Zum einhundertsten Todestag Friedrich Nietzsches
Ein R�ckblick auf seine Ideen und seinen Einfluss
" Der Fortschritt ist bloss eine moderne Idee, das heisst eine falsche Idee" - Nietzsche: Der Antichrist, 1888 (1)
"Es gibt durchaus keine stolzere und zugleich raffiniertere Art von B�chern: - sie erreichen hier und das H�chste, was auf Erden erreicht werden kann, den Cynismus;..." Ecce Homo, 1888
Am 25. August 2000 j�hrte sich zum 100. Mal der Todestag des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche. Im Rahmen des Nietzschejahres sind eine Reihe neuer B�cher �ber ihn erschienen. Dazu kamen Ausstellungen und Vortr�ge u.a. in Weimar, das eine st�ndige Ausstellung �ber Nietzsche beherbergt. In Berlin sind zwei Theaterst�cke, die sich mit Nietzsche auseinandersetzen, inszeniert worden und weitere sind in Vorbereitung. In deutschen Zeitungen ist eine F�lle von Artikeln erschienen, und eine Briefmarke zu Ehren Nietzsches ist geplant.
Eines der St�cke, das vor einiger Zeit in Berlin aufgef�hrt wurde, zeigt Nietzsche als eine Art exzentrischen Epikur�er, der alle Deutschen verachtet und Italien und gutes Essen liebt. Eine vor kurzem aus dem Englischen �bersetzte Bildbiographie pr�sentiert Nietzsche deutlich auf dem Umschlag hervorgehoben als den "guten Europ�er". Philosophen, die k�rzlich an einer Nietzsche gewidmeten BBC-Radiosendung teilnahmen, lobten seinen Beitrag zur Philosophie und erkl�rten, es sei hirnverbrannt, einen Zusammenhang zwischen Nietzsche und reaktion�ren deutschen politischen Bewegungen, einschlie�lich des Faschismus, herzustellen.
Seit einiger Zeit nimmt das Werk Nietzsches an franz�sischen Universit�ten einen bedeutenden Platz ein, und von vielen postmodernistischen Denkern wird er als der einflussreichste Philosoph des 19. und des 20. Jahrhunderts angesehen. In Deutschland spielte sein Denken in der einflussreichen Frankfurter Schule eine f�hrende Rolle in der Nachkriegszeit.
Wie l�sst sich Nietzsches Wirkung auf dieses so politisch verschiedenartige Denken im 20. Jahrhundert erkl�ren? Sein hundertster Todestag ist eine gute Gelegenheit, sein Werk und sein Leben zu betrachten und sich dem Thema zu n�hern, weshalb Nietzsches Werk die heutigen Schulen des philosophischen Denkens so sehr beherrscht. In diesem, dem ersten Artikel einer dreiteiligen Reihe, wollen wir kurz auf sein Denken und seinen Werdegang eingehen. Die beiden folgenden Artikel werden sich mit der Rezeption der Gedanken Nietzsches durch rechte und linke Intellektuelle befassen.
Friedrich Wilhelm Nietzsche (benannt nach dem damals regierenden preu�ischen K�nig) wurde am 15. Oktober 1844 in dem kleinen s�chsischen Dorf R�cken in der N�he von L�tzen im jetzigen Sachsen-Anhalt geboren. Sein Vater war der Dorfpastor und selbst Sohn eines Pastors. Seine Mutter Franziska war die Tochter des Pastors aus dem nahegelegenen Dorf Pobles. Nach einem Sturz starb Friedrichs Vater an Encephalomacie (Gehirnerweichung), als der Knabe f�nf Jahre alt war. Ein Jahr sp�ter musste die Familie, die aus Friedrich, seiner Mutter, seiner Gro�mutter v�terlicherseits, seiner Schwester und zwei unverheirateten Tanten bestand, die Pfarrei verlassen und zog nach Naumburg im heutigen Th�ringen.(2)
Nietzsche erhielt als begabter Sch�ler im Alter von 14 Jahren einen Freiplatz in Schulpforta, einer der besten Schulen des Staates. Der Rektor der Schule war ein Liberaler. Sein Liberalismus war eine Verbindung des Ideals der Bildung (einer Erziehung mit dem Ziel, das Individuum zu st�rken) mit der Art von kulturellem Nationalismus, wie ihn Johann Gottfried Herder vertrat. Nietzsche gl�nzte in den klassischen F�chern und interessierte sich brennend f�r literarische Str�mungen und Musik. 1861 h�rte er erstmals Wagner, aber sein Lieblingskomponist zu jener Zeit war Schumann. Im Alter von 20 Jahren nahm Nietzsche an der Universit�t Bonn das Studium der Theologie und Philologie auf.
1865 erkl�rte er, dass er den Glauben an die christliche Religion verloren habe und brach sein Studium ab. Im gleichen Jahr bekam er das Werk des pessimistischen Philosophen Schopenhauer Die Welt als Wille und Vorstellung in die Hand und erkl�rte umgehend seine Bekehrung zu Schopenhauers Denken. Um die gleiche Zeit griff Nietzsche zum ersten und einzigen mal direkt in die Politik ein. Obwohl er den Krieg Preu�ens gegen �sterreich 1866 urspr�nglich abgelehnt hatte, lie� er sich, nachdem Bismarck einen Sieg nach dem anderen vermelden konnte, rasch von der Welle des Patriotismus mitrei�en, die Preu�en und die mit ihm verb�ndeten Staaten erfasst hatte. Nietzsche schloss sich damals einer Gruppe liberaler Bismarckanh�nger unter der F�hrung von Heinrich von Treitschke an, der f�r die Annexion Sachsens durch Preu�en eintrat.
1868 lernte Nietzsche Richard Wagner kennen und stellte fest, dass der Komponist seine Begeisterung f�r Schopenhauer teilte. 1869, im Alter von 24 Jahren wurde Nietzsche auf den Lehrstuhl f�r klassische Philologie an der Universit�t Basel und gleichzeitig zum Lehrer f�r Griechisch am ihr angeschlossenen Gymnasium berufen. Sein Amt als Professor hinderte ihn an der Teilnahme am deutsch-franz�sischen Krieg als Soldat. Trotzdem erreichte er, dass er vom 11. August 1870 an als Sanit�ter der preu�ischen Armee Dienst tun durfte. Innerhalb eines Monats, nachdem er f�r kurze Zeit die entsetzlichen Bedingungen der Sch�tzengr�ben kennen lernen konnte, zog er sich eine Ruhr- und eine Diphtherieinfektion zu, und war gezwungen nach Basel zur�ckzukehren.
Nietzsche war st�ndig von schwacher Gesundheit und litt Zeit seines Lebens unter extremer Kurzsichtigkeit, starken Kopfschmerzen und Ersch�pfungszust�nden. Es gibt eine ganze Reihe medizinisch beweiskr�ftiger Indizien, die darauf hinweisen, dass Nietzsches schlechter Gesundheitszustand im Erwachsenenalter wie auch sein endg�ltiger Zusammenbruch und seine geistige Umnachtung Folgen einer Syphilisinfektion waren, die er sich als Student bei einem Besuch in einem Bordell zugezogen hatte. 1871 war er aus medizinischen Gr�nden gezwungen, seine Arbeit zeitweilig aufzugeben. Er begann damals mit der Niederschrift seines ersten Werkes, das ver�ffentlicht werden sollte - Die Geburt der Trag�die.
Die deutsche Einigung 1871 war eine Quelle tiefer Entt�uschung f�r Nietzsche. Gegen Ende 1870 und zunehmend 1871 begann er, seine bittere Entt�uschung �ber das Vorhaben Bismarcks auszudr�cken. Wie wir sehen werden, ist diese Ern�chterung �ber die deutsche Vereinigung sehr deutlich in seinen sp�teren Werken ausgedr�ckt. Gleichzeitig verfolgte Nietzsche die Ereignisse 1871 in Frankreich mit gro�er Aufmerksamkeit. �ber die Entstehung der Pariser Commune war er zun�chst best�rzt und dann zutiefst beunruhigt durch die M�glichkeit jeder Art von Macht�bernahme durch die Arbeiterklasse. In seiner Korrespondenz teilt er seine buchst�bliche Erleichterung dar�ber mit, dass die Kommunarden schlie�lich blutig unterdr�ckt wurden.
Wenige Jahre sp�ter, 1875, vereinigte sich auf der ber�hmten Gothaer Konferenz der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu einer neuen marxistischen Partei, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, die innerhalb weniger Jahrzehnte unter der deutschen Arbeiterschaft Masseneinfluss gewinnen sollte. Die rasche politische Klassenpolarisierung, die sich in Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts vollzog, fand, wie wir sp�ter sehen werden, ihren Niederschlag im Werk Nietzsches.
1874 distanzierte sich Nietzsche nach einem heftigen Streit von Wagner. Gleichzeitig dr�ckte er seine wachsende Unzufriedenheit mit seinem philosophischen Mentor Schopenhauer aus. W�hrend der n�chsten Jahre verschlechterte sich Nietzsches Gesundheitszustand zusehends, und er reiste durch Europa, um durch verschiedene ihm verschriebene Kuren Heilung zu suchen. Wenn es seine diversen Leiden zulie�en, setzte er seine schriftstellerischen Arbeiten fort.
1879 wurde er aus gesundheitlichen Gr�nden aus den Diensten der Universit�t Basel entlassen und erhielt eine Pension, die ihm erm�glichte, weiter zu schreiben. In den folgenden zehn Jahren war Nietzsche von Krankheit gequ�lt und erlitt anschlie�end eine Reihe von Zusammenbr�chen. 1889 brach Nietzsche in Turin auf einem �ffentlichen Platz zusammen, nachdem er einem Pferd zu Hilfe kommen wollte, das von seinem Besitzer gepeitscht wurde. Nachdem er sich von diesem Anfall erholt hatte, war er geisteskrank und verbrachte das letzte Jahrzehnt seines Lebens in v�lliger Umnachtung, gepflegt von seiner Mutter und seiner Schwester.
Sozialer und politischer Hintergrund
Wenn man heute Nietzsches Werk liest, ist man zun�chst �berrascht, dass er sich vor allem in seinen fr�hen Schriften immer wieder auf die hervorragendsten Vertreter der europ�ischen Aufkl�rung bezieht. Sein Werk Menschliches Allzumenschliches(1878) zum Beispiel beginnt mit einem Zitat des franz�sischen Rationalisten Descartes. Zu verschiedenen Anl�ssen verk�ndet Nietzsche dankbar, wieviel er anderen gro�en Denkern der Aufkl�rung, wie Voltaire und Spinoza oder Vertretern des Sturm und Drang oder der deutschen Romantik - Goethe, Schiller oder H�lderlin verdankt. In der Geburt der Trag�die(1872) sinniert Nietzsche in der Art Goethes oder Schillers �ber die Bedeutung von Shakespeares Hamlet.
In der Tat ist es unm�glich, Nietzsches Werk zu verstehen, ohne die politischen Entwicklungen in Deutschland in der zweiten H�lfte des 19. Jahrhunderts zu ber�cksichtigen. Ein Jahr vor dem Tod seines Vater, Nietzsche war gerade vier Jahre alt, wurden Europa und die Mehrheit der Einzelstaaten, die wir heute als Deutschland kennen, von Revolutionen ersch�ttert.
Zur�ckgezogen in ihrem mitteldeutschen Dorf war sich die Familie Nietzsche vermutlich dessen, was sich abspielte, kaum bewusst. Dennoch hat die Umkehr der revolution�ren Welle von 1848, die besonders in Deutschland auf die Schw�che der Bourgeoisie und deren Angst vor der Radikalit�t der aufstrebenden Arbeiterklasse zur�ckzuf�hren war, die Generation der jungen Revolution�re und Intellektuellen nachhaltig beeinflusst. (3) Einer der Mentoren des jungen Nietzsche, Richard Wagner, hatte 1848 auf den Barrikaden gegen die Kr�fte der Reaktion gek�mpft, nur um sich sp�ter einem mystischen Nationalismus und w�tenden Antisemitismus zu verschreiben.
Das Jahr 1848 kennzeichnet nicht nur den Zusammenbruch der Bestrebungen der Bourgeoisie, es leitete gleichzeitig einen gr�ndlichen Zusammenbruch der Autorit�t der Kirchen und der organisierten Religionsaus�bung ein, die weitgehend als St�tzen des alten Regimes betrachtet wurden. Eine Welle der Unzufriedenheit machte sich breit, die viele - vor allem Protestanten - dazu brachte, sich vollst�ndig von der Religion abzuwenden. "Die S�kularisation drohte, sie heimatlos zu machen und zu entwurzeln, verf�hrte sie jedoch mit der Alternative einer post-religi�sen Identit�t als Erste des ‚Neuen Menschen'." (zitiert nach P. Bergmann, Nietzsche. Der letzte antipolitische Deutsche)
Der franz�sischen Autor Charles de Rusat kommentierte 1860, ein gutes Jahrzehnt sp�ter, das allgemeine soziale Klima mit den Worten: "Der Pessimismus hat in j�ngster Zeit gro�e Fortschritte gemacht," und f�gte hinzu, dass viele Franzosen, die 30 oder 40 Jahre fr�her voller Hoffnung und Begeisterung f�r die Prinzipien der Revolution gewesen waren, jetzt zu dem Schluss gelangt waren, dass die moderne Demokratie nichts weiter gebracht habe als "turbulenten Verfall". Die Philosophie des Pessimismus fand ihren wichtigsten Vertreter in Deutschland in der Person Arthur Schopenhauers.
Im Verlauf der sozialen Radikalisierung nach 1848 f�hlten sich die besten Elemente der deutschen Intelligenz von der Philosophie Hegels und ihrer materialistischen Weiterentwicklung durch Marx und Engels angezogen. Nietzsche jedoch repr�sentierte den Fl�gel der deutschen Intelligenz, der an der deutschen Klassik und Romantik geschult war und sich im Gefolge des Stillstands und politischen Stagnation nach 1848 desillusioniert zur�ckgezogen hatte. Zerrissen durch die Widerspr�che, die sich mit der Gr�ndung eines vereinigten Deutschlands aufgetan hatten, wandte sich Nietzsche zunehmend der Rechten zu und wurde von den giftigen Nebeln des Kulturelitarismus, den mystischen Elementen der deutschen Lebensphilosophie und der neu aufkommenden pseudowissenschaftlichen Eugenik erfasst.(4)
Nietzsche gilt als ein schwer zu verstehender Philosoph. Der deutsche Philosoph Karl Jaspers erkl�rte, Nietzsche vermittle den Eindruck, als habe er "zwei Meinungen zu allen Dingen". Ein Gutteil der Schwierigkeiten, die sich bei der Nietzschelekt�re ergeben, r�hren unvermeidlich von seiner eigenen Ideologie her, die metaphorische Verk�ndigungen und Allegorien h�her stellt als systematische wissenschaftliche Gedanken und den "Stil" an die Stelle des Inhalts setzt.(5)
Au�erdem l�sst sich in seinem Werk eine bestimmte Entwicklung feststellen. In der fr�hen und der mittleren Periode seines Lebens bis in die sp�ten siebziger Jahre lassen sich in seinen Schriften streckenweise psychologische Einsichten ausmachen, wenn er versucht, die grundlegenden sozialen Ver�nderungen in den Griff zu bekommen, die um ihn herum stattfinden. Seine scharfen Angriffe auf die Heuchelei der Kirche und seine Schriften �ber den kulturellen Aufbruch seiner Zeit beeinflussten sp�ter so bedeutende deutsche Schriftsteller wie Thomas Mann oder Hermann Hesse.
Anfang der achtziger Jahre jedoch, als Nietzsche alle Hoffnung in das Deutschland Bismarcks verloren hat, dominieren in seinem Werk die Geh�ssigkeiten und die Verachtung der gro�en Masse der Menschheit. Er beendet sein Leben als Apostel des Zynismus. Trotz dieser Wechsel gibt es doch in Nietzsches Entwicklung einen inneren Zusammenhang. In seinem ersten Werk Die Geburt der Trag�die lassen sich die F�den seiner Auffassungen in einer ganzen Reihe von Fragen bereits aufsp�ren.
Nietzsches Ansichten �ber Kultur, Wissenschaft und Geschichte
Das Gegeneinanderstellen von Kunst und Kultur (insbesondere der Musik, der Trag�die und der Lyrik) auf der einen und der Wissenschaft auf den anderen Seite ist ein wiederkehrendes Motiv in Nietzsches Werken. Sein Ma� f�r die Gesellschaft ist der Grad, bis zu dem sie ihre Kunst und Kultur entwickelt hat. Gleichzeit weist er aber jeden definitiven Zusammenhang zwischen der Kunst und dem Leben, was ihren Gehalt angeht, zur�ck und definiert Kultur in Begriffen des Stils: "Kultur ist, vor allem, die Einheit des k�nstlerischen Stils in allen Lebens�u�erungen eines Volkes." ( Die Geburt der Trag�die)
Als er 1888 �ber die Bedeutung der Geburt der Trag�die reflektierte, schrieb Nietzsche: "�ber das Verh�ltnis der Kunst zur Wahrheit bin ich am fr�hesten ernst geworden: und noch jetzt stehe ich mit einem heiligen Entsetzen vor diesem Zweispalt. Mein erstes Buch war ihm geweiht. Die Geburt der Trag�die glaubt an die Kunst auf dem Hintergrund eines anderen Glaubens, dass es nicht m�glich ist, mit der Wahrheit zu leben; dass der ‚Wille zur Wahrheit' bereits ein Symptom der Entartung ist." ( Nachgelassene Fragmente, Fr�hjahr, Sommer 1888; Hervorhebung von Nietzsche)
Kunst schlie�t f�r Nietzsche nicht nur die M�glichkeit der Wahrheit aus, sie muss sie sogar ausschlie�en: "Die Kunst als die Pflege des Wahnes - unser Cultus." ( Nachgelassene Fragmente Fr�hjahr 1881 bis Sommer 1882)
Gleichzeitig erkl�rt er, dass die wissenschaftliche Suche nach der Wahrheit illusion�r sei. In der Geburt der Trag�die bef�rwortet er die Elemente des Instinkts und der Mythenbildung, die der klassischen griechischen Figur des Dionysos zugeschrieben werden. Nietzsche legt sich mit dem griechischen Philosophen Sokrates an, den er als den klassischen Vertreter des rationalen Denkens und des "Willens zur Wahrheit" ansieht: "Nun steht freilich neben dieser vereinzelten Erkenntniss, als einem Excess der Ehrlichkeit, wenn nicht des Uebermuthes, eine tiefsinnige Wahnvorstellung, welche zuerst in der Person des Sokrates zur Welt kam, jener unersch�tterliche Glaube, dass das Denken, an dem Leitfaden der Causalit�t, bis in die tiefsten Abgr�nde des Seins reiche, und dass das Denken das Sein nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu corrigiren im Stande sei." ( Die Geburt der Trag�die, III-1)
Die zweite H�lfte des 19. Jahrhunderts war eine Periode enormer Entwicklungen auf dem Gebiet der Wissenschaft und der industriellen Technik. Revolution�re Erfindungen verwandelten die Formen der Produktion. Theorien wie Darwins Lehre von der Evolution und neue Entdeckungen auf dem Gebiet der Physik, der Chemie und der Medizin unterh�hlten seit langem etablierte Lehrmeinungen und Vorurteile. �ber die allgemeinen zeitgen�ssischen sozialen Stimmungen, die das Vertrauen in die F�higkeit der Wissenschaft das Leben zu verbessern ausdr�cken, schreibt Nietzsche in seinem Essay Unzeitgem��e Betrachtungen(1874): "Ja man triumphirt dar�ber, dass jetzt ‚die Wissenschaft anfange �ber das Leben zu herrschen': m�glich, dass man das erreicht; aber gewiss ist ein derartig beherrschtes Leben nicht viel werth, weil es viel weniger Leben ist und viel weniger Leben f�r die Zukunft verb�rgt, als das ehemals nicht durch das Wissen, sondern durch Instincte und kr�ftige Wahnbilder beherrschte Leben." ( Unzeitgem��e Betrachtungen, Zweites St�ck)
Der Fehler der Wissenschaft sei, laut Nietzsche, dass sie keinen Raum lasse f�r die wesentlichen menschlichen Bestrebungen und Bed�rfnisse nach Mythen und Illusionen. Instinkt sei m�chtiger als wissenschaftliche Methode. In seinem Aufsatz Vom Nutzen und den Nachteil der Historie f�r das Leben(in den Unzeitgem��en Betrachtungen) greift Nietzsche auch das Thema auf, das in der gro�en Tradition der Geschichtsforschung vor allem mit dem Namen Hegel verkn�pft ist. Darin zieht er �ber Hegels Bestrebungen her, eine durchgehende systematische Herangehensweise an die Geschichte zu begr�nden. Nietzsche dr�ckt seine Ablehnung dieser "Bewunderung vor der ‚Macht der Geschichte' aus, die praktisch alle Augenblicke in nackte Bewunderung des Erfolges umschl�gt und zum G�tzendienste des Thats�chlichen f�hrt." ( Unzeitgem��e Betrachtungen. Drittes St�ck) Wie wir im dritten Artikel dieser Serie ausf�hren werden, haben sich franz�sische Philosophen der zweiten H�lfte des 20. Jahrhunderts (Poststrukturalisten und Postmodernisten) insbesondere die Antipathie Nietzsches gegen�ber Hegel und der Geschichte zu eigen gemacht.
Nietzsches Auffassung von Kultur und Bildung ist zutiefst elit�r - er ist �berzeugt, dass Wissen und Studium das Privileg Weniger bleiben m�ssen. Er wendet sich prinzipiell nachdr�cklich gegen jede Form allgemeiner Bildung, von der er als einer Form von "Barbarentum" spricht.
Erregt durch die Gefahren, die seiner Ansicht nach von der Pariser Commune ausgingen, und beunruhigt durch das Anwachsen der Sozialdemokratie in Deutschland warnte er 1871 davor, dass die allgemeine Bildung zum Kommunismus f�hren k�nnte: "Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus: Die Bildung wird auf diesem Wege so abgeschw�cht, da� sie gar kein Privilegium mehr verleihen kann. Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus. Die allgemeinste Bildung d.h. die Barbarei ist eben die Voraussetzung des Communismus." ( Nachgelassene Fragmente Herbst 1869 bis Herbst 1872, Unzeitgem��e Betrachtungen) In seinem sp�teren Werk Also sprach Zarathustra(1884) schreibt er: "Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken." ( Also sprach Zarathustra: Die Reden des Zarathustra. Vom Lesen und Schreiben)
F�r Nietzsche bedeuten Kommunismus und die Ausbreitung der Kultur unter den Massen das Ende der Kultur. Die von ihm bevorzugte Ordnung zur Erhaltung der Kunst war eine Art Sklavenhaltergesellschaft: "Diesem ihren Wesen ist es gem��, da� die Triumphz�ge der Kultur nur einer unglaublich geringen Minderheit von bevorzugten Sterblichen zu Gute kommen, da� dagegen der Sklavendienst der gro�en Masse eine Nothwendigkeit ist, wenn es wirklich zu einer rechten Werdelust der Kunst kommen soll." ( Nachgelassene Fragmente 1869 -72, Der griechische Staat)
Nietzsches Ansichten �ber Politik und Gesellschaft
Wie wir gesehen haben, besteht Nietzsches Rezept f�r eine gesunde Kultur in der Herausbildung einer Elite, die sich �ber einer durch St�nde geschiedenen Gesellschaft erhebt. Nach 1871 hegte Nietzsche eine Zeitlang gewisse Hoffnungen in Bismarcks vereinigtes Deutschland. W�hrend dieser Zeit, als sich in Europa ein neues Deutschland konsolidierte, l�sst sich ein gem��igter Ton in seinem Werk feststellen. Er wandte sich gegen b�sartige Formen des Nationalismus und propagierte das Ideal des "guten Europ�ers", der sich aktiv f�r die "Verschmelzung der Nationen" einsetzt. Vor allem aber sah Nietzsche in Bismarck ein Bollwerk gegen den Sozialismus.
In einem entlarvenden Abschnitt in Der Wanderer und sein Schatten(1880) macht sich Nietzsche f�r ein reformistisches Konzept, f�r eine Art progressive Steuerpolitik als Mittel gegen das Schreckgespenst des Sozialismus stark: "Das Volk ist vom Socialismus, als einer Lehre von der Ver�nderung des Eigenthumerwerbes, am entferntesten: und wenn es erst einmal die Steuerschraube in den H�nden hat, durch die grossen Majorit�ten seiner Parlamente, dann wird es mit der Progressivsteuer dem Capitalisten-, Kaufmanns- und B�rsenf�rstenthum an den Leib gehen und in der That langsam einen Mittelstand schaffen, der den Socialismus wie eine �berstandene Krankheit vergessen darf." (Menschliches Allzumenschliches II)
Bismarck wurde traditionell wegen seiner pragmatischen Kombination von Zuckerbrot und Peitsche als Politiker gepriesen. Nietzsche war gleicherma�en erschrocken �ber Bismarcks Zuckerbrot - seine Zugest�ndnisse an die Massen, die demokratische Stimmungen unterst�tzten - wie �ber die ungez�gelte Gier der neu entstehenden deutschen Kapitalistenklasse. Er bedauerte die Unterordnung der Kultur unter den neuen Moloch des Kapitals: "die gebildeten St�nde und Staaten werden von einer grossartig ver�chtlichen Geldwirthschaft fortgerissen. ... Jetzt wird fast alles auf Erden nur noch durch die gr�bsten und b�sesten Kr�fte bestimmt, durch den Egoismus der Erwerbenden und die milit�rischen Gewaltherrscher." (Unzeitgem��e Betrachtungen, Drittes St�ck)
In den Notizen f�r sein letztes Werk formuliert Nietzsche seine Alternative zur Gefahr des Sozialismus auf der einen und einer Gesellschaft, die nur auf die Anh�ufung von Reichtum aus ist, auf der anderen Seite. Er ruft nach einer strengen Rangordnung, um die Herrschaft einer regierenden aristokratischen Elite sicher zu stellen - seiner bevorzugten Sozialordnung: der Sklaverei.
"Ich bin dazu gedr�ngt, im Zeitalter des suffrage universel, d.h. wo Jeder �ber Jeden und Jedes zu Gericht sitzen darf, die Rangordnung wieder herzustellen." ( Nachgelassene Fragmente Fr�hjahr bis Herbst 1884, Aphorismen) "Und wenn es wahr sein sollte, da� die Griechen an ihrem Sklaventhum zu Grunde gegangen sind, so ist das Andere viel gewisser, da� wir an dem Mangel des Sklaventhums zu Grunde gehen werden... Wie erhebend wirkt auf uns die Betrachtung des mittelalterlichen H�rigen, mit dem innerlich kr�ftigen und zarten Rechts- und Sittenverh�ltnisse zu dem h�her geordneten, mit der tiefsinnigen Umfriedung seines engen Daseins - wie erhebend - und wie vorwurfsvoll!" (Notizen zu Der Wille zur Macht, 1888) Und in dem gleichen Ton: "Die Sklaverei soll nicht vertilgt werden, sie ist nothwendig. Wir wollen nur zusehen, da� immer wieder solche entstehen, f�r welche gearbeitet wird, damit diese ungeheure Masse von politisch-commerciellen Kr�ften nicht umsonst sich verbraucht."(Nachgelassene Fragmente Fr�hjahr. 1881 bis Sommer 1982) (6)
Die Aufs�tze, die Nietzsche in den letzten Jahren seiner geistigen Gesundheit verfasste, sind voller Verachtung f�r die breiten Massen der Menschheit. Schm�hungen gegen die Gleichheit, das "Untermenschentum" � la Malthus, Lobeshymnen auf den Militarismus und die Verdienste des Krieges wechseln sich ab mit dem Ruf nach dem "neuen Menschen" - dem "�bermenschen". Nietzsche zufolge entsprechen Sklaverei und Ausbeutung dem nat�rlichen Lauf der Dinge: "Der Hass, die Schadenfreude, die Raub- und Herrschsucht und was Alles sonst b�se genannt wird: es geh�rt zu der erstaunlichen Oekonomie der Arterhaltung, freilich zu einer kostspieligen, verschwenderischen und im Ganzen h�chst th�richten Oekonomie: - welche aber bewiesener Maassen unser Geschlecht bisher erhalten hat." (Die fr�hliche Wissenschaft, Erstes Buch, 1.)
F�r die breite Masse der Bev�lkerung hat Nietzsche nur Verachtung �brig und spricht von ihr meist nur als "Gesindel". Ein Kapitel von Also sprach Zarathustra ist dem "Gesindel" gewidmet. Darin schreibt er: "Das Leben ist ein Born der Lust, aber wo das Gesindel mittrinkt, sind alle Brunnen vergiftet".( Also sprach Zarathustra: Vom Gesindel)
Dieser kurze Abriss des Werks von Nietzsche sollte ausreichen, um einige Hauptelemente seines Denkens zu erkennen und die besonderen Interessen zu beleuchten, die sie reflektieren. Zwei Seelen scheinen in seiner Brust zu wohnen: einerseits die des kleinb�rgerlichen K�nstlers (Nietzsches eigene musikalische Kompositionsversuche bleiben erfolglos), der durch die rasch fortschreitende Entwicklung der Gesellschaft, der Wissenschaft und der Ausbreitung des Wissens gr�ndlich frustriert ist; des K�nstlers, der "halt" ruft, nur um eine durch und durch elit�re kulturelle Alternative vorzuschlagen, die auf Illusionen, Mythen und Instinkt beruht. Andererseits dr�ckt Nietzsche in seinen Angriffen gegen die "ver�chtliche Geldwirthschaft" und seine Bef�rwortung einer Gesellschaft, die streng nach St�nden aufgebaut ist, die Interessen der deutschen Junker - der aristokratischen und feudalen Schichten aus, die ihren traditionellen Status durch die neue Gesellschaftsordnung bedroht sahen.
Dar�ber hinaus tr�gt Nietzsche zweifellos einige wichtige charakteristische Merkmale der liberalen deutschen Intelligenz, die sich 1848 so unehrenhaft verhalten hatte. Trotz der Radikalit�t seiner Sprache, seiner Erkl�rung "Gott ist tot", seiner Bestrebungen, "Philosophie mit dem Hammer" zu treiben, und seiner Salven gegen das "ver�chtliche Geld" war Nietzsche ein erkl�rter Gegner der Revolution: "Leider weiss man aus historischen Erfahrungen, dass jeder solche Umsturz die wildesten Energien als die l�ngst begrabenen Furchtbarkeiten und Maasslosigkeiten fernster Zeitalter von Neuem zur Auferstehung bringt: dass also ein Umsturz wohl eine Kraftquelle in einer mattgewordenen Menschheit sein kann, nimmermehr aber ein Ordner, Baumeister, K�nstler, Vollender der menschlichen Natur. - Nicht Voltaire's maassvolle, dem Ordnen, Reinigen und Umbauen zugeneigte Natur, sondern Rousseau's leidenschaftliche Thorheiten und Halbl�gen haben den optimistischen Geist der Revolution wachgerufen, gegen den ich rufe: 'Ecrasez l'infame!' " (Menschliches Allzumenschliches I)
Nietzsche Ablehnung der Revolution und seine Furcht vor der Arbeiterklasse bedeutete, dass sein Radikalismus niemals eine Bedrohung f�r die neu entstehende, habs�chtige deutsche Bourgeoisie darstellte, die aber durchaus in der Lage war, sich seiner Verteidigung des Krieges und jeglicher Form des Militarismus zu bedienen, um ihre eigenen Pl�ne zur imperialen Expansion gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu rechtfertigen. Neue Schichten der Mittelklasse strebten nach Spekulationsgewinnen und das Wachstum der Geldm�rkte konnte Nietzsches "Lebensphilosophie" f�r sich in Anspruch nehmen: "Leben selbst ist wesentlich Aneignung, Verletzung, �berw�ltigung des Fremden und Schw�cheren, Unterdr�ckung, H�rte, Aufzw�ngung eigner Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens, Ausbeutung, - aber wozu sollte man immer gerade solche Worte gebrauchen, denen von Alters her eine verleumderische Absicht eingepr�gt ist?" (Jenseits von Gut und B�se. 259, 1886). (7)
Nietzsches entschiedene ideologische Kampagne, die Uhr der Geschichte zur�ckzustellen, sollte im n�chsten Jahrhundert einen immensen Nachhall finden. In den beiden folgenden Artikeln wollen wir untersuchen, wie die verschiedenen gesellschaftlichen Kr�fte und Str�mungen des 20. Jahrhunderts in der Lage waren, bestimmte Aspektes von Nietzsches Denkens f�r ihre eigenen Bed�rfnisse einzuspannen.
"Wen hasse ich unter dem Gesindel von Heute am meisten? Das Socialisten-Gesindel, die Tschandla-Apostel, die den Instinkt, die Lust, das Gen�gsamkeits-Gef�hl des Arbeiters mit seinem kleinen Sein untergraben, - die ihn Rache lehren ... Das Unrecht liegt niemals bei in ungleichen Rechten, es liegt im Anspruch auf ‚g l e i c h e Rechte'." - Nietzsche, Der Antichrist, 1888
"...einige unserer Freunde und Mitarbeiter haben von Zeit zu Zeit die Gelegenheit, zu beobachten, dass der Irrtum Nietzsches jungen Franzosen dabei geholfen hat, sich selbst vom revolution�ren Irrtum zu reinigen." - Charles Maurras in L�action fran�aise, 1909
Nietzsche und die politische Rechte
Charles Maurras war der Herausgeber der rechtsextremen Zeitung L�Action fran�aise zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Allgemeinen hatte seine Bewegung wenig �brig f�r Deutsche, die nach seiner rassistischen Ideologie einer minderwertigen "slawischen" Rasse angeh�rten und daher "Barbaren" waren. F�r Maurras und seine Anh�nger war Nietzsche jedoch ein "gro�er Barbar", dessen Werk trotz seiner Irrt�mer ein n�tzliches Gegengift gegen die "Revolution" (den Sozialismus) war.
Zu seinen Lebzeiten wurde Nietzsche vom intellektuellen Establishment in Deutschland weitgehend ignoriert oder abgelehnt. In Ecce Homo berichtet Nietzsche (stolz), dass von einem der von ihm ver�ffentlichten B�cher innerhalb von zwei Jahren nur eine Handvoll Exemplare verkauft worden seien. Nach seinem Tod und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als die politischen Spannungen in Deutschland zunahmen, �nderte sich die Situation f�r Nietzsches Werk. Ein Schriftsteller berichtet, dass viele Soldaten mit einer Bibel in der einen und einer Ausgabe von Nietzsches Also sprach Zarathustra in der anderen Tasche in den Ersten Weltkrieg zogen.
Zu Nietzsches ergebensten Anh�ngern jener Zeit geh�rte der Publizist Oswald Spengler, Autor einer erbitterten Tirade gegen Sozialismus und liberale Demokratie Der Untergang des Abendlandes. Der junge Ernst J�nger bewunderte Nietzsches Eintreten f�r den Geist des Militarismus. Zum Chor dieser Anbeter geh�rte ebenfalls ein gewisser �sterreichischer M�chte-gern-Maler - der junge Adolf Hitler. Auch f�r die Entwicklung eines der bekanntesten deutschen Philosophen der ersten H�lfte des 20. Jahrhunderts, f�r Martin Heidegger, spielte Nietzsche eine entscheidende Rolle.
Viele der Kommentare, die anl�sslich des hundersten Todestages von Nietzsche in der deutschen Presse erschienen, behaupten einhellig, es sei l�cherlich, irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Werk Nietzsches und den ultrarechten Bewegungen des 20. Jahrhunderts, insbesondere dem Nationalsozialismus anzunehmen (vergl. Z.B. Manfred Riedel in seinem Essay �ber Nietzsche in einer der letzten Ausgaben des Spiegel). Jede Verbindung zwischen Nietzsche und dem Faschismus, so argumentieren diese Kommentatoren, sei einzig und allein das Ergebnis der Verf�lschung seines Werks durch seine Schwester Elisabeth. Es lohnt sich, dieses Argument etwas n�her zu untersuchen.
Es stimmt nat�rlich, dass nach dem Ausbrechen der Geisteskrankheit bei Nietzsche seine Schwester Elisabeth F�rster Nietzsche die Verantwortung f�r ihn �bernahm. Nachdem sie die vollst�ndige Kontrolle �ber das literarische Erbe ihres Bruders erlangt hatte, nutzte sie diese Vertrauensstellung aus, um bestimmte Aspekte seines Werks zu f�lschen und zu entstellen. Insbesondere verhinderte sie die Ver�ffentlichung des zuletzt von ihm geschriebenen Textes Ecce Homo, der mit seinem zur Schau gestellten Gr��enwahn allzu offensichtlich auf Nietzsches bevorstehenden geistigen Zusammenbruch hinwies. Allen Berichten zufolge war Elisabeth F�rster Nietzsche eine durch und durch egoistische und herrschs�chtige Frau und zugleich eine geh�ssige Antisemitin. Sie manipulierte Materialien und f�lschte Briefe, um auch ihren Bruder als fanatischen Antisemiten zu pr�sentieren.
Es gibt ein ber�hmtes Foto von 1934 (es ist in der gegenw�rtigen Ausstellung in Weimar zu sehen), das Elisabeth F�rster Nietzsche zeigt, wie sie Adolf Hitler, den sie zutiefst bewunderte, in dem Haus begr��t, in dem Nietzsche in Weimar starb. W�hrend seines Besuchs beschenkte sie ihn mit dem Spazierstock ihres Bruders, Hitler hatte bereits 1932 das Nietzsche-Archiv in Weimar besucht. Ein anderes gut bekanntes Foto zeigt Hitler, die B�ste des Mannes anstarrend, den er als seinen philosophischen Mentor betrachtete.
Nietzsches eigene Ansichten �ber das Judentum sind sehr komplex und oft widerspr�chlich. Nietzsches Bruch mit Richard Wagner ging zumindest teilweise auf dessen extremen Antisemitismus zur�ck. 1887 schrieb Nietzsche einen Brief an seine Schwester, in dem er ihre Heirat mit einem anderen b�sartigen Antisemiten, Bernhard F�rster, bedauerte. In einer seiner letzten kurzen Mitteilungen an seinen Freund Overbeck erkl�rte er sogar, er w�rde gern "alle Antisemiten erschie�en". Auf der anderen Seite finden sich in seinem gesamten Werk durchaus herabsetzende Hinweise auf das Judentum - insbesondere auf die Rolle, die die Juden in Bezug auf die Degeneration der christlichen Religion spielten.
F�r die Schwierigkeiten, Nietzsches wirkliche Position, herauszufinden, ist sein Werk Jenseits von Gut und B�se(1886) sehr symptomatisch. Zun�chst argumentiert Nietzsche in einem Absatz, es sei genauso idiotisch, antisemitisch zu sein wie antifranz�sisch, antipolnisch usw.. Danach fordert er ein Verbot f�r Juden, nach Deutschland einzuwandern, weil das Land schon zu viele Juden habe. Sp�ter beschreibt Nietzsche die Juden als die st�rkste, widerstandsf�higste und reinste von allen Rassen Europas und ruft dazu auf, die beiden reinsten Rassen Europas (die j�dische und die germanische) mit einander zu kreuzen, um eine m�chtige Herrschaftskaste f�r diesen Kontinent zu z�chten.
Die Wahrheit ist, dass Nietzsches gesamtes Werk trotz gelegentlicher lobender Erw�hnungen der Juden von reaktion�ren rassistischen Standpunkten durchzogen ist, wie sie in der zweiten H�lfte des 19. Jahrhunderts in Europa weit verbreitet waren. Ihren reaktion�rsten Ausdruck fanden derartige Lehren im Werk des franz�sischen Adligen Arthur Gobineau (1816 - 1882).
Zu den brauchbaren gegenw�rtigen Untersuchungen �ber die Entwicklung der rassistischen Ideen im 19. Jahrhundert geh�rt das Buch The Meaning of Race (Die Bedeutung der Rassen)von Kenan Malik (1). Malik macht darin eine wichtige Bemerkung. Er vertritt die Auffassung, dass die rasche und gr�ndliche Wegwendung von den progressiven Gedanken der Aufkl�rung zur Rassenfrage in der zweiten H�lfte des 19. Jahrhunderts nicht nur ein Resultat des Kolonialismus der gro�en imperialistischen Nationen war. Vielmehr war sie auch ein Produkt der wachsenden sozialen Ungleichheit und der Klassengegens�tze innerhalb der europ�ischen Nationen selbst.
Malik schreibt: "Das Gef�hl rassischer �berlegenheit �ber die nichteurop�ische Gesellschaft, das die europ�ischen Eliteklassen beherrschte, ist au�erhalb des Gef�hls der Unterlegenheit, das den Massen zu Hause aufgezwungen wurde, nicht zu verstehen... Ja, ich w�rde sogar weiter gehen und behaupten, dass der Rassegedanke aus der Wahrnehmung der Unterschiede innerhalb der europ�ischen Gesellschaft entstand und erst sp�ter systematisch auf die Unterschiede in der Hautfarbe angewendet wurde." (S. 82)
Dieser Punkt ist wichtig in Bezug auf Nietzsche, weil er, wie bereits im ersten Teil erw�hnt, immer sehr empfindlich die Gefahren reagierte, die sich aus sozialen Zugest�ndnissen an die Arbeiter in einer demokratischen Gesellschaft ergaben. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Nietzsche nach der ersten Lekt�re von Gobineaus Versuch �ber die Ungleichheit der Menschenrassen(1853-55) h�chst begeistert auf dessen Ideen reagierte.
Malik zitiert Gobineau: "Es ist bereits festgestellt worden, dass sich jede Gesellschaftsordnung auf drei urspr�ngliche Klassen gr�ndet, von denen jede eine rassische Variante darstellt: den Adel, eine mehr oder weniger genaue Widerspiegelung der Klasse der Eroberer; die Bourgeoisie, die sich aus einer Mischung zusammensetzt und der herrschenden Klasse relativ nahe kommt; und das gemeine Volk, das in Sklaverei oder zumindest sehr niedrigen Verh�ltnissen lebt. Dieses letztere geh�rt zu einer niedrigeren Rasse, die im S�den durch Rassenmischung mit den Negern und im Norden mit den Finnen entstand."
Tats�chlich l�sst sich in Nietzsches Werk eine Form von biologischem Rassismus von Anfang an nachweisen. Wir haben bereits auf Nietzsches Bemerkungen �ber den griechischen Philosophen Sokrates in der Geburt der Trag�die aufmerksam gemacht. In einem weiteren Essay Das Problem des Sokrates stellt Nietzsche in Bezug auf die �berlieferte H�sslichkeit des Philosophen die Frage, ob diese nicht ein Produkt der "Rassenmischung" gewesen sei: "Sokrates geh�rte, seiner Herkunft nach, zum niedersten Volk: Sokrates war P�bel. Man weiss, man sieht es selbst noch, wie h�sslich er war... War Sokrates �berhaupt ein Grieche? Die H�sslichkeit ist h�ufig genug der Ausdruck einer gekreuzten, durch Kreuzung gehemmten Entwicklung. Im andren Falle erscheint sie als niedergehende Entwicklung." ( Aphorismus G�tzen-D�mmerung)
Nietzsches Zur Genealogie der Moral(1887) ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Gobineau beeinflusst. Ausgehend von der Behauptung, dass die genealogische Methode die richtige sei, stellt Nietzsche fest: "Im lateinischen malus... k�nnte der gemeine Mann als der Dunkelfarbige, vor allem als der schwarzhaarige ... gekennzeichnet sein, als der vorarische Insasse des italienischen Bodens, der sich von der herrschend gewordenen blonden, n�mlich arischen Eroberer-Rasse durch die Farbe am deutlichsten abhob." ( Zur Genealogie der Moral, I)
In der Art Gobineaus f�hrt Nietzsche dann fort damit, den Kampf gegen den Sozialismus und die Commune (die primitivste Form der Gesellschaft) in einer plumpen, auf Rassen beruhenden Beschreibung der Gesellschaft darzustellen: "wer steht daf�r, ob nicht die moderne Demokratie, der noch modernere Anarchismus und namentlich jener Hang zur ‚Commune' zur primitiven Gesellschafts-Form der allen Socialisten Europa's jetzt gemeinsam ist, in der Hauptsache einen ungeheuren Nachschlag zu bedeuten hat - und das die Eroberer- und Herren-Rasse die der Arier, auch physiologisch im Unterliegen ist?" (ebd., Hervorhebung von Nietzsche)
Nietzsche f�hrt dann fort: "Diese Tr�ger der niederdr�ckenden und vergeltungsl�sternen Instinkte, die Nachkommen alles europ�ischen und nicht europ�ischen Sklaventhums, aller vorarischen Bev�lkerung in Sonderheit - sie stellen den R�ckgang der Menschheit dar!" Und schlie�lich endet Nietzsche mit einem Lobeshymnus auf die "blonde germanische Bestie", von der er sagt: "Auf den Grunde aller dieser vornehmen Rassen ist das Raubthier, die prachtvolle nach Beute und Sieg l�stern schweifende blonde Bestie nicht zu verkennen... Das tiefe eisige Misstrauen, das der Deutsche erregt, sobald er zur Macht kommt, auch jetzt wieder - ist noch immer ein Nachschlag jenes unausl�schlichen Entsetzens, mit dem Jahrhunderte lang Europa dem W�then der blonden germanischen Bestie zugesehn hat." (ebd.)
Um es vollkommen klar zu machen, was Nietzsche in diesen Abs�tzen sagt: Seiner These entsprechend sind die Sozialisten, Demokraten und die breiten Massen der Gesellschaft Produkte der primitivsten Formen vor-arischer Gesellschaften. Ihre blo�e Existenz bedroht die Reinheit der arischen Herrenrasse, die "blonde Bestie". Im Zarathustra hat Nietzsche bereits erkl�rt, dass das �berleben des �bermenschen das h�chste Gut darstelle und das "gr��te �bel" rechtfertige.
Nietzsches Verteidiger versuchen, zwischen ihm und der Politik und den Taten der Nazis eine Trennungslinie zu ziehen. Aber ist Nietzsches Haltung wirklich so weit entfernt von Hitlers dringender Auforderung in einem internen NSDAP-Aufruf von 1922, "mit r�cksichtlosester Kraft und brutalster Entschlossenheit die Vernichtung und Ausrottung des Marxismus" zu betrieben?
Adolf Hitler war gewiss kein Philosoph, genauso wenig wie Nietzsche ein blo�er politischer Ideologe war. Aber wer kann vern�nftigerweise bezweifeln, das ersterer wenig Probleme damit hatte, das r�ckw�rtsgewandte Programm des letzteren - biologischer Rassismus, Hass auf den Sozialismus und auf das Ideal der sozialen Gleichheit, verbunden mit der Bef�rwortung von Militarismus und Krieg - nahtlos in die eklektisch zusammengeklaubten Ideen zu integrieren, aus denen sich das Programm des Nationalsozialismus zusammensetzte.
"Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Nietzsche h�chstwahrscheinlich ein bedeutenderer Denker ist, als Marx" - Max Horkheimer, 1969
Nietzsche und die politische Linke
In den beiden ersten Artikeln dieser Serie bin ich kurz auf einige der wichtigsten Gedankeng�nge Nietzsches eingegangen:
* die rigorose Ablehnung des Strebens nach Wahrheit (in der Wissenschaft und der Kunst) zugunsten einer Bef�rwortung von Mythen und Illusionen;
* die Opposition gegen jede Art einer demokratischen Gesellschaft (insbesondere einer sozialistischen oder Arbeiterdemokratie) zugunsten einer Elitegesellschaft, die auf einer strengen Abgrenzung der einzelnen St�nde beruht;
* eine Auffassung von der historischen Entwicklung, die sich weitgehend auf eine Form von biologischem Rassismus gr�ndet.
Trotz seiner gelegentlichen Berufung auf einige herausragende Denker der Aufkl�rung bildet die Summe dieser Auffassungen, wie Nietzsche sie entwickelt hat, den umfassendsten ideologischen Angriff des neunzehnten Jahrhunderts auf die fortschrittlichen Ideale (Gleichheit, Br�derlichkeit, Solidarit�t), wie sie die neue herrschende Klasse, die Bourgeoisie, im Laufe ihres revolution�ren Kampfs gegen die feudale R�ckst�ndigkeit urspr�nglich postuliert hatte.
Zu Nietzsches Lebzeiten entstand in Form der sozialistischen Bewegung eine materielle Grundlage, um diese Ideale durch die Abschaffung des Privateigentums im Rahmen einer internationalen Perspektive verwirklichen. Man kann die Entwicklung von Nietzsches eigener Arbeit im Zusammenhang mit der Entstehung dieser organisierten sozialistischen Arbeiterbewegung verstehen. Obwohl es nicht die geringsten Anzeichen daf�r gibt, dass Nietzsche jemals Anstrengungen unternahm, sozialistische Literatur oder die Werke von Marx und Engels zu studieren, kann eine ernsthafte Untersuchung nur zu dem Ergebnis f�hren, dass Nietzsche sich und sein Werk als Antipoden zur wissenschaftlichen Methode, den Zielen der sozialistischen Bewegung und den progressiven Tendenzen verstand, die in den Gedanken der Aufkl�rung ausgedr�ckt sind.
Es scheint daher �berraschend, dass Nietzsches Ideen auch von einer Reihe von Pers�nlichkeiten aufgegriffen wurden, die sich zur sozialistischen Bewegung und der politischen Linken z�hlen. Einige von ihnen haben sogar den Versuch unternommen, das Werk Nietzsches mit dem von Marx in Einklang zu bringen.
F�hrende Vertreter der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule w�rden die rassistischen �u�erungen, die in Nietzsches Werken auftauchen, zweifellos ablehnen. Dasselbe gilt f�r viele Anh�nger der j�ngsten poststrukturalistischen und postmodernistischen Str�mungen. Die gro�e Mehrheit der Vertreter dieser Bewegungen w�rde sich ebenso zweifellos von Nietzsches Verherrlichung des Krieges und des kriegsl�sternen Militarismus scharf distanzieren. Dennoch ist, wie wir zeigen werden, unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen ein Mechanismus am Werk, der bei etlichen Intellektuellen, die sozialistischen und demokratischen Idealen anh�ngen, zu einer au�erordentlichen und selektiven Kurzsichtigkeit in Bezug auf wesentliche Aussagen in Nietzsches Werk f�hrt. Gewisse Aspekte der Gedanken von Nietzsche werden zu bestimmten Zwecken herausgegriffen, w�hrend der allgemeine Charakter seines Werks ignoriert oder heruntergespielt wird.
Fr�he Anh�nger Nietzsches in der Sozialdemokratie
Eine der ausf�hrlichsten Untersuchungen dieses Ph�nomens und eine Arbeit, die sich mit dem Widerhall von Nietzsches Gedanken in Deutschland befasst, ist Steven E. Aschheims: Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults(Stuttgart 1996). In einem besonders interessanten Kapitel mit dem Titel Die nietzscheanische Sozialismus der Linken und der Rechten behandelt Aschheim Nietzsches Einfluss auf Bewegungen der Rechten und der Linken in Deutschland. In einem vorhergehenden Kapitel hatte er bereits beschrieben, wie bestimmte Teile der extremen Rechten und der traditionell "v�lkischen" Bewegungen in der Lage waren, Nietzsche als Waffe gegen Marx zu gebrauchen: "...konnte Nietzsche als wirkungsm�chtiger Widerpart zu Marx fungieren, weil mit ihnen das Kulturelle gegen�ber dem Materiellen, das Geistige gegen�ber dem �konomischen hervorgehoben wurde." (S. 147)
Der erste gro�e sozialistische Theoretiker, der sich mit der Bedeutung Nietzsches auseinander setzte, war der sozialdemokratische Historiker und Philosoph Franz Mehring, der ihn als den Philosophen des "entwickelten Kapitalismus" beschrieb, der die Interessen der Bourgeoisie in ihrer aggressivsten Form ausdr�ckte. Aschheim macht klar, dass Mehrings Besch�ftigung mit Nietzsche keineswegs nur eine p�dagogische �bung war. Bereits Ende des neunzehnten Jahrhunderts gab es innerhalb der Sozialdemokratie Elemente, die sich zu Nietzsches Ideen bekannten.
Innerhalb der SPD hatte sich eine Gruppe ultralinker Radikaler gebildet, die sich die Jungen nannten. Unter der F�hrung von Bruno Wille vertrat diese Gruppe einen Individualismus, der sich auf Nietzsche gr�ndete. Die Parteif�hrung wurde von ihnen des b�rgerlichen Konformismus beschuldigt, weil die SPD eine Politik der Beteiligung an Wahlen eingeschlagen hatte, Sitze im Parlament einnahm usw.. Sie folgte dabei dem Kurs, den einer der Begr�nder des modernen Sozialismus, Friedrich Engels, ihr vorgeschlagen hatte. Vier Jahre lang tobte dar�ber eine wilde Auseinandersetzung in der Parteipresse. Wille bezichtigte die Partei, altersschwach und weit weg von den Massen zu sein. Als sich die Rauchschwaden dieser hitzigen Debatte verzogen hatten, wurde klar, dass das Angriffsziel der Jungen nicht so sehr die SPD als vielmehr der Marxismus selbst gewesen war. Viele Mitglieder der Jungen verlie�en anschlie�end die Partei, wurden "unabh�ngige Sozialisten" und gr�ndeten ihre eigene Zeitschrift Der Socialist.
Von Gustav Landauer (1870-1919), der eine Zeitlang Herausgeber des Socialist war, wurde die Grundlage zu einem sogenannten "Nietzsche-Anarchismus" gelegt. W�hrend er Nietzsches Polemik gegen menschliche Solidarit�t und allgemeingesellschaftliche Interessen nicht zur Kenntnis nahm, �bernahm Landauer dessen Voluntarismus, seine Kritik des Materialismus und seine gelegentlichen Tiraden gegen Kapitalismus und "Geldwirtschaft", um darauf seine eigene Version des Anarchismus aufzubauen.
Eine andere Gruppe bildete sich innerhalb der SPD um die Person Karl Leuthners und die einflussreiche sozialdemokratische Zeitschrift Sozialistische Monatshefte herum. Diese Gruppe stand rechts von der Parteif�hrung und bezog sich auf Nietzsches vitalistische Philosophie ebenso wie auf seine Bef�rwortung des Militarismus. Die Gruppe trat in der SPD f�r eine aggressive und nationalistische Au�enpolitik ein mit dem Ziel, die Vorherrschaft der bestehenden imperialistischen Gro�m�chte herauszufordern. Leuthner war wegen seiner Thesen scharfen Angriffen von Seiten des damals f�hrenden sozialdemokratischen Theoretikers Karl Kautsky ausgesetzt.
Kautsky polemisierte h�chst erfolgreich gegen die anarchistischen Str�mungen innerhalb und im Umkreis der SPD. Aber die Mehrheit der von ihm gef�hrte Partei kapitulierte schlie�lich unter dem Druck des Apparats und der Gewerkschaften vor den Kriegstreibern und stimmte 1914 den Kriegskrediten f�r den Kaiser zu.
Obwohl Nietzsches Ideen in der Partei niemals eine gro�e Anh�ngerschaft hatten, macht Aschheim klar, dass sich eine Reihe von Gruppierungen Nietzsche zuwandte, um gegen die urspr�nglichen, auf Marx zur�ckgehenden Prinzipien zu k�mpfen, die die Aktivit�ten der Sozialdemokratischen Partei in ihren ersten Jahrzehnten angeleitet hatten. Obwohl sich Aschheim in seiner Analyse auf Deutschland konzentriert, weist er doch auch auf f�hrende Sozialisten in anderen L�ndern hin, die Anh�nger Nietzsches waren: Anatoli Lunatscharski und Stanislaw Wolsky im vorrevolution�ren Russland Victor Adler in �sterreich und Benito Mussolini in Italien.
Nach seiner Abhandlung �ber die Anh�ngerschaft Nietzsches in der fr�hen sozialistischen Bewegung wendet sich Aschheim auch der Entwicklung der Mitglieder der Frankfurter Schule zu. Die Geschichte der Frankfurter Schule und die Rolle, die Nietzsche in ihrer Entwicklung (oder vielmehr in ihrem Niedergang) spielte, ist eine komplexe Frage, die in einer wenige Seiten umfassenden Abhandlung kaum ausreichend behandelt werden kann.(1) Trotzdem macht Aschheim hinreichend klar, dass insbesondere nach dem Krieg die Diskussionen �ber die Bedeutung Nietzsches eine Schl�sselrolle in der Entwicklung der Frankfurter Schule spielten.
Das Institut f�r Sozialforschung wurde Anfang der zwanziger Jahre der 20. Jahrhunderts von eine Gruppe von Intellektuellen gegr�ndet, von denen viele aus j�dischen Familien kamen. Ihre f�hrenden K�pfe schlossen sich nie einer bestimmten Partei an. Dennoch machten sie aus ihrer sozialistischen Orientierung, ihrer Opposition gegen den Verrat, den die Sozialdemokratie (Unterst�tzung des Krieges 1914 und Niederschlagung der Revolution von 1919) ver�bt hatte, sowie aus ihrer Sympathie f�r die Russische Revolution nie ein Geheimnis. In seinen Schriften aus den zwanziger Jahren beschreibt z. B. der junge Max Horkheimer, der zusammen mit Theodor W. Adorno die Aktivit�ten des Instituts leitete, Sowjetrussland in gl�henden Farben. Das Ziel, auf das sich die Schule festgelegt hatte, war die Anwendung der Marxschen Analyse auf die kapitalistische Gesellschaft als Grundlage einer neuen Form der unabh�ngigen Sozialforschung. Im ersten Jahrzehnt der Existenz der Schule entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Marx-Engels-Iinstitut in Moskau, das damals von David Rjasanow geleitet wurde.
Die Gruppe ging, ersch�ttert durch die Macht�bernahme der Nazis 1933, ins Exil, die urspr�nglich engen Verbindungen zu Moskau schliefen allm�hlich ein und wurden schlie�lich durch den Aufstieg des Stalinismus innerhalb der Sowjetunion vollst�ndig abgebrochen. Die Leiter des Instituts waren sich vollkommen im Klaren dar�ber, was in der zweiten H�lfte der drei�iger Jahre in der Sowjetunion vor sich ging. In seiner Korrespondenz beschreibt ein f�hrendes Mitglied der Frankfurter Schule, Leo L�wenthal, die Verfolgungen, denen die Opposition in der Sowjetunion ausgesetzt war, als "ein gro�es Trauma f�r uns". Ein anderer wichtiger Angeh�riger des Instituts, Erich Fromm, tauschte in seinem Briefwechsel mit Max Horkheimer Details �ber die juristischen und politischen Verfolgungen anl�sslich der Moskauer Prozesse aus.
Wie viele andere linke deutsche intellektuelle Exilanten reagierten auch die Mitglieder der Frankfurter Schule in den drei�iger Jahren, indem sie �ber die Verbrechen der Stalinisten Stillschweigen bewahrten. Adorno beispielsweise war ausdr�cklich daf�r, zu schweigen. Er f�rchtete, sonst als "Bef�rworter des imperialistischen Krieges" zu gelten: "Im Augenblick ist das Schweigen die loyalste Haltung", riet er. In einem anderen Brief an Horkheimer schreibt er, dass die Gruppe "Disziplin halten soll und nichts publizieren, was Russland zum Schaden ausschlagen kann." (Die Korrespondenz ist nachzulesen in dem Band: Kritische Gesellschaftstheorie und historische Praxis von Olaf Asbach, Frankfurt 1997, S. 147) Unter den schwierigsten Bedingungen w�hrend der drei�iger Jahre und w�hrend des Zweiten Weltkriegs - verfolgt von allen Seiten, von Faschisten, Stalinisten und b�rgerlichen Regierungen - waren es allein die Anh�nger der Vierten Internationale, die daf�r k�mpften, die Arbeiterbewegung auf der Grundlage eines historisch materialistischen Verst�ndnisses vom Faschismus und von Stalinismus neu zu bewaffnen.
In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel gab Max Horkheimer gegen Ende seines Lebens zu, dass er sich bereits w�hrend des Zweiten Weltkriegs vom Marxismus entfernt habe. Die Erfahrung der faschistischen Macht�bernahme, verbunden mit den stalinistischen Schauprozessen, f�hrte bei ihm dazu, dass er jegliche Verbindung mit dem revolution�ren Marxismus �ber Bord warf und die Arbeiterklasse nicht mehr als die Kraft der Ver�nderung ansah.
Die wachsende Entfernung der Mitglieder der Frankfurter Schule von Marx ging einher mit einem zunehmenden Interesse am Werk Nietzsches. Max Horkheimer bemerkte 1937 wohlwollend �ber Nietzsche: "Die Unabh�ngigkeit, die in seiner Philosophie zum Ausdruck kommt, die Freiheit von den versklavenden ideologischen M�chten ist die Wurzel seines Denkens." Aschheims Kommentar zu diesem Zitat ist interessant: "Solch kritische Unabh�ngigkeit war entscheidend f�r einen Marxismus ohne Proletariat, in dem die Theorie zur Praxis geworden war." (Ascheim: Nietzsche und die Deutschen,S. 190)
Horkheimers und Adornos wachsendes Interesse an Nietzsche ist ganz evident in ihrem gemeinsamen Werk Dialektik der Aufkl�rung, das erst 1947 nach dem Zeiten Weltkrieg ver�ffentlicht wurde. Die Argumentation des Buches ist sehr dicht und komplex, aber in ihrem Verlauf f�hren die beiden Autoren sowohl Nietzsche als auch den Marquis de Sade ein, um das Denken der Aufkl�rung und den Begriff des Fortschritts in Zweifel zu ziehen. Charakteristisch f�r Horkheimers und Adornos Behandlung von Nietzsche ist ihre kritische Ambivalenz zu ihm, aber in einigen Abschnitten kommen sie gemeinsam zu Schlussfolgerungen wie: "Aufkl�rung ist totalit�r". Sie schreiben und erkl�ren, "Aber die vollends aufkl�rte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils." ( Dialektik der Aufkl�rung, Reclam-Ausgabe, S. 16)
Es ist m�glich, in den Positionen, die in der Dialektik der Aufkl�rung entwickelt werden, die Keime aufzusp�ren, die schlie�lich 20 Jahre sp�ter in Horkheimers offener Verteidigung Nietzsches und seiner Behauptung, dieser sei ein bedeutender Denker als Marx, zur Bl�te kamen.(2)
Die gegenw�rtige Wiederbelebung des Interesses an Nietzsches Denken ist eng verbunden mit dem Verrat des Stalinismus im zwanzigsten Jahrhundert und der Abwendung einer ganzen Generation von Intellektuellen von den fortschrittlichen Idealen, die in der Aufkl�rung und der sozialistischen Bewegung verk�rpert sind. Bei den f�hrenden Mitgliedern der Frankfurter Schule war die Umarmung Nietzsches entscheidend f�r den Prozess ihrer Entfernung vom Marxismus. In anderen europ�ischen L�ndern fand die Rehabilitation Nietzsches nach dem zweiten Weltkrieg entweder innerhalb der stalinistischen Parteien oder an ihren R�ndern statt.
Die vielleicht wichtigste Pers�nlichkeit in dieser Hinsicht ist wohl der italienische Historiker Mazzino Montinari. Montinari verbrachte Jahre seines Lebens damit, im Weimarer Nietzsche-Archiv zu forschen und schrieb eine ganze Reihe von besch�nigenden Essays und B�chern �ber Nietzsche. Er gab eine kritische Ausgabe seiner Werke heraus, die von vielen als die g�ltige angesehen wird. Zu Beginn der sechziger Jahre war Montinari Herausgeber des theoretischen Zentralorgans der Kommunistischen Partei Italiens Rinascita und blieb bis an sein Lebensende Parteimitglied.
Poststrukturalismus und Postmodernismus
In Frankreich nach 1945 ist es m�glich, recht pr�zise zu verfolgen, wie in Schichten linksorientierter Intellektueller und in den Universit�ten allm�hlich Marx durch Nietzsche ersetzt wurde. Trotz der groben Entstellungen, denen das Werk von Marx in den H�nden der Stalinisten ausgesetzt war, war es innerhalb der franz�sischen Linken in den sechziger Jahren immer noch unm�glich, Marx offen anzugreifen. Indessen setzte in dieser Zeit eine Kampagne ein, die Rolle Hegels und der Hegelschen Dialektik bei Marx zu diskreditieren. Hierbei erwies sich die Hinwendung zu Nietzsche als Hauptwaffe derjenigen, die versuchten, den Marxismus zu revidieren.(3)
Einige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg war Nietzsche �berwiegend als zweitranige Figur nur im Zusammenhang mit Martin Heidegger betrachtet worden. Dieser selbst hatte den gr��ten Einfluss auf den Philosophen Jean Paul Sartre in dessen Ausarbeitung seines existentialistischen Denkens. Ein Anh�nger der Philosophie Nietzsches, Alan White, schrieb: "Bis in die sechziger Jahre wurde Nietzsche im Allgemeinen als ... ein Bef�rworter der Machtpolitik gelesen, der sich der Schaffung des �bermenschen widmete, der die Welt beherrschen wollte. Seit Anfang der siebziger Jahre trat dieser Auffassung vor allem in Frankreich eine beeindruckende Reihe von Denkern entgegen, die an Nietzsches Werk sch�tzten, dass es jegliche M�glichkeit der Kommunikation unterh�hlte, ja sogar die Existenz unzweideutig bestimmbarer Lehren in Zweifel zog."
Die Wiederbelebung Nietzsches in Frankreich begann mit einem Buch des Philosophen Gilles Deleuze, Nietzsche und die Philosophie(1962). In seiner Verteidigung des Denkens von Nietzsche machte Deleuze kein Geheimnis daraus, dass sein eigentliches Ziel Hegel und seine Dialektik waren. Er schreibt: "Zwischen Hegel und Nietzsche ist jeder Kompromiss ausgeschlossen. Nietzsches Philosophie, der gro�e polemische Tragweite eignet, ist von ihrer Form her absolut undialektisch." (Nietzsche und die Philosophie S. 212) Die Kampagne, Nietzsche in Frankreich zu rehabilitieren, gewann rasch an Boden.
In seinem Essay Le moment fran�ais de Nietzsche (Nietzsches franz�sischer Moment) stellt Vincent Descombes fest, dass die Nietzsche-Konferenz, die vom 4. bis 8. Juli 1964 in Royaumont stattfand, als Wendpunkt in der Nietzschrezeption in Frankreich angesehen werden kann. Einer der wichtigsten Vortr�ge wurde von Michel Foucault gehalten, der in seinem Beitrag versuchte, eine gemeinsame Grundlage zwischen Marx, Sigmund Freud und Nietzsche herzustellen.
Foucault (1926-1984) begann seine akademische Laufbahn als Philosoph, als er gemeinsam mit Jean Hyppolite und Louis Althusser an der Ecole Normale Superi�ure studierte (wo auch Sartre lehrte). Eine Zeitlang war Foucault Mitglied der Kommunistischen Partei, verlie� sie jedoch 1951. Trotz seines organisatorischen Bruchs mit der Partei geh�rte die vulgarisierte Form des Marxismus, wie sie der franz�sische Stalinismus und sein f�hrender Ideologe der sechziger Jahre Louis Althusser verbreiteten, zu der Luft, die Foucault und die anderen Studenten der Ecole Normale Superi�ure viele Jahrzehnte atmeten.
Foucaults Mentor Althusser war der erste bedeutende Theoretiker innerhalb der Kommunistischen Partei, der systematisch begann, die Hegelsche Dialektik anzugreifen. In einer Reihe von Schriften, die in den sechziger Jahren ver�ffentlicht wurden ( F�r Marx, Das Kapital lesen) behauptet Althusser, dass Marx in seinen sp�teren Schriften (insbesondere im Kapital) vollst�ndig mit Hegel gebrochen habe. Althusser griff auch das Kernst�ck des historischen Materialismus an, indem er die Rolle der "Struktur", wie er es nannte, in der sozialen und politischen Entwicklung gegen die vom klassischen Marxismus betonte grundlegende Rolle der Kr�fte der �konomie hervorhob.
Michel Foucault bildet das entscheidende Glied zwischen Althussers radikaler Revision des Marxismus (dem Strukturalismus) hin zur offenen Feindschaft gegen Marxismus und Aufkl�rung, wie sie die postmodernistische Bewegung vertritt. Foucault bezog sich auf das Wesen der Ideologie Nietzsches: seine Verneinung einer objektiven Wahrheit - "Es gibt keine Tatsachen, nur Interpretationen." ( Wille zur Macht) -, sein Leugnen einer materiellen, erforschbaren Welt zugunsten eines Relativismus - "Dass ein Urteil falsch ist, ist unserer Meinung nach kein Einwand gegen dieses Urteil."(Jenseits von Gut und B�se).
F�r Foucault ist die objektive Welt keine Welt von Tatsachen, die objektiv erprobt und untersucht werden k�nnen; stattdessen besteht Foucaults Welt aus Diskursen, Narrationen, - Interpretationen ohne jegliches sichere Mittel um festzulegen, welcher "Diskurs" der �bergeordnete ist. Gleichzeitig betont Foucault Unterschied und Besonderes: "die erstaunliche Effizienz der unterbrochenen und lokalen Kritik" gegen�ber der " hinderlichen Auswirkung der globalen, totalit�ren Theorien" (zitiert in Postmodern Theory, Critical Investigations, Steven Best and Douglas Kellner, The Guildford Press, 1991, S.38-39) Letztere Kategorie umfasst nach Foucault auch den Sozialismus. Foucaults Einwand gegen den "Totalitarismus" hier wandelt sich sp�ter in den Schlachtruf nach dem Eigeninteresse des Individuums und der Identit�tspolitik eines der f�hrenden Autoren der postmodernistischen Bewegung, Jean-Fran�ois Lyotard: "Lasst uns den Krieg gegen die Totalit�t beginnen, lasst uns Zeugen des Nichtrepr�sentativen sein, lasst uns die Unterschiede aktivieren." ( Das postmoderne Wissen, Passagen Verlag, 1999)
Es ist nicht m�glich, hier auf alle Aspekte und Auswirkungen der Vereinnahmung Nietzsches durch die postmodernistischen Philosophen einzugehen, - um alle Ann�herungen des modernen franz�sischen Denkens an das Erbe von Nietzsche zu illustrieren; w�re ein eigenes Buch erforderlich.(4) Dennoch bleibt festzuhalten, dass das Wesen von Nietzsches Werk - sein entschlossener Versuch, die progressiven Errungenschaften und Ideale der Aufkl�rung zur�ckzuweisen - in den Schriften der Poststrukturalisten (Foucault) und Postmodernisten h�chst plastisch zum Ausdruck kommt.
Im Verlauf dieser kurzen Studie habe ich versucht, die grundlegenden Str�mungen im Denken Friedrich Nietzsches herauszuarbeiten und einige der dynamischen sozialen Prozesse aufzuzeigen, die dem wachsenden Interesse an ihm im zwanzigsten Jahrhundert zugrunde liegen. In Deutschland gab es immer eine konservative Lobby (Spengler, J�nger, Heidegger), die Nietzsche als einen der ihren umarmt hat. Aber Nietzsche hat auch Teile der liberalen Intelligenz beeinflusst. In der fr�hen deutschen Sozialdemokratie lieferte Nietzsches Werk utopistischen und anarchistischen Str�mungen Munition gegen die sozialistischen Ziele der SPD. F�r die verzweifelten Intellektuellen der Frankfurter Schule, die gel�hmt waren durch den Faschismus auf der einen und den Stalinismus auf der anderen Seite, war Nietzsches Philosophie ein wichtiger Faktor f�r ihre Abkoppelung von einer sozialistischen Perspektive.
Auf ihre Art sind die Postmodernisten zum Kern der Philosophie Nietzsches vorgedrungen, um einen umfassenden Angriff auf den Sozialismus und das fortschrittliche Denken �berhaupt zu unternehmen. Sie stehen voll hinter ihrem Mentor, wenn er seine Ablehnung gegen das Denken der Aufkl�rung herausst��t: "Ecrasez l�infame!" (Zermalmt diese Niedertracht!)
Auf ihre eigene Weise ist die Wiederbelebung von Nietzsche und seinem Denken in einer ganzen Reihe von L�ndern am Beginn dieses neuen Jahrhunderts eines der klarsten Anzeichen f�r die herrschende soziale und ideologische Krise, die ihre Ursache in einer Reihe von R�ckschl�gen f�r die Arbeiterklasse und die sozialistische Bewegung im zwanzigsten Jahrhundert hat. Auf der Grundlage der Diskreditierung des urspr�nglichen Sozialismus durch den Stalinismus st�tzen sich die Bef�rworter des modernen Kapitalismus auf Nietzsche, um nachzuweisen, dass die inhumane Ausbeutung, der Militarismus und der Zynismus auf dem Gebiet der Kultur dem nat�rlichen Lauf der Dinge entsprechen. (5) Entt�uschte Exradikale und Schreiberlinge an den Universit�ten pl�ndern Nietzsche, um zu demonstrieren, dass systematisches wissenschaftliches Denken, eine Weltanschauung auf der Grundlage von Rationalit�t und Fortschritt unerreichbar - ja sogar nicht erstrebenswert sei. Die Bef�rworter der freien Marktwirtschaft k�nnen kein besseres Modell f�r ihr Vorhaben finden, eine Wiederbelebung fortschrittlicher Ideale und der Erneuerung von sozialistischen und Gleichheitsideen zu verhindern, als die eher traurige Gestalt eines Friedrich Nietzsche.
Der Verfechter des "�bermenschen", der sich hoch �ber das niedrige "Gesindel" erhebt, der Verteidiger des Krieges und des kriegerischen Geistes beendete sein Leben als lallender Schwachsinniger, der nicht mehr in der Lage war, seine k�rperlichen Funktionen zu kontrollieren, manipuliert von seiner Schwester, die er verachtete. In gewisser Hinsicht ist Nietzsches tragisches Ende selbst eine Metapher. Sie dr�ckt die schiere Unm�glichkeit jeden Versuchs aus, das reiche und m�chtige Erbe des klassischen Denkens und der Aufkl�rung zu schm�lern und es in die Zwangsjacke der Wiederbelebung der Mythen, des arischen Geistes und der aristokratischen Eliten zu zw�ngen.