Wolfram Pfreundschuh (2009/03)

Die Bekämpfung der Armut -
Wie und warum die NATO aufrüstet

Vom 1. bis 4. April 2009 findet der NATO-Gipfel in Baden-Baden, Kehl und Straßburg statt. Er soll zugleich ein Fest sein für die nun 60jährige Existenz der NATO. Was es da allerdings zu feiern geben soll, ist eine vielfach gestellten Frage. Der will ich nachgehen und deshalb das ursprünglich für heute angesetze Thema „Von der Volksherrschaft des Kapitals zur demokratischen Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums“ um einen Monat verschieben. Heute ist unser Thema „Die Bekämpfung der Armut - Wie und warum die NATO aufrüstet“.

Also: Was feiert die NATO, das sogenannten Nordatlantischen Verteidigungsbündnis, das uns permanent wie eine Wohltat der westlichen Welt, wie eine große Hilfsaktion des Humanismus, als Retter der Menschenrechte vorgestellt wird? Was hat sie wirklich getan? Hat sie etwas beigetragen zum Frieden auf der Welt? Gibt es seit ihrer Existenz weniger Kriege, weniger Militäreinsatz, weniger Armut, weniger Gewalt? Hat sich die soziale, politische oder ökonomische Lage der Menschen seitdem verbessert oder hat sie wenigstens dazu beigetragen, dass sie sich nicht verschlechtert?

Der Gegensatz von Arm und Reich in der Welt ist in den letzte 60 Jahren extrem angestiegen. Die Anteile an der Armut hatten sich im Verhältnis zu den Anteilen am Reichtum der Menschheit allein in der Zeit von 1990 bis 2002 schon verfünffacht. Weltweit besaß 1994 ein Fünftel der Menschen 86% des Weltvermögens, - das ärmste Fünftel besaß dagegen nur 1,1% des Weltvermögens.

Auf der 55. UNO-Generalversammlung am 18. September 2000 wurde von den 189 Mitgliedsstaaten die Lage der Menschen auf der Welt folgendermaßen erfaßt:

Aus dieser Situation entstand der sogenannten Millenniumsbeschluss, eine Zielsetzung im Jahrtausendwechsel, mit der acht Entwicklungsziele für die UN bis 2015 formuliert wurden:

1: Halbierung der Zahl extrem armer und hungernder Menschen

2: Vollständige Grundschulausbildung weltweit

3: Geschlechtergleichheit auf allen Bildungsebenen

4: Senkung der Kindersterblichkeitsrate (unter fünf Jahren) um zwei Drittel

5: Senkung der Müttersterblichkeitsrate um drei Viertel

6: Ausbreitung von AIDS und Malaria stoppen und umkehren

7: Halbierung der Zahl der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung haben

8: Einhaltung der Selbstverpflichtung der Industrieländer zur Erhöhung der Entwicklungshilfe und der zugesagten Hilfen für Afrika und die ärmsten Länder der Welt

Die Umsetzung der acht Millenniumsziele kostet nach Angaben der UNO jährlich 40-60 Mrd. Das sind weniger als fünf Prozent der jährlichen Militärausgaben. Das schien damals machbar. Aber die Realisierung war mäßig. Die Entwicklungshilfe seit sinkt seit zwei Jahren wieder (2005: 107,1 Mrd. $ - 2007: 103,7 Mrd. $); alle Zusagen an die 49 ärmsten Länder der Erde wurden nicht eingehalten. Die Zahl und das Ausmaß der Armut und die Konzentration des Reichtums haben nicht abgenommen, sondern weiter zugenommen.

(Quellen: Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP 2002, Bericht über die menschliche Entwicklung 2002, UN-Hintergrundinformationen zu den Millenniumsentwicklungszielen, New York 25.9.08 (ENDPOVERTY 2015); Studie der Weltbank 2008: FAO).

Dafür sind Militärausgaben auf den größten Umfang seit dem Zweiten Weltkrieg angewachsen. Im Jahr 2007 wurden weltweit 1,339 Billionen Dollar für Militär, Waffen und Kriege ausgegeben (so die Angaben bei SIPRI, dem Stockholm International Peace Research Institute, dem Stockholmer Institut zur internationalen Friedensforschung). Vergleicht man die Entwicklung in konstanten Preisen von 2005, dann war die Summe im Jahr 2007 erstmals höher als kurz vor dem Ende des 'Kalten Krieges' im Jahr 1988. Real lagen die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2007 um 45 Prozent höher als 1998. Vor allem die USA beschleunigten in den vergangenen Jahren die Rüstungsspirale. Es lagen die Militärausgaben der NATO 1985 noch bei 48% der weltweiten Militärausgaben, 1995 bei 58 % und im Jahr 2008 schon bei 70 % des Betrags, der weltweit für Militär ausgegeben wird. Und da ist Israel nicht einbezogen, der weltweit größte Militärinvestor - pro Kopf der Bevölkerung gerechnet.

Ich habe diese Angaben dem äußerst lesenswerten isw-Grafik-Report Nr. 12 entnommen Nato, wie auch viele der nachfolgenden Angaben, deren Quelle ich daher nicht immer wieder nenne.

Die reichen Industrieländer gaben zehnmal mehr Geld für ihre Armeen als für Entwicklungshilfe aus. Dort fehlt das Geld für die Schaffung wirklicher Verbesserung der Lebensgrundlagen der Menschen an allen Ecken und Enden. Es ist also kein Wunder, dass mit den Rüstungsausgaben die Menschheitsprobleme wie Armut, Hunger, Krankheiten und Seuchen weiter zunehmen. So hat die UNO für ihre humanitären Programme inzwischen weniger als ein Prozent der Mittel zur Verfügung, die jährlich für Rüstung und Armeen ausgegeben werden. Mit einer Umkehrung des Trends wäre die finanzielle Seite der meisten Menschheitsprobleme zu lösen.

Was hat das alles mit der NATO zu tun?

Die NATO wurde am 4. April 1949 in Washington unter Führung der USA mit 13 Gründungsstaaten (Belgien, Dänemark, Frankreich, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal, die USA sowie Großbritanien) auf die Welt gebracht und hat heute 26 Mitgliedsstaaten, nachdem inzwischen noch 13 weitere Staaten (Deutschland, die Türkei, Griechenland, Spanien Tschechien, Polen, Estland, Lettland, Litauen, der Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Rumänien) beigetreten waren. Im April werden zudem Albanien und Kroatien in die NATO aufgenommen. Irland, Schweden, Finnland, Österreich und die Schweiz arbeiten mit der NATO im Programm „Partnerschaft für den Frieden“ zusammen, so dass die NATO ein Militärbündnis aus fast ganz Europas mit den USA, also den Kernländern des Kapitalismus, darstellt. Die beteiligten Länder geben sich laut NATO-Vertrag „entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten“.

Die NATO formuliert seit Anbeginn hochwertige Ziele, die mit der Charta der UN Kapitel I, Artikel 2, Absatz 4 übereinstimmen sollen, nämlich die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit der Staaten zu sichern. Diese hatten sich aus der ideologischen Abgrenzung gegen den Warschauer Pakt ergeben. Aber ihre wirklichen Strategien dienen inzwischen einem völlig anderen Ziel, das sich mit dem Zusammenbruch des Ostblocks zum Teil auch neu bestimmt hat. Bis dahin war die NATO auf den Ost-West-Konflikt bezogen und als Militärpakt auf ihr Pendant, dem Warschauer Pakt fixiert. Nach der Selbstauflösung der Sowjetunion wurde im Dezember 1991 mit dem strategisches Konzept von Rom die globale „Zuständigkeit“ der NATO behauptet und diese de facto zu einem Nordpakt gegen die Souveränität des Südens, gegen die armen Länder der Welt, aber auch zur politischen Einflussnahme auf die Entwicklungen in Europa (vergl. den Jugoslawieneinsatz). Es sollten damit die KSZE-Verträge von Helsinki vom 1.8.1975 schleichend abgelöst werden. Dort war noch die Rede von souveräner Gleichheit der Völker und Nationen, Achtung der mit dieser Souveränität verbundenen Rechte, Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt, Unverletzlichkeit der Grenzen, Territoriale Integrität der Staaten, Friedliche Regelung von Streitfällen und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Das passte nicht mehr in eine Zeit, in der die Krisen der Globalisierung zunehmend für die Weltpolitik bestimmender wurden und man dazu überging, von der Notwendigkeit einer sogenannten Weltordnung zu reden.

Mit dem NATO-Gipfel 1999 in Washington wurde der 'defensive Charakter' nach dem Angriff auf Jugoslawien endgültig zu den Akten gelegt. In drei elementaren Punkten setzt sich die neue NATO-Doktrin über den ursprünglichen NATO-Vertrag hinweg: In der Frage des Einsatzspektrums, des Einsatzgebiets als sogenannte Out-of-area-Einsätze und in der Frage des Mandats zum Einsatz. Es war die Ankündigung einer global agierenden NATO, Die NATO will überall dort eingreifen, wo die 'gemeinsamen Interessen' und die 'Sicherheitsinteressen' der 'westlichen Wertegemeinschaft' berührt sind, notfalls auch 'out of area'. Sie maßt sich dabei an, auch ohne UNO-Mandat, überall und jederzeit Militärinterventionen durchzuführen. Der damalige NATO-Generalsekretär Solana: 'Wir brauchen den UNO-Sicherheitsrat nicht.' (Spiegel, 3.5.99).

Zum NATO-Gipfel 2009 in Straßburg und Baden-Baden soll ein neues Richtliniendokument, eine Art Runderneuerung des Strategischen Konzepts von 1999, beschlossen werden. Dazu wurde im Januar 2008 von fünf hochkarätigen NATO-Strategen ein 150-seitiges Grundsatzdokument (das sogenannte Generäle-Papier) vorgelegt: 'Towards a Grand Strategy for an Uncertain World' ('Orientierung auf eine Gesamtstrategie für eine unsichere Welt'). Es handelt sich dabei um ein ambitioniertes Konzept zur aggressiven Neuausrichtung der NATO: von der Erweiterung des Instruments der 'humanitären Intervention' über die Festschreibung des Verzichts auf ein UNO-Mandat für NATO-Militäreinsätze bis zur Doktrin des atomaren Präventivschlages. Zum Atomwaffeneinsatz heißt es: 'Der Ersteinsatz von Nuklearwaffen muss im Arsenal der Eskalation das ultimative Instrument bleiben, um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verhindern'. Damit formuliert die NATO den Anspruch auf das absolute Hoheitsrecht bei der Anwendung von Massenvernichtungswaffen, also das Recht, Massenvernichtungswaffen einzusetzen um anderen den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verunmöglichen . Das ist eine Perversion in sich, besonders wenn man hinzunimmt, dass die Atombomben weitaus verheerender wirken, wie die vermeintlichen Waffenarsenale, die z.B. Saddam Hussein irgendwo in der Wüste bereitgehalten haben würde.

Die veränderten Interessen des globalisierten Kapitals

Die Entwicklung der NATO bis hin zur Pervertierung ihres Anfangsstatements kam nicht von Ungefähr. Sie entwickelte sich parallel zu den politischen Erfordernissen des Kapitals, zu den veränderten Interessen des globalisierten Kapitals.

In der nationalen Marktwirtschaft ist die Konvertibilität von Waren und Geld die Grundlage der Geld- und Währungspolitik und damit auch der Kapitalbildung. Die Wertdeckung des Geldes war von daher immer eine definitive Aufgabe der Notenbanken, die hierfür auch ihre Schätze z.B. in Goldreserven aufbauten und nötigenfalls zur Währungsstabilisierung in den Geldkreislauf einbrachten. Es war hierdurch aber nicht die Wirtschaft gezügelt, wohl aber die Währungspolitik, die immer auf die tatsächlich verfügbaren Güter eines Landes bezogen sein musste. Aber immer auch strebte das Kapital nach Ausdehnung, nach Investition und Spekulation, die durch Geldvermehrung das Risiko belohnen sollte, welches die einzelnen Geldbesitzer eingegangen waren. Solange hierbei wirklich Mehrprodukte entstanden, war auch die Wertdeckung des Geldes damit gegeben. Doch die kapitalistische Produktion geht nicht nur in Mehrprodukten auf, das allen Menschen zugute kommen könnte, solange sie genügend Lohn zur Anteilnahme daran bekommen. Kapital besteht vor allem aus einem Mehrwert, der durch unbezahlte Arbeit den arbeitenden Menschen und durch die Verfügung über ihre Lebensgrundlagen (z.B. Wohnungen, Energie, Verkehrmittel, Lizenzen) ihnen entwunden wird. Hieraus entsteht Geld, das nur teilweise durch Güter und Besitz, durch Waren auf dem Markt und anderen Lebensmittel dargestellt ist (z.B. Wohnungen in Häusern, die längst amortisiert sind). Und deshalb lässt sich die Mehrwertrate auf Dauer durch die Preise, die für die Menschen bezahlbar sind, nicht halten. Die Profitrate beginnt zu fallen und der Druck zur Ausbeutung verschärft sich. Um dem entgegenzutreten, muss immer wieder eine Deckung dieses Geldes durch andere Methoden der Wertbildung betrieben werden, z.B. durch den Druck auf fremde Währungen oder auf die Rohstoffpreise in anderen Ländern oder sogar auf deren Hoheitsrechte, auf die Schürf- oder Bohrrechte für die wichtigsten Lebensgrundlagen der gesamten Wirtschaft, die Rohstoffe und Energieressourcen.

Bei seinem Geschäft mit dem sogenannten Wertwachstum, das im Grunde unendlich nötig für das Kapital ist, wird es immer wieder beschränkt durch die natürlichen, sozialen und kulturellen Schranken, wie sie historisch gegeben sind. Es kommt in eine echte Klemme und funktioniert immer schlechter. Wenn es das ganze nationale Kapital betrifft, geraten auch die Nationalstaaten in Schwierigkeiten. Sie versuchen, andere zu übervorteilen oder auch militärisch zu erobern. Solche Eroberungskriege sind im 20. Jahrhundert immer brutaler und für die Menscheit insgesamt vernichtend geworden, sodass man nach dem 2. Weltkrieg ein Weltwährungssystem einführte, das die Wertdeckung des Geldes durch internationale Deckungsregeln mit Goldschätzen und Leitwährung sichern sollte.

Die Verträge von Bretton Woods vom 22. Juli 1944 sollten diese Politik garantieren und den einzelnen Nationen zur Auflage machen, um die reibungslose und von Handelsbarrieren befreite Abwicklung des Welthandels bei festen Wechselkursen zu ermöglichen. Dies war allerdings nur möglich, indem die wirtschaftsstärkste Nation, die USA, einen entsprechenden Schatz zur Wertdeckung des Geldes anlegte, und die anderen Länder der westlichen Welt ihre Währung im Verhältnis zum Dollar ausrichteten, also letztlich durch den Dollar und den ihn sichernden Goldschatz der USA zur Deckung brachten. Aber auch der Preis von Gold ist relativ. Nicht nur die Warenwerte zirkulieren um den Geldwert, auch der Geldwert muss sich immer wieder aus den Warenwerten ermitteln lassen – und von daher schwankt der Goldwert wie alle Werte um den Preis seiner Realisierbarkeit.

Je mehr die Konzerne weltweit operierten und fusionierten, desto flüssiger musste das Geld sein und seine Stabilität konnte überall zusammenbrechen, wo zuviel Kapital sich über die real kursierenden Werte hinaus bildete. Die Finanzmärkte entwickelten eine ungeheuerliche Dynamik und die Aktienmärkte übertrafen die Werte, die an Währungen gebunden waren, bei weitem. Von daher verflüssigte sich auch das Gold der USA zu Öl und konterkarierte den klassischen Goldmarkt, indem Öl zum Werthintergrund des Dollar wurde. Man sprach vom Petrodollar. Mit Gold war in den 70ger Jahren der Dollar längst nicht mehr kompatibel. Und die Öldeckung hatte einen enormen Vorteil für den Inhaber der Weltwährung: Es ließ sich relativ leicht gewinnen, sofern man über den Boden verfügt, unter dem es sich befindet und es stellte zudem durch seine prognostizierbare Verknappung eine hohe Preissicherheit dar. Von daher waren die Dämme der Wertstabilisierung gebrochen, bzw. auf eine Machtformel reduziert: Wer die Macht und Gewalt besitzt, die Ölreserven auszubeuten, der hat auch die Wertsicherheit der Zukunft.

Als Präsident Nixon am 15. August 1971 den Vertrag von Bretton Woods deswegen kündigte, also die Verpflichtung der Deckung der US-Währung durch Gold aufhob, schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er machte aus der Weltwährung eine Machtwährung und er versetzte durch den enormen Goldeintrag auf dem Weltmarkt den Goldwert auf ein unterstes Niveau und die Staaten in den Bankrott, die darauf ihre Währungspolitik gründeten. Und das waren vor allem die Staaten des Warschauer Pakts.

Die Währungsmacht des Petrodollars konnte sich in dem Maße zügellos ausdehnen, wie sich der Einfluss der USA auf die Öl bergenden Länder ausdehnte. Der Kapitalmarkt, der immer das Problem hat, dass er früher oder später zuviel Geld erzeugt, das nicht durch die Warenwerte zu decken ist und die Profitrate zu Fall bringt, schien nun selbst unendlich werden zu können. Um ungedecktes Geld zu sichern schien eine Wertsicherung durch Erdöl oder auch durch Erdgas zu genügen – und schon war der Kapitalismus unendlich, ewiges Gesetz und Himmel der Kapitalisten. Das war letztlich das „Geheimnis“ der neoliberalen Ideologie: Man musste nur genügend politische Macht und militärische Gewalt besitzen, um seinen Einfluss auf die Ölgewinnung und auf andere Rohstoffquellen des Grundumsatzes der kapitalistischen Wirtschaft abzusichern. Und schon hatte man kein Problem mehr mit seinem Geld. Das Wertproblem des Kapitalismus war sozusagen militarisiert worden.

Allerdings betrieb diese Aufwertung eine rasante Abwertung der Währungen, die nicht über hinreichende Kapitaldeckungen verfügten. Die globalen Krisen in Russland, in Lateinamerika und Ostasien waren keine bloßen Kreditkrisen, sondern vor allem Krisen der Entwertung ungesicherter Kapitalkreisläufe der eigenen Währung. Mit Hedgefonds konnten diese förmlich ausgelutscht werden, wenn die Kreditgebung an die nationale Währung gebunden war, deren Tilgung aber durch internationale Werte des Finanzmarkts vollzogen wurde (vergl. Z.B. das Desaster der thailändischen Währung im Juni 1997 mit einem Wertverlust von 70% in nur einem Monat).

Solche Politik hinterlässt Wüsten dort wo sie greift, und befördert in den reichen Ländern einen Irrealismus, der sich von aller Grundlage des Geldwerts abgelöst hat. Geld, das muss von daher hauptsächlich in das Militär fließen. Dies ist der Garant des eigenen Glücks. Und es fließt um so mehr, je mehr dieses Glück durch Geldentwertung bedroht wird. Das Ende haben wir in der so genannten Finanzkrise bereits vor Augen geführt bekommen, mit den hilflosen Wertdeckungsversuchen der Bankers durch Immobilienkredite, die nicht mehr rückzahlbar waren. Was dem Krieg im Irak nicht gelungen war, konnte auch bei der Deckung fauler Kredite nicht mehr funktionieren. Das Resultat war Zerstörung hüben wie drüben. Finanzwirtschaft und Irrationalismus, Armut und Zerstörung, Krieg und Terrorismus gehören zusammen, solange der Kapitalismus fortbesteht.

Die neue NATO

Die NATO hat als Exekutivmacht der globalen Finanzwirtschaft eine doppelte Rolle bekommen. Sie muss sich einerseits an der so genannten Zukunftssicherung der kapitalistischen Produktionsweise beteiligen, an der Sicherung des politischen Einflusses auf die Länder mit Bodenschätzen und günstiger Unternehmensstruktur, andererseits die Armut zurückdrängen, wo die ihr zu nahe kommt oder durch Bürgerkriege die „Unternehmenserfolge“ bedroht.

Bei der NATO weiß man das sehr genau. So formuliert es einer der Verfasser der neuen NATO-Konzeption General Klaus Naumann 1992, dereinst Generalinspekteur der Bundeswehr: 'Es gibt nur zwei Währungen auf der Welt: Wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen.'

Entsprechend dieser Logik wird auch die Bundeswehr für weltweite Militärinterventionen umgerüstet und eingesetzt. In den Bundeswehr-Richtlinien von 2003 heißt es: 'Landesverteidigung entspricht nicht mehr den aktuellen sicherheitspolitischen Erfordernissen', Stattdessen sei die Bundeswehr heute 'unverzichtbares Instrument, um die Interessen (Deutschlands) und seinen internationalen Einfluss zu wahren'. (Ziffern 72 und 73) 'Künftige Einsätze lassen sich weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen ... Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes.' (Ziffer 57),

Das aktuelle Bundeswehr-Weißbuch 2006 bezeichnet 'eine sichere Rohstoffzufuhr und sichere Transportwege' als einen Kernbereich deutscher Außenpolitik und die Bundeswehr als Instrument zur Durchsetzung dieser Ansprüche. Dort heißt es: 'Die Bundeswehr sichert die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands... Daraus ergibt sich eine strikt einsatzorientierte Ausrichtung der Bundeswehr. Sie ist so weiterzuentwickeln, dass die Streitkräfte uneingeschränkt im multinationalen Feld operieren können.' (Seite 82)

Diesen Zielsetzungen entsprechend wurde die Bundeswehr umstrukturiert. Sie gliedert sich in 35.000 Einsatzkräfte für Auslandsoperationen hoher Intensität, 70.000 Stabilisierungskräfte (Besatzungstruppen im Einsatzgebiet) und 147.500 Unterstützungskräfte (Ausbildung, Logistische Unterstützung, Verwaltung).

Nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums sind derzeit (Dezember 2008) rund 7.000 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Die Zahlen variieren von Monat zu Monat. Tatsächlich kann die Truppenstärke jederzeit auf bis zu 19.725 aufgestockt werden, weil die Obergrenzen bei den vom Bundestag beschlossenen Mandaten bislang nicht ausgeschöpft werden. (alle diese Angaben habe ich wiederum dem ISW-Grafik-Report Nr 12 entnommen).

Die NATO-Ergänzung durch EU-Eingreiftruppen

„Freetime Global Security“ ist eine deutsche Zeitschrift an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Militär. Und da sieht man die deutschen Interessen an einen globalen Unternehmenserfolg besonders klar und vor allem bedroht durch die inneren Konflikte zwischen Armen, den von der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossenen, und den Bereicherungsinteressen der Staaten. Das hat Jürgen Wagner von der IMI (Tübingen) zitiert:

„Zur Zeit ist eines der größten Risiken, dass die gegenwärtig Ausgeschlossenen irgendwann Gehör finden und ihren Einfluss dann auf nationaler Ebene wieder geltend machen. Daraus entsteht sowohl für globale Unternehmen als auch für Investoren wieder eine Herausforderung. Wie schützt man globale Unternehmensstrukturen in einer Zeit, wo sich das Länderrisiko im weitesten Sinne verschärft. Unternehmen müssen sich gegen politische und soziale Unruhen in den Nationalstaaten sichern.“

Wo die inneren Probleme der Länder die außenwirtschaftlichen Beziehungen einschränken oder vollständig blockieren, können die weltweiten Finanzinstitutionen wie Weltwährungsfonds und Weltbank nicht mehr die Marktbereinigungen und Wertsicherungen garantieren. Jürgen Wagner beschreibt das so:

„Auf indirekte Weise, wie es eben früher über die Finanzinstitutionen funktioniert hat, scheint es immer schwieriger zu werden. Im Gegenteil: Es gibt zunehmend jetzt eben Bestrebungen in verschiedenen Ländern, da tatsächlich auch wieder an Boden zu gewinnen. Und in dem Bereich ist eine zentrale Auswirkung von diesen Krisentendenzen zu suchen, dass die westlichen Staaten bereit sind, auf diese Weise Versuchen einer Rücksouveränisierung von Drittwelt-Staaten auch militärisch zu begegnen.“

Hierzu aber ist die NATO alleine nicht geeignet, da sie weitgehend durch militärpolitische Verträge bestimmt ist. Hier geht es um direkte Eingriffe in ein politisches und soziales Konfliktfeld, das durch kleine Einheiten vor Ort bewerkstelligt werden muss, die in der Lage sind, ihren militärischen Einsatz als polizeilichen Auftrag zu gestalten, als Hilfspolizei von Staaten, die Aufstände und Bürgerkrieg fürchten müssen. Einer der entscheidenden Beschlüsse des Europäischen Rates von 1999 war die Aufstellung von 'Schnellen Eingreiftruppen', die ab 2003 als EU-Krisenreaktionskräfte aufgebaut wurden.

Das wurde damit begründet, die EU müsse 'die Fähigkeit zum autonomen Handeln (haben), gestützt auf ein glaubwürdiges Militärpotential, sowie die Mittel und Bereitschaft besitzen, um - unbeschadet von Maßnahmen der NATO - auf internationale Krisensituationen zu reagieren'. Die EU muss 'zur uneingeschränkten Wahrnehmung ihrer Aufgaben ... über entsprechende Fähigkeiten und Instrumente verfügen'.

Auch im Reformvertrag von Lissabon sind solche Kampfeinsätze 'im Rahmen der Krisenbewältigung' (Art. 28b) vorgesehen. Zu diesem Zweck soll die künftige europäische Militärpolitik noch enger an NATO und USA gekoppelt werden (Art. 28a, Abs. 7). Der Reformvertrag legt außerdem in Art. 28a,Abs. 3 die Pflicht zur Aufrüstung für die Mitgliedsstaaten bindend fest. Er verpflichtet alle Mitgliedsstaaten zu Beistand 'gegen terroristische Bedrohungen und Angriffe ... mit allen Mitteln'. Damit kann Militär erstmals auch innerhalb der EU eingesetzt werden.“ (ISW-Grafikreport Nr. 12, Seite 12 Nato)

Zusätzlich zur Schnellen Eingreiftruppe wurden ab 2004/05 sog, Schlachtgruppen (Battle Groups) geschaffen. Es handelt sich um hochflexible, mobile und rasch verfügbare Gefechtsverbände, von denen jeweils zwei in ständiger Einsatzbereitschaft gehalten werden. Diese nationalen, bi- und multinationalen Kampfverbände von jeweils 1.500 Soldaten, die über eigene Logistik und Transportkapazitäten verfügen, sollen innerhalb von 5 bis 10 Tagen im Umkreis von 6000 km um Brüssel ins vorgesehene Kriegsgebiet verlegt werden können. Auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats sollen sie dort 30 Tage und nach Bedarf auch 120 Tage autark operieren können.

Wie der damalige Verteidigungsminister Struck betonte, sind die EU-Kampftruppen keine Konkurrenz zur NATO. 'Sie sind vielmehr eine gute Ergänzung etwa zu der schnellen Eingreiftruppe der NATO.' Denn die kleineren EU-Kampftruppen könnten eingesetzt werden, wenn die größere NATO-Truppe nicht aktiviert werden soll (HB, 10.11.04).

Aber auch die NATO selbst hat Eingreiftruppen, die NATO Response Force (NRF), beschlossen beim NATO-Gipfel 2002 in Prag. Diese „Response Force“ ist eine 25.000 Soldatinnen und Soldaten umfassende NATO-Kampftruppe, die in ständiger Einsatzbereitschaft gehalten wird. Innerhalb von fünf Tagen soll sie an jeden Ort der Welt verlegt werden können. Die NRF besteht aus Verbänden aller Teilstreitkräfte (deren Zusammensetzung sich alle sechs Monate ändert) mit allem erforderlichen Kriegsgerät inklusive Schiffen und Flugzeugen. Dabei trägt jedes Land die Kosten der eigenen Einsatzbeteiligung.

Deutschland stellt Truppenstärken zwischen 1.200 und 6.200 Mann, womit die Bundeswehr das größte nationale Kontingent aufbringt. Die Sollstärke der NATO-Eingreiftruppe ist bisher allerdings nur zur Hälfte erreicht.

Die kriegerische Humanitas

In der deutschen Öffentlichkeit werden die Bundeswehr-Einsätze in Afghanistan oder auch in Afrika als humanitäre Hilfeleistung dargestellt. Den in der Tat zerütteten Verhältnisse dort würde die Bundewehr Aufbauleistung und Polizeischulung beibringen. Doch mit einer Friedens- und Wiederaufbaumission hat der ISAF-Einsatz in Afghanistan nichts und der OEF-Einsatz (Operation Enduring Freedom) erst recht nichts zu tun. Niemand aus der Bevölkerung dort fühlt sich gefördert oder in seinen Interessen bestärkt und beschützt.

90 Prozent aller Waren werden importiert und sind für die in krasser Armut lebenden Menschen unerschwinglich. Die Lebenserwartung liegt inzwischen nur noch bei etwas über 40 Jahren. Zwei Drittel der Bevölkerung sind chronisch unterernährt und haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Täglich sterben 700 Kinder unter 5 Jahren und nur 10 Prozent der Bevölkerung verfügen über elektrischen Strom, Nur der Mohn blüht; laut UN-Drogenbericht 2008 hat sich die Opium-Produktion in Afghanistan zwischen 2005 und 2007 verdoppelt.

'Die westlichen Medien sprechen von Demokratie und Befreiung Afghanistans. Doch die USA und ihre Verbündeten sind damit beschäftigt, unser verwundetes Land in ein Land der Kriegsherren, der Verbrecher und der Drogenbarone zu verwandeln. Jetzt sind die Führer der Nordallianz die entscheidenden Machthaber, und unser Volk ist eine Geisel in den Händen dieser rücksichtlosen Killerbande. Viele von ihnen sind verantwortlich für das Abschlachten von Zehntausenden in vergangenen Jahrzehnten. Trotzdem nehmen sie wichtige Regierungsämter ein.' (SoZ-Interview 10.10.2007)

Die von den Regierungen der NATO-Länder behaupteten humanitären Ziele erweisen sich als glatte Lüge. Schon das Verhältnis von Kriegsausgaben zu zivilen Programmen ist entlarvend: 85 Milliarden Dollar wurden von 2002 bis 2006 für den Militäreinsatz der NATO ausgegeben, für den Wiederaufbau dagegen nur 7,5 Mrd. Dollar (Die Welt, 25.7.07). Und von dem zivilen Zehntel wandert das meiste in die Taschen korrupter Regierungsmitglieder, Sicherheitsspezialisten und Privatisierungsgewinnler.

Die NATO-Besatzungstruppen schützen eine Regierung, die sich auf Warlords, Waffenhändler und Drogenbarone stützt; auf Kräfte, die an einer sozialen und demokratischen Entwicklung Afghanistans keinerlei Interesse haben. In Afghanistan kämpfen 51.000 ISAF-Kräfte aus fast allen NATO-Ländern, die sich in immer heftigere militärische Auseinandersetzungen verwickeln (Stand Dezember 2008).

Deutschland stellt das drittstärkste Truppenkontingent. Hinzu kommt noch der US-geführte OEF-Einsatz mit einer Truppenstärke von 16.000 (SZ. 27.12.08). Entsprechend der Kriegseskalation steigen die Opferzahlen unter der afghanischen Bevölkerung. Der neueste UNO-Afghanistan-Bericht beziffert die Zahl der getöteten Afghanen auf 8.000 im Jahr 2007 (AP 3.6.2008). Nach vorsichtigen Schätzungen sind in den acht Jahren NATO-Krieg ca. 50.000 Zivilisten ums Leben gekommen.

'Der blutige NATO-Einsatz in Afghanistan ist gewissermaßen der Prototyp für eine neue Form westlicher Kriegsführung. Afghanistan ist gegenwärtig das zentrale Experimentierfeld, der ,Lackmustest' (Angela Merkel) für die NATO und für die neue Form zivil-militärischer Aufstandsund Besatzungsmissionen. Nur wenn es gelingt, den dortigen Widerstand 'erfolgreich' zu brechen, wird die NATO in der Lage sein, künftig weitere Länder ihrer Kontrolle zu unterwerfen.' (Jürgen Wagner 2008)

Die Bekämpfung der Armut ist das höchste Kapitalinteresse

Kriege sind immer Zerstörung der Infrastruktur und damit Zerstörung des vorhandenen Gemeinwesens, wie immer es funktioniert haben mag. Und das ist natürlich gewollt, denn das ist die Bedingung für die Einflussnahme auf die Strukturen, die dem Westen in dieser Region nötig sind. Von daher ist die Arbeit in zerstörten Strukturen eine Folge des kriegerischen Interesses, das sie hergestellt hat. Und das wird hierzulande als humanitäre Leistung verkauft. Aber die Politiker wissen es selbst und können es inzwischen auch offen aussprechen, dass die Bundesregierung „natürlich auch eigene Zwecke“ dort verfolgt.

Unter der Überschrift 'Deutsche Interessen' schrieb ‚Die Welt' am 15. Mai 2006: 'Die Feststellung, die Bundesregierung werde zur Wahrung ihrer Interessen auch militärische Mittel einsetzen, ist nur konsequent. Und mit der Formulierung, dass sich die Regierung besonders jenen Regionen zuwenden werde, in denen Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, begibt sich Deutschland endlich auf gleiche Augenhöhe mit anderen Ländern, in denen dieses Verhalten eine Selbstverständlichkeit ist.' Am 13.8,2006 schrieb die FAZ, 'Humanitäre Erwägungen' seien nicht der Grund für die Auslandseinsätze der Bundeswehr. 'Im Kern geht es um etwas Grundlegenderes: Deutschland leistet seinen Beitrag zur Aufrechterhaltung der herrschenden Weltordnung, von der es profitiert wie wenig andere Länden' Und Außenminister Steinmeier zur Anwesenheit deutscher Truppen im Herzen Zentralasiens: 'Das macht uns zu einem Spieler in einer Region, die nicht nur als Energie und Transportkorridor heftig umworben wird, sondern die auch eine wichtige Brückenfunktion hat: In den Nahen und Mittleren Osten oder hin zum Kaspischen Meer.' (Steinmeier vor der Willy Brandt-Stiftung im März 2008).

Die Verwertung von Zerstörung

Mit der weltweiten Finanzkrise ist auch auf der Kapitalseite die Verwerfung einer sozialen Katastrophe sichtbar geworden, die auch bald für uns spürbar sein wird. Das gesellschaftliche Lebensverhältnis der Menschen ist überall das inzwischen völlig unterworfene Objekt des weltweiten Kapitalverhältnisses. Dieses Verwertungsverhältnis erzeugt inzwischen die Vernichtung von menschlichen Lebenszusammenhängen, um aus den Trümmern die Strukturen zu errichten, die es für seine Selbstbestärkung und Sanierung nötig hat. Was unsere Zeit besonders charakterisiert ist die Verwertung von Zerstörung und die Sicherung der Machtstrukturen, die sie betreiben. Kriege sind der Terrorismus der Reichen und da muss man sich nicht wundern, wenn es auch bei den Armen Terroristen gibt. Die Bekämpfung der Armut wird daher mit einer großer Fahne als Bekämpfung des Terrorismus beflaggt. Es ist das moderne Kriegsgeschrei, das uneingeschränkte Weltmacht einfordert. Und es wird an jeder Ecke der Welt auch seinen Gegner finden, denn Armut herrscht weltweit.

Jürgen Wagner schilderte das im EineWeltHaus am Beispiel der neuesten Armutsäußerung, den sogenannten modernen Piraten. Es ist ein Beispiel für die moderne Kriegsdisposition der Weltmächte: dem Eingriff auf allen Ländern und Meeren, die Allgegenwärtigkeit der westlichen Militärs, die mit den Folgen der weltweiten Existenzzerstörung umzugehen hat.

Vortrag Wagner