Fassung vom 21.2.05

Unterlegung der Thesen von: "Thesen zur Wertediskussion: Patriotismus, Leitkultur und Leistungskultur"

Wolfram Pfreundschuh (02/2005)

 

Die Wertediskussion: Patriotismus, Leitkultur und Leistungskultur

 

�konomie, Kultur und Staat der b�rgerlichen Gesellschaft zeigen ihren abstrakten Zusammenhang nirgends deutlicher als in Krisenzeiten. Da entstehen Bruchstellen im Geb�lk der Gewohnheiten, Risse im Zusammenwirken der Existenzgrundlagen einer Gesellschaft, zun�chst als Probleme mit der Finanzierbarkeit der Staatsangelegenheiten, dann als Sinnfrage �berhaupt. Wenn die wesentlichen Ideale einer Gesellschaft ihre Unerf�llbarkeit wirklich zeigen, dann wird auch schon mal ihre Legitimation vakant. Wenn Lebensstandard, Bildung, Rente, Gesundheitswesen, Kultureinrichtungen usw. reduziert werden m�ssen, weil Geld fehlt, was soll aus dieser Gesellschaft werden? Waren es nicht gerade noch die wesentlichsten Ziele in ihrem Selbstverst�ndnis, jedem Menschen zur Selbstverwirklichung zu verhelfen, seine W�rde zu sch�tzen und ihm bei seinen Versorgungsn�ten Sicherheit zu bieten?

Im vierten Jahr der Rezession treibt den Staat aber nicht mehr so sehr die Frage, was die Menschen dieser Gesellschaft sich von deren Entwicklung vorstellen, sondern wie er das best�ndige Wachstum seiner Verschuldung stoppen kann. Seine Gl�ubiger, die ihm �ber die Weltbank das n�tige Geld leihen, verlangen Sicherheit. Ihr Geld soll nicht dadurch kaputt gehen, dass der Staat seine Aufgaben nicht erledigt - dass er vor allem die Geldwertstabilit�t beachtet, den durchschnittlichen Zinsfu� entsprechend feststellt, wirtschaftliche Bedingungen einer optimalen Verwertungslage absichert, soziale Planungen zur wirtschaftlichen Stabilsierung erbringt und dass er nicht selbst zahlungsunf�hig wird. Der wirtschaftliche Druck hat den Sozialstaat �berholt, von einem Wohlfahrtsstaat kann nicht mehr die Rede sein.

Der Staat krankt vor allem daran, dass der Binnenmarkt, der mit 60 % Anteil am deutschen Bruttosozialprodukt beteiligt ist und fast 80 % der Arbeitspl�tze bietet, in der vollen Krise steht, keine nennenswerte Ertr�ge einbringt und also weniger Steuer bezahlt, Arbeitslosigkeit am laufenden Band produziert und die Sozialkassen belastet. �ber 13,5 % der Deutschen gelten inzwischen auch in offiziellen Statistiken der Bundesregierung als verarmt. W�hrend die H�lfte der Bev�lkerung schon 1996 so gut wie nichts besa� (1,3 % des Nettoverm�gens) waren 5 % der Deutschen im Besitz von 43 % des geldwerten Verm�gens und 33 % des Immoblienverm�gens (Quelle: DIW-Wochenbericht Nr. 30/96 S. 497ff).

Im offiziellen Armutsbericht der Bundesregierung (2001) wird festgestellt, dass sich die Zahl der Verm�gensmillion�re von 1960 bis heute mehr als verhundertfacht hat, von 14.000 im Jahre 1960 �ber 270.000 im Jahre 1973 auf heute rund 1,5 Millionen. Dagegen vervierfachte sich die Zahl der Sozialhilfe empfangenden Menschen in Westdeutschland von 1973 bis 1998 auf 2,5 Millionen (insgesamt sind es etwa 2,88 Millionen). Daf�r verantwortlich gemacht werden gestiegene Arbeitslosigkeit und sinkende Erwerbseinkommen. Der Bundesbericht konstatiert, dass das "permanente Erreichen �berdurchschnittlicher Einkommenspositionen (...) in der zweiten H�lfte der 90er-Jahre ebenso wieder zugenommen (hat) wie das Risiko eines dauerhaften Abstiegs in unterdurchschnittliche Einkommensklassen." (http://www.uni-muenster.de/PeaCon/global-texte/r-m/klundt-ArmutundReichtuminDeutschland.htm). Die �berdurchschnittlichen Einkommenspositionen d�rften inzwischenen rarer geworden sein.

Dies hat sich seitdem noch drastisch versch�rft. Als gr��ter Auftraggeber f�r den Binnenmarkt hat der deutsche Staat auch einen gro�en Anteil an dessen Probleme: Durch schrumpfende Staatskassen nehmen seine Auftr�ge ab und mit deren Abnahme schwindet wiederum der Geldr�ckfluss in diese Kassen. Nat�rlich wei� die politische Klasse, dass es den gro�en Kapitalkonzernen nicht schlecht geht, soweit sie weltweit operieren – im Gegenteil. Ihre Gewinne haben Rekordniveau. Auf dem Weltmarkt steht Deutschland gut da. Nur nutzt das dem Staat recht wenig. Von dort kommen wenig Steuern, dort buhlt er mit Steuergeschenken, um �berhaupt noch versteuern zu k�nnen, um anteilig noch ein wenig dabei zu sein. Das Kapital ist mit seiner Globalisierung zu einer blindw�tigen Wertmasse geworden, f�r die auch Staaten und Gemeinwesen zunehmend Verwertungsobjekte geworden sind. Mal sind sie n�tzlich, mal nicht. Je nachdem, was zur Wachstumsproduktion gerade ansteht, wie die Verwertungslage und die Arbeitskosten beziehungsweise Konkurrenzen dort sind und welche Zugest�ndnisse der Staat an das Kapital zu machen bereit ist. Das Kapital nimmt, was es zur Verwertung seines Geldes nutzen kann, also die Prosperit�t einzelner Branchen, Staaten, Kulturen. Wer sich selbst hierf�r gut herrichtet, hat Chancen, am Geldfluss teilzuhaben.

Derweil treiben die Entwicklungen von Kapital und Staat auseinander. W�hrend das staatenlose Kapital immer m�chtiger wird, sorgen sich die Staaten selbst um ihre Konkurrenzf�higkeit als "Wirtschaftsstandorte". Wie Einzelunternehmungen treten die Staatsm�nner auf dem internationalen Parkett auf und bewerben sich um Auftr�ge, f�r die sie bereit sind, ihre Infrastrukturen und Sozialpolitik anzupassen. Und wie Betriebswirtschafter richten sie ihr Volkswirtschaft her, mit selbem Erfolg wie diese: W�hrend die Finanzm�rkte boomen, h�ngt das Sozialwesen am Tropf. Die Sozialsysteme brechen zusammen, b�rgerliche Strukturen in Arbeit und Familie zerfallen, Moral und Werte verlieren ihren Sinn. Man hatte das gerade noch als Fortschritte des "Postfordismus" gepriesen, doch der zugleich aufkommende Eindruck, dass darin auch jede sinnvolle Beziehung unm�glich wird, hinterl�sst Ratlosigkeit. Und die Verschuldungsfallen schnappen zu.

Was nicht mehr so einfach zusammengeht muss zusammengehalten werden, und so beginnt dann wieder jene eigent�mliche Kraftmeierei mit Begrifflichkeiten, von denen zuvor weniger zu h�ren und noch seltener zu erf�llen war: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarit�t, jetzt als Anspruch des Staates an seine B�rger. F�r die Freiheit m�sse gek�mpft werden, f�r die "gerechte Sache" des Staates m�ssen alle einstehen, die durch ihn verschuldet sind, also alle Staatsb�rger, und die Solidargemeinschaft ben�tigt immer mehr Geld zum Selbsterhalt als Wirtschaftsstandort auf dem Weltmarkt und verlangt daher Minderung der Sozialkosten und Sozialabgaben. Und mit solchen Spr�chen muss die Bev�lkerung die Reduktion ihrer Anspr�che an das Sozialwesen Staat dann ertragen. Es geht vor allem um Geld, um alle m�glichen Formen der Beitrags- und Steuererh�hungen und Kostensenkung, um alles, was dem Staat zur Effizienzsteigerung seiner internationalen Konkurrenzlage und seiner nationalen Armutsverwaltung m�glich ist. Deutschland ist reich an Exportwirtschaft aber arm im eigenen Haushalt.

Aber der deutsche Staat braucht auch wirklich Geld, um seinen Aufgaben nachzukommen. Nicht nur dies. Er braucht auch die Regularien, um es einzutreiben oder zu ersparen, er braucht Gesetze, die ihm einen erweiterten Zugriff auf das Verm�gen seiner Bev�lkerung erlaubt. Nicht nur auf das Geldverm�gen. Es geht auch um die Ver�nderung der Anteilnahme und Abh�ngigkeit des Einzelnen vom Ganzen der Nation, um das Lebensverst�ndnis, das hier mit eingehen muss, um sich an den N�ten des Gro�en und Ganzen zu beteiligen, eigene Erwartungen herabzusetzen und eigenes Selbstverst�ndnis dem staatlichen zu unterordnen. Was bislang mit dem Anliegen so glanzvoller Ideen wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarit�t verpackt war, klingt pl�tzlich ziemlich verh�rmt und spr�de. Die �konomie im Inland bringt es nicht mehr, weil sie f�r die im Ausland sparsam wirtschaften muss. Der gro�e Boom findet transnational statt, in den transnationalen Konzernen und gro�en Aktiengesellschaften, die ihr Kapital massenweise und zugleich tr�pfchenweise zergliedern und anlegen. Das Sozialwesen Staat muss man jetzt anders verstehen. Es dient einem h�heren Zweck. Man muss an die Zukunft des Ganzen glauben oder an Nachbarschaftshilfe oder an das gro�e Irgendwann. Jedenfalls kommt die Binnenwirtschaft, der sogenannte Mittelstand, nicht mehr so einfach weiter, wie bisher. Ihre Entwicklung ist so ziemlich am Ende, zunehmend in den Dimensionen einer Reproduktionswirtschaft, unter die niemand gehen kann, auch nicht die Gewerkschaften.

Und dann solle man auch bedenken: Die Zeiten sind schlecht und wir m�ssen doch etwas tun! Es geht doch immerhin um unser Leben als solches, um unsere Kultur. Davon war bisher nicht so sehr die Rede. Das war immer eine aparte Selbstverst�ndlichkeit, Produkt der eigenen Gl�cksschmiede, ins Private abgetrennte Entfaltungsm�glichkeit. Doch das geh�rt jetzt pl�tzlich dazu: Wir sitzen wieder mal alle "im selben Boot". Das wohl Separierte soll jetzt wieder aufeinander bezogen werden, das Eine f�r das Andere herhalten, Kultur f�r �konomie, �konomie f�r Staat und Staat f�r Kultur oder einfach auch alles zusammen.

In diesem Sinne taucht zugleich eine Richtungsweisung auf, zu der sich der Staat normalerweise nicht bem��igt sieht. In den Phasen, in denen die Wirtschaft relativ gut l�uft, tritt er gerne in den Hintergrund, und l�sst die Verh�ltnisse selbst regeln und bestimmen, was ihnen n�tig ist. Direktiv tritt er erst in Erscheinung, wenn Funktionsbr�che offenbar werden und die Entwicklung st�ren oder sogar verunm�glichen, also dann, wenn die Krisen der Wirtschaft deren Prosperit�t wieder eingeholt haben und Geld nicht mehr so luftig funktioniert wie vordem. Aber da gibt es nach Phasen des relativen Wohlstands ein Problem: Seine Regulationsm�glichkeiten per Gesetz, z.B. Sozialgesetze wie Hartz IV, sind nicht so richtig glaubhaft ohne eine gewisse Dosis von Angst. Die muss man vermitteln und da muss dann eben auch mit Kultur gedroht werden: Es sei eine schlichte Notwendigkeit unserer Kultur, unsres "Vaterlandes", daf�r einzustehen, dass sich seine Lage wieder bessert. F�r dessen Erhalt seien Regulationen n�tig, die "vielleicht auch ein bisschen weh tun". Patriotismus ist wieder gefragt. Das "Vaterland" ruft zur Pflicht. Das meint nicht nur die CSU (Stoiber) und der CDU-Parteitag (2004), sondern auch eine ziemlich breite Str�mung in der politischen Klasse, auch wenn es manchmal anders benennt. "Uns" geht es nicht mehr so gut und "wir" m�ssen jetzt zusammensteht. Das klingt ja sehr bodenst�ndig und menschlich und macht die Verh�ltnisse zwischen B�rger und Staat famili�r und kameradschaftlich, vor allem seelisch. Damit argumentiert auch Schr�der, wenn er den "Missbrauch des Staats durch den B�rger" bek�mpfen will, von Fair-Play spricht, auch wenn dieses "Spiel" f�r die Staatsb�rger bitterer Ernst ist. Das kommt an. Das versteht jeder, der sich um seine Lieben sorgt. Schlie�lich ist ja der Staat auch "unser Staat" und also etwas Menschliches, oder?

Aber es erscheint erst mal etwas paradox. Gerade verliert der Staat seine wichtigsten wirtschaftlichen Steuerinstrumente und muss seine nationale Position dem internationalen Markt beugen, da soll er schon wieder patriotisch bedacht werden? Man soll sich wieder seiner Kultur besinnen, wo wir doch von jeder Staatskultur die Schnauze bis oben hin voll haben. Der Staat tritt tats�chlich wieder pers�nlich auf. Man soll ihn wieder lieben, weil er sich um uns sorge. Ja, gerade deswegen. Er kann sich nur wieder einkriegen, wenn ihm zumindest menschlich alle zustimmen, wenn alle sich ihm gegen�ber dankbar zeigen.

Und Dank verpflichtet: Weil der Staat f�r den internationalen Markt dereguliert wurde, weil er das B�ndnis mit der Bev�lkerung l�ngst aufgegeben hat, weil er einen Gro�teil seines Verm�gens privatisiert hat, m�ssen seine Regularien deutlich mit dem politischen Willen eines Gemeinwesens begr�ndet werden, das seit l�ngerem obsolet gewesen war, und wieder heftig zur Pflicht ruft, nicht als gebietender Staat, sondern als notwendiger, als unser aller Besorgnis. Was er im Gro�en und Ganzen betrieben hat und betreibt, das sind ja nur die Staatsgesch�fte. Aber in seiner Not als Konkurrent auf dem Weltmarkt, als Wirtschaftsstandort Deutschland, soll er zu unserem Anliegen werden. Wir sollen uns um ihn sorgen, seinen Notwendigkeiten Folge leisten, seinem Defizit dienstbar sein, unsere Bed�rfnisse und Forderungen den seinen unterstellen. Deshalb geht es wieder um Werte, nicht um die der �konomie, sondern die der Kultur. Es geht um Kultur als Anleitung der B�rger zu ihren Verpflichtungen gegen�ber dem Staat, um Patriotismus und dessen Funktion als Leitkultur, damit wir uns �konomisch unterwerfen, damit kein Insitieren auf Lebensstanard, auf Lohnforderungen und K�rzung von Arbeitszeit "�berhand" nehmen. Die neuen Ideale treten auf wie die alten. Aber sie haben einen anderen Grund: Sie b�ndeln nicht das Ganze in einem mehr oder weniger abstrakten Ziel; sie stellen jetzt die Notwendigkeiten des Ganzen �ber alles, was im Einzelnen n�tig ist. Es sind jetzt unmittelbar die Ideale eines abstrakten wirtschaftlichen Fortkommens, des Mehrwerts, wie er dem Wirtschaftsstandort Deutschland geboten ist.

 

Der ideologisierte Mehrwert

Die Wirtschaftskrisen des Kapitalismus, Verh�ltnisse, die seit �ber 200 Jahren bestehen und seitdem auch – m�glichst seitab der �ffentlichen Meinung - diskutiert wurden, werden pl�tzlich zum Brennpunkt des �ffentlichen Bewusstseins, wie eine schier �bergeschichtliche Notlage, die nur noch durch den Beitrag eines jeden zu beheben sei. Was bisher als Makel des Kapitalismus besser verheimlicht bleiben sollte, wird jetzt von gro�er Bedeutung, wenn es keine Alternativen zu geben scheint. Eines kann man damit n�mlich auf jeden Fall vermitteln: Alle m�ssen jetzt dran glauben. Steuern und Sozialabgaben haben wir ja schon immer bezahlt und daran darf auch nicht mehr viel ge�ndert werden, soll unser Bruttosozialprodukt nicht zu teuer und damit unsere Weltmarktpotenz geschm�lert sein. Beitragserh�hungen und Wirtschaftssteuerung bringen da in der Tat nicht mehr viel, nicht, weil es die Neoliberalen uns eingeredet h�tten, sondern weil dort l�ngst alles ausgesch�pft und ersch�pft ist. Nein: Wir stehen nicht nur auf den nationalen M�rkten in Konkurrenz, sondern weltweit, und m�ssen uns hierf�r selbst zurichten.

Die Entwicklung der deutschen Wirtschaft bestimmt sich also nicht mehr so sehr aus der Entwicklung des nationalen Marktes und den Investitionen im Inland. Daher muss der deutsche Staat jetzt die Bev�lkerung ausrichte und Herrichten f�r ein optimales Verh�ltnis auf dem internationalen Markt. Unser Problem sei die Produktivkraft Deutschland, welche noch nicht optimal ist, weil ihre "Betriebskosten" zu hoch seien: Arbeitslohn, Arbeitszeit, Ausfallszeit (Krankheit, Urlaub), Rente, Gesundheit und Sozialkosten. Unsere Weltmarktposition h�nge davon ab, wie effektiv sich unser Sozialwesen gestalten lie�e, wie flexibel man es eben machen kann. Flexibilit�t hei�t optimaler Nutzen durch Anpassung an das N�tige, Beweglichkeit, Ver�nderung, Sortierung und Ausgrenzung des Unn�tzen. Das sind die Ma�gaben, nach denen nun der Staat seine Bev�lkerung auszurichten hat.

So bestimmt sich die Konkurrenz des Weltmarktes bis in die intimsten Ecken unseres Staatshaushaltes fort. Als erstes geht es um die Sortierung. Nur wenn jeder wei�, wo er hin geh�rt und was ihm zusteht, wann und wohin er gehen und kommen darf, kann er wirtschaftlich funktional einbezogen und k�nnen entsprechende Erwartungen geregelt werden. Was sich bisher jeder so gedacht und vorgestellt und erwartet hat, kann vom ganz gro�en Markt nicht mehr erf�llt werden. Grundlage k�nnen nicht l�nger die Bed�rfnisse der Menschen sein, ihre Eigent�mlichkeiten und Berufsvortellungen. Das alles muss durch ver�nderte Teilnahme am Ganzen gemanaged werden, durch anderes Verhalten gegen�ber Bildung (Forschung f�r die Praxis, Numerus Clausus, Unterhaltungsindustrie), gegen�ber Ausgaben (z.B. Gesundheitskosten, die zu Krankheitskosten werden m�ssen) und Alltagsnotwendigkeiten (z.B. Mehrarbeit, Disziplin, Anpassung). Es geht jetzt also zu allererst um uns selbst als Teil einer nationalen Unternehmung, um unsere "nationale Identit�t", mit der wir dem Ganzen zustimmen sollen, um unsere Beitr�ge (wie z.B. Bereitschaft f�r Mehrarbeit, f�r Bescheidenheit, f�r Selbstdisziplin und Gemeinsinn), um unsere Einstellungen und Haltungen, um unsere �ngste und Erwartungen, unsere Sicherheit und Ordnung.

Identit�t ist eigentlich etwas sehr Komplexes und h�tte viel mit Auseinandersetzung, Selbsterkenntnis und Wahrheitsfindung zu tun – und es bliebe vor allem die Frage �brig, ob es nationale Identit�t �berhaupt wirklich gibt. Aber es geht einfacher, wenn man die Frage nach der Identit�t umkehrt. Wir w�ren vielleicht nicht von selbst drauf gekommen: Was uns verbindet ist das Gegenteil von dem, was uns trennt. Es trennen uns Interessen, die sich nicht einf�gen in das nicht vorhandene Ganze unserer Nation. Da f�llt denn auch mal wieder das Stichwort "nationale Identit�t" mit einem g�nzlich neuen Hintersinn: Nat�rlich gibt es immer Probleme mit solcher Identit�t, die ja nicht immer mit der Geburt gegeben ist, weder bei den Deutschen, noch bei den Ausl�ndern. Also packt man dieses Identit�tsproblem damit an,. dass die Unterscheidung von "gewachsener Identit�t" und "konstruierter Identit�t" bem�ht wird; das f�rdert die Kl�rung der Ausrichtung. Diesmal hat sich kein Deutscher da als erster vorgewagt, sondern ein Ausl�nder, der in Deutschland lebt und es besonders gut machen will und zugleich vorgibt, f�r Europa zu reden: Der Journalist und Kulturtheoretiker Bassam Tibi (siehe http://www.bpb.de/publikationen/40QIUX,0,0,Leitkultur_als_Wertekonsens.html). Wir h�tten das ja fast vergessen, hatten wir uns doch mit der "konstruierten Identit�t" (was f�r ein widersinniger Begriff!) in jeder Hinsicht l�ngst abgefunden. Nicht dass die Konstruktion von Identit�t verr�ckt oder schlecht, ein Widersinn in sich w�re, nein, nur geordnet muss sie sein! Und dazu sei eben jetzt wichtig, eine "gewachsene Identit�t" der "konstruierten Identit�t" voranzustellen. Wer oder was nun das Gewachsene verk�rpert, sei dahingestellt. Bisher war Kultur aus den wie auch immer gewordenen Lebensverh�ltnissen der Menschen entstanden. Jetzt sollen sich die Zugereisten dem beugen – nicht nur in Bayern.

Es ist der Klassiker einer Diskriminierung: Das Bestehende will sich seiner Gegenwart nicht �berlassen, sich nicht in ihm aufgehoben begreifen, sondern auf eine Geschichte bestehen, die sich dem Gegenw�rtigen zu �berordnen sei als Anleitung f�r dessen Behandlung. Es ist der Standort des Erziehers, der dem "Neuling" erst zu sagen habe, was das Alte mal war. Die Konstruktion eines Bruchs der Geschichte macht die Verleugnung einer in sich selbst gebrochenen Geschichte. Damit verleugneten sich einst auch die Eltern vor ihren Kindern, denen sie die Teilhabe an der Welt streitig machen wollten. Sie seien daf�r noch nicht "gro� genug". Und so geht es heute mit der Kultur: Wer hier lebt und arbeitet ist noch lange nicht hier und schon gar nicht kultiviert. Er hat bestenfalls eine "konstruierte Identit�t" und ben�tigt daher eine Leitkultur. Damit kann man endlich mal aufr�umen. Vor allem mit der "Beliebigkeit des Multikulturalismus" und zur "Schaffung eines Konsens �ber zentrale Normen und Werte hierzulande" (ebd). Nur gut sei sie gemeint, Ausdruck von Verantwortung f�r das Ganze. Denn auch auf uns ist nur Verlass, wo wir unser eigenes Haus bestellen und ordnen und wissen, was hierf�r gut ist. Wir sollten uns endlich wieder darauf besinnen, dass wir f�r unser Leben und unsere Lieben da sind - und das macht ja unsere Werte aus. Nur wo man sich wohl f�hlt, setzt man sich auch richtig ein und wei� was richtig ist. Und nur da greift das, was erforderlich ist, was verlangt und gefordert werden kann, was Wert hat, ohne dass es was kostet - im Gro�en sei das wie im Kleinen. Den Rest besorgt ja dann auch immer noch die Sachgewalt: Die Existenz, wenn sie Angst macht, und das Geld, das wieder "wirklich verdient" sein muss und deshalb zu jedweder Leistung verpflichtet.

Aber es braucht einen Begriff f�r kulturelle Werte, damit das Volk dahin gezogen werden kann, dem allgemein Notwendigen zu folgen, auch wenn es dabei nicht seine eigene Notwendigkeiten aufhebt, sondern die "des Ganzen", des ganzen Volkes eben. Daf�r taugt erst mal die Feststellung einer F�hrungskultur – nat�rlich eine gegen andere, gegen die Ausl�nder, zumindest f�r’s Erste. Leitkultur ist der Begriff einer Elite, die herausgesetzt aus den Verh�ltnissen, worin multiple Kulturen zusammengebracht wurden, feststellen kann, was f�r die Einheit der Kultur n�tig sei. Und das muss unter dieser Bedingung eigentlich eine Fiktion sein. Aber als Ausrichtung f�r andere ist es ein p�dagogisches Konzept der M�chtigen, eine Handlungsanweisung und Sortierung dessen, was sich einem bestimmten Ziel beugt und was nicht. Nat�rlich ist der Begriff einer F�hrungskultur nicht nur f�r Ausl�nder gedacht, also nicht nur f�r Menschen, die aus anderen Kulturen kommen; es geht hierbei um Anleitung zu bestimmten Zielen und Zwecken schlechthin, um die Errichtung einer nicht vorhandenen Hochkultur, welche die Ordnung und Verf�gungsmacht einer Exportgesellschaft durchsetzen soll. Und der werden Ausl�nder wie Deutsche unterwiesen; da gibt es auf Dauer keine Unterschiede mehr. Wie bei Hartz IV geht es nicht um Sicherheit, die mit solchen Begriffen vorgegaukelt wird, sondern um Leistung. Und schon ist auch so ganz nebenbei der Begriff Leistungskultur gefallen. Und der Reihe nach werden sich noch einige F�hrungsbegriffe einfinden, die mit den "kulturellen Notwendigkeiten" dieses "unseren Landes" begr�ndet werden. Kultur ist das letzte und st�rkste Argument, das dem Staat m�glich ist. Und eine F�hrungskultur ist haargenau die Sache, auf die er wieder mal hinaus muss, um von seiner Krise wegzukommen.

Der CDU-Parteitag 2004 hat das dann auch gleich weitergesponnen und hat umworben, was der gesamten politischen Klasse in der Republik n�tig ist: Staatspflicht nicht als Sorgepflicht des Staats f�r seine B�rger, sondern als B�rgerpflicht gegen�ber dem Staat. Das ist eine einfache Umkehr des bisherigen Verhalts. Es wurde bezahlt, es wurde vorgesorgt. Jetzt verlangt die Vorsorge nach Bezahlung im Nachhinein! Als ob ein Ungl�ck vom Himmel gefallen w�re, werden nun staatliche Disziplinierungsma�nahmen als Katastrophenschutz ausgegeben. Da ist dann niemand mehr seines Gl�ckes Schmied, sondern jeder muss etwas opfern, damit das Gemeinwesen wieder in die G�nge komme. Die christlich titulierte Partei, die den einfachsten Umgang mit Begriffen wie "N�chstenliebe", menschlicher Gemeinschaft usw. pflegt, will sich jetzt als Fahnenf�hrerin positionieren. Und also wird es ausgesprochen: Eine "Diskussion" um Patriotismus, um Vaterlandsliebe soll "klare Ziele" setzen, denn nur hierdurch ist ja "Leitkultur" letztlich auch zu begr�nden. Und nur hieraus ergebe sich "ein klarer Kurs" (Stoiber), der ansonsten wohl nicht mehr zu vermerken sei. "Schluss mit der Negativdebatte" forderten die Redner einer trauten Runde bei Maischberger, denn nur aus "positiven Gef�hlen" zum Land und durch Werte, die sie bef�rdern, sei auch der Glaube an sich selbst und an "die Zukunft" m�glich. Die Durchsetzung einer F�hrungskultur verlangt eben auch eine positive Beziehung zum eigenen Land.

Und so hatte sich pl�tzlich und unter der Hand wieder der "Patriotismus" als Begriff pers�nlich formulierter Staatserfordernisse gebildet. Weder die Erfordernisse des Kapitals, die dahinter stehen, treten darin auf, noch die des Staates, der von sich ablenken will. Es ist der v�terliche Appell zur Gefolgsbereitschaft – es ruft sich das Vaterland in Erinnerung wie ein Elternhaus, das man vergessen hat. Es ist der Aufruf zur Liebe. Hatte Roman Herzog sich noch wenige Jahre zuvor sehr klar hiergegen gesetzt mit der Feststellung, dass ein Staat eine Instition sei, und dass man Institutionen nicht lieben k�nne, so wird diese Liebe jetzt sehr schnell n�tig. Vaterlandsliebe dient n�mlich schon immer der Erziehung zum Staatsb�rger, wo das einfache Vertragsverh�ltnis nicht mehr hinreicht. Die Erf�llung der B�rgerpflichten wie Steuereinzahlung, Meldepflicht usw. l�sst sich leicht erzwingen. Da braucht’s der Liebe nicht. Die ist n�tig f�r die freiwillige Unterwerfung unter eine sinnliche Notwendigkeit, um ein Stillhalten und Erf�llen jenseits aller Vertragsverh�ltnisse die jeder B�rger mit seinem Staat so eingeht. Und Unterwerfung vollzieht sich nur wirklich sinnvoll in der Selbsterh�hung, die ein Individuum erf�hrt, wenn es sich als Teil eines Gesellschaftsganzen Selbstgewissheit verschafft,, einem Ganzen, das es nicht wirklich gestaltet, das es aber mit sich als eine gemeinschaftliche Gestalt von Individuum und Gesellschaft identifiziert: Vaterland als Kulturgestalt, als Vater und Land in einem. Vaterlandsliebe ist noch nicht Nationalismus, darin sind sich alle einig, die den Begriff verwendet haben wollen. Aber es die kindliche Form des Nationalismus, er w�chst zu ihm heran. Immerhin macht er schon das Individuum einer Nation zum nationalen Kultursubjekt, das nicht sich, sondern ein Ganzes vertritt, auch wenn es dies nicht vertreten kann. Und er macht dies zugleich auch schon zu einem Objekt: Pflichtschuldig gegen seine Liebe zu Volk und Vaterland. Vaterlandsliebe ist die Grundform einer subjektiven Objektivit�t, in die sich jeder Mensch begibt, der sich ihr unterstellt. Er kann auch sich nur m�gen, wenn er sein Land mag. Das wei� Stoiber bestens zu vermitteln. Wer keine Liebe zu sich selbst habe, habe sich aufgegeben, und dies sei das Grund�bel in Deutschland (Stoiber bei Maischberger).

Das ist nicht nur eine Drohung; es ist auch ein Trost f�r diejenigen, die aus ihrer Isolation nur so abstrakt herausfinden, wie sie hineingeraten sind: Die Heimat Suchenden. Schlie�lich ist das Vaterland nicht nur irgendeine ideelle Gemeinschaft, es ist der Begriff, der f�r eine kulturelle Ganzheit steht, in der sich jeder geborgen f�hlen kann, sobald er darauf Anspruch hat. Und Anspruch darauf hat eben jeder Deutsche von Geburt. Es ist eine gewaltige Verf�hrung f�r vereinsamte Menschen, sich darin hochzuziehen und sich auch dazu noch anteilig zu verstehen an der Staatsmacht, welche diese Kultur hat. Durch solche kulturelle Nationalit�t ist mit einem Mal alles �berwunden, was ansonsten Bedr�ngnis bedeutet: Einsame Ohnmacht. Es ist die Gemeinschaft der Kulturm�chtigkeit, die sich hiergegen verbr�dert. Und die wirkt in das ganze Selbstverst�ndnis hinein. Das kulturnationale Selbstverst�ndnis ist eine Verf�hrung zur Verbr�derung der Ohnm�chtigen im kulturellen Machtbesitz. So selten und au�ergew�hnlich ist das nicht. Besonders die christlichen Staatsagenten machen aus der Verf�hrung zu dieser Macht gerne eine Pflicht. Es steckt ja bereits in ihrem Kontext: Liebe deinen Staat wie dich selbst!

Wie immer, wenn Verh�ltnisse sich nicht mehr von selbst erf�llen, wird Liebe zur Pflicht. Dass dies gut zu nutzen ist, das wissen die Politiker, die es als Grundlage der eigenen wie einer allgemeinen Identit�t brauchen, als Identifizierung der isolierten Individuen mit der Pflicht des B�rgers eines Nationalstaats. Das hatte doch schon mal John F. Kennedy so sch�n gesagt, als er mitten im Vietnamkrieg zur Volkseinheit rief: "Schaue nicht, was dein Land f�r dich tun soll, schaue, was du f�r dein Land tun kannst!" Kr�ppel und zerst�rte Menschen kamen aus dem Krieg zur�ck, die Wirtschaft lag danieder und nur Devisenmanipulationen mit der damaligen Weltleitw�hrung Dollar konnten die USA �ber Wasser halten. War die Herzog-Rede �ber den "Ruck" der durch Deutschland gehen m�sse, um das Land weiter zu bringen, nicht auch so etwas �hnliches wie die Kennedey-Rede? Wenn alle pflichtschuldigst ihre Mehrbelastung ertragen, dann wird auch der Mehrwert wieder entstehen, der die Staatsschulden ausgleichen soll. Wenn nicht, dann ist zappenduster. Dann muss der Staat offen gewaltsam werden, nicht als Sozialstaat, der mit 1-Euro-Jobs die Menschen aus ihrer Isolation befreit, sondern durch Fronarbeit, durch die der Staat wieder in Gang kommt – und sei diese auch die "Arbeit mit der Waffe". Das m�gen wir doch alle nicht und das kostet ungemein viel Aufwand. Da sollten wir uns besinnen. Und daf�r appelliert Stoiber gerne auch mal an die Identit�tslosigkeit: Wir seien imstande, unsere Herkunft aus dem christlichen Glauben, dem bew�hrten Geist des Abendlandes, den Werten und den Autorit�ten, die sie verk�rpern, zu verleugnen, wenn wir nicht f�r unser Land einstehen. Und wenn wir dieses nicht mehr achten k�nnten, dann w�rden wir auch nicht unsere Geschichte, uns selbst nicht achten. Das hie�e vor allem, Leistung zu verkennen, Mut und Charakter zu verlieren, der Leistungskultur, die uns ausmacht, zu entfliehen. Wenn wir nur zus�hen, wie unser Land ausblutet und ausgenutzt wird, dann w�ren wir unser selbst verlustig, krank. Nein, das Ganze solle umgekehrt laufen: Die Deutschen m�ssten sich wehren gegen Miesmacher, charakterlose Gestalten und Dr�ckeberger. Hierzu auch nur zu schweigen, sei schon verwerflich. Deutschland m�sse vorw�rts schauen und "wer dem nicht zustimmt, der ist im falschen Land" (Stoiber aaO.).

 

Leitkultur, das ist vor allem Leistungskultur

Das sind klare Worte, zweifellos: Wer Leistungskultur ablehnt, der soll das Land verlassen, - so wie man ja auch das Kino verl�sst, wenn man im falschen Film ist. Protestieren, Jammern und Motzen hilft da nichts! Wer nichts leisten will, verdient nicht, hier zu sein. Damit wird allerdings auch ein gro�er Teil der Deutschen zum Ausl�ndersein bestimmt - Geburt reicht ja wohl irgendwie nicht mehr aus, wenn mensch seine Kultur als Anleitung begreifen soll, als Anleitung zu Leistung, die ihm aus Liebe zu seinem Staat n�tig sein soll. Fremd ist der Fremde nicht mehr nur in der Fremde (frei nach Karl Valentin). Aber traut ist der Mensch als "�berzeugter Patriot", als fundamentaler Patriot, der nicht duldet, dass die Falschen im Land bleiben und die Richtigen sich hier nicht mehr wohl f�hlen. Jedenfalls ist das mit dem Patriotismus durchaus politisch gewollt und nicht einfach eine Parteitagslaune auf der Stimmensuche nach Rechts und auch kein schneller Vorsto� der Parteirechten aus der Kalkulation eines Machtvakuums heraus. Es ist ernst gemeint als Antwort auf die Krise der b�rgerlichen Gesellschaft, auf die vielen Anmutungen von Niedergang und Unheil, die sich mit den Berichten der Wirtschaftsinstitute ja auch fundieren lassen. Es sind und waren die Nationalstaaten, die in den letzten Jahrzehnten die internationale Krisenbew�ltigung des globalen Kapitals getragen haben. Nun ist Ende. Die Probleme mit der Staatsknete zu konstatieren, reicht nicht mehr aus, um sie zu beheben. Was fehlt ist Geschlossenheit im Zusammenhalt, Einsatz f�r die Nation, Ertragen von Verschlechterungen und Mehrarbeit. Also geht es darum, zu unserer Kultur zu stehen und sie als verbindlichen Anleitung f�r alle, als vaterl�ndische Leitkultur zu begreifen. Die Ausgrenzung von fremder Kultur ist dabei der Kulturmotor zum Leistungsantrieb. Sie erzeugt Angst und Selbstbewusstsein, je nachdem, ob man ihr unterliegt oder sie �bersteht. Es muss nicht jeder ein Ausl�nder sein, der hierbei durchf�llt. Und es ist auch nicht jeder ein Deutscher, der mit deutscher Kultur vertraut ist.

In der deutschen Kultur tut sich was - eigentlich schon seit l�ngerem. Nachdem die Politik begriffen hatte, dass sie die objektiven Probleme der National�konomie nicht mehr l�sen konnte und jetzt selbst nur noch Vollstrecker ihrer Sachzw�nge ist, greift sie zur altbew�hrten Gesinnungsmache durch Stimmungsmache. Damit kommt man immer weiter, mal als Forderung aus der Staatsnot, mal als ein romantischer Appell ans vertraute Gl�ck einstiger Urspr�nglichkeit. F�r die staatsb�rgerliche Gesinnung taugt vor allem die Vertrauensposition des Staats im Bewusstsein der Staatsb�rger, am besten also per Verweis auf die Gefahr der Verfremdung, der �berfremdung. Damit schwindet jeder kritische Bezug auf sein Tun. Belebt wird ein Zweifel gegen etwas Unbekanntes, der da auch schon im Lebensalltag nagt, gegen das schlechthin Unkontrollierbare, das man ins Land gerufen hatte, um den Arbeitsmarkt zu "optimieren", um L�hne zu dr�cken, indem Konkurrenz unter den Arbeitskr�ften erh�ht wird. Aber jetzt reicht es nicht mehr hin. Man muss auch absondern, was nicht mehr taugt, schlie�lich nimmt der Arbeitsmarkt nicht immer nur auf. Es muss Zur�ckweisung m�glich sein, zu viele Arbeitskr�fte sind ja derzeit eher das Problem der Marktwirtschaft. Um das Beigeholte auch wieder ausweisen zu k�nnen, muss jetzt knallhart kalkuliert und alles kontrollierbarer werden. Die Sozialknete ist knapp und die soll m�glichst kulturbereinigend verwendet werden. Fremde Kultur k�nnte unter Arbeitslosen Ghettos erzeugen. Und zugleich verschwindet dann auch ein betr�chtliches politisches Potenzial an W�hlern. Fremdenfeindlichkeit wird vor allem virulent, wenn Neid um das Sozialgeld aufkommt. Und Neid grassiert besonders in der Armut, einem zunehmenden Wahlthema mit zunehmenden Anteilen in der Bev�lkerung.

Da tut F�hrung not. Aber die betrifft alle und das ist praktisch: Da n�mlich m�ssen sie alle sich einf�gen in die Notwendigkeiten wirtschaftlicher, staatlicher und kultureller Anforderungen. Als ob sie das nicht l�ngst schon t�ten und als ob ohne dies hier �berhaupt zu existieren w�re! Aber jetzt soll nach h�herem Ma� sortiert werden: Nicht wer existieren kann und wer nicht, sondern wer f�gsam ist und wer nicht; das alleine regelt schon einiges mehr. Zumindest macht es Angst und die spornt an zur Anpassung – nicht nur die Ausl�nder. Und also macht man Menschengruppen aus, die des Vertrauens vielleicht nicht mehr w�rdig sind, weil sie anderes im Sinn haben k�nnten, weil sie fremd erscheinen und vielleicht sogar eine kulturelle Basis haben, die sich nicht einkriegen l�sst von der deutschen. Jenseits der Arbeitsst�tte bedeutet fremde Kultur schlie�lich Parallelgesellschaft. Da ist etwas entglitten, was das vertraute Leben vielleicht bedrohen k�nnte, was in der Arbeitslosigkeit nicht nur depressiv wird. Fremde Kultur st�rt, weil sie Ziele hat, die nicht so einfach kontrollierbar sind, weil sie von etwas Jenseitigem zehren, sich nicht vollst�ndig unterordnen lassen. Und wenn Fremdes erst mal von da her als unsinnig klassifiziert ist, dann wird Vertrautes fast �bersinnlich. Das f�rdert die politische Kultur der Krisenbew�ltigung. Es ist die Vorbereitung der Ausgrenzung "�berfl�ssig gewordener Menschen" aus unserem Sozialwesen.

Seit der Erfindung der "Leitkultur", die von Friedrich Merz begeistert aufgegriffen wurde, gibt es die Forderung zur Anpassung an kulturelle Leitwerte auch in h�chst offizieller Form. Ihre Begr�ndung war einfach: Den Ausl�ndern werden erst mal so ganz allgemein die F�higkeiten abgesprochen, die ihnen schon alleine existenziell n�tig sind, um hier leben und arbeiten zu k�nnen: Deutschkenntnisse im Lesen und Schreiben und Sprechen. Klar: Was so einsichtig ist, dem kann jeder leicht zustimmen - und da finden sich auch immer einige, die es noch nicht k�nnen, weil sie hierf�r weder Zeit noch Geld hatten. Und die freuen sich auch sicher, wenn ihnen Kurse und vor allem Mittel und Zeit hierf�r zur Verf�gung gestellt werden. Aber das war nur die Einf�hrung. Eigentlich wird ihnen vorgeworfen, dass sie unkontrollierbar seien, dass sie vor allem unsere "Werte" nicht verst�nden, jenseits unserer Ethik st�nden und das k�nne Kriminalit�t f�rdern und Terrorismus s�en. Zwar zeigt die Statistik, dass dies bei Ausl�ndern nicht h�her ist als bei deutschen, wenn man die Einkommensverh�ltnisse einbezieht. Aber dies l�sst sich durch strikte Anforderungen so weit versch�rfen, bis die verbleibenden Ausl�nder die Musterkinder des Vaterlandes sind.

Aber gibt es �berhaupt das kulturelle Problem von einer Parallelgesellschaft? Kommt nicht jeder, wenn er sein Haus verl�sst, aus einer Parallelgesellschaft, aus einem Reich privater Welten und Vorstellungen, die relativ wenig mit seinem Arbeitsplatz zu tun haben? Und kann eine "Leitkultur" hierf�r irgendetwas �ndern, etwa kulturelle Anliegen in die vermeintliche Schattenwelt vermitteln? Nat�rlich kann sie das nicht, und das wei� man auch. Und man wei� auch, dass die behaupteten Fakten gar keine hinreichende Allgemeinheit haben, um bedeutsam zu sein. Und schlie�lich hat sich allgemein eher bewiesen, dass die Menschen verschiedener Kulturen gut miteinander k�nnen, wo ihre Unterschiede frei zusammenkommen, also ohne wirtschaftlichen oder ideologischen Druck bestimmt sind, als dass dies Grund f�r Streit w�re oder "Kulturkampf". Das ist das Bedeutsame: Die Herbeizitierung kultureller Begr�ndungen ist auch dort falsch, wo sie zutreffen: Parallelkultur ist alle Kultur, weil es keine Kultur als solche gibt, es sei denn als Staatskultur. Und die soll jetzt gebildet werden. Der Unterschied von Fremdem und Trautem wird zu ihrer Machtbegr�ndung. Wenn es schon eine deutsche Kultur geben sollte, dann muss sie auch schon mal dem deutschen Staat n�tzlich sein, zum Staatserhalt taugen.

Fremdes als solches gibt es ja eigentlich nicht, wenn man Tag f�r Tag miteinander zu tun hat. Es gibt lediglich Unbekanntes, zum Beispiel andere Religionen. Und ohne dass man dazu N�heres wei� und kennt, hat man vor allem Vorurteile. Zum Beispiel die Frauenfeindlichkeit im Islam. Aber die ist auch nicht wesentlich anders als die des Katholizismus. Hier ist man lediglich an die schmerzensreiche Mutter des Dornengekr�nten durch das Marienbild und die Sexualethik der Kirche gewohnt. Und dieses wird von einem Papst vertreten, der sich allgemeiner Beliebtheit erfreut. Die Frauenfeindlichkeit des Islams aber steht schlicht f�r das Andere, das Fremde, das sich mit dem uns Vertrauten gar nicht mehr vergleichen lassen k�nnen soll und von seinem negativen Eindruck her besser ausbreiten l�sst. Oder das Thema Terrorismus: Wenn Ausl�nder als potenzielle Kulturk�mpfer hingestellt werden, so entbehrt das jeder Grundlage. Es ist die Schutzbehauptung gegen ihre Kultur, die f�r das Anderssein steht, die als Bedrohung der Sicherheit aufgefasst werden muss, um Disziplin durch Kultur zu erheischen. Es sollen Feinde benannt werden, um vorgreifende Disziplinierungsma�nahmen des Staates zu untermauern. Die Rechtsmittel reichen schon lange aus, um jeden Terroristen dingfest zu machen. Es geht gegen die Freiheit der Kultur �berhaupt, um ihre Beugung f�r politische Eingriffe, um die Kultivation der Staatsgewalt, die vor allem zur Erh�hung der Leistungsbereitschaft dienen soll.

Leitkultur macht Kultur �berhaupt erst zu einem Wert, der politische Funktion hat und mit dem der Staat sein politisches Eingreifen in die Lebensstandards unterlegt. Er will dort Einstellungen und Anschauungen �ndern, um neue "Gewohnheiten" einzurichten, Ziele zu formulieren und diese auch umzusetzen. Es geht ihm um Leitkultur als Leistungskultur, Herrichtung eines v�lkischen Selbstverst�ndnisses zum Hinhalten der Bev�lkerung an die Bed�rfnisse der Kapitalwirtschaft. Der Staat wird hierf�r nicht aus ideologischen �berzeugungen t�tig, auch nicht aus einer Verschw�rung mit Interessen des Kapitals, sondern aus der vollen �berzeugung, die ihm seine Sachzw�nge aufgeben, dass nur hier�ber die Nation zu retten ist. Der Wille seiner Politik zielt notwendig nach rechts, weil der Rechtsstaat eine Ordnung hat, die ihre Grundlagen durch �konomische und soziale Prozesse zu verlieren droht, weil die �konomischen Zw�nge sich l�ngst nicht mehr in gew�hnlichen Kreisl�ufen bewegen, sondern sich eine Wertmasse gebildet hat, die alles an Aufwand erfordert, was Menschen erbringen k�nnen, um ihre Selbstverwertung in Gang zu halten. Der Staat erf�hrt das zwar "nur" als Forderung von verschiedenen Seiten, von seinen Gl�ubigern, seinen Unternehmungen, seinen Instituten und seinen B�rgern. Aber es gibt f�r ihn keine andere M�glichkeit aus der Zusammenrechnung all dieser Bedr�ngnisse, als das zu tun, was die "Wirtschaft wieder in Gang setzt", und sei es ein Krieg.

F�r all dies braucht er neue Hoheitsrechte, und seien es erst mal auch nur ideelle. Der Staatswille formiert sich zum Kulturanliegen einer Leitkultur und meint damit eine "Leistungskultur", die als allgemeine Selbstverst�ndlichkeit gelten soll, damit die B�rger dem Staat etwas schuldig sind, sich auch wieder zu "kleinen Opfern" bereit finden, zu Mehrarbeit. Denn nur die erzeugt Mehrwert. Und den muss der Staat aus der Wiederbelebung des Binnenmarktes sch�pfen, um von seiner Schuldenlast herunter zu kommen. Solche Kultur will einfach f�hrendes Selbstverst�ndnis sein, der Staat im Kopf der Menschen, durch den es keinen wirklichen Staatseingriff mehr braucht. Entsprechende Gesetze k�nnen dann "wie von selbst" entstehen, weil sie einfach n�tig gelten, um Disziplinierungen "gerecht" zu verteilen – z.B. die Arbeitsentwertung durch Billigjobs, die Abh�rgesetze, die Datenkontrolle und die Einblicksrechte der �mter in die Kontenf�hrung und Buchhaltung. Es ist die Grundlage f�r den gl�sernen B�rger, die in der Vermengung von Leistungskultur mit F�hrungskultur geschaffen wird. Nat�rlich hat solche F�hrungskultur nichts mit Kultur zu tun. Es ist Kultur im Staatsgebrauch als Disziplinierungsmittel f�r die Bev�lkerung. Und f�r diese w�re es gut, das zu erkennen und zu begreifen. Jedoch gibt es zugleich auch kulturelle Prozesse, die solche Erkenntnis erschweren.

 

Patriotismus, das ist Fremdkultur!

Welcher Politiker stellt sich gerne gegen seine W�hler oder outet sich freiwillig als Hampelmann kapitalistischer Verwertungsinteressen? Eine politische Klasse, die ihrem Wahlvolk etwas abverlangen muss, kann ihm nicht ohne Besch�digung ihrer Kompetenz als Dirigent, Gestalter und Probleml�ser der nationalen und internationalen Verh�ltnisse dies so vermitteln, wie es ist. "Geld oder Leben" stellen nur R�uber und M�rder zur Alternative. Die Politiker und Politikerinnen m�ssen jetzt als Vertreter eines Ganzen auftreten, das auch einen Anspruch auf Unterst�tzung hat, auch wenn es als �konomisches Ganzes nicht mehr funktioniert. Es geht daher um das Kulturelle, wie es die Politik versteht, um die ganze politische Kulturhohheit. Patriotismus ist nur ein Wort, das so etwas wie ein Liebesverst�ndnis f�r die Anliegen einer Kulturgemeinschaft erbringen soll, die mit den Anliegen des Staates gleichgesetzt wird. Am besten, wenn es sich als kulturelle Notwendigkeit des "Heimatlandes" herstellen l�sst. Und das geschieht durch die Bedrohung derselben durch gro�e Not, durch Armut durch Entfremdung. Da mag es der Wirtschaft ruhig auch gut gehen. Wahr bleibt, dass Armut sich ausbreitet und mit ihr Gewalt und Konflikte mit den Fremden, die meist arm sind. Entfremdung von unserem Gemeinwesen erfahren wir ja alle irgendwie. Aber es muss nicht unbedingt unser Problem sein. Denn Fremdheit entsteht ja vor allem durch die Fremden, nicht nur die Ausl�nder, sondern auch die, die sich dem Anliegen der Heimat entfremdet haben. Es geht um den inneren Feind, der f�r die Armut schuld haben soll.

Kapital braucht Armut in dem Ma�e, wie sie diese erzeugt. Wertabsch�pfung entsteht durch die Kapitalkonzentration auf der einen Seite und durch die Mehrarbeit auf der anderen, Arbeit, die ihren Wert nur f�r das Kapital hat. Um den Wert seiner Produkte zu realisieren, ben�tigt Wertwachstum auch ein best�ndiges Wachstum der Bev�lkerung. Je mehr Besitzlose auf seine Produkte angewiesen sind, desto besser l�sst sich Kapital umsetzen. So ist ihm das Wachstum einer armen Bev�lkerungsschicht n�tig, die f�r relativ geringen Lohn arbeitet, z.B. auch solche, die aus noch gr��erer Armut entflohen ist. Das hatte dazu gef�hrt, dass immer mehr Ausl�nder angezogen wurden, zumal die Geburtenrate der Deutschen zugleich sank. Sie boten au�erdem den "Vorteil f�r das System", dass sie politisch nicht integriert und sie daher auch nach Ma�gabe des Bedarfs in ihrem Gebrauch angezogen oder abgesto�en werden konnten. Besonders gut war eben, dass sie nicht zu "unserer Kultur" geh�rten, dass sie durch ihre Sorge um die wirtschaftliche Lage ihrer Familien im Ausland gezwungen waren, alles zu tun, was ihnen irgend m�glich ist.

Inzwischen sind Ausl�nder l�ngst regul�rer Bestandteil der deutschen Bev�lkerung. Doch jetzt geraten auch sie in den Kreis der Betroffenen der Rezession, werden zu Empf�ngern von Sozialleistungen. So war das nicht gedacht, denn diese Leistungen sollte der Sozialkultur der Deutschen geschuldet sein. Die Ausl�nder waren beworben f�r Arbeiten, zu denen die deutschen Arbeitskr�fte nicht hinreichten oder zu teuer waren. Jetzt werden sie zum Teil selbst zu "�berfl�ssigen Arbeitskr�ften" und sollten zu diesem Teil am besten wieder abgesto�en werden. Hierf�r z�hlt man jetzt ihre "kulturellen Nachteile" auf: Sprachschwierigkeiten, kulturelle Abschottung (Parallelgesellschaft), Aufhebung eines allgemeinen kulturellen Mittelpunkts. Helmut Schmidt sagt heute, "wir h�tten sie nicht holen sollen". Damals hatte er sie dringend gebraucht. Wir h�tten ohne sie die wirtschaftlichen Probleme, die Krise der 70ger Jahre nicht l�sen k�nnen und k�nnten auch heute ohne sie nicht auskommen. Aber jetzt haben wir wieder Probleme mit unserer Wirtschaft, mit den Gesetzm��igkeiten der kapitalistischen �konomie, mit der es uns doch mal so gut gegangen war. Also muss jetzt auch ein Teil der Deutschen daran erinnert werden, dass ihre Arbeit nicht teuer sein darf, dass soziale Leistung etwas kostet, dass man sich den Sozialstaat abschminken kann, wenn man daf�r nicht auch seine Anspr�che senkt, dass man bereit ist, einen Teil der Lebensumst�nde von Ausl�ndern auf sich zu nehmen (z.B. Zumutbarkeit von jeder Arbeit an jedem Ort, Billigarbeit um praktisch jeden Preis, Aufl�sung von Tarifbindungen). Die Armut schwappt auch auf die Deutschen �ber, denen die Arbeitslosenhilfe bislang noch geg�nnt war.

Leitkultur ist nicht nur ein ideologischer Appell an Ausl�nder; sie gilt der Armut �berhaupt. Auch wir sollen uns besser herrichten, um in den "Genuss von Arbeit und Brot" zu kommen und nicht einfach nur Anspr�che an den Staat stellen und seine Sozialleistungen "verantwortunglos ausschlachten" (Gerhard Schr�der). Ohne ein kultiviertes Verh�ltnis zu diesem H�ter des Ganzen, des Heils, des Grahls der Krisenbew�ltigung, geht nichts mehr weiter. Der Staat f�hrt sich als Kultursubjekt auf, weil er die Armut kontrollieren und besser steuern will. Wir sind nicht mehr die, welche ihn bilden, wenn wir hierein geraten. Es geht um seine Notlage als Ganzes, dessen Augenmerk auf die Armutsverwaltung gerichtet ist. Das Ganze als "Vaterland" besteht aus der Macht des Reichtums. Die Vaterlandsliebe wird von den Armen gefordert.

Es geht darum, dass wir unsere Anspr�che an den Staat zur�cknehmen, dass wir ihn als Retter unserer ganzen Lebensverh�ltnisse ansehen sollen, als einzigen Garanten zur Aufl�sung der Sorgen, die Kapitalverwertung nun mal so mit sich bringt: Arbeitslosigkeit, Armut, Zukunfssorgen, �berfl�ssige Menschen, relative �berbev�lkerung der Alten, wie es die Demografie begriffen haben will. Wir sollen ihn als so was wie einen Lebensgaranten ansehen: Wie einen Vater eben, Vaterland, Garant unserer Kultur, derweil er nichts anderes besorgt, als die Kultur des Kapitals, als die politische Kultur, absolute Fremdkultur. Und die gilt jetzt als bedroht. Die auftauchenden Untergangstheorien lassen es �berall durchscheinen: Wenn wir nicht "zu unserem Staat" stehen, werden wir alle verlieren. Er sei alles hiergegen, und das seien ja eben vor allem wir selbst. Patriotismus, das meint eben das Bewusstsein einer Nation gemeinsinniger Menschen, die ihm als seine Kinder anh�ngen und in ihrer Gesinnung immer anh�nglicher werden und derweil in ihrem Lebensstandard abbauen, eben als Opfer an diesen Vater.

 

Die Kinder des Vaterlands

Es geht nicht um Kultur, es geht um Politik, wenn von Leitkultur und Vaterlandsliebe die Rede ist, um Politik mit Kultur. Es soll kein Nationalismus sein, denn der sei keine Liebe, sondern ein Machtanspruch. Doch so verschieden ist das nicht. Wenn man etwas liebt, was pure Macht bedeutet, so ist der Machtanspruch impliziert. Das Scharfmachen der nationalistischen Zeitbombe hatte immer mit Patriotismus begonnen. Er meint doch auch Abweisung von dem, was nicht patriotisch ist: Die Bed�rftigkeit, die Ohnmacht, die Armut, der soziale Anspruch. Mit Patriotismus will sich "Vater Staat" m�chtig machen – und nat�rlich werden sich alle m�chtig f�hlen, die dem folgen.

Vermittelst der damit begr�ndeten politischen Macht will der Staat "aufr�umen" mit dem was unwertig f�r das Staatsinteresse ist, und das ist die Lieferung von Mehrarbeit an seine Gl�ubiger, ganz einfaches Kapitalinteresse. Damit dr�ngt der Staat darauf hin, dass alle Ressourcen der Verwertbarkeit f�r den Systemerhalt durch Drosselung des staatlichen Sozialverm�gens und Ausrichtung der Sozialleistungen auf nationalpolitische Zwecke ausgesch�pft und optimiert werden. Indem diese nur noch als Kostenfaktor reflektiert werden, wird ein ganzes Volk zum Spielball eines wirtschaftspolitischen Kraftakts, der ihm als Heilsnotwendigkeit von Kulturpolitik erkl�rt wird.

Dies funktioniert dar�ber, dass die Kultur als eine gesellschaftliche Allgemeinheit genommen wird, woraus unser ganzes geschichtlich gebildetes Verm�gen besteht, wie ein Subjekt b�rgerlicher Wesenheit, das bedroht ist von verschiedenen Unwesen. Darin kann sich jeder einzelne auch immer wiedererkennen. Es ist wie das allgemeine Spiegelbild seiner einzelnen Bed�rftigkeit, Geschichten und Beziehungen. Darin ist er wirklich aufgehoben im vielfachen Sinne: Aufbewahrt als Mensch in allgemeinem Sinn, untergegangen als Individuum im besonderen Sinn und von den Niederungen seiner isolierten Existenz befreit, erhaben im sozialen Sinn. Kultur ist ja in der Tat menschliche Subjektivit�t. Doch f�r den Staat ist sie objektiv: Darin gilt ihm menschliche Subjektivit�t als Objekt seiner Politik, als Mittel einer allgemeinen Notwendigkeit, dem sich die einzelnen Menschen beugen m�ssen, um sich als allgemeine und abstrakte Menschen durch "Vater Staat" gesch�tzt und erhalten zu k�nnen. Durch ihn wird jeder Mensch zum abstrakten Menschen, der aber durch eine pers�nliche Beziehung zu ihm die Welt als pers�nliches Erlebnis erf�hrt. In der allgemeinen Objektivit�t dieses pers�nlichen In-der-Welt-seins verliert er seine wirkliche Subjektivit�t in den allgemeinen Notwendigkeiten des Sachzwangs. Das ist nicht nur ein Ph�nomen des Bewusstseins, das wird ihm zu seiner Wirklichkeit.

Dem Kind des Vaterlands wird Subjektivit�t entwendet, indem sich seine ganze Erfahrung von Notwendigkeiten gegen es wendet. Da breiten sich die weltlichen Gefahren m�chtig aus und best�rken seine Ohnmacht: Jedes Weltereignis wird ihm zu seiner Not, Gewalt und Macht entfremdeter Lebensverh�ltnisse zur Unausweichlichkeit seiner Selbsterfahrung, Kriminalit�t, Terrorismus und Multikulturismus zur eigenen Bedrohung. In der Gleichsetzung von kulturellen Problemen mit der politischen Wendung des Staates an die Menschen wird politische Kultur vollzogen: Nicht die Herkunft dieser Probleme und ihre Wirklichkeit interessiert, sondern ihre Vermeidung und �berw�ltigung.

Der Staat verh�lt sich jetzt selbst als Kritiker seiner Gesellschaftsform. Er kritisiert die Unvertr�glichkeiten, die Widerspr�che, die pers�nlichen M�chtigkeiten des Kapitals und er wendet sich gegen die Anarchie der b�rgerlichen Lebensverh�ltnisse. Er ist wie die b�rgerliche �konomie und Kultur Produkt und Bestandteil dieser Verh�ltnisse, aber er behauptet sich jetzt durch ihre Handhabung. Nat�rlich vollzieht er die weiterhin �konomisch und kulturell, aber eben nur noch zum Nutzen ihrer Totalit�t. Nicht die Bildungsprozesse darin sind die Momente, die sein Handeln begr�nden, sondern die totale Form f�r sich: Die Formation des Kapitals als Sachzwang, die Formation der Kultur als Kulturmacht. Er wird zum Kulturstaat.

Patriotismus ist von daher das urspr�nglichste Entwicklungsmoment von Faschismus. Der ist nichts anderes als die B�ndelung der Gewalt, welche die Krisen der kapitalistischen Gesellschaft durch die Zerst�rung ihrer Lebensgrundlagen hervorrufen. Der Faschismus ist eine Gesellschaftskritik, die sich gegen wirkliche Gesellschaft wendet, die alle zerst�renden Formen des Kapitals und der Kultur angreifen und vermengt, das Kapital als Kulturph�nomen begreift und Kultur als Kapital, und beides durch Staatskultur kritisiert. Faschismus ist das antib�rgerliche B�rgertum, das sich selbst als Macht gegen die Verh�ltnisse errichtet, von denen es zehrt, absoluter Besitz an ihrer Geschichte und Entwicklung.

Der Staat fungiert darin als Erzieher. Die Gesetze bekommen einen neuen Zweck: Nicht nur Verteilung und Gerechtigkeit steht darin an, sondern ein dubioses Gemeinwohl, das die gemeine Existenz bestimmt, sie diszipliniert, sie einordnet zum Teil eines gemeinschaftlichen Daseins ohne wirkliches Sein, zum K�rperteil eines Volks und schlie�lich auch zur Gesinnung des Volksganzen, zur Volksseele.

Davon sind wir noch weit entfernt. Dennoch ist n�tig, darauf hinzuweisen, dass die Entwicklung dahin eingeschlagen ist, wenn die Prognosen der Volkswirtschaft eine Handhabung der Sozialpolitik durch erzieherischen Ma�nahmen bew�ltigen wollen. Das war wohl auch schon der staatsp�dagogische Kern von Hartz IV (siehe http://kulturkritik.net/oekonomie/hartz/index.html): Die staatliche Disziplinierung der Armut durch Verabsolutierung ihrer Existenzangst soll vor allem das Fortbestehen einer Kapitalentwicklung sichern, die nur noch immer mehr Armut und Krisen erzeugen kann, immer mehr Armut verwalten und immer weniger Reichtum vermitteln will. Auch wenn dies massenpsychologisch erst mal mit Patriotismus vorbereitet wird, so wird der hierf�r n�tige Gewalteinsatz zunehmend aus den Beweggr�nden eines neuen Nationalismus gespeist werden.

Die linken Postfordisten an der Regierungsmacht versuchen es noch aufzuhalten. Aber die regieren nicht mehr lang. Nationalisten werden sich bald damit stark machen, �berall Nestbeschmutzer und Kulturfeinde zu wittern und Parasiten und Kriminelle und Terroristen, wo die eigenen Probleme nicht mehr wirklich angegangen werden sollen oder k�nnen, aber Unwirklichkeit als Mittel der Macht, als Ausweg f�r Machtbed�rfnisse dient. Es ist deren Hinterhalt, Macht durch die Erscheinungsweisen wirtschaftlicher Not zu erwerben, durch den Vorhalt von Gefahren, die von ihr ausgehen, und sich als Heilsprinzip einer bedrohten Welt aufzubauen, an das eigentlich Gesunde zu appellieren, das krank geworden sei, weil es durch Fremdes gekr�nkt w�re. Dies verlangt eine besondere Vaterlandsliebe, eine, die nicht nur Leitkultur ist, sondern die dadurch Macht haben will, das sie selbst eine Heilserwartung verk�rpert, eine L�sung gegen alle Gef�hrdungen b�ser Wirklichkeit erbringen soll. Nur mit dieser n�mlich kann Wirklichkeit beherrscht werden, die in sich selbst aufgel�st ist. Vaterlandsliebe, das ist in diesem Sinne die Kulturhoheit eines Vaters f�r das Land. Das Land wird so zur Familie, zum seelischen R�ckhalt der Bev�lkerung. Nicht ohne Grund war "Vater Staat" und "Mutter Erde" der Inbegriff von Urspr�nglichkeit, die Vorstellung einer Endl�sung, einer naturalisierten Eintracht des Volksk�rpers, Volksgesundheit als Heilsbewegung, Beseitigung der Entfremdung.

Das spricht besonders die seelischen Bed�rfnisse identit�tsloser Menschen an, die ihre Lebensangst und Selbstentfremdung in gesellschaftspolitischem Umfang aufgehoben haben wollen. Die gibt es inzwischen wieder zur Gen�ge, denn dies ist ja selbst eine Erscheinungsform des Problems: Wenn der Lebensalltag, vor allem die Arbeit und die zwischenmenschlichen Beziehungen, paralysiert und sinnentleert sind, dann entsteht Bedarf an etwas Sinnvollem, das �ber ihn hinausragt, etwas schier �bersinnliches, das Sinn macht - und daf�r reicht schon ein Bekenntnis, die gro�e Best�tigung von Gemeinsinn und die Vergemeinschaftung eines quasi seelischen Interesses: Vertrauen in sich selbst durch Misstrauen gegen Fremdes, gegen das Raunen des Unheils. Da entsteht Zugeh�rigkeit, Symbiose, oft auch H�rigkeit, denn es erzeugt Masse, Seelenmasse, eine Volksseele anh�nglicher Menschen. Und sei dies auch nur eine Prothese, man kommt damit doch immerhin weiter.

Die Masse macht m�glich, wozu einzelne Menschen nicht imstande w�ren: Selbstt�uschung durch Geisterbeschw�rung. Das Fremde wird zum Geist der Entfremdung. Das Unheil bekommt Gesicht. Das komplexe wird einfach. Und dies macht dann die affirmative Antwort gegen die Zweifel am Wirtschaftsmechanismus der eigenen Gesellschaft aus und tritt zugleich auf als eine besondere Variante von Kapitalismuskritik: Es muss einen Schuldigen f�r die Probleme unserer Verh�ltnisse geben, einen Schadensverursacher, der mit unseren Interessen nichts gemein hat, der unserer Kultur abhold ist. So stellt dann die als Schuldfrage vermittelte Behauptung, dass es Sch�dlinge gebe, mit deren Behebung alle Probleme behoben seien, zugleich die viel einfachere Frage: Wer oder was schleppt dieses Unheil bei uns ein? Mit dieser Frage ist dann endlich die Antwort ausgesprochen, die man schon l�ngst hatte, und damit ist das Heile gekl�rt, das Kranke benannt, und das Heil kann wieder dort gefunden werden, wo man es l�ngst wusste: In den urspr�nglichen Werten unserer Kultur. Also kann es nur um deren Gegenw�rtigkeit gehen, um die Dominanz der Sitten und Gebr�uche des Abendlandes und um seine Ethik. Heil mit dir, du Land der Deutschen mit deutscher F�hrungskultur und ausl�ndischen "Mitb�rgern" als Arbeitsgep�ck. Nein, wegschicken will man die ja gar nicht! Ja, nat�rlich brauchen wir sie. Nur ihre Kultur, die k�nnen wir nicht brauchen, die ist schlecht verwertbar, weil sie keine Werte bestimmt, wie die unsere.

Wolfram Pfreundschuh

 

Quellen:

zu Staatsbankrott:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=staatsbankrott)

zu Bewertung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=bewertung)

zu Patriotismus:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=patriotismus)

zu Unheil:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=unheil)

zu Masse:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=masse)

zu Nationalismus:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=nationalismus)

zu Gesinnung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=gesinnung)

zu Fremdarbeit:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=fremdarbeit)

zu Fremdenfeindlichkeit:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=fremdenfeindlichkeit)

zu Rassismus:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=rassismus)

zu Ethik:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=ethik)

Ethikdiskussion in Kulturattac:
http://kulturkritik.net/forum_archiv/index_ethik.html

zu Heilsprinzip:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=heilsprinzip)

zu Kulturstaat:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=kulturstaat)

zu Nationalsozialismus:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=nationalsozialismus)