Wolfram Pfreundschuh (10.12.10)

Die Politik der Medien ist das Medium der Politik

Vor genau 5 Jahren, am 9. Dezember 2005, machte ich zusammen mit Eckhard Thiel die erste reguläre Sendung der Kulturkritik München. In jener ersten Sendung stellte ich das Konzept einer Kulturkritik vor, die „das Gebälk der herrschenden Gewohnheiten aus dem Trott bringt, unüberwindlich scheinende Sachzwänge durch Nachdenken relativiert und aus der stumpfen Akzeptanz befreit“. Es sollte um die Kritik der „Täuschung und Verbrämung der Lebensbedingungen“ gehen, welche „die Menschen nicht so sein lassen, wie sie sind“, weil sie ihnen etwas vormachen müssen, damit sie werden, was sie sein sollen.

Heute kann man erkennen, dass diese Verbrämungen eine neue Dimension erreicht haben. Was damals noch meist als eine äußerliche Einwirkung der Politik auf die Menschen wahrgenommen wurde, ist heute zu deren eigenem Betätigungsfeld geworden. Vor allem durch die Medien werden sie in das Interesse einer Allgemeinheit gestellt, die nur noch wenig mit ihnen zu tun hat, die ihnen aber sehr viel abverlangt, was einfach nur noch ertragen werden soll, weil es sich angeblich nicht mehr ändern lässt. Das betrifft nicht nur Steuern und Lohnverbilligung, sondern ihre unmittelbarsten Lebensumstände. Ihre Städte und Verkehrsmittel, ihre Energie- und Wasserversorgung, ihre Mieten und Kommunikationsmittel, stehen schon lange unter dem Diktat des globalen Finanzkapitalismus. Heute wird die Bevölkerung an diesem Diktat beteiligt, indem die Medien ihre Proteste gerne öffentlich veranstalten, medial aufbereiten und abschließend kommentieren, sie also zum Abschluss einer Vorstellung bringen, die heute erregt hat, was morgen wieder beruhigt ist. Die Medien folgen dem Bedarf an populistischer Stimulation für das Große und Ganze. Und das ist dann nicht mehr die rein formelle Gewalt des Kapitalbesitzes, der alles bestimmt. Das sind die großen Leistungen, die eine Bevölkerung aufbringen kann, das allgemein Gute für die Gemeinschaft, für das Gemeinwohl, das sind Sparpakete und Bauvorhaben, Lohnabgaben und Verlängerung der Lebensarbeitszeit, und wenn es sein muss, auch die Bereitschaft, das sogenannte „Tafelsilber“ zur Verfügung zu stellen, damit die Kommunalkassen die Folgekosten der Krisen bewältigen können, dem Geldbedarf eines Kapitals folgen, das immer schon zuviel Geld hat und immer wieder frisches Geld benötigt, um sein entwertetes Geld in seinem Wert dennoch erhalten (siehe Negativverwertung). Die Menschen sind von daher zwar gezwungen zur Beteiligung  an der Kapitalisierung ihrer Grundversorgung, sie dürfen sich aber gerne an der Diskussion hierüber beteiligen, um die Werthaltigkeit ihrer Lebensumstände auch noch zu befördern. Denn wer das große Prinzip im Kleinen auch noch als Vorteil erleben kann, der wird das Kleine auch im Großen bestärkt sehen wollen.

Die Medien haben daher sich in der Akklamation der Bürgerbeteiligung für höhere Belange auch weiterentwickelt. Inzwischen wird der Widerstand der Bevölkerung selbst kassiert und medial zu einer öffentlichen Diskussion um das Mögliche und das Nötige aufbereitet – so, als gäbe es keine andere Welt mehr als die des öffentlichen Palavers und der persönlichen Beteiligung hieran, des Smalltalks von Mensch zu Mensch in den Talksshows dubios verbündeter Persönlichkeiten, die sich über die Sorge um eine Zukunft der allgemeinen Verhältnisse verständigen, der sie im einzelnen zugleich voll vertrauen. Da wird viel Aufwand für Einwände im Einzelnen betrieben, die sich leicht auch als Zuspruch zum Allgemeinen wenden lassen (1).

Die Medien verschaffen hierbei den großen Talk, den friedlichen Konsens, das Miteinander der Betroffenheiten, die leise Verständigung über das Übel, das die Privatisierung der Verkehrsmittel und Rohstoffquellen mit sich bringt. Sie machen natürlich nicht gerade Werbung für die so genannten „Public-Privat-Partnerships“ ihrer Kommunalregierung. Aber sie machen sie selbstverständlich, verschaffen Belege zur Notwendigkeit der Geldbeschaffung durch das Verkaufen und Verleasen von Flughäfen und Autobahnen, der Telekomunikation und Abfallbeseitigung, der Altenheime, Krankenhäuser und Vollzugsanstalten, der Kanalisation, Bäder und  Sportarenen und anderes. Die Medien verbreiten die Botschaft einer Mangelwirtschaft, welche in Wahrheit der Mangel der Kapitalwirtschaft ist. Und durch das medial abgesicherte Eingeständnis eines allgemeinen Mangels werden nicht nur die Industrieanlagen und Dienstleistungsunternehmen, sondern auch öffentlicher Besitz zunehmend selbst zum Spekulationsobjekt der Finanzmärkte und Finanzgesellschaften – gerade so, als könnte es nicht anders sein, weil die Spardosen eben geplündert werden müssen, wenn Zahlungsforderungen ins Haus stehen. Natürlich müssen dann auch ganze Stadtviertel günstig verkauft werden, damit ihr Immobilienwert zur Schuldenfinanzierung taugt. Nichts ist schlimmer als der Geldmangel, egal, wodurch der entstanden war.

Solange die Bevölkerung sich nur am Mangel orientiert, den das Kapital auftürmt, solange sie sich nicht an die Gründe der kapitalistischen Mangelwirtschaft macht, solange sie die Verschuldungspolitik des kapitalisierten Staates zu ihrem Anliegen, zum Anliegen des enteigneten Schuldenzahlers macht, solange sie die Produktivität der Arbeit nicht aneignet, die Erweiterung der Freizeit nicht fordert, sondern sich um den Schwund der Arbeitsplätze besorgt und alles für deren Erhalt tut, was immer er allgemein erfordert, wird sich daran auf Dauer nur eines ändern: Sie bleibt nicht Objekt der Kapitalmacht, sondern wird selbst zum Medium einer Politik, deren Produkt sie zunehmend auch selbst sein wird. Sie wird in ihrer Teilhabe an dem Kapitalisierungsprozess zum Handlanger einer Kapitalanwendung, die das Leben der Bevölkerung zur Verpflichtung auf eine Arbeitsleistung verewigt, die nicht wirklich ihr zugute kommt sondern sie im Gegenteil zunehmend dazu verpflichtet, auch noch die Verwüstungen zu bewältigen, die das Kapital in seinem Verwertungsstreben hinterlässt.

Geißlers “Schlichtung“ zu Stuttgart 21 bestand aus einer “Rückgewinnung des Vertrauens der Bürger“, die dem Bahnprojekt sehr zuträglich war und eigentlich völlig offen lässt, was sein wird. Dabei ist allerdings für die “Bauherren“ ganz klar und unbenommen, was durchgesetzt werden muss, um die Bahn-AG entsprechend den Bedürfnissen des Finanzmarktes zu gestalten - und auch wer den Mehraufwand zu tragen hat: Die Steuerzahler. Aber Geißler hat immerhin gezeigt, wie öffentliches Bewusstsein ohne öffentliche Macht funktioniert und worin es endet: Im bloßen Verbessern der herrschenden Bedingungen, die umso mächtiger werden, je reibungsloser sie funktionieren. Das macht seinen “Schiedsspruch“ zum optimalen „Schwabenstreich“, denn er hat den Zuspruch des weitaus größten Teils der Bevölkerung erworben und lässt nun als “Volkeswille“ erscheinen, was die Herrschenden nötig haben. Immerhin durften sich engagierte Bürger ja mal zu dem äußern, was ihnen als allgemeine Notwendigkeit vorgehalten wurde, und sie durften ihr Wissen einbringen und die „Ratio des Volkes“ erläutern, auf Augenhöhe, wie betont wurde, wie immer diese Höhe bestimmt war. Sie hätten sich aber auch gar nicht anders verhalten können, weil es ihnen eben doch auch um eine bessere Lösung gegangen war. (2)

Und was man lösen will, lässt sich auch auflösen, indem man die Medien zur Verbrämung der realen Konflikte und Verhältnisse zu nutzen versteht, die Vorstellungen hierzu mit ihrer Wirklichkeit vertauscht, ihren Gegensatz als ihre Einheit, als Beteiligung der Gegensätze in ihrer Auflösung auszugeben. Es war Geißlers Bravourleistung, das öffentliche Bewusstseins erstmals in aller Öffentlichkeit und mit der vollständigen Unterstützung der Medien und einer aufgebrachten Bevölkerung mit einem kapitalnotwendigen Großprojekt zu verschmelzen. Er hat gezeigt, dass die Politik der „Public-Privat-Partnership“ (PPP), die „Öffentlich-Private Partnerschaft“ (ÖPP), sich auch auf die Entwicklungen des Bewusstseins anwenden lässt – und zwar gerade dort, wo Wissen über den Zusammenhang der Verhältnisse besonders nötig wäre.

Mediation und die politische Funktion der Medien.

Die Medien sind bei alledem dennoch das verbliebene gesellschaftliche Forum der privaten und politischen Öffentlichkeit, auch wenn das mediale Streben nicht unbedingt der öffentlichen Entwicklung des Bewusstseins dient. Immerhin wird dort Bericht erstattet, informiert, Ideen vorgestellt, Kritik geäußert und Hintergründe eröffnet. Nur durch die Medien erfahren wir, was geschieht, was die Banken und Finanzmärkte so treiben, was uns politisch seitens der Regierung noch so alles ins Haus steht und was die afghanische Bevölkerung über die deutschen Krieger so denkt. Auf jeden Fall sind sie das Medium der Aufklärung, die Zusammenführung, von Information, Politik und Kultur in einer Vernunft, wie sie sich allgemein zumindest eben vorstellen lässt.

Allerdings hat die auf medialem Weg vorgestellte Vernunft auch ihren eigentümlichen Trieb. Sie will nicht unbedingt wirklich eingreifen, Verhältnisse ändern oder gar Aufstände schüren. Sie will vor allem befrieden, ein Lot finden, in dem sich öffentlich erkennbar gewordene Probleme auflösen lassen. Jeder halbwegs aufgeweckte Journalist sieht sich selbst als einen Mediator, der Probleme benennt, Unzulänglichkeiten, Ungerechtigkeiten und Gemeinheiten veröffentlicht und Lösungswege innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Formationen diskutiert. Und natürlich muss er damit auch dem Bedarf nach Anpassung an die herrschende Logik folgen. Und natürlich gibt es dabei sehr viele „Fehlanpassungen“, nicht nur politische Außenseiter oder Terroristen, sondern auch Betrüger, Diebe und Mörder. Die werden fast täglich durch die Medien mit hoher Beachtung und Einschaltquote herausgestellt - ob sie nun aus der Wirtschaft, der Politik oder Kultur heraustreten oder durch Fernsehkrimis ihren Unterhaltungswert beweisen. Das Gute kann sich eben nur durch das Böse bestimmen. Medial interessant ist daher das Disfunktionale, nicht das wirkliche Alltagsgeschehen, nicht die tagtägliche Maloche und Selbstbeherrschung, selten genug das Verhandeln auf den Märkten und in den Gerichtssälen – wenn es nicht von Schauspielern und nach Drehbuch und Regie dargestellt wird.

In den Medien herrscht die Vorstellung im vielfachen Sinn des Wortes. Sie machen allein schon durch ihre Aufführung prominent, was den Wünschen der Menschen entspricht, was sie erhoffen oder was ihnen und ihrer je einzelnen Erfahrung entgegen kommt, wenn dies nur eine bestimmte Einschaltquote, also eine bestimmte Menge an Aufmerksamkeit erreicht (3). Die Individuen werden aus ihren zerklüfteten Erfahrungswelten herausgenommen und in eine Allgemeinheit gestellt, die nirgendwo sonst möglich ist. Ihr völlig verschiedenes, oft extrem gegensätzliches Leben wird in solcher Vorstellerei zu einem Einklang gebracht, der jeden ganz allgemein Mensch sein lässt, was immer auch seine kulturelle, politische und wirtschaftliche Gegenwart sonst bestimmen mag. Ob nun sein Leiden durch Vorstellung herabsetzt oder emporgehoben, seine gesellschaftliche Funktion aufgewertet oder misskreditiert wird, das entscheidet alleine das Medium selbst, in das er sich einlässt oder von der er aufgegriffen wird. Alles Vorgestellte darf sich dort eben auch mal selbst vorstellen, und wenn nicht, dann wird es einfach vorgestellt. In endlos vielen Talkshows berichten dann auch die politischen Entscheider über sich als Betroffene, als „Menschen mit besonderer Verantwortung“ – eben auch als besonders menschliche Menschen. Und dabei werden dann - zumindest sprachlich – so ganz nebenbei auch mal neue Werte geschaffen: Aus Geldinvestoren werden Leistungsträger, aus Manager Verantwortliche und aus Arbeitslosen Arbeitsverweigerer. Ganz im Unterschied zu ihrer Wirklichkeit geht es hier vor allem um das Klischee des Menschseins, dessen unterschiedliche Stellung in der Gesellschaft zur Aufstellung normativer Wirklichkeit wird.

Die Medien betreiben die Vorstellung eines Wesens Mensch, wie es Psychologie und Populismus hervorkehren können und das dann auch politisch und wirklich die Gewohnheiten des Wahrnehmens bahnt, was immer die Menschen dabei zugleich wahrhaben mögen. Es geht medial eher um ganz einfache Anliegen, um Angstbewältigung, Befriedung und Befriedigung in einer Gesellschaft, die in Wirklichkeit erstarrt ist, längst nicht mehr wirklich sein kann, was sie aber zu sein vorgeben muss, um als Gesamtwerk von Menschen gelten zu können. In den medialen Auflösungen werden vor allem die Verhältnisse befriedet und zu einer Form gewöhnlicher Wahrnehmung gebracht, die dann auch in Wirklichkeit resistent gegen jede tiefergehende Erkenntnis bleibt – eben weil sie selbst schon Gewohnheit und daher eine Auflösung enthält, also selbst auch schon wie eine Auflösung wirkt, wenn sie auf dem Sofa in den Wohngemächern der Bürger nebst Knabberzeug und Getränke konsumiert wird. Die bürgerliche Zufriedenheit ist immer Selbstzufriedenheit und darin wird die Bequemlichkeit selbst zur Gewohnheit. Es befriedigt sich der Bürger an seiner Privatheit im Gemäuer seiner Besitzstände, und der politische Bürger, der Citoyen, bleibt dabei zwangsläufig auf der Strecke.

Und das ist gewollt. Das wissen die Strategen, Politiker und Philosophen sehr genau; das diskutieren sie auf ihren Kongressen und in ihren Ausschüssen. Die Medien funktionieren nicht zufällig. Ihre Vorstellung ist eine Veranstaltung der Eliten, welche die Notwendigkeiten des Zeitgeistes kennen und überhaupt nicht von Einschaltquoten abhängig sind, sondern vor allem diese selbst erst durch ihre Vorkehrungen bewirken. Die bestehen aus Provokationen und Aufreizungen, Statements und Totalisierungen, durch welche öffentliche Aufmerksamkeit entsteht und sich die Medien einschalten und sich als Medium der Politik nutzen lassen. Auf dieser Promenade erst erfahren elitäre Positionen die Macht der Öffentlichkeit, des öffentlichen Palavers und der öffentlichen Darbietung, und können in einer repräsentativen Demokratie, die auf das reine Meinen und Dafürhalten setzt, sich vor allem dadurch durchzusetzen, dass sie sich im Diskurs auf das Zweckhafte reduzieren, sich darstellen und zugleich zurücknehmen oder differenzieren, dass sie eben durch ihre besondere Position sich auch populär verallgemeinern, sich auch „unters Volk“ mischen können. In den Medien allerdings treten sie dann bald auch als Kulturelite auf, als Träger von Kulturnotwendigkeiten, als Funktionäre der Verantwortung für das Ganze, die sich dort durch die Griffigkeit ihrer allgemeinen Deutungen auch plausibel machen lassen, weil sie als Sinnstifter und Stichwortgeber gelten können. Sie wollen durch Kulturvermittlung das öffentliche Bewusstsein auf den Punkt bringen, der zugleich Springpunkt ihres Entwicklungsinteresses ist oder werden kann. Sie wollen das Bewusstsein der Menschen dahin bringen und daran binden. Hier müssen sie nicht als Lobby für besondere Anliegen auftreten; hier können sie sich selbst als Vertreter des allgemein Nötigen aufstellen und nutzen als solche die Medien als Medium ihrer Politik (vergl. hierzu z.B. die Entstehung des Begriffs „Tittytainment“).

Das Medium der Politik

Wenn Alltagserfahrungen in den Medien als so etwas wie eine allgemeine Notwendigkeit des Faktischen aufgenommen werden können, die als Formulierung des Sachzwangs, als notwendige, also alternativlose Form des Allgemeinen das politische Bewusstsein binden, es an sich fixieren, so entsteht nun umgekehrt die Frage, wie eine Politik der Medien dann überhaupt noch funktionieren kann. Was einfach nur nötig wäre, dass ließe sich doch auch ohne dies machen, ohne diese Veranstaltung und Zurschaustellung. Es entsteht also auch die Frage: Warum braucht Politik überhaupt die Medien und wie entsteht sie aus der Alltagserfahrung heraus und wie wird daraus ein politisches Medium?

Erfahrung ist immer unmittelbar und unmittelbar erfahrbar sind Wirkungen, Unterschiede, Veränderungen. Unmittelbar erfahrbar ist nicht, was wirklich wesentlich ist. Wir können z.B. sofort bemerken, wenn sich Preise ändern, lange aber nicht, warum das so ist. Um ein Urteil zu bilden, eine Entscheidung zu fällen, kann man sich nicht auf die erfahrbaren Erscheinungen eines Verhältnisses reduzieren, seine Notwendigkeiten schildern und deren Aufhebung einfach einfordern. Um etwas zu beurteilen ist die Kenntnis oder Erkenntnis der Zusammenhänge, also des Grundes notwendig, der sich darin verhält, - also Wissen zu bilden. Aber gerade wo das nicht geschieht, wo es nicht möglich ist oder nicht wahrnehmbar werden soll, da werden Medien als Einrichtung kultureller Interessen genutzt, da entsteht in der allgemeine Sphäre der Unkenntnis ein kulturell notwendig erscheinender Wille, mit dem sich die hervorstechenden Ereignisse zu einem allgemeinen Befinden zusammenbringen lassen und der sich als Haltung zu diesem und jenem manifestiert, sich als politischer Wille darstellen lässt. Das ist die Welt der Medien: Das Zusammenkommen von vielerlei Befindlichkeiten und Ressentiments und auch Gedanken, die zwar hie und da schon Begründungen erkennen lassen, nicht aber wirklich wissen, was politisch hierfür zu machen ist. Der politische Wille erscheint daher in den Medien wie aus den Ereignissen des Lebens gegriffen, als Wahrnehmungsform des Erlebens, als Ästhetik des allgemein Nötigen. Man kann diese informell mitteilen, in ihrer Not erläutern und dann auch als Notwendigkeit veranstalten, ohne dass erkennbar werden muss, welche Not hier wirklich gewendet wird. Information ist lediglich eine Darstellungsform von Ereignissen, oftmals missbraucht, um Botschaften zu erstellen. Information ist nur in der Form des Faktischen notwendig, tritt aber als Grundlage für Entscheidungen gerne als Wissen auf, vertauscht sich mit diesem und wird hierdurch zu einer Täuschung. Denn Wissen ist nicht medial, nicht irgendein Mittel, das sich zum Nutzen für Befindlichkeiten und Wahrnehmungen vermitteln lässt. Es enthält das unmittelbar Nötige und kann nur dort entstehen, wo dieses zur Gewissheit wird, also in den wirklichen Lebensmomenten, worin sich das eigene Tun bewährt.

Im Ungewissen bewährt sich das Vorurteil. Und nur um dieses geht es, wenn in den Medien Politik gemacht wird, z.B. durch Moralismus oder meist eben auch durch reines Ressentiment. Die Medien sind immer informativ und unterhaltsam. Was sie aber schon durch die Auswahl der Informationen und Darbietungsformen betreiben, ist vor allem die Herbeiführung einer Aufmerksamkeit, die durch ein kulturelles Anliegen bestimmt ist, durch welches sich Politik allgemein mitteilt, sich polularisiert. Die Medien vollstrecken ihren Widerspruch zwischen Sentiment und Realität in ihrem Design – oftmals ohne dass dies auch wirklich bemerkt wird. Nur so können sie den Wohnraum, in welchem sie ankommen, mit der Wirklichkeit, aus der ihre Inhalte entstehen, vereinen und sie damit in ein Alltagsbewusstsein verwandeln. Dieses hat dann auch einen höheren Rang als die eigene Erfahrung, denn in der sentimentalen Aufmerksamkeit wird die Aufklärung überboten, die Medien ohnedies bieten könnten, - oft bis zur Kulturposse, zur Ikone einer völlig verzerrten Weltwahrnehmung, zur komischen Tragödie einer Unruhe, die nichts anderes bewirkt als eine Ungewissheit über das eigene Weh und Ach, die dann einem politischen Willen unterlegt wird und dieses damit auch ihm zu überlassen, es zu seiner Legitimation, zu einer Willensgrundlage zu machen. (4)

Das kulturelle Medium der Medien ist das Sentiment der Vorurteile, das Gefühl fürs Allgemeine. Und in einer kulturellen Sphäre hartnäckiger Vorurteile hat wirkliche Kritik daher auch wenig Platz. Wenn sie nichts mehr bewirken kann , dann schadet sie meist nur dem Kritiker. Deshalb haben die Medien auch Angst vor sich selbst. Deshalb werden manche Journalisten zu Duckmäuler und ihre Botschaft zur reinen Selbstbefriedigung. Sie gefallen sich in der Mitteilung von vermeintlichen Notwendigkeiten, die ihnen immerhin einen Platz im Allgemeinen , als Botschafter eines allgemeinen Sollens, das zum allgemeinen  Willen werden soll, verschaffen. Das Nachdenken über die Inhalte solcher Botschaft ist dann blockiert. So gleitet gerade z.B. die Botschaft der Pisa-Studien mit ihren impliziten Leistungserwartungen wie eine bloße Lebenstatsache in die Lebensräume, in denen sie dann auch gelitten werden müssen. Nichts, was dahinter stehen könnte, z.B. die Staatsverschuldung, die von der nächsten Generation getragen werden muss, wird damit befragt. Die Welt erscheint darin glatt als Welt des allgemein Nötigen, auch wenn und gerade weil die Wirklichkeit immer rauer wird. Alles wird zu einer Selbstverständlichkeit, auch wenn es die Verdopplung der Ausbeutung der arbeitenden Menschen darstellt. Im Medium als Kultureinrichtung wird es zur allgemeinen Notwendigkeit schlechthin, z.B. zum Sparprogramm einer Volksgemeinschaft, die sich anfühlt wie eine von ihrem eigenen Chaos bedrohte Wohngemeinschaft, die endlich mal aufräumen sollte.

Es gibt wenige Journalisten, die diesen glatten Journalismus der Duckmäuler aufgreifen. Harald Schuhmann ist einer von ihnen und beklagt dies in seiner Rede:

Schuhmann über Journalismus

Schuhmann hatte mit dem Buch „Die Globalisierungsfalle“, das er zusammen mit Hans-Peter Martin geschrieben und im November 1998 herausgebracht hatte, eine breite Diskussion der Globalisierung in der Öffentlichkeit angestoßen. Mit Christiane Grefe zusammen verfasste er 2008 quasi als dessen Fortsetzung das Buch „Der globale Countdown“. Von informeller Seite her, kann nichts eindringlicher sein. Es gibt zweifellos kritische Medien, auch Filme wie z.B. "Lets make Money" oder „Water makes Money“. Neuerdings kann sogar eine Nachrichtenbörse wie Wikileaks politische Verhältnisse untergraben und einen Krieg im Internet auslösen. Hacker-Angriffe auf Amazon, Postbank, MasterCard, PayPall usw. zeigen auch intelligenten Widerstand gegen die verdeckten Machenschaften in Politik und Wirtschaft.

Aber die bloße Information kann das Wissen um diese Mächte nicht ersetzen. Dieses entsteht in einer Auseinandersetzung mit der Geschichte der Menschen selbst, als Wissen um Reaktion oder Fortschritt, Wunderglaube oder Wirklichkeit, um die Herrschaft der Täuschung überhaupt. Aber wo Information zu Wissen wird, da wird der Raum des Mediums überschritten, ist Wissenschaft verlangt, die höchstens als eigene Attraktion in die Medien eingehen kann. Die Medien wollen in ihrer Selbstbeschränkung auf das Ereignis die Herzen der Menschen nur zuzustopfen mit ihren Reizen und Aufregungen. Sie könnten sie auch erhellen, die Mythologien des Alltags durchdringen und auf den Kern ihres Unverstandes auflösen, wenn sie sich in ihrem medialen Zweifel auf das Unvermögen des Wissens, auf die Notwendigkeit einer Wissenbildung, die nichts anderes als eine Bewusstseinsbildung sein kann, auch wirklich einließen. Aber es scheint eher so zu sein, dass sie dies insgesamt durch ihre Überinformation eher entleeren, Wissen dadurch auflösen, dass es durch Informationen zur bloßen Hülse der Anschauung wird, wirkungslos, weil es nurmehr zur Konsumtion alltäglicher Erlebnishaftigkeit taugen soll.

Die Medien des Fortschritts der Repräsentation

Richtig schlimm wird es, wenn die Medien sich bei ihrer Entleerung mit Zeitgeist füllen. Der entsteht eigentlich ganz anderswo, aber doch gerade zu diesem Zweck. Meist bietet die Philosophie die Reserve für die mediale Vorstellungswelt, wenn sie diese mit der vermeintlichen Objektivität einer allgemeinen Notwendigkeit versieht. Weil aus der Leere heraus Nichtigkeit bedrohlich, der Bankrott der eigenen Kultur vorstellbar wird und die Vorstellung sich selbst als Mangel an Willenskraft erscheint, wird das Vakuum gerne von Propheten aufgefüllt, die höhere Zwecke verfolgen, die nicht analysieren, sondern propagieren, die im politischen Willen das Heil für das Ganze, die Heilung der Allgemeinheit jenseits ihrer wirklichen Beziehungen suchen und veräußern.

Politik ist in der Repräsentativen Demokratie eben auch die allgemeine Form des Willens. Die politischen Populisten begründen sich daher immer erst Mal mit Untergangsfantasien, bevor sie sich mit einer Sache befassen, in der sie einen Niedergang erkennen wollen. Ihre Kritik geht an die Menschen selbst, konstatiert ihre Mangelhaftigkeit, beschreibt das Ende der Humanitas (so Martin Heidegger) und ersetzt diese durch eine Ordnung des rechten Willens. Die Welt verlange danach, verlange die Kraft eines Willens, durch den sich die Menschheit retten könne. Die Welt selbst verlange nach einer Vorstellung des Heilsamen, in welcher der Wille sich begründen ließe, welche die Menschen aufstacheln könnte, sich um ihre Wohlfahrt zu besorgen. „Die Welt als Wille und Vorstellung“ war nicht von Ungefähr Arthur Schopenhauers Leitgedanke, der in jedem Bürger eine Welt für sich sah und aus diesem eine Gesellschaft für sich machen wollte. Das turnt den Bürger als vermeintliches politisches Subjekt, als allgemeine Persönlichkeit des politischen Willens an und war auch eine Grundlage des Nazismus. Die andere war das Elitebewusstsein eines Friedrich Nietzsche, der die menschliche Meute durch Übermenschen antreiben, den Stachel der Geschichte aus der Selbstachtung eines höheren Menschseins beziehen wollte, einem Menschsein, das sich nicht beweisen muss, weil es nicht wirklich ist, und das alles fordern kann, was noch nicht wirklich da ist, um ein besseres Dasein zu erreichen. Die "schöpferische Zerstörung" wurde von da her als Notwendigkeit der Geschichte formuliert und auch zur übergreifenden philosophischen Grundlage des Neoliberalismus.

Dies konstatiert heute auch wieder der Populärphilosoph Peter Sloterdjik, der wie Heidegger das Ende der Humanitas erkannt haben will und der wie Nietzsche den Stachel der Elite für geschichtsnotwendig hält, schon deshalb, weil der Mensch in seinem Streben einen Geburtsfehler habe, dass er zu bequem sei, sein Leben aus eigenem Antrieb zu meistern, dass er Regeln im Menschenpark nötig habe, welche die Minderung seiner selbsterzeugten Gräuel ermöglichen sollen. Das passt gut in eine Zeit, in der die Politik eine Legitimation für soziale Grausamkeiten benötigt und ihre Eingriffe in die Sozialpolitik mit dem Misstrauen gegen die Faulheit der Unterschicht begründet. Und so baut sich Sloterdijk mit seinem unlängst veröffentlichten „Bürgerlichen Manifest“ als Philosoph und Propagandist für Schwarz-Gelb auf, als Kämpfer für die „Politik der Freiheit in Verantwortung“ der „Geistesschaffenden“ und Sinnstifter, der sich mit seinem „Manifest der Leistungsträger“ für die „Steueraktiven“ einsetzt, wie er die Protagonisten seiner Klasse versteht: Die „Transfermassengeber“, die inzwischen von den „Transfermassenehmern“ ausgebeutet würden.

Mit ihm kämpft auch Thilo Sarrazin um die Rettung der Menschheit durch die Eliten. „Klasse statt Masse“ ist der Vorschlag seines ersten Buches und auch ohne die Entwicklungsvorstellungen, die der Nietzscheaner Peter Sloterdijk dem unterlegt, versteht er sich mit ihm in seinem Eliten-Rassismus prächtig. Sein neoliberaler Wohlstandschauvinismus will aufräumen mit den „Nichtleistungsträgern“, die „unsere Kultur“ überfluten würden und die gesamte Entwicklung Deutschlands sprichwörtlich verfaulen lasse, besonders dadurch, dass sie sich auch noch weit schneller vermehren als die fleißigen Deutschen, die ihre Zeit lieber zur Leistung für den Exportweltmeister opfern. „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.“ – schreibt er. Nur noch hochqualifizierte Ausländer will er hier leben lassen, den Zuzug der anderen verhindern. Da ist er sich mit den Forderungen der NPD gleich. Und seine Lösungsvorschläge bestehen folgerichtig aus der Forderung, die Ausländer aus dem deutschen Sozialversicherungssystem auszugliedern. Auch dies lässt sich leicht in die bekannten NPD-Parole überführen: „Heimreise statt Einreise“.

Sicher, wenn zukünftige Generationen das durch ihr Arbeit erwirtschaften sollen, was das Finanzkapital den Menschen genommen hat, dann müssen sie außerordentlich leistungswillig sein und dürfen nicht allzu sehr danach fragen, wozu sie die erbringen sollen. Und was von dieser Seite an Forderungen an die Menschen entwickelt wurde und deren Sortierung durch das Sozialsystem in Gang gesetzt hat und betreibt, wird auf der anderen durch kulturelle Abgrenzung fortgetrieben, indem die Zugewanderten kulturell mit einer Religion gleichgesezt werden, die eine Kulturbedrohung für Deutschland darstellen soll, weil sie deutsches Grundrecht verletzen könne und soziale Aggressivität und autoritäre Herrschaftsstrukturen installieren würde. Das Allerheilige der Deutschen sei hierdurch bedroht. Sie seien vielleicht zu schwach sich hiergegen zu wehren, wird damit unterstellt.

Und mit diesem selbstvergessenen Quatsch wurde die Bevölkerung über die Medien dann tatsächlich auch erreicht (siehe „Deutscher Spuk und der Selbstwert der Eliten“). Verblüffend und zugleich erschreckend ist der schlagartige Wechsel des Bewusstseins, das auf diese Weise entsteht. Zunächst war der Rassismus Sarrazins ziemlich einhellig abgewiesen worden. Inzwischen ist sich der Großteil der Kultureliten und auch der Bevölkerung einig geworden, dass man die Bedrohungslage lange verdrängt habe und nun die Erfahrungen der Straße auch zu reflektieren und zu bewerten habe. Nach einigen sprachlichen Korrekturen wurde nun der Bestseller von Sarrazin zumindest in seiner Darstellung im Großen und Ganzen als Forderung nach Angleichung, nach Integration, akzeptiert, was immer auch darunter zu verstehen wäre.

Die Verrückung der Medien zur Medienkultur entrückter Politik

Wir stehen damit vor einer ziemlich verrückten Medienwelt. Der Kampf um die kulturelle Deutungsmacht der Republik hat in den Medien ihr Schlachtfeld belegt und die wurden damit zu einer wesentlichen kulturellen Sphäre der deutschen Willensbildung. Hierfür werden kulturelle Konflikte personalisisert und in dieser Form zum Marterpfahl für Heldentaten. Nachdem Thilo Sarrazin seinen Posten als Vorstand der Bundesbank gekündigt bekam, stellte sich Peter Sloterdijk höchst engagiert vor ihn und befand ihn als Opfer einer Kampagne, sah darin eine Existenzvernichtung, nur weil da eine Wahrheit ausgesprochen worden sei, dass es „Integrationsschwierigkeiten von türkischen und arabischen Teilen der Bevölkerung“ gegeben habe. Auch so funktionieren die Medien: Durch das Herunterspielen von menschenverachtenden Äußerungen werden diese umgekehrt durch die Personifikation einer gütlichen Befleißigung für das kulturelle Ganze gerade erst „salonfähig“. Es geht dann eben ganz schlagartig um eine große Sache und deren Vorkämpfer, der sie entblößt hat, den Finger auf die Wunde legt. Und Sloterdijk wird als Kämpfer für eine adäquate Reaktion erst so richtig entdeckt, als der reaktionäre Geist, der er schon lange ist und der sich leicht auch für einen Rechtsschwenk der bürgerlichen Mitte nutzen lässt. In seinem „Bürgerlichen Manifest“ bezieht er sich ausdrücklich auf Sarrazin und wirft dessen Kritikern Opportunismus vor. Ihm folgt ein nicht unbeträchtlicher Anteil des gesamten deutschen Bildungsbürgertums, das sich gegen die vermeinte Paralyse der bürgerlichen Kultur durch die Einwanderer wendet.

Im neuen Geist selbstbewusster Leistungsträger, worunter nicht körperlich oder geistig arbeitende sondern organisierende und verwaltende Menschen - also das Management - verstanden wird, soll sich das Dilemma einer Politik umkehren, das schon mit der rot-grünen Regierung und besonders auch noch durch ihr Ende entstanden war, das Dilemma einer Realwirtschaft, die nicht mehr effizient genug für die Kapitalwirtschaft sein kann. Der Staat kann sich nur noch partiell auf das Interesse seiner Bevölkerung beziehen. Schwarze-gelbe Politik war ein wirklicher Wendepunkt im Verhalten des bürgerlichen Staates zu seiner Bevölkerung, deren existenzielle Bedürfnisse in den Hintergrund treten sollen, um das nationale Kapital überhaupt international funktionsfähig zu halten. Das war das Ende einer repräsentativen Politik überhaupt, weil sich darin das Ende einer möglichen Repräsentation von Volksherrschaft vollzogen hatte. Die Errichtung der Staatsform eines Feudalkapitalismus, der vor allem die Geld-Eintreibung zur Begleichung von Staatsschulden sicherzustellen hat, ist die Grundlage einer politischen Wende, die als solche nicht bewusst werden soll. Deshalb soll sie als allgemein kulturelle Notwendigkeit dargestellt und verbrämt werden. Mit einiger Genugtuung stellt Franz Sommerfeld in der Frankfurter Rundschau einen „grundlegenden Umschwung den geistigen Klimas im Lande“ fest und in den Führungsetagen einflussreicher Redaktionen wie z.B. FR, FAZ, Merkur, Cicero und Springers Bild und Welt waren Publizisten des Mainstreams wie Arnunf Baring, Hans-Olaf Henkel, Ralph Giordano, Henrik Broder stante pede bei Sarrazin, während Sloterdjik es sogar noch dahin brachte, den Sozialstaat als eine Art Unrechtsstaat der Armen gegen die Reichen zu diffamieren.

Es ging allgemein darum, die staatliche Garantie, sich um die Menschen zu kümmern, die im Kapitalismus verarmen und aus dem Arbeitsprozess herausfallen, zu zersetzen. Seit Bismarck hat sich da was Wesentliches geändert: Es erscheint unter dem Druck der Kapitalspekulation für den Staat zumindest für einen Teil von ihnen nicht mehr nötig, sie wieder dorthin zu integrieren oder als Billigkraft verfügbar zu haben. Und sie werden deshalb zum Ballast und kosten Geld, das gute "frische Geld" der Steuerzahler, welches das fiktive Geld der Spekulanten so schön bereichern könnte. Die durch den Rationalisierungsprozes des Kapitals entstandenen Notleidenden werden als Faule entdeckt - wie einst im Dritten Reich - und „zur Verantwortung“ gezogen, eben dafür, dass sie Kosten verursachen. Das ist nicht nur Sozialdarwinismus, sondern Sozialrassismus. Die Krisenbewältigung wird zum Kultursubjekt, gerade dann, wenn behauptet werden muss, dass die Krise vorbei ist, um die Konjunktur wieder heiß zu machen. Nicht objekive Verwertungsprobleme sollten länger als Grund der kapitalistischen Krise gelten, sondern die Neid- und Ausbeutungscharaktere aus der Unterschicht, die sich Leistungen aneigne, denen sie nichts entgegen brächten. In seinem FAZ-Artikel „Die Revolution der gebenden Hand“ (13.6.2009) hatte Peter Sloterdijk eine Umkehrung des traditionellen Ausbeutungsverhältnisses konstatiert: „Lebten im ökonomischen Altertum die Reichen unmissverständlich und unmittelbar auf Kosten der Armen, so kann es in der ökonomischen Moderne dahin kommen, dass die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven leben - und dies zudem auf missverständliche Weise, nämlich so, dass sie gesagt bekommen und glauben, man tue ihnen Unrecht, und man schulde ihnen mehr." Albrecht von Lucke beschreibt in seinem Aufsatz "Propaganda der Ungleichheit – Sarrazin, Sloterdijk und die neue bürgerliche Koalition“ (in „Blätter für deutsche und internationale Politik, 12/09) Sloterdijk als Theoretiker einer neueren Art von Reaktion, die sich in einem „fiskalischen Bürgerkrieg“ bewege. „Heute hätten wir es in der Bundesrepublik mit einer Form des "Semisozialismus", mit "Staatskleptokratie" zu tun“ meint Sloterdijk. „Der Staat fungiere als kaltes Ungeheuer der Umverteilung zu Lasten der Produktiven. Das neue Phänomen der Zeit sei somit nicht die Ausbeutung der Armen durch die Reichen, sondern der Produktiven durch die Unproduktiven.“ (ebd). Es sei daher eine Umkehrung aus der seit Helmut Kohl vorherrschenden „Lethargokratie“ auszubrechen und eine „politisch-psychologische Reformation“ zu betreiben. Die Redaktionsstuben der Feulletons, der Kasinos der Banken und die Architekturbüros und Werbeagenturen würden immer noch vom Geist eines längst untergegangen sozialdemokratischen Zeitalters beherrscht – stimmt ihm der Philosoph Axel Honneth bei. Denn aus der Wohlfahrtsmentalität des Sozialstaats könne kein kraftvoller Gedanke oder Lebensstil mehr hervorgehen. Der Nietzscheanische Urgedanke der „Herrenmoral aus eigenem Recht“ im Unterschied zur Sklaven- oder Herdenmoral der sozial Schwachen stößt wieder mal in derart gebildeten Kreisen auf vielfache Gegenliebe. Und das wird zumindest einen Teil der Entwicklung weiterhin bestimmen. Die Medien spielen darin die Hauptrolle.

Die Mediendemokratie oder die Macht der Meinungsprominenz

Die Medien haben eine geradezu ungeheuerliche politische Bedeutung erlangt, - nicht mehr nur als 4. Gewalt im Staat, sondern als Brückeninstitution über alle Gewalten hinweg, als eine öffentliche Informiertheit um die Beziehungen, die Relationen der Macht. Darin stellen sich die Positionen der Wissenschaften ebenso heraus, wie die psychologische und kulturelle Kraft der Meinungsbildung und der Rechtsauffassungen.

Man könnte meinen, dass damit die bürgerliche Demokratie sehr viel differenzierter geworden sei. Immerhin werden die klassischen Gewalten, die Judikative, die Exekutive und die Legislative jetzt mit einem höchst komplexen Netzwerk von politischen Zusammenhängen und Diskussionen umstellt. Doch das Komplexe reibt sich an der Oberfläche selbst auf, weil es keine andere Tiefe hat, als die Gegebenheiten selbst, die sich darin nur spiegeln, sich nur als dies selbe reflektieren können, was sie sowieso schon sind, sich in der Reflexion derr Menschen also nur verdoppeln. Bürgerliche Medien mögen sich kritisch äußern, sie beziehen sich aber substanziell immer nur auf die Form der Gegebenheiten, schon weil sie nur hierdurch und hierin existieren.

Die Mediation der Konflikte um Stuttgart 21 hatte Geißler im Bewusstsein übernommen, dass wir in einer Mediendemokratie leben würden. Da liegt er insofern richtig, wie dies die moderne Form der Repräsentativen Demokratie ist, einer Demokratie, deren Politik durch Meinen und Dafürhalten und Recherche bestimmt ist, wie sie natürlich zugleich auch von den Medien veranstaltet und betrieben wird. Doch ihm ging es darum, dies als neues demokratisches Verfahren auszugeben und öffentlich zu zelebrieren, wie einfache Sachverhalte zu diskutieren seien. Er war da ganz in seinem jesuitischen Element und die Akteure auf allen Seiten machten mehr oder weniger zufriedene Gesichter. Sein großes Vorbild ist die öffentliche Meinungsbildung durch Bürgerbefragung bevor ein Sache oder ein Vorhaben entschieden wird, wie das in etwa bei einem Schweizer Großprojekt, dem Gotthardtunnel, durchgezogen worden war.

Aber auch wenn in der öffentliche Diskussion alle zu Wort kommen, verändert dies nicht das wirkliche Verhältnis der Menschen zur Sache, also wer wie bestimmend darin ist und wessen Wort letztlich tatsächlich Wirkung haben wird; es wird lediglich die Wirkung auf das Meinen und Dafürhalten relativiert, die Haltungen aneinander aufgewogen, entkräftet, damit das allgemein Nötige von denen besorgt werden kann, welche die Mittel hierfür auch wirklich besitzen. Demokratie kann daher nicht die Macht einer quantitativen Verallgemeinerung sein. Solange sich in ihr die Gesellschaft nicht aus den qualitativen Besonderheiten der Menschen, ihre besondere Verallgemeinerung als ökonomische und politische Subjekte zugleich darstellt, solange sie nicht qualitativ mit dem Leben der Menschen verbunden ist, wird dies auch so bleiben. Anstatt zu einer neuen politischen Form zu werden, wird die Mediendemokratie durch die quantitativen Beziehungen des Privatbesitzes im Meinen und Dafürhalten verabsolutieren. Die bloße Menge an Zustimmung oder Ablehnung wird letztlich nur die Auswahl von dem beeindrucken, was notwendig erscheinen darf und was nicht; nicht die Notwendigkeit selbst. Eine Zustimmungsdemokratie kann nicht demokratisch sein, weil sie eben doch nur das allgemein Notwendige, hinter dem immer das Kapital steckt, verbrämt, es mit einem Willen ausstattet, der keiner ist und der dann vor allem schlicht und einfach auch erfüllt und ausgeführt werden muss, weil er zur Legitimation des objektiv Nötigen beiträgt: Es erscheint jetzt von den Menschen gewollt. Lediglich die Verbrämung wird also anders. Es wird vorgelegt, was zur Entscheidung möglich und fähig ist, und zwar so, dass das Nötige sich von selbst fügen wird oder als rein objektive Bedrohungslage eben unentscheidbar gemacht und also seine Durchsetzung auf diese Weise erzwungen wird – gleich, für wen oder was sie eigentlich wirklich nötig ist. Das Allernötigste des Kapitalismus ist die Geldverwertung.

Dafür muss alles im praktischen Leben der Menschen stehen: Ihre Arbeit, ihr Konsum, ihre Chancen und Perspektiven – eben einfach alles. Und weil Geld der Preis ihres Lebens ist, wird ihr Leben zur Ohnmacht der Preisgestaltung, der Entwertung von all dem, was sie wirklich erzeugen und Tun. Sie müssen die Produkte erzeugen und die Verwertungskrisen des Kapitals finanzieren, und wo Geld entwertet wird, müssen sie es doppelt und dreifach wieder beischaffen. Eine Zustimmungsdemokratie, also eine Repräsentative Demokratie ändert daran nichts, weil sie letztlich solche Macht nur befördern kann, indem sie ihre Vorlagen zur Abstimmung bringt, aus dem wählen lässt, was die Faktenlage in diesen oder jenen Zusammenhang stellt. Das gleicht sich zunehmend an. Dem Prinzip der Geldverwertung wird letztlich alles geopfert, was lebt, weil sie die Formation der allgemeinen Macht ist, die Aneignungsform toter Arbeit und abgetöteter Natur. Die Menschen müssen für Geld arbeiten, um sich zu ernähren, indem sie zugleich Geldwerte für das Kapital vermehren und sie müssen arbeiten, wenn das Geld des Kapitals sich mangels Anwendung wieder zerstört und sie müssen dafür arbeiten, dass die Hälfte ihrer Produkte nur deshalb zerstört werden muss, um den Markt für sich zu erhalten und zu gewinnen. In der allgemeinen Meinungsbildung, in der Formation eines durch Dafürhaltung gebildeten politischen Willens, wird solche Wirklichkeit ausgeschaltet. Die Prominenz dieser Willensmacht wird in den Medien selbst erzeugt und zur Verfügung gestellt.

Die Medien haben sich in den letzte Jahren daher auch selbst schon dahin entwickelt, dass sie sich als Forum öffentlicher Meinungsbildung verstehen konnten, als Forum, auf dem „Hart aber fair“ gestritten wird und die Fakten der Entscheidungsgrundlagen selbst per Faktencheck überprüfbar geworden sind. Kann es dadurch vielleicht doch noch einen Fortschritt durch mediale Diskussion der Politik geben? Was erbringen die Medien für das Bewusstsein der Bevölkerung? Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Die Fakten werden dadurch zwar nicht anders, aber ihre Akzeptanz wird verbessert. Als öffentliches Forum der herrschenden Lebensformationen verstärkt sich durch sie die Meinungsmache. Das Meinen selbst wird zum Allgemeinen, zu einem Gemeinen aller Gegebenheiten. Durch solche Prominenz des Faktischen errichtet sich ein medialer Rettungsschirm über den offenen Bankrott der Realität, ein Mythos der Selbstverantwortung, der das Lebens der Menschen nun absolut verfälscht. Und dieser wird immer wichtiger, weil er immer mal wieder über die Blasen des öffentlichen Bewusstseins hinweghelfen muss.

Der mediale Menschenpark als Arrangement laut gemachter Lebensvorstellungen

Die mediale Prominenz ist die Oberfläche, in welcher die Ereignisse verbunden erscheinen können, auch wo sie nichts miteinander zu tun haben. Sie ist durch ihre Vorstellung selbst schon als Wahrnehmung gebunden, wird also erzeugt durch ihren Auftritt, durch den Vorhang, der mal auf und mal zu geht, durch die Tugenden, die mal lieb und teuer oder bös und billig sind. Eine solche Veranstaltung erst produziert die Prominenz der Vorstellung und des Vorgestellten, wie es das Gefühl der Menschen erreichen kann, wenn es die Darstellung der Informationen, der Politik und der Wirklichkeit dem entsprechend zu verdichten versteht, wenn die Darstellung verbinden kann, was nicht unmittelbar verbunden ist, was aber eine abstrakte Wahrnehmung zu einer ebensolchen Identität bringt. Das ist das eigentliche Verhängnis der Menschen im modernden Kapitalismus: Weil durch das Geldverhältnis selbst die Menschen isoliert voneinander sind, weil sie nicht einfach aus ihrer Welt heraus können, nicht viel mehr wissen oder kennen, als was ihnen medial geboten wird, fühlen sie sich leicht beruhigt und mit ihrer Welt versöhnt und wollen auch versöhnlich sein. Die Prominenz medialer Vorstellungen hat das Gewicht einer vorgestellten Allgemeinheit, die dem Faktischen unterstellt ist, ohne dass hierfür allgemeines Wissen nötig wäre.

Was ansonsten Wissenschaft und theoretisches Denken erkunden müssten, wird über die Medien durch die Verdichtung von Wahrnehmungen erreicht, popularisiert. Das weiß die Politik zur Durchsetzung ihres Willens zu nutzen. Die Medien sind daher tatsächlich bestens geeignet, einen Prozess der Verallgemeinerung von Meinungen zu unterstützen, welche die herrschenden Formbestimmungen bestärken - dies umso mehr, wenn die Menschen die Auseinandersetzungen hierüber durch den Disput fertiger Anschauungen im Miteinander gegensätzlicher Klasseninteressen ersetzen. Durch solche Auseinandersetzungen werden vor allem die wirklichen Interessen in ihrer bloßen Vorstellung, also meist in ihrer Verstellung belebt, ohne dass sie sich selbst noch hinreichend begründen müssten. In den Resultaten des Disputs werden sie durch das persönliche Engagement, durch Rede und Gegenrede mit einem Willen versehen, den es ohnedies wahrscheinlich gar nicht geben würde, der sich nun aber verlautbaren lässt, wenn er hinreichend laut wird. Ein solcher Wille ist und bleibt eine reine Dafürhaltung des Wahrnehmens, also rein ästhetisch, in seiner Güte verallgemeinertes Meinen derer, welche die Diskrepanz von Mein und Dein, also die Problematik des Besitztums selbst, durch Meinungsmehrheiten gerne verschütten, im Schleier einer Mediendemokratie verflüchtigen. (5)

Linke Medien können nicht die Welt, wohl aber das Bewusstsein verändern. Sie sollten also nicht einfach nur Information verbreiten und auch nicht nur die Notlagen der Opfer beschildern. Ihre Gegenkraft besteht nicht aus bloßer Informiertheit, nicht aus Aufklärung, wiewohl diese auch ihre notwendige Voraussetzung und ihr Inhalt ist. Sie sollten vor allem die Grundlagen des politischen Willens der Herrschenden kritisieren, die Verbrämungen der Macht und die Macht der Täuschung. Dazu kann zwar auch subversive Information wie z.B. Wikileads zählen. Die aber ist lediglich das Mittel, Ausgegrenztes zurück zu erobern, erzwungene Isolation zu überwinden. Die Notwendigkeit von linken Medien entsteht jenseits der Institutionen des bürgerlichen Parlamentarismus und seiner Presse. Sie können nur das Medium der wirklichen Lebensinteressen der Menschen sein, Kritik der politischen Formation der hiergegen herrschenden Allgemeinheiten, der Täuschungen über die wirklich menschlichen Belange, der Vertauschung von Vorstellung und Wirklichkeit. Solche Kritik beinhaltet vor allem dreierlei: Ideologiekritik, Kulturkritik und die Erkenntnis der allgemeinen Kraft der gesellschaftlichen Negation. Aus dieser geht das Wissen um das Wesen des ganzen gesellschaftlichen Verhältnisses des Kapitals hervor, das Wissen um den Anachronismus seiner Wirklichkeit, seinem Selbstwiderspruch. Es muss den linken Medien vor allem um eines gehen: Um ein menschliches Bewusstsein, um die Einheit von theoretischem und praktischem Bewusstsein, von Wissenschaft und Lebenspraxis, aus dem sich der Widerspruch des menschlichen Lebens in dieser Gesellschaft erkennen lässt.

Ohne solches Bewusstsein wird sich entwickeln, was in der Täuschung schon angelegt ist: Die Herrschaft der medialen Vermittlung von Lebensformen einer vorgestellten Allgemeinheit, die Anpassung des menschlichen Lebens an deren Durchschnitt, die Kultform des verdurchschnittlichten Menschen im Menschenpark vorgeblicher Notwendigkeiten einer Staatsformation, wie sie in etwa schon von George Orwell beschrieben ist. Es mag heute noch übertrieben erscheinen und ist doch schon so nah wie „1984“: Die herrschende Kultur des Kapitals, die Kulturform des Feudalkapitalismus der Verschuldungswirtschaft, befördert einen Menschen, der sich selbst nicht mehr kennen darf, dessen Sprache abstrakt und einfältig sein muss und dessen Erkenntnisse nur noch Gedankenverbrechen, Versündigungen an der  Staatsformation der irrsinnigen Kulturation eines allgemeinen und übermächtigen politischen Willens sein können. So stellt dies der Film zu Orwells Buch auch eindrücklich dar:

Filmausschnitt aus Orwells 1984


(1) Wie im kleinen, so auch im Großen. Es hat z.B. auch die Diskussion um Stuttgart 21 gezeigt, wie leicht sich die Bevölkerung, die sich gegen ein kapitalmächtiges Großprojekt zur Wehr setzen musste, sich zugleich daran beteiligen lässt, die so genannte politische Vernunft durchzusetzen, wie sie sich zur Korrektur einer misslichen Konzeption der Planungsbüros in das wirtschaftliche Kalkül einer Aktiengesellschaft auch tatsächlich sinnvoll und produktiv verwenden lässt, wenn dadurch sogar Geld gespart wird, zumindest, wenn man das glauben will. Und was zunächst als eine ungeheuerliche Stadtzerstörung begriffen worden war, wird nun gerade durch die kommunikative Auflösung des Protests und der Widerstandsaktionen zur öffentlichen Akzeptanz gebracht. Wenn Kritik erst mal medial kanalisiert sind, wenn eben Mediation als politisches Konsensprinzip eingesetzt wird, dann werden die Medien zu einer knallharten Institution einer Befriedung für einen Konflikt, der nicht mehr wirklich wahrgenommen wird.

Die Show war perfekt und niemand wird es kritisieren, dass damit auch vernünftige Verbesserungsvorschläge bekannt werden und an einzelnen Stellen vielleicht hierdurch sogar Bedenken gegen unsinnige Teilaspekte zu einem Umdenken in der Durchführung dieser Teile führen. Aber die Demonstrationen der Bürger wurden insgesamt zur Demonstration einer Bürgerbeteiligung am Sachzwang des Finanzkapitals, an den Notwendigkeiten des Wertwachstums, an der Vernunft der Magistralen, der Großprojekte, die ja tatsächlich auch Bauaufträge und also Arbeitsplätze bringen, große Einnahmen erhoffen lassen und damit dem Finanzkapital wieder neuen Boden bereiten können, die Präsenz des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt verdichten können. Es klingt ja auch irgendwie clever, dass es für alle gut sei, wenn es seine fiktiv gewordenen Geldmassen wieder in einen profitablen Verwertungskreislauf zurückgewinnen kann, die Wirtschaft wieder „belebt“ wird und Arbeitsplätze entstehen, anstatt dass Geld falsch investiert wird oder sinnlos in den Tresoren der Banken verrottet. Geißler wurde schlagartig zum Medienheld und das so heftig von einem Großteil der Bevölkerung abgewiesene Projekt „Stuttgart 21“ erhielt ebenso plötzlich schließlich 84% ihrer Zustimmung. Das allgemeine Gefühl, dass jemand sich um Aufklärung bemühe und man vermeintlich „auf Augenhöhe“ – wie ständig hervorgehoben wurde - verkehren könne, verkehrt nun alle Wirklichkeit, wie sie zuvor noch greifbar war. Dabei wurde der Spieß einfach umgedreht, denn in der Mediation gibt es keine wirklichen Unterschiede mehr von Politik und Bürger, von Staat und bürgerlicher Allgemeinheit. Und so erweist sich Bürgers Recht leicht eben auch Bürgers Pflicht: Wer eine bessere Lösung will, der muss der Besserung dann auch zustimmen. Der Protest droht nun an seinen eigenen Grundlagen zu ersticken und ist de facto sinnlos gemacht worden, sinnlos, weil der Kern seines Begehrens zerredet werden konnte.

(2) Und man kann auch nicht sagen, dass sich durch den Protest nichts geändert habe. Die Frage aber ist offen, in welche Richtung. S21 war Teil des Projektes Bahnprivatisierung und ist es auch geblieben, wenn sich mit einem Effizienztest noch rausgestellt werden muss, ob der Durchsatz der Züge auch wirklich um 30% verbessern lässt, ob es nicht doch noch 2 weiterer Gleise bedarf, auch wenn dafür kein Platz mehr ist. Und die Bahnprivatisierung war und bleibt in ihrem Zentrum die Vermarktung Tausender Hektar von Bahnflächen zur privaten Gewinnerzielung einzelner und das sollte auch einen nicht unbedeutenden Teil der Umbaukosten des Bahnhofs für den Bedarf einer Magistralen von Paris nach Budapest finanzieren und das wird wohl auch weiterhin auf solche oder ähnliche Art und Weise finanziert werden müssen. Es hatte die Bundesregierung in ihrem Koalitionsprogramm festgelegt, dass sie an der Bahnprivatisierung festhält, und das beinhaltet natürlich auch eine Kapital adäquate Finanzierungsbasis. Es gibt auch noch den bis heute gültigen Bundestagsbeschluss vom Mai 2008, wonach so bald als möglich 24,9 Prozent der DB ML an private Investoren zu verkaufen sind. Das ist der Nahverkehr, Fernverkehr, Güterverkehr der Bahn und die gesamte weltweite Logistik.

Aber das gesamte Projekt S21 wird sich auch sowieso völlig anders darstellen, wenn diese bis ins Detail bereits längst vorbereitete Bahnprivatisierung vollzogen wird, weil dann die privaten Investoren sich als Anteilseigner an der DB ML vom Eigentümer des S21-Bahnhofs und der Tunnelanlagen und der NBS Wendlingen darstellen können. Und sie werden zudem an Ulm immense Forderungen stellen unter Verweise auf zu hohe Kosten und zu niedriger Rendite, wenn die Nutzung der Strecke nicht effizient genug ist. Von der Investorenseite wird alles zur völligen Zufriedenheit ausgehen, weil es so ausgehen muss – auch wenn das Klima in Stuttgart in jeder Hinsicht für die Bevölkerung zu einer gravierenden Belastung wird. Und die Parkanlage? Na ja, da werden die alten Bäume jetzt nicht gleich gefällt sondern umgepflanzt. Vielleicht halten die dann doch noch einige Monate, bis etwas Gras gewachsen ist, bevor sie kaputt gehen.

(3)  Das kann natürlich nicht jede Erfahrung, schon gar nicht die Alltagserfahrung, die selbstverständlich ist. Die Vorstellung soll ja auch wirklich etwas vorstellen, auf eine Bühne bringen, wo man nicht noch mal erleben will, was man eh schon kennt – oder das, wenn man es schon kennt wie zum Beispiel das tägliche Kochen, dann doch in einen Rahmen gestellt wird, der es verfeinert und mit Beifall bereichert.

(4) Bei alledem entsteht die Prominenz bestimmter Botschaften, die sich gegen einen informellen Abfall abgrenzen, der sie in Zweifel ziehen könnte und der deshalb auch schnell etikettiert wird, um in der Ablage zu verschwinden, z.B. als Radikalismus, Terrorismus oder Verschwörungstheorie. Aufklärung soll eine vornehme Aufgabe sein und bleiben, gerade wenn sie nicht stattfindet, denn das Medium selbst will vornehm sein, wenn es sich als ein fremdes Mittel entblößen könnte. So wird Wikileads nicht nur von denen verfolgt, denen es gefährlich geworden ist, sondern auch von denen diskriminiert, die sich in ihrer Eliterolle beschädigt sehen. Da mischt sich jemand in ihr Geschäft. Sie wollen, dass ihre Information unbenommen wie das Faktum selbst an die Konsumenten weiterrutschen, denen es als Gegebenheit serviert wird. Andere Informationen wirken dabei wie Störsender, schwächen ihre Kraft und ihr Monopol, selbst wenn diese gar nicht so wirklich anders sind. Aber sie sind prinzipiell unkontrollierbar und können leicht ihre Funktion wirklich in Frage stellen.

(5) Da kommt es dann lediglich auf die Auswahl der Vorlagen an, auf welche die aktuellen Themen nach Maßgabe der Quantifizierbarkeit eines Zuspruchs komprimiert werden, der dann sowieso nicht aus den wirklichen Lebensnotwendigkeiten kommen kann, weil er nur ein Spruch über eine von vielen Möglichkeiten ist. Da mag es Probleme geben wie Sand am Meer, nicht eines wird hierdurch wirklich gelöst. Die einzig wirkliche Macht der Bevölkerung entsteht, wo die Herrschenden den Widerstand der Bevölkerung, die wirkliche Teilhabe an ihren formal bestimmten Notwendigkeiten fürchten müssen, wenn sie die Verkehrswege des Kapitals verstopfen, seine Produktionen zum stocken bringen, sich seine Quellen aneignen, seine Märkte unnötig werden lassen und seine Gewalt des Geldes versiegen lässt.

Lediglich der informelle Gehalt der medialen Nachrichten kann den Menschen hierfür von Bedeutung sein. Und die sind danach zu beurteilen, was sie dem Leben der Menschen wirklich bedeuten. Danach sind auch die Bürgerbewegungen zu beurteilen. Da gibt es auch hervorragende Beispiele von Durchsatzkraft, wo sie Wahrheit und Wissen gewinnen und die ästhetische Sphäre der Medien dadurch überwinden, dass sie über all dies hinweg wahr bleiben, weil sie auch allgemein wahr sind. Der Widerstand gegen die Wasservermarktung und gegen Energiekosten und Atomkraftwerke kann hierdurch auch wirklich mächtig werden. Aber der Kapitalismus selbst lässt sich nicht wirklich für das Leben der Menschen verbessern, weil dieses immer nur in seiner toten Form als Geld gesellschaftlich anerkannt wird. Der Widerstand gegen Stuttgart 21, gegen Großprojekte der Geldverwertung, gegen Billiglöhne und Hartz IV geht nicht per se an die Wurzeln eines menschenverachtenden Gesellschaftssystems, wenn er nur Vernunft und Gleichheit einfordert, wenn er nur die eine Seite des Verhältnisses gegen eine andere tauschen will. Mehr Geld, mehr Durchsatz, mehr Beschleunigung sind nur temporäre Vorteile, welche die Bindungen an das Ganze zugleich verstärken. Dies kann immer auch wieder auf die Gleise der Kapitalverwertung zurückgestellt werden, wenn dem Widerstand das Ziel entschwindet, „ alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Karl Marx in Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843-1844) (Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 385)