Mitschnitt Radio Lora "Forum aktuell" (92,4 kHz am 4. Juli 2005 19 bis 20 Uhr)
Ist der b�rgerliche Staat am Ende?
Eckard Thiel (Radio Lora) im Gespr�ch mit Wolfram Pfreundschuh
Eckard Thiel Tagespolitik als Inszenierung f�r die Medien, daran haben wir uns schon lange gew�hnt. Auch das ist ein Grund daf�r, weshalb schon fast niemand mehr an die Verlautbarungen von Parteien oder von regierungsamtlichen Charaktermasken glauben mag. Der Fisch stinkt vom Kopf her und das schon seit einigen Jahren. Kein Wunder, wenn das politische Personal die Welt nur aus der Perspektive der globalen Zusammenh�nge sieht und erkl�rt und die irrationalen globalen Entwicklungen, welche die Anarchie des globalen Marktes erzeugen, zu einer Bedrohungskulisse aufgebaut haben, um sie gegen das eigene Volk zu verwenden. Stichwort Sozialabbau, Leistungsk�rzungen. Auch die derzeitige Regierungsfarce von Rot-Gr�n zeigt es klarer denn je. Die Krise des b�rgerlichen Staates soll wieder einmal �berdeckt werden durch eine neue Krise, durch die angebliche Krise der Regierungsunf�higkeit. In Wahrheit wollen sich die Parteienvertreter durch die Neuwahl lediglich einen neuen Persilschein abholen f�r eine weitere Demontage des Sozialnetzes. Die Frage, die uns heute umtreibt ist die: Ist der b�rgerliche Staat am Ende?
Einer Antwort n�her kommen wollen Wolfram Pfreundschuh von der "Kulturkritik M�nchen" und Eckard Thiel.
E.Th. Was waren die Gr�nde, die zu b�rgerlichen Staaten in Europa f�hrten? Der Nationalstaat, wie wir ihn heute haben, ist eine europ�ische Erfindung, die mit sehr viel Gewalt durchgesetzt wurde. Und dann war der Nationalstaat ja auch der Konkursverwalter des Feudalismus.
Wolfram Pfreundschuh Der Staat ist zweifellos mit Gewalt entstanden, zugleich auch aus einem Befestigungsinteresse. W�hrend der Feudalismus noch als eine Staatsgewalt durch Gottes Gnaden, also unmittelbar metaphysisch begr�ndet war, wurde der b�rgerliche Staat als Befestigung von Marktflecken n�tig, wodurch Strukturen entstanden sind, die f�r den Markt und die Entwicklung des Warenverkehrs immer tragender wurden. B�rgerlich ist ja eigentlich nichts anderes, als in einem befestigten Marktflecken wie in einer Burg zu leben und sich gesch�tzt zu f�hlen durch einen Staat, der zugleich so etwas wie eine F�rsorgepflicht �bernimmt und eine Gewalt inne hat, die sich nach au�en gegen die Feinde der Befestigung richtet und nach innen gegen St�rungen der Tausch- und Besitzverh�ltnisse. Er ist zweifellos ein Produkt der Gewalt, weil aus dem Feudalismus heraus das B�rgertum diese Gewaltentwicklung provoziert hat und dessen Abl�sung nur dadurch m�glich war, dass die Ausdehnung der M�rkte befestigt wurde. Und er hat auch heute noch diese Gewalt als Staatsgewalt, um die politischen Verh�ltnisse der b�rgerlichen Gesellschaft abzusichern.
E.Th. Nochmal zur�ck zum Feudalismus. Der war ja dadurch gekennzeichnet, dass die Menschen den Lehnsherren teilweise ausgeliefert waren, d.h. eine Freiheit wie in der b�rgerlichen Gesellschaft gab es nicht. Welche Art der Freiheit war denn jetzt die b�rgerliche Freiheit auch f�r die kleinen Leute?
W.Pf. Es war zun�chst mal die Aufl�sung von pers�nlicher Abh�ngigkeit. Leibeigen hei�t ja, dass der Leib als Eigenschaft eines fremden Besitzers ist. Das war aufgehoben. B�rger und Arbeiter waren in der Lage, sich frei von dem zu f�hlen und sich bestimmen zu k�nnen durch das, was sie besa�en. Beim einen war es Geld und Gut, beim anderen meist nur die Arbeitskraft. Die Abh�ngigkeit im Leben blieb dadurch nach wie vor, aber eben in pers�nlicher Freiheit, also in freier Verf�gung �ber das, was man besitzt - je nach dem, was dem Einzelnen herbei zum Leben n�tig schien.
Das Besitzverh�ltnis ist eigentlich das urspr�nglichste Resultat aus der Abl�sung vom Feudalismus. Besitz hei�t ja nicht Eigentum, sondern kommt vom Milit�rischen, meint eigentlich besetzen - und darin dr�ckt sich die Gewalt des Besitzverh�ltnisses aus. Besitz ist das Recht auf Okkupation, ist die Folge einer Macht, die durch staatliche Gew�hr �ber etwas, das man besitzt, gegeben ist. Wie man in dessen Besitz gekommen ist, ist hierbei gleichg�ltig. Ich muss das nicht erzeugt haben, was ich besitzen kann. Es muss einfach nur "ehrlich erworben", also eingetauscht worden sein. Es ist lediglich ein Rechtstitel, durch den ein Mensch �ber diese Macht verf�ge, so dass er zur Sache selbst �berhaupt kein konkretes Verh�ltnis haben muss. Und diese Besitzform ist letztlich das, was das Warenverh�ltnis sichert und antreibt, ihr politischer Ausdruck. Alle Menschen sind in der b�rgerlichen Gesellschaft nur nach ihrem Besitz bemessen und m�ssen ihn erwerben, um leben zu k�nnen, ob sie das so wollen oder nicht. Wer nichts besitzt als seine Arbeitskraft, der muss dann eben die verkaufen, um seinen Lebensunterhalt damit einzutauschen. Wer was anderes besitzt, kann damit machen was er will.
E.Th. Damit war quasi auch der kleine Mann, der Nichtbesitzende, auf Tod und Teufel darauf zur�ckgeworfen, seine Arbeitskraft zu verkaufen, um seine Existenz zu sichern.
W.Pf. Ja. das ist die Basis. Der Besitz ist absolute Bedingung f�r die Existenz in der b�rgerlichen Gesellschaft und der Staat k�mmert sich darum, dass jeder mit seinem Besitz das treibt, was er treiben kann oder machen muss. Und er wird von daher auch als Besitzender gesch�tzt, weil das die Allgemeinheit der Verh�ltnisse ausmacht. Ihm werden aber auch seine Lebensgrundlagen darin dadurch gesichert, dass es das b�rgerliche Recht gibt, das den Warenbesitz erm�glicht und dessen Gerichtsform durchsetzt, dass es die Verkehrswege gibt, das Gesundheitswesen, die Ausbildung usw. Der b�rgerliche Staat macht sich einerseits n�tzlich f�r Besitzverh�ltnisse und fordert f�r deren Erhaltung alle Macht und Gewalt. Er macht letztlich einen Handel mit den Schutzfunktionen, die er gew�hrt und zugleich damit auch seinen Gewaltstatus best�rkt wie ein sorgendes Familienoberhaupt, eben als "Vater Staat".
E.Th. Jetzt stellt sich die Frage, warum der kleine Mann, der Bauer und der Arbeiter, die B�rgerliche Revolution als Befreiung empfunden hatte. Er war doch nicht der Sieger dieser Geschichte. Das waren doch andere.
W.Pf. Ja schon. Aber von dem her, dass es zuvor noch den Unterschied vom dritten und vierten Stand als Unterschied von Leibeigenschaft und Soldarbeit gab, kann man die Aufhebung dieses Unterschieds in der Vereinigung dieser St�nde als Fortschritt ansehen. Damit war ja immerhin ein g�nzlich neues System eingef�hrt, das sich von mythologisch begr�ndeter Macht lossagte und die Epoche der Aufkl�rung ausl�ste.
E.Th. Gehen wir noch mal auf den Staat als solchen zur�ck. Was sind so die Bestandteile eines Staates: Also Staatsvolk, Grenzen, Staatsmacht, woraus resultiert das? Von daher gibt’s ja �hnlichkeiten zum Feudalsystem, was �hnlich organisiert war.
W.Pf. Die Staatsmacht als solche hat viel mit dem Feudalsystem gemein, wenn man mal von ihrem konkreten Zweck absieht. Sie ist die Gewaltform einer Politik, die einer ganz bestimmten �konomie und Kultur n�tig ist, in der Menschen sich nicht in ihrer Gesellschaft durch ihr Leben und Tun verwirklichen k�nnen. Sie ist das Herausgesetzte einer Macht, die eine �bermacht ist, die Formation einer gesellschaftlichen Gewalt, die allem gesellschaftlichen Leben vorausgesetzt ist und an die man sich meist einfach gew�hnt hat. Auch wenn behauptet wird, dass alle Gewalt vom Volk ausgeht, so ist doch die Form, worin diese wirksam ist, eine Institutionalisierung von Macht, die lediglich zur Sicherung der Besitzverh�ltnisse n�tig ist, nicht zur Entfaltung und Bereicherung des menschlichen Lebens. Hierzu haben wir eine parlamentarische Demokratie, die darauf gr�ndet, dass die Meinungen der Bev�lkerung zur Art und Weise dieser Sicherung darin repr�sentiert werden, dass also �ber eine Stimmabgabe eine Meinung als Machtanteil hierzu an die politischen Repr�sentanten im Parlament abgegeben wird, an eine Institution des Staats, worin sie im Palaver der politischen Vertreter, die vor allem nur sich als ihr "Gewissen" vertreten, ausgehandelt werden. Von dieser Ecke her ist der Staat zwar eine Art von Volksvertretung - also nicht mehr von Gottes Gnaden oder von irgendwelchen religi�sen Bestimmungen getragen, sondern von einer Meinung, die ihm zuteil wird, die aber im Wesentlichen nur die besonderen Regelungen der Probleme innerhalb der Besitzformen der b�rgerlichen Gesellschaft betrifft. Es geht nur um das, was die Menschen hierzu jetzt gerade als das Vorteilhafte von ihrer Situation her in der und jener Partei sehen und sie deshalb w�hlen. Also letztlich k�nnen sie ihre Meinung nicht als solche zu einer Entscheidung bringen, wie das meist verstanden wird, sondern nur diese in einer bestimmten politischen Haltung mehr oder weniger wiedererkennen und die entsprechende Partei w�hlen, um in einer bestimmten Existenz Verbesserungen durch die vermehrte Macht dieser Haltung zu erhoffen. Ob die Hoffnung sich auch realisiert und was ihre Existenz dann wirklich ausmacht ist etwas anderes. Die W�hlermeinung ist lediglich die Bef�rwortung einer repr�sentativen politischen Haltung, die von den Parteien jeweils vorgestellt wird und sich auch an dieser reflektiert.
E.Th. Ich sehe darin eine gewisse Parallelit�t in Europa zur EU. Die zum Beispiel wurde ja eigentlich auch gegr�ndet als eine Art Superstaat, kann man sagen – oder wie auch immer. Aber ein Motiv war ja wohl die Wirtschaft – es hie� ja fr�her nicht umsonst Europ�ische Wirtschaftsgemeinschaft. Da ging es um den Abbau von Z�llen, um die Entwicklung eines gemeinsamen Marktes, um Wirtschaft europaweit. Das waren ja die gleichen Gr�nde, die in der Geschichte auch zum b�rgerlichen Staat gef�hrt hatten. Es fing bei uns in Deutschland ja auch an mit der Post- und Zollunion von Kleinstaaten. Das waren die Vorl�ufer des Deutschen Reiches. Das waren doch rein wirtschaftliche Erw�gungen, die zu deren Gr�ndung f�hrte - so wie auch bei der Europ�ischen Wirtschaftsgemeinschaft.
W.Pf. Ja. der Staat ist ja keine kulturelle Veranstaltung. Er ist eine politische Einheit eines bestimmten Wirtschaftsinteresses. Danach haben sich die politischen Grenzen ergeben und Staaten gebildet und auch Unterschiede; z.B. auch wenn ein Land von einem Staat in einen anderen gewechselt hat, z.B. das Saarland, oder das Elsa�. Das hatte wirtschaftliche Gr�nde und danach gab es die entsprechende Geschichte in der politischen und auch kriegerischen Auseinandersetzung.
Bei der EU ist es allerdings f�r mich schon etwas komplizierter, weil die EU ein Wirtschaftsinteresse verfolgt, das insgesamt nicht mehr aus den lokalen M�rkten resultiert, sondern aus reinen Kapital- und Devisenm�rkten. Da geht es schon mehr um blo�e Wertverh�ltnisse. Die Entwicklung, die zur EU gef�hrt hatte, das war ja haupts�chlich der Niedergang des Devisenmarktes, also dass die Wechselkurse nicht mehr zu handhaben waren, dass man Wechselkurs-Stabilit�ten brauchte. Das war ja seinerzeit auf der ganzen Welt ein Problem, auch in Amerika, was z.B. auch zur Aufl�sung der Vertr�ge von Bretton Woods gef�hrt hatte. Da wurden �berall neue Sicherheiten gesucht, um Wechselstabilit�t zu erreichen, und das war z.B. auch eine solche Wirtschaftsunion mit stabilen Wechselkursen, also mit einer verminderten Abschottung der Nationalwirtschaft und ausgeweiterter Kapitalkonzentration. Dazu geh�rt der Gedanke f�r die EU und der ist insofern nicht mehr so ganz in diese Staatstheorie reinzubringen. Das zeigt sich ja auch daran, dass sie sehr losgel�st ist von unserem Staatsverst�ndnis, also dass es kaum zu vermitteln ist, was die EU macht, weil sie auf einer so hohen Etage Entscheidungen trifft, dass die sich nicht mehr so ohne weiteres der Bev�lkerung vermitteln lassen.
E.Th. Die EU findet f�r sich auch Antworten f�r den Weltmarkt. Das ist eine Institution, die sich als Partner im Weltmarkt sieht und versucht, auch die einzelnen Wirtschaftsgebiete oder L�nder fit zu machen f�r den Weltmarkt und konkurrenzf�hig zu sein. Was die Parallele zu den Kleinstaaten oder zu den Nationalstaaten ist, das ist doch die: Nationalstaaten hatten ja fr�her auch Grenzen und die Grenzen waren in erster Linie Zollgrenzen. Und Zollgrenzen hatten und haben heute teilweise noch den Effekt, dass man eigene Industrien aufbauen kann, unabh�ngig von der Konkurrenz, die drau�en herrscht. Das war zwischen Deutschland und England seinerzeit ein Problem.
W.Pf. Das ist richtig. Der Zoll ist einer der wesentlichen Grenzmechanismen der Nationalstaaten. Aber es ist ja so, dass die Nationalstaaten in dem Sinn keine Zukunft mehr haben, aber auch schon keine Gegenwart mehr, weil die Entwicklung �ber den Weltmarkt dahin gef�hrt hat, dass die Nationalstaaten selber anachronistisch geworden sind. Sie bestanden ja daraus, dass sie einen geschlossenen Lebensraum darstellten, in dem eine Kultur und eine bestimmte Wirtschaftsweise und Kapitalakkumulation zu einem Nationalstaat vereint war. Heute ist das nicht mehr m�glich, da das Kapital in seiner Entwicklung derma�en weit dar�ber hinausgegangen ist, dass es in den Nationalstaaten nicht mehr abzugleichen war. Es entstanden �berall die Probleme mit den Wechselkursen, das ich gerade angeschnitten hatte: Die unterschiedlichen Wertlagen der Devisen blockierte die Entwicklung der gro�en Kapitalbewegungen, machten Verwertungsschwierigkeiten - vor allem in der Wertrealisation. Das Kapital musste sich von den lokalen Beschr�nkungen von Produktion und Konsumtion freimachen, um sein Wertwachstum zu sichern. Und das hatte dann sozusagen die Aufl�sung der Nationalstaaten in die G�nge gebracht, so in den Siebzigerjahren, als die Vertr�ge von Bretton Wood aufgel�st wurden und damit die Deckung des Geldes durch Gold aufhob. Man wollte auf diese verzichten, um die Konzentration von fiktivem Kapital marktf�hrend zu machen. So ersetzte man die Wertstabilit�t durch die Versicherung einer angeblich f�r alle besseren Wirtschaftsentwicklung durch konkurrierende Kapitalm�rkte. Das macht die neoliberale Theorie aus. Und das ist identisch mit der Aufl�sung der Nationalstaaten. Die k�nnen eigentlich gar nicht mehr in dem Sinn wie bisher wirtschaften, weil die W�hrungen nicht mehr funktionieren k�nnen, weil fiktives Kapital eben nicht zu decken ist. Nat�rlich ist das ein Schlag gegen alle, die noch an einen "gerechten Warentausch" glauben oder damit leben m�ssen. Das sind vor allem die Armen, die damit noch weiter nach unten gerutscht sind zur Anwendungsmasse von Kapitalfiktionen und nehmen m�ssen, was sie abbekommen, sobald sie da mal vor�bergehend reinpassen.
E.Th. Ein Staat braucht eine Legitimation gegen�ber dem Volk. Weshalb soll es einen Staat geben? Auf der einen Seite, also im 19. bis zum 20. Jhrdt. war es ja so, dass der Staat bestimmte Infrastruktureinrichtungen, die ihm wichtig erschienen, bereitstellte. Das waren relativ viele, z.B. Fernmeldewesen, Verkehr, Elektrizit�t usw. Und das geht ja heute noch bis zur Kultur und ihren Einrichtungen. Das alles war staatlich verwaltet und Staatsbesitz. Und das wurde jetzt privatisiert. Es hei�t hierzu, der Staat k�nne das nicht zu gut verwalten, es sei alles obsolet und die private Wirtschaft k�nne es besser. Was hat sich da denn ver�ndert?
W.Pf. Der so genannte "Vater Staat" hat sich ver�ndert. Die Legitimation des Staates war ja so was wie das Schutzgehabe, das der Staat mit einigem Recht haben konnte. Er besorgt schlie�lich die Bedingungen eines Gemeinwesens: den Stra�enverkehr, den Deichbau, das Gesundheitswesen, F�rsorge usw. Und das war eigentlich seine "Legitimation vor dem Volk", dass er sagt, er kann das gut verteilen, er kann damit die Bev�lkerung weiterbringen.
Das hat sich ge�ndert. Das ist der Punkt, der durch die Globalisierung l�uft, dass der Staat selber zu einem Unternehmer geworden ist, also dass er sich inzwischen verh�lt wie ein Kapitalanwender, der genauso gut wie er die Produktionsmittel vorstrecken musste, auch in Leasingvertr�ge gehen kann. Und zugleich verh�lt er sich zu seiner Bev�lkerung wie ein Gesch�ftsf�hrer zu seinen Angestellten. Er signalisiert, dass seine Marktlage schlecht ist, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr ist, dass man nicht mehr gen�gend Profite erzielen kann und dass deshalb jetzt rationalisiert und abgespeckt werden m�sse. Das alles betrifft zwar fast nur den Weltmarkt und nicht mehr den Binnenmarkt, aber dort sollen die Abstriche gemacht werden. Neu ist, dass der Staat selber in einer Logik des Kapitals argumentiert und die Scheu verloren hat, sich nicht als f�rsorglicher ‚Papi’ verhalten zu m�ssen. Das Famili�re des Staates, die gediegene Infrastruktur, die der Nationalstaat anbietet, ist vorbei. Es ist ja auch nicht n�tig, dass man auf Familie und Nation besteht. Aber der Staat muss dahin gebracht werden, dass er sich dar�ber klar wird, dass er die eigene Bev�lkerung als Faustpfand des Kapitals verwendet und dass das Folgen haben wird.
E.Th. Das war ja auch schon immer die Funktion des so genannten Nachtw�chterstaates. Der Staat selbst darf wirtschaftlich nicht aktiv werden, sondern er darf sich maximal um die Rahmenbedingungen k�mmern, tut er ja heute irgendwo auch, aber das ganze Geflecht hat sich verschoben. Was damals als wichtig erachtet wurde, ist heute unwichtig. Warum das? Warum muss das Kapital z.B. jetzt in jedes Krankenhaus eindringen, die W�scherei dort privatisieren, die Krankenversorgung ... Was steckt denn dahinter. Was ist der Zwang oder der Druck oder die Feder die das antreibt.
W.Pf. Die Grundlage von jeder Produktion ist ja nach wie vor die Arbeit. Und die Produktion, die in einem Land und in allen L�ndern zusammen gemacht wird und deren Produkte dann gehandelt werden als Waren, die macht so was wie den Lebensstandard der Menschen aus. In dem Augenblick, wo die Produktion einen technischen Fortschritt erreicht hat, der praktisch immer weniger Arbeit verlangt, werden die Entwicklungsm�glichkeiten immer weiter und das Verwertungsproblem immer enger. Die Frage die best�ndig neu beantwortet werden muss, hei�t: Wo kann man bei allem Fortschritt und bei aller Verwertungskrise doch noch was an Wert rausholen, wo muss man weiter rationalisieren, wo kann man Kosten sparen, um mehr Ertrag zu haben?
Es gibt ja das ganze Gesch�ft, das im kleinen l�uft, auch im gro�en: Wir versuchen, mit Maschinenexporten oder mit einem Transrapid, den wir nach China verkaufen, oder mit Autos nach Amerika, uns �ber Wasser zu halten in dem ganz einfachen Warengesch�ft mit unseren Produkten. Aber wir sind nicht in der Lage, den Wert zu halten, solange wir nur auf der Ebene des Handels bleiben. Letztlich entscheidend ist, worein das alles verschwindet, welche Geschichte es anstrebt, wo und wie es konsumiert wird, was die Menschen davon haben, die in den L�ndern leben und was davon und wie es zur�ckkommt. Die Verwertungsm�glichkeiten dieses ganzen Verh�ltnisses werden immer geringer dadurch, dass die Arbeit, die dazu n�tig ist, immer weniger menschliche Arbeit und immer mehr Maschinenarbeit ist. Und Maschinenarbeit bildet keine Werte, die bildet lediglich Produkte und verschlei�t den Produktionswert der Maschinen, das ist der Unterschied. Das ist auch das Dilemma des Staates. Der Staat hat mit etwas zu handeln, was die ganze Spirale nach unten treibt, was die Wertmasse erh�ht und immer weniger Lebensstandard an die Bev�lkerung zur�ckgibt - vor allem der eigenen.
E.Th. Ist das Gerede vom Trend zur Dienstleistung hin das letzte Aufgebot des Kapitalismus oder der Kapitalisten, die sehen, dass die Produktion unter den Konkurrenzbedingungen unter so einem Druck ist, das nichts mehr zu machen ist? Das vagabundierende Kapital br�uchte jetzt Anlageformen, sagt man, um noch die letzte Lebens�u�erung als Ware herzunehmen, Diestleistungen, dass wir uns gegenseitig beraten, gegen Geld – jeder als des anderen Unternehmer.
W.Pf. Letztlich bildet Dienstleistung nur ganz partiell Kapital, n�mlich dann, wenn sie in einem Produktionsbereich behilflich ist f�r eine Mehrwert schaffende Produktion. Vielleicht gibt es das �fter mal im Transportwesen. Normalerweise ist eine Dienstleistung ein Produkt, das an Ort und Stelle verzehrt wird. Wenn ich z.B. Taxi fahre, oder mir die Haare schneiden lasse, oder das was ich halt sonst noch als Dienstleistung bezeichnen kann, dann kann sich kein Kapital in diesem Augenblick bilden, weil kein Produkt zirkuliert und kein Wert realisiert werden kann. Das hei�t: Eine Gesellschaft, die auf Dienstleistung beruht, kann letztlich nicht wirtschaftlich wachsen und Mehrwert realisieren. Das ist eine Ausrede. Dahinter steckt ein Verh�ltnis, das sehr stark und m�chtig ist, das �berhaupt Dienstleistungsgesellschaften m�glich macht. Und das ist eben das Verh�ltnis zu anderen L�ndern, wo viel Arbeit importiert wird. Die meisten Dinge, die wir in Gebrauch haben sind zu irgendeinem Teil ganz woanders gemacht worden, was die menschliche Arbeit darin betrifft.
Das hat Marx schon untersucht, das Verh�ltnis zwischen Dienstleistung und Produktion, und festgestellt, dass Dienstleistung eigentlich nur auf der Ebene der Reproduktion der Reicheren stattfindet, wo man sagen kann: Ich hab keine Zeit, mein Mann machts nicht, meine Kinder machens nicht, also gehe ich zum Fris�r. Das Geld daf�r habe ich ja schon l�ngst verdient, und schlie�lich ist das so billiger, weil meine Zeit f�r meine Gesch�fte eben viel zu kostbar ist. Das setzt also schon eine bestimmte Form von Reichtum voraus, die mit Produktion in diesem Sinn nichts mehr unmittelbar zu tun hat, n�mlich Finanzkapital.
E.Th. Zur Frage: B�rgerliche Gesellschaft am Ende? Wo zeichnet sich das Ende ab in den einzelnen Sektoren?
W.Pf. Die b�rgerliche Gesellschaft war ja urspr�nglich eine Gesellschaft, die einen eigenen Wirtschaftskreislauf hatte, wo man sich das so vorstellen konnte, dass eine bestimmte Kultur in einem bestimmten Land mit einer bestimmten Produktion Waren erzeugt und diese Waren darin auch ausgetauscht werden. Das war die einfachste Form der b�rgerlichen Gesellschaft, wie sie in der Abl�sungphase vom Feudalismus da war. Da konnte man auch sagen, der Kreislauf und das Wachstum war als wirtschaftlichen Fortschritt zumindest als wirklich wachsender Lebensstandard irgendwie f�r alle da. Der wirtschaftliche Fortschritt hat zugleich nat�rlich darauf gegr�ndet, dass die arbeitende Bev�lkerung, die Besitzlosen, davon ausgeschlossen waren. Aber die Arbeit wurde dennoch f�r sie leichter, das Leben l�nger usw. Alle diese drei Momente, dass der Staat als b�rgerlicher Staat eine bestimmte Kultur, die b�rgerliche Kultur, und eine bestimmte Produktionsweise, also eine Industrie, sich so ins Verh�ltnis setzen, dass alles sich gleicherma�en entwickeln kann, dass sich die Technologie amortisiert und akkumuliert, dass die Kultur den B�rgern genehm ist und der Staat sich um die Verbesserung der allgemeinen Produktions- und Lebensbedingungen bem�hen kann und sich alles in einem Kreislauf bewegen l�sst, das ist l�ngst nicht mehr der Fall und war es auch nur relativ kurz in der Bl�tezeit der Aufkl�rung.
Das Kapital hat sich demgegen�ber vollkommen verselbst�ndigt. Die wirklich akkumulierte Kapitalmasse, d.h. die Wertmasse, die wirklich in Maschinerie, Geb�ude, Inventar usw. steckt und darin sich verausgabt, ist nur noch 2 % der gesamten Kapitalmasse. Alles andere ist Finanzkapital, teils fiktiv als Aktienkapital, teils aus Zinsen, teils aus Grundrente. Das muss man sich heute so vorstellen, dass in der Globalisierung das wirklich Herrschende, das Kapital, eine wahnsinnige Wertmasse ist, die keine konkrete Erdung mehr hat und um den Erdball schwebt und irgendwo auf der Welt hier und da tausendfach angewandt wird und ebenso tausendfach irgend jemandem in irgendeiner Aktie oder sonst wo ein bisschen was bringt. Nur die Masse machts und die Masse bringt’s. Und die ist das Herausgesetzte aus jeglichem Stoffwechsel, das "Zugriffspotenzial" des Geldes, das Anwendung sucht. Das ist zwar schon in der b�rgerlichen Gesellschaft angelegt, aber nun vollkommen selbstst�ndig geworden.
Wertbildung setzt zwar nach wie vor irgendwo auf der Welt sehr viel menschliche Arbeit voraus, realisiert sich hierzulande aber vor allem in Grundrenten (Immobilien, Miete usw.) und Verkehrswerten (Lizenzen und Technik der Kommunikation). Von daher gibt es eigentlich f�r uns nur noch Kapital als eine v�llig unwirkliche Lebensgrundlage, d.h. es gibt keinen Nationalstaat in dem Sinn, dass er Wirtschaftskreisl�ufe �berhaupt noch handhaben kann, wie es bis in die Siebzigerjahre je noch versucht worden ist. Und es gibt keine letztliche Sicherheit f�r den Sozialstaat, der das gro�e Projekt der Nachkriegszeit war, z.B. auch keine Sicherheit, dass die Renten stabil sind, weil sie einfach weltmarktm��ig sich stabilisieren m�ssen und alles von der Weltmarktsituation abh�ngig ist. Der Nationalstaat hat keine wesentlich bedeutsamere Funktion mehr als ein Bundesland und wird im europ�ischen Staatenbund aufgehen m�ssen, wenn die Kapitalwirtschaft sich noch erhalten k�nnen soll – dann allerdings immer mehr zum Nachteil der Besitzlosen. Aber der Staat n�tzt ihnen so oder so immer weniger – so weit eben wie er als Sozialstaat noch funktioniert, wenn �berhaupt.
E.Th. Da will ich noch konkretisieren: Im Grunde genommen sind wir auch Teil des Problems, wenn z.B. das Geld meiner Lebensversicherung, meiner Altersversicherung angelegt werden musste, da wurden Versprechungen gemacht. Um dieses Geld handelt es sich auch.
W.Pf. Geld ist zum gro�en Teil nur noch denkbar als Finanzkapital. D.h., auch wenn wir nur ganz einfache Sachen machen, wie uns um unser Alter Sorgen zu machen, z.B. eine Lebensversicherung abzuschlie�en, werden wir zum Teil eines Finanzkapitals. Wir sind nicht mehr in den Kreisl�ufen der Generationen und was die Theorie von der Rente und dem Generationenvertrag ist, das ist nichts anders als Betrug, weil das Geld verwirtschaftet wird und weiter lebt in diesen Sph�ren, in denen es angewandt wird. Also, es gibt von daher keine b�rgerlichen Sicherheiten mehr, die eigentlich die b�rgerliche Gesellschaft zu ihrem Ausgang hatte. "Unser Geld" ist l�ngst nicht mehr unser Geld, "unser Staat" l�ngst nicht mehr unser Staat usw.
E.Th. Ein anderer Punkt: Da gibt es gro�e Ungleichzeitigkeiten auf der Welt. Es gibt Staaten, wie Kosovo, Albanien oder andere, die sind in der Staatsgr�ndungsphase und gleichzeitig gibt es die EU, die ist schon dabei �ber Br�ssel soundsoviele staatliche Funktionen wegzudelegieren. D.h., der Staat macht sich auch dadurch, dass er ‚modern’ auf den Markt reagiert, �berfl�ssig. Herr Schr�der f�hrt es ja vor, da k�nne man nichts machen, wir m�ssen uns nur anpassen.
W.Pf. Ich denke, der Staat macht sich nicht ganz �berfl�ssig, er wird mehr zu so was wie einem politischen H�ndler. D.h. es ist schon wichtig, welche B�ndnisse betrieben werden; z.B. war es sicherlich wichtig, das sich die SPD nicht in den Irak-Krieg hineinziehen hat lassen, weil sie einfach kapiert hat, dass es f�r die europ�ische Entwicklung besser ist, sich herauszuhalten. Frau Merkel h�tte das sicher anders gemacht. Von daher sind die Entscheidungsr�ume der Politik zunehmend selbstst�ndig geworden. Was dahinter steht an Problem des Kapitals, das l�sst sich nicht mehr national fassen, aber die Entscheidung, wie die Vertr�ge entwickelt werden und wie sich die USA und die Europ�er auf dem Weltmarkt positionieren, das ist schon noch die politische Geschichte, die der Staat zumindest als ein Vertragspartner politischer Absprachen macht. Das bringt aber nicht unbedingt die Menschen weiter, h�lt aber die M�chte noch zusammen und kann sich auch anderer Politik noch entgegensetzen.
E.Th. Man h�rt es t�glich: Politik schafft keine Arbeitspl�tze, sie schafft nur Rahmenbedingungen und damit geben sie den Schwarzen Peter weiter, sind aber gleichzeitig hilflos.
W.Pf. Politik besteht aus einem politischen Willen. Was da alles eingeht, das sind entweder Vorstellungen, wie die Wirtschaft laufen k�nnte, und das sind dann alles Konditionen, Ideologien und abstrakte Interessen. Es ist nicht mehr so, dass man sagen k�nnte, in der Politik vertritt sich ein ganz konkretes Interesse eines ganz konkreten Kapitals. Es ist nur noch eine Wertmasse, die Probleme macht und die man steuern muss. Und eigentlich besteht die ganze Politik, wenn man’s ganz kurz nimmt, aus so was wie einem Krisenmanagement, weil man st�ndig erf�hrt, dass das Ganze nicht hinhaut und mal wieder eine "neue" gegenl�ufige Politik versucht. Eigentlich ist die Politik in dem Sinn schon negativ bestimmt. Es ist einfach nur ein permanentes Reparaturgehabe, wo sich jeder politische Mensch in der politischen Klasse eigentlich zunehmend als Handlanger verstehen muss - und dann sagt auch mal manch einer, dass es einfach keinen Spa� mehr macht.
E.Th. Dazu kommt noch die Nivellierung der Parteien. Man kann sie kaum noch unterscheiden. F�r Bildung muss was getan werden, Innovationen fehlen, neue M�rkte m�ssen gefunden werden. Welche Legitimierung haben �berhaupt noch Parteien. Das scheint mir mehr eine Sache der Duftmarken zu sein, als der tats�chlichen Interessenvertretung.
W.Pf. Der Unterschied ist schon, dass jeweils andere Vorstellungen vom Krisenmanagement herrschen. Ich sage nicht, dass es nur Duftmarken sind. Sicherlich sind Ideologien dahinter, wenn der eine leichter zu bewegen ist, in einen Krieg einzusteigen, als der andere. Aber es ist auch eine Frage von so was wie einer Staatstechnik, so dass die politische Klasse zunehmend zu Funktion�ren des Kapitals wird, indem sie mehr oder weniger gut in der Lage ist, seine Probleme anzugehen oder zu beheben. Sie ist zu so was wie eine Reparaturanstalt der Krise geworden. Und die Frage der Politik ist, welche Reparatur man vorzieht.
E.Th. Wobei, auch das beim B�rger kaum ankommt. Z.B. irgendwelche Exportvorschriften f�r Chemiemittel, das sind ja Dinge, die entziehen sich der Wahrnehmung des einzelnen. Wo bleibt der Arbeitnehmer da?
W.Pf. Die Losl�sung der Politik von den Interessen der Bev�lkerung ist eindeutig da. Das merkt jeder. Die Politikverdrossenheit hat ja zur Zeit einen Prozentsatz von �ber 70 %, wie ich gelesen habe. Aber von noch weittragenderer Bedeutung ist, dass diese Abl�sung der Politik auch institutionell fixiert ist. Sie wird ja auch in der EU so verwaltet. Die EU-Verfassung sieht vor, sich auf einen Weltmarkt einzustellen, der sich praktisch nur noch am Kapital selber orientiert und mit dem Leben der Bev�lkerung fast nichts mehr zu tun hat. Und diese Verselbst�ndigung hat sich auch innerhalb der Parteien oder in der SPD z.B. in dem Konflikt zwischen Lafontaine und Schr�der gezeigt. Der Schr�der hat schon ganz eindeutig einen Kurs eingeschlagen, den man neoliberal nennen muss und Lafontaine hat sich auf das sozial-demokratische Herz besonnen und meinte, man k�nne diesen Prozess aufhalten durch eine andere Politik, was ich bezweifle, wenn man die Probleme genauer anschaut.
E.Th. Das bringt mich zur Frage: Was kann man von den Parteien heute noch erwarten. Das Krisenmanagement schaffen sie ja auch nicht so richtig. Was bleibt oder was kann man dem W�hler raten, wie soll er sich orientieren.
W.Pf. Ich w�rde jede Partei daraufhin anschauen, ob sie es zul�sst oder m�glich macht, dass und wie andere Entwicklungen jenseits der bestehenden Politik mit ihr denkbar sind. Da gibt es einige �berlegungen, die diskutiert werden. Ich denke da z.B. an die Grundversorgung, die oft Grundsicherung genannt wird. Wie l�sst sich die machen, ohne dass sie nur eine andere Form der Sozialhilfe oder Rente wird. Bei den Parteien wird so etwas derzeit leider nur �ber Geld diskutiert, als eine Lohnumverteilung der Geringstverdiener mit den Geringerverdienenden. Das Thema Grundversorgung w�re wichtig. Aber es muss ganz anders angegangen werden. Grundsicherung muss was Organisches, ein kommunales Projekt werden, worin einzelne Existenzen in eine Ver�nderung des Gemeinwesens eingehen, worin die Menschen ihre Selbsterhaltung in einer kommunalen Versorgungsarbeit oder in kommunaler Industrie finden k�nnen sollen, sei es dadurch, dass man die reproduktive Arbeit selbst strukturiert in lokale und �berregionale Reproduktionskreisl�ufe oder wie auch immer. Die ganze Entwicklung muss vom Geld weg, zumindest Geld auf seine Funktion als Zahlungsmittel reduzieren. Gro�e Geldbewegungen k�nnen auf Dauer nichts ver�ndern, weil sie keine gesellschaftliche Formen ver�ndern und weil sich darin Wert vermittelt und weil Geld dann schon wieder als Kapital fungiert, wenn es zur Reproduktion vorgestreckt wird. Wir k�nnen nicht drum herum, dass Politik in der Lage sein muss, Lebensinteressen der Bev�lkerung zu artikulieren und sich von den L�sungen �ber Geld frei zu machen.
E.Th. Brauchen wir die Demokratie in der Form, wie sie existiert oder ist sie eher eine antiquierte Veranstaltung des 19. Jahrhunderts. Wir haben keine St�nde mehr, die Parteien gingen ja aus der St�ndegesellschaft hervor. Die Unterschiede sind nivelliert worden. Brauchen wir andere politische Werkzeuge f�r eine Demokratie?
W.Pf. Was wir bestimmt nicht brauchen, ist eine repr�sentative Demokratie. Das ist auch schon im EU-Parlament absurd geworden, dass die Vermittlung nach oben von einem Repr�sentanten zum n�chsten, zum �bern�chsten immer nur �ber Repr�sentation, �ber die Aufh�ufung von Stimmabgaben l�uft. Das kann nicht richtig sein. Es muss so etwas wie ein Bestimmungef�ge geben, das sich hin und zur�ck vermittelt, eine Demokratie, die so eine Art R�tedemokratie ist und zugleich auch eine Bezirksdemokratie - oder wie auch immer man das nennen mag - in der sich eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auch wirklich fortbestimmt. Und darin muss es subsidiar zugehen, so dass diese Fortbestimmung notwendig von unten nach oben geht, die Bestimmungen kontrolliert weitergegeben werden k�nnen und von unten nach oben auch vermittelbar so sind wie von oben nach unter, also allgemein durchsichtig. Das w�rde ich als ein Ziel sehen, eine Demokratie so herzustellen, dass sie sich aus den Lebensinteressen bestimmter Regionen ergibt und sich daraus auch mit anderen verbindet und auch in �berregionalen Interessen zusammenkommt, z.B. ist ja das Verkehrswesen bestimmt ein �berregionales Interesse, das nicht nur regional bestimmbar ist. Wie das alles ausschaut, das ist nat�rlich kompliziert. Aber es kann nur richtig sein, dass nicht �ber Repr�sentation und �ber Meinungsbildung der Bestimmungsweg verl�uft, sondern �ber Problemstellung und L�sung des Problems, wo auch die Wissenschaften eine bestimmte Funktion darin haben m�ssen.
E.Th. Das sind jetzt Vokabeln, die auch der Herr Stoiber benutzt. Das Europa der Regionen, z.B., das sind ja Gedanken, die sicher weiter zu spinnen sind. Aber ich k�nnte mir vorstellen, dass wir die Parteienherrschaft weglassen m�ssen. Das ist ja scheinbar schon eine Bremse f�r sich, die das Fell schon untereinander verteilt hat, ohne die Menschen zu ber�cksichtigen.
W.Pf. Das ist ja eben repr�sentative Demokratie. Parteiendemokratie ist dasselbe. Wenn der Stoiber so redet, meint er nicht das, was ich meine. Er meint ja nicht, dass sich aus Lebensinteressen heraus etwas entwickelt, sondern aus politischen Interessen. Und damit meint er seine staatspolitischen Interessen und vor allem die Geldbewegung, die darin geregelt werden soll. Das ist ein gro�er Unterschied.
E.Th. Wo gibt es noch Elemente, wo man sagen kann, der b�rgerliche Staat erf�llt seine Funktionen nicht oder wird seinen eigenen Anspr�chen nicht mehr gerecht? Kultur, Bildung haben wir bis jetzt vernachl�ssigt.
W.Pf. Das ist ein wichtiger Punkt, dass sich das Bildungssystem, das Gesundheitssystem und das Rentensystem anders entwickelt, als wir es von dem bundesdeutschen Wirtschaftswunderland kannten. Bei der Bildung sch�lt sich z.B. heraus, dass es um eine Hierarchisierung der Bildung geht, also dass zunehmend Elite-Bildung gemeint ist, die sich auch durch Geld abschottet, dass Leute was zahlen m�ssen, wenn sie in die Elite reinwollen – die Entwicklungen und die �berlegungen laufen schon darauf hinaus - und dass die ganze Bildungspolitik sich einen Arbeitsmarkt in zwanzig Jahren vorstellt, in dem es nicht mehr Arbeit f�r jeden gibt. Nicht dass dann jeder seine Freizeit hat, sondern dass eben diese Spaltung zwischen einer Elite und den Leuten, die wenig verdienen und als Drohung leben m�ssen f�r die anderen, dass das immer gr��er wird.
E.Th. Wir haben ja auch jetzt schon eine Zweidrittel-Gesellschaft. Da hilft uns, glaube ich, der Klassenbegriff nicht weiter, weil es sowohl bei den Reichen wie bei den Armen kreuz und quer geht mit der �konomischen Funktion. Welche Kategorie w�re da dann jetzt angebracht?
W.Pf. Ja, der Klassenbegriff hilft auf der ph�nomenalen Ebene nicht weiter, weil man Klassen so nicht mehr ohne weiteres erkennen kann. Wenn man von Klassen spricht, muss man von der ganzen Welt sprechen. Die Arbeiterklasse als solche z.B. besteht heute zu einem betr�chtlichen Teil aus einzelnen Menschen, die irgendwo in Taiwan, oder in Polen oder in USA oder irgendwo in irgendeinem Betrieb oder zu Hause einen Teil zusammenschrauben. Die Industrie als wirklicher Ort der Verbindung von Arbeitsteilung, ein Treffpunkt des Arbeitszusammenhangs durch Menschen, die somit wirklich eine �konomische Macht verk�rpern k�nnen, den gibt’s so nicht mehr. Die Abh�ngigkeit der Menschen vom Kapital ist wirklich total geworden. Das hei�t zwar nicht, dass es den Klassenbegriff logisch nicht mehr gibt. Das hei�t aber, dass der Klassenbegriff kein Begriff mehr ist, mit dem sich noch Wirklichkeit erkl�ren und erhellen l�sst, weil er keine wirklich anschauliche Aussage mehr machen kann. Tatsache ist, dass der Klassengegensatz zunehmend eigentlich nur noch zwischen Finanzkapital und Bev�lkerung �berhaupt besteht. Das geht zunehmend in den Gegensatz, dass alle Menschen fast zur Klasse werden und das Finanzkapital zum �bermenschen - wenn man diese Anschauung mal zu Ende f�hrt. Dann muss man sich so ein Machtgeschwebe vorstellen, das seine Erdung sucht und sich irgenwo mal herabbegibt und sich auch schnell wieder zur�cknimmt. Es ist eine handgreifliche Mythologie: Da wo fr�her ein Gott im Himmel vermutet war, da sitzen jetzt die G�tter des Finanzkapitals und hetzen durch die Algorythmen der Spekulation in den Computern der B�rsen und Broker der Welt.
E.Th. Dazu kommt die Tendenz �ber Unternehmensberater, die Unternehmen so zu animieren, dass der einzelne Arbeiter quasi sowohl den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer in sich hat. Er soll so kontrolliert werden, dass er sich selber soweit diszipliniert, dass er sich Rechenschaft abgibt, ob das was er macht, effektiv usw. ist. Da sind wir schon Teil des Systems, schon mittendrin, wie ich meine.
W.Pf. Ja, das ist richtig. Es ist aber auch insofern leider real, dass, wenn sich die Gewerkschaften nicht �berlegen, was aus ihren Forderungen wird, dass die dann leicht zu einem Schuss nach hinten werden. Das ist das Schlimmste hierbei ist, dass es real so ist, dass, wenn Arbeiter zu hohe Lohnforderungen stellen, sie sich selbst Schaden zuf�gen, z.B. indem es zu einer Inflation kommt, wenn sie den Arbeitspreis zu hoch durchsetzen k�nnten, und wenn sie zu geringe L�hne verlangen, kommt es zu einer Entwertung ihres Lebensstandards und ihrer Chancen, sich den Marktpreisen entsprechend zu reproduzieren. Es ist eine Situation da, in der sie alle in einer Zwickm�hle sind, sich gar nicht mehr k�mpferisch artikulieren k�nnen, sondern es meist zur Rechenaufgabe von Spezialisten wird, was da noch geht und was nicht. Eine Forderung als solche ist ziemlich egal, wenn sie sich tats�chlich nur gegen sie realisieren w�rde. Wenn man das so verdichtet sieht, dann k�nnen sie nur schaun, dass sie so viel Lohn und Arbeitszeitverringerung auf einer Verhandlungsebene herausholen, wie ihnen m�glich ist, angesichts der Drohung, dass das Kapital sonst abwandert. Das ist insgesamt keine ertr�gliche Situation. Es ist letztlich nur noch die blanke Erpressung einer Sachlogik, die sich durch Forderungen alleine nicht mehr wirklich und mit einiger Konsequenz �ndern l�sst ...
E.Th. ... wohl wissend, dass auch Erfolge im sogenannten Lohnkampf keine L�sung sind. Wenn �berhaupt sind sie nur ein Sieg f�r kurze Zeit. Das kann sich sehr schnell wieder umdrehen.
W.Pf. Die Frage ist auch, wie sich diese Lohnk�mpfe in eine antikapitalistische Politik einbeziehen lassen. Ich denke es gibt schon vieles, was man da tun kann, aber das Wichtigste daran liegt auf der Ebene eines Bewusstseins gegen�ber dem ganzen Kapitalverh�ltnis, also dass man sich dar�ber klar wird, an welchem G�ngelband oder in welchem Hamsterrad man gerade leben muss und dass man da �berhaupt raus will, dass man von der �berzeugung getrieben wird, dass es keinen anderen Weg gibt, als eine Verbindung innerhalb der Existenzen der Bev�lkerung, dass es keine Auswege �ber gro�e politische Aktionen im klassischen, im urspr�nglichen Sinn des Arbeitskampfes mehr gibt. Den unmittelbar geschichtlich handelnden aufgekl�rten Menschen, der nur wissen muss, was ihm n�tig ist, um dessen Verwirklichung anzustreben, den gibt es nicht mehr, auch nicht, wenn er als Masse auftritt, weil die dann logisch sich gegen sich stellen w�rde.
E.Th. Du hast von Aufkl�rung geredet. Aufkl�rung hatte immer einen positiven Bezug, hat sich immmer verbunden mit Fortschritt, Weiterentwicklung der Gesellschaft, Entwicklung der Produktivkr�fte. Nur muss man konstatieren, wir haben jetzt 200 Jahre Aufkl�rung und wir m�ssen feststellen, wir verstehen unsere eigene Gesellschaft nicht. Also da muss was schief gelaufen sein.
W.Pf. Es ist vielleicht mehr die Frage, was verstehen hei�t. Wir k�nnen sie verstehen oder nicht verstehen, das ist manchmal gar nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, was wir wirklich tun und tun k�nnen. Wichtig ist schon hierbei, ein Bewusstsein zu entwickeln. Das ist aber z.B. von Marx nicht als aufkl�rerisches Bewusstsein verstanden, sondern als wissendes Sein, also als Wissen dessen, was ist, und was nicht ist, was geht, was gehen kann und was nicht. Das ist etwas anderes, als wenn ich jemanden erkl�re, was vern�nftig w�re, um ein Ziel zu erreichen, also z.B. einen optimal angepassten Lohn. Die Aufkl�rung gr�ndet auf Vernunft, d.h. es gibt eine Vernunft des Bestehenden und in dieser Logik musst du das und das tun, dann hast du das und das als Folge. Das ist nicht notwendig Bewusstsein. Es ist eher so etwas wie eine Anwendungswissenschaft.
Die Aufkl�rung ist wirklich vorbei. Das Wissen, was l�uft wie es l�uft wenn es l�uft, das haben wir zur Gen�ge. Und es hat eigentlich letztlich eine affirmative Funktion, weil wir ja nur die Logik des Bestehenden als Vernunft nachvollziehen. Aber das, was Bewusstsein ist, hei�t, dass jeder sein Leben ernst nimmt und sich von seinem Sein aus wissend verh�lt und dann auch vor allem �ber sich wei�, was f�r ihn wichtig ist, was ihm n�tig ist und was deshalb zu tun ist. Da geht es nicht um Wissen einer Vernunft, Wissen als solches, sondern um Menschen. Und das ist ein Ansatzpunkt, der ganz andere Folgerungen ergibt, wenn man dann z.B. feststellt, dass die politischen Parteien keine wirkliche �nderung bringen, sondern bestenfalls irgendwelche Helfer sein k�nnen. Und dann muss ich auch zugleich feststellen, dass ich was ganz anders tun muss, weil ich was anderes vorhabe und rauskriegen muss, wie das gehen kann. Und dann kann man die Frage nach den Parteien so rum stellen, was die dabei bringen k�nnen und wenn’s vielleicht nur das ist, dass ich irgendeine Partei w�hle, weil von der die meisten Infos r�berkommen. Es gibt ja tausend Gr�nde zu w�hlen, wenn die Wahlstimme sowieso keinen Wert hat und wenn ich begriffen habe, dass ich meine Ziele nicht per W�hlerstimme �bereignen kann.
E.Th. L�sst sich �ber parlamentarische Arbeit, �ber Wahlen, �ber die Parteien eine andere Gesellschaft herstellen oder ist es eher so, dass die Parteien der Deckel auf dem Topf sind, der Kapitalismus hei�t und die den auch verwalten, so schlecht und recht wie’s passiert?
W.Pf. Die ganze repr�sentative Politik besteht daraus, dass sie gew�hlt wird, weil die Leute sich Vorstellungen davon machen, dass sie durch ihre W�hlermeinung ein parlamentarisches Kr�fteverh�ltnis bilden w�rden, durch das die Politik weitergebracht wird. Aber das Kr�fteverh�ltnis ist eine Illusion, weil es nur politischer Wille im Rahmen des Bestehenden bleibt. Es ist wirklich ein Deckel, der auf die Verh�ltnisse gesetzt wird: Da entstehen bestimmte Probleme, meistens sind es die Probleme des Kapitals, die wir zu l�sen haben, und dann gibt es ein paar unterschiedliche Auffassungen, wie die zu beheben sind. Da kann man w�hlen. Aber es gibt auch wirkliche, andere Probleme, die durch repr�sentative Politik nur dahin beantwortet werden, dass der Staat als Institution durch seine Mittel, durch Steuermittel oder durch seine Gewalt, durch Kriegsf�hrung, irgendetwas zu l�sen hat, was f�r das Ganze stabilisierend ist und er daher letztlich nur restauriert und konserviert, was eigentlich ganz anders werden m�sste. Und das hat nichts mehr mit dem zu tun, was f�r die Menschen richtig ist.
E.Th. Das hei�t doch, dass Fortschritt f�r die Gesellschaft, Fortschritt f�r die Menschen, nur sehr bedingt von den Parteien m�glich ist. Von den Abgeordneten ist nur zu erwarten: Wenn, dann darf der Fortschritt nichts kosten und darf nicht im Widerspruch stehen zu wichtigen Interessenverb�nden.
W.Pf. Ja, so weit sind wir eigentlich heute. Die Entwicklung, die man im Augenblick absehen kann, ist - zumindest aus meiner Sicht - keine weiterf�hrende Entwicklung f�r die Entwicklung der Menschen. Das Ganze, was bisher innerhalb der b�rgerlichen Gesellschaft noch antreibend war, die Entwicklung von Technologie, von Produktionsmitteln, von Erleichterung der Arbeit, die dann zur Erleichterung des Kapitalverkehrs wurde, das ist keine Entwicklung, die �berhaupt noch r�ckvermittelbar ist, au�er vielleicht durch bessere Konsumm�glichkeiten, durch ein paar Gags in der Kultur oder auf dem Musikmarkt oder �hnliches. Die Entwicklung durch welche Menschen sich ihrer Gesellschaft gewisser werden und ihres Miteinanderlebens und in der auch wieder Reichtum geschaffen wird, der wirklich f�r ihr Leben etwas bedeutet, die ist dadurch nicht mehr zu erwarten.
E.Th. Zum Thema: B�rgerliche Gesellschaft am Ende, wie du es beschrieben hast. In welchen Punkten kann man da von einem Ende reden oder wo zeichnet sich da was ab?
W.Pf. Die b�rgerliche Gesellschaft ist eigentlich eine Gesellschaft, die einen Produktionskreislauf, ein bestimmtes Verh�ltnis einer Wirtschaft zwischen Produktion und Konsumtion darstellt, das sich auf dem Markt durch Waren vermittelt. In diesem Wirtschaftsverh�ltnis war tragend, dass Waren getauscht wurden, dass es einen Staat gibt, der den Warenverkehr und auch die Produktion sichert und mit entsprechender Gewalt auch st�tzt und dass es eine Kultur gibt, in der sich die Menschen je nach den M�glichkeiten ihres Besitzstandes bilden, ausbilden, verfeinern und entwickeln. B�rgerlich hei�t ja eigentlich ‚burgherrlich’ und ist eine in einem befestigten Kreislauf sich vollziehende Wirtschaft, in der sich diese gesellschaftlichen Momente vermitteln und aufeinander beziehen. Das Kapital wurde darin zu einem allgemeinen Subjekt der Produktion und des Handels, das den Reichtum, der hierin gebildet wird, in als Mehrwert aufsammelt und weiter verwertet.
Inzwischen hat es sich dar�ber hinaus entwickelt zu einer ungeheuerlichen Fiktion. Es ist als eine von allen bestimmten Verh�ltnissen abgehobene Wertmasse selbstst�ndig geworden von diesen Wirtschaftskreisl�ufen in den unterschiedlichen Wirtschaftsr�umen als fiktives Kapital, das nach Verwertung giert, wo immer die m�glich ist. Es lag nat�rlich schon immer in der Natur des Kapitals, dass es alle Grenzen �berschritten hat und sich �berall nur dort eingesetzt hat, wo es sich Profit versprochen hat, wo es etwas vorfand, das es nutzen konnte, um sich zu vermehren, auszubeuten. Doch dieses Kapital ist inzwischen zu 98 % nur noch Finanzkapital und an keinerlei Ort gebunden, an keinen Raum und keinen Staat, Nation oder Kultur. Es macht nur noch Druck, alles zu verwerten, was daf�r irgendwo auf der Welt taugt. Und dazu geh�ren inzwischen auch die Infrastrukturen ganzer Staaten und Kulturen, die der Gewalt einer uners�ttlichen Produktion und Konsumtion von Wert �berlassen sind.
Es ist ein fiktives Kapital, das verwertungsgierig um den Globus schwirrt und in keiner Weise irgendwelche gesellschaftlich befestigten Lebensr�ume mehr sucht, in denen es bestimmte Produkte produziert, die in irgendeiner Form �berhaupt noch als gesellschaftlicher Reichtum existieren. Das meinte ich mit b�rgerlich und das ist zu Ende. Es gibt keine befestige Wirtschaft und auch keine, die sich durch irgendeine Lebensform – und sei es die der Nationalstaaten - noch darstellen k�nnte und verteidigen wollte. Die Beziehung von �konomie und einer politischen Gesellschaftsform, wie sie noch im 19. Jahrhundert tragend war, ist vorbei.
Die Globalisierung hat vor allem eins gebracht: Dass das Kapital als fremde Weltmacht selbst in die Staaten mehr hineingreift und diese nutzt, als dass sie dort noch wirklich einbezogen werden kann, dass also es diese Staaten nur noch als politische Gruppierungen gibt, in die das Kapital im einzelnen eingreift und im Vorbeigehen die Verh�ltnisse bestimmt, ohne noch gro� vor Schranken zu stehen oder vor Grenzen.
Man kann das an einem Beispiel in der Dritten Welt z.B. daran zeigen, wie sich in Peru der Goldabbau ver�ndert hat. Eine zeitlang war das ein Verh�ltnis, das �ber den peruanischen Staat lief, wo Gold exportiert wurde und auf den Devisenm�rkten abgekauft wurde. Seit Ende der Siebzigerjahre hat sich der Goldabbau um 1.635 % erh�ht, dadurch, dass das internationale Kapital sich in Peru direkt als Auftraggeber und Eigner entwickelt hat und die Produktion unmittelbar im Land bestimmt, als Kapital in die dort ans�ssigen Goldminen eingetragen ist und zum Teil mit einer S�ldnermacht, einer Privatarmee oder -polizei dort eindringt und die Abbaugebiete abriegelt. Zur�ck bleiben W�sten, zerst�rte Landschaft, zerst�rte Kultur, mit Zyaniden vergiftete Umwelt. Es gibt keinerlei Befestigungsweise eines Gemeininteresses mehr, keinen wirksamen Schutz der Bev�lkerung hiergegen, keine Selbstverteidigung der einzelnen Regionen. Es gibt nur noch einen praktisch willk�rlichen Eingriff in die Lebenszusamenh�nge und Lebensgrundlagen der Menschen, soweit und solange sie nutzbar sind f�r einen Verwertungszusammenhang des Kapitals, f�r einen Kapitaleinasatz, ein transnationalen Konzern, f�r Aktien, die dort als Kapital solange angewandt werden, bis die Verwertungsquelle versiegt.
E.Th. Ganz aktuell gibt es die neue linke Partei, die sich gerade gr�ndet. Lafontaine ist ein Verfechter der nationalen �konomie, d.h., er m�chte mehr Eingriffe des Staates in die Wirtschaft, er m�chte regeln. Ist das �berhaupt denk- und machbar in Verh�ltnissen, wo es die WTO gibt, wo es die EU gibt. Das kann man doch als Nationalstaat gar nicht mehr alleine denken.
W.Pf. Das halte ich auch nicht mehr f�r m�glich. Man muss sehen, woher die ganze Entwicklung kam. Es war nicht so, dass das Kapital durch einen b�sen Einfall b�sartiger geworden ist und heftiger und brutaler und auch noch die Staaten damit "rumgekriegt" hat. Es waren da nicht einfach ein paar b�se Menschen am Werk, sondern es ist eine Logik in der Entwicklung der Globalisierung, der ganzen Geschichte, die damit angefangen hat, dass die Ausbeutung der Arbeiter und der Dritten Welt nicht mehr hinreichend war, um die inzwischen angesammelte Wertmasse des internationalen Kapitals zu verwerten, dass also die Kapitalkonzentration einfach zu hoch geworden war gegen�ber den M�glichkeiten, die das Kapital hatte, sich darin auch umzuschlagen.
Die Entwicklung lief nicht auf der staatlichen Ebene. Der Staat hat nur die Gewalt, das Ganze was geschieht zu beeinflussen oder politisch zu handhaben. Die Entwicklung lief auf der Ebene der Wertverh�ltnisse. Und da war die Entwicklung des Devisenmarktes ausschlaggebend gewesen, n�mlich dass �ber die Devisen das Ausbeutungsverh�ltnis nicht mehr so gut laufen konnte, weil die Wertdeckung der Devisen mit deer Wermasse des insgeamt bewegten Kapitals nicht mehr mitkamen. Die einzelnen Staaten hatten sich dem gebeugt, dass das Kapital zum Teil gr��ere Wertmengen umfasste als sie selber; es gab die Konzerne, die weitaus gr��er waren als die Nationen, in denen sie t�tig waren und von daher eine reale Bestimmungsmacht hatten, der man entweder irgendwie folgen musste, um die eigee davon abh�ngige Wirtschaft noch eine Weile am Leben zu halten, oder der man etwas entgegensetzen h�tte m�ssen, etwa eine Infrastruktur, die wichtiger geblieben w�re als alles andere. Das war der Punkt, wo die Globalisierung richtig ins Rudern kam und die Staaten wirklich ohnm�chtig wurden.
Wir k�nnen deshalb jetzt, nachdem alles gelaufen ist, nicht einfach einen Staat erfinden, der praktisch ein bisschen gutm�tiger funktioniert und das Ganze anders in die Hand nimmt, weil er von guten Menschen getragen ist. Also da gibt es ein ganz reales Problem, das sich so nicht so einfach und per Wahlentscheid �ndern l�sst. Von daher muss die ganze Politik daraufhin abgeklopft werden, wie weit sie das �berhaupt begreift, �berhaupt begreifen kann und konsequent umdenkt und ihre eigene politische Form in Frage zu stellen vermag. Wahrscheinlich muss man ihr dabei helfen.
E.Th. Zum Schluss noch die aktuelle Situation in Deutschland. Voraussichtlich wird die SPD nicht an der Macht bleiben, gleichzeitig malt sie den Teufel an die Wand, wenn sie die Situation mit Frau Merkel beschreibt. Was ist jetzt Dichtung und Wahrheit daran, am "ohne uns wird alles nur noch schlimmer"?
W.Pf. Die Geschichte ist jetzt, dass die Sozialdemokratie mit ihrem Latein am Ende ist und dass auch der Versuch von Schr�der, sich auf die Seite des globalen Kapitals zu stellen, eigentlich auch nicht mehr sozialdemokratisch zu machen w�re. Ich finde schon, dass da was zu bef�rchten ist, das auf uns zukommt. Wenn man hinzunimmt, was der inzwischen vielzitierte Professor Sinn so sagt, wie er als Agent des global diensteifrigen Staats die Perspektiven sieht: Bis zum Jahr 2035 hat er alles hochgerechnet und festgestellt, dass diese Wirtschaft kaputt geht. Und dass jetzt alles zu tun w�re, um das aufzuhalten - nicht zum Vorteil der Menschen, sondern zum Vorteil des sogenannten "internationalen Wettbewerbs". Und das hei�t praktisch weitergehende Restriktionen gegen die B�rger. Er kommt dabei auf ganz einschl�gige Positionen, die auch von der CDU begeistert aufgenommen werden. Das Wesentliche daran ist die Wertediskussion, die dazu f�hren soll, dass die Versch�rfung der Arbeitsrestriktionen und der Mittel, die Hartz IV und Agenda 2010 nur angedeutet haben, versch�rft werden und dass wir schon davor stehen werden, dass der untere Arbeitsmarkt immer mehr abgetrennt wird von einem Elitemarkt und von daher auch keine Bewegung mehr hat, keine Aufstiegsm�glichkeiten von unten nach oben und die Gewerkschaften von daher nicht mehr in der Lage sind, Br�cken zu bauen oder auszugleichen. Das wird wohl immer deutlicher, dass sie hinf�llig werden und was uns erwartet, ist, dass die ganze Politik auf eine schr�ge, auf eine internationale Art und durch die Anforderungen der EU wieder zu einer Nationalpolitik wird gegen die Bev�lkerung – diesmal in ganz Europa. Und wir k�nnen nur hoffen, dass nicht mehr gelingt. Aber wir sollten dazu auch etwas tun.
E.Th. Soweit unser Beitrag zum Thema: Ist der b�rgerliche Staat in der Krise? Wer das Thema vertiefen m�chte, der sollte sich bei http://kulturkritik.net einw�hlen. Wolfram Pfreundschuh von eben dieser Kulturkritik und Eckard Thiel verabschieden sich.
Zum Schluss noch etwas Vers�hnliches: Wie auch immer der Zusammenschluss der Linken in Berlin ausgehen mag, eine neue Gesellschaft wird mit Sicherheit nicht durch die Parlamente entstehen. Deshalb bleiben wir gelassen und drehen lieber an den anderen Schrauben, die uns noch zur Verf�gung stehen.