sich jetzt auch fort durch die Gleichgültigkeit von Arbeit und Bedürfnis - nicht jenseits davon, sondern unmittelbar darin. Durch die weltweite Fortbewegung von Arbeitsplätzen und Arbeitsstrukturen wie auch durch die Bewegung der Absatzmärkte hat weder die Produktion noch die Konsumtion kulturelle Substanz.. Was bisher als Kultur in Raum und Zeit, geschichtlich und ortsgebunden entstanden war, wird durch die Kulturverwertung selbst, durch Beliebigkeitund Gleichgültigkeit, welche dem Wertverhältnis über die bisherige kulturelle Begrenzheit hinaus nötig ist, entleert und zerstört. Die abstrakte Wertidentität löst menschliche Identität im Weltmaßstab auf, ob auf der Seite der Produktion durch Transnationale Konzerne oder auf der Seite der Konsumtion durch Tittytainment.

Die Produkte wie die Produktion selbst können also auch keinen menschlichen Lebenszusammenhang mehr darstellen. Die sinnliche Gegenwart von Mensch und Gesellschaft ist obsolet geworden. Weder Arbeit noch Konsumtion erfüllen eine andere gesellschaftiche Beziehung, als die des Geldes. Nur sein Glanz selbst scheint Leben zu vermitteln, allerdings nurmehr als Lebenseffekt, in den Reizen und Illuminationen absurder Körperwelten, abstrakte Sinnlichkeiten einer unendlichen Gereiztheit, Sucht. Dieser identitätslosen Beziehung, in welcher die Menschen objektiv stehen, entgehen sie durch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen, durch eine Welt von Lebensburgen, in denen sie sich selbst zum Lebensmittel geraten.

Immerhin hat dieses Mittel wirkliches Leben. Zugleich ist es dem unterworfen, dass es sich selbst als Sache vermitteln muss: Die Anwesenheit von Menschen als Material ihrer Selbstfindung. Die Menschen leben zugleich als Prothesen füreinander - und das ist die Formbestimmung ihrer Liebe, Freundschaften und Generationsverhältnisse (Familie): Ein jeder erfreue des anderen Leiden. Das macht alles Leben zu einem Status ohne Wirklichkeit, zur Selbstbewegung ohne Wirkung, ohne wirkliche Geschichte und doch voller kurzatmiger Ereignisse, die sich ohne Zusammenhang ablösen und zugleich einander unterbrechen. Was darin möglich ist, ist zugleich ohnmächtig gegen seine Entwicklungsnotwendigkeiten; was gerade zum Leben geboren, muss das Tote schon tragen, bevor es auf der Welt ist. "Kinder sind zur Rettung der Eltern da", schreibt Franz Kafka und meint damit die Erfüllung des Elternglücks als Rettung vor ihrer wirklichen Welt, wie überhaupt Glück in der Kultur zur Erlösung von ihrer Gesellschaft wird. Ohne dieses erscheint das Leben den Menschen als bedingungslose Unbedingtheit ihrer Bedürfnisse, Dinglichkeit des Dürfens und Bedürfens, Dürftigkeit schlechthin. Zum Ding geworden ist Leben selbst nur ein Fakt des Kapitals. Die Krise des Kapitalismus findet so auch in den Menschen, in den unterschiedlichsten Gestaltungen ihrer Lebenskrisen statt, als Leben und Tod in fortwährender Ergänzung und Aufhebung, als ewige Kreisläufe einer unendlichen Geschichte, die kein wirkliches Werden, keinen gesellschaftlichen Sinn der Menschen enthält und keinen für sie hat, Geschichte der Unterbrechung und Abgebrochenheit, die sich im Höhenflug von Heilserwartungen ertragen lässt, bis sie sich wieder im Sturz in ihre Barbarei zerstört.

Im Großen wie im Kleinen: Ihre eigene Geschichte wird den Menschen zum Schmerz ihrer Liebe. In den Medien der Kultur, in den Filmen, Talk-Shows und Essays, geht es daher auch fast nur noch um dies - und um die vermeintliche Potenz ihrer besonderen Einzelheit, ihrer Eskapaden, die in einem bühnenreifen Eskapismus wie ein Zuckerbrot der Lebensfülle dargeboten werden. Die Menschen haben nach dem Zusehen meist das Nachsehen. Was sie wahrhaben, nehmen sie nicht wahr und was sie wahrnehmen haben sie nicht wahr. Im Kulturkonsum lasst sich beides vereinigen wie eine seelische Ganzheit, die dem Leben zwar keine Wahrheit, aber zumindest einen Funken verschafft, durch den es sich erkennen wie auch verdrängen lässt. Ihre Gefühle werden den Menschen zur ausschließlichen und ausschließenden Lebensgrundlage. Was aber darin gerade noch Glück war, kann jetzt schon Unglück sein, was gestern nützlich war, kann heute schon vernutzt sein. Jedes Mittel hat seine Tücken, so auch das Leben als Lebensmittel.

Was anderswo wirtschaftliche Armut ist, ist in den reichen Gesellschaften kulturelle Verarmung in der Zwischenmenschlichkeit der Lebensverhältnisse. Ihre Kultur folgt dem Gebrauch der Sinne zum Überleben ihrer Sinnlichkeit, ihrer Realabstraktion. In den Fetischen der Körperlichkeiten wird dem Sinn gedient der sie beherrscht: Den Ereignissen, welche Lust machen in einem ansonsten lustlosen Leben. Gemachte Lust ist auch eingemachte Lust, konserviert in tausend Facetten des Herzflimmerns, vervielfältigt und verbreitet durch die Medien, die sich zur eigenen Sphäre einer Bühne für den Lebensalltag entwickelt haben. Die Gewohnheiten werden gerichtet, indem Ungewöhliches inszeniert wird, indem berichtet wird, was hiergegen als Besonderes erscheint: Das Gewöhnliche, das Herausgehoben ist durch das Medium, um es als ungewöhnlich standhaft im Trubel der Gewohnheiten zu festigen. Zugleich steht hierbei auch das Ungewohnte vor einem Gericht, wo es niemals Recht haben kann, wo es, so es nicht Gewohnheit ausrichtet, zum Untergang gebracht wird. Die Medien haben eine sprichwörtlich tragende Bedeutung für das Gefühlsleben der Menschen bekommen, da vor allem dort formuliert wird, was ansonsten sprachlos bliebe, weil es keine wirkliche Vermittlung in den Schluchten und Abgründen der gesellschaftlichen Isolation der Menschen zwischen den Menschen findet. Kultur wird, was als Kultur genießbar und verständlich ist. Der Verstand selbst wird zum Agitator des Kulturkonsums, zur Regie auf der Bühne der kulturellen Allgemeinheit. Die Szene erscheint als das eigentliche Leben, weil sie sich jeglicher wirklichen Tätigkeit enthebt. Hier wird das Glück geschmiedet, dessen Schmied anderswo jeder sein soll.

Es ist ein gefährlicher Seiltanz, der den Medien die Macht zur Steuerung des Bewusstseins leise und schleichend überstellt. Und das Prinzip des Kulturkonsums ist konservativ: Konsum ohne Erzeugnung, Erzeignis ohne Welt, Konserve ohne Wirklichkeit. Hier kommt die Empörung auf nur gegen das Ungewöhnliche, das sich aus der Welt ergibt. Die Selbstverständlichkeiten des Verurteilens von allem, was die Gefühle stört, sind zur selbstverständlichen Kulturfähigkeit geworden. Es bedarf lediglich der Bilder und der Banner, um sich Bilder zu machen und zu verbannen. JedeR vierte Deutsche ist schon wieder antisemitisch eingestellt.

 

Siehe hierzu auch:

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=dienstleistungsgesellschaft
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=tittytainment
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=logikderkultur
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=zwischenmenschlichkeit
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=zwischenmenschlicheverhaeltnisse
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=liebe
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=wahrnehmen
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=wahrhaben
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=gewohnheit
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=isolation
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=antisemitismus

 

4. Globalisierung ist globale Kontrolle der Menschen durch globale Administration ihrer Kultur

Die Kulturen der Welt sind längst subsumiert unter die inneren Zwänge und die äußeren Gewalten des Kapitalismus. Schon im Kolonialismus wurden Kulturen geplündert und Strukturen erzeugt, indem die "Fortschrittlichkeiten" der bürgerlichen Gesellschaft in die Zentren der noch unbürgerlichen Gesellschaften gepflanzt worden waren, um dort ihre Fortbestimmung zu finden. Diese Kulturbestimmungen beruhten auf der Verlockung durch Geld und Macht. Die daraus sich ergebenden Monokulturen erbrachten schließlich die Abhängigkeit vom Reichtum der bürgerliche entwickelten Länder, so dass die unentwickleten sich im Zeitalter des Imperialismus ihren Marktgesetzen überantworten mussten. Damit war das Gesetzt ihrer Verarmung beschlossen. Die weltweite Ausbeutung der Armut ist der organische Kern des Kapitalismus. Er erscheint darin als bloßes Marktgesetz, das regelt, welcher menschliche Aufwand sich unter den Wertverhältnissen des Kapitals mit welchem Umfang menschlicher Produkte ausgleicht. Und dahinter steckt die Naturgewalt eines Vergleichs, dessen Bewertung vor allem aus der Ungleichheit des Besitzstandes resultiert, diese vergrößert und in widersinnige Extreme von Armut und Reichtum treibt.

Aber nicht nur der billige Abkauf von Rohstoffen und Lebensmittel, sondern auch der Entzug von Menschen aus den "unterentwickelten" Kulturkreisen war und ist kulturbestimmend. Die "Gastarbeiter" seit den späten 50ger Jahren haben einen bedeutsamen Anteil am deutschen "Wirtschaftswunder" und Wohlstand, den sie nicht in ihren Herkunftsländern erzeugen konnten, weil dort keine amerikanischen Bewirtschaftungspläne genügend Kapital locker gemacht hätte. Die Kulturmischung der Arbeitskräfte war aus den Marktentwicklungsstrategien der USA für Europa entstanden und hatte den großen Vorteil, die deutschen "Arbeitnehmer" in die Kosumtion des Mehrprodukts teilweise und nach Maßgabe der Martksteuerung durch die Krisenpolitik einzubeziehen. Da die Konsumtion das entscheidende Moment der Überwindung kapitalistischer Krisen ist, war ein steuerbarer Krisenpuffer entstanden, der zugleich zumindest zeitweise eine hohe soziale Befriedungsfunktion in der deutschen Bevölkerung hatte.

Man könnte meinen, dass die Mischung der Kulturen befruchtend für alle sei. Das mag zum Teil auch zutreffen, ist aber für den Großteil der Bevölkerung eher eine Kulturbelastung, die durch wirtschaftliche Vorteile mehr oder weiniger gut ertragen wird. So wird z.B. berichtet, dass viele Türken ihre Kultur hinter verschlossenen Türen pflegen und vor denselben als Deutsche auftreten. Von der Bewertung ihrer Arbeitskraft leben sie zum großen Teil weit unter der deutschen und ihren Lebensstandard akzeptieren sie vor allem im Vergleich zu ihrem Herkunftsland. Wirtschaftlich gesehen existieren sie ganz unten, setzen sich dafür kulturell deutlich "vom Westen" ab. Ihre Kultur, ihr Glaube und Brauchtum, kompensiert ihre Ausbeutung. So dürfte es auch international und zwischen den armen und reichen Ländern sein. Kultur wurde zum Austragungsort von Klassengegensätzen.

Dies gilt nicht nur für die Ärmeren. Vor allem die Reichen haben ein großes "Problem" mit ihrem Kapital, das sie gerne hinter einem "Kulturproblem" verschwinden lassen. Der Widerspruch des Kapitals zwischen Mehrwertrate und Profitrate kann sich nur in der Vermassung von Produkten bei gleichzeitiger Minimalisierung ihrer Produktionskosten bewegen, ohne zusammenzubrechen - und dies in stetig wachsendem Ausmaß. Die Produkte müssen unendlich viel und äußerst billig sein, soll der Kapitalismus funktionieren, soll also die Produktion die Bedingung des Kapitals erfüllen, bei minimalen Produktionskosten (niedrige Löhne, Rohstoffe und Infrastruktur) mit minimalen Produktpreisen (dass sie aus den Lohntüten auch bezahlbar sind) einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Ihre Verbilligung bedeutet nicht nur, wie oben beschrieben, eine Abstraktion von ihrer gesellschaftlichen Bezogenheit und ihrer unmittelbar menschlichen Substanz, sondern vor allem Beherrschung des Marktes für Rohstoffe und der Brauchbarkeit der Produkte: Ausmerzung nicht kapitalistischer Einflüsse und Konkurrenz. Die Westprodukte setzen sich nur durch, wo und wenn sie die Preise für Rohstoffe und die Kultur der Märkte bestimmen können. Wo Geld nicht das finale Lebensmittel ist, da befürchtet das Kapital nicht ohne Grund seinen Untergang. Es geht ihm daher auch um die weltweite Ausbreitung der Kultur des Geldes. Und diese widerspricht aufs Äußerste allen Kulturen, welche noch menschliches uind zwischenmenschliches Leben - wenn auch oft widersprüchlich - äußern. Die Kultur des Geldes ist die Weltherrschaft des Kapitals, die vollständige Unterwerfung des irdischen Lebens unter seinen Verwertungstrieb, die vollstänge Verarmung der Menschheit für den Reichtum einer kleinen Zombieklasse, welche über alle Gewaltmittel gagen das Leben der Menschheit verfügt und die Produkte das Kapitals als Lebenssubstitute veräußern kann, als Suchtmittel zur Beherrschung aller menschlichen Selbstbestimmung.

Lange bevor terroristische Aktivitäten die täglichen Nachrichtensendungen überfüllten, waren sich die USA klar darüber, dass sie "ihre Probleme mit der Zukunft" nur lösen können, wenn sie "die Märkte ihren Bedürfnissen anpassen könnten". Die bestehenden Marktgesetze reichten nicht mehr hin, um den Quantifizierungstrieb des Kapitals zu befriedigen. Es musste Armut nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch erzeugt werden, um den Absatz von Billigprodukten auszudehnen. Die Zerstörung eines armen Landes macht es zwar noch ärmer, zugleich aber potentiell reich an Westprodukten, von denen die Armen dann dauerhaft abhängig sind. Die längst geplanten Weltordnungskriege sollten dies erwirken. Ein entsprechender Macchiavellismus gesellte sich zur amerikanischen Wirtschaftspolitik. Huntington machte aus all dem seinem Bestseller "Der Kampf der Kulturen", der eine objektive Gefahrenlage der "hochzivilisierten Westkulturen" durch die Kultur- Migrations- und Gewalteinflüsse fremder Religionen begründet haben will. Die neokonservative Politik war geboren, die darin erneuerte Bushregierung wurde mit Bush Junior gewählt.

Dies war der geplante Angriff auf alle armen Länder und der war auch als solcher zu erkennen. Die Armen bereiteten sich hierauf vor, indem sie für den Dschihad zu opfern bereit waren. Sie hatten nichts mehr zu verlieren und in ihrem Glauben zudem noch eine Heilserwartung, die sie über die bestehende Welt hinausragen ließ. Doch niemals wurde ein Dschihad ohne Grund ausgerufen und kein Mensch ist ohne wirkliche Lebensbedrohung um Sterben bereit. Seit dem 11.9.2001 sind die Weltordnungskriege, der III. Weltkrieg, offen in Gang. Ihr Ziel ist, die USA oder zumendest den Westen zum Kulturadministrator der Welt zu machen und ein gigantisches Waffensystem auf jeden zu richten, der sich ihm widersetzt. Ideologisch und politisch wird nun die Terrorbekämpfung als Notwehr der westlichen Nationalstaaten und ihrer Bevölkerung ausgegeben. Das ist ein wichtiges Arsenal der Kulturpropaganda, die sich inzwischen auch in pompösem Ausmaßzu zelebrieren versteht. Immerhin wurde sie schon von einigen Angehörigen der Madrider Terroropfer abgelehnt.

Siehe hierzu auch:

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=ausbeutung
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=armut
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=devisenmarkt
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=mehrwertrate
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=profitrate
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=wertwachstum

5. Bewegung in der Kultur ist der Aufstand gegen den Weltkapitalismus

Die Globalisierung ist ein weltweiter Angriff des Kapitals auf die Kulturen der Völker und die Menschen überhaupt. Sie kann sich weder nur ökonomisch, nur kulturell oder nur militärisch entwickeln, sondern muss dies als Einheit einer Weltpolitik betreiben, in der sich das Entwicklungsinteresse des Kapitals als Weltinteresse einer ökonomischen Kultur ausnimmt, die es zu "verteidigen" gälte.

Dem gegenüber gilt es, Kultur nicht nur zu verteidigen, sondern auch zu ent-decken, zu eröffnen und zu bilden. Sie ist in den Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaften verfangen und muss zuerst in ihnen ihre Kraft gegen den Kapitalismus jedweder Art und Form finden.

Dies bedeutet nicht, dass Kultur selbst eine Form jenseits der Menschen habe. Im Gegenteil: Sie ist ihre Lebensform selbst. Es kann also nicht darum gehen, ihr eine politische Ordnung zuzuweisen (z.B. Nationalstaat, Gemeinde); es geht im Gegenteil darum, die politischen Form als Mittel der Kulturbeherrschung zu sprengen. Auch wenn z.B. in Nationen oft Kulturkreise zusammengefügt sind, so ist die Nation keine Kulturform, aber Kultur auch nicht einfach international. Kultur ist ein Lebensverhältnis, das sich durchaus von anderen Lebensverhältnissen recht wesentlich unterscheiden, sich aber mit anderen Verhältnissen auch recht gut verbinden kann. Gewalt und Zwang gegen Kultur kommen immer von wo anders her und vermischen sich in ihr zu einer explosiven Gewalt, wenn die Herkunft des Unterschieds nicht erkannt wird, aber sein Elend gebannt werden soll (siehe Rechtsextremismus).

Kultur ist schon dort bezwungen wo wir leben. Unsere unmittelbaren Lebensverhältnisse sind ebenso Kulturgestaltungen, wie es auch ihr mittelbares Dasein z.B. als Kunst, Grafik, Recht, Medien oder Wissenschaft sind. Eine Verständigung über Kultur ist eine Selbstverständigung unseres Lebens, das auch ein Begreifen seiner Bedrängung umfasst. Diese ist nicht uns äußerlich. Nicht weil eine Welt uns bedrängt, ist unser Leben in Bedrängnis, sondern weil unser Leben nicht wirklich aufgehen kann, weil es sich zwischen den Momenten der Kultur, der Politik und der Wirtschaft zerteilen muss, weil es sich von einem zum anderen entstellt und das Fremde im Eigenen sich zuträgt, müssen wir Kultur als eine gesellschaftliche Tat-Sache von uns selbst auffassen.

Überall, wo Kultur gemacht wird, sich ereignet oder reflektiert, sind wir in Gesellschaft: Im Konzert ebenso wie im Beruf oder in einer Vorlesung. Was hier gedacht, dort gemeint und da empfunden wird, hat Auswirkung auf unser Lebensverständnis. Wo Kultur auch unmittelbar politisch daherkommt (z.B. in der Presse, der Hochkultur, der Wahlpropaganda, den Medien usw.), steht unser wirkliches Leben in Beziehung zur Politik, welche Urteile abgibt, Bewertungen betreibt und Menschen sortiert.

Kritik der politischen Kultur heißt daher, die Beziehung zum wirklichen Leben zu beachten und zu achten, dessen menschliche Beweggründe zu verteidigen und alle Reduktionen des Lebens (z.B. Ideologie, Kulturkonsum, Entleibung usw.) zu bekämpfen. Das dies im Grunde wirklich nur Selbstverständigung ist, mag für den trivial klingen, der sich des Umfangs dieser Verständigung noch nicht im klaren ist, weil das Verhältnis des Menschen zu sich selbst meist nur als Verhältnis des Individuums begriffen wird: Selbstverständigung ist eine gesellschaftliche Tätigkeit, welche unmittelbare Kulturarbeit ist, wie sie in den Liebensverhältnissen, den Familien, den Kulturereignissen, den Wissenschaften, den Medien, den Berufen usw. volzogen wird. Täglich treibt sie uns einen Schritt weiter, ohne dass wir uns dessen vielleicht bewusst sind. Gerade waren wir noch in der "Spaßgesellschaft" und schon sind wir mitten im Krieg; gerade noch war Terror das Unglück auswegloser Verhältnisse und schon titelt ihn die Presse als das Weltproblem schlechthin. Die Gefühle strömen in unbegriffenen oder gar unbegreifbaren Verhältnisse ins Metaphysische. Die Absichten auch. Das wissenschaftliche Denken reduziert sich auf sich selbst. Die Zerstörtheit wird zum Subjekt von Zerstörung. Besorgnis allerorten, ohne dass die Sorge sich wirklich um den Menschen selbst mehr dreht.

Kritik der politischen Kultur ist Selbstverständigung über das menschliche Leben, die sich auch konkret und praktisch und lebendig äußert. Die tägliche Auseinandersetzung mit der Berichterstattung, den Ereignissen, den Events gehören ebenso dazu, wie die Verarbeitung von Gefühlen der Verbundenheiten und Trennungen, der Unterscheidungen und Verschmelzungen, der Erbauung und Destruktion. Nur im Kleinen kann das Leben erkennbar und begreifbar sein, das sich auch im Großen vollzieht. Im Kleinen auch wird nur deutlich, was Politik ausmacht, Wille und Macht. Und im kleinen wird das Leben gezeigt, entdeckt und verwirklicht, das auch im Großen aufgehen soll. "Eine andere Welt ist möglich" (Attac). Gewiss. Aber sie ist auch schon da. In der Armut steckt die Lähmung der Welt und der Grund aller Bedrohlichkeit und Barbarei. Sie ist die Grundlage dessen, was sich als Reichtum gibt. Wo dieser Reichtum kein menschlicher Reichtum mehr ist, da wird der Aufstand der Armen zur Überlebensfrage der Menschen, weil dort die Bedrängung der menschlichen Entwicklung und Emanzipation erkennbar ist. Nicht die Armut ist die Kritik des Reichtums, sondern der Reichtum in der Form der Armut, der bedrängte und ausgebeutete Reichtum, das Vermögen, die Welt der Menschen menschlich zu gestalten: Das menschliche Arbeits- und Gestaltungsvermögen, die Potenzen seiner Arbeits- und Lebensmittel. Dieses muss als die Wirklichkeit unserer Kultur herausgestellt werden, um die Wirkung des Kapitals auf die Kulturen der Welt aufzulösen. Was sich daraus ergibt, ergibt sich wie das Eine, das aus dem Anderen folgt.

 

Siehe hierzu auch:

http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=nationalismus
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=kulturkampf
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=realabstraktion
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=kulturarbeit
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=armut
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=Reichtum
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=politik
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=wille
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=Macht
http://www.kulturkritik.net/lex.php?lex=barbarei

 

Wolfram Pfreundschuh