Wolfram Pfreundschuh (11.3.2011)

Zur Logik des Gemeinwohls

Wer möchte das nicht, dass alle Menschen sich einfach wohl fühlen sollten? Ein allgemeines Wohl, ein Gemeinwohl, klingt wie eine Alternative zu einer Welt, in der sich alles gegeneinander verhält. Es klingt so, als ob die Menschen als Konkurrenten ihrer einzelnen Existenzinteressen nicht um ihren Selbsterhalt kämpfen müssten, sondern sich in ihrer Gemeinschaft auch ein Wohlbefinden zu vermitteln hätten. Im Gemeinwohl klingt Ausgleich und es ist deshalb auch das tragende Argument der bürgerlichen Parteien, die Verheißung von einer allgemeinen Befriedung der Gesellschaft durch ihre Politik, auch wenn sie in den Vorstellungen, wie dahin zu gelangen sei, sich mehr oder weniger deutlich unterscheiden.

Besonders seit die Gesellschaftsfrage wieder ansteht, also die Frage, wie Gesellschaft besser funktionieren könnte, die Frage, die sich viele Menschen stellen, seitdem sie als sogenannte "Wutbürger" wieder grundsätzlicher geworden sind, wird die Vorstellung von einem Gemeinwohl als das hohe Ziel einer Bürgergesellschaft wieder hervorgekramt. Das sei eine Gesellschaft, in welcher die Bürger über alle Maßnahmen des Staates und seiner Administrationen abstimmen könnten, durch Meinungsmehrheit beschließen könnten, was dieser zu tun habe. Wie z.B. im Streit um Stuttgart 21 soll sie auch zur Konfliktlösung zwischen Staat und Bürger taugen. Aber es hat sich wieder mal schnell gezeigt, dass sie gerade das nicht kann. Solange die Besitzverhältnisse unangetastet bleiben, ändert sich nichts am Kern der Entscheidungsbefugnisse. Immerhin konnte Heiner Geißler an diesem Beispiel sein großes Vorbild für eine Bürgergesellschaft vorstellen: Die Bürgerentscheidungen in der Schweiz - oder genauer: der Volksentscheid beim Bau des St. Gotthard-Tunnel. Zugleich ist ja auch bekannt, dass durch Volksabstimmung der Bau von Moscheen in der Schweiz blockiert und Grundlagen der Völkerverständigung und der Menschenrechte verletzt worden waren (0). Gerade die Mehrheitsentscheidung nämlich kann niemals ein Gemeinwohl stiften. Wenn man von Demokratie spricht, dann muss man von einem ganzen Lebensverhältnis von Menschen ausgehen, die sich auch als Minderheit nicht einfach ausschließen und auch nicht mundtot machen lassen können. Gerade von da her geht es weniger um ein gemeines Wohl als um ein Gemeinwesen, um eine Wirklichkeit, welche die Geschichte von Menschen in ihren Lebensräumen unter unterschiedlichsten Bedingungen und mit den verschiedensten Tätigkeiten und Interesssen ausmacht, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die immer nur in einer konkreten Auseinandersetzung stattfinden kann.

Das Gemeinwohl soll ein höherer Zweck sein, in welchem Konflikte sich zugunsten einer Allgemeinheit aufheben lassen. Für diesen Zweck allerdings müssen höhere Werte auch die Verhältnisse regeln können (1). Doch die wirklichen Konflikte lassen sich nicht einfach regeln. Sie lassen sich auseinandersetzen und aus ihnen ließen sich vielleicht hie und da auch mal neue Wege eröffnen. Aber durch höhere Zwecke lässt sich nichts aufheben - im Gegenteil: das Gemeinwohl als solches gibt es nicht wirklich und wird es auch nicht geben können, schon gar nicht im Vorhinein bestimmbar wie etwas, das man auch wirklich zu einem allgemein gültigen Wert wählen könnte. Es ist eben nur die Vorstellung über den Zustand eines Gemeinwesens, eine Idee, wie es sein könnte, und ist im doppelten Sinn auch das, was vorgestellt und als Vorstellung auch konsumiert werden kann. Und dies kann vielerlei sein und bedeuten und ist im Wesentlichen nicht durch die Menschen zu befolgen: Es wären immer sehr viele und sich widersprechende Ideen, je nach deren Lebensbedingungen, nach Klasse oder Schicht, sehr verschieden.

Eine wirkliche Demokratie ist daher auch etwas ganz anderes als eine Bürgergesellschaft, die sich Gutes und Schönes ausmalt. Aber das Gemeinwohl ist immer ein Ideal, das Verbundenheit suggeriert, auch wo keine ist und auf das sich Politik beschränken muss, wo sie der Zentrifuge getrennter Existenzen entgegentreten muss. Sie muss ihre Gegensätze befrieden, muss Solidarität beanspruchen, wo Konkurrenz herrscht, Freiheit behaupten, wo Sachzwang das Leben bestimmt und die Menschen in gleichgeschalteten Verhältnissen versöhnen, die in den gegensätzlichsten Lebensinteressen einander vernutzen. Politik mit Gemeinwohl taugt vor allem dazu, die Gegensätze wirklicher Verselbständigungen in einer einheitlichen Vorstellung aufzuheben. Es ist eine Begütigung, die je nach vorherrschender Vorstellung mal so und mal anders ausfallen kann, etwas, worum gestritten wird, bis man sich nach einem anschaulichen Kriterium darauf beschränkt, was für eine Mehrheit erstrebenswert scheint. Eine Politik, die sich aus einem Gemeinwohl begründen will, ist daher nur eine Frage der Repräsentanz dessen, was vorgestellt ist. Und das macht auch den Meinungsstreit hierüber aus, das Fundament der repräsentativen Demokratie (2). Gerade weil es nur der Streit um Vorstellungen ist, entsteht daraus immer wieder - je nach dem abgestimmten Verhältnis der Wählermeinungen - Regierung und Opposition, wodurch mal die eine, und dann auch wieder mal die andere politische Vorstellung repräsentativer erscheint (3). Die alternierenden Vorstellungen werden je nach politischen Mehrheiten mal auf der einen möglichen Seite der Sachentscheidungen bewegt und dann auch mal wieder auf der anderen. Das bewirkt zwar auf der einen Seite Entwicklungen, die dann aber immer wieder von einer anderen, einer vernachlässigten Seite her bald wieder eingeholt werden. Die Gesellschaft scheint sich politisch zu entwickeln, während sie sich im Ganzen meist nur im Kreis der Vorstellungen dreht. Man konnte es leicht schon beobachten im Hin und Her der Positionen z.B. zu Hartz IV, zum Atomausstieg, zur Genmanipulation usw.. Je nachdem, ob Druck auf die Arbeit gemacht werden soll oder Konsum angetrieben werden muss, um das Gemeinwohl des Kapitalismus, die kapitalistische Konjunktur zu befördern, entscheiden sich die politischen Opportunitäten. Mal steht die Not im Vordergrund der Konfliktlösungen, die Arbeitslosigkeit, die sozialen Probleme, die Geldentwertung und anderes; ein ander Mal die Möglichkeiten des Gewinns, der Verbrauch und die Konsumsteigerung. Notwendigkeit und Freiheit werden zu alternierenden Ideologien der politischen Ausrichtung, die sich an den Resultaten des Marktgeschehen orientieren und als verselbständigte Positionen auftreten, die sich weit getrennt voneinander um die Meinungsmacht bewerben. Die herrschende Politik für das Gemeinwohl wird eben durch einseitiges Dafürhalten entschieden, das von da her lediglich eine Seite in das Hauptaugenmerk der politischen Klasse rückt. Das bestimmt die Macht im Staat (4), und das hat massive Konsequenzen, die von dem Gemeinten der versammelten Wählermeinungen sehr unterschieden sein können, denn das Ganze wird hierbei zwangsläufig in Gegensätze zerteilt, die sich nicht mehr ergänzen, ihren Widerspruch nicht verwirklichen können, in nicht mal mehr darstellen. Die aus dem Nebeneinander gegensätzlicher Meinungen bewirkte Politik ist zwangsläufig populistisch, wenn sie sich zur Wahl stellt und ebenso zwingend sachlich, wenn sie entscheidet. Die "Volksherrschaft" wird unter der Hand zur Herrschaft des sachlich Notwendigen, wie es sich rein ideologisch dem "Volk" als vernünftige Entscheidung vorführen lässt. Und was sich im Trieb der Verwertung auf Dauer - das heißt: im Allgemeinen - durchsetzen muss, ist der Druck auf die Verwertung der Arbeitskräfte, der dann als sachliche Notwendigkeit der nationalen Ökonomie ideologisiert wird und damit rein politische Ökonomie ist.

Politik versteht sich nämlich nicht nur als bloße Idee, wie man sich verhalten könne, sondern als Absicht einer Entwicklungsrichtung, als Einwirkung auf den gesellschaftlichen Zusammenhang, als Wille zu einer Einflussnahme auf diesen in Hinsicht auf seine ganze Gegenwart und seine ganze Zukunft. Sie will die materiellen und wirklichen Probleme der Lebensbedingungen auflösen, die er zeitigt und seine Zwänge meistern. Mitunter erscheint hierbei der Entschluss dieses politischen Willens omnipotent, wie ein Anspruch oder eine Fähigkeit, Gesellschaft überhaupt bestimmen zu können – so, als ob man nur das politisch Richtige wollen und tun müsse, um hiernach das Gemeinwohl einer Gesellschaft ausrichten zu können, so also, als wäre Politik an sich schon zielführend, ohne dass ihre sachlichen Voraussetzungen, die Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Existenz der Menschen, sonders zu beachten wären, so also, als ob durch Politik schon deren Überwindung geschehe und Zukunft bestimmbar wäre. Politik will daher schon per se als gesellschaftliches Subjekt auftreten, als ein Subjekt dem alles andere leicht zu unterordnen wäre.

Politik und Ökonomie

Mit der Vorstellung von einem Gemeinwohl soll es scheinen, als ob das Wohl der bestehenden Verhältnisse aus einem allgemeinen politischen Wohlverhalten der Menschen entstünde, die darin einbegriffen sind, indem sie dem folgen, was als ein hohes politisches Gut gilt, was also letztlich ethisch zu begründen wäre. Aber das Gute hat sich seit der Existenz des Kapitalismus noch nicht wirklich eingestellt. Die Arbeitszeit der Menschen hat sich seit dem Mittelalter von täglich 5 auf 8 Stunden erhöht, sie leben voneinander isolierter denn je, ihre Unruhe und Hektik hat sich vervielfacht wie ihre Kriege und Zerstörungsmacht und ihre Lebensgrundlagen haben sich ihrer Natur entzogen. Das unbeschränkte Wertwachstum hat nun auch ein gewaltiges Ressourcenproblem zur Kenntnis nehmen müssem, das ihm über seine gesellschaftliche Borniertheit hinaus auch natürliche Grenzen setzt. Es ist ja auch schon lange genug klar und bewusst, dass der Planet von ungeheuerlichen Begierden geplündert wird. Es dürfte doch heute keine Umweltzerstörung, Klimakatastrophe oder Armut mehr geben, wenn die Staaten den politischen Willen, das aufzuhalten, den sie immer vorgestellt hatten, auch durchgesetzt hätten. Man weiß schon seit langer Zeit, spätestens seit dem Appell des Club of Rome in den 70ger Jahren, wie die Welt aussehen wird, wenn man so weiter macht wie damals. Und sie sieht heute genau so aus, weil man genau so weiter gewirtschaftet hatte, weil sich an der Produktionsform und den Verwertungsbedingungen nichts geändert hat. Auch das Kapital fürchtet seinen Untergang, die Erschöpfung seiner Ressourcen. Aber wenn das alles so klar war, was war dann geschehen, dass niemand seinen Willen wirklich hiergegen vollziehen konnte, also so eingeschritten ist, dass es hätte besser kommen können? Wenn es alle betraf, warum hatten sie keinen allgemeinen Entschluss zustande gebracht? Es wäre doch tatsächlich schön, wenn man nur dem vernünftigen Menschenverstand zu folgen, das Nötige zu tun und die Mängel zu beheben hätte. Es wäre eine Frage des guten Willens, des Bewusstseins und der Wissenschaften, was die Geschichte zu bestimmen hätte und dem entsprechend dürften da keine Prognosen der Ratingagenturen dazwischen treten.

Vielleicht hatte der griechische Philosoph Platon in seinem staatsphilosophischen Hauptwerk, der Politeia, dies gemeint, als er schrieb, dass nur Philosophen wüssten, was dem Gemeinwohl dient und dass deshalb nur diese die Regierung übernehmen sollten. Doch der politische Begriff des Gemeinwohls, den sie geschaffen hatten, war schon immer eine philosophische Fiktion, hat seiner Realität schon immer widersprochen, denn die ist praktisch und geschichtlich. Ein allgemeines Wohl kann es praktisch nicht geben, weil es sich immer am Unwohlsein reflektiert und auch nur in Relation hierzu überhaupt zu erkennen wäre, also allgemeines Unwohlsein zur Bedingung hätte. Als Begriff für den praktischen Zweck politischen Handelns reflektiert es aber Not und will deren Wendung in ein besseres Sein. Daher muss zu diesem Zweck das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen als Bewältigung ihrer gesellschaftlichen Notwendigkeiten verfasst sein, die eine gesellschaftliche Verbundenheit enthält, die sachlicher Natur ist. Als Politik im Zweck eines Gemeinwohls wird davon abstrahiert.

Als Begriff für die Zielvorstellungen ihres Handelns entspringt der Begriff schon einem bestimmten Ideal von ihrer Geschichte und ist ein bestimmtes Entwicklungsverständnis, worin die Sache zwar vorausgesetzt, aber nicht enthalten ist. Die Menschen treten darin politisch nur in der Freiheit ihrer Entscheidung auf, die wie von selbst Geschichte macht, wiewohl sie sachlich genommen nur Bestehendes bewahren. Als politischer Begriff meint das damit zweierlei in einem: Den Erhalt des Gegebenen im Sinne eines Gemeinwohls, das zu sichern sei, um einen ökonomischen Sachzwang, zu bewältigen, wobei andererseits dessen Überwindung zum Vorteil der menschlichen Entwicklung, also zugleich auch als Fortschritt für ihr Wohl geschehen soll. Das Gegebene soll also dadurch bewahrt werden, dass seine Überwindung ein Forschritt, eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards sei. Das aber ist gerade die Verschleierung, die gesellschaftlichem Verhalten zugefügt wird. Ein Fortschriff aus den Mängeln des Bestehenden heraus wurde in der Entwicklung der Produktivkraft der menschlichen Arbeit in den verschiedensten Epochen und Formen praktisch immer vollzogen, ohne dass es eines eigenständigen politischen Begriffs wie Gemeinwohl bedurft hätte. Es ist die Substanz der Wirtschaft überhaupt: Entwicklung war immer ein Aufwand, den die Menschen für sich erbringen mussten, sich immer in der Beziehung von Entwickeln und Bewahren tätig fanden, von Freiheit und Notwendigkeit, die per se keinen Gegensatz darstellen muss. Wo eine Not Einfälle hervorbringt, Erfindungen hervorruft, die das Leben der Menschen voranbringen, da ist sie auch im Fortschritt überwunden, sind die Menschen hiervon befreit und zugleich emanzipiert von ihrer Beschränkung.

Aber mit der Verselbständigung der Politik zur Politik der Vorstellungen, also der Repräsentation, ist der Streit hierüber, wie er in den Parlamenten der bürgerlichen Demokratie sich als Streit um das Gemeinwohl auch aufführt, zu einem Gegensatz von Willensentscheidung und Sachzwang geworden. Gegründet wurde er durch die Verfassung des Gemeinwohlgedankens in den Grundgesetzen der bürgerlichen Gesellschaften, der einzelnen Nationen, wodurch das politische Ideal zu einer selbständigen Macht gegen die realen Verhältnisse wurde. Die ideelle Gesellschaft des politischen Bürgers und seine reelle Privatform wurde damit zu einem Gegensatz, der sich in ausschließlicher und ausschließender Form, also nurmehr in der Sache und also rein sachlich verwirklicht. So war ein in sich gegensätzliches Verhältnis von Politik und Ökonomie zur Sache selbst geworden, pure Objektivität schlechthin. Diese ist ideel als gesellschaftliche Grundlegung persönlicher Freiheit verfasst, die es aber nur sachlich, nur als Besitzstandsrecht der Privatperson gibt, das Recht auf den privaten Selbsterhalt durch den gesellschaftlich erwirtschaften Reichtum. Das Ideale ist real also nichts anderes als das Privatrecht, die Aneignungsform eines Vermögens, das nur in einem gesellschaftlichen Verbund produziert werden kann. Weil es aber keine Gesellschaftsform dieses Reichtums gibt (5), wirkt sich dieses Recht für die meisten Menschen nur als Pflicht aus, diesen Reichtum zu erzeugen, um als Privatperson überleben zu können.

Die Sache herrscht in dieser Form als Zwang, sich ihr zu beugen, um leben zu können. Sobald Geld als Zahlungsmittel und Maß der Werte verallgemeinert war, konnte es nicht mehr genügen, durch Arbeit das zu schaffen, was zur Befriedigung der Bedürfnisse und der Fortentwicklung des Lebensstandards nötig war. Es führte dazu, dass Geld selbst zum Motor der Geschichte wurde und alle Naturalformen den Menschen entzogen waren und Geld an deren Stelle getreten war (6). Das kehrte alle Naturalformen in die Wirtschaftsformen der politischen Ökonomie. Das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen erscheint in solcher Wertform als die Macht der Sache, die den Menschen ein ihnen fremdes gesellschaftliches Verhalten aufnötigt (siehe Warenfetischismus). Und darauf beruht letztendlich das Gemeinwohl in unserer Gesellschaft. Es ist die idealisierte Gestalt einer verkehrten Gesellschaft (7), die politische Vorstellung einer verkehrten Wirtschaftsform. In der politischen Ökonomie erscheint das Prinzip des Geldes in seiner Wechselseitigkeit zwischen Kauf und Verkauf versöhnt, der Widerspruch von Geldbesitzer und Warenbesitzer aufgehoben, weil Geld eben auch wirklich für das Individuum ein gesellschaftliches Faustpfand ist, wenn sich dieses zugleich der Notwendigkeit für den Gelderwerb, seinen ihm entfremdeten Lebensbedingungen beugt, wenn es also seine Selbstentfremdung durch den Gelderwerb und Geldbesitz forttreibt. Die entsprechenden Vereinseitigungen, also die Positionen dieser Idealisierung sind die Seiten des Wohlstands im Geldbesitz, der darin mal dem Einzelnen und mal dem Allgemeinen, mal dem Individuum und mal dem Staat nützen kann. In ihrer Wirklichkeit aber - also im Verhältnis ihrer wirklichen Wirkungen - sind sich beide wesentlich fremd und vollziehen darin allgemein eine gesellschaftliche Entfremdung der Individuen, die mal dem Individuum als Geldbesitzer, mal der Gesellschaft als Kollektiv des Sachzwangs der Geldverwertung näher kommt. Als selbständige Ideologien eines abstrakten Gemeinwesens treten sie im Individualismus und Kollektivismus auf, in denen sich die Ideengeschichte der Politik auch wirklich ausgeprägt hatte.

Ideologie verbrämt immer die Mängel der Wirklichkeit - ihre wirklichen Widersprüche - und steht auch dafür, diese in der Vorstellung aufzuheben. Aber in ihren gegensätzlichen Positionen zeigt sie auch deren Zwiespalt – eben weil sie für sich nur eine Seite wahrnimmt, die sie für das Ganze hält und also in Wirklichkeit nicht ohne die andere, also nur relativ und in Abgrenzung zu dieser sein kann (8). Im Individualismus erscheint der einzelne Mensch omnipotent, weil er als Bedingung des allgemeinen Wohls erscheint, im Kollektivismus wird das Gemeinwohl zu einer eigenständigen Autorität, die alles kommandiert, was im Einzelnen hierfür zu erbringen ist. Es ist der allgemeine Nutzen, dem geopfert werden soll, was für die Illusion eines Zusammenhalts vonnöten ist, die Selbstsucht als Prinzip der Geschichte und die Selbstlosigkeit der Selbstaufopferung der Menschen für ihr gemeines Wohl zugleich. Das Prinzip kehrt sich zur Pflicht für das Ganze des Staates, zur Wohlfahrt der Nation, in welche die Menschen geboren wurden. (9).

Ein Wohl ohne wirkliche Bezugnahme auf die Not, die darin aufgehoben sein soll, bleibt eine leere, also abstrakte Floskel, - ebenso abstrakt wie die Gesellschaft, in der sie vorgestellt wird. Es bleibt die ausschließliche Begründung einer Politik, die sich als Politik verselbständigt hat und verselbständigt bleibt. Eine solche Politik greift alles Unwohlsein in seiner unendlichen Vielfalt und Beliebigkeit auf, um darin ihre Beharrung auf ein Anderssein zu verewigen. Es geht dann im Grunde auch immer nur um den Staat, an den die entsprechenden Forderungen nach dem gemeinhin vorgestellten Wohlsein gerichtet werden. Es geht dann um den richtigen Staat, der erbringen soll, was die ökonomischen Verhältnisse unter dem Druck des Verwertungsinteresses nicht bringen können. Die politischen Forderungen an einen solchen Staat implizieren allerdings einen Staat, der alles geben kann, was er dann auch allen nehmen muss, den absoluten Staat. Politik wird ohne direkten Bezug auf Ökonomie, auf die existenziellen Grundlagen der Gesellschaft, zu einer Gradwanderung der Herrschaftsinteressen, die immer eine politische Macht gegen die existenziellen Interessen der Menschen, gegen die Welt ihrer Bedürfnisse und Arbeit, gegen ihre Kultur, darstellt.

Der politische Wille

Die Vorstellung von einem Gemeinwohl, das von einem politischen Subjekt zu betreiben wäre und von dem man das eigene Gemeinwesen beglückt sehen will, ist so alt wie das Bürgertum selbst. Es begründete sich ja eben durch die politische Form eines Gemeinwesens, das sich durch seine Befestigung und seinen Staat die Form seines Willens und Geltungsbereichs gegeben hatte: Den Entschluss seiner Rechtschaffenheit in der Güte einer allgemein gültigen politischen Macht, die ihre Märkte vor äußerer Willkür bewahrt. Auf den Marktflecken ginge es ziemlich wild und brutal zu, wenn jeder den anderen übervorteilen, korrumpieren oder hintergehen würde. Marktwirtschaft könnte da nicht funktionieren, denn die Warenbesitzer könnten ihre Güter nicht wirklich tauschen, würden keine sachadäquaten Preise und Beziehungen finden und sich vor Willkür und Gewalt fürchten müssen und den hohen Zweck ihres Tauschhandels - die Bewertung und Wertbildung des gesellschaftlichen Reichtums durch die Verwertung seiner Ressourcen - nicht verwirklichen können.

Der Staat soll der Burgherr sein, der den willentlichen Entschluss seiner Bürger verfasst und schützt und der zumindest die Form der Entwicklung bestimmt, soweit er nur die entsprechende Gewalt inne hat, um die von außen einbrechenden Gefahren seines Gemeinwesens zu beherrschen und dessen innere Nöte zu bewältigen. Wie immer das Marktgeschehen sich entwickelt: Die Macht im bürgerlichen Staat ist in letzter Konsequenz die Verfügung über die Mittel der Gewaltanwendung, die ihm per Wahlentscheid überlassen wird. In ihm versteht sich der Bürger selbst als politisch aufgeklärtes Subjekt, das im Sinne dieser Gewalt seine Existenz beschließt und entscheidet und sich aus den Niederungen seiner existenziellen einzelnen Abhängigkeiten herausgesetzt wissen will. Von daher ist er mit der Staatsgewalt verbündet, die er allein als die Allgemeinheit seiner selbst versteht und sie wie sich selbst gleichermaßen befähigt sieht, das allgemein Gute zu befördern. Seine individuelle Existenz strebt geradezu zu diesem Gemeinwohl, um im Existenzkampf der Konkurrenzen und Risiken ein Ende abzusehen, angesichts einer Gegenwart, die in solcher Gesellschaft doch tatsächlich sehr belastend und vor allem riskant ist (10).

Im Gemeinwohl formuliert sich eine gesellschaftliche Glücksverheißung, wie sie sich politisch schon seit Adam Smith als Marktversprechen der bürgerlichen Gesellschaft, als implizites Resultat eines allgemeinen Wohlstands vorstellen lässt, als Segen aus einer "unsichtbaren Hand" des Marktes, einer letztlich sich bereichernden Entwicklung der Gesellschaft durch die Win-Win-Verhältnisse des Warentauschs, die damit beschworen sind. Und in den Grundgesetzen der entsprechenden Staaten wird auch behauptet, dass sie sich allgemein durchsetzen ließen, wenn jeder Mensch sich ihrem hohen Wollen, den Prinzipien ihrer Werte, unterordnen würde und wenn jeder begriffen hätte, was dem würdig ist und was nicht (11). Nach der bayerischen Verfassung soll das Gemeinwohl selbst auch schon unmittelbares Ziel der Wirtschaft, ihr allgemeinster Zweck sein. Dort heißt es in Artikel 151:

"Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl".

Doch auf der anderen Seite stehen die Looser. Und das ist auf den Umfang der Märkte bezogen immer die große Mehrheit der Bevölkerung. Der Reichtum für alle will aus unerfindlichen Gründen nicht gelingen. Immer obsiegen nur die Besitzer der Produktionsmittel, welche über die Ökonomie der Produktivkräfte und über die allgemeinen Güter des Selbsterhalts verfügen. Die Sache mit dem Gemeinwohl hat einen Haken: Sie ist ungerecht und also auch unethisch.

Die Diskussionen des 18. und 19. Jahrhunderts über “ethische Demokratie“ und “Gemeinwohlökonomie“ bewegen daher auch wieder viele Menschen, die angesichts der auseinander fallenden Nationalinteressen die Gewalt der zerstückelten Sonderinteressen, der Egoismen und der Machtgier der Kapitalbesitzer fürchten müssen. Sie kreisen um Gemeinwohl, Solidarität und politische Moral und bestehen vor allem aus der Behauptung, dass Kapital dann “gerecht“ wäre, wenn es hohen moralische Werten entsprechen würde, einer Moral, die dem Finanzkapital den Garaus macht und von den Bürgern als „ihr Kapital“ zu nutzen wäre, so als könnten sie politisch bestimmen, was es ihnen erbringen soll, auch wenn es den Verwertungsinteressen in der ihm entsprechenden Konkurrenzlage, dem Auf und Ab seiner Profitrate folgen muss. Die alt eingesessene Ideologie von einer höheren Nützlichkeit des Kapitals wird dabei mit dem Genossenschaftsgedanken unterlegt, dass die arbeitenden Menschen als Teilhaber des Kapitals ihrer Ausbeutung entgehen würden, also Gesellschaft dann so etwas wie eine Gemeinwohlökonomie wäre, in der alle Beteiligten im Gelderwerb “solidarisch“ zueinander stehen könnten, wenn sie ohne zu konkurrieren demselben Gemeinwesen durch ein gemeinsames Wollen zu Diensten sind. Es ist die Vorstellung von einem Handel ohne Konkurrenz, der durch eine ethisch begründete Marktwirtschaft zu machen sei, der Handel, welcher die Macht seines allgemeinen Wesens, der sachlichen Wertbildung, in einem politisch bestimmten Gemeinwesen, also durch Wertbildung des politischen Willens selbst überwinden könnte (11a).

Es verdeckt diese Vorstellung - die Ideologie vom gerechten Gemeinwesen - aber gerade das, was in den Lebensbedingungen der Menschen selbst das Material einer gesellschaftlichen Veränderung wäre: Das Potenzial der Produktivkräfte des gesellschaftlichen Wohlstands gegen die Unangemessenheit der politischen Form des Kapitalismus. Stattdessen sollte der politische Wille eben dieser Gesellschaftsform, welche die Menschen zur Sache zwingt, ein Gemeinwohl befördern, das nur Vorstellung ist. Es waren schon die Frühsozialisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Auffassung, dass eine Veränderung der Welt nicht aus der gegenwärtigen Welt selbst schon hervorgehen könne, sich also nicht aus der Auflösung ihres immanenten Widerspruchs ergeben könne, sondern dass eine Aufhebung der bestehenden Gesellschaft nach ihrer Auffassung nur der Allmacht ihres guten Willens geschuldet sei, der Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen rein politisch besorgen könne. Über solchen Glauben an den politischen Willen hatte Karl Marx zur Mitte des 19. Jahrhundert geschrieben:

"Das Prinzip der Politik ist der Wille. Je einseitiger, d.h. also, je unvollendeter der politische Verstand ist, um so mehr glaubt er an die Allmacht des Willens, um so blinder ist er gegen die natürlichen und geistigen Schranken des Willens, um so unfähiger ist er also, die Quelle sozialer Gebrechen zu entdecken." Karl Marx in Kritische Randglossen zum Artikel eines Preußen (Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 402)

Die soziale Not, welche die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft erfahren, geht in den politischen Entschluss nur als Bewältigung einer Störung ein, die für das Staatsganze notwendig geworden ist. Sie ist damit schon von vorn herein aus ihrem materiellen Zusammenhang herausgenommen, abstrahiert von diesem, und wird also auch nur in ihrer Vereinzelung wahrgenommen und in ihrer Selbständigkeit zum Gegenstand seines politischen Willens. Das entspricht ihm allerdings auch sehr wohl. Denn es handelt sich hier um eine Gesellschaft, deren Zusammenhang auch wirklich nur abstrakt vermittelt ist, sich nur über Geld verbindet, worin die gesellschaftlichen Zusammenhänge allein wirklich existieren und für die Menschen unwirklich bleiben, nur hinter ihrem Rücken sich vollziehen. Im Geld manifestiert sich der Zusammenhang der Güterproduktion, der Kapitalzusammenhang. Und indem Geld die wirkliche Macht zur Bestimmung des gesellschaftlichen Fortschritts hat, in der Geldform allein der Vorschuss für diese Entwicklung möglich ist und auch nur zu dem Zweck, aus Geld mehr Geld zu "erwirtschaften", kann der Fortschritt auch nur ein Fortschritt des Geldes - und das ist die Geldverwertung - sein. Im Kapitalismus erscheint das praktisch Notwendige also tatsächlich nicht als gesellschaftliche Not, sondern nur als Sachzwang einer Finanzwirtschaft, welcher dort Probleme aufwirft, wo die Menschen ihm nicht folgen, z.B. nicht genug arbeiten oder nicht genug konsumieren, um den Verwertungstrieb des Kapitals zu befriedigen, - wo sie ihn also nicht zu realisieren vermögen, sobald dem Geld das reale Äquivalent in der Warenwirtschaft ausgeht oder unerschwinglich wird. (12)

Ein in seiner politischen Form verselbständigter Wille will jedoch von all dem nichts wissen, weil er sich im Zweck des Gemeinwohls darüber erhoben hat. Er ist hiergegen gleichgültig und doch zwingend, absolut und relativ zugleich, denn er muss die Menschen beugen, indem er einen hohen Zweck vorstellt. Er ist daher notwendig doppelbödig, die leibhaftige Selbstbehauptung eines möglichen Handelns, dem er sich zugleich ergeben muss wie ein Knecht, der als sein eigener Herr erscheinen mag. Es ist der Begriff für einen Gemeinsinn, der alles betrifft, sich aber nicht aus allem zugleich begründen kann. Wie aber soll sich das in der Wirklichkeit überhaupt umsetzen lassen? Wie soll ein solcher Sinn, der nicht als das wirklich sein kann, was er betreffen soll, überhaupt allgemein verfasst werden?

Gemeinwohl ist die Ideologie einer allgemeinen Vernunft

Solange die Menschen nicht ihre wirklichen Verhältnisse als Grundlage ihrer Beziehungen ansehen, beziehen sie sich in der Erwartung eines irgendwie gelingenden Verhältnisses aufeinander. Das war in der Gründungszeit der bürgerlichen Gesellschaft, in der Zeit der Aufklärung, die Vorstellung von höheren Werten, durch welche ein richtiges, ein vernünftiges Verhältnis zu gestalten sei, ein Verhältnis, in welchem mündige Bürger sich zu einem vernünftigen Zusammenleben entscheiden können, in dem sich ihr Wille frei darstellen kann, auch wenn sie hierbei von ihren wirklichen Voraussetzungen, ihren existenziellen Lebensbedingungen absehen. Von daher wurde eine hiergegen selbständige Rechtsform aus einem Kalkül der praktischen Vernunft geschaffen, die das, was als Gut gelten soll, auch zu bewerten habe, die also Werte aus der Vorstellung eines allgemeinen Wollens bestimmen. Sie gründet auf der Vorstellung, dass der einzelne Mensch selbst schon das allgemein Menschliche darstellt und daher im Grunde das allgemein Gute für eine menschliche Gesellschaft wolle, das er schließlich in seinem Staat auch finden könne, wenn er darin eigenständig, also als der Einzelne, der das Allgemeine gründet, sich verfassen kann. Es war der Grundgedanke der Aufklärung, den Immanuel Kant in seinem Kategorischen Imperativ als Prinzip eines „ewigen Friedens“ verfasst hatte. Da heißt es:

"Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." (Immanuel Kant, § 7 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft in der Kritik der praktischen Vernunft S. 36)

In diesem Imperativ ist der Einzelne unter einer Maxime verfasst, die seinen Willen in der Vorstellung eines Allgemeinwillens formuliert, einer Maxime, die er in der Vorstellung durch sich begründet sieht, sofern er sich dieser Vorstellung zugleich beugt. Es ist also eigentlich die Umkehrung seines Willens, der dem Allgemeinen in der Vorstellung schon gehorsame gemachte Wille, der eigentlich kein Wille sein kann, wenn er einer Maxime für alle folgen muss. Nicht die Wirklichkeit der Einzelnen kann diese Maxime begründen. Die Einzelnen selbst können ihren wirklichen Willen nur als Maßnahme einer vorgestellten Maxime verwirklichen, die dann auch als allgemein Vernunft angenommen wird. (13)

Es ist das elementare Problem des Bürgertums, dass dessen Demokratie sich durch Vernunft selbst begründen soll, sich aber gar nicht selbst verfassen kann, weil sie ein bestimmtes kulturelles und ökonomisches Sein zu reflektieren hat, das auch nur als solches bestimmt werden muss. In der Form eines Imperativs bliebe Politik auf die Vorstellung der Maxime beschränkt und also notwendig unwirklich, unbestimmt. In der Auseinandersetzung über ein bestimmtes Sein kann das Allgemeine nicht bestimmend sein, in Wahrheit also auch nicht als politische Form bestimmt sein. Bestimmt werden kann nur dort, wo die Verhältnisse auch wirklich bestimmte Verhältnisse sind – z.B. am Wohnort, im Betrieb, in den Kommunen und Regionen usw. (14)

Dennoch funktioniert eine dermaßen formalisierte Demokratie zumindest solange, wie sie für eine bestimmte Existenzform sachlich nützlich ist. Ein allgemeiner Nutzen ist nichts anderes als die Verallgemeinerung jedes einzelnen Nutzens, dem Nutzen einer Allgemeinheit also, die von allen bestimmten Inhalten absieht: Geld. Geld muss man haben, um sein Tun und Lassen in der bürgerlichen Gesellschaft demokratisch begründen zu können (15). Mit Geld kann man sich alles vorstellen, was Wohlgefühl beschert, und wer es hat, der kann es verwirklichen. Verborgen bleibt nur, wie es erworben wird und wodurch es seinen Wert wieder verliert. Geld stellt in der Tat das allgemeine Wohl vor, und kann daher auch die Vorstellung des Allgemeinwohls beflügeln, weil damit ja selbst schon das Reale zum Ideal wird. Und das beides eben, das Reale und das Ideale ist es, was die bürgerliche Gesellschaft in Gang hält, auch wenn es sich nur in der Trennung verwirklichen kann, einerseits als bestimmte Einzelheit und Vereinzelung des Lebens, und andererseits als vorgestellt Allgemeinheit eines gesellschaftlichen Zusammenhangs. Das Gemeinwohl ist der ideelle Ausdruck der Geldverhältnisse, und ihm entspricht daher auch die ausschließlich repräsentative Politik des bürgerlichen Staates. In der Güte des Geldbesitzes ist man sich einig. Und der Rest ist eine Gewissensfrage, also das, was nicht wirklich gewiss sein kann. (16)

Das Gemeinwohl, so ideal es sich begründen lassen mag, ist letztendlich die Ideologie des Geldbesitzes. Mit ihm lässt sich Gutes tun, wenn man davon absieht, wie Geld geschaffen und erworben werden muss. Als Ideologie richtet sich das Gemeinwohl daher gegen die, welche dies ertragen müssen: Die Menschen, die sich ohne Geldbesitz von der Hand in den Mund durchschlagen müssen und zum permanenten Gelderwerb und Geldverlust, zur Lohnarbeit nur für das Nötigste zum Leben gezwungen sind, wenn sie nichts anderes besitzen als ihre Arbeitskraft. Wenn sie nicht einer besser gestellten Schicht zugehören, können sie immer nur dasselbe bleiben, zu was sie da sind. Sie sind gezwungen, lohnabhängig und politisch wirkungslos zu sein, weil der gesellschaftliche Reichtum ihrer Arbeit entzogen wird und ihnen entzogen bleibt, so lange sie dem vereinzelt überlassen sind. Der Traum vom reich gewordenen Tellerwäscher ist längst ausgeträumt. Doch er bleibt der implizite Inhalt eines Gemeinwohlgedankens, indem er die Möglichkeit einer Bereicherung den Individuen durch den vollen Einsatz der eigenen Arbeitskraft allgemein vorstellt und behauptet. Das Gemeinwohl dient damit der Rechtfertigung des politisch Allgemeinen, dem bürgerlichen Staat überhaupt, der schon immer seine Ideale darin formuliert hat. Es sind die Ideale der politischen Klasse, die sich ihrer Lebensbedingungen nicht mehr bewusst werden muss, weil sie selbst Wirklichkeit und Geschichte ihrer ökonomischen Verhältnisse aus ihrem Willen zu bestimmen scheint, während alleine sie die ökonomische Macht hat, sie auch wirklich bestimmen zu können (17). Im Staat sieht sie den Garanten ihrer Wohlfahrt und ihre Welt als die Welt des allgemeinen Wohls schlechthin, zu der alle beizutragen haben, die guten Willens sind. Die ganzen Fundamentierungen der bürgerlichen Gesellschaft durch die Ideologie des Gemeinwohls haben nur den einen Sinn: die Logik ihrer Verhältnisse als politisch notwendige Form ihrer Sachverhältnisse, ihrer Ökonomie, also als politisch - und von daher auch menschlich - bestimmte Rechtsform zu legitimieren und mit ihren politischen Institutionen durchzusetzen. Es ist dies die allgemein politische Unterwerfung des isoliert existierenden Einzelnen unter die Gesamtheit eines Willens, welcher als allgemeiner Status, als Staat, die Eigentumsverhältnisse allgemein vertrtitt.

"Hier wird also der Wille der Gesamtheit geltend gemacht gegenüber dem Willen des vereinzelten Einzelnen. Da jeder der mit sich einigen Egoisten mit den Andern uneinig werden und damit in diesen Widerspruch treten kann, muß der Gesamtwille auch einen Ausdruck haben gegenüber den vereinzelten Einzelnen - "und man nennt diesen Willen den Staatswillen" (p. 257).

Seine Bestimmungen sind dann die rechtlichen Bestimmungen. Die Exekution dieses Gesamtwillens wird wieder Repressivmaßregeln und eine öffentliche Gewalt nötig machen. "Vereine werden dann auch in dieser Sache" (dem Eigentum) "die Mittel des Einzelnen multiplizieren und sein angefochtenes Eigentumsicherstellen" (garantieren also garantiertes Eigentum, also rechtliches Eigentum, also Eigentum, das Sancho nicht "unbedingt" besitzt, sondern vorn "Verein" "zu Lehen trägt"). p. 342. Mit den Eigentumsverhältnissen versteht sich dann, daß das ganze Zivilrecht wiederhergestellt wird." (MEW 3, S. 384)

Der Streit um den rechten Staat

Bei den politischen Bewegungen gegen den Kapitalismus war oft auch die Behauptung im Vordergrund, man könne durch Politik die Ökonomie zugunsten der Menschen bestimmen, auch wenn sie selbst weiterhin über Geld und Warentausch betrieben würde. Eine neuere Variante hiervon ist die bei Attac diskutierte Gemeinwohlökonomie, die sowohl dem sogenannten „Extremkapitalismus“ als auch den sogenannten realsozialistischen Modellen der Planwirtschaft entgegengehalten wird. Sie wurde von Christian Felbers in seinem so auch betitelten Buch vorgestellt und will „Das Wirtschaftsmodell der Zukunft“ sein, indem sie sich auf den „Hausverstand“ beruft, wie Felbers das nennt, dass nämlich derjenige „Wettbewerbsvorteile“ genießen soll, der „sich sozialer, ökologischer, demokratischer verhält ... als der Asoziale und Rücksichtslose“ (S. 28). Um dieses Verhalten zu bestimmen, soll eine Gemeinwohlbilanz die Maßstäbe setzen, so dass dem „Überschießen des Kapitalismus“, das als „Maßlosigkeit und Gier erlebt wird, ein Ende gesetzt“ wird. Man benötige hierfür lediglich ein neues Gremium, einen Wirtschaftskonvent, der das Gemeinwohl aus den diversen Nebenbilanzen der Betriebe ermittelt, in denen diese ihren Bezug auf ein Gemeinwohl und ihre soziale Verantwortlichkeit ja heute schon beschreiben und bewerben. Er schreibt:

„Die Gemeinwohlbilanz übersetzt die zentralen gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die im Wirtschaftskonvent definiert wurden, in messbare Kriterien. Dadurch kann klar und unmissverständlich festgestellt werden, wie sozial verantwortlich, ökologisch nachhaltig, demokratisch und solidarisch ein Unternehmen sich verhält. Eine Fülle einleuchtender Kriterien ist bereits in Nebenbilanzen elaboriert worden, und je klarer eine demokratische Gesellschaft ihr Augenmerk auf das Finden dieser Kriterien lenkt, desto zielgenauere und feinere Kriterien werden auch gefunden werden - so wie physikalische Messinstrumente immer feiner werden, weil genügend Menschen ausreichend lange daran tüfteln.“ (Christian Felbers: „Gemeinwohlökonomie - Das Wirtschaftsmodell der Zukunft “ S.28)

Eine solche Gesellschaft der Tüftler und Maßnehmer wird wohl schneller eine Gesellschaft der Spießer und Stänker sein, als es die sogenannten realsozialistischen Gesellschaften mit ihrer Planwirtschaft je gewesen sind. Man stelle sich das nur mal vor: Die Imagepflege, wie sie heute schon von transnationalen Konzernen betrieben wird, soll zur Gesellschaftsform der Zukunft werden, indem sie deren Eigenmaß nicht nur sozial formuliert sondern auch zum Maß für alle machen soll. Mit einer darauf reflektierenden "Gemeinwohlbilanz" soll alles behoben werden, was der Kapitalismus so mit sich bringt: Risiko, Konkurrenz und Wertwachstum. Marktsozialismus sei die Lösung: Die politisch-moralisch angeführte Marktwirtschaft in einem Sozialstaat der seine Werte zu bilanzieren habe (17a). Es ist dies eine besonders naive Variante des Gedankens, dass bürgerliche Wirtschaft durch politische Kriterien sozusagen sich vermenschlichen lasse. Ausführlicher hat sich Andreas Exner damit auseinandergesetzt in den "Streifzügen Nr. 51/2011".

Wer das Verwertungsprinzip der Marktwirtschaft nicht begreifen kann, wird immer an den guten Willen der Menschen appellieren, der die Maßstäbe für die Verwertung zu vergeben habe und der zugleich auch gegen den bösen Willen - gegen die Gier - anzukämpfen hat. Es bleibt bei diesem neu gefassten Bürgerglück natürlich alles beim Alten. Aber dies erscheint nun im Glanz wohltuender Gemeinschaftlichkeit, weil es durch die Vernunft eines Gemeinsinns bestimmt sein soll und sich als ökologisch bedenkenlos und als maßvoll labeln lässt – was ja längst politisches Selbstverständnis der repräsentativen Demokraten ist. Solche Labels werden längst gefördert und Mietspiegel zur Maßhaltigkeit der Mieten angelegt, und wenn es auch dabei bleibt, dass schon mal der halbe Lohn von jemandem kassiert wird, der nichts anderes tun muss, als sein Haus zu erhalten – oder auch nicht.

Gemeinhin resultiert der Anspruch auf eine bessere Wirtschaft aus der Unkenntnis, was die Wirtschaft in Wahrheit dazu bestimmt, die Menschen zum Objekt ihrer Gewalt zu machen. Sind es die Produkte oder ist es der Zweck, in welchem sie produziert oder ist es die Form, in welcher ihre Produktion bestimmt ist und angeeignet wird? Ist es die reine Produktionsbeschleunigung, die durch die Menschen veranlasst ist, oder ist es das Maß der Kapitalverwertung, die durchschnittliche Arbeitszeit, die darin aus den konkurrierenden Kapitalformationen gepuscht wird? Ist es das Mehrprodukt, das die Menschen auspresst, oder der Mehrwert, der ihrer Arbeit entzogen wird? Ist es das Übermaß der Produkte, das durch die Gier der Menschen entsteht, oder ist es die Überproduktion, die durch die Beschränkung der Löhne entsteht? Zwischen allem steht eine unbekannte Größe, die beständig anders sich verhält: die Verwertungsgröße, die Mehrwertrate.

Natürlich gibt es immer einen Spielraum der Alternativen, wo es verschiedene Angebote gibt, und natürlich entscheidet die Nachfrage, welcher Nutzen dem anderen vorgezogen wird und welche Preise sich daraufhin realisieren lassen. Man kann sich politisch zwischen der Förderung von Sonnenenergie oder Atomstrom, zwischen Bioproduktion oder Produktion einer landwirtschaftlichen Industrie, zwischen Kraftstoff aus Erdöl, biologisch erzeugtem Ethanol oder elektrischem Strom entscheiden. Doch all dies ist der Verwertungsgröße an und für sich egal, weil diese die Wirtschaft immer auf einen durchschnittlich notwendigen Arbeitsaufwand herunterrechnet, der ihren Wert und das Geld, den Lebenssaft des Kapitalismus, liefert. Es mag Fortschritte im Lebensstandard geben, wo sich vernünftigere Produkte erzeugen lassen. Für das Kapital zählt aber nur, was deren Erzeugung an Geld erwirtschaften lässt, was also an Arbeit verfügbar gemacht oder auch, was damit an Arbeit im Vergleich mit dem Konkurrenten eingespart werden kann. Doch all dies verschwindet im Verwertungsinteresse, im Verwertungsprinzip, das sich allgemein durchsetzt und jedes Gemeinwohl auf den selben Nenner reduziert: Auf seinen Wert, wie er sich im Warentausch beständig erzeugt und bewegt, wie er Existenzen auf- und untergehen lässt und Betriebe durchsetzungsfähig macht oder sie ihrem Risiko opfert und Währungen drosselt oder anheizt. Das hat nichts mit dem Willen der Menschen oder mit repräsentativer Politik zu tun und schon gar nicht mit einem Gemeinwohl, das immer sich gegen das allgemeine Unwohlsein vorstellen lässt.

Die Politik für das Gemeinwohl beruht auf dem Bild von einem Menschen, der sich in seiner politischen Allgemeinheit willentlich definiert, dessen Lebensweise und Moral sich politisch allgemein bestimmen lässt, und der sich in seiner Lebenswirklichkeit auch danach richtet oder zu richten hat. Solche Politik ging in ihrer Selbstbegründung schon öfter soweit, jene Menschen zu Untermenschen zu machen, die sich in dieser Vorstellung nicht verwirklicht begreifen können oder wollen. Und sie war zwangsläufig auch immer nur auf das politische Ganze des bürgerlichen Gemeinwesens, auf den Staat als solchen, auf die Nation bezogen. Offen oder unterschwellig hatte hierbei der Nationalismus eine wesentliche Bedeutung. Denn nur die Nation als politische Form der Wirtschaft kann von ihren Bürgern politisch beeinflusst werden, während die nationale Wirtschaft immer auf die ganze Welt bezogen bleibt (18).

Subjekt dieser Verhältnisse ist die Einheit von politischer und wirtschaftlicher Macht, also das Kapital und seine Entwicklungsinteressen, die Verwerung von Geldanlagen. Als Objekt solcher Herrschaftsform müssen sich die Menschen gegen diese Wertform als solche wehren, um die realen Produktionsverhältnisse sich anzueignen. Der Staat steht nicht dafür und begründet sich auch in seiner Verfassung weder als Subjekt, noch als Objekt solcher Formen. Die Emanzipation der Menschen gegen die Formationen der Verwertung ihres Lebens kann nur durch die Absage an diese, durch die Kritik der politischen Ökonomie, durch die Aufhebung ihrer Wertformen geschehen. Ansprüche an den bürgerlichen Staat als solchen geraten daher immer selbst zu einer Fata Morgana eines Gemeinwohls, das jenseits des wirklichen Gemeinwesens halluziniert wird. Der Staat ist ein modernes Produkt, der mit der Entwicklung der Märkte erst entstanden ist. Er wird nichts anders sein können, als der Wächter über ihre Wertform, obwohl er sich in seinem politischen Willen sozial oder gar sozialistisch legitimieren kann. Auch wenn er sich als abstraktes Gemeinwesen selbständig gemacht hat, so ist seine Basis immer noch die eines jeden Gemeinwesens: das materielle Lebensverhältnis der Menschen in ihrer Gesellschaft.

„Das materielle Leben der Individuen, welches keineswegs von ihrem bloßen Willen abhängt, ihre Produktionsweise und die Verkehrsform, die sich wechselseitig bedingen, ist die reelle Basis des Staats und bleibt es auf allen Stufen, auf denen die Teilung der Arbeit und das Privateigentum noch nötig sind, ganz unabhängig vom Willen der Individuen.

Diese wirklichen Verhältnisse sind keineswegs von der Staatsmacht geschaffen, sie sind vielmehr die sie schaffende Macht.

Dasselbe gilt von den beherrschten Klassen, von deren Willen es ebenso wenig abhängt, ob Gesetz und Staat bestehen. ...

Die oberflächlichste Betrachtung der Gesetzgebung, z. B. der Armengesetzgebung in allen Ländern, wird zeigen, wie weit es die Herrschenden brachten, wenn sie durch ihren bloßen Herrscherwillen, d. h. als nur Wollende, irgendetwas durchsetzen zu können sich einbildeten.“ (Karl Marx und Friedrich Engels in Die deutsche Ideologie - Marx-Engels-Werke Bd.3, S. 311)

Der bürgerliche Staat kann sich nur politisch zu der ihm unterstellten Ökonomie, nur als politischer Wille und hierauf beschränkt verhalten und wird schon deshalb keine Politik betreiben, welche die herrschende Ökonomie, die politische Ökonomie, die er selbst in seiner Repräsentation durchzusetzen hat, aufheben könnte. Er kann seine Politik nicht auf die Verwirklichung der Potenziale der Wirtschaft, der gesellschaftlichen Produktivkräfte konzentrieren, auch nicht, wenn er sich sozialistisch und planend, also durch Planwirtschaft darauf bezieht. Er ist als das Allgemeine einer Waren produzierenden Gesellschaft immer von den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Menschen getrennt, die sich daher auch nicht wirklich in ihm verfasst wissen können. Was für die Menschen richtig wäre, kann für den Staat nur eine Formalität sein, die ihm zwar eine Position abverlangt, aber keine wirkliche Notwendung, welche den Notwendigkeiten der Bevölkerung wirklich und vollständig entsprechen könnte (19).

Die Kommune als erneuerte Form der Allmende

Das Kapital ist ohne die Menschen nichts. Im Grunde sind ja nicht sie von ihm abhängig, denn in Wahrheit produziert es nichts. Es legt Geld an in Produktionsmittel und Arbeitskräfte und plant die Produktlienen und verwaltet die Arbeitsstätten und lässt arbeiten. Es vernutzt die Lebenszeit der Menschen und es verwendet sein Geld als Macht zur Beherrschung seines Risikos und zur Verfügung über die Dinge und Kräfte der Welt und zur Verfestigung seiner Gewalt über alle Existenzformen des Lebens. Es zehrt von den Teilungen und Trennungen, die es weltweit erzeugt und perpetuiert, von der Ohnmacht, die es den Menschen zufügt und von der politischen Macht der Staatsagenten, die ihre Bevölkerung als Bürgen ihrer Kapitalanleihen auf Generationen hin verbrauchen und weiterhin von den Bürgerinnen und Bürgern sprechen, weil dies eben immer noch mit der Vorstellung von einem Gemeinwohl verbunden ist.

Der Zynismus, der in der Vorstellung des Begriffs Gemeinwohl herrscht, wird dabei von selbst klar: Es kann sich nur um das Wohl des kapitalistischen Staates - und das ist inzwischen vor allem das Wohl der bezahlten Staatsschulden - handeln, das aus den Menschen ausgepresst wird – und das solange auch so sein wird, solange sie an dieses Wohl glauben. Wenn es aber gelingt, solche Illusionen als Illuminationen des Kapitals aufzuzeigen, kann den Menschen bewusst werden, dass sie ihre Ohnmacht in eine Macht von eigener Natur gegen das Kapital und seine Schergen wenden müssen, um dem ganzen Spuk ein Ende setzen.

Es hat sich gezeigt, dass der Staat zwar gerne das Wohl der Bürger als sein höchstes Ziel vorstellt, dass er hierfür aber ganz offensichtlich nichts mehr tun kann. Im Gegenteil. Mit der Totalisierung der Globalisierung hat er zunehmend die Funktion eines Feudalherrn übernommen, der seine Bürger zwingt, für die Verwertungsinteressen des Finanzmarkts der Welt zu fröhnen. Doch es sind keine Landarbeiter mehr, die er als Leibeigene sich unterwirft. Diese Bürger können sich wie Kleinbürger verstehen, weil die Lebensmittel, die sie verbrauchen, die Kleider, die sie tragen, ihre Kommunikations- und Unterhaltungsgeräte und die Spielsachen ihrer Kinder zum großen Teil in Ländern erzeugt werden, in denen ein Lebensstandard weit unter dem ihren herrscht. Ihre Arbeit ist großenteils Dienstleistungsarbeit und dennoch sind ihre Löhne im Durchschnitt auf niederem, für die Mehrzahl aber immer noch erträglichem Niveau. Und sie verschwinden zu großen Anteilen auch nicht in Lebensmittel, sondern in Gebühren, in Mieten, Pachten und Lizenzen, die relativ wenig mit Sachleistungen zu tun haben.

Und also erfahren sie die Unerbittlichkeit der Kapitalverwertung auch hierüber in ihren Lebensräumen, in der Verödung ihrer Städte und Regionen und ihrer Lebensverhältnisse überhaupt, die Beherrschung ihrer Lokalitäten und Lebensumstände und Arbeitsstrukturen. Während es der noch verbliebenen Industrie, besonders der pharmazeutischen, Maschinenbau-, Militär- und Automobilindustrie, immer besser geht, so weit sich ihre Produkte auf dem Weltmarkt gut verkaufen lassen, geht es den Kommunen immer schlechter, weil sie ihre eigene Reproduktion kaum mehr bewerkstelligen können, aber dafür gerade stehen müssen. Die Auspressung des großen Teils der Menschen geschieht über die Verhältnisse in den Kommunen, denen wenig Wert zurückvermittelt wird von dem, was durch ihre Reproduktionsleistungen an Mehrwert gebildet werden konnte. Sie sind hierzulande ähnlich bestimmt wie anno dazumal die bloße Arbeitskraft. Die großen Arbeitsleistungen erbringen Roboter und immer weniger Menschen haben daran teil. Ein kleiner Anteil der Bevölkerung arbeitet für die Industrie, die sie in Deutschland an die Weltspitze des Maschinen-Exports gebracht hat. Zudem ist es die drittstärkste IT-Nation der Welt, einer Branche, die gerade mal von 650.000 IT-Spezialisten in Schwung in Deutschland gehalten wird. Aber die Profite werden zum großen Teil in die Finanzmärkte auf der ganzen Welt investiert, wo sie in einem unsäglichen Kredit- und Aktiensystem verschwinden, das mit der Realwirtschaft reichlich wenig zu tun hat. Es dient einer fiktiven Geldmasse, die vor allem Macht über alle Risiken darstellen soll und zugleich das größte Risiko der Menschheit ist. Von daher muss dieses System machtsüchtig und zugleich gewalttätig sein und die Menschen auch hierauf einstimmen. Das ökonomische System der bürgerlichen Gesellschaft hat sich insgesamt in einen weltweiten Feudalkapitalismus verflüchtigt.

Die Kommunen werden in dem ausgeplündert, was auch immer in den Lebenszusammenhängen der Menschen dort entstanden ist und immer wieder entsteht. Hier werden die gesellschaftlichen und natürlichen Substanzen ausgeblutet und das Feudalkapitalismus als Macht über das Leben der Menschen unmittelbar erfahren. Und hier entsteht auch der Widerstand gegen diese Verhältnisse. Die Wut ist da und damit auch der Protest an allen Nahtstellen der politischen Macht. Doch die ökonomische Macht, welche die Kommunen als gesellschaftlicher Lebensraum der Menschen auch wirklich haben, ist noch weitgehend unbewusst. Aber gerade hier könnten Politik und Ökonomie wieder zusammentreffen.

Im Widerstand gegen den Feudalkapitalismus muss es daher um eine ökonomische Politik gehen, wodurch die politische Macht eines jeden Gemeinwesens sich ökonomisch gestalten lässt, wenn sie sich soweit industrialisiert, wie es zumindest für ihren Selbsterhalt nötig ist. Es geht nicht um wohligere Inhalte der politischen Ökonomie, sondern um eine ökonomische Politik im weiten Sinne des Wortes, in welcher eine Gesellschaft von ihrer natürlichen Seite, von ihrem reinen Stoffwechsel her, zugleich als politisches Gemeinwesen zu begreifen ist, das auch seine Entwicklung und Zukunft bestimmen kann. Der Staat kann das nicht, weil er immer nur repräsentativ funktioniert. Was immer man unter Staat verstehen mag, er dürfte nichts anderes sein, als ein Gemeinwesen, das die Menschen aus ihrer Wirtschaft heraus selbst verfassen. Von daher ist er nichts anderes als die Kommune oder eine Form, worin sich Kommunen aufeinander beziehen. Nicht die Staaten, die Kommunen müssen sich auf der ganzen Welt verbinden und ihre Arbeiten und Bedürfnisse, ihre Geschichten und Kulturen miteinander vernetzen. Darüber soll es in unserer nächsten Sendung gehen mit der Frage: Was könnte eine internationale Kommunalwirtschaft sein?

 


Fußnoten:

(0) Die Bürgergesellschaft soll das allgemeine Wohl befördern. Was bei dieser Ausgrenzung von religiösen Kultstätten allerdings als Gemeinwohl gelten soll, lässt sich schwerlich ausmachen. Das war purer Populismus und verunmöglichte es Menschen, die zur Arbeit angeworben waren, ihr religiöses Brauchtum auszuüben. Natürlich wird sich immer eine Mehrheit gegen eine Minderheit finden, wenn sie aus irgendwelchen Gründen nervt. Das kann man in jeder Hausgemeinschaft so haben. Und natürlich wird man den Bau eines Tunnels akzeptieren, wenn damit der Verkehr beruhigt wird und das Geld hierfür vorhanden ist. Es ist ganz einfach. Hat aber nichts mit Gemeinwohl zu tun. Das Stimmverhalten der Mehrheit wird umso gemeiner gegen Minderheiten, je größer der Abstand der Mehrheit und je oberflächlicher die Wahrnehmung von ihnen ist.

(1) Die Beförderung des Gemeinwohls wird von allen politischen Parteien als Zweck ihrer Politik verstanden, und so muss jede die besondere Art ihrer Haltung zu den Problemen der Gegenwart vorstellen und bewerben. Und dies gilt auch als Begründung für die ideologische Ausrichtung ihrer Politik, je nach dem, wie sie deren Wirkung für den Wohlstand der allgemeinen Verhältnisse einschätzen und welchem überwiegenden Interesse sie gerade entspringen und dienen.

(2) Es ist das Geschäft der Repräsentation, sich gut und honorig und gesellig darzustellen, um dann durchzusetzen, wofür man in Wirklichkeit steht: Für das Wohl einer institutionalisierten Allgemeinheit. Und diese ist eben vor allem das Wohl der Geldverhältnisse selbst. Doch die Verwechslung von einem Gemeinwohl der Bürger mit dem Wohl der Konjunktur der Geldverhältnisse kommt nicht von ungefähr; sie ist schon in dem angelegt, was das Gemeinwohl selbst sein soll: Das Wohl einer Allgemeinheit überhaupt, sei sie institutionell oder ökonomisch oder politisch oder kulturell oder sozial. Doch diese Allgemeinheit gibt es nicht wirklich. Sie gibt es ideell in den Gesetzen und Vorstellungen von einer Gesellschaft, die wohltuend für jeden sein will, obwohl oder gerade weil sie im Einzelnen von ihm alle Kraft einfordert, die sie erzwingen muss. Ein allgemeines Wohlsein wäre ja auch schon vom Begriff her widersinnig, weil es ja dann auch nur das sein könnte, was allen gemein ist: Ein allen gemeines Sein, die Symbiose einer Welt als Ganzes. Totalität schlechthin? Die kann es nur geben, wo der Tod herrscht, tote Arbeit, tote Bedürfnisse – also einfach Geld als Kapital.

(3) Wie alle bürgerlichen Gesetzestexte versteht auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland den Staat zunächst als Garant des Wohls eines jeden Bürgers, den Wohlfahrtsstaat als sein Prinzip, als Staat des Ausgleichs von Nachteilen und Vorteilen, die in der Bevölkerung aufkommen. Deshalb steht darin auch, dass Eigentum sowohl zu schützen ist, wie  es zugleich verpflichtend sein soll. Der Wohlstand eines Jeden will das Grundmotiv der bürgerlichen Gesellschaft schon sein, seit es sie gibt. Denn das steht und fällt mit der Behauptung, dass dies möglich ist, weil die bürgerliche Produktionsweise, also die Produktion für einen Warenmarkt, wie von selbst sich als Produktion eines Gemeinwohls erweisen würde. Im dort verbindlichen Besitzstand ist dies im Grunde auch sein allgemeinster Wille. Das Gemeinwohl ergebe sich aus einem blind wirkenden Gesellschaftsvertrag der Individuen, der in den Verbindlichkeiten der Warenbesitzer wie ein Gemeinwille haust.

(4) Im Gemeinwohl muss man sich einig sein, um es bestimmen zu können, um also regieren zu können. Das macht dann die Meinungsbildung in der repräsentativen Demokratie. Der Streit darüber, was für das Gemeinwohl der richtige Willensentschluss sei, den hat das bürgerliche Parlament auszutragen als Kampf um die Regierungsmacht. Im Streit der gegensätzlichen Parteien soll eine Mehrheitsmeinung dies erbringen, die dann die Regierung stellt und also die Macht im Staat hat. So werden gegensätzliche Meinungen in die Wirklichkeit transportiert. Man nennt das repräsentative Demokratie. Sie besteht aus dem Kampf der Vorstellungen, die schließlich in einer regierungsfähigen Mehrheit obsiegen muss. Sie verlangt eben beides: Vorstellbarkeit einer Problemlösung oder Zukunftsvorstellung einerseits und den Kampf der Gegensätze andererseits. Das erscheint auch plausibel, soweit man die Macht der Vorstellungen, also die Repräsentation für demokratisch hält. Was die Meinungsbildung hierbei beflügelt, mindert allerdings auch den Bezug zum existenziellen Verhältnis der Menschen, das ganz real auf wirtschaftlichen Bedingungen beruht. Die Einsicht in diese, der praktische Bezug auf die eigene und gesellschaftliche Existenz wird nur über Ideen hierzu politisch wirksam, also über Ideologie.

Aber zumindest ist durch die parlamentarische Demokratie ein Kampf der vorgestellten Gegensätze als eine Notwendigkeit von gegensätzlichen Meinungen begründet, die sich zu den existenziellen Problemen der Menschen ergeben, der mit dem Sieg einer Mehrheitsmeinung die Regierung stiftet und die anderen zur Opposition im Parlament bestimmt. die einen in der Forderung nach dessen Verbesserung, die anderen in der Verteidigung, warum man sich als Regierungspartei gerade wegen dem Gemeinwohl im Großen auch gegen die eher gering geschätzten Interessen der Bürger verhalten muss, denn allgemein sind realiter inzwischen über 2 Billionen Euro Staatsschulden aufgelaufen und das fehlende Geld müsse aus allen Ecken gezogen werden. Sonst nämlich gehe es uns allen schlecht. Und solange das System, das Finanzsystem des Kapitals, fortbesteht, solange ist es maßgeblich für diese Gesellschaft und deren demokratische Ausgestaltung, die Ausstattung ihrer Leitkultur. Und solange wird sich daran nicht viel ändern. Aber das ist nicht neu. Eigentlich war es schon lange so, zumindest seit es die bürgerliche Gesellschaft gibt. Wohl tut hier, was das Ganze als Rückhalt bewahrt, eben die Sicherheit des Systems, während die Risken für die Menschen stetig ansteigen. Und das nennt man deshalb auch das Gemeinwohl. Es ist die schlichte Fiktion des bürgerlichen Staates, dass er allen dient, wenn er dem Allgemeinen nützt, egal wie fremd dieses den Menschen wird und was immer es ihnen abverlangt. Es ist seine öffentliche Legitimationsbasis und das Selbstverständnis bürgerlicher Politik. Die ist sehr kompliziert und wird deshalb besonders gerne in den Foyers der Politik mit dem zugehörigen Lobbyismus als Inszenierung verabredet und abgesprochen. Die hohe Kunst der Politik darf nicht scheu sein und man muss sich die Medien warm halten, solange sie gefällig sind. Und deshalb muss man vor allem auch gefallen, durch Glätte glänzen und durch politische Machtgebärden selbstbewusst erscheinen. Beliebt ist heute, wer dieses Geschäft beherrscht.

(5) So kann sich in der Warenwelt der Reichtum wie eine gesellschaftliche Größe darstellen, die von allen gebildet ist und für sie dann eben auch Fortschritt der Gegebenheiten, Verbesserung ihres Lebensstandards wäre. Aber das gibt es nur in Ausnahmefällen, wenn eine Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards (z.B. der Kommunikationsmittel) notwendig zur Verbesserung der Verwertungsbedingungen ist. In der Regel herrscht er nur als Reichtum des Kapitals über jeden, der zur Arbeit für dessen Vermehrung verpflichtet ist, weil er nichts anderes besitzt als seine Arbeitskraft. In diesem Besitzstand des Warenbesitzes ist Ökonomie politisch vermittelt. So wird sehr viel gearbeitet; aber wenig kommt in das Leben der Arbeitenden zurück. Der Reichtum herrscht durch seinen Wert, und was seinen Wert nicht bestätigt findet, als Ware oder Geld sich nicht mehr realisieren lässt, wird vernichtet. Das ist der weitaus größere Teile der Produkte, die entweder durch Überproduktion oder aus Gründen der Preisspekulation oder aus Gründen der Kapitalspekulation oder aus Gründen des Kapitalmanagements vernichtet werden müssen, solange der Warenwert das Diktat der Welt inne hat

Politik, welche eigentlich die gesellschaftliche Form der Menschen schützen und befördern soll, trifft auf eine Ökonomie, die eigentlich die Aufwendungen der Produktion und der Ressourcen mindern und schonen sollte, und vereinigt sich in dieser Gesellschaftsform der Warenwerte nur im Besitz von Waren und Geld. Als Gebrauchsgüter verbleiben die Waren für ihren Gebrauch nur im Privatbesitz, als Wertträger sind sie von ausschließlich gesellschaftlichem Nutzen nur für den Geldbesitzer, gleich, ob es sich um Lebensmittel oder Produktionsmittel handelt. In dieser Einheit verkehren sich Ökonomie und Politik in ihr Gegenteil: Die gesellschaftliche Macht des Geldbesitzes wird als Kapital zum politischen Subjekt über die nur privat in ihrem Lohn verwirklichte Arbeitskraft. Der Bürger ist und bleibt in der Wirklichkeit seines Einkommens zweigeteilt in dem, was dem Einen Recht und billig und dem Anderen Pflicht und teuer ist. Als politische Ökonomie stellt sich Recht und Pflicht der Bürger als die herrschende Wirtschaftsordnung der Geldverwertung, der Kapitalbildung dar, in welcher sich eine wundersame, wenn auch widersprüchlichen Einheit zu einer Sachform verschmilzt, die den Sachzwang sowohl verwirklicht, wie sie ihn zugleich fortschreibt und zu staatlichem Handeln bevollmächtigt – sich zu einem Staat formiert, der seine Politik gleichermaßen durch die allgemeinen Notwendigkeiten der Privatsachen, wie auch durch den politischen Willen im gesellschaftlichen Zweck des Gemeinwohls begründen kann. Was immer seine Politikerinnen und Politiker entschließen, sie müssen beides versöhnen können, wenn sie ihr Handeln als erfolgreiche bürgerliche Politik bestätigt haben wollen. Das Gemeinwohl ist dabei die Vorstellung zu dem, was ihre Politik in den Parlamenten der repräsentativen Demokratie überhaupt erreichen können soll.

(6) Was heute in China gerade erst sich entwickelt, dass nämlich den Bauern ihre letzten kleinen Ressourcen – z.B. der Hühnerstall und das Gemüsebeet - durch Verknappung ihrer langwirtschaftlichen Lebensmittel entzogen wird und sie gezwungen sind in die Städte zu ziehen, um Arbeit zu finden und um nicht zu verhungern, das war überall in der Geschichte grundlegend für die Entwicklung und Totalisierung der Kapitalverhältnisse.

(7) Nicht das Zusammenwirken der Menschen bildet Gesellschaft, nicht das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse in jedem Einzelnen macht sie aus, sondern die Gemeinschaft einer Kraft, die man in einer Vereinigung zu finden habe, und die sich dann wie von selbst ergeben würde. Frei in diese Suche hineingestellt, wäre der Zusammenschluss der einzelnen Mitglieder, die keine wirklichen Glieder sind, weil sie sich nicht gliedern müssen, reine Kraft. Es könnte natürlich auch Lähmung sein, aber es ist wohl die Kraft der Idee, die dies alles beherrscht. Das war schließlich auch die Grundlage des ökonomischen Liberalismus, wie ihn Adam Smith sich vorgestellt hatte, die „unsichtbare Hand“ einer Vernunft des Marktes, die sich wie von selbst ergeben würde, wenn alle nur ihrem Eigennutz folgend, in den Handel auf den Markt treten und ihre Güter als Waren mit Geld, eben der allgemeinsten Ware, tauschen. Hier war Geld selbst als natürlicher Allgemeinwille des Marktes aufgefasst worden, das natürliche Gemeinwohl schlechthin. Doch Geld kann nur die Allgemeinheit des Eigennutzes, Gesellschaftsform des Privateigentums sein – ein Widersinn in sich. Der allgemeine Kampf um den Eigennutz wäre nichts anderes als ein allgemeiner Totschlag.

(8) Für die Menschen der bürgerlichen Gesellschaft ist der größte Gegensatz an ihnen selbst formuliert der vom Einzelnem und der Allgemeinheit, also der von privaten Ressourcen und der von gesellschaftlichen Mitteln. Im Geld alleine ist dies vereint, und von daher ist Geld das Medium unendlicher Möglichkeiten und Beliebigkeiten. Wer es besitzt, hat alles in der Tasche, was er ohne dies nicht vermag - Panik zwar, wenn Geld ermangelt, aber ganz obenauf, wo er es ausgeben kann. Das zu überbrücken, beiden Seinsweisen oder Zuständen Sinn zu verleihen, und wenn es auch nur der Sinn einer Vorstellung, einer Idee ist, das ist Sache der Ideologien. Sie formulieren, was man sich allgemein unter solchen Verhältnissen vorstellen soll, die überhaupt nur durch Geld einzulösen sind. Wer meist genügend davon hat, wird sich vorwiegend als Konsument verstehen und sich eher dem Individualismus zuneigen; wer meist keines hat, sieht sich vorwiegend als enteignet und tendiert daher eher zur Vorstellung einer Naturalform von Gesellschaft als Gemeinschaft, dem Kollektivismus zu, in dem er sein eigentliches Wohl gesichert und verfestigt wissen will. Es sind Vorstellungen, die überall irgendwelche kleinen – wenn auch isolierte - Wirklichkeiten widerspiegeln – dem einen ist es vielleicht der geregelte Jahresurlaub, dem anderen der Sportverein. Aber auf Dauer haben diese Vorstellungen keinen wirklichen Bestand. In Wahrheit drehen sie sich selbst ja nur ums Geld, um die Existenzweisen hiervon. Während der eine sich in seinem Geldbesitz verliert, verliert sich der andere im Neid auf diesem. Und das wird so bleiben, solange die Menschen nicht sich fragen, was sie gesellschaftlich füreinander produzieren und konsumieren und warum sie dies alles nur in fremder Gestalt, in fremdem Besitz erfahren, warum also ihnen ihre eigene Gesellschaft wie eine fremde Macht erscheint, als eine Besatzungsmacht, eine Besitztümlichkeit.

Der Individualist hat es da erstmal einfacher. Das Negative kommt für ihn immer nur von außen, aus fremder Notwendigkeit, fremder Schuld und dem Hinterhalt fremder Absichten. Um als Individualist zu bestehen, muss man clever sein, sich als Manager der Existenzgewalten verstehen und vor allem den Druck beherrschen, der von da her auf einem lastet. Die Kinder sollen hiergegen früh gefeit werden, die Frau soll es bewundern, der Mann soll es ertragen. Individualismus ist zwar sehr anstrengend, aber er erbringt Vielfalt trotz Einseitigkeit, Reichtum trotz Armut und Erfolg trotz Versagen und Entsagung. Obwohl sich Individualisten frei fühlen, sind sie äußerst folgsam gegen die Anforderungen, die an sie gestellt werden. Sie gehorchen aber nicht aus Unterwürfigkeit, sondern aus Selbstbestätigung. Das gehört eben zum Erfolg.  Ihre Leistungsbereitschaft ist faktisch grenzenlos, beschränkt nur noch durch das Ausbrennen der Kräfte - Burnout nennt man es inzwischen. Es ist der Schein der Selbständigkeit, der alles überflügelt, was ihn umgibt, Selbstverwirklichung bis nichts anderes mehr übrig ist.

Und die permanente Überforderung ist das beste Selbstmanagement, im Grunde bloßes Selbstmitleid. Als Täter ist man eben auch Opfer einer Gesellschaft, die alle und alles zu kurz kommen lässt. Die Chancen gegen die Nichtigkeiten im Widerwärtigkeit des Großen und Ganzen sind verschwindend; aber die Hoffnung, sie zu beherrschen ist reizvoll wie ein unendliches Glücksspiel, das Prinzip Hoffnung als Endlösung der Selbstabfindung. Es verleiht Größe, wo ansonsten selbst nur Nichtigkeit vorherrschen würde. Aber man muss die ganze Klaviatur beherrschen: Selbstwert gegen Minderwert, Selbstgefühl gegen Verlustangst, Selbstbestätigung gegen Selbstverlust. Der Erfolg gibt einem immer Recht, sogar wenn er ausbleibt.

Doch es verbraucht sich dabei das Leben wie von selbst, denn im Unbestimmten kommt immer weniger zurück. Den Kampf gegen den permanenten Untergang ist man ja gewohnt. Doch den Niedergang aus der Vielfalt des Mannigfachen hat man nicht erwartet. Verlust lässt sich auf dieser Ebene nicht mehr wirklich richtig erkennen und schon gar nicht verarbeiten. Die psychischen Versagen haben sich in seit der Jahrhundertwende mindestens verdoppelt. Die Volkskrankheit heißt Depression. Die Psyche bricht zusammen und verliert die Wirklichkeit nun auch tatsächlich, die schon so lange gemieden und verleugnet worden war.

Doch die Nichtung geschieht nicht nur innerlich. Sie liegt im Ganzen selbst, in der Aufhäufung von Nichtigkeiten überhaupt. Wird dann auch noch das Geld schlecht, das man fest zu besitzen glaubte, weil es wie eine allmächtige Zahl die Korrespondenzen und Diskussionen beherrscht, so tendiert man dann leicht zu dem, was man gerade noch empört von sich gehalten hat: Der Verweis auf das Gemeine, auf das System, das nun gerettet werden muss, auf die Notwendigkeit, das Geld zu sichern und hierfür zu arbeiten, für die Rettungsschirme und Sparpakete eines unendlich abstrakt gewordenen Gemeinwesens. Der Individualismus bereitet in den Phasen des Aufschwungs das vor, was der Kollektivismus dann vollstreckt, wenn es wieder abwärts geht.

(9) Nicht nur in der bürgerlichen Diktatur des Kapitals sondern auch in der Geschichte des Kommunismus hatte die Ideologie des Gemeinwohls eine hohe Bedeutung, sobald der Staat zur Diktatur des Proletariats erklärt war. Wenn auch mit Vorbehalten, aber eben doch in einem Parteiprogramm, hatte dereinst Lenin den Staat als eine vorhandene und nutzbare Bürokratie für die Herrschaft des Proletariats über das Kapital angesehen, als politische Möglichkeit, die Herrschaft zu überwinden, die sich politisch und militärisch gegen die Veränderung der herrschenden Besitzstände behauptet. Doch diese formieren nicht die Politik sondern die Ökonomie. Und solange die ökonomische Form nicht politisch verändert wird, kann sich auch keine Politik ökonomisch verwirklichen.

Der so genannte Realsozialismus, der aus der Lenin’schen Staatstheorie hervorgegangen war, hat vor Augen geführt, was daraus folgt. Wie immer er sich betiteln mag: Ein Staat, der sich aus politischen Wohltaten begründen muss, um als selbständige Institution politische Gewalt ausüben zu können, hat die Basis seiner Legitimation in der Vorstellung seiner allgemeinen Wohltätigkeit. Und Wohltaten sind immer etwas anderes als wirkliche Taten, als Tätigkeit und Arbeit. Sie sind die Vorstellung von der guten Tat, der heilsamen Tat, welche Not lindern soll, wo sie nicht behoben werden kann. Von daher eignet sich der Begriff vom Gemeinwohl auch immer wieder zur Herrschaftssicherung, weil er eine im Grunde heile Welt vorstellt, die dann oft nur die einzige Vorstellung von einer Zukunft ist, wenn alle Beziehungen zur Wirklichkeit der Menschen, zu ihrem wirklichen Dasein und ihrer wirklichen Kraft verschwunden sind.

Das ist ihm in Zeiten der Krise nötig, um sie zu einer Arbeit in großem Stil anzuhalten, die für sie selbst keine Wirklichkeit mehr haben kann, weil sie nur mehr aus der Staatsverschuldung nötig geworden ist, aus einer Notwendigkeit des Kapitals, seine existenziellen Grundlagen aus dem Vermögen der Staatsbürger zu erneuern, nachdem diese durch seine Spekulationen zerstört worden waren. Diese Notwendigkeit wird dann als das auch kenntlich gemacht, was sie schließlich geworden ist: als Not eines Gemeinwesens, das kein Gemeinwesen sein kann. Doch das war der Staat nie.

In diesem Sinne haben sich die Fehler der politischen Bewegungen gegen den Kapitalismus auch als Streit um einen Staatsbegriff erkennen lassen, indem sie letztlich nur die ökonomische Existenzmacht des Kapitals durch den rein politischen Staat ersetzen wollten. Emanzipation schien ihnen durch eine bessere Politik möglich, wenn die Politik nur für das Wohl der richtigen Menschen betrieben würde. Doch wer ist der richtige Mensch? Was ist das richtige Wohl? Das Wohl der Arbeit etwa? Sind die Machtfragen der Existenz dadurch gelöst, dass ein sozusagen "gerechter Staat" die Begierden und Arbeitspflichten regelt? Das war bislang die oft ausschließliche und einzige Begründung zu Handlungen, die eine Aufhebung der verfahren Zustände eines anachronistisch gewordenen Kapitalismus bezweckten. Die Arbeiterklasse sollte es einlösen. Doch wer war und was ist die Klasse der Arbeiter? Nicht auch die Ingenieure, Ärzte und Künstler? Sind die Arbeiter, welche der herrschenden Kapitalform dienen und ihre Güter hervorbringen, gesellschaftlich wirkungsmächtiger als die Ärzte, welche die herrschende Gesundheit funktional halten oder die Ingenieure, die Produktionsmittel bedienen und entwickeln? Was unterscheidet die Entfremdung in der Arbeitswelt von der Entfremdung in der Kultur? Und wessen Wohlergehen soll allgemeiner sein als das der anderen?

(10) Es wäre seine Hochform, wenn ihm ein solches Gemeinwohl gelänge, wenn eine allgemeine Existenz seines Willens zu verwirklichen wäre, Frieden, Freiheit, Gleichheit und allgemeine Verbundenheit, Solidarität aller Menschen als Bürger seiner Welt aus diesem heraus herstellbar sei. So hatte das schon im Jahre 1762 Jean-Jacques Rousseau als quasi natürliches Prinzip des Staatsrechts begründet verstanden:

„Wenn die Bürger keinerlei Verbindung untereinander hätten, würde, wenn das Volk wohlunterrichtet entscheidet, aus der großen Zahl der kleinen Unterschiede immer der Volonté générale (Gemeinwille) hervorgehen, und die Entscheidung wäre immer gut.“ (Gesellschaftsvertrag, Buch 2, Kap. 3)

Der Gemeinwille hätte per se eine über alle einzelne Bestimmtheit erhabene Güte, die wie etwa die „unsichtbare Hand“ des Marktes von Adam Smith sich wie von selbst als „guter Wille“ in der Politik ergeben würde.

(11) Der Gemeinwille, lässt sich somit auch als natürliches Willensverhältnis von gesellschaftlich verbundenen Menschen verstehen. So haben das ja auch Politiker aus jüngster Zeit, z.B. Joschka Fischer und Gerhard Schröter vertreten. Der Begriff eines Gesellschaftsvertrags steht dafür, dass jeder sein Recht bekommt, wenn er auch seine Pflicht erfüllt - auch wenn das Recht des Einzelnen nur kurzzeitig verhandelt werden kann, während Pflicht aber der Allgemeinheit entspringt und daher über viele Generationen hinweg zu verstehen ist. Es ist ein Geschäft mit der Zeit, die allerdings gerade in dieser Form mehr Wunden schlägt als sie heilen kann. Doch im Hier und Jetzt lässt sich auf diese Weise Gesellschaft so einfach verstehen wie ein Sportverein, worin tatsächlich ein vorbestimmter Gemeinzweck herrscht, an dem sich die Menschen freiwillig treffen. Aber die zweckbestimmte Gemeinschaft ist noch längst keine wirkliche Gesellschaft, in welcher die Individuen sowohl ihre Freiheit wie auch die Allgemeinheit ihrer Notwendigkeiten leben können.

Der Weg dorthin verläuft über die Frage, was Gesellschaft vom Standpunkt der Individuen ist, was sie lebendig hält. Reicht es, sie als Mittel der Individuen zu verstehen; oder sind diese nicht selbst nur gesellschaftlich entstanden, tragen sie nicht schon in ihrer Entstehung gesellschaftliche Bestimmungen in sich? Es waren die Fragen zum Anbeginn der bürgerlichen Gesellschaft. Für Rousseau war das Individuum die natürliche Bedingung der Gesellschaft und Gesellschaft das Mittel zur Verwirklichung seiner Zwecke. Er formuliert deren Aufgabenstellung folgendermaßen:

"Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor."

(11a) Aber dies ist eben nur das Wollen einer Realisierung dessen, was man sich von seinem Gemeinwesen so alles vorstellt. Zwar hat es seinen negativen Grund in dieser Welt, denn es ist ein Produkt unzähliger Negationen, welche aus der Konkurrenz der vereinzellten Existenzen resuliert. Aber in der bloßen Vorstellung von einer besseren Welt wäre dies schon auf eine fantastische Art und Weise zu überwinden. Es wäre schon durch den rechten Willen ohne wirkliche Veränderung der Märkte erreicht, wenn nur die Gegensätze von Armut und Reichtum aufgehoben und die Kapitalmacht als selbständige Gewalt aufgehoben sei, - so als wären sie nicht gerade ihr ureigensten Produk. Aber als Produkt des Meinens und Dafürhaltens hat ein solcher Wille noch keine Einsicht in das Notwendige, ist bloße Abkehr von den gegenwärtigen Lebensbedingungen. Der ganze Aufwand seiner Realisierung geht in die Vorstellung nicht ein, weil sie eben politisch unabhängig ist und unabhängig von der Politik, also eigentlich auch unpolitisch bleiben, aber dennoch als Macht für das Gute der menschlichen Willenskraft wirken soll. So verbleibt in der Wirklichkeit des Notwendigen nur eine Seite des Willens und vervollständigt seine Einseitigkeit in dem Maß, in dem er sich seinen eigenen Grundlagen entzieht, der Wirklichkeit seiner Verhältnisse, die in ihm nurmehr als herrschende Vorstellung, als Ideologie reflektiert sind und diese als politisches Prinzip verstanden wird.

(12) Politik ergibt sich hier also vor allem aus dem Mangel des „Anpassungsvermögens“ der Menschen an die Logik der Sachzwänge, nicht aus der Einsicht in das, was in diesen als menschliche Not gewendet werden sollte. Sie kann sich in der Tat nicht aus einem konkreten Bedarf zur Fortbildung der menschlichen Gesellschaft bestimmen. Sie muss sich einerseits auf die Zwänge der ökonomischen Existenz beziehen, sich zugleich aber andererseits als politischer Wille über den Sachzwang erhaben behaupten. Bürgerliche Politik begründet sich also aus den allgemeinen Notwendigkeiten der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse und behauptet sich als deren Überwindung, indem sie zwischen Alternativen entscheidet, welche darin Verbesserungen vorstellen. Der Wille bürgerlicher Politik ist dem Sachzwang folgend und soll ihm zugleich entgegentreten, sich also so verhalten, als ob er den sachlichen Gegebenheiten vorausginge, sie also auch wirklich unmittelbar bestimmen könne. Er bewegt sich zwischen beidem und sucht nach Möglichkeiten in den Alternativen zur Überwindung der Zwänge, die zu einem bestimmten Zeitpunkt Linderung versprechen, wie sie zu einem anderen Zeitpunkt den Schaden nur vergrößern würden, würde man nicht zu anderen Alternativen greifen, die der Rationalität der Verhältnisse dann besser entsprechen. Je nachdem, was die Logik der Kapitalverwertung so alles an Problemen aufwirft wird mal das eine Verhalten, mal das andere zur Maßnahme des politischen Wollens: Wird einmal die Arbeit gefördert, weil das Kapital investieren will, wird sie ein andermal beschädigt, weil das Kapital spekulieren muss, um sein überflüssiges Geld anzulegen. Wird einmal der Konsum gefördert, weil Absatz nötig ist, wird er ein andermal durch Lohndumping blockiert, weil die Profite dem kapitalnotwendigen Verwertungsinteresse nicht genügen. Bürgerliche Politik ist das Hüh und Hott eines Alternativverhaltens zwischen Geld und Geldbedarf, zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen Lohnarbeit und Kapital, das dem allgemeinen Sachzwang, dem Wertwachstum, Folge leisten muss, und sich zugleich als Subjekt desselben aufspielt.

Bürgerliche Politik bestimmt die Mangelbehebung und folgt fast blindlings dem Zwang zur Verwertung von allem, was Geld erzeugt und womit sich Geld machen lässt, indem sie dessen Probleme zu lösen sucht, wie immer sie gerade auftauchen, ohne dass sie erkennen muss, was diesem Sachzwang in seiner ganzen Problematik zugrunde liegt: Das Verhältnis unendlicher Teilung und Vereinzelung, das im Staat für sich aufgehoben erscheint. Er kann sich insofern zur Vereinzelung der gesellschaftlichen Zusammenhänge verhalten, wie er abstrakt tatsächlich ein Gemeinwesen ist, das gemeine Wesen aller Abstraktionen, die natürlich auch Fürsorge benötigen, Infrastrukturen, durch die sie überhaupt nur funktionieren können, auch wenn sie im Staat nur verwaltet werden: Sozialwesen, Verkehrswesen, Bildungswesen, Versammlungswesen und Vertretung nach außen und innen und vieles anderes mehr. Tatsächlich scheint allein im Staat ein Gemeinwesen auf, über das aber nur repräsentativ verfügt werden kann. Seine Quellen sind daher Gefühle, die sich in Wählermeinungen repräsentieren lassen. Es sind Gefühle einer Geborgenheit in dieser Gesellschaft, in welcher all ihre Zusammenhänge verborgen, einer ungeheueren Unwirklichkeit überlassen bleiben. Das Gemeinwohl ist die entsprechende Formulierung für den Willen und Zweck seiner Politik, der Name für das populistische Ganze.

(13) Das Menschenrecht selbst erscheint damit nicht einfach nur ethisch, sondern auch vernünftig, als Garant des Friedens wie Emmanuel Kant es selbst meinte. Und auch das Grundgesetz stellt zugleich viele Vorstellungen bereit, die zu einer vernünftigen Lebensgestaltung durchaus sinnvoll sind. Wenn alle Menschen sich nur bekämpfen, indem sie gegeneinander um ihre jeweilige Existenz konkurrieren müssen, kann es kein Zusammenleben geben. Doch Vernunft ist nicht unbedingt so allgemein und kann von daher auch nicht allgemein verbindlich sein. Jeder Kapitalist handelt für sich vernünftig, wenn er möglichst viel unbezahlte Arbeit aus der Anwendung seines Kapitals zieht, um möglichst weitgehend damit auch das Risiko abzudecken, das er mit diesem eingegangen ist. Allgemein entstehen hieraus aber auch die Krisen der kapitalistischen Gesellschaft und die Kluft zwischen Armut und Reichtum. Setzt sich Vernunft zu einem allgemeinen Prinzip, so wird sie in aller Regel unvernünftig, weil sie in Wirklichkeit dann eben nur als Vorstellung oder Ideologie funktionieren kann.

Das Verfassungsproblem der Willensform ist dem entsprechend: Man stelle sich vor, was Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein könne, und bilde seinen Willen hiernach. Es ist ein vorgestellter Wille, der auch wirklich Wille sein soll, weil nur er ein Allgemeinwohl auch vorstellen kann. Was aber ist dann Wille? Ein allgemeiner Wille, wie ihn Demokratie bilden soll, kann demnach also tatsächlich nicht aus einem wirklichen Willensverhältnis entstehen, durch welchen sich Menschen ganz real aufeinander beziehen würden. Es ist lediglich die Vorstellung eines Entwicklungsverständnisses, die der bürgerlichen Demokratie zugrunde liegt und als ihre fundamentale Vernunft gilt. Ein jeder soll damit in seinem Willen frei gelassen werden aber zugleich in seiner Freiheit durch eine Maxime beschränkt sein, die sich aus der Verallgemeinerung seines Willens ergibt. An dieser Formulierung ist leicht erkennbar, dass es sich bei dem allgemeinen Wollen um die Vorstellung von einem abstrakt Allgemeinen handelt, nämlich der Vorstellung von einer Maxime des eigenen Willens, die vom Einzelnen absehen muss, um allgemein wirksam sein zu können: Was kann ich wollen, das alle wollen können sollen? Es ist die Vorstellung eines allgemeinen Wohls, das aus seiner Allgemeinheit heraus erst zu definieren wäre – eine vollständig Umkehrung der konkreten Beziehungen, die selbst ja schon im Interesse eines konkreten Nutzens entstehen.

(14) Erst wo der Liberalismus des Marktes auf die liberale Rechtsform der repräsentativen Demokratie trifft, kann der Widerspruch des Geldes aufgelöst werden. Geld als persönliches Mittel des Einkaufs dient immer dem Einzelnen; Geld als Produkt des Austauschs ist immer gesellschaftlich. Und nur im Geld ist das Private mit der Gesellschaft versöhnt, das Einzelne zugleich allgemein, wenngleich in gegensinnigen Polen. Beim Einkauf ist jeder Einzelne ein Freiherr des Geldes; um Geld zu erwerben, muss er etwas von sich verkaufen, sich entäußern, sich selbst als Sache des Marktes ansehen und anbieten. Soweit die Menschen Geld besitzen scheint der Widerspruch der Demokratie als Willensform des Allgemeinwohls zwar in der Freiheit aller Einzelnen aufgelöst, ohne Geldbesitz werden sie jedoch durch dessen gesellschaftliche Notwendigkeit erschlagen. Im Austausch der Güter durch Geld kann der Mangel des Einen durchaus den Mangel des Anderen ergänzen und damit aufheben. In der Herstellung von Geldwerten wird sein Leben dagegen unheimlich dürftig.

(15) Die Existenzform, worin alle nützlichen Sachen auch einen allgemeinen Nutzen haben, wenn sie sich auf dem Markt befinden, ist Geld. Im Geld trifft sich alles, was durch den Austausch der Produkte in einer Waren produzierenden Gesellschaft verallgemeinerbar ist: Ihr Wert in seiner allgemeine Wertform. Geld ist die reale Abstraktion in einer Allgemeinheit, die sich im Einzelnen in den Preisen der Waren darstellt. Es ist eine ganz allgemeine Bedingung dieser Gesellschaft, dass man Geld haben muss, um in ihr existieren zu können. Das Allgemeine, das den vernünftigen Willen begründen soll, ist also ein Müssen für jeden einzelnen.

Die bürgerlichen Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der Menschen beschränken sich in Wirklichkeit darauf, was man haben kann von dem was man haben muss. Sie beruhen eben auf dem Sinn des Habens, der ihrem Besitzstand entspricht.

Haben müssen und Haben wollen ist und bleibt aber ein Gegensatz, dessen Auflösung nur ideell betrieben werden kann. Ein allgemeiner Wille kann also nur darin bestehen, dass er das allgemein Gute will, das er haben muss, dass er ein Gemeinwohl will, das er nur haben kann, wenn er sich ihm beugt. Wir wären wieder ganz am Anfang, hätte sich die Beziehung des Allgemeinen nicht in einer anderen Gestalt als real erwiesen, hätte sie also nicht eine wirkliche Entsprechung, - nämlich Geld.

(16) Tatsächlich lässt sich ja mit Geld auch fast alles regeln, es ist das Faustpfand der bürgerlichen Gesellschaft, ihr Gütesiegel und die Allgemeinform ihres Reichtums. Nur wer nicht in seinen Besitz gelangt, fällt damit aus, wird zu einer gesellschaftlichen Randerscheinung. Das werden zwar immer mehr Menschen, weil Geldbesitz nur die bereichern kann, die schon reicher sind als die Besitzlosen, und weil er deren Armut nur bestärkt. Aber im Allgemeinen herrscht eben die Vorstellung, dass dies lediglich vorübergehend sei, wenn es mal an Geld ermangelt, das doch immer wieder zu haben ist, wenn man es nur verdient hat du verdienen kann.

(17) So hatte es schon Marx kritisiert: "In der Tat, man muss jeder historischen Kenntnis ermangeln, um nicht zu wissen, dass es die Regierungen sind, die zu allen Zeiten sich den wirtschaftlichen Verhältnissen fügen mussten, aber niemals die Regierungen es gewesen sind, welche den wirtschaftlichen Verhältnissen das Gesetz diktiert haben. Sowohl die politische wie die zivile Gesetzgebung proklamieren, protokollieren nur das Wollen der ökonomischen Verhältnisse." K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 109.

(17a) Wer aber von Marktwirtschaft spricht und zugleich meint, das Risiko, das dort Einzelne voranbringt und andere abstürzen lässt, sei dadurch auf den Märkten zu beheben, dass er an Kooperation appelliert, der spricht von einem Markt, den es gar nicht geben kann, weil der immer auf einem Verhältnis von Kauf und Verkauf beruht. Warum sollten Produkte gekauft werden, die niemand will, nur weil das Risiko aufgehoben sein soll, das eine Produktion für den "freien" Markt zwangsläufig mit sich bringt?

Und wer glaubt, dass auf den Märkten Konkurrenz durch ethische Werte auszuschließen sei, der verwechselt den Markt mit dem Supermarkt um die Ecke, wo die Produkte schon nett sortiert und entsprechend verpreist sind. Innerhalb eines systematisierten Angebots muss es natürlich keine Konkurrenz geben; aber was hat das noch mit Marktwirtschaft zu tun? Und was wird anders, wenn die Produkte oder Betriebe mit dem Begriff "Gemeinwohl" gelabelt und damit subventioniert werden? Sind sie das nicht längst schon in der bestehenden Wirtschaft durch ihre Umwelt- und Verbraucherlabels? Umgekehrt entsteht mit der Behauptung, dass es ethische Märkte gebe, ein neues Problem, wer denn die Definitionsmacht haben soll, zu bestimmen, was Gemeinwohl sei. Denn das gibt es qualitativ und quantitativ nicht so eindeutig wie ein Pfund Zucker. Es ist immer geschichtlich abhängig und reine Vorstellung, was das bedeuten könnte. Heute wird z.B. die Vorstellung, dass die Abschaffung der AKWs dem Geimeinwohl nützt, von 80% der Bevölkerung unterstützt, vor ein paar Monaten war es noch die Vorstellung, dass AKWs die CO2-Bilanz verbessern würden. Die Entscheidungsverhältnisse werden durch einen Wertekonvent aufgelöst bzw. verfestigt, und lassen befürchten, dass hier eine sehr konservative Definitionsmacht entstehen muss, wie wir sie eigentlich schon längst satt haben.

Um Marktgeschehen überhaupt zu begreifen, kann man nicht davon absehen, was das allgemeine Tauschmittel Geld darin ist und bewirkt. Es hat eine ungeheuere Macht und tauscht nicht Gleiches mit Gleichem (dazu bräuchte man es nicht), sondern bestimmt durch sein vorhandenes Quantum schon Machtverhältnisse zwischen dem, der notwendige Mittel anbieten kann und dem, der sie nicht hat und sie erwerben muss, weil er von ihrem Besitz ausgeschlossen existieren muss. Es muss zunächst erst mal das Geld begriffen sein. Dann erübrigt sich der Glaube an die Wohlfahrt der Märkte – ein wahrhaft neoliberaler Glaube.

(18) Das Staatsverständnis hat sich in den politischen Bewegungen, die auf eine Veränderung der Gesellschaft durch ein anderes politisches Verhalten zielten, daher auch in dem Maß gegen die wirtschaftlichen Bewegungen verselbständigt, wie sie vom bloßen Willen ausgegangen sind, von einem Verlangen, das sich lediglich als Erfordernis eines Anspruchs und einen Appell an den guten Willen, an die Moral des Staatsganzen darstellt. Sie scheiterten schon am Staat als solchen, der Ansprüche überhaupt nur soweit reflektiert, wie sie einer Wählermeinung entsprechen. Einen Anspruch auf einen gerechten Anteil am gesellschaftlich erzeugten Mehrprodukt gibt es nicht, solange dieses warenförmig ist, solange es also als Privatbesitz geschützt werden muss, um auf dem Markt zwischen Angebot und Nachfrage verfügbar zu sein. Bürgerliche Institutionen suchen natürlich immer bürgerliche Verhältnisse zu bewahren. Im Streit um die Löhne und Arbeitszeiten obsiegt nicht die Gerechtigkeit, sondern die ökonomische Potenz. Und es bleibt ein Streit innerhalb der Verhältnisse, worin das gesellschaftliche Mehrprodukt als Mehrwert in privater Hand existiert und nur als Kapital seine Subjektform hat, also bestimmend bleibt. Auch wenn der Kampf um Vorteile für die arbeitenden Menschen nötig ist, ihre Klassenlage ändert er nicht.

Politik muss also in den Kategorien einer Weltmacht mit nationalpolitischen Inhalten betrieben werden, um ihre Bürger ökonomisch zu erhalten, die hiervon gänzlich abhängig gemacht werden, sowohl im Gewinn wie im Verlust, den die Nationen hierbei machen. Und die Wirtschaftspotenziale, die sie im eigenen Land nicht vorfindet, z.B. Ressourcen der Natur oder billige Arbeitskräfte, muss sie machtpolitisch erobern. Per Preisdiktat und Währungspolitik, manchmal auch durch Korruption und Erpressung, wird das dann geregelt, wenn nicht, dann durch militärische Bedrohung.

Von der Welt des Finanzkapitals ist der Nationalstaat durch seine Schulden auch wirklich bedrängt und sucht dies durch seine rein politische Macht, seinen Bürgen, also seinen Bürgern weiter zu vermitteln. Dies hat also auch eine wirkliche Entsprechung, auch der der Nationalismus zugleich eine höchst absurde Diension bekommen kann. Im Nationalismus wird die verallgemeinerte, also gesellschaftlich manifest gewordene Not, zur Parole nach dem Motto: „Wir alle sitzen in einem Boot. Und wer es zum kentern bringt ist ein Volksfeind. Geht es allen gut, dann geht es auch dir gut. Wenn es dir schlecht geht, so kannst du nur wollen, dass es allen gut gehen soll.“ Im Nationalismus bildet sich der Rassismus des Volksgenossen aus und der kehrt die längst vorhandenen Vorstellungen des Gemeinwohls in die ungeheuerliche Vorstellung um, dass Selbstlosigkeit zur Erlösung nötig ist, um der Nation zu neuem Wohlstand zu verhelfen

Doch so selbstlos ist dann diese Selbstlosigkeit auch nicht wirklich. Sie wird zu einer Form der Selbstveredelung, wenn das Gemeine Kraft suggeriert, wenn es groß und mächtig und schön erscheinen kann, wenn es Energie hat und Energie spendet. Als Erlösungsprinzip verstanden hat das Gemeine vor allem höhere Seinsgrundlagen, welche den Einzelnen emporheben, ihn im Innern aus seiner Natur heraus beflügeln, erhellen, erleichtern, Genugtuung verschaffen. Gemeinschaft ist die gemeine Natur der Einzelnen und dieser also von Natur aus mit allem verbunden, was darin zusammenkommt und also gleichartig, von gleicher Art ist. Seine Not soll darin untergehen, dass er Genôte, wie es althochdeutsch hieß, dass er also Genosse der gleichen Art wird. Wenn die Genossenschaften als Form eines Gemeinwohls auftreten, verbinden sie die Pflicht für das Gemeine mit der Kraft, die es spendet, Kraft durch Freude, die das Leben der Einzelnen entspannt. Es ist die Esoterik der Volksgenossenschaft, die ihnen Energie und Lebensmut vermittelt, der Glaube an eine Gemeinschaft in kosmischen Dimensionen, die in Wahrheit pure Notbeherrschung und also Notbehelf ist. Das Allgemeine ist darin die Position negierter Einzelheiten, die Übernatur der Denaturierten, die Form, in der sich alle teilen und aufteilen. Eine Volksgenossenschaft will die Naturmacht Gewalt heischender Seelen sein, gewaltige Selbstsucht als Allgewalt der kosmischen Natur.

(19) Einen gerechten Staat kann es nicht geben, weil im Staat sich die Vermittlung von Politik und Ökonomie nicht wirklich darstellen lässt, weil das Staatsrecht immer nur abstrakt allgemein sein, und also vor allem nur für das Unbestimmte, für die reine Form des Besitzstandes da sein kann. Und tatsächlich besteht das bürgerliche Gemeinwesen nur in dieser politischen Form, die es in dieser Gleichgültigkeit gegen jeden bestimmten Inhalt allen und jedem Recht machen soll und die ihm damit in dieser Unbestimmtheit überordnet ist. Und daher begründet der Begriff des Gemeinwohls die dementsprechende Verfassung. Marx hat dies in seiner Verarbeitung der Hegelschen Staatstheorie folgendermaßen beschrieben:

„Der Inhalt des Staats liegt außerhalb dieser Verfassungen. Hegel hat daher recht, wenn er sagt: Der politische Staat ist die Verfassung, d.h., der materielle Staat ist nicht politisch. Es findet hier nur eine äußere Identität, eine Wechselbestimmung statt. Von den verschiedenen Momenten des Volkslebens war es am schwersten, den politischen Staat, die Verfassung, herauszubilden. Sie entwickelte sich als die allgemeine Vernunft gegenüber den andern Sphären, als ein Jenseitiges derselben. Die geschichtliche Aufgabe bestand dann in ihrer Revindikation, aber die besondern Sphären haben dabei nicht das Bewußtsein, daß ihr privates Wesen mit dem jenseitigen Wesen der Verfassung oder des politischen Staates fällt, und daß sein jenseitiges Dasein nichts andres als der Affirmativ ihrer eignen Entfremdung ist.“ Karl Marx in Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843) (Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 232 bis 233)

Weiter heißt es in dem Zitat:
„Die politische Verfassung war bisher die religiöse Sphäre, die Religion des Volkslebens, der Himmel seiner Allgemeinheit gegenüber dem irdischen Dasein seiner Wirklichkeit. Die politische Sphäre war die einzige Staatssphäre im Staat, die einzige Sphäre, worin der Inhalt wie die Form Gattungsinhalt, das wahrhaft Allgemeine war, aber zugleich so, daß, weil diese Sphäre den andern gegenüberstand, auch ihr Inhalt zu einem formellen und besondern wurde. Das politische Leben im modernen Sinn ist der Scholastizismus des Volkslebens. Die Monarchie ist der vollendete Ausdruck dieser Entfremdung. Die Republik ist die Negation derselben innerhalb ihrer eignen Sphäre. Es versteht sich, daß da erst die politische Verfassung als solche ausgebildet ist, wo die Privatsphären eine selbständige Existenz erlangt haben. Wo Handel und Grundeigentum unfrei, noch nicht verselbständigt sind, ist es auch noch nicht die politische Verfassung. Das Mittelalter war die Demokratie der Unfreiheit.

Die Abstraktion des Staats als solchen gehört erst der modernen Zeit, weil die Abstraktion des Privatlebens erst der modernen Zeit gehört. Die Abstraktion des politischen Staats ist ein modernes Produkt.“ Karl Marx in Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843) (Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 232 bis 233)

An anderer Stelle schreibt er:
„Durch die Emanzipation des Privateigentums vom Gemeinwesen ist der Staat zu einer besonderen Existenz neben und außer der bürgerlichen Gesellschaft geworden; er ist aber weiter nichts als die Form der Organisation, welche sich die Bourgeoisie sowohl nach außen als nach innen zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen notwendig geben. ... Da der Staat die Form ist, in welcher die Individuen einer herrschenden Klasse ihre gemeinsamen Interessen geltend machen und die ganze bürgerliche Gesellschaft einer Epoche sich zusammenfasst, so folgt, dass alle gemeinsamen Institutionen durch den Staat vermittelt werden, eine politische Form erhalten. Daher die Illusion, als ob das Gesetz auf dem Willen, und zwar auf dem von seiner realen Basis losgerissenen, dem freien Willen beruhe. ...

Der Staat ist die Form der Organisation, welche sich die Bourgeois sowohl nach außen als nach innen hin zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen notwendig geben.“ Quelle: Karl Marx und Friedrich Engels in Die deutsche Ideologie (Marx-Engels-Werke Bd.3, S. 62)

Das wirkliche Problem mit dem Staat ist nicht die Form als solche, sondern das Gemeinwesen, das darin untergeht. Es ist für die Menschen grundlegend, dass sie gesellschaftlich existieren, weil sie durch Gesellschaft ihre Naturmacht überhaupt gegründet haben. Ihre Gesellschaft ist durch ihre Kultur ihre tatsächliche Naturmacht, ohne die sie nicht wirklich für sich sein können. Die Art und Weise, wie sie ihren Stoffwechsel mit ihrer Natur bewältigen, macht die Geschichte ihrer Sinnbildung, also ihre Kultur aus. Sie ist für die Menschen überhaupt notwendig, um Mensch zu sein, zu überleben, zu sprechen, sich zu äußern und also als Naturwesen gegenständlich zu sein, seinen Gegenstand zu erzeugen und sein Leben darin zu gestalten. Es war ihre Freiheit, diese Notwendigkeit durch die Bildung ihrer Fertigkeiten und Bedürfnisse auszugestalten und als gesellschaftliche Notwendigkeit ihres Lebens auf sich zu nehmen. Ihr Gemeinwesen bildete sich ursprünglich als ihre Allmende, als allgemeines Kulturgut, woraus sie ihre wirtschaftliche Kraft gewannen, ihre Kranken und Alten ernährten und ihre Kinder erzogen. Sie waren darin nicht getrennt in Individuum und Gesellschaft, sondern als Individuen immer zugleich gesellschaftlich.

Erst mit der Herausbildung der Industrie entstand eine gesellschaftliche Form, der Kapitalismus, worin das Privateigentum den Besitz an Produktivkraft und Kulturgütern zerteilte. Die Privatmacht entstand aus der Existenzbedrohung, die Privatbesitz überhaupt darstellt, indem er sich gesellschaftliches Vermögen aneignet. Sie zerteilte nicht nur Produktion und Bedürfnisse in getrennte Sphären des Selbsterhalts. Sie zerteilte auch alle Momente der Arbeit, die damit ihrer Kulturzusammenhänge beraubt wurde. Und wo der Zusammenhang entzogen ist, wo das Einzelne in seiner Isolation mit anderem zusammenhängt, da herrscht die Abstraktion, eine Macht, die wie eine höhere Gewalt funktioniert. Zerteilte Arbeit ist verselbständigte Arbeit, deren Produkte Macht gegen alle abhängige Arbeit darstellen.

Aus dieser allgemeinen Bedrohungslage entstand ein gesellschaftlicher Druck gegen jeden einzelnen Menschen, der seine eigene Notwendigkeit als gesellschaftlichen Zwang erfuhr, seine Privatexistenz zu meistern, sich als seines Glückes Schmied anzusehen. Zwar erbrachte das eine unglaubliche Bestärkung der Produktivkraft, denn diese wuchs in ungeheueren Dimensionen, weil ihr der Überlebenskampf vereinzelter Existenzen zugrunde liegt. Und sie enteignete in der Privatform des Kapitals mit fortschreitender Vereinzelung der Menschen auch ihre Kraft. Trotz der Ausweitung des Arbeitsvermögens durch diese Produktivkraft reduzierte sich nicht die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zum Selbsterhalt der Menschen; sie wuchs von täglich ca. 5 Stunden im Mittelalter auf 8 und mehr Stunden bis heute.

Der Kritik des Kapitalismus richtete sich seit seinem Bestehen gegen die Entfremdung, die sich darin äußerte, dass die Menschen unter die Gewalt ihres eigenen gesellschaftlichen Verhältnisses geraten waren. Die verselbständigte Form der Arbeit war schon von Hegel als abstrakte Arbeit begriffen worden, deren Kritik von Marx schließlich als selbständige Geldform der Arbeitsprodukte ausgeführt wurde, die ihre Bestimmungsmacht als tote Arbeit gegen die lebende Arbeit wendete. Seitdem befähigt der Einsatz von Geld den Geldbesitzer, inzwischen weltweit über den Finanzmarkt, sein abstraktes Vermögen zu vermehren und das konkrete Vermögen der Menschen sich anzueignen. Sie müssen arbeiten, um sich am Leben zu halten, und erzeugen zugleich unbezahlt das, was darüber hinausgeht für die Kapitalverwertung.

Im globalen Verhältnis der Finanzmärkte sind die Nationalstaaten zu deren Betriebsmittel geworden, weil sie von dort ihre Staatsanleihen beziehen und also in der wachsenden Verpflichtung ihrer Kreditaufnahmen, ihrer Staatsverschuldung stehen. Je mehr sie hierfür aufwenden müssen, desto mehr verlieren sie an infrastruktureller und kultureller Substanz. Die Ausbeutung der Menschen ist daher vor allem in den Kulturformen ihrer Länder und Kommunen zu erkennen und zugleich am Verhältnis der Währungen in Bezug auf die Lebensstandards abzulesen. Der Hunger in der Welt wächst, während die Finanzmärkte sich aufblähen und immer wieder zusammenstürzen, Wert durch die Ausbeutung menschlicher Arbeit bilden, der zum Teil immer wieder vernichtet werden muss, um die Geldwerte zu sichern. Kapitalismus ist zu einer Form des Wahnsinns geworden, der die ganze Welt bedroht.