Conrad Schuhler

 

Globaler Kapitalismus im "Krieg gegen den Terror"

I. Das Afghanistan-Komplott

Der Krieg gegen Afghanistan, laut US-Pr�sident Bush Ouver-t�re im "nie endenden Krieg gegen den Terrorismus", begann nicht nach den Attentaten auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington am 11.9.2001. Der Krieg gegen die Taliban begann am 12. Februar 1998 vor dem "Subcommittee on Asia and the Pacific" des Abgeordnetenhauses zu Washington, DC. Dort trug der Vizepr�sident der Unocal Corporation, John M. Maresca, die Vorstellungen seines Konzerns zur k�nftigen US-Strategie hinsichtlich Zentral-asiens vor. Mr. Maresca wies die Abgeordneten zun�chst darauf hin, dass es sich bei Unocal um eine weltweit f�hrende Gesellschaft zur Entwicklung von Energieprojekten handele. Und fuhr fort: "Ich gratuliere Ihnen, dass Sie sich auf die �l- und Gasvorkommen in Zentralasien konzentrieren und auf die Rolle, die diese bei der Formung der Politik der USA spielen." Drei Aufgaben stellte der Erd�lmanager der k�nftigen US-Politik: erstens m�ssten schnell Pipelines f�r die riesigen �l- und Gasresreven in Zentralasien gebaut werden; zweitens m�ssten die USA daf�r sorgen, dass in der Region neue politische Strukturen geschaffen werden, "einschlie�lich Afghanistans"; drittens m�sste dort auf Dauer ein positives Inves-titionsklima geschaffen werden. Anschaulich f�hrte Mr. Maresca den Abgeordneten vor Augen, dass die Sowjetunion ihre Pipelines rund um das Kaspische Meer nach Norden und Westen in ihre Zentren gef�hrt hatte. Der Markt der Zukunft aber liege in Asien, im S�den und Osten Zentralasiens. Deshalb m�ssten die Pipelines nach S�den zum Indischen Ozean gef�hrt werden. Da der Iran nicht kooperiert, "ist die einzige andere M�glichkeit, eine Pipeline durch Afghanistan zu bauen". Nun kommt der Konzernchef zum Punkt: "Von allem Anfang an haben wir klar gemacht, dass die Pipeline, die wir durch Afghanistan legen wollen, nicht gebaut werden kann, bevor dort eine anerkannte Regierung im Amt ist, die das Vertrauen von Regierungen, Kreditgebern und unserer Firma genie�t." (Vgl. http://www.rense.com)

Die Taliban hatten sich zu diesem Zeitpunkt das Vertrauen von Unocal g�nzlich verscherzt. Dabei hatte die Beziehung geradezu herzlich begonnen. Seit 1995 betrieb Unocal den Plan, �l- und Gaspipelines von Turkmenistan durch Afghanistan zu pakistanischen H�fen am Indischen Ozean zu legen. Um eine stabile und solchen Pl�nen aufgeschlossene Regierung zur Verf�gung zu haben, brachten die CIA und der pakistanische Geheimdienst 1996 die Taliban an die Macht. Taliban-F�hrer waren bei Unocal in Houston zu Gast, und ein US-Diplomat vertraute einem Journalisten an, "die Taliban werden sich wahrscheinlich so entwickeln wie die Saudis. Da wird es US-Pipelines geben, einen Emir, kein Parlament und eine Menge an Sharia-Gesetzen. Damit k�nnen wir leben." (The Guardian, 23.10.2001). Unocal und die US-Diplomatie sollten sich irren, die Taliban schlugen einen US-feind-lichen Kurs ein, und der Energiekonzern sah sich gezwungen, von der US-Regierung eine neue Staatsgewalt in Afghanistan zu fordern, die das Vertrauen der Firma rechtfertigen w�rde.

Die CIA erfindet den islamischen Terror

Die Erwartungen der �lgesellschaft, die USA w�rden sich bei ihrer Afghanistan-Politik strikt an die Kriterien von Macht und Gesch�ft halten, hatten eine solide Basis. Nie hatten Demokratie und Menschenrechte f�r die Strategie der USA auch nur die geringste Rolle gespielt. So ist auch die Behauptung, die USA seien den Widerstandsk�mpfern in Afghanistan nach der Invasion der Sowjets zu Hilfe geeilt, eine glatte L�ge. Tats�chlich hat die CIA die Mudschahedin – die sie 1996 gegen die Taliban austauschte – schon lange vorher gegen die Regierung in Kabul unterst�tzt, und die Sowjets hatten Recht, als sie ihre Intervention im Dezember 1979 mit dem Eingreifen der USA begr�ndeten. Auf die Frage, ob er das US-Vorgehen heute bedauere, entgegnet der damalige Nationale Sicherheitsberater von Pr�sident Carter, Zbigniew Brzezinski: "Was bedauern? Diese geheime Operation war eine hervorragende Idee. Sie hatte den Effekt, dass die Russen in die afghanische Falle tappten, und Sie wollen, dass ich dies bedauere? Am Tag, als die Sowjets offiziell die Grenze �berschritten, schrieb ich Pr�sident Carter, dem Sinne nach: Wir haben jetzt die M�glichkeit, der UdSSR ihren Vietnamkrieg zu bescheren." Der franz�sische Interviewer fragt ungl�ubig nach: "Und Sie bedauern auch nicht, dass Sie islamische Fundamentalisten unterst�tzt haben, dass Sie zuk�nftigen Terroristen Waffen und Ausbildung verschafft haben?" Der Sicherheitsfachmann weist ihn zurecht: "Was ist wichtiger f�r die Weltgeschichte? Die Taliban oder der Kollaps des Sowjetreiches? Einige �bergeschnappte Moslems oder die Befreiung von Mitteleuropa und das Ende des Kalten Krieges?" (Le Nouvel Observateur, 15.–21.1.1998)

Wenn der deutsche Au�enminister Fischer f�r die anhaltende Bombardierung Afghanistans mit der Begr�ndung eintritt, "das Kernproblem dieser humanit�ren Katastrophe ist die Herrschaft der Taliban" (SZ, 18.10.2001), m�sste er eigentlich auch daf�r pl�dieren, die Sonderkommandos der Bundeswehr in Richtung Washington in Marsch zu setzen. Es gab in Zentralasien keinen islamischen Terrorismus, bevor ihn die USA als Guerilla gegen die linken Kr�fte in Afghanistan geschaffen haben, und diese Terroristen waren so lange "heilige Krieger", wie sie das Gesch�ft der CIA besorgten. Zur Bedrohung der zivilisierten Menschheit (Gerhard Schr�der) wurden sie erst, als sie sich gegen die Interessen der USA wandten. Zu diesem Zeitpunkt, 1998, ist der fr�here Pr�sdienten-Berater Brzezinski nun auch offiziell Berater der �lindustrie, n�mlich der Amoco Corporation (heute BP Amoco). Folgerichtig ernennt der Miterfinder des islamischen Terrorismus nun den "eurasischen Balkan" mit seinem Zentrum Afghanistan zum "Schachbrett, auf dem der Kampf um die globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird" (Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Berlin 1999, S.57). Die Reaktion des amtierenden Pr�sidenten Clinton, ein paar Cruise Missiles in den Hindukusch zu feuern, konnte der �lindustrie nicht gen�gen. Immerhin geht es, nimmt man Zentralasien und den Mittleren Osten zusammen, um mehr als zwei Drittel aller Weltreserven an �l und Gas. (Die Zeit, 11.10.2001) Die �lindustrie brauchte nicht nur in Afghanistan, sie brauchte zun�chst einmal im eigenen Land eine neue Regierung.

Die �l-Regierung Bush

Und sie kaufte sich eine, n�mlich die Regierung Bush. George W. Bush, dessen Vater George Bush als Pr�sident seinen �lkrieg gegen den Irak gef�hrt hat, entstammt einem texanischen �lclan. Die �lfirmen pumpten �ber 33 offizielle Millionen Dollar in den Wahlkampf, fast alles an Bush jr und andere �lpolitiker. In das Team, das die Amtszeit von Bush vorzubereiten hatte, entsandten die �l- und Gasfirmen �ber 20 ihrer besten Manager. Neben dem Pr�sidenten selbst geh�ren die wichtigsten St�tzen des Kabinetts direkt zur �llobby: Vizepr�sident Dick Cheney war bis zum Wahlkampf Vorstandsvorsitzender von Halliburton, der weltgr��ten Zulieferfirma f�r die �lindustrie; Halliburton gab Cheney zum Abschied einen Bonus von 36 Millionen Dollar, man schied also als Freunde. Die Sicherheitsberaterin des Pr�sidenten, Condoleezza Rice, war fr�her Mitglied des Aufsichtsrats des Chevron-�lkonzerns, der eine der gr��ten Wahlkampfspenden an Bush vergab, allerdings einen Gro�tanker, den er zuvor zu Ehren seiner Beraterin auf den Namen "Condoleezza" getauft hatte, wieder umtaufte. Dies reichte jedoch nicht aus, den Eindruck zu verwischen, den das konservative Wochenmagazin "New Republic" so umschrieb: "Das Weltbild der Bush-Regierung ist das Weltbild von �lm�nnern." (Vgl. Die Woche, 19.10.2001)

Diese �lm�nner brauchten einen Anlass, eine propagandistische Rechtfertigung, um auf dem "eurasischen Balkan" Remedur zu schaffen. Diesen Anlass bot der 11. September. Stan Goff, ein fr�herer Lehrer an der Milit�rakademie von West Point, belegt, dass der 11.9. niemals der Ausgangspunkt f�r die Milit�roperationen der USA und Englands gewesen sein konnte. Ein Feldzug dieser Gr��enordnung braucht viele Monate Vorbereitung. Die BBC berichtete, dass das Au�enministerium von Pakistan schon im Juli 2001 unterrichtet wurde, dass f�r Mitte Oktober von den USA eine Milit�raktion gegen Afghanistan geplant sei. (Vgl. dazu die Web-Seiten von dieoff.org; emperors-clothes.com; globalcircle.com)

Es ist in diesem Zusammenhang keineswegs m��ig, sich das unbegreifliche Versagen der US-Sicherheitsbeh�rden am 11.9. vor Augen zu f�hren. Zwischen 7.45 Uhr und 8.10 werden vier Flugzeuge entf�hrt, ein beispielloser Vorgang. Doch der Pr�sident, der Commander-in-Chief, wird nicht informiert, er besucht vielmehr eine Grundschule in Florida. Sp�testens um 8.15 Uhr muss den Sicherheitsbeh�rden klar sein, dass eine schreckliche Katastrophe droht. Um 8.45 Uhr kracht der American Airlines Flight 11 in einen Turm des World Trade Center, 18 Minuten sp�ter, um 9.03 Uhr, rast der United Flight175 ungehindert in den zweiten. Erst danach wird Bush in seiner Grundschule informiert, bleibt aber an Ort und Stelle, obwohl der ebenfalls entf�hrte American Airlines Flight 77 im Anflug auf Washington ist. Der Pr�sident gibt keinerlei Befehle, sondern unterh�lt sich weiter mit den Grundsch�lern. Um 9.30 Uhr schlie�lich tritt der Pr�sident vor die Medien und erz�hlt seinem Volk, was es l�ngst im Fernsehen gesehen hat. Zu diesem Zeitpunkt ist der Flug 77 noch zehn Minuten vom Pentagon entfernt, doch werden weder das Wei�e Haus noch das Pentagon evakuiert oder sonst Vorsichtsma�nahmen getroffen, au�er dass der Vizepr�sident in Sicherheit gebracht wird. Mit �u�erster Pr�zision steuert der Pilot von Flug 77 seine Maschine auf das Verteidigungsministerium, auch er bleibt v�llig ungehindert.

Ob Versagen aller dreizehn Geheimdienste der USA oder Verschw�rung oder eine Mischung von beidem – die �l-Regierung der USA konnte endlich loslegen. Niemand w�rde ihr jetzt noch vorhalten k�nnen, sie sei unrechtm��ig im Amt, da sie weder die Mehrzahl der Stimmen noch die rechtm��ige Mehrheit der Wahlm�nner erhalten habe, denn jetzt sammelte sich die angegriffene Nation um ihre F�hrung. Niemand w�rde ihr Steuer- und Konjunkturprogamm zugunsten der Reichen noch angreifen k�nnen, denn nun war dies die Antwort auf den Terror. Und niemand k�nnte sich jetzt erheben gegen die milit�rische Kontrolle von �lquellen und -pipelines und des ganzen globalen Netzwerks der transnationalen Konzerne, denn damit w�rde nun die westliche Zivilisation stehen und fallen. Der 11.9.2001 bot den USA und ihren konkurrierenden Partnern die Gelegenheit, der ins Gerede gekommenen Globalisierung eine neue Legitimit�t und vor allem die n�tige milit�risch-strategische Grundierung zu verschaffen.

II. Machtstrukturen der Globalisierung

1) Die neue Qualit�t der Globalisierung

"Was die Weltwirtschaft anlangt, so ist sie verflochten" – auf diesem analytischen Niveau des Satirikers Kurt Tucholsky bewegen sich die Verfechter der These, dass Globalisierung kein neues Ph�nomen sei, sondern nichts weiter als eben die altbekannte Tatsache der weltwirtschaftlichen Verflechtung. Gerne wird auch darauf verwiesen, dass der Au�enhandelsanteil am Bruttosozialprodukt Gro�britanniens 1913 mit 45% h�her gewesen sei als heute. Tats�chlich jedoch handelt es sich bei der Globalisierung unserer Zeit um v�llig neue Dimensionen und auch um eine v�llig neue Qualit�t.

W�hrend die Weltproduktion seit 1945 um das F�nf-fache gestiegen ist, wuchs der Welthandel um das Zw�lffache (John Gray: Die falsche Verhei�ung. Berlin 1999, S.78). In Deutschland zum Beispiel gehen heute 30% des gesamten Bruttoinlandsprodukts in den Export. Doch noch drei mal schneller als der Handel mit G�tern und Diensten entwickelten sich weltweit die Ausl�ndischen Direktinvestitionen (ADI), also der Aufbau von Produktionsanlagen im Ausland (Klaus D�rre: Globalisierung – Ende des rheinischen Kapitalismus? In: Dietmar Loch/Wilhelm Heitmeyer: Schattenseiten der Globalisierung. Frankfurt/Main, 2001. S. 67f.) Drei Viertel dieser ADI werden von den 300 gr��ten globalen Unternehmen get�tigt, den die Weltwirtschaft bestimmenden Transnationalen Konzernen (TNK). (Werner Biermann/Arno Kl�nne: Globale Spiele. K�ln 2001, S.175) �ber 40 der hundert gr��ten TNK realisieren bereits mehr als 50 Prozent ihrer Ums�tze im Ausland. (Klaus D�rre, a.a.O., S. 72) F�r die TNK geht es dabei keineswegs nur darum, im jeweiligen Ausland Produkte f�r den dortigen Markt herzustellen, sondern vor allem auch um die globale Diversifierung der Wertsch�pfungskette des Konzerns. In ein Produkt, das schlie�lich weltweit vertrieben wird, gehen produktive Beitr�ge aus vielen L�ndern ein. W�hrend Forschung und Entwicklung und das Geld- und Kreditgesch�ft in der Regel im hochentwickelten Heimatland verbleiben, werden zum Beispiel arbeitsintensive Vorg�nge eher in L�nder verlegt, wo die Arbeitskosten niedrig sind. Die Informationstechnologie erm�glicht die globale Abstimmung des Produktionsverlaufs und damit dem Management, die jeweils g�nstigsten nationalen Bedingungen an L�hnen, Steuern, Krediten, Subventionen, Transportkosten usw. auszusch�pfen. Diese globale Diversifikation ist so weit fortgeschritten, dass heute bereits ein Drittel des Welthandels sogenannter "intrafirm trade" ist, also innerhalb der TNK selbst stattfindet. (UNCTAD: World Investment Report 2000, S. 17)

Das Ausnutzen der globalen Extraprofite, das ihnen seit 1982 weit h�here Gewinne beschert, als der Rest der Unternehmen aufweisen kann, hat den TNK eine �berragende Stellung in der Weltwirtschaft eingebracht: Sie kontrollieren ein Drittel der Weltproduktion und zwei Drittel des Welthandels. (John Gray, a.a.O., S. 89) Mehr als ein Viertel der gesamten Wirtschaftsaktivit�t der Welt kommt als Einnahmen in die Kassen der 200 gr��ten Konzerne zur�ck. (Der Spiegel, 30/2001). Ihre wirtschaftliche Potenz misst sich mit denen hochentwickelter Nationalstaaten. Unter den hundert gr��ten Wirtschaftskomplexen der Welt befinden sich 49 Staaten, aber schon 51 Konzerne. Ein Konzern wie General Motors erzielt einen Jahresumsatz, der dem Bruttosozialprodukt Belgiens entspricht.

So gewaltig Ums�tze und internationale Warenstr�me auch geworden sind, so werden sie doch noch weit �bertroffen von den Werten, die das internationale Finanzkapital um den Globus bewegt. 98% aller Devisentransaktionen haben �berhaupt nichts mit Warenaustausch zu tun, sondern sind in der Regel rein spekulativ. 95% weisen eine Anlagedauer von weniger als acht Tagen auf, beziehen sich also nicht auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes oder irgendein produktives Vorhaben, sondern sollen einen schnellen Schnitt machen im Manipulationsgesch�ft mit W�hrungen und Kursen aller Art. Da die t�glich bewegte Summe von 1,2 Billionen Dollar fast doppelt so hoch ist wie Reserven aller Zentralbanken zusammen genommen, ist die Manipulationsmacht des internationalen Finanzkapitals enorm. Da es au�erdem in der Regel auf Prozesse setzt, die es selbst nachhaltig beeinflussen kann – die Kursentwicklung von Devisen, Aktien, Rohstoffen usw. – entscheidet das Finanzkapital �ber das Geschick ganzer Volkswirtschaften und Regionen. F�r das Finanzkapital wie f�r die Trans-nationalen Konzerne ist allerdings entscheidend, dass eine internationale Wirtschaftsordnung hergestellt ist, worin sie sich m�glichst ungehindert bewegen k�nnen.

2) Die "weichen" Machtfaktoren

Im Zentrum der Globalisierungsstrategie der Reichen L�nder stand zun�chst die Umfunktionalisierung von Institutionen der Vereinten Nationen zu Werkzeugen der Durchsetzung einer rigiden neoliberalen Weltwirtschaftsordnung. Internationaler W�hrungsfonds (IWF), Weltbank und Welthandelsorganisation (WTO) sind zwar formal Sonderorganisationen der UN, de facto aber reine Erf�llungsgehilfen der Reichen Welt. Der IWF kontrolliert �ber "Supervision" und "Konsultationen" die W�hrungs- und Finanzpolitik der meisten L�nder der Welt, und mit den "Sonderziehungsrechten" reguliert er die Bereitstellung internationalen Geldes. Die USA, Deutschland, Japan, Frankreich und Gro�britannien verf�gen allein �ber 40% der Stimmrechte. �hnlich funktioniert die Weltbank, die j�hrlich rund 30 Milliarden Dollar f�r Kapital-hilfe an Entwicklungsl�nder vergibt. (Vgl. dazu "Real exis-tierende Strukturen internationaler politischer Regulierung" in: BrandBrunnenbr�ber Schrade StockWahl: Global Governance. M�nster 2000, S. 89–128)

Sind IWF und Weltbank die Instrumente f�r W�hrungs-, Finanz- und Strukturpolitik, so kommt auf dem Feld des internationalen Handels die WTO zum Zuge. Ihr offizielles Ziel ist die vollst�ndige Liberalisierung des Welthandels durch den Abbau von Z�llen und anderen Handelshemmnissen. Die WTO mit ihren heute 142 Mitgliedsstaaten hat 1994 das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) abgel�st. Zu den wichtigsten Neuerungen z�hlt die Einrichtung des Dispute Settlement Body (DSB), der Streitfragen rechtsverbindlich schlichtet und auch Geldstrafen und Entsch�digungsleistungen fest-legen kann. Nationale Versuche, die eigene industrielle Entwicklung vor dem Zugriff des globalen Kapitalismus zu sch�tzen, k�nnen so von der WTO als "unerlaubte Handelshemmnisse" gebrandmarkt und in der Regel zu Fall gebracht werden (a.a.O., S. 105).

Den Gipfel dieser Institutionen, die dem internationalen System die Regeln der neoliberalen Marktwirtschaft, der Demokratie und Menschenrechte nach westlichem Verst�ndnis auferlegen, bilden die G7, die Gruppe der sieben f�hrenden westlichen Industrienationen (USA, Japan, Frankreich, Gro�britannien, Deutschland, Italien, Kanada; die EU nimmt teil, Russland ist seit 1992 formal als achtes "Mitglied" dabei, hat aber keine Mitentscheidungsrechte). Ohne ein Mandat oder gar die Kontrolle der Vereinten Nationen bestimmen die G7 mittlerweile nicht nur die Grundlagen der internationalen Wirtschaftspolitik, sie legen vielmehr die Parameter f�r alle relevanten Felder der Weltpolitik fest, von Sicherheitsfragen �ber den Umweltschutz bis zur Sozial- und Arbeitspolitik.

Mithilfe solcher und vieler �hnlicher nachgeordneter Einrichtungen ist es der Reichen Welt gelungen, dem internationalen System Strukturvorgaben zu verordnen, die es auch ohne die Aus�bung direkten Zwangs in der gew�nschten Richtung h�lt. F�r diese Herrschaftsaus�bung mittels "weicher" Machtfaktoren hat die Politologie den Terminus "strukturelle Macht" hervorgebracht. (Vgl. Susan Strange: The Persistent Myth of Lost Hegemony. In: International Organization 41, 1987, S. 551–574) Solche "weiche" Macht kann aber nur funktionieren, wenn ihre ideologischen Grundlagen von den Unterworfenen anerkannt werden: die Werte des Westens wie Pluralismus, Individualismus und materieller Eigennutz als pr�gende Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens m�ssen als "universal", als �berall und f�r jedermann verbindlich, anerkannt werden. Sobald dies nicht mehr gew�hrleistet ist, m�ssen "weiche" von harten Machtfaktoren abgel�st oder zumindest erg�nzt werden.

3) Die "harten" Machtfaktoren der "neuen Weltordnung"

Von der Pr�gekraft seiner Werte war der Westen allerdings immer nur im Verbund mit den h�rtesten aller Machtfaktoren �berzeugt. Seine "neue Weltordnung" verk�ndete der damalige US-Pr�sident George Bush im Januar 1991 als Erl�uterung der Bombenangriffe auf den Irak, dem umfangreichsten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg der USA. Die USA hatten den Irak hoch ger�stet und zum Krieg gegen den Iran gedr�ngt und ihn dabei auch mit Aufkl�rung und direkten Milit�raktionen unterst�tzt. Als Saddam Hussein dennoch die eigenen �lvorr�te selbst vermarkten wollte, wurde er zum "Wiederg�nger Hitlers", und der Irak wurde zun�chst mit Bomben und dann mit einem Embargo belegt, was m�glicherweise zwei Millionen Menschen das Leben gekostet hat. F�r Bush geh�rte dies zur "gro�en Idee", worin "verschiedene Nationen sich in einer gemeinsamen Sache vereinen, um die universellen Hoffnungen der Menschheit zu verwirklichen: Frieden und Sicherheit, Freiheit und die Herrschaft des Rechts" (vgl. Leo Mayer/Fred Schmid: "Kollektiver" Kapitalismus. Manuskript, S. 1. Das Buch "Die Macht der Multis" erscheint im Fr�hjahr 2002 im Neue Impulse Verlag, Essen.) Die USA, sagte Bush damals, "f�hlen sich berufen, die Welt aus dem Dunkel und dem Chaos der Diktatur zur Verhei�ung besserer Tage zu f�hren".

Auf welchem Wege man zur Verhei�ung gelangen w�rde, erkl�rte dann der Nachfolger Bill Clinton. In seiner Stellungnahme zur "NationalSecurityStrategyof Engage-ment and Enlargement" stellte der US-Pr�sident 1994 fest: "Unsere nationale Sicherheitsstrategie besteht darin, die Gemeinschaft der Marktdemokratien zu vergr��ern und gleichzeitig eine Reihe von Bedrohungen gegen unsere Nation, unsere Verb�ndeten und unsere Interessen abzuwehren." (Vgl. Biermann / Kl�nne, a.a.O., S. 152). Der Mann aus Arkansas, den mancher wegen seiner Frauengeschichten zu Unrecht f�r einen Liberalen h�lt, sprach Klartext: nicht um "die universellen Hoffnungen der Menschheit" ging es, sondern um die Schaffung neuer "Marktdemokratien"; nicht um die "Verhei�ung besserer Tage", sondern um "unsere Interessen". Zum ersten Mal verbanden die USA ihre "nationale Sicherheitsstrategie" offen mit dem Umsturz von Gesellschaftssystemen, die nicht in den Entwurf der imperialistischen Globalisierung passten: mehr L�nder mit Marktdemokratie sollten her. Drei Jahre sp�ter legt Clinton seine "National Security Strategy for a New Century" vor, worin nun alle Instrumente exakt auf die Bed�rfnisse einer m�glichst st�rungsfreien Globalisierung ausgerichtet sind: Erstens m�sse man ger�stet sein, regionale Konflikte, Terrorismus und Drogenhandel zu bek�mpfen, die deshalb sch�dlich seien, weil US-Wohlstand und US-Arbeitspl�tze von einer weltweit stabilen Wirtschaft abhingen; zweitens m�sse man die US-Armee umr�sten von einer Armee, die zwei Gro�konflikte gleichzeitig f�hren k�nne, auf eine Streitkraft, die an vielen Punkten der Welt den jeweils sehr individuellen Herausforderungen gewachsen sei, die also jederzeit auf jede Herausforderung mit den n�tigen Eingreiftruppen reagieren k�nne. (A.a.O., S. 169f.)

Kernst�ck dieser Strategie ist das Konzept der "strategischen Kontrolle", mit der "angestrebt werden (soll), sich durchsetzen zu k�nnen, ohne wie bisher das gegnerische Territorium zu besetzen. Vielmehr soll mittels einer gr�ndlichen Durchleuchtung des Gegners die M�glichkeit geschaffen werden, durch eine pr�zise Zerst�rung der milit�rischen, industriellen und politischen Ressourcen den Gegner zu besiegen. Das soll durch den Einsatz der Luftwaffe geleistet werden. Bei Kampfhandlungen werden Bodentruppen kaum ben�tigt, h�chstens im Rahmen der politischen L�sungen." (Paul-Marie de la Gorce: A New Balance of Power: Moving Targets. Le Monde Diplomatique (English Edition), September 2000. Zitiert nach Biermann/Kl�nne, a.a.O., S. 166) Zur strategischen Kontrolle der einzelnen Konflikte addierten die USA die strategische Kontrolle des Globus schlechthin: Mit dem NMD, dem Nationalen Raketen-Programm, wollen die USA einen undurchdringbaren Schild um sich legen und gleichzeitig auch ihre Partner gegen jeden Raketenangriff sichern, weil sie �berall auf der Welt die Raketen schon beim oder sogar schon vor dem Abschuss ihrerseits vernichten w�rden. Ein perfektes Programm f�r den globalen Sheriff und Scharfrichter in Personalunion.

Parallel zu den USA qualifizierte die NATO ihre eigene Verteidigungsdoktrin. 1991 – wir erinnern uns: Golfkrieg, die neue Weltordnung von US-P�sident Bush – stellte auch die NATO ein "Neues strategisches Konzept" vor. Das "Verteidigungsb�ndnis" entdeckt v�llig neue "Sicherheitsrisiken": die "Verbreitung von Waffenvernichtungswaffen, Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen sowie Terror- und Sabotageakte". (Vgl. Mayer/ Schmid, a.a.O., S.28) 1999 schlie�lich, es ging um die Vorbereitung des Angriffs auf Jugoslawien, warf die NATO alle Fesseln von sich. Jetzt sollte es gar nicht mehr um die Verteidigung des NATO-Gebiets gehen, sondern um die Durchsetzung von "gemeinsamen Werten", von "Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit", wo auch immer in der Welt nach dem Befund der NATO solche Werte in Gefahr sein sollten. Der deutsche Au�enminister Fischer wird seit dem Nato-Krieg gegen Jugoslawien nicht m�de darauf hinzuweisen, dass die "westliche Wertegemeinschaft" aufgerufen sei, einneues "Auschwitz" zu verhindern. Mit dieser beispiellosen Relativierung des Nazi-V�lkermords haben es Fischer und Co. verstanden, das deutsche Volk nach und nach kriegsbereit zu stimmen. Beim Golfkrieg waren nur 17Prozent f�r den Einsatz deutscher Bodentruppen vor Ort, beim Kosovo 19Prozent und jetzt gegen Afghanistan w�nschen sich schon 58Prozent der Deutschen eigene Truppen im Hindukusch. (Spiegel, 41/2000).

Indem die NATO sich selbst das Recht zuspricht und auch in die H�nde nimmt, im Auftrag der Menschheit zu handeln, hebelt sie nat�rlich das Privileg der UN aus, in eben diesen Fragen t�tig zu werden. In Art. 53, �1, Satz 2 der UN-Charta wird zwar ausdr�cklich verboten, ohne Erm�chtigung des Sicherheitsrates der UN Zwangsma�-nahmen auf Grund regionaler Abmachungen oder seitens regionaler Einrichtungen zu ergreifen. Dies hat aber zum Beispiel die NATO beim Angriff auf Jugoslawien nicht gest�rt, sie hat sich selbst "mandatiert". Wahrscheinlich ging sie davon aus, dass Russland, das als St�ndiges Mitglied des Sicherheitsrates sein Veto h�tte einlegen k�nnen, Schwierigkeiten machen w�rde. In solchen F�llen m�ssen die weltweiten Verfechter der Menschenrechte nat�rlich Ausnahmen von den demokratischen Regeln machen. Normalerweise ist das seit dem Zusammenfall des Realsozialismus nicht mehr n�tig, da der Sicherheitsrat der UN meist auf Zuruf der USA und ihrer Partner funktioniert. So durften die Russen im Auftrag des Sicherheitsrates in Georgien f�r "Sicherheit" sorgen, die Franzosen in Ruanda, die NATO in Bosnien und Herzegowina, die USA in Somalia und Haiti. Die UN haben, neben der globalen Wirtschaftspolitik, l�ngst auch die "kollektive Sicherheitspolitik" aufgegeben. (Vgl. Berthold Meyer: Kollektive Sicherheit oder Weltinnenpolitik? In: Claus Leggewie/Richard M�nch: Politik im 21. Jahrhundert. Frankfurt/Main 2001, S. 359-374)

III. Gewinner und Verlierer der Globalisierung

Ganz im Gegensatz zur Propaganda der Reichen - die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung �berschrieb ihren Vorbericht zum WTO-Treffen in Katar: "Globalisierung ist gut f�r die Armen" (FAZ, 28.20.01) – sorgt die Globalisierung f�r immer gr��ere weltweite Ungleich-heit. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer �rmer. Der sogenannte GINI-Koeeffizient, mit dem die Diskrepanz zwischen dem obersten und dem untersten F�nftel der Einkommensverteilung gemessen wird, hat sich von 1960 bis 1990 von 1:30 auf 1:60 ge�ffnet, d.h. das reichste F�nftel der Erde hatte 1960 30mal mehr als das �rmste und 1990 60mal mehr. "Von 1990 bis 1997, als die Globalisierung sich beschleunigte, stieg er noch einmal von 1:60 auf 1:74." (Global Governance, a.a.O., S. 11 – die Daten wurden vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP errechnet). Der Anteil des �rmsten F�nftels der Menschheit am Welteinkommen fiel von 1989 bis 1998 von 2,3% auf 1,4%. Das Pro-Kopf-Einkommen in 20 zentralafrikanischen Staaten ist heute niedriger als Ende der Siebziger Jahre (Anthony Giddens: Entfesselte Welt. Frankfurt 2001, S. 27f.)

Das Elend der Armen Welt ist nicht blo� auf den "Selbstlauf der Marktkr�fte" zur�ckzuf�hren, die "sanften Machtfaktoren" des globalen Systems haben kr�ftig mitgeholfen. Seitdem IWF und Weltbank ihre Programme der "Strukturanpassung" aufgelegt haben, hat die Verschuldung Schwarzafrikas um 400Prozent zugenommen. (Biermann/Kl�nne, a.a.O., S. 220) F�r die Gesamtheit der Entwicklungsl�nder ist die Verschuldung in den letzten zehn Jahren um 70% gestiegen. Die Armen L�nder haben j�hrlich sieben mal so viel an Schuldendienst in die Reichen L�nder zu �berweisen, wie sie an Entwicklungshilfe erhalten. So entschieden die Reichen verlangen, dass die Entwicklungsl�nder alle Hemmnisse f�r ihre Produkte und ihre Investitionen aus dem Weg r�umen, so skrupellos schotten sie die eigenen M�rkte gegen Produkte aus der Armen Welt ab. Selbst der Chef der WTO, Mike Moore, muss zugeben, dass eine wirklich zweiseitige Handelsliberalisierung den Armen L�ndern Hunderte Milliarden Dollar einbringen w�rde. Doch stattdessen subventionieren die OECD-Staaten ihre eigene Landwirtschaft – zun�chst geht es beim Export der Armen �berwiegend um Agrarprodukte – mit j�hrlich 300 Milliarden Dollar, was wiederum dem Siebenfachen der Entwicklungshilfe entspricht. Auch in der zentralen Frage der Patente, wo die Armen um Sonderkonditionen bitten, sind die Reichen bisher hart geblieben. Dies gilt auch bei Arzneimitteln, was ein millionenfaches Todesurteil f�r die Menschen in der Armen Welt bedeutet. 13 Millionen Afrikaner sind bereits an Aids gestorben, 23 Millionen sind infiziert, 10 Millionen Kinder sind durch Aids zu Waisen geworden. (FAZ, a.a.O.) Die Pharma-Konzerne hat dies nicht dazu bewegen k�nnen, diesen L�ndern Ausnahmepreise f�r ihre Heilmittel einzur�umen. Die auf dem G7-Gipfel gew�hrte "Aids-Hilfe" ist l�cherlich; die eine Milliarde Dollar m�ssen die Armen L�nder an zwei Tagen an Zinsen und Tilgung f�r ihre Schulden leisten, und im �brigen werden die Mittel an die Pharma-Konzerne �berwiesen, die bei ihren hohen Preisen bleiben.

Globalisierung t�tet

Globalisierung t�tet. Alle zwei Stunden verhungern mehr Menschen, als bei dem Anschlag auf das World Trade Center ums Leben kamen. Jeder siebte Mensch, jedes f�nfte Kind ist unterern�hrt, obwohl die globale Produktion an Lebensmitteln den Bedarf bei weitem �bertrifft. Drei Milliarden Menschen, die H�lfte der Erdbev�lkerung, m�ssen mit weniger als 2 Dollar pro Tag auskommen; 1,3 Milliarden haben nicht einmal einen Dollar am Tag. In Indonesien leben 40 Prozent der �ber 200 Millionen Einwohner unterhalb dieser offiziellen Armutsgrenze. Eine Milliarde Menschen, jeder vierte Erwerbsf�hige, ist ohne Arbeit. Zwei Milliarden Menschen leiden an mangelbedingter An�mie (Vgl. u.a. die jeweiligen Ausgaben des "Human Development Report", die vom United Nations Development Programme, New York, zusammengestellt werden).

W�hrend gro�e Teile der Menschheit in Armut und Elend versinken, h�ufen die Nutznie�er der Globalisierung in den Industriel�ndern phantastischen Reichtum auf. Die 15 reichsten Personen haben ein gr��eres Verm�gen als das Bruttosozialprodukt aller Schwarzafrika-Staaten. Das Privatverm�gen der 225 Reichsten entspricht fast dem Jahreseinkommen der H�lfte der Menschheit. Doch verdeckt die Formel von der "Reichen Welt" den Umstand, dass die Globalisierung daf�r sorgt, dass auch in diesem Teil der Welt die Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter �ffnet. Neoliberale Globalisierung, stellt Jonathan Gray, der fr�here Wirtschaftsberater der britischen Premierministerin Thatcher fest, bedeutet den "Wettbewerb der Nationalstaaten um den Abbau von Lenkungsma�nahmen und sozialen Sicherungssystemen" (Gray, a.a.O., S. 119). Da Arbeit in Billiglohnl�nder verlagert wird – "die L�hne werden jetzt in Peking gemacht" – erreicht der freie Markt in den Industriel�ndern genau das, was der Sozialismus nie geschafft hat: "er l�sst das b�rgerliche Leben absterben", f�hrt zu Reproletarisierung und der Entb�rgerlichung der Mittelschichten (a.a.O, S. 102). "Die Besch�ftigung der armen Armen st�rzt die reichen Armen ins Elend; noch �rmer geworden, und den armen Armen n�her ger�ckt, werden sie ihrerseits geringere Anspr�che stellen." (Viviane Forrester: Der Terror der �konomie. M�nchen 1998, S. 147).

Die Zahlen best�tigen den d�steren Befund: In den USA ist der Durchschnittslohn von 80 Prozent der Besch�ftigten von 1973 bis 1995 um 18% gesunken, w�hrend die Einkommen der Manager um 19% gestiegen sind. Top-manager verdienen mittlerweile das 150fache eines Arbeiters (Gray, a.a.O., S. 158f.; vgl. auch Richard D. Wolff: Die US-Wirtschaft im Jahr 2000. In: isw-report Nr. 43. S.11–15). 50 Millionen, fast 20Prozent der US-Bev�lkerung, gelten offiziell als arm, 40 Millionen haben keine Krankenversicherung, 52 Millionen sind Analphabeten, schon deshalb zu Verlierern der Globalisierung verurteilt. (Vgl. Viviane Forrester: Die Diktatur des Profits. M�nchen 2001, S. 69ff) Die Europ�ische Union ist wie in der Glo-balisierung auch hier den USA auf den Fersen: Sie weist offiziell 20 Millionen Arbeitslose und 50 Millionen Arme auf. (Biermann/Kl�nne, a.a.O., S. 198f.)

Dem fortgeschrittenen Elend in den USA entspricht die wachsende "Anomie", das Auseinanderfallen der sozialen Beziehungen und die Zunahme der Kriminalit�t. F�nf Millionen Menschen befinden sich in den USA im Strafvollzug (was u.a. der Arbeitslosenstatistik aufhilft, denn Strafgefangene werden nicht zur erwerbsf�higen Bev�lkerung gez�hlt). In der Hauptstadt Washington, DC, sind 40 Prozent der m�nnlichen Farbigen zwischen 18 und 35 Jahren entweder im Gef�ngnis, auf Bew�hrung, auf der Flucht oder vor Gericht. Die Anwort der Reichen und M�chtigen besteht nicht etwa in der Entwicklung von Ausbildungs- und Arbeitsprogrammen, sondern in der Versch�rfung der Gesetze und der St�rkung der polizei-lichen Schlagkraft. Gegen Elend und Kriminalit�t versuchen die Reichen sich in speziell bewachten Festungen abzuschotten. 28 Millionen Menschen, 10 Prozent der US-Bev�lkerung, wohnen in sogenannten "gated communities", eigenen Wohnbezirken, die von privaten Wachgesellschaften gesch�tzt werden. (Gray, a.a.O., S.161f) In der Organisation ihrer eigenen Gesellschaft, Inseln des Reichtums zu sichern inmitten einer verrottenden Umgebung, die nach Bedarf polizeilich diszipliniert wird, l�sst sich unschwer das Muster der nach dem 11.9.2001 angestrebten Globalisierung erkennen.

IV. Der "Krieg gegen den Terror": Die neue Sicherheitsstrategie der Globalisierung

1) Die ideologische Munition

Nichts hat die Verfechter des "Kriegs gegen der Terror" hierzulande mehr aufgebracht, als die Feststellung der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy, Osama bin Laden sei der "dunkle Doppelg�nger des amerikanischen Pr�sidenten. Der brutale Zwilling alles angeblich Sch�nen und Zivilisierten. Er ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die durch die amerikanische Au�enpolitik verw�stet wurde, durch ihre Kanonenbootdiplomatie, ihr Atomwaffenarsenal, ihre unbek�mmerte Politik der unumschr�nkten Vorherrschaft, ihre k�hle Missachtung aller nichtamerikanischen Menschenleben, ihre barbarischen Milit�rinterventionen, ihre Unterst�tzung f�r despotische und diktatorische Regimes, ihre wirtschaftlichen Bestrebungen, die sich gnadenlos wie ein Heuschreckenschwarm durch die Wirtschaft armer L�nder gefressen haben. Ihre marodierenden Multis, die sich die Luft aneignen, die wir einatmen, die Erde, auf der wir stehen, das Wasser, das wir trinken, unsere Gedanken."

Entr�stet fragt der Kommentator der Zeit: "Welche Logik erlaubt es, beliebige Amerikaner f�r die Politik beliebiger Regierungen ihres Landes mit dem Tode zu bestrafen? Und welche Logik, umgekehrt, erlaubt es den Intellektuellen beliebiger Staaten der Dritten Welt, sich mit den (�brigens blo� unterstellten) Motiven eines beliebigen Terroristen zu identifizieren?" (Zeit, 4.10.2001) Von all dem, was da an rhetorischen Fragen aufgeworfen wird, ist bei Roy nichts zu lesen. Sie nennt Bin Laden einen "dunklen Doppelg�nger des amerikanischen Pr�sidenten", den sie offenbar verabscheut. Sie sagt, Bin Laden, ist aus der Rippe einer Welt gemacht, deren ungeheuerlicher Zustand vor allem den USA zur Last zu legen ist. Offenbar missbilligt sie diesen Weltzustand, doch erkennt sie im Handeln der Terroristen die Obsz�nit�t der Zust�nde wieder. Dass dieser Zusammenhang, dieses Spiegelbild gezeigt wird, bringt den Zeit-Autor um den Verstand. Dass Roy "Amerika mit den Ursachen dieses Elends identifiziert", l�sst ihn der indischen Schriftstellerin "paranoiden Beziehungswahn" bescheinigen.

Selbstverst�ndlich muss er dies tun, wenn er die Haltung der USA und ihrer Partner rechtfertigen will. Denn, wie Erhard Eppler, der im �brigen Kritiker in seiner SPD zu Mitl�ufern des Terrorkriegs zu machen versucht, im zaghaften Konjunktiv konstatiert: "Sollte es stimmen, dass die globalisierte Wirtschaft weltweit nur einen geringen Teil der arbeitsf�higen Menschen brauchen kann, so w�re dies nicht nur inhuman, es w�rde auch privatisierte, kriminalisierte und schlie�lich chaotische Gewalt freisetzen." (Spiegel, 41/2001). Nun ist es aber so, dass Arbeitslosigkeit und Hunger, Krankheit und Tod auf der Welt au�erordentlich viel damit zu tun haben, dass ein gro�er, wachsender Teil der Menschheit "von der globalisierten Wirtschaft nicht gebraucht" bzw. entsprechend seinen Profitvorgaben verbraucht wird. Wir haben schon festgestellt, dass jeder vierte Erdenb�rger unter der Armutsgrenze lebt, dass jeder vierte Erwerbsf�hige ohne Arbeit ist und dass jedes f�nfte Kind Hunger leidet, und dass dieses Elend die Kehrseite der Produktionsmaschine des globalen Imperialismus darstellt. Die imperialistische Globalisierung ist ein permanenter Bruch der elementaren Menschenrechte. In Artikel 23 der Allgemeinen Erkl�rung der Menschenrechte – von den Vereinten Nationen im Dezember 1948 beschlossen – ist festgelegt: "Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit." In Artikel22 wird die "Soziale Sicherheit" zu einem Grundrecht des Menschen erkl�rt: "Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Ma�nahmen und inter-nationale Zusammenarbeit unter Ber�cksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuss der f�r seine W�rde und die freie Entwicklung seiner Pers�nlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen."

Der neoliberale Kapitalismus und die neoliberale Globalisierung, die ideologisch eine Vielzahl von Modernisierungsverlierern postulieren, damit sich ihre Art von Fortschritt durchsetzen kann, und die in der Praxis schon mehr als die H�lfte der Menschheit zu Verlierern, zu Opfern gemacht haben, bilden eine monstr�se Struktur der permanenten Menschenrechtsverletzung. Andererseits reklamieren sie f�r sich unter Hinweis auf die Gef�hrdung oder Verletzung von Menschenrecht das Recht, ja die Pflicht zu milit�rischen Eingriffen �berall dort, wo es ihren Interessen zuwiderl�uft. Dass der Bock sich hier zum G�rtner aufschwingt, dass die Menschenverachtung von Terroristen dem Zugriff der Globalisierer entspringt und entspricht, darf nicht ausgesprochen werden. Wer dieses Tabu bricht, muss entweder auch zum Kriminellen – US-Pr�sident Bush: entweder man schlie�t sich dem Kreuzzug gegen den Terrrorismus an oder man steht an der Seite der Terroristen – oder aber zum Wahnsinnigen gestempelt werden, was die "Zeit" pflichtschuldigst erf�llt, wenn sie Roy und ihresgleichen als "paranoid" wegsperren will.

Nat�rlich sind nicht nur die Menschen, die das Elend der Globalisierung als N�hrboden des Terrors ansehen, paranoid, sondern vor allem die Terroristen selber. Gelten sie als "geistes-krank", muss man sich um eventuelle Motive ihres Handelns jenseits der Psychiatrie nicht mehr k�mmern. F�r diese Art der propagandistischen Zurichtung ist in unserem Land seit l�ngerem Hans Magnus Enzensberger zust�ndig, der schon Saddam Hussein als Hitlers Wiederg�nger ausgemacht hatte, "Ausdruck einer stets mobilisierbaren Zerst�rungs- und Selbstzerst�rungsbereitschaft, die sich ihre Anl�sse und Gegenst�nde nach Belieben sucht." (Zeit, 31.10.2001). Auch Bin Laden und Gefolgsleute sind h�chstens F�lle f�r die Geschlossene Abteilung: "Auf die Frage, woher ihre psychische Energie stammt, die den Terror speist, kann die ideologische Analyse jedoch keine Antwort geben. Vorgaben wie links oder rechts, Nation oder Sekte, Religion oder Befreiung f�hren genau zu denselben Handlungsmustern. Der gemeinsame Nenner ist die Paranoia. Auch im Fall des New Yorker Massenmordes wird man sich fragen m�ssen, wie weit das islamistische Motiv tr�gt; jede beliebige andere Begr�ndung h�tte es auch getan." (A.a.O.)

Auf zum "Kampf der Kulturen"

Enzensbergers Paranoia-Verfahren entlastet zwar den globalen Imperialismus, vers�umt es aber, den Gegner, der jetzt auszuschalten ist, in die Schusslinie zu bringen. Denn nat�rlich kann es im "Krieg gegen den Terrorismus" nicht nur darum gehen, die Oberen von Bin Ladens Netzwerk Al Qaida in Zwangsjacken oder in S�rge zu stecken. Es geht um den islamischen Fundamentalismus schlechthin, die nach dem Verstummen des Sozialismus einzige weltweite Ideologie, die sich der imperialistischen Globalisierung widersetzt, die insbesondere daf�r pl�diert, dass Erdgas und Erd�l der islamischen L�ndern den westlichen Multis entzogen und f�r die Entwicklungsziele der L�nder selbst eingesetzt werden soll. "Auschwitz"-Fischer ist auch diesmal zur Stelle und ernennt die Anschl�ge des 11. September zur allgemeinen "totalit�ren Herausforderung" und der Bruder im Geiste Cohn-Bendit h�lt die Taliban f�r "faschistoid" und befindet, "der radikale Islamismus surft auf dem Ungl�ck der arabischen Massen wie einst der Bolschewismus auf dem Ungl�ck des Proletariats". (A.a.O.) Da sind nun alle beisammen: die Faschisten, die Kommunisten und nun der islamische Fundamentalismus, es geht also mal wieder um nichts weniger als um das Schicksal der gesitteten Welt. Kanzler Schr�der fasst zusammen: "Das ist ... ein Konflikt zwischen Mittelalter auf der einen Seite und Moderne auf der andern." (Zeit, 18.10.01)

Aber reicht dieses Mittelalter nicht weit �ber den islamischen Fundamentalismus hinaus? Immer mehr psychologische Kriegf�hrer in den deutschen Medien kommen zu der Erkenntnis, dass dem Islam schlechthin der Kampf anzusagen ist. Das islamische Gesetz, wei� der neue Literaturchef der S�ddeutschen Zeitung, sei "inhuman und zerst�rerisch". �berhaupt bewege sich der Islam in den Fu�stapfen des Faschismus. Dass die Muslime in ihrer Mehrheit nicht extremistisch seien, sei nicht unbedingt beruhigend. Schlie�lich seien auch die Deutschen im Dritten Reich mehrheitlich keine Fanatiker gewesen. Es reiche aber, wenn ein fanatischer Kern von einer verst�ndnisvollen Mehrheit getragen werde. Der Artikel beginnt mit seiner Quintessenz: "Das fromme W�nschen hat nichts geholfen, einen Kampf der Kulturen wird es doch geben m�ssen." (SZ, 24.10.01)

Der Kampf der Kulturen richtet sich also jetzt nicht etwa gegen eine kleine radikale Minderheit, sondern gegen die "verst�ndnisvolle Mehrheit" des Islam, immerhin weit �ber eine Milliarde Menschen. Und nat�rlich findet der Kampf nicht als Diskurs einer zivilen Weltgesellschaft statt. "Das Prinzip hei�t Politik – wiewohl unter Beimischung von Blei." (Zeit, 4.10.2001). Wer sich politisch nicht f�gen will, den werden die Eingreiftruppen Mores lehren. "Der Westen wird (den Kampf der Kulturen) wohl f�hren m�ssen: so werbend wie m�glich und so wehrhaft wie n�tig." (FAZ, 29.10.01). Die Absolution f�r Mord und Totschlag ist schon von oberster philosophischer Stelle erteilt. J�rgen Habermas m�chte, dass wir "den prek�ren �bergang von der klassischen Machtpolitik zu einem weltb�rgerlichen Zustand �ber die Gr�ben eines aktuellen, auch mit Waffen ausgetragenen Konflikts hinweg als gemeinsam zu bew�ltigenden Lernprozess verstehen". Hat der Philosoph f�r diese sch�ne These vom "Krieg als kommunikatives Handeln" (Konkret, 10/2001) hin zur globalen Zivilgesellschaft im Jahr 1 des Terrorkriegs den "Friedenspreis" des deutschen Buchhandels verliehen bekommen? So wie V.S. Naipaul just in diesem Jahr des Angriffs auf das Mittelalter den Literatur-Nobelpreis erhalten hat, weil er die Arme Welt so eindrucksvoll als "Reich der Finsternis" wiedergibt? US-Pr�sident Bush hat recht, wenn er sagt, dieser Krieg werde an vielen Fronten gef�hrt.

Wir sind die Moderne, also die Guten, die anderen das Mittelalter, die B�sen: "grauenhafte Strukturen, jenseits dieser Welt" (Gerhard Schr�der, a.a.O.) "Die moderne Zivilisation (ist) schon deshalb grunds�tzlich �berlegen, weil nur sie in der Lage ist, f�r die gewaltig gestiegene Weltbev�lkerung einigerma�en ausk�mmliche Lebensgrundlagen zu schaffen und zu erhalten." (Ex-CDU-Vorsitzender Wolfgang Sch�uble, SZ 24.10.01). Nun fragt man sich nat�rlich, warum diese moderne Zivilisation das noch nicht realisiert hat, warum stattdessen Arbeitslosigkeit, Hunger und Elend sich ausbreiten. Auch auf diese Frage sind die Propagandisten des Terrorkriegs pr�pariert. Der Zeit-Redakteur, der die Globalisierungskritikerin Roy als paranoid entlarvt hat, sieht deren "Irrsinn" schon deshalb "aus allen Ritzen" lugen, weil "keineswegs erwiesen (ist), wie weit die Erste Welt am Elend der Dritten �berhaupt beteiligt ist und wie hoch der Anteil von deren eigenen korrupten Eliten zu veranschlagen ist." (Zeit, 4.10.2001) Das Elend in der Dritten Welt muss also konzediert werden, aber Schuld daran tr�gt in seinen L�ndern der Islam und im �brigen die jeweilige einheimische Elite.

Das Entlastungsman�ver taugt nicht. Denn die Eliten in der Dritten Welt w�ren in der Regel gar nicht an der Macht, h�tten sie die USA und ihre Partner nicht dorthin gebracht und dort gehalten. Allein 1998 haben die USA in 110 L�ndern sogenannte Joint Combined Exchange Training-Missionen durchgef�hrt – Trainingsprogramme von Sondereinheitsspezialisten der USA mit den einheimischen Milit�rs und Polizeieinheiten, wie sie am besten ihre innere Opposition bek�mpfen k�nnen. (Chalmers Johnson: Ein Imperium verf�llt. M�nchen 2000, S. 102f). In den Genuss dieser speziellen Modernisierungshilfe kamen u.a. die T�rkei bei ihrem Feldzug gegen die Kurden und alle 19 lateinamerikanischen L�nder. Wann immer die V�lker es schafften, die eigenen korrupten Regimes zu st�rzen, waren die USA und Partner zur Stelle, um die Demokratiebewegungen zu liquidieren und ihre Marionetten wieder zu installieren. So geschehen u.a. im Iran, als die Regierung Mossadegh es wagte, die �lgesellschaften zu verstaatlichen; in Guatemala, als die Regierung Arbenz eine Bodenreform gegen die US-Multis durchf�hren wollte; in Indonesien gegen Pr�sidenten Sukar-no, weil der sich zu einem Sprecher der "Blockfreien" gemacht machte – US-Au�enminister Dulles verf�gte damals, Neutralit�t sei "unmoralisch"; im Kongo gegen den Premierminister Lumumba, der die Bodensch�tze des Landes vergesellschaften wollte; in Vietnam gegen die erfolgreiche antikolonialistische Revolution, drei Millionen Menschen kamen in diesem Krieg der USA zu Tode; in Chile gegen den demokratischen Pr�sidenten Allende, der, wie Zehntausende Anh�nger der Unidad Popular, ermordet wurde; gegen das sozialistische Kuba wurde eine Invasion gestartet und nach deren Scheitern ein bis auf den heutigen Tag wirksames Embargo verh�ngt; in Nicaragua und Salvador f�hrte die CIA "Contras" ins Feld, um die demokratisch-revolution�re Entwicklung abzuw�rgen; in S�dafrika st�tzte die CIA bis zuletzt das Apartheid-Regime, auch die Festname von Nelson Mandela wurde von der CIA organisiert (Vgl. Conrad Schuhler: Return to sender? Konkret 11/2001) Die USA und Co. waren und sind die Schutztruppe der einheimischen korrupten Eliten, die ja dann auch vor allem von den Staaten und Konzernen des Westens korrumpiert werden.

Zwei Wochen nach dem Anschlag auf New York und Washington wurde George W. Bush gefragt, wie er auf den Hass reagiert, den es offenbar in den islamischen L�ndern gegen die USA gibt. Die Antwort des Pr�sidenten: "Ich bin entgeistert. Ich kann es einfach nicht glauben, weil ich wei�, wie gut wir sind." Wie gut "wir" sind, zeigt sich beispielhaft im B�ndnis gegen Afghanistan. "Freunde, die zum F�rchten sind" und "Wenn aus Schurken Alliierte werden" �berschrieb die "Zeit" (27.9.01, 4.10.01) ihre Analysen zu diesem B�ndnis "gegen das Mittelalter". Pakistan, Usbekistan, Tadschikistan, die T�rkei, Saudi-Arabien und die Golfstaaten Kuweit, Bahrain und Katar – �berall finden gr�bste Menschenrechtsverletzungen statt, viele sind nur m�glich, weil US-Truppen den Schindern wie in Saudi-Arabien und Kuweit zur Seite stehen. Eben noch "Schurkenstaaten", werden jetzt der Sudan, Syrien und der Iran als "Alliierte" begr��t. Prompt fehlen in der Schwarzen Liste von 27 Terrororganisationen, die Pr�sident Bush vorgelegt hat, damit ihre Konten weltweit eingefroren werden, die von Syrien und dem Iran unterst�tzten Pal�stinensergruppen Hamas und Hizbullah. Der Umgang der USA und ihrer Partner mit Terror und Terrorgruppen ist rein taktisch, mit "Moderne" oder "westlichen Werten" hat dies nichts zu tun. Der Westen ist eine Machtmaschine, die Moral nur zur Propaganda braucht.

2) Das strategische Konzept: Weltpolizei – Nation-Building – Innere Sicherheit

Die USA fungieren seit langem als globaler Polizist. Ihre Satelliten und Horchger�te kontrollieren alles, was sich bewegt oder mitteilt. Auf 800 St�tzpunkten in aller Welt ist Milit�r platziert. (Chalmers Johnson, a.a.O., S. 20) Der Realsozialismus ist mittlerweile als Begr�ndung f�r diese Besetzung des Globus entfallen. In seiner letzten Sicherheitsdirektive hat Bushs Vorg�nger Bill Clinton schon die neuen Gegner benannt: den Terrorismus, die Drogen und regionale Konflikte. Clinton hat auch schon Cruise Missiles auf sechs Ausbildungslager Bin Ladens in Afghanistan abschie�en und den Sudan bombardieren lassen. In Lateinamerika haben die USA mehrfach im "Kampf gegen die Drogen" eben die Regimes stabilisiert, die am Drogenhandel beteiligt sind. Die neuen "globalen Gefahren" haben den unsch�tzbaren Vorteil, dass die USA nach Belieben irgendwo eine "Sicherheitsgefahr" ausmachen und milit�risch eingreifen k�nnen. Bush hat dieses Rezept nun im "Krieg gegen den Terror" perfektioniert. Er hat zudem klar gemacht, dass, wie schon zu Zeiten des Kalten Krieges, keine "Neutralen" mehr geduldet werden. "Entweder ihr seid auf unserer Seite", wandte er sich im US-Kongress an die V�lker der Welt, "oder ihr seid auf der Seite der Terroristen." In Zukunft wird es nur noch Staaten geben, die den Qualit�tstest der US-Regierung bestanden haben. Alle anderen sind Terroristen und werden, wenn n�tig, in Grund und Boden gebombt. Das Kriterium "Menschenrechte", das bisher die Begr�ndung f�r milit�rische Interventionen zu liefern hatte, ist abgel�st worden vom "Antiterrorismus". Das macht die Eingriffe noch leichter, da die USA, wie schon im Pr�zedenzfall Afghanistan, sich nicht darum zu scheren brauchen, irgendwelche Beweise vorzulegen. Dass es nicht um ein Szenario nur f�r Afghanistan, sondern um einen neuen Zugriff auf die ganze Welt geht, wird Bush selbst nicht m�de zu unterstreichen: "Unser Krieg gegen den Terrorismus beginnt mit der Al-Qaida, aber er endet dort nicht. Er wird nicht aufh�ren, ehe s�mtliche Terroristengruppen mit weltweiter Reichweite aufgesp�rt, gestoppt und niedergerungen sind." Lange wird das dauern: "Nicht blo� eine Schlacht, sondern einen lang andauernden Feldzug – wie wir ihn bisher noch nie erlebt haben." (Zeit, 27.9.01).

Zwar haben die USA im Sicherheitsrat der UN einen Beschluss fassen lassen (mit 15 : 0 Stimmen), der alle Regierungen in ihren Staaten zu Ma�nahmen gegen den Terrorismus verpflichtet. Eine Erm�chtigung zur Kriegf�hrung ist dies mitnichten, was aber die USA nicht k�mmert. Auch lassen sie sich bei der Planung und Durchf�hrung der milit�rischen Operationen nicht von den UN und auch von sonst niemandem dreinreden, auch nicht von den Freunden in der Nato, die eiligst den "B�ndnisfall" festgestellt, sich also auch selbst als im Krieg befindlich erkl�rt haben. Es geht eben nicht darum, dass die "Weltgemeinschaft" einem internationalen Recht unterworfen wird, sondern dass die USA nach eigenem Gutd�nken ihre Art von Ordnung schaffen. "Die St�rke des Rechts wurde sp�testens im Kosovo-Krieg durch das Recht des St�rkeren abgel�st. Besonders die einzig verbliebene Supermacht weigert sich immer �fter, recht-lichen Regelungen und Vertr�gen beizutreten – ich nenne den Landminen-Vertrag, das Abkommen �ber Biologische Waffen, den Internationalen Strafgerichtshof." (Dieter S. Lutz, Direktor des Hamburger Instituts f�r Friedensforschung und Sicherheitspolitik. "Freitag", 21.9.2001).

Vor allem an ihrem Widerstand gegen den Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs erweist sich die Doppelz�ngigkeit der US-Regierung. Zu Recht wird beklagt, dass Gewalt und Verbrechen "entgrenzt" sind, im staat-lichen Rahmen nicht mehr zu bek�mpfen. Menschheitsverbrechen wie das vom 11. September sollen deshalb in Zukunft von einem Internationalen Tribunal gepr�ft und geahndet werden. Doch ausgerechnet die USA bek�mpfen das Projekt mit allen Mitteln. Die Bush-Regierung hat erkl�rt, sie werde allen Staaten die Milit�rhilfe streichen, die das Tribunal unterst�tzen. Sie will zudem "alle notwendigen und geeigneten Mittel einsetzen", um US-B�rger aus der Haft des Gerichtshofs zu befreien. US-Streubomben auf Den Haag? (Vgl. SZ, 8.10.2001) Nat�rlich hat die US-Regierung gute Gr�nde f�r ihre Obstruktion, muss sie doch davon ausgehen, dass vor allem ihre Repr�sentanten sich vor den Schranken des neuen Weltgerichts wiederfinden w�rden.

�berhaupt kommt man nicht umhin anzuerkennen, dass die Strategie des "lang andauernden Kriegs gegen den Terror" in der Logik der kapitalistischen Globalisierung liegt. In "Jihad vs. McWorld" beweist Benjamin R. Barber, dass "McWorld" – die aggressive wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung – zu Anarchie und sozialem Chaos f�hren, "die das Klima der Verzweiflung erst geschaffen haben, das der Terrorismus jetzt so effektiv ausgenutzt hat". (Financial Times Deutschland, 19.10.01). Doch nicht nur der Terrorismus erw�chst aus Elend und sozialem Chaos. 1992 wurde Mexico Mitglied der neugegr�ndeten Freihandelszone zusammen mit den USA und Kanada. Zwei Jahre sp�ter kam es in Mexico synchron zum gro�en Crash des Geld- und W�hrungssytems sowie zum ersten Losschlagen der Chiapas-Rebellen. F�nf Jahre sp�ter fand sich dann zur Weltkonferenz der WTO erstmals "das Volk von Seattle" zusammen und machte unter dem Schlachtruf "Die WTO t�tet Menschen. T�tet die WTO" der dortigen Tagung ein Ende. Zum "Volk von Seattle" z�hlen nicht nur Indianer Lateinamerikas oder Nike-Kulis aus Hongkong und Malaysia, sondern immer mehr auch Betroffene der Ersten Welt, Gewerkschafter und vor allem Mitglieder der von Soziologen sogenannten "Avantgarde", j�ngere Menschen, die mit idealistischem Engagement f�r eine globale Zivilgesellschaft eintreten (Vgl. Michael Vester: Wer sind heute die "gef�hrlichen Klassen?" In: Loch/Heitmeyer, a.a.O., S. 298–345. Nach Vester macht das Potential der "Avantgarde" in den L�ndern der alten Bundesrepublik rund ein Viertel der Bev�lkerung aus.) Seitdem war dieses Volk bei allen gro�en internationalen Konferenzen zugegen, zuletzt beim G7-Gipfel in Genua mit 250.000 Menschen, so dass selbst der franz�sische Staatspr�sident Chirac auf den Gedanken kam, so viele Menschen w�rden wohl nicht auf die Stra�e gehen, wenn alles zum Besten st�nde. Mittlerweile z�hlt allein Attac, ein europ�isches Sammelbecken der Globalisierungsgegner, mit 50.000 Menschen so viele Mitglieder, wie zwei Jahre zuvor in Seattle demonstrierten.

Was sollen also nun die Herren der Globalisierung tun, wenn sie mit dem "Ausbruch des globalen Terrors einem Tschernobyl der Weltwirtschaft" (Ulrich Beck) konfrontiert wurden? Selbstverst�ndlich stempeln sie als erstes jeden Globalisierungsgegner zum Terroristen, was aber nicht einmal Attac bremsen kann, geschweige denn etwas an den Zust�nden in der Armen Welt �ndert. Um dort Hass und Gewalt den Boden zu entziehen, fordert der Politologe Barber "eine zweite, demokratische Front", die f�r weltweite Verteilungs-Gerechtigkeit und Religi-onsfreiheit sorgen soll. Der Soziologe Beck mahnt, "staatliche Strukturen und Institutionen zu schaffen, die eine Weltoffenheit sowohl im Hinblick auf religi�se, nationale und lokale Vielfalt und Grundrechte wie im Hinblick auf die wirtschaftliche Globalisierung erm�glichen". Wie bei den Attac-Vorschl�gen einer Steuer auf spekulative Devisengesch�fte oder der Einf�hrung weltweiter Sozialstandards, laufen alle diese Rezepturen einer "Global Gover-nance" auf einen Welt-Sozialstaat unter imperialistischen Bedingungen hinaus, denn die Frage der �konomie, der Herrschaft der Transnationalen Konzerne wird in der Regel nicht einmal erw�hnt. Der Diskurs �ber die globale Zivilgesellschaft soll auf jeden Fall zivil und unbedingt ohne jede Grenze gef�hrt werden, mit einer Ausnahme: das entscheidende Problem der �konomie und die daraus resultierende Herrschaft sind diesem Diskurs entzogen. Das Dumme ist nur, dass das Lebensinteresse der Transnationalen Konzerne und die globale Zivilgesellschaft einander ausschlie�en.

Barber und Beck scheinen das nicht zu wissen, George W. Bush wei� es und macht es zur Grundlage der US-Strategie. Die geht von der Existenz von Elend und Ungleichheit und daraus resultierender Gewalt aus und entwickelt als L�sung die milit�rische Niederschlagung von Widerstand und Protest. "Kriegsverh�tung als Doktrin wurde aufgegeben," stellt Dieter S. Lutz, der Direktor des Hamburger Instituts f�r Friedensforschung und Sicherheitspolitik fest, "und die Verteidigungskr�fte – einschlie�lich der Bundeswehr – wurden beziehungsweise werden zu Einsatzarmeen umgebaut. An Stelle von Interessenausgleich wird zunehmend Interessendurchsetzung, die Erweiterung des Interessenspektrums und die Ausdehnung des milit�rischen Interessen- und Einsatzgebietes propagiert." (a.a.O.) Kriege geh�ren zum Kalk�l dieser Strategie; es geht nicht darum, sie zu verhindern, sondern sie zu gewinnen. Auch bei der F�hrung des Krieges gibt es keine zivilen Skrupel. Eben hatte man sich noch emp�rt �ber die Barbarei der Terroristen, die unschuldige Zivilisten umgebracht hatten, nun bombardiert man selbst – "so versehentlich wie regelm��ig" (Franziska Augstein) – die afghanische Zivilbev�lkerung. Mit wachsender Intensit�t kommen B-52-Bomber zum Einsatz, von denen jeder jedesmal 30 Clusterbomben abwirft, von denen jede einzelne ein Gebiet von 400 mal 200 Metern absolut verw�stet. Jede Bomberbesatzung kann sich beim R�ckflug sagen, dass sie ein Gebiet von der Gr��e von 360 Fu�ballfeldern vernichtet hat. Wie "zielgenau" die US-Angriffe erfolgen, kann man auch daran ersehen, dass vier der f�nf Lagerhallen des Roten Kreuzes in Kabul von US-Bomben vernichtet wurden. Auch wurden, neben dem Milit�rkrankenhaus mit 500 Patienten, die Einrichtungen der UN-Entminungsorganisationen getroffen. Die w�rden indes bald noch dringender gebraucht als bisher. Noch lagern Millionen Minen aus dem vorigen Krieg in Afghanistan, nun kommt wom�glich ein Vielfaches dazu: die UN-Spezialisten sch�tzen, dass 10 bis 30 Prozent der US-Bomben Blindg�nger sind. (Vgl. Spiegel, 45/2001) Die Menschen, die Bomben und Hunger �berstehen sollten, werden in einem gigantischen Minenfeld leben.

Deutsche Vasallentreue oder "Griff nach der Weltmacht"?

Viele deutsche Kommentatoren fragen sich, warum der deutsche Kanzler dabei bleibt, einer solchen Kriegsmacht immer von neuem seine "uneingeschr�nkte Solidarit�t" zu beteuern, und sie mit Angeboten eines substantiellen milit�rischen Beitrages so lange bombardierte, bis die USA schlie�lich "spezifische Anforderungen" stellten, woraufhin die deutsche Regierung umgehend Truppen in St�rke von 3.900 Mann zur Verf�gung stellte, darunter auch Spezialeinheiten f�r den Bodeneinsatz. Zu Recht wurde das deutsche Engagement als Z�sur, als endg�ltige "Enttabuisierung des Milit�rischen" (Gerhard Schr�der) verstanden. Denn erstmals bewegen sich deutsche Truppen weit weg vom Verteidigungsgebiet au�erhalb von Nato- oder UN-Eins�tzen. Und wie die USA wollen sich die Deutschen keineswegs auf Afghanistan beschr�nken. F�r die zun�chst auf ein Jahr befristete Operation nannte die Regierung als Einsatzgebiet "die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nordost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete." (Financial Tim-es Deutschland, 8.1.01). Die B�chse der Pandora steht bereit, und die USA und Deutschland sind offenbar entschlossen, sie zu �ffnen, um das �bel des Kriegs vom Sudan bis an die Grenzen Chinas zu verbreiten.

Simple, stupide teutonische Vasallentreue zu den USA? Keineswegs, eher im Gegenteil. Schr�der hat, wie sein Au�enminister, begriffen, dass Deutschland eine gr��ere globale Rolle nur spielen kann, wenn er die neuen globalen Herrschaftsinstrumente – n�mlich Eingreiftruppen – nicht nur vorzeigen, sondern auch effektiv nutzen kann. Seit Jahrzehnten klagen die politischen Eliten hierzulande, der wirtschaftliche Riese Deutschland m�sse endlich aus seiner politischen Zwergenrolle heraus. Seit der Wiedervereinigung, die Deutschlands zentrale Rolle in Europa noch einmal erheblich qualifizierte, verlangen die Deutschen von den Amerikanern immer heftiger, ihre Hegemonie-Position zugunsten einer multilateralen globalen Politik aufzugeben. "Multilateralismus" ist die Chiffre f�r die Anerkennung als Weltmacht, und "Europa" ist die Chiffre f�r Gro�-Deutschland, das sich einerseits so als "deutsche Gefahr" zum Verschwinden bringen will, andererseits sein politisches Gewicht noch vergr��ert. Auf die Frage, ob er mit der politischen Verfassung der Europ�er angesichts des "Kriegs gegen den Terror" zufrieden sei, antwortet Gerhard Schr�der: "Bei dem, was man Neupositionierung in einer sich ver�ndernden weltpolitischen Landschaft nennt, w�rde Deutschland ohne Europa jedenfalls weniger wert sein als integriert in Europa. Das ist also nicht etwa die Stunde der Verlangsamung der europ�ischen Integration; sie ist eher mit Dynamik auszustatten." (A.a.O.) Au�enminister Fischers Art der Verschleierung bringt die Wahrheit fast noch sch�ner zum Vorschein: "Das hat nichts mit deutschem Gro�machtstreben unseligen Angedenkens zu tun. Wir sind eingebunden in Europa, und dieses Europa als ganzes hat globale Interessen... Der 11. September hat zu einer Achsenverschiebung gef�hrt und wir Europ�er m�ssen darauf achten, nicht an den Rand gedr�ngt zu werden. Wenn wir getrennt bleiben, werden wir unsere Rolle in der Welt und bei ihrer Gestaltung nicht wahrnehmen k�nnen." (SZ, 18.10.01).

So wie es den Deutschen um eine "Neupositionierung" in der Weltpolitik geht, und sie mithilfe der Dynamik der europ�ischen Integration eine neue Rolle bei der Gestaltung der Welt einnehmen wollen, so versuchen umgekehrt die USA, die neue Sicherheitsgefahr als Disziplinierungsinstrument gegen�ber ihren Partnern zu nutzen. So wie der "Kalte Krieg" gegen den Realsozialismus ihnen die Handhabe bot, den B�ndnispartnern ihre Milit�rlasten vorzuschreiben wie auch ihren Umgang mit der anderen Seite bis hin zu umfangreichen und detaillierten Handelsverboten, so wollen die USA jetzt ihre ins Wanken geratene Rolle als Hegemon neu zementieren: Sie wollen die Deutungshoheit behalten, wann es sich um einen Sicherheitsfall von Terrorismus handelt, und sie wollen ihre Partner an den entsprechenden milit�rischen Operationen beteiligen, wann und wie es ihnen opportun erscheint.

Dass die Transnationalen Konzerne zu einem Triaden-, in den letzten Jahren eher zu einem transatlantischen (USA-EU-)Block zusammenwachsen, die von ihren Staaten eine integrierte Politik der globalen Ausbeutung verlangen, ist die eine, pr�gende Seite der Weltpolitik. Die andere ist, dass gerade vor dem Hintergrund einer synchronen Wirtschaftskrise in allen bedeutenden Regionen der Welt die Tendenz zum Protektionismus und zur Nutzung einzelstaatlicher Vorteile zunimmt. Immerhin erzielt die gro�e Mehrheit auch der Transnationalen Konzerne den gr��ten Teil ihres Umsatzes in ihren Heimatl�ndern. Selbst ein Weltkonzern wie Siemens, der in 190 Staaten pr�sent ist und 75 Prozent seines Umsatzes im Ausland macht, muss sich in der Krise v.a. an den eigenen Staat halten. Wenn Kanzler Schr�der in dieser schwierigen Zeit einen Staatsbesuch in China macht, dann ist Siemens-Chef von Pierer ebenso an seiner Seite wie weitere 46 Top-Manager der deutschen Wirtschaft. Schr�der ist nichts weiter als der oberste Handelsvertreter der Nation, und die Bundesregierung hat den Erfolg der Reise denn auch stolz damit begr�ndet, dass man Auftr�ge f�r 20 Milliarden DM hereingeholt habe.

Neue Bedeutung erw�chst den Nationalstaaten auch aus einem zus�tzlichen Element der neuen Sicherheitsstrategie: dem Nation-Building. Noch im Wahlkampf gegen den demokratischen Kontrahenten Al Gore hat sich Bush �ber das Nation-Building geradezu emp�rt. Wieso sollten sich US-Truppen und -Fachkr�fte in Gefahr bringen, um r�ckst�ndigen Menschen beizubringen, wie sie ihre Gesellschaft aufzubauen h�tten. Wenn es irgendwo Probleme gibt, schicken wir das Milit�r hin, r�uchern den Feind aus und basta. Nun gibt der US-Pr�sident zu: "Wir haben eine Lektion gelernt: Wir d�rfen nicht einfach weggehen, nachdem wir das milit�rische Ziel erreicht haben." (Financial Times Deutschland, 19.10.01). Bush hat begriffen, dass man stabile gesellschaftliche Strukturen errichten muss, die kompatibel sind mit den eigenen Zielen, er hat sich hinaufgeschwungen auf das Niveau von Bill Clinton, der schon 1994 die Sicherheit der USA damit gleichsetzte, dass die ganze Welt zu "Marktdemokratien" ausgebaut wird. Bush meint nun hinsichtlich Afghanistans, "es w�re n�tzlich, wenn die UN das so genannte `Nation-Building` �bernehmen k�nnten". Vor allem w�re dies insofern n�tzlich, als er damit die Deutschen vom Zentrum der Entscheidungen heraus halten k�nnte, denn Deutschland h�lt bekanntlich keinen Sitz im Sicherheitsrat der UN. Eben deshalb pl�diert Berlin f�r die unverzichtbare Rolle der Europ�ischen Union beim Post-Taliban-Afghanistan, weist auf die historisch gewachsene Beziehung zu den St�mmen am Hindukusch hin und auf die Tatsache, dass ein Deutscher die Afghanistan-Kommission der UN leitet. Der Kampf um die Positionen nach dem Sieg im Krieg (Sollte der Sieg in Afghanistan auf sich warten lassen, muss man damit rechnen, dass der Krieg ohne weiteres auf die Region ausgedehnt wird; der Irak ist l�ngst im Visier und Spezialeinheiten der USA und Israels trainieren bereits die Besetzung der Nukleareinrichtungen Pakistans. Vgl. Spiegel, 45/2001) hat begonnen, darum, wer denn nun die Gesch�fte mit �l- und Gaspipelines machen und in der globalen Energiestrategie mit welchem Gewicht mitreden kann. Der Nationalstaat gewinnt beim "Krieg gegen den Terror" unter mehreren Aspekten generell neue Bedeutung: �ber die Bereitstellung von Einsatztruppen entscheiden die staat-lichen Organe; die Postkrieg-Strukturen werden von den nationalen Agenten der "Allianzen" festgelegt; und in den bekriegten L�ndern selbst werden "marktdemokratische" staatliche Strukturen entwickelt. Die neoliberale Globalisierung erh�lt ein milit�risches wie ein staatlich-organisatorisches Ger�st. Es handelt sich gewisserma�en um Neoliberalismus mit einer Beigabe von Stamokap – von staatlicher Regelung im Interesse der Transnationalen Konzerne. Diese Faktoren stellen den globalen Kapitalismus auf eine neue Grundlage, k�nnen aber ebenso die Konflikte zwischen Transnationalen Konzernen und ihren Staaten sch�rfen.

Innere Sicherheit – Mobilmachung an der Heimatfront

Die Globalisierung hat nicht nur in der Armen Welt, sondern auch in den kapitalistischen Zentren selbst zu Gewalt und Chaos und zu wachsendem politischen Widerstand gef�hrt, die sich auf vier Ebenen manifestieren:

a) In Abwehr der Forderungen der "Moderne" radikalisierte sich ein religi�ser Fundamentalismus, der sich besonders in den USA mit der reaktion�ren Rechten �berlappte. Die "Religious Right" ist der wichtigste ideologische Sto�trupp des Pr�sidentschaftskandidaten Bush gewesen. Die ersten Milzbrandanschl�ge in den USA richteten sich gegen eine Abtreibungsklinik, bevorzugtes Hass-objekt der "Religi�sen Rechten". Der Terror hat in der extremen US-Rechten Tradition. Auch der Massenmord in Oklahoma City, der zun�chst "den Arabern" in die Schuhe geschoben worden war, wurde von einem US-Nazi ver�bt.

b) Von dem Machtverlust des Nationalstaates profitierten Bestrebungen des regionalen Separatismus, die nun �fter auch von den "reichen" Regionen ausgehen (Lega Nord in Italien), die in neoliberaler Logik Finanzausgleiche mit den armen Landesteilen ablehnen. Innerhalb ethnischer Minderheiten – Nordirland, Baskenland – inten-sivierte sich der Kampf der Terrorgruppen. (Zu a) und b) vgl. Dietmar Loch/Wilhelm Heitmeyer: Globalisierung und autorit�re Entwicklungen. A.a.O., S. 11-40)

c) Es r�ckten die Bewegungen der "idealistischen Globalisierungsgegner" und der Globalisierungsverlierer zusammen. Ohne die Unterst�tzung des US-Gewerkschaftsverbands AFL/CIO w�re das "Volk von Seattle" nicht entstanden. Das Anschwellen von Attac und �hn-lichen Gruppen dokumentiert den wachsenden Willen der "Idealisten" an aktiver Teilhabe am globalen Geschehen. Die Forderung der IG Metall nach Einstellung der Kriegshandlungen in Afghanistan widerspiegelt den st�rkeren Druck der Mitglieder auf ihre F�hrung, die bislang in Treue fest zum SPD-Kanzler stand.

d) Es fand ein Prozess der "umgekehrten Kolonisierung" (Anthony Giddens) statt – ganze St�dte und Stadtviertel der Ersten Welt entstanden, in denen die Dritte Welt zu Hause ist. Ihre Bewohner versorgen die Metropolen mit billiger Arbeit, aber sie sind nicht blo� Arbeitskr�fte, sondern Menschen, noch dazu oft genug solche, die der deutschen Leitkultur und den Anspr�chen des Ausl�nder-Experten der Gr�nen �zdemir nicht entsprechen: "Wer unsere Werte teilt, kann kommen, wer nicht, kriegt Probleme."

Nun kriegen sie und alle Staatsb�rger mit den neuen "Sicherheitspaketen" Probleme ganz neuer Art. Am wenigstens betroffen k�nnen sich bislang die Fundamentalreligi�sen und Rechtsextremen in den USA f�hlen, denn obwohl selbst das FBI ziemlich unverhohlen in ihre Richtung weist als Verantwortliche der Milzbrand-Attentate, nehmen sich weder die Medien noch die Polizei ihrer an. Die in den USA und Deutschland geplanten "Antiterrorgesetze" haben eine ganz andere Sto�richtung: sie gehen den Weg zum allgemeinen �berwachungsstaat, sie wollen die politischen Gegner der Globalisierung und die Immigranten und Asylsuchenden und dar�ber hinaus die ganze Gesellschaft unter Kontrolle stellen. Burkhard Hirsch, FDP-Politiker und fr�herer Vizepr�sident des Bundestages, nennt den Entwurf des Bundesinnenministeriums zum "Terrorismusbek�mpfungsgesetz" den "Abschied vom Grundgesetz" (SZ, 2.11.01). Ausz�ge aus der Horrorliste verraten in der Tat "totalit�ren Geist":

 

Was hat das mit Terrorismusbek�mpfung zu tun, fragt der Rechtsexperte Hirsch, wenn der Staat alle seine B�rger behandeln darf wie verd�chtige Straft�ter. In der Verfassung stehe, dass Aufgabe jeder staatlichen Gewalt sei, die W�rde des Menschen zu achten und zu sch�tzen. Der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers erf�lle diese Aufgabe nicht. Dies trifft zu.

Es stimmt aber auch, dass ein Staat, der als sich als Agent der Transnationalen Konzerne versteht, auf die von der Verfassung gesch�tzte W�rde des Menschen nur in Ma�en R�cksicht nehmen kann. Zur Militarisierung der globalen Politik geh�rt die polizeiliche Durchdringung der Gesellschaft nach innen. Diese Durchdringung muss um so intensiver vorangetrieben werden, je schw�cher der im "zivilen Diskurs" hergestellte Konsens, d.h. die freiwillige Unterwerfung unter die Regeln der globalen M�chte, ausf�llt. Die Sicherheitsstrategen der Regierungen in Deutschland wie in den USA gehen offenbar davon aus, dass das Ma� an Freiwilligkeit abnimmt.

Conrad Schuhler, Journalist (M�nchen) ist Mitarbeiter des isw e.V.