Wolfram Pfreundschuh (8.4.2016)

Oh wie schön ist Panama. Und Panama ist überall!

Die mit Finanzgeschäften befassten Fachleute waren mit den Enthüllungen über die Geldeinlagerungen in Scheinfirmen zum Zweck der anonymen Geldanwendung zum Vortel der Geldbesitzer natürlich nicht überrascht. Durch die Veröffentlichung des Datenlecks war lediglich der konkrete Nachweis und Beweis über das Netzwerk und den Verbleib der Geldmassen des herrschenden Schuldgeldsystems angetreten geworden. Jeder hatte sich schon vorher ausrechenen können, dass die Akkumulation ungeheuerer Geldmassen jenseits der realökonomischen Anwendung existiert und es nicht nur in Panama, sondern im ganz gewöhnlichen Geldverkehr der Banken und Großanleger und Kreditversicherer und sonstiger Finanziers üblich ist, dass es ganz legale, wenn auch moralisch nicht so legitime Geldeinlagerungen gibt, durch die sie ihr Geld vor den Risiken der Märkte schützen und zugleich vor den Ansprüchen der Nationalstaaten abschotten können.

Das Problem des modernen Kapitalismus ist seit der Globalisierung des Kapitals ganz offenkundig das Problem, wo Geld noch sicher, also werthaltig einzusetzen und anzulegen wäre, ohne dass es seinen Wert verlieren muss. Denn Geld, das für die Realwirtschaft keine Verwendung findet, verliert seinen Wert, wo es nicht mehr zirkuliert, wo es nicht durch die Wirkungsweisen der Märkte einen Bedarf irgendeiner Art realisieren kann, also nicht mehr gebraucht wird. So konnte man sogar froh darüber sein, wenn große Geldmengen in Parallelwelten gehalten wurden, um irgendwann wieder zumindest privatim oder in einer dubiosen Kriegs- und Drogenwirtschaft wieder wirksam zu werden. Auch dort kann es wieder zu Frischgeld "gewaschen" werden, durch Finanzmacht reale Geldeinnahmen erwirken.

Man wusste über die anonymen Finanzspeicher längst bescheid, bei der sich Geld aus Waffengeschäfte, Rauschgifthandel, Finanzierungsgewinne, Bestechungen der Politik für Übereignungen und Kriege usw. ebenso verstecken ließ, wie auch das Geld von Prominenten, die sich über die Herkunft ihrer Einnahmen schämten oder um deren Interpretation fürchten mussten. Schließlich wusste man auch, dass die Überschüsse an Buchgeld immer wieder irgendwo versackten und dem Zugriff des bürgerlichen Rechts entzogen wurden. In fast jedem Staat, auch in Deutschland, war es schon lange möglich, dass gewiefte Juristen das Versteckspiel mit anonymen Geldbeziehungen durch Scheinfirmen und Scheinhandel beherrschten und damit neue Einkommensmöglichkeiten jenseits der Waren- und Finanzmärkte schaffen konnten, die eine Parallelwelt der Finanzmacht entwickelt hatte, die allerorten wirksam und damit auch erkennbar war.

Neu ist nur, dass ein Teil der damit handelnden Personen bekannt und also auch angreifbar wurden. Und alt geblieben ist, dass dies zwar für diese Personen unangenehm werden kann, dass es aber keine großen Folgen für das ganze Finanzsystem haben wird. Natürlich könnte man einiges dagegen tun und einige Politiker tun sich jetzt auch eifrig damit hervor, "geeignete Maßnahmen" öffentlich preiszugeben, die sie bisher nicht so "für nötig" gehalten hatten. Doch es will niemand aus ihren Kreisen wirklich riskieren, die Abschottung von Geld wirklich und wirksam abzuwenden, weil damit der Wert des Buchgelds damit gehalten werden muss, sein Wertverlust sich sonst auch real vollziehen könnte, weil dann also das genze Finanzsystem seine Lücken wahrmachen müsste. Bei 630 Billionen Wertüberzug des Buchgelds über die Realökonomie wäre ein Großteil des nicht mehr anwendungsfähigen fiktiven Kapitals desolat, wäre dies für dieses System die wirkliche Katastrophe, die finale Krise des Kapitalismus, denn nicht nur den einzelnen mehr oder weniger korrupten Persönlichkeiten und Einrichtungen müsste der Boden ihres Geldverkehrs entzogen werden, sondern auch dem politischen System des fiktiven Kapitals, dem Stichwortgeber der gesamten Weltwirtschaft: dem Aktienmarkt und Derivatenhandel. Denn diese Märkte sind keine "Nullsumenspiele" einer Geldmenge, die in Wetten nur hin- und hergeschoben werden. Es sind die Geldmengen, welche nicht mehr nur realwirtschaftliche Investitionen, sondern die Preisbildung der Märkte überhaupt durch ihre Wertmasse bestimmen. Und die steht umso günstiger für den Besitz von Wertpapieren, je positiver die Prognosen, je unerkennbarer der Wertverlus ist, den Geld realökonomisch erfährt. Würden die etwa 20 Billionen Dollar, die sich "panamesisch speichern" lassen, wirklich den Preis der Staaten, die Steuern bezahlen, die ihnen die Verwertungsstrukturen zur Verfügung stellen, so wäre der gesamte Weltmarkt des Geldes, die sogenannte Finanzindustrie bedroht. Von daher entsteht hier kein politischer Wille, diese Geldspeicher aufzulösen.

Harald Schumann schreibt hierzu in einem Artikel im Tagesspiegel vom 4.4.2016:

"Weltweit, das ist plausibel belegt, sind mindestens 20 Billionen Dollar "offshore" gebucht, das heißt außerhalb des Heimatlands ihrer Eigentümer und in aller Regel geheim und steuerfrei. Durch dieses schwarze Loch der Weltwirtschaft entgehen den Staaten Steuereinnahmen von vorsichtig geschätzt 200 Milliarden Dollar pro Jahr, weit mehr als alle Entwicklungshilfezahlungen zusammen."

Steuerpolitik ist längst zum Schlachtfeld der Wirtschaftspolitik und deren Prognostik für die Nationalstaaten geworden. Und das geht nicht ohne Folgen für deren Einwohner ab. Zwar sind die Nationalstaaten seit der Globalisierung des Kapitals zu dessen wesentlichen Ausbeutungsobjekten geworden und von daher in einer schwierigen Zwitterposition in ihrer politischen Existenz zwischen Bürger und Bürgschaften verwickelt. Aber sie sind durch ihre Staatsverschuldungen nicht mehr die Herren über ihre Währungen und Banken, sondern Dienstleister des Weltkapitals aus Schuldpflichtigkeit gegenüner einem weltweit wirksamen Schuldgeldsystem.

Und zugleich wissen sie, dass es für den Nationalstaat kein Zurück mehr geben kann, weil der nationale Warenhandel innerhalb der Wertlage der weltweiten Konkurrenz keine Chancen gegen das Ausbeutungspotenzial anderer Staaten haben kann, weil also das Wertverhältnis weltweit so herrscht, wie es innerhalb der Nationen schon in deren Marktwirtschaft geherrscht hatte. Die Wertgröße der Wertsubstanz der Nationalstaaten reicht nicht mehr aus, um durch realökonomischen Warenhandel Kapitalwirtschaft betreiben zu können. Die Nationalstaaten haben mit der Bekämpfung der Notlagen des nationalen Kapitals, also seines Bankensystems, eine Feudalherrschaft übernommen (siehe Feudalkapital), die sie gegen die finanziellen und strukturellen Verhältnisse ihrer Wirtschaft, also gegen die Interessen ihrer Bürger durchsetzen müssen.

The show must go on. Es wird publikumswirksame Einschränkungen und Schuldzuweisungen geben, die an einer Stelle im großen Versteckspiel funktionieren können um eine andere neu aufzumachen. Aber es bleibt Camouflage für ein System, das über die Märkte das ganze Leben und die Kultur der Menschen, deren Arbeitsaufwände und Konsumverhalten, deren Lebensarbeitszeit und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse zur Abstraktion, zur Isolation, zur Beziehungslosigkeit bestimmt. Wenn sich ihre wirtschaftlichen Beziehungen nicht auch kulturell verwirklichen, ihre Arbeit und Lebensgrundlagen nicht von ihnen konkret organisiert und politisch an Ort und Stelle ihres Lebens auseinandergesetzt und in einer vergesellschafteten Subsistenzwirtschaft umgesetzt werden, wird sich Geld niemals als das regionale Rechengeld erweisen, das es in der Vorstellung und Ideologie schon immer sein sollte, sondern immer nur Wert transportieren und Konkurrenzverhältnisse und Konkurrenzverhalten optimieren – erst mal lokal, national und schließlich immer wieder auch global. Denn die Notlagen der Wertverhältnisse, die Existenznöte der Konkurrenten verlangen dies zwingend.