Marco Revelli

 REZENSION von Karl Reitter:

Die gesellschaftliche Linke. Jenseits der Zivilisation der Arbeit

Verlag Westfaelisches Dampfboot, Muenster 1999, 224 Seiten
Aus CONTRASTE Nr. 212 (Mai 2002)
Nachdruck aus Grundrisse, Zeitschrift fuer linke Theorie und Debatte Nr. 1 (www.grundrisse.net)

 

Das Thema des �bergangs vom Fordismus zum Postfordismus z�hlt zweifellos zu den wichtigsten Themen, die jene Linke, die sich um die Reflexion der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung bem�ht, zu diskutieren hat. Der italienische Autor Marco Revelli hat eine Studie vorgelegt, in der nicht nur die wesentlichen Charakteristika von Fordismus und Postfordismus dargestellt werden, sondern zugleich der Anspruch erhoben wird, die durch diese Transformation bewirkte Krise der Linken zu verstehen und eine Perspektive f�r gesellschaftskritisches Handeln zu entwickeln.

In den ersten Abschnitten versucht Revelli den Ausdr�cken "Fordismus" sowie "Postfordismus" inhaltliche Tiefe zu verleihen. Fordismus konstituierte sich f�r Revelli aus drei Momenten, dem "Technologischen Paradigma", dem "Akkumulationsregime" und einer spezifischen "Weise sozialer und �konomischer Regulierung". Das "technologische Paradigma" benennt den tayloristischen Arbeitsprozess, gekennzeichnet durch starre Trennung zwischen Befehlenden Ausf�hrenden, einer weitgehend entqualifizierten und vermassten Arbeitskraft, weitestgehender Zergliederung der Arbeitsschritte und der massiven Nutzung von "Verkettungstechnologien" (Fliessband). Das "Akkumulationsregime" beruhte auf wachsende Produktivit�t der Arbeit, Steigerung der St�ckzahlen und analog dazu steigenden L�hnen. Es verband also Massennachfrage mit der vollen Nutzung der Produktionskapazit�ten und erm�glichte in Folge wachsende, stabile Profite. Die "Weise sozialer und �konomischer Regulierung" beruhte auf monopolartiger Preisbestimmung, Anerkennung und Einbindung gewerkschaftlicher Organisationen sowie einem System �ffentlicher Sicherheit. "Jede dieser drei Ebenen baute auf einer Art von Innovation auf -technisch (die Standardisierung der Produkte), sozial (die Rationalisierung gesellschaftlicher Prozesse) und institutionell (die Nationalisierung der Massen und gr��te Macht des Nationalstaates)" (S. 37) - so der Autor.

Den Gegensatz von Fordismus und Postfordismus illustriert Revelli durch die Metaphern des "Kristalls" und des "Rauchs". Der Kristall steht f�r den Fordismus: starr, durchgeplant, unflexibel und durchkonstruiert. Der Rauch f�r den Postfordismus: "Im Gegensatz dazu stellt der Rauch den proteischen (d.h. wandelbaren), ver�nderbaren, ungreifbaren und in gewisser Hinsicht opportunistischen Charakter der neuen Unternehmenslogik dar, gem�� derer sich die Strukturen in der Luft aufl�sen, sich in ihr ausbreiten und jede Nische besetzen; sie heften sich an die Str�me, die das Umfeld durchqueren und lassen sich von ihnen unendlich oft umgestalten, ohne Widerstand zu leisten, sondern indem sie jeder neuen Konfiguration entsprechen und sie in Wert setzen." (66f) Neben fast poetischen Formulierungen wie die soeben zitierte - verwendet der Autor eine ganze Reihe von Statistiken, Zahlen und sehr konkreten Beschreibungen. Besonders plastisch ist seine Gegen�berstellung der Arbeitsbedingungen jenes Werkes, das dem Fordismus den Namen gegeben hat, und postfordistischen Firmen wie Ikea und Nike. "River Rouge", jenes Werk, in dem das ber�hmte Modell "T" produziert wurde, nahm 1.115 Hektar Fl�che ein, verf�gte �ber 50 Kilometer F�rderb�nder, 93 Meilen internem Eisenbahnnetz und bei voller Auslastung, �ber 105.000 Besch�ftigte. 1908 kam in den USA ein Automobil auf 509 Einwohner, 1995 betrug das Verh�ltnis 1 zu 1,2. Tats�chlich waren in den 20er Jahren in den USA alle Bedingungen des Fordismus in Reinkultur gegeben: Ein geradezu unbeschr�nkter Markt, der jene noch so gestiegene Produktion begierig aufnahm. Die linear steigende Produktion verbilligte das Modell "T" st�ndig, bis es zum Gegenwert von 3 Monatsl�hnen eines im Fordwerk besch�ftigten Arbeiters zu erwerben war. Das bedeutete einen scheinbar schrankenlosen Zirkel der Akkumulation. Die steigende Produktion verbilligte das Produkt und machte es immer mehr zum Konsumobjekt eben jener ArbeiterInnen, die in den fordistischen Werken arbeiteten.

Entscheidend ist, und hier ist wohl der erste kritische Einwand n�tig, dass Revelli das Ende des Fordismus wohl zutreffend beschreibt, eine analytische Erkl�rung aber schuldig bleibt. Dass der Markt f�r Automobile bei einem S�ttigungsgrad von 1 Autos zu 1,2 Personen stagniert, ist wohl klar, erkl�rt aber nicht, warum der Fordismus nicht auf andere Produkte ausweichen konnte und vor allem, warum andere Bereiche der Erde nicht in den fordistischen Zirkel eintreten konnten. Revelli ist sicher zuzustimmen wenn er schreibt, dass der Postfordismus gewissermassen die "Quadratur des Kreises" zu l�sen hat, also Strategien finden muss, "die es erlauben, die Kosten bei gleichbleibenden Profiten zu senken, ohne die Produktsvolumina zu erh�hen." (47) Auch wenn er keine analytische Krisentheorie entwickelt, so ist doch seine detaillierte Darstellung der neuen Akkumulationsstrategien beeindruckend. Ein Beispiel ist der Konzern Nike. Bei Nike selbst arbeiten weltweit nicht mehr als 8.000 Personen im Management, im Design und in der Vermarktung, die Produktion selbst wird von etwa 75.000 ArbeiterInnen erledigt, die von (scheinbar) unabh�ngigen Subunternehmen angestellt werden. Und betrachtet man deren L�hne, so wird der Bruch zum Fordismus sonnenklar. Die vor allem in Indonesien besch�ftigten Frauen und M�dchen verdienen um die 18 EUR im Monat! (1). Das bedeutet im Klartext, die Arbeiterinnen k�nnen sich das Produkt, das sie herstellen, nicht kaufen, sie stehen au�erhalb des Zirkels Produktion Konsumtion.

Im n�chsten Abschnitt - "Die Not der Politik" betitelt zieht Revelli einige Konsequenzen aus seiner Interpretation des Postfordismus. F�r den Autor ist es offenbar evident, dass der Nationalstaat massiv an Bedeutung verliert. Der Fordistische Kapitalismus entfaltete sich im Rahmen des Nationalstaates, der laut Revelli auf zwei Prozessen beruhte. Erstens auf der Ausbildung einer einzigen souver�nen Herrschaft, die ihre Macht �ber ein klar begrenztes Territorium ausbreitete, und zweitens einer politischen Besetzung des �ffentlichen Raumes, in dem sich wohlgeordnet das Spiel Konflikt Konsens entfaltete. Beide Elemente geh�ren tendenziell der Vergangenheit an. An die Stelle des homogenen Raumes der Herrschaft, das hei�t des Nationalstaates, ist ein Prozess der "Refeudalisierung" (108) zu konstatieren. Der homogene Machtraum zerf�llt in verschiedene Territorien, die von diversen M�chten, wirtschaftlichen und/oder wirtschaftlich-politischen durchkreuzt werden, und die zueinander zunehmend in Konkurrenz treten. Originalton Revelli: "Von der unabh�ngigen Variablen verkehrt er (- der Staat, K.R.) sich in eine untergeordnete Rolle. Und verliert auf diesem Weg jenes Monopol der legitimen Entscheidung, das die moderne politische Theorie genau als Essenz der Staatlichkeit und Souver�nit�t verstanden hatte: in der neuen globalisierten �konomie sind die Fl�sse anstatt der Orte der privilegierte Sitz der effizienten Entscheidungen (Geldfl�sse, Informationsfl�sse, Fl�sse organisatorischer Ressourcen ...)" (112) Die verschiedenen Territorien (Regionen), werden vom Kontext in der sich die fordistische Produktion vollzogen hat selbst zum konkurrierenden Element, zum Produktionsfaktor. Wobei Revelli den Begriff Territorium nicht ausschliesslich geographisch, sondern auch sozial verwendet. W�hrend im Fordismus der Konflikt einerseits auf der Zentralit�t der Fabrik und andererseits auf den Einfluss auf die Staatspolitik aufgebaut war, treten im Postfordismus die Territorien zueinander in Konkurrenz - so Revellis d�sterer Befund.

Auch hier dr�ngen sich kritische Einw�nde, zu salopp wird das Ende des Nationalstaats verk�ndet. Sicher - es ist zweifellos richtig, dass dieser an Bedeutung verliert. Und es ist weiters richtig, dass die postfordistische �konomie transnational ist. So sind auch die Zahlen, die Revelli in diesem Zusammenhang nennt, beeindruckend und vielsagend. Das Budget von General Motors mit 110 Milliarden Dollar �bersteigt das BIP aller L�nder des Trikont ohne Brasilien, Mexiko und Indien. BMW zahlte 1988 noch 545 Millionen DM an Steuern, 1992 waren es nur noch 31 Millionen, die in die deutsche Staatskasse flossen, 1993 wurden bereits 32 Milliarden an Steuerr�ckforderungen geltend gemacht - und auch an BMW ausbezahlt. W�hrend die Aufwendungen in Deutschland gebucht wurden, konnten die Gewinne finanztechnisch in die Steueroasen verlegt werden, daher das Plus. Doch zwischen der letztlich sehr saloppen Aussage - die Bedeutung des Nationalstaates schrumpft - und einer pr�zisen Bestimmung der neuen Rolle des Staates ist doch ein gewaltiger Unterschied. Nicht, das ich eine ausgefeilte Position Revelli entgegen halten k�nnte, das Thema muss einfach genauer diskutiert werden. Immerhin ist daran zu erinnern, dass kapitalistische Verh�ltnisse ohne Rechtsstaatlichkeit nicht existieren k�nnen, und weiters soll auch die bedeutende �konomische Rolle des Staates nicht �bergangen werden. In der Regel betr�gt der Anteil am Budget in westlichen Staaten ein Drittel des BIP, f�r �sterreich sind das rund 57 Milliarden Dollar. Obwohl Revelli die Herausbildung der postfordistischen Machtstr�me recht plastisch analysiert, bleibt eine systematische Bestimmung des Verh�ltnisses Kapital - Staat aus.

Im letzten Drittel seines Buches versucht Revelli die gesellschaftlichen Aufgeben der Linken n�her zu umrei�en. Ausgangspunkt daf�r ist sein Befund, dass der Poststrukturalismus dazu tendiere, jene gesellschaftlichen Grossgruppen, die im Fordismus geschaffen wurden, zu zersetzen, "ohne dass am Horizont irgendein anderer Prozess der Wiederzusammensetzung, sei er auch nur embryonal, zu erkennen w�re." (143) Obwohl Revelli durchaus dem Operaismus nahesteht, sind seine Schlussfolgerungen weitaus pessimistischer als etwa jene Antonio Negris, der �berall die Macht der Multitude konstatiert. W�hrend Negri die ontologischen Bedingungen f�r die revolution�ren Subjekte als gegeben erachtet, pl�diert Revelli f�r die bewusste Konstitution eben jener Subjekte. Die Linke habe in die "Entstehung und Strukturierung des sozialen Geflechts" (142) einzugreifen, eines Geflechts, das nach seiner Auffassung der Poststrukturalismus ersatzlos zerst�rt w�rde. Sehr rasch zeigt Revelli, was er eigentlich damit meint. Nach seiner Auffassung kommt dem Dritten Sektor, also dem gesellschaftlichen Bereich jenseits von Markt und Staat, zunehmende Bedeutung zu. Der Autor ist freilich vom unkritischen "Es lebe die Zivilgesellschaft" Gejodle meilenweit entfernt. Der Dritte Sektor ist blo� der Schauplatz, an dem zwei antagonistische Vergesellschaftungsmodelle miteinander konkurrieren. Der v�lligen Vermarktung des Sozialen stehe eine neue "solidarische �konomie" (149), neue Formen der Gemeinschaft gegen�ber. Der Kampf zwischen Kapitalismus und seinen Alternativen findet innerhalb dieses Sektors statt. "Denn von dessen Erfolg wird es abh�ngen, ob die aktuelle Tendenz, daraus eine subalterne Funktion f�r die Unterst�tzung des R�ckzugs des Sozialstaats und eine bisher ungekannte Durchdringungskraft des Marktes zu machen; oder, im Gegenteil, die M�glichkeit seine Arbeitsprozesse mit Antik�rpern gegen den Despotismus der generalisierten �konomie zu durchziehen." (157) Gerade dieser Abschnitt ist voll scharfsinniger �berlegungen zu den Grenzen, der Bedeutung und der Problematik des sogenannten Dritten Sektors. Auch der notwendige Verweis auf Polanyi und T�nnies fehlt nicht.

Insgesamt ist sein Buch eine sehr materialreiche und wohl �berlegte Analyse des �bergangs vom Fordismus zum Postfordismus; eine ausgezeichnete Grundlage f�r jede Diskussion zu diesem Thema.

(1) Nicht verschwiegen werden soll die Information, dass der Basketballspieler Michael Jordan an seinem Werbevertrag mit Nike mehr verdient, als alle indonesischen Arbeiterinnen im Jahr zusammen, die fuer diesen Konzern arbeiten.

Karl Reitter

Marco Revelli: Die gesellschaftliche Linke. Jenseits der Zivilisation der Arbeit; Verlag Westfaelisches Dampfboot, Muenster 1999, 224 Seiten