Vorver�ffentlichung aus isw-report 60 (erscheint November 2004)
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ISW-M�nchen �berlassen

 

Conrad Schuhler:

"Global ist sozial" - Irrt�mer und L�gen der neoliberalen Globalisierungspropaganda

 

Kapitel I: Globalisierung - eine neue Epoche beginnt

 

Was die Weltwirtschaft anlange, meinte Kurt Tucholsky vor 80 Jahren, so sei sie verflochten. Auf diesem satirischen Niveau der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verharren heute noch viele politische Akteure, sowohl linker wie neoliberaler Denkungsart. Manche linken Wirtschaftswissenschaftler und -politiker leugnen oder negieren die neue Qualit�t der weltwirtschaftlichen Verflechtung, weil sie so das Alibi der nationalen Politik, man m�sse wegen globaler Sachzw�nge die sozialen, �kologischen und konjunkturpolitischen Standards aufgeben, aus dem Weg r�umen wollen. Neoliberale Propagandisten wie der fr�here FDP-Minister Graf Lambsdorff preisen das "Manchestertum" und den von ihm durchgesetzten "freien Welthandel", der schon vor 150 Jahren den gr��ten sozialen Aufschwung der Menschheit erbracht habe, als Rezept und Legitimation der heutigen Globalisierung. (Otto Graf Lambsdorff: Die Aktualit�t von "Manchester": Freiheit und Freihandel als soziale Politik. Rede vor dem liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung, 26.5.2004. Die FDP-Stiftung, deren Vorsitzender Lambsdorff ist, hat sich die Propagierung der neoliberalen Globalisierung als L�sung der sozialen Weltprobleme zum Schwerpunkt gesetzt. Siehe www.fnst.org)

Lambsdorffs monstr�se Behauptung zur historischen Rolle von Kapitalismus und Freihandel - bekanntlich entstieg vor rund 150 Jahren dem wachsenden sozialen Elend der Arbeiterklasse in den Industriel�ndern das "Gespenst des Kommunismus" - einmal beiseite, manche Neu-Keynesianer und Neoliberale eint das Beharren darauf, dass f�r Wirtschaft und Gesellschaft, wenn die politischen Akteure nur wollten, die �berkommenen Gesch�ftsgrundlagen gelten k�nnten, weil die Globalisierung keine grunds�tzlich neue Situation geschaffen habe. Tats�chlich aber haben wir es mit einer prinzipiell neuen Art von globaler wirtschaftlicher Verflechtung zu tun, die es nahe legt, "Globalisierung als Prozess der Transformation einer Gesellschaftsformation zu fassen, als eine �great transformation` des sp�ten 20. Jahrhunderts" (Elmar Altvater / Birgit Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung. �konomie, �kologie und Politik in der Weltgesellschaft. M�nster 2004, S.31) Der Vergleich mit der "great transformation" beim �bergang zum industriellen Kapitalismus vor 200 Jahren ist deshalb gerechtfertigt, weil sich Globalisierung nicht nur und nicht in erster Linie durch das Anschwellen der grenz�berschreitenden Waren- und Kapitalstr�me konstituiert, sondern durch die Herausbildung globaler wirtschaftlicher Parameter, die f�r alle "Volkswirtschaften" verbindlich sind. "Globalisierung ist ein gesellschaftliches Verh�ltnis, das in �konomischen, technischen, kulturellen Prozessen am Ende des 20. Jahrhunderts strukturierend wirkt." (A.a.O., S. 38).

Ein Vergleich mit den Ausgangsdaten 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs, gibt ersten Aufschluss �ber die neue Qualit�t. "Seit damals stiegen die Weltproduktion um 500% und der Welthandel um 1200%, die Ausl�ndischen Direktinvestitionen (ADI), also der Aufbau von Produktionsst�tten im Ausland, aber um 3.600 %." (Conrad Schuhler: Unter Br�dern. Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt. K�ln 2003, S. 99). Die sich aus den ADI addierenden Kapitalbest�nde haben sich weltweit seit 1980 auf 7,1 Billionen Dollar mehr als verzehnfacht, betragen also fast ein Viertel des j�hrlichen Weltsozialprodukts. In den Entwicklungsl�ndern machen die ADI-Best�nde ein Drittel der Volkseinkommen aus. 1980 waren es noch 13%. (UNCTAD: Developed Countries dominate world FDI Stock. Press Release, 25.8.2003). Allein auf die Auslandst�chter der Transnationalen Unternehmen - rund 65.000 mit 850.000 Auslandsfilialen - entfallen 11% des Welt-Sozialproduktes (1990:6,5%) und ein Drittel der Weltexporte. (UNCTAD: World Investment Report 2002, S. XV). Mutter- und Tochtergesellschaften zusammen erstellen ein Viertel des Welt-Sozialprodukts, sind f�r zwei Drittel des Welthandels verantwortlich und realisieren vier F�nftel der weltweiten Forschung und Entwicklung. (Leo Mayer/Fred Schmid: Die Macht der Multis. isw-Forschungshefte 1, M�nchen 2002, S. 11). Mehr als ein Viertel der gesamten Wirtschaftsaktivit�t der Welt flie�t als Einnahmen in die Kassen der 200 gr��ten Transnationalen Konzerne. (Der Spiegel, 30/2001). Globalisierung und wachsende Macht der Gr��ten geh�ren zusammen. Betrug der Anteil der 100 gr��ten Transnationalen Konzerne 1990 schon 3,5 % am Welt-Sozialprodukt, so waren es 2000 sogar 4,3%. (UNCTAD, a.a.O., S. 91)

So gewaltig sich die sprunghaften quantitativen Zuw�chse auch ausnehmen, die eigentliche "Sprengkraft" liegt in der neuen Qualit�t der ADI. Die Transnationalisierung der Konzerne bedeutet nicht einfach, dass "Multis" ihr �bersch�ssiges Kapital im Ausland anlegen, um dort Produkte f�r diesen Markt herzustellen oder dort Waren - beispielsweise Rohstoffe oder landwirtschaftliche G�ter - f�r den Weltmarkt zu produzieren. Vielmehr machen es die modernen Informations- und Transporttechnologien - "the death of distance" - sowohl m�glich als auch rentabel, dass die Transnationalen Konzerne (TNK) ihre Produktionsprozesse in einzelne Segmente zerlegen und weit von einander entfernte Produktionsst�tten zu globalen Wertsch�pfungsketten verkn�pfen k�nnen. Mit Hilfe der neuen Technologien vermag das Management, die jeweils g�nstigsten nationalen Bedingungen an Qualifikationen der Arbeitnehmer, an L�hnen, Steuern, Krediten, Subventionen usw auszusch�pfen. Diese Entwicklung zur "globalen Fabrik" zeigt sich einmal im "Transnationalit�tsindex" der 100 gr��ten TNK der Welt. �ber 50% von deren Umsatz und Besch�ftigten entfallen auf das Ausland, und die Transnationalit�t nimmt jedes Jahr zu, von 1999 auf 2000 von 52,3% auf 55,7% (UNCTAD: World Investment Report 2002, S. 89). Dass die global verteilten Produktionsst�tten der TNK Teile eines global integrierten Produktionsnetzes sind, erweist sich zum anderen darin, dass ein Drittel des gesamten Welthandels sogenannter "intra-firm trade" ist, also innerhalb der globalen Wertsch�pfung der einzelnen TNK stattfindet. (UNCTAD: World Investment Report 2000, S. 17).

Damit das weltweit operierende Kapital den Globus ungehindert als Verwertungsraum nutzen kann, m�ssen nationale Beschr�nkungen fallen. Diesem Ziel dienen die Anstrengungen von Internationalem W�hrungsfonds, Weltbank und vor allem der Welthandelsorganisation (WTO), die ein weltweites Investitionsregime installieren will. Bei der letzten WTO-Konferenz Ende 2003 in Cancun/Mexico ist der entsprechende Versuch einer internationalen Regelung f�rs erste vor allem am Widerstand der Schwellenl�nder gescheitert. Man darf aber nicht �bersehen, dass der "freie Kapitalverkehr" weitgehend mit Hilfe "Bilateraler Investitionsvertr�ge" (BITs) durchgesetzt wird. Ende 2002 gab es 2.181 solcher Vertr�ge. 26 Industriel�nder haben im Durchschnitt 45 BITs abgeschlossen. Auf jedes der betroffenen 150 Entwicklungsl�nder kommen durchschnittlich 12 BITs. 95% der BITs haben die Beg�nstigung ausl�ndischer Direktinvestitionen zum Inhalt. (UNCTAD: 2002 a record year for liberalizing FDI laws and regulations. Presse Release, 21.8.2003) Wir haben es also mit einem engmaschigen internationalen Netz zu tun, das V�lker, Kulturen und Natur f�r die Verwertungsbed�rfnisse des transnationalen Kapitals zurecht bindet. Alle Volkswirtschaften und Gesellschaften unterliegen nun durch "benchmarking" (jeder unternehmerische Vorgang wird am international profitabelsten Beispiel gemessen und entsprechend get�tigt, unterlassen oder korrigiert) und dem "Rating" der Profitf�higkeit der gesamten Gesellschaft durch spezialisierte Agenturen globalen Kriterien kapitalistischer Verwertung.

Die "globale Fabrik" unterwirft den gesamten Globus und alle Kulturen der Rationalit�t des global operierenden Kapitals. Dies ist das eine fundamental neue Strukturprinzip. Die Globalisierung der Finanzm�rkte und deren Diktat �ber die Produktion ist das andere. Analog zur Entwicklung der ADI haben sich auch die Ums�tze auf den Devisenm�rkten weit schneller erh�ht als Produktion und Handel. Von den 80er zu den 90er Jahren haben sie sich auf rund 1,2 Billionen Dollar pro Tag verf�nffacht. F�r die Zirkulation des Welthandels w�rden t�glich 27 Milliarden $ ausreichen. Die internationalen Finanztransaktionen haben also nur noch zu 2% mit Handel, zu 98% aber mit Kredit und Spekulation zu tun. (Altvater/Mahnkopf, S. 185f.) Hauptquelle der weltweiten Finanzgesch�fte sind die Transnationalen Konzerne, die Ende der Neunziger Jahre �ber 13 Billionen Dollar an mobilisierbarem Verm�gen verf�gten, Pensionsfonds und Versicherungen, die zusammen �ber 13 Billionen aufbieten konnten und Privatpersonen, die damals 29 Billionen Dollar aufzuweisen hatten. (A.a.O., S. 189). Im Jahr 2001 verf�gten 7,1 Millionen Dollar-Million�re �ber ein Geldverm�gen von 30 Billionen Dollar, was dem Welt-Sozialprodukt entspricht. (Vgl. Christoph Deutschmann: Ende und Wiederkehr des Keynesianismus - R�tsel der aktuellen Wirtschaftspolitik. In: Leviathan, Jg. 31, Nr. 3, S. 291 - 302). Die privaten Finanzverm�gen wachsen weit schneller als das Bruttosozialprodukt, in Deutschland in den letzten 30 Jahren doppelt so schnell. Heute betr�gt in Deutschland das Geldverm�gen Privater fast das Doppelte des Bruttoinlandsprodukts. Diese gewaltigen Verm�gen kreisen um den Globus auf der Suche nach der profitabelsten Anlage. Es geht l�ngst nicht mehr um die Finanzierung "innovativer Unternehmer", deren scharenweises Auftreten nach Schumpeter die Konjunktur in die H�he treibt, nicht mehr um die reale Akkumulation, sondern um die finanzielle Akkumulation, die Vermehrung der Geldverm�gen. Deshalb verwandelt sich "die historische Form (..) in einen Casino-, in einen Arbitrage- oder Derivatenkapitalismus". (Altvater/Mahnkopf, S. 170).

Dass Kapital nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Mehrung von Gebrauchswerten, sondern prim�r der Vermehrung von Geld, von Tauschwert, eingesetzt wird, ist ein Kennzeichen des globalen Kapitalismus. Dies gilt nicht nur f�r institutionelle Anleger und Spekulanten, sondern auch f�r die Unternehmen. Geld in den Transnationalen Konzernen wird nach den Prinzipien des Shareholder Values, des H�chstertrags f�r den Kapitaleinsatz, verwendet. Ziel ist nicht mehr die St�rkung der Innovationskraft, die Entwicklung neuer Produkte u.�, sondern die Erzielung eines im internationalen Vergleich maximalen "Gesch�ftswertbeitrages", d.h. der maximalen Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Diese Verzinsung wird in den kurzen Frequenzen der B�rsen- und Analystenrhythmik gemessen. Es geht nicht mehr darum, ob Technologie entwickelt und der Markt mit mehr und besseren Produkten bedient wird, und es gen�gt auch nicht, dass Arbeit einen h�heren Wert schafft, als sie selbst kostet - einziges Kriterium ist, dass sie in kurzer Frist einen Profit auf internationalem H�chstniveau zeitigt. (Vgl. dazu Conrad Schuhler: Sch�ne Neue Siemens Welt. Von der "Siemens-Familie" zur "new corporate culture". M�nchen 2003, S. 14ff)

Wenn wir �ber den angeblichen Segen der Globalisierung urteilen wollen, m�ssen wir also wissen, dass es sich dabei nicht schlechthin um den "internationalen Freihandel" oder um einen Expansionsvorgang des Kapitalismus handelt, wie wir ihn seit Jahrhunderten kennen. Wir haben es vielmehr mit dem neuen strukturbestimmenden Element der heutigen Weltordnung zu tun: wo auch immer auf dem Globus, ob es sich um Wirtschaft, Kultur, Natur oder Menschen handelt - es f�llt unter die Inwertsetzung durch das globale Kapital, oder es wird, wenn es f�r das globale Kapital wertlos oder nicht wertvoll genug ist, exkludiert, vom sozio-�konomischen Prozess ausgeschlossen.

 

Kapitel II: Komparative Kostenvorteile: Die Theorie vom allgemeinen Nutzen der internationalen Arbeitsteilung und warum sie mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat

 

Internationaler Handel, so das Credo der neoliberalen Globalisierungsbef�rworter, f�hre �ber die Vertiefung der Arbeitsteilung zu mehr Produktion und Wachstum und zur Zunahme von Besch�ftigung und Wohlstand aller, wenn denn die politisch gesetzten Schranken wie Z�lle, Subventionen u.�. fallen. Dieses Credo theoretisch zu fundieren, macht sich Hans-Werner Sinn im Widerspruch zu seinem Gestus als Welt�konom kaum die M�he. Lapidar hei�t es: "Durch die Konkurrenz der H�ndler und die Reaktionen der Produzenten, die die H�ndler mit ihren Waren beliefern, entsteht vielmehr die M�glichkeit, dass sich die Anbieter, seien es einzelne Menschen, Firmen oder ganze L�nder, auf die Produktion jener G�ter konzentrieren, bei denen sie vergleichsweise g�nstige Bedingungen haben und Gr��envorteile in der Produktion realisieren k�nnen. Die Vorteile kommen den am Handel beteiligten Volkswirtschaften ganz allgemein zugute und erh�hen den Lebensstandard aller." (Hans-Werner Sinn: Ist Deutschland noch zu retten? M�nchen 2003, S. 86).

Was der Chef des Ifo-Instituts hier beil�ufig und etwas umst�ndlich hinsetzt, soll eine popul�re Version der Theorie der komparativen Kostenvorteile sein, die David Ricardo, ein englischer B�rsenmakler und �konom entwickelt hat (David Ricardo: Principles of Political Economy and Taxation. London 1817. / �ber die Grunds�tze der Politischen �konomie und der Besteuerung. Berlin 1959) und die bis heute als theoretische Begr�ndung der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung fungiert. Andere neoliberale Propagandisten strengen sich auf dem Feld der Theorie mehr an als der Ifo-Mann. So widmen Balser/Bauchm�ller, zwei Wirtschaftsredakteure der S�ddeutschen Zeitung, die ausf�hrliche Einleitung ihrer Schrift gegen die Globalisierungsgegner (Markus Balser/Michael Bauchm�ller: Die 10 Irrt�mer der Globalisierungsgegner - wie man Ideologie mit Fakten widerlegt. Frankfurt/Main 2003, S. 8ff) dem Ricardo-Theorem.

Ricardo war in einem entscheidenden Punkt �ber Adam Smith hinausgegangen, der im Widerspruch zu den Merkantilisten, f�r die der Au�enhandel der eigenen Nation �bersch�sse in Form von Gold und Silber zu erzielen hatte, bereits die Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung als Faktor der Steigerung des Wohlstands aller Nationen postulierte. ( Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Chicago 1976 (1776)) H�tte das Modell der Merkantilisten der Realit�t entsprochen, so h�tte der gesamte internationale Handel schnell zum Erliegen kommen m�ssen. Denn wenn jede Nation positive Handelsbilanzen aufweisen will, bleibt kein Land �brig, das diese �bersch�sse bezahlen k�nnte. Handelsbilanz�bersch�sse und -defizite m�ssen sich definitorisch immer ausgleichen. Nach der Theorie von Adam Smith nun nehmen die verschiedenen L�nder am Welthandel mit den G�tern teil, die bei ihnen am kosteng�nstigsten hergestellt werden k�nnen. Jetzt bedeutet der Vorteil - die Zunahme des Exports - des einen nicht mehr den Nachteil - das Handelsbilanzdefizit - des anderen. Indem jedes Land sich auf die Produktion jener Waren konzentriert, bei denen es absolute Kostenvorteile hat, wird die Produktmenge und Produktivit�t von allen erh�ht. �berall wird f�r gr��ere M�rkte produziert, was die Kosten senkt, �berall wird die Arbeitskraft im internationalen Vergleich optimal eingesetzt, was die Produktmengen und die Produktivkr�fte im internationalen Ma�stab anhebt. Bei ausgeglichenen Bilanzen ist der Wohlstand aller Nationen gestiegen.

Doch auch dieses Smithsche Modell enth�lt einen gro�en wei�en Fleck. Was geschieht, wenn ein Land in absoluten Kosten gemessen bei allen Waren Nachteile aufweist? Kann es dann nichts ausf�hren? Und umgekehrt: Wenn es denn nichts ausf�hren kann, erzielt es auch keine Einnahmen, um Importe zu bezahlen. Das Land, das bei allen G�tern das wettbewerbsf�higste ist, w�rde zwar alle anderen niederkonkurrieren k�nnen, m�sste dann aber bald seine Exporte mangels internationaler Kaufkraft einstellen. Hier nun fand Ricardo die weiterf�hrende Erkl�rung, dass nicht die absoluten, sondern die komparativen Kostenvorteile entscheidend seien f�r die Teilnahme am internationalen Handel. Denn selbst wenn ein Land in der Lage ist, s�mtliche G�ter und Dienste zu niedrigeren Kosten anzubieten als irgendein anderes, so ist es f�r dieses doch von Vorteil, sich auf die Produkte zu konzentrieren, bei denen es die gr��ten Kostenvorteile hat, und andere Produkte, bei denen es einen absoluten, aber geringeren Kostenvorteil hat, arbeitsteilig anderen L�ndern �berl�sst und von diesen einf�hrt.

Ricardos ber�hmtes Beispiel bezieht sich auf Portugal und England, die beide Wein und Tuch produzieren, wobei Portugal bei beiden Produkten absolute Kostenvorteile hat. (Pikanterweise drehen Balser/Bauchm�ller in ihrer Schrift gegen die Globalisierungskritiker das L�nder-Verh�ltnis um: Bei ihnen ist es England, das bei beiden Produkten vorne liegt. Ihre Ricardo-Umdeutung geht noch weiter. Angeblich habe Ricardo "der Einfachheit halber" vorausgesetzt, dass die Waren sich in Arbeitszeit umrechnen lassen. Mit Einfachheit hat dies aber nichts zu tun, sondern nach Ricardo bestimmt sich der Wert der Waren tats�chlich nach dem Quantum der in sie eingegangenen Arbeit. Da die Arbeitswertlehre im neoliberalen Katechismus aber nicht vorkommen darf, m�ssen die Autoren solche geistigen Verrenkungen vollf�hren. A.a.O., S. 9) Da der Kostenvorsprung beim Wein aber gr��er ist als beim Tuch, ist es f�r Portugal vorteilhafter, auf die Tuchproduktion zu verzichten, und die freigesetzte Arbeit mit relativ gr��erer Effektivit�t bei der Weinproduktion einzusetzen. Den zus�tzlichen Wein exportiert Portugal nach England, das seinerseits die Produktion von Wein eingestellt und die bisher dort gebundene Arbeit auf die Tuchproduktion umgeleitet hat. Portugal erh�lt im Austausch eine gr��ere Menge an Tuch, als es fr�her produzieren konnte. Durch die binationale Arbeitsteilung wurde mit der selben Menge an Arbeit eine gr��ere Menge von Wein und Tuch hergestellt, zugunsten der Versorgung in beiden L�ndern.

Das Ricardosche Modell hat - ungeachtet auch immanenter Fragw�rdigkeiten wie z.B. die Annahme international homogener Arbeit - seine unbestreitbare Logik. Das Problem besteht darin, dass die tats�chlichen Bedingungen der Globalisierung es jeder Aussagekraft berauben. Zwei Gr�nde vor allem sind es, die das Theorem der komparativen Kostenvorteile f�r die Erkl�rung der globalen Entwicklung untauglich machen. Der erste liegt darin, dass die Prozesse von Produktion und internationalem Austausch ganz wesentlich und zwangsl�ufig politisch bestimmt sind. Anders als zu Zeiten des Goldstandards werden W�hrungen und Zinsen - wesentliche Parameter des internationalen Austauschs - politisch reguliert. Auch die heftigste Forderung nach freiem Walten der Marktkr�fte kann dieses Prinzip nicht aufheben. De facto organisieren die Industriel�nder mit den gr��ten komparativen Vorteilen bei den "modernen" Waren �ber Z�lle, Subventionen, internationale Investitions- und Kreditregimes Austauschverh�ltnisse zu Ungunsten der Marktschw�cheren. Es sind gerade die Propheten des "ungehinderten internationalen G�teraustauschs", die eine immer striktere Kontrolle der globalen M�rkte durchsetzen. Der Internationale W�hrungsfonds beaufsichtigt - "monitors" - die makro�konomische Politik seiner 184 Mitgliedsstaaten. Ebenfalls 184 Mitgliedsstaaten z�hlt die Weltbank Die Welthandelsorganisation (WTO) umfasst 146 Mitgliedsl�nder und stellt Regeln f�r 97% des Welthandels und f�r die globale Investitionst�tigkeit und den globalen Wettbewerb auf und wacht �ber deren Einhaltung. Alle diese Organisationen werden von den USA und den �brigen gro�en Industriel�ndern dominiert. (Conrad Schuhler: Unter Br�dern. S. 112 ff) Die "Terms of Trade", die Preisrelationen der gehandelten Waren, verschlechtern sich seit vielen Jahrzehnten st�ndig zu Ungunsten der Entwicklungsl�nder. Nach den Erhebungen von UNDP verloren die Entwicklungsl�ndern in den Neunziger Jahren �ber solche politisch verf�gten Nachteile j�hrlich 500 Milliarden Dollar, zehnmal so viel, wie sie an "Entwicklungshilfe" bekamen.

Doch entkr�ftet nicht nur die globale politische Regulierung durch die Institutionen des globalen Kapitals den Erkl�rungswert des Theorems der komparativen Kosten. Im praktischen wie theoretischen Sinn viel gravierender ist, dass Investitionen heute weltweit nicht unter dem Gesichtspunkt komparativer Kosten, sondern unter dem der absoluten Kosten vorgenommen werden. In unserer kurzen Analyse der Globalisierung haben wir die herausragende Bedeutung der Entwicklung hin zur "globalen Fabrik" begr�ndet. Ricardo ging noch von der internationalen Immobilit�t von Kapital und Arbeit aus. Strukturbestimmend f�r den globalen Kapitalismus sind jedoch nicht Investoren, die im nationalen Rahmen nach komparativen Vorteilen suchen, sondern Transnationale Konzerne, die �ber Kapitalexport ihre Wertsch�pfungsketten weltweit aufgliedern und dort Einzelteile (oder auch ganze Produkte) herstellen, wo die Kosten global gesehen absolut am niedrigsten sind. Die Parole vom ungehinderten internationalen G�teraustausch hat nicht mehr zur Grundlage die Mehrung des Wohlstands der Nationen durch intensivere Arbeitsteilung zwischen diesen Nationen, sondern hat zum Ziel, ungehindert Kapital dorthin zu schieben, wo es die absolut billigsten Produktionsfaktoren antrifft, mithin die h�chsten Profite erzielt. Die im abstrakten Modell Ricardos prognostizierten segensreichen Wirkungen der vertieften internationalen Arbeitsteilung k�nnen nicht stattfinden, weil das Kapital sich l�ngst nicht mehr am nationalen Verwertungsraum orientiert, sondern sich diese Art von globaler Struktur geschaffen hat. Die Logik dieses globalen Kapitalismus dr�ckt �ber das Ausspielen der "nationalen Wettbewerbsstaaten" gegeneinander die sozialen Standards weltweit nach unten - "der Wohlstand der Nationen" wird systematisch gesenkt, um die Profite der TNK maximal zu heben.

Mit noch gr��erer Wucht dr�ckt der internationale Finanzmarkt in die selbe Richtung. Die riesigen Geldverm�gen haben �berwiegend gar nichts mehr zu tun mit Herstellung und Verteilung von Gebrauchswerten. Die j�hrlichen Gesamtinvestitionen belaufen sich weltweit auf nicht mehr als 6 Billionen Dollar. Die Geldverm�gen indes liegen mittlerweile bei rund 60 Billionen Dollar, die rund um den Erdball auf der Suche nach der absolut h�chsten Verzinsung sind, und diese auch noch m�glichst kurzfristig erzielen wollen.(Vgl. Kapitel I) Bei diesem Missverh�ltnis von Geldverm�gen und Anlagem�glichkeiten geht es den Geldverm�gensbesitzern nicht um die reale, sondern um die finanzielle Akkumulation. Der Casino-Kapitalismus, das Wetten auf die besten Aktien, und das r�umliche und zeitliche Strecken des vorhandenen Kapitalstocks �ber Derivate aller Art schaffen den Aktionsraum f�r das �bersch�ssige Geldkapital. Der "Wohlstand der Nationen" ist dabei f�r die internationalen Kapitalm�rkten nur insofern ein Faktor, als er ihnen in Form von komparativ h�heren Sozial- und Entlohnungssystemen im Wege steht. Die Geldverm�gensbesitzer platzieren ihr Geld dorthin, wo die durch globales "benchmarking" und "rating" ermittelten Objekte die absolut h�chste Verzinsung erwarten lassen. Das Denken in komparativen Kostenkategorien ist der Logik dieser Kapitalm�rkte wesensfremd, ja entgegengesetzt - es geht ihnen um den absoluten H�chstprofit im globalen Verwertungsraum.

 

Kapitel III: Globalisierung als Gefahr f�r den "Wohlstand der Nationen" - der empirische Befund

 

Dass die Globalisierung allen Beteiligten zugute kommt, geh�rt zwar immer noch zum Mantra der Neoliberalen, doch bekommt der Glaubenssatz heute einen neuen Akzent. Zu offensichtlich ist, dass die Globalisierung den Arbeitnehmern in Deutschland und anderen Industriel�ndern erhebliche Nachteile bringt. Von 1986 bis 1996 haben die 100 gr��ten deutschen Unternehmen ihre Besch�ftigung im Inland um 6% abgebaut, im Ausland aber um 60% aufgestockt. (Max-Plack-Institut f�r Gesellschaftsforschung: Arbeitsbeziehungen in Deutschland. Wandel durch Internationalisierung. K�ln 2002, S. 16f). Bei den gro�en Global Players, die auch f�r den Arbeitsmarkt am st�rksten ins Gewicht fallen, findet die Umschichtung der Besch�ftigung zu Ungunsten der "Mutterl�nder" noch schneller und tiefgreifender statt. Bei den 100 gr��ten TNK der Welt - wozu acht deutsche geh�ren, von den ersten 200 stellt Deutschland 20 - liegt der Auslandsanteil der Besch�ftigung klar �ber 50%. Auf diesem hohen Niveau entwickelt sich die Besch�ftigung weiter gegenl�ufig: W�hrend die ausl�ndische Besch�ftigung von 1999 auf 2000 um 1,1 Millionen zunahm, ging sie in den "Mutterl�ndern" um �ber 200.000 zur�ck. (UNCTAD: World Investment Report 2002, S. 89).

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sch�tzt, dass deutsche Unternehmen in der letzten Zeit pro Jahr 45.000 Arbeitspl�tze ins Ausland verlagern. (Vgl. Sinn, a.a.O., S. 61) Die Entwicklung beschleunigt sich derzeit, auch wegen der Osterweiterung der EU, rasant. Siemens, das Unternehmen besch�ftigt schon heute nur noch 43% seiner Belegschaft in Deutschland, tr�gt sich nach Informationen des Gesamtbetriebsrates mit dem Gedanken, weitere rund 70.000 Arbeitspl�tze aus Deutschland in Niedriglohn-L�nder zu transferieren. Siemens-Chef von Pierer hat verlauten lassen, dass man �ber h�here Besch�ftigung in Deutschland reden k�nne, wenn die Belegschaft einverstanden w�re, gratis f�nf Wochenstunden mehr zu arbeiten. Dies ist der Kern der Globalisierungsbotschaft des Kapitals an die Arbeitnehmer in den Industriel�ndern: Entweder Ihr akzeptiert das soziale Niveau der Niedriglohn-L�nder, oder wir gehen mit unserem Kapital dorthin. Komparative Unterschiede in den Arbeitsbeziehungen und Sozialsystemen werden nicht mehr geduldet.

Da die Globalisierung so offenkundig das Leben der Massen der Arbeitnehmer in den Industriel�ndern verschlechtert, hat man die Botschaft "leicht ver�ndert". Hans Tietmeyer, von 1993 bis 1999 Pr�sident der Deutschen Bundesbank und seitdem Vorsitzender der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", also eine h�here Charge der Propagandatruppen des Neoliberalismus, schl�gt den neuen Ton an: "Zweifellos kostet die Verlagerung von Leistungen an kosteng�nstigere Standorte in den Industriel�ndern auch Arbeitspl�tze. Doch der Saldo aus verlorenen und neuen Jobs ist weltweit positiv. �ber die Verteilung dieser Arbeitspl�tze entscheidet allerdings der Wettbewerb. Industriel�nder m�ssen deshalb eine Frage beantworten: K�nnen und d�rfen wir den Entwicklungsl�ndern Wachstumschancen verbauen, weil wir unsere Wirtschaftsstruktur nicht ver�ndern wollen?" (Hans Tietmeyer: Global ist sozial. In: Cicero 6/2004, S. 116). Erwiesen habe sich , "dass die `Multis`mit ihren Investitionen vielfach einen wichtigen Beitrag zur Steigerung des Lebensstandards in den jeweiligen Gastl�ndern leisten". (A.a.O., S. 117).

Arbeitnehmer in der "Ersten Welt", die ganz offenkundig zu den Verlierern der Globalisierung geh�ren, sollen ihre Zustimmung zur neuen Weltordnung nicht mehr aus materiellen Gr�nden geben - "mehrt unser aller Wohlstand" - sondern aus moralischen Erw�gungen - "wir k�nnen doch nicht gegen Wachstum und Erh�hung des Lebensstandards in den Armen L�ndern sein, nur weil wir gewisse materielle Nachteile haben". Selbst wenn nat�rlich zu bestreiten ist, ob der Wohlstand der Massen der Bev�lkerungen in den verschiedenen L�ndern ein Null-Summenspiel sein muss, so ist zun�chst zu untersuchen, ob die zugrundeliegende Behauptung, die Globalisierung br�chte der Armen Welt einen Aufschwung des Lebensstandards, wirklich zutrifft. Es wird sich erweisen, dass sie ebenso falsch ist wie die theoretischen Pr�missen der Globalisierungsideologie.

Aufschlussreich ist wieder einmal die Untersuchung der einschl�gigen Einlassungen von Hans-Werner Sinn, der beispielhaft falsche Daten mit irref�hrenden Statistiken verkn�pft. (Obwohl er nat�rlich nicht der einzige neoliberale Theoretiker ist, der skrupellos mit Zahlen umgeht. In der zitierten Eloge auf die Globalisierung - "Global ist sozial" - versteigt sich Ex-Bundesbankchef Tietmeyer zu der Behauptung, Globalisierung k�nne auch die Macht an den M�rkten relativieren: "Nach UN-Angaben fiel der Anteil der 50 gr��ten Konzerne am Weltsozialprodukt zwischen 1990 und 2000 - obwohl die neunziger Jahre das Jahrzehnt der Globalisierung waren." A.a.O., S. 117. Ein sch�nes Beispiel daf�r, wie man "mit der Wahrheit l�gen kann". Die fragliche UN-Statistik - UNCTAD: World Investment Report 2002, S. 91 - gibt in der Tat wieder, dass die gr��ten 50 Konzerne von 1990 auf 2000 von 2,9% auf 2,8% Anteil am Weltsozialprodukt zur�ck gegangen sind. Eine Zeile dar�ber ist zu lesen, dass der Anteil der 20 gr��ten sogar von 1,8 auf 1,5% gesunken ist. Doch eine Zeile tiefer wird der Witz dieser Statistik deutlich: Der Anteil der 100 gr��ten Konzerne ist im selben Zeitraum von 3,5 auf 4,3 % gestiegen. Im Jahrzehnt der Globalisierung haben sich in allen Branchen Global Players gebildet, deren Phalanx eine immer gr��ere Abteilung der Weltproduktion ausmacht, w�hrend die bisherigen Allergr��ten demgegen�ber anteilm��ig geringf�gig zur�cktreten. Es ist nicht leicht zu verstehen, dass ein Experte wie Tietmeyer diesen Zusammenhang nicht begriffen haben soll.) So behauptet er in seinen Thesen zur Rettung Deutschlands unter Berufung auf Studien von Surjit Bhalla, "der Anteil der Menschheit, deren Realeinkommen unter einer standardisierten Ein-Dollar-pro-Tag-Grenze liegt, (ist) vom Jahr 1980 bis zum Jahr 2000 von 44% auf 13% gefallen". (A.a.O., S. 87). Diese Behauptung ist objektiv unwahr. Im "Bericht �ber die menschliche Entwicklung 2003" dokumentiert UNDP, dass der Anteil dieser unter der absoluten Armutsgrenze lebenden Menschen im Jahr 2000 23,3 % ausmachte. Nimmt man China, das in den letzten zehn Jahren mit einem durchschnittlichen Wachstum von �ber 9% eine Sonderentwicklung durchlief, heraus, dann liegt der Anteil sogar bei 25 %. Es handelt sich um 1, 2 Milliarden Menschen. L�sst man wiederum China, das in der fraglichen Periode 150 Millionen Menschen �ber die absolute Armutsgrenze brachte, aus der Rechnung heraus, dann hat diese Form �u�erster Armut in absoluten Zahlen in diesem Jahrzehnt forcierter Globalisierung weltweit sogar um 28 Millionen zugenommen. (UNDP, a.a.O., S. 51)

Handelt es sich in diesem Fall um eine glatte Falsch-Behauptung der Globalisierungs-propagandisten, so geht es im n�chsten Beispiel um den unredlichen Umgang mit Statistiken. "(Die Globalisierung) ist ein erheblicher Beitrag zur �berwindung der Teilung der Welt in Arme und Reiche. Vor 20 Jahren bestand die Welt aus den 14% Reichen, die in den OECD-L�ndern lebten, und den 86% Armen im Rest der Welt. Mit Indien, China, den s�dostasiatischen Tigerl�ndern und den OECD-Staaten betr�gt heute der Anteil der Menschen, die in L�ndern leben, die die Armutsfalle �berwunden haben, bereits 55%." (Sinn, a.a.O., S. 86f) Dieser statistische Vergleich ist deshalb irref�hrend, weil in ihm die gesamte Bev�lkerung von L�ndern, die in den L�nderdurchschnitten �ber der Armutsgrenze liegen, den "Reichen" zugeschlagen, also die Ungleichverteilung von Einkommen innerhalb der L�nder au�er Acht gelassen wird. Misst man die Einkommensentwicklung unabh�ngig von L�ndergrenzen direkt bezogen auf alle Weltb�rger, dann "l�sst sich ablesen, dass die globale Ungleichverteilung ... zwischen 1987 und 1998 gestiegen ist." (UNDP, a.a.O., S. 49). Festzustellen ist "ein zunehmendes Einkommensgef�lle zwischen den Reichsten und �rmsten... und ein R�ckgang bei der mittleren Einkommensgruppe der Weltbev�lkerung". (A.a.O.)

Dieses wachsende Einkommensgef�lle ist kennzeichnend sowohl f�r das Verh�ltnis zwischen den reichsten und den �rmsten L�ndern wie auch f�r die Lage in den Entwicklungsl�ndern selbst. So ist "die Armut sogar in solchen L�ndern angestiegen, in denen die Wirtschaft insgesamt gewachsen ist. In 33 von 66 Entwicklungsl�ndern, f�r die Daten vorliegen, versch�rfte sich �ber die letzten zwanzig Jahren das Ungleichgewicht bei den Einkommen." (A.a.O., S. 7) Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen spricht von "Inseln verfestigter Armut" in diesen L�ndern. Da es sich aber in der Regel um relativ kleine Wachstumszonen im Verh�ltnis zur gesamten Volkswirtschaft handelt, ist es wohl zutreffender, von "produktiven Inseln" inmitten eines Meers gr��er werdender Elends auszugehen.

Ein aufschlussreiches Beispiel liefert Indien, das mit seinen 520.000 IT-Ingenieuren zum Offshoring-Ziel Nr. 1 der IT-Industrie geworden ist. Ihren Wahlkampf 2004 stellte die bis dahin regierende Bharatiya Janata Party (BJP) unter den Slogan: "India shining". Die Partei des "strahlenden Indiens" erlitt eine verheerende Niederlage. Sieger wurde die Kongress-Partei, die das wachsende soziale Elend des Landes in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs r�ckte. W�hrend die halbe Million IT-Ingenieure ihr f�r die Landesverh�ltnisse gutes Auskommen fand, hat sich die Lage der 600 Millionen Bauern durch die erzwungene �ffnung des Landes f�r Kapital und Waren dramatisch verschlechtert. Eine durchschnittliche l�ndliche Familie hat heute 100 Kilogramm weniger im Jahr zu essen als noch Anfang der Neunzigerjahre. (S�ddeutsche Zeitung, 4.6.2004). 44% der Bev�lkerung, 450 Millionen Menschen, leben von maximal 1 $ pro Tag. (John P. Neelsen: Indien - zwischen Globalisierung und Fundamentalismus. In: Sozialismus 6/2004, S. 54) Auf dem "Index menschlicher Entwicklung", den das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen nach den Kriterien Lebenserwartung, Alphabetisierung und Schulbesuch zusammen stellt, liegt Indien, das Dorado der globalen IT-Industrie, auf Platz 127, unmittelbar hinter Marokko, Betsuana und Namibien. (UNDP, a.a.O., S. 285. �hnliche Probleme weist auch China auf. Trotz der Fortschritte im Bereich der absoluten Armut, rei�t die Kluft zwischen den relativ kleinen st�dtischen Wachstumszonen und dem riesigen agrarischen Hinterland immer weiter auf. China belegt auf dem "Index menschlicher Entwicklung" Platz 104.)

Doch ist es nicht nur die ungleichm��ige Verteilung, die zu wachsender Armut f�hrt. In vielen L�ndern findet im Widerspruch zum Anspruch der Globalisierer auch kein allgemeines volkswirtschaftliches Wachstum statt. W�hrend das Wachstum des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens in 125 Entwicklungs- und Schwellenl�ndern weniger als 3 Prozent betrug, ging es in 54 dieser L�nder �berhaupt zur�ck. Von diesen 54 L�ndern mit gesunkenem Einkommen geh�ren 20 zu Afrika s�dlich der Sahara, 17 zu Osteuropa und der Gemeinschaft unabh�ngiger Staaten (GUS), sechs zu Lateinamerika und der Karibik, sechs zu Ostasien und dem Pazifikraum und f�nf zu den arabischen Staaten. (UNDP, a.a.O., S. 4) Die Schwarzafrika-Staaten, die angeblich darunter leiden, dass sie die Globalisierung zu wenig erfasst hat, stellen also blo� ein rundes Drittel der L�nder mit r�ckl�ufigem Wachstum. Im �brigen geh�rt die Exklusion von den globalen M�rkten zum System der Globalisierung selbst. Wenn und solange die regionalen M�rkte die internationalen Profitmarken nicht erreichen, werden sie vom globalen Kapital ausgeschlossen. (Von diesen L�ndern zu verlangen, sie sollten doch, um ihre Lage zu verbessern, mehr am globalen Prozess teilnehmen, entspr�che dem Rat an einen hierzulande in die Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe Exkludierten, er m�ge doch gef�lligst eine gut bezahlte Arbeit ergreifen.)

Wie falsch die Behauptung einer positiven Korrelation zwischen fortschreitender Globalisierung und sozialer Entwicklung ist, erweist sich nicht zuletzt in den j�hrlichen �bersichten des IBFG (Internationaler Bund Freier Gewerkschaften) �ber die Verletzung von Gewerkschaftsrechten. Im Berichtszeitraum 2002 wurden Verletzungen der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in 133 L�ndern dokumentiert. (J�hrliche �bersicht �ber die Verletzung von Gewerkschaftsrechten 2003. IBFG - Abteilung Menschen- und Gewerkschaftsrechte. Br�ssel 2003). Fast alle diese Verletzungen stehen in engstem Zusammenhang mit der Globalisierung. Vor allem die Schaffung von Freien Exportzonen (spanisch:maquilas), wo Entwicklungs- und Schwellenl�nder soziale und Umweltstandards radikal senken, um f�r ausl�ndisches Kapital attraktiver zu werden, bilden St�tten schlimmster Verst��e gegen die internationalen Arbeitsnormen. F�r Mexiko stellt der IBFG fest: "In den etwa 4.000 Maquiladoras des Landes sind Rechtsverletzungen an der Tagesordnung. Die Regierung unternimmt angesichts des massiven Kapitalzustroms nur �u�erst wenig, um die Gesetzgebung dort in Kraft zu setzen. Seit Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) haben sich in Tijuana (Baja California) ann�hernd 3.000 Montagebetriebe angesiedelt. Einer von einer mexikanischen nichtstaatlichen Organisation hindurchgef�hrten Untersuchung zufolge erhalten mehr als 1,3 Millionen Besch�ftigte weniger als 6 Dollar pro Tag f�r ihre Arbeit unter h�ufig erb�rmlichen Bedingungen, und lediglich 40% von ihnen behalten ihren Arbeitsplatz l�nger als drei Monate. Unbezahlte �berstunden, sexuelle Bel�stigung, Diskriminierung, nicht vorhandener Arbeitsschutz sowie willk�rliche Entlassungen sind lediglich einige Beispiele daf�r, was die Besch�ftigten in diesen Betrieben t�glich erleben." (A.a.O., S. 122)

Mexiko ist ein krasser Sonderfall, sondern wiederspiegelt die Norm dieser Art von Auslandsinvestition. F�r Nikaragua konstatiert der Bericht: "In vielen F�llen grenzen die Bedingungen in den Freien Exportzonen an zeitgen�ssische Formen der Sklaverei." (125) Den unter der Hoheit der US-Regierung stehenden Bund der N�rdlichen Marianen haben die USA zu einem Zentrum der Textilindustrie ausgebaut. Dort herrscht "eine Art Vertragsknechtschaft", unter der sich Tausende ausl�ndische Arbeitskr�fte, vor allem Frauen aus Thailand, China, den Philippinen und Bangladesch verpflichten m�ssen, keine Lohnerh�hungen zu fordern, keinen anderen Arbeitsplatz zu suchen und keiner Gewerkschaft beizutreten. (A.a.O., S. 142).

Den Anspruch der Globalisierer, ihre Politik w�rde den Wohlstand der Weltgesellschaft heben, widerlegt das Untersuchungsergebnis der Vereinten Nationen �ber die Entwicklung in den Neunzigerjahren:

 

* Einkommensarmut: Die ohnehin hohen Armutsraten stiegen in 37 der 67 L�nder, f�r die Daten vorliegen, weiter an.

* Hunger: In 19 L�ndern leidet mehr als ein Viertel der Menschen unter Hunger, und die Situation wird nicht besser oder verschlechtert sich sogar.

* �berleben: In 14 L�ndern stieg die Sterblichkeit der Kinder unter f�nf Jahren in den Neunzigerjahren, und in sieben L�ndern wird fast ein Viertel der Kinder den f�nften Geburtstag nicht erleben.

* Wasser: Mehr als eine Milliarde Menschen in den Entwicklungsl�ndern haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, und die Situation wird nicht besser oder verschlechtert sich sogar.

* Sanit�rversorgung: 2,4 Milliarden Menschen fehlt der Zugang zu einer ausreichenden Sanit�rversorgung, und die Situation wird nicht besser oder verschlechtert sich sogar.

 

 

Conrad Schuler