Wildcat-Zirkular Nr. 56/57 - Mai 2000 - S. 64-74 [z56paolo.htm]
Gespiegelt aus: http://www.wildcat-www.de/zirkular/56/z56paolo.htm
Spekulatives Wachstum
von Paolo Giussani, Mailand, April 2000
Die noch immer auf vollen Touren laufende Spekulationswelle �bertrifft an Ausdehnung und Dauer alles, was wir aus der j�ngeren Geschichte kennen. Es handelt sich auch nicht einfach um eine - wenn auch ungew�hnlich gro�e - �Blase�, sondern um die Ver�nderung der gesamten Physiologie des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Sie ern�hrt das spekulativ investierte Kapital, das mit dem Kauf und Verkauf von Titeln, haupts�chlich Aktien, die positiven Preisdifferenzen realisiert, die sich kontinuierlich auf dem ganzen Globus zeigen. Heute ist praktisch das ganze existierende Geld auf die eine oder andere Weise mit der Spekulation verbunden; entweder, weil es automatisch in Pensionsfonds oder Investmentfonds gesteckt wird, oder weil es dem private banking anvertraut wird, oder weil die gr��eren Firmen des Produktions- oder Handelssektors ihre fl�ssigen Mittel ihren eigens gegr�ndeten Finanzunterfirmen �berlassen, damit diese es in irgendeiner Form spekulativ anlegen. Bargeld (Cash) scheint verschwunden zu sein und vom schwarzen Loch der Finanz verschluckt: cash is trash! ist das hysterische Motto unserer Zeit, und Geld, das nicht immer wieder in Titel verwandelt wird, scheint nicht einmal existieren zu k�nnen.
Aber die Geschichte hat nicht gestern begonnen, sondern vor ungef�hr 25 Jahren, Mitte der siebziger Jahre, im Bereich der W�hrungsspekulation, um sich dann Anfang des darauffolgenden Jahrzehnts auf die B�rse auszudehnen. Der Standard & Poor's Composite 500-Index der B�rse von New York, der ca. 85 Prozent des Aktienmarktes enth�lt, ist von 1980 bis heute inflationsbereinigt auf ungef�hr das Zehnfache gewachsen bei einem durchschnittlichen j�hrlichen Wachstum von fast 14 Prozent, das in den letzten f�nf Jahren auf 25 Prozent gestiegen ist; damit besch�mt er sogar die au�erordentliche Performance des Spekulationsjahrzehnts par eccellence in der Geschichte des zeitgen�ssischen Kapitalismus, die zwanziger Jahre n�mlich, in denen die Aktienpreise im Jahresdurchschnitt um etwas mehr als 12 Prozent stiegen - bis zum gro�en Crash vom Oktober 1929. Gleichzeitig ist der j�hrliche Umsatz an der Wall Street, also die Summe der j�hrlichen Aktientransaktionen, im Verh�ltnis zum amerikanischen Bruttoinlandsprodukt von durchschnittlich 25 Prozent im Zeitraum 1933-1982 in den letzten drei Jahren nacheinander auf Werte von 150, 220 und 330 Prozent gestiegen; das bedeutet, der Jahresumsatz an der Wall Street hat ann�hernd drei�ig Billionen Dollar erreicht. Ein Teil dieser unglaublichen Gr��e ist der deutlichen Beschleunigung der Transaktionen geschuldet; aber der weitaus �berwiegende Anteil des Wachstums von 25 auf 330 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in ca. 20 Jahren ist auf die Netto-Immission von Geld in den Markt zur�ckzuf�hren: heute ist sch�tzungsweise das F�nf- bis Sechsfache der Geldmenge im Verh�ltnis zum Bruttosozialprodukt angelegt als vor den achtziger Jahren.
Selbstverst�ndlich widerspricht die Anlage von spekulativem Kapital nicht im geringsten dem allgemeinen Prinzip des Kapitals, sich zu erweitern, von dem es vollst�ndig reguliert und beherrscht wird. Im Geldwesen erscheint die Sache nur klarer, da man es mit reinen Zahlen zu tun hat, die best�ndig wachsen, ohne die l�stige Vermittlung irgendeiner Art von Produktion. Gleichwohl mu� bedacht werden, da� das Ansteigen der Aktienpreise, die in zusammengefa�ten Markt-Indizes ausgedr�ckt werden, nicht der Realisierung eines Profits f�r diesen bestimmten Titel gleichkommt, so wie der Verkauf einer Ware zu einem Preis oberhalb ihrer Produktionskosten f�r den Verk�ufer/Produzenten Profit einbringt. Im letzteren Fall werden die Waren im Austausch gegen Geld produziert und verkauft; danach enden sie im produktiven oder unproduktiven Konsum, wo sie ihre materiellen Eigenschaften verlieren, um etwas anderes zu werden. Ihr Preis existiert nicht mehr, er ist als Teil des Preises einer anderen Ware �bertragen worden oder ist ganz einfach zerst�rt worden, w�hrend das Geld weiterhin zirkuliert und produzierte Waren ihren Herrn und ihren Ort austauschen l��t. In der Zirkulation des spekulativen Kapitals bewegen sich die Dinge anders. Die Waren selbst, die Aktientitel zum Beispiel, zirkulieren auf Ewigkeit weiter, indem sie um das Geld kreisen, mit dem sie sich tauschen, welches seinerseits genau dasselbe macht. Solange bis zus�tzliches Geld in den spekulativen Kreislauf eintritt, steigen die Preise und erzeugen Geldgewinne bei Aktien, die verkauft/gekauft werden, bzw. rein nominelle oder ideelle Gewinne bei Aktien, die im Portfolio bleiben und nicht eingetauscht werden. Wenn all die Aktien, die den nominell bestehenden Kapitalstock bilden, gleichzeitig verkauft w�rden, w�rde man bemerken, da� die Gewinne, die man am Vortag auf der Basis der vorangegangenen Preisbewegungen berechnet hatte, rein nominell sind und nicht in Geld realisiert werden k�nnen.
Der Grund daf�r, da� Geld in spekulative Anlagen flie�t, ist darin zu sehen, da� die Titel nicht reproduzierbare Waren sind, die direkt oder indirekt verbunden sind mit Aktivit�ten bzw. mit Kapitalen, die Profit produzieren - ein Umstand, der dem investierten Geld eine doppelte Funktion zuzuweisen scheint: zus�tzlichen Profit zu schaffen, wovon sich ihr Inhaber mittels der Dividende einen Teil aneignet, und augenblickliche Profite zu erm�glichen in Form von Preisanstiegen, den sogenannten capital gains. Davon leitet sich die Theorie ab, die Aktienpreise w�rden die zuk�nftig zu erwartenden Renditen des von ihnen repr�sentierten produktiven Kapitals widerspiegeln - eine Theorie, die sich auf eine leere Banalit�t reduziert in nicht spekulativen Zeiten, wenn neue Aktien vorwiegend zur Finanzierung neuer Investitionen d.h. der Akkumulation ausgegeben werden (Prim�rmarkt), und die vollkommen falsch ist, wenn vorwiegend existierende Aktien verkauft/gekauft werden (der sogenannte Sekund�rmarkt), und die Preise im Durchschnitt weit �ber die Niveaus steigen, die vom Wachstum des fixen Kapitals der an der B�rse gehandelten Firmen bestimmt werden.
Einer der gr��ten frommen W�nsche des durchschnittlichen linken Denkens ist die Vorstellung, es g�be eine Art Gegensatz zwischen Spekulanten und produktiven Kapitalisten. F�r gew�hnlich wird diese Vorstellung noch angeheizt durch die Emp�rung gegen die Spekulation als unz�chtiger und parasit�rer Verirrung. Schon die Vorstellung, es g�be �Spekulanten�, ist eine der fast unendlichen metropolitanen Legenden, die im Umlauf sind; vielleicht hat sie ein calvinistischer Moralist in Umlauf gesetzt, der harte k�rperliche Arbeit liebte.
Das Auftauchen des spekulativen Kapitals in unserem Zeitalter hat seinen Ursprung genau im produktiven Sektor, und um noch genauer zu sein: bei den Gro�unternehmen in Japan, dem weltweit gr��ten Land des Industrialismus. Diese Unternehmen verf�gten Mitte der siebziger Jahre �ber fl�ssige �bersch�sse und begannen mit den Wechselkursen der Devisen zu spekulieren; dabei nutzten sie die wachsende St�rke des Yen im neuen Regime der flexiblen Wechselkurse im Gefolge des Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems; au�erdem verliehen sie nach allen Seiten Geld, auch ins Ausland. Von hier dehnte sich die Spekulationsbewegung auf die B�rse aus, ihr nat�rliches Zentrum, und auf die Vereinigten Staaten, wo sie allm�hlich eine historisch beispiellose Ausdehnung und Bedeutung annahm.
Heutzutage sind spekulatives Kapital und produktives Kapital derma�en miteinander verflochten, da� es unm�glich ist zu sagen, welches real �berwiegt. Alle Gro�unternehmen der Welt spekulieren mit ihren liquiden Mitteln. H�ufig kaufen sie damit auf dem Markt ihre eigenen Aktien auf und weisen die Preiserh�hungen des eigenen Aktienpakets als Profit aus (non operating income); sie bezahlen ihre Besch�ftigten, vor allem die Manager, in wachsendem Ma� mit Optionen auf die eigenen Aktien; sie ersetzen allm�hlich die Techniker und Manager traditionellen Typs durch Experten in Finanztechnik; sie �ndern die eigene Unternehmensform, indem sie sich in verschiedene Segmente aufspalten, um zu Spekulationszwecken Aktien auszugeben. Die steigenden Aktienkurse machen ein solches Vorgehen gleichzeitig attraktiv und zwingend erforderlich, weil sie nicht nur gigantische Gewinne versprechen, sondern shareholder dazu treibt, ihre Aktienpakete aufzul�sen, um die gains einstecken zu k�nnen, was dazu f�hren kann, da� die kapitalistische Unternehmenseinheit selbst aufgel�st wird.
Verantwortlich f�r die gro�e Aufw�rtsbewegung des spekulativen Kapitals sind die institutionellen Anleger, Investmentfonds und Pensionsfonds; das erkl�rt auch die gr��ere Ausdehnung des amerikanischen Aktienmarkts im Vergleich zum europ�ischen. Im Verh�ltnis zu diesen immensen Kan�len, die Gelder von vielen zusammenlegten und ein vergesellschaftetes spekulatives Kapital schufen, sind die Privatanleger eine recht kleine Fraktion, die ihrerseits von der T�tigkeit der Banken, d.h. anderen institutionellen Anlegern, beherrscht wird. Das ist aber bei weitem noch nicht alles. Einen betr�chtlichen und best�ndig wachsenden Bestandteil des spekulativ investierten Kapitals bildet eigens f�r diesen Zweck geschaffenes Kreditgeld. Diese Bewegung hat in den letzten Jahren einen wahren Boom durchgemacht: 1985 machte dieses Geld 30 Prozent des gesamten geschaffenen Kredits aus, heute sind es 75 Prozent des neu geschaffenen Kredits. Nicht nur die traditionellen Banken (die Handelsbanken) schaffen diesen Kredit; ihnen hat sich eine Pletora von Institutionen zugesellt - Money Market Funds, Government Sponsored Enterprises, usw. -, die die Arbeit der Banken schneller und mit weniger liquiden Reserven erledigen k�nnen.
Wesentlich zur Ausweitung des Kredits beigetragen hat das unglaubliche Wachstum der Derivate in den letzten zehn Jahren, die wirklich gro�e Neuheit beim Siegeszug des spekulativen Kapitals. Sie haben den bestehenden Anlagenwert von ca. 600 Milliarden US-Dollar im Jahre 1986 auf 17 Billionen im Jahr 1999 erh�ht, das ist das 28fache. Nasser Saber scheint gute Gr�nde zu haben, wenn er in seinem �u�erst interessanten Buch Speculative Capital (Verlag Prentice Hall - Financial Times, London 1999) behauptet, da� die Derivate die funktionale Form des spekulativen Kapitals sind, da sie gestatten, das Geldkapital auf absolut angemessene Weise anzulegen, um von den Preisdifferenzen zu profitieren, die die unaufh�rlichen Schwankungen des Weltfinanzmarkts st�ndig hervorbringen.
Die offizielle Theorie sieht in den Derivaten ein vern�nftiges Mittel zur Risikoabsicherung (risk hedging), weshalb ihr Wachstum ein Index f�r ein geringeres allgemeines Risiko sei. Diese Theorie ist nat�rlich l�cherlich, wenn man bedenkt, da� die Derivate zwar eine Absicherung gegen das Risiko sind, aber nur weil sie es auf jemand anderen verlagern, und sicherlich nicht, indem sie es eliminieren. Sie lassen es sogar allgemein stark anwachsen, weil sie eine gr��ere Verschuldung erm�glichen, wie sie der leverage-Grad anzeigt, das Verh�ltnis zwischen Verschuldung und Eigenkapital, das bei den gr��eren amerikanischen Banken, die im Spekulationsgesch�ft mit Derivaten engagiert sind, inzwischen den sciencefictionm��igen Wert von 100 erreicht hat, w�hrend ein Wert oberhalb von 1 in jedweder produktiven T�tigkeit als untragbar angesehen wird.
Wie l�uft denn nun aber normalerweise die Spekulation mit Derivaten? Es gibt unz�hlige Arten von Derivaten, doch grundlegend teilen sie sich in zwei gro�e Kategorien auf: options und forwards. Die options bestehen in dem Recht, nicht der Pflicht, ein bestimmtes Finanzinstrument zu einem bestimmten Preis an einem vorher festgelegten Datum zu verkaufen (put option) oder zu kaufen (call option). Die forwards hingegen bestehen aus der Pflicht, ein bestimmtes Finanzinstrument zu einem bestimmten Preis an einem vorher festgelegten Datum zu kaufen oder zu verkaufen.
Da die Summen, um die es dabei geht, recht klein sind - der Preis des Derivats betr�gt ein Bruchteil des Aktienpreises - ist leicht zu sehen, wie einfach es f�r den Anleger ist, Kredite auf options und forwards zu erhalten. Diese Summen k�nnen jedoch augenblicklich riesengro� werden, wenn der Spieler unvorhergesehenen Richtungs�nderungen des Marktes nachkommen mu�, die ihn zu Sofortk�ufen oder -verk�ufen zwingen, wenn er long bei Titeln und short bei fl�ssigen Mitteln ist, oder umgekehrt.
Ein typischer spekulativer Gebrauch von options ist die bei amerikanischen Firmen immer gebr�uchlichere Praxis, den eigenen Angestellten als Gehaltsbestandteil Optionen auf Firmenaktien zu geben. Wenn bis zur F�lligkeit der Option zum Erwerb der Firmenaktien der Preis der Aktien im Vergleich zum in der Option angegebenen Preis angestiegen ist, wird der Angestellte nat�rlich sein Erwerbsrecht aus�ben, um die Titel im selben Augenblick wieder zu verkaufen und somit einen sofortigen Profit ohne Risiko einzustreichen. Das Risiko wird somit auf die Firma selbst �bertragen, die gegebenenfalls nicht die liquiden Mittel hat, um die Aktien am Markt zur�ckzukaufen und sie dem Angestellten unter Preis weiterzuverkaufen, um so ihrer Verpflichtung nachzukommen, die sie mit der Ausgabe der Optionsscheine eingegangen ist. Und wenn sie doch �ber die liquiden Mittel verf�gt, mu� sie einen immer gr��eren Teil davon aufwenden, um sie dem Angestellten zukommen zu lassen. Sollte sich der gegenw�rtige Trend fortsetzen, dann m��ten die amerikanischen Unternehmen in vier bis f�nf Jahren fast 100 Prozent ihres akkumulierbaren Nettoprofits f�r die buybacks ihrer eigenen Aktien aufwenden.
Da nun aber wohlbekannt ist, da� die B�rse Profite von einem Sektor in den anderen und von einem Individuum zum andern �bertragen kann, aber nat�rlich keinen gesellschaftlichen Zusatzprofit schaffen kann, mu�te die Finanzexpansion der letzten 20 Jahre auf einem au�erordentlichen Wachstum der den Lohnabh�ngigen abgepre�ten Profite basieren - ein Ph�nomen, das in den Statistiken der nationalen Buchf�hrung ganz klar zum Ausdruck kommt. Im Nationaleinkommen der Vereinigten Staaten ist das Verh�ltnis zwischen Profiten und L�hnen von 1981 bis Ende 1999 von 0,41 auf ca. 0,6 gewachsen. Dieses Wachstum um ca. 50 Prozent macht praktisch den gesamten Fortschritt der Lohnquote gegen�ber den Profiten im Lauf der vorangegangenen 30 Jahre - von 0,6 im Jahre 1952 auf 0,41 im Jahre 1981 - zunichte. Eine Verminderung der Lohnquote im Nationaleinkommen in solchen Proportionen, deren Ursache im Sinken der Reall�hne und der unglaublichen Erh�hung der Intensit�t des Arbeitsprozesses liegt, ist ein in der zeitgen�ssischen Geschichte weithin unbekanntes Ph�nomen.
Daraus erkl�rt sich der gr��te Teil des au�ergew�hnlichen Wachstums der allgemeinen Profitrate der amerikanischen �konomie in den letzten 20 Jahren. Die Profitrate, die sich bemi�t aus dem Verh�ltnis zwischen dem j�hrlichen Flu� an Bruttoprofiten und dem Nettostock an fixem Kapital (ohne Grundst�cke), das im Privatsektor investiert ist, ist von einem Wert von 0,08 im Jahre 1981 auf 0,15 im Jahre 1999 gewachsen oder um 87,5 Prozent in 18 Jahren, eine Ver�nderung, die einen Gutteil ihres Falls in der Nachkriegszeit aufholt; sie erkl�rt sich zu 75 Prozent aus der Verschlechterung der relativen Position der Lohnabh�ngigen und zu 25 Prozent aus der Intensivierung des Arbeitsprozesses, was die Rationalisierung und h�here physische Ausquetschung der Anlagen, Strukturen und Maschinen erlaubt hat. Parallel zu dieser reinen Umkehrung der Tendenz der Profitrate gab es keinerlei Entsprechung in Form einer Anstiegstendenz der Akkumulationsrate (Rate der Erh�hung des fixen Kapitalstocks), sondern ihr unerbittlicher Fall hat sich fortgesetzt. Dieser Fall hat schon in den siebziger Jahren begonnen, als sich die typische Anstiegstendenz im golden age des Kapitals in der Nachkriegszeit umkehrte. Die sinkende Akkumulationsrate markiert die fortschreitende Abnahme der Akkumulation von produktivem Kapital, die durch die Akkumulation von fiktivem Nominalkapital ersetzt wird, dank dessen best�ndiger Preissteigerung.
Es ist klar, da� es an diesem Punkt keinerlei Entsprechung mehr gibt zwischen dem Geldwert des fixen Kapitals und dem Geldwert der Eigentumstitel auf dieses selbe fixe Kapital - obgleich das Kapital nat�rlich nicht zweimal existieren kann und der Aktienhalter nichts anderes ist als der Inhaber des Anteils an fixem Kapital einer bestimmten Firma, derma�en, da� wenn es vorkommt, da� der Preis der Aktien einer solchen Firma, die ihr Kapital bilden, verf�llt, sie augenblicklich auf Null abst�rzt. Einigen Sch�tzungen zufolge ist der gesamte Stock an nominellem Kapital, das im Standard & Poor's Index der New Yorker B�rse enthalten ist, ungef�hr zweimal so viel wert wie der entsprechende gesamte Stock an fixem Kapital, und der viel kleinere Dow Jones Industrial Average (ca. 21 Prozent des Marktes) sogar viermal soviel, ein wahrhaft phantastischer Anstieg von ann�hernd gleichen Niveaus Mitte der siebziger Jahre. Von einem anderen Beobachtungspunkt aus stellt sich ein solches Ph�nomen dar als gigantisches Wachstum des Verh�ltnisses Price/Earning (P/E), d.h. des Verh�ltnisses zwischen den Aktienpreisen und den Profiten der Firma, das vom Wert 6,7 im Jahr 1980 auf den Wert 37,2 Anfang diesen Jahres gestiegen ist (S&P-Index) und damit um 2,6 Mal gr��er ist als der Mittelwert der Nachkriegszeit, der bei etwa 14 lag. Eine Entwertung w�re n�tig oder ein Crash um ungef�hr 45 Prozent des Gesamtwerts der an der Wall Street notierten Aktien, um den P/E auf seinen Durchschnittswert aus f�nfzig Jahren zu bringen. Das ist offensichtlich mit dem Verh�ltnis Dividend/Price (D/P), auch dividend yield genannt, bereits geschehen. Es entspricht der Profitrate aus Sicht des Aktion�rs, der mit Dividenden einen Anteil am Unternehmensprofit einzustreichen will. Dieses Verh�ltnis ist auf ein ganz tiefes Niveau gefallen, n�mlich von 0,05 im Jahre 1975 auf 0,012 Ende 1999, so da� die Dividenden zu einem praktisch unerheblichen Bestandteil der gesamten B�rsengewinne geworden sind (capital gains + Dividenden), deren Gesamtrate sich aus der Formel (�P + D)/P ergibt.
Es ist sehr schwierig, eine vertretbare Sch�tzung der effektiven Finanzprofite der letzten 20 Jahre abzugeben. Die klassischen �konomen haben sie mit Bezug auf die Theoretiker des Merkantilismus des 17. Jahrhunderts profits upon alienation genannt, um sie von mittels Warenproduktion realisierten Profiten zu unterscheiden. Sie entspringen aus der definitiven Monetarisierung der Zuw�chse der Aktienwerte und stellen die Materialisierung des Bluttransfers aus den Arterien der Arbeiter zum spekulativen Nosferatu dar. Solche Gewinne machten einen Teil des (Pseudo-)Booms der amerikanischen Wirtschaft aus.
Ein Teil dieser monetarisierten Profite ist im Finanzsektor selbst reinvestiert worden, um Ausr�stungsgegenst�nde zu erwerben (Computer und Kommunikationselektronik aller Art), B�ros einzurichten, usw..
Ein weiterer Teil ging in h�here Geh�lter und verschiedene Pr�mien an die Manager und Funktion�re des Finanz- und anderer Sektoren - Geld, womit sich dieses dreckige Lumpenpack Luxusg�ter und Luxusdienstleistungen gekauft hat.
Einen dritten Teil sackte der Staat in Form von erh�hten Steuereinnahmen ein, womit die Regierung einen betr�chtlichen Teil der �ffentlichen Verschuldung abgebaut hat; das sollte dazu dienen, Raum f�r die private Verschuldung zu schaffen, um die Investitionen in Aktien statt in Bonds zu f�rdern. Der Gebrauch dieser profits upon alienation zusammengenommen mit der Wirkung der vulg�ren Statistiktricks, die von der Clinton-Administration seit 1995 eingef�hrt wurden, um die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts und der Produktivit�t (Nettoprodukt pro Arbeitsstunde) k�nstlich anwachsen zu lassen, macht 100 Prozent des amerikanischen Wachstums der letzten f�nf Jahre aus, bei dem alles eine Rolle gespielt hat - nur nicht die Kapitalakkumulation.
Die fanatischen Bewunderer von Informatik und Videogames haben nicht v�llig unrecht. Die heutige Realit�t wird tats�chlich immer virtueller. Ein gutes Beispiel daf�r ist der zur Zeit angeblich ablaufende Boom der amerikanischen Wirtschaft. Er gab Anla� zum l�cherlichen Etikett New Economy, das der pathetische Scharlatan Greenspan erfunden hat, um eine �konomie zu beschreiben, die ohne Inflation wachsen kann. Dies sei m�glich aufgrund der fantastischen Produktivit�tszuw�chse durch die neuen Technologien. Gleichzeitig mache es das explosive Wachstum der Finanzstr�me m�glich, Manna vom Himmel an all diejenigen zu verteilen, die so mutig sind, ein geringes Risiko einzugehen.
Wenn wir die Daten der amerikanischen Wirtschaft im letzten Jahrzehnt nach Sektoren zerlegen, so gehen mehr als 60 Prozent des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts auf die Computerproduktion zur�ck, w�hrend in dieser Branche gerade mal zwei Prozent der lohnabh�ngig Besch�ftigten der USA arbeiten. Wir haben es offensichtlich mit einem Wunder zu tun, vor dem alle Wunder der Heiligen Schriften verblassen! Aber das Wunder hat nicht in der Wirklichkeit stattgefunden, sondern in ihrem virtuellen Gegenst�ck, den vom Bureau of Economics Analysis ausgearbeiteten Statistiken, dem B�ro des Handelsministeriums der US-Regierung. Dieses (bis dahin) unschuldige BEA wurde angewiesen, eine neue Methode zur Berechnung der Inflation anzuwenden, um die virtuellen oder propagandistisch erw�nschten Ergebnisse zu erhalten. Herauskam die chained method, eine Anwendung des hedonic price index, der wiederum eine ideologische Konstruktion der neoklassischen Wirtschafts�theorie� ist, die sich bekannterma�en auf die Berechnung des subjektiven Nutzens der G�ter st�tzt. Im Computersektor berechnete die neue Methode nicht mehr die Menge physischer Produkte pro Arbeitsstunde (1, 2 ... n Computer), sondern von Einheiten an computing power, die mit der Einf�hrung neuer Prozessortypen ma�los ansteigt, auch wenn sich in Wirklichkeit wenig oder nichts �ndert. Das Ergebnis war, da� im Zeitraum 1995-99 die Hardwarebranche eine durchschnittliche j�hrliche Produktivit�tssteigerung von 42 Prozent auswies, was fast eine Versechsfachung der Produktivit�t in f�nf Jahren bedeutet! Durch diesen Kniff verwandelte sich die Inflation in der Hardwarebranche in ihr genaues Gegenteil, n�mlich eine Dis-Inflation (Sinken des Preises im Vergleich zu dem als �real� angenommenen Preis) von 1:14 im Jahr 1999. Um diese Disinflation rauszurechnen - die nat�rlich die BEA selbst erfunden hatte - multiplizierte man den Gegenwert der Computerproduktion in US-Dollar mit 14. Dadurch sprang nicht nur das j�hrliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von bescheidenen 1,7 Prozent (was unterhalb des gleichzeitigen Wachstums in Deutschland liegt!) auf 4 Prozent (also in Bereiche des Nachkriegsbooms!), sondern der tendenzielle Verfall der Produktivit�t, der nat�rlich aus dem chronischen Verfall der Investitionen in fixes Kapital herr�hrt, kehrte sich pl�tzlich um: Der Produktivit�tszuwachs gewann somit im Zeitraum 1995-99 zirka 85 Prozent von dem zur�ck, was er von 1970 bis 1995 im Vergleich zum goldenen Zeitalter 1950-72 verloren hatte.
Wenn wir statt der chained method die traditionelle fixed price-Methode anwenden, um aus dem Geldwert der produzierten Computer und aus dem Gesamtprodukt die Inflation herauszurechnen, hat sich der Fall des Produktivit�tszuwachses sogar noch weiter beschleunigt. Nat�rlich sind die anderen Branchen, die keine Computer produzieren, selbst dann (noch) nicht in der Lage, gr��ere Zuw�chse in der Produktion oder in der Produktivit�t auszuweisen, wenn wir auf sie ebenfalls die neue Methode anwenden. Dieser Umstand macht deutlich, da� der Produktivit�tszuwachs der Hardwarebranche nicht nur ein lediglich scheinbarer ist, sondern auch ein Ph�nomen um seiner selbst willen: au�erhalb der Hardwarebranche gibt es keinerlei gr��eres Wachstum, auch die verbreitete Anwendung der Computer in der Produktion hat zu keiner Verbesserung der Produktivit�t in bezug auf den seit fast 25 Jahren r�ckl�ufigen Trend gef�hrt. Da� die chained method ein Betrug ist, zeigt sich auch daran, da� trotz der Sch�nrechnerei des BEA sowohl der Gesamtproduktion der Hardwarebranche wie ihrer Produktivit�t, die Profite der Branche und ihrer gro�en Firmen in den letzten Jahren keineswegs gestiegen sind, wie man aus Branchenberechnungen und aus den Bilanzen von Microsoft. IBM, Intel usw. sehen kann. Nat�rlich m��ten sich deutlich �berdurchschnittliche Produktivit�tszuw�chse direkt auf die Brutto- und die Nettoprofite auswirken - aber diesesmal vollzieht sich das umgekehrte Wunder, und wir finden keine Spur eines solchen Ereignisses. Somit scheint es v�llig sinnlos zu sein, solche Produktivit�tszuw�chse zu erzielen!
Au�er der Tatsache, da� er zu einem Gutteil auf virtuellen Berechnungen beruht, l��t sich der Boom der amerikanischen �konomie mit folgenden grundlegenden Merkmalen charakterisieren, die alle zu bizarr sind, um Bestandteile einer tats�chlichen �konomischen Expansion zu sein. Zudem sind sie den Charakteristiken des letzten tats�chlichen Wirtschaftsbooms in der langen Nachkriegsexpansion von 1947 bis 1973, die von den Historikern das goldene Zeitalter des modernen Kapitalismus genannt wird, v�llig entgegengesetzt:
Wenn wir die statistischen Manipulationen korrigieren, haben wir das Gesamtpanorama eines Wirtschaftssystems, das tendenziell in den parasit�ren Verfall �bergeht und wo der Finanzsektor als System der sozialen Auspl�nderung funktioniert, das anst��ige Luxuskonsumg�ter f�r die neue Gentry beschafft. Das Produktionssystem wird einzig und allein dazu ausgebeutet, solche Konsumg�ter und die Ausr�stung des Finanzwesens zu produzieren, w�hrend alle anderen Sektoren sich mehr oder weniger langsam aufl�sen.
Nach dem Rekordwachstum der B�rsenindizes seit 1995 zeichnet sich seit der zweiten Jahresh�lfte 1998 eine Ver�nderung ab. Die breiteren Indizes wie der traditionelle Standard & Poor's 500 und der Wilshire 5000 (92 Prozent des Marktes) haben ihr Wachstum deutlich verlangsamt, das gleichzeitig volatiler geworden ist. Ein wachsendes Geldvolumen hat sich auf den Nasdaq verlagert. Dieser stellt das spekulativere Segment des Marktes dar, er vereinigt alle Internetfirmen und all jene, die lediglich versprechen, in Zukunft irgendetwas technologisch Augenf�lliges herzustellen (wie z.B. der gesamte Biotech-Bereich). Diese Firmen haben wenig Startkapital und mikroskopisch kleine tats�chliche Eink�nfte, was so weit geht, da� das P/E-Verh�ltnis der an der Nasdaq notierten Firmen zu Beginn des Jahres auf den science fiction-m��igen Wert von 115 gestiegen ist (dreimal so hoch wie der selbst schon sehr hohe P/E-Wert der S&P-Werte). Alle anderen Indikatoren des Wall Street-Markts haben eine negative Wendung genommen: das Verh�ltnis zwischen der Anzahl der Aktien, die an einem Tag steigen, zu denen, die am selben Tag sinken, ist zur�ckgegangen; die Anzahl der Aktien, die das durchschnittliche Wachstum der M�rkte zu eigenen Preissteigerungen ausnutzen k�nnen, ist gesunken; somit hat sich ebenfalls das Verh�ltnis zwischen neuen historischen H�chstst�nden und historischen Tiefstst�nden verschlechtert. Zur selben Zeit bedeutete die Verlagerung von Fonds auf Nasdaq-Titel eine starke Ausweitung der Kreditierung [die Leute verschulden sich, um Aktien zu kaufen; d. �bers.], was zu einem wesentlich h�heren, sich progressiv akkumulierenden, allgemeinen Risiko f�hrt. In letzter Zeit hat die spekulative Kreditausweitung selbst begonnen, ihre Form zu �ndern, da sie nunmehr gezwungen zu sein scheint, mit k�rzeren R�ckzahlungsfristen und mit steigenden Zinss�tzen zu arbeiten, da nunmehr die lange Zeit gegebene M�glichkeit ersch�pft zu sein scheint, sinkende Zinss�tze auszunutzen.
Theoretisch k�nnen wir die M�glichkeit, da� es demn�chst zu einem Crash kommt, daran erkennen, da� sich eine Differenz zwischen dem Wachstum des spekulativen Kredits und den Gewinnen an der B�rse entwickelt. Denn diese Differenz zeigt an, da� zuk�nftig die Einkommen aus dem Verkauf der Titel nicht ausreichen werden, um die aufgenommenen Kredite zu begleichen. Da sie aber eine Funktion des neu auf den Markt kommenden Nettogeldvolumens sind, h�ngen die Gewinne an der B�rse ihrerseits von der Ausweitung des Kredits ab. Somit kommen wir zur offenkundigen Schlu�folgerung, da� die Ausweitung des Kredits im Moment t von der Ausweitung des Kredits im Moment t-1 abh�ngt. Aber die Ausweitung des Kredits selbst h�ngt davon ab, wieviel Nichtkredit-Geld ins Banksystem kommt, und das ist weitgehend ein Ergebnis nicht des Finanz-, sondern des Produktionssektors. Die allgemeine theoretische Schlu�folgerung, die wir auf die gegenw�rtige Dynamik anwenden k�nnen, ist, da� das ungest�rte Wachstum des B�rsenumsatzes in letzter Instanz von der Masse der tats�chlichen Profite abh�ngt, die im Nicht-Finanzsektor realisiert werden, und die nat�rlich nicht exponentiell wachsen k�nnen, so wie es die gegenw�rtige Dynamik an den Finanzm�rkten erforderlich machen w�rde - in Wirklichkeit fallen sie in den USA zur Zeit sogar leicht. Wirklich zum Lachen sind die Besserwisser, die das immense aufgeh�ufte Risiko, das einer Wasserstoffbombe mit Zeitz�nder gleicht, kleinreden wollen und emsig erkl�ren, da� der Umfang der Verschuldung irrelevant sei, weil er vom Nominalwert der Aktien im Besitz der Schuldner gedeckt sei. Sobald die institutionellen oder die privaten Spekulanten vor der Notwendigkeit stehen, den Wert ihrer Aktien in klingende M�nze zu verwandeln, weil sie ihre Kredite zur�ckzahlen m�ssen, w�rden die Abflu�kan�le von der B�rse verstopfen. Dies w�rde zu einer pl�tzlichen und heftigen Verringerung des Nominalwerts der Aktien f�hren, w�hrend das Volumen der zur�ckzuzahlenden Kredite nat�rlich unver�ndert bleibt, eine t�dliche Differenz, die einen betr�chtlichen Teil des intern bei den Banken angeh�uften Kreditgeldes verschlucken w�rde, genauso wie es 1930 nach dem Crash im Jahr zuvor geschah.
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