Die Ver�ffentlichung des nachstehenden Artikels
erfolgt mit freundlicher Genehmigung der taz – die tageszeitung.
Bolschewismus von rechts
Nichts ist m�chtiger als Ideen - auch kein �l und keine Religion: Die schneidigen Neokonservativen, die heute die US-Politik dominieren und in den Irak einmarschieren wollen, sind gl�hende Anh�nger des deutsch-j�dischen Philosophen Leo Strauss. Eine pazifizierte Welt halten sie f�r unrealistisch.
von ROBERT MISIK
"Uns hat ein Trotzki gefehlt"
Ernst J�nger an Carl Schmitt, 1981
Es gibt Vorurteile, die gegen Fakten weitgehend immun sind. Dass George W. Bushs Irakkurs vom nackten �konomischen Interesse bestimmt ist ("Blut f�r �l") geh�rt ebenso zu dem Bestand schlichter Weltdeutung wie die �berzeugung, dass der Texaner im Pr�sidentenamt von allem M�glichen geleitet wird, aber sicher nicht von "Ideen" oder "Visionen".
Dabei haben nicht die Vertreter des Big Business oder des milit�risch-industriellen Komplexes den US-Pr�sidenten auf Kriegskurs gegen den Irak gebracht, und auch die religi�sen Rechten sind im Augenblick in Washington nicht tonangebend. Vielmehr war es ein Zirkel rechter, neokonservativer Intellektueller (die Neocons), der sich durchsetzte - insbesondere gegen den moderaten Diplomatenfl�gel um Au�enminister Colin Powell. Der Kreis um Paul Wolfowitz, dem Vizechef des Verteidigungsministeriums, um Richard Perle, dem Chef des Planungsausschusses im Pentagon und anderer hat mit Hilfe der mit ihm verb�ndeten publizistischen Phalanx ganz offenbar die Dominanz erlangt und durchgesetzt, was er schon unmittelbar nach dem 11. September vorgeschlagen hatte: sich den Irak vorzunehmen. Was hierzulande kaum bekannt ist: Diese intellektuelle Rechte bildet eine regelrechte philosophische Schule.
Noch erstaunlicher: Sie beruft sich auf die Lehren eines j�dischen deutschen Philosophen - auf Leo Strauss, der 1932 Deutschland verlie� und 1938 in die USA einwanderte, wo er an der University of Chicago eine Lehrt�tigkeit entfaltete, die Generationen pr�gte. Bis zu seinem Tod 1973 hatte er eine verschworene Schar an J�ngern um sich versammelt. Heute, schreibt das liberale US-Magazin The New Republic, sind die "Straussianer eine der Top-Ten-Gangs des Millenniums". Pentagon-Vize Wolfowitz gilt als das Mastermind der Straussianer. Er war Student und Proteg� von Allan Bloom, einstmals einer der engsten Mitarbeiter Straus, der mit dem Buch "The Closing of the American Mind" einen Bestseller gelandet hatte. Vertrauen kann Wolfowitz nicht nur seinem Freund Perle, sondern dutzenden Helfern in den St�ben diverser Ministerien.
Doch wie es sich f�r eine Str�mung geziemt, die an die Macht der Ideen glaubt, liegt ihre Hauptkraft in ihrem publizistischen Einfluss - der von regelrechten Clans gesichert wird. So ist einer der V�ter der neokonservativen Bewegung, Irving Kristol, Herausgeber des Magazins The Public Interest, ein ehemaliger Linker, dessen Konversion nach eigenem Bekunden auf Strauss zur�ckgeht.
Sein Sohn William Kristol ist Chef des heute wohl wichtigsten Organs der neuen Rechten, dem Weekly Standard. Er hat bereits neun Tage nach dem 11. September 2001 �ffentlich gefordert, den "Krieg gegen den Terror" auf den Irak auszuweiten. Mitstreiter Norman Podhoretz gibt den Commentary heraus, sein Filius John Podhoretz ist ein einflussreicher Autor.
Die Weltsicht der Neocons ist schnell referiert: Nihilismus, Libertinage und Werterelativismus sind alles Folge des jahrhundertelangen Siegeszuges des Liberalismus, der darum bek�mpft werden muss. Amerika brauche einen auf B�rgertugend basierenden Patriotismus (dies unterscheidet die Neocons von der christlichen Rechten, den Theocons, die hier in erster Linie auf die Religion verweisen w�rden) und m�sse seine Lebensart gegen seine Feinde verteidigen. Die Vorstellung, dass es irgendwann einmal eine auf internationalem Recht beruhende Weltordnung geben k�nnte, wird von den Neokonservativen verlacht. Staaten haben Feinde. Sie m�ssen diese als solche behandeln und d�rfen sich dabei nicht von Institutionen wie der UNO fesseln lassen. Amerika solle auf seine imperiale Macht bauen.
Was wie ein Abriss der Bush-Politik klingt, hat Leo Strauss, der "Hohepriester der Ultrakonservativen" (The Observer) schon vor siebzig Jahren �hnlich formuliert. Strauss F�rderer war der nationalkonservative deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt.
In einem Brief an Schmitt fasste Strauss sein Credo so zusammen: "Weil der Mensch von Natur b�se ist, darum braucht er Herrschaft. Herrschaft ist aber nur herzustellen, d. h. Menschen sind nur zu einigen in einer Einheit gegen - gegen andere Menschen. Jeder Zusammenschluss von Menschen ist notwendig ein Abschluss gegen andere Menschen." Herrschaft ist somit ebenso das "Schicksal" der Menschen wie der Krieg.
Schmitt sollte zwei Jahre danach zum "Kronjuristen" Hitlers werden. Der "konservative Revolution�r" sah die Nazis trotz leiser Vorbehalte als Verb�ndete im Kampf gegen den Liberalismus. Strauss dagegen, f�r den sich schon wegen seiner j�dischen Herkunft jede Kooperation mit den Nazis ausschloss, zog eine radikal andere Konsequenz: F�r ihn war der Nationalsozialismus (wie der Kommunismus) Resultat des verachteten Liberalismus. Denn dessen Wertenihilismus mache alles, auch die abscheulichsten Experimente, m�glich. Strauss ging �ber Paris und London nach Amerika - mit einem Empfehlungsschreiben Schmitts in der Tasche.
Strauss setzte der liberalistischen "Verderbteit" eine politische Philosophie im Sinne der Alten entgegen - die Suche nach der Tugend, die Frage der guten Ordnung. Immer streng konservativ, immer auch brillant. Nicht wenige halten ihn f�r einen der gr��ten Denker des 20. Jahrhunderts. Walter Benjamin war ihm heftig zugetan, der legend�re franz�sische Hegel-Interpret Alexandre Koj�ve war sein Leben lang mit ihm befreundet, Hans- Georg Gadamer hielt bis zuletzt engen Kontakt.
Straussianismus ist die wohl extremste Spielart des Konservativismus, eine Elitenphilosophie: Der moderne Gleichheitskult, so seine Lehre, drohe alle elit�ren Qualit�ten - Heroismus, Tugend, Kreativit�t - zu zerst�ren. Und es sind immer Ideen, die das Zerst�rungswerk in Gang setzen. Die Philosophie ist wichtig - aber sie ist eben auch gef�hrlich. Daher ist sie nicht f�r das gemeine Volk gemacht. Die antike Philosophie, der Strauss so anhing, habe das gewusst und neben der "exoterischen" Bedeutung, die jeder zu verstehen vermag, auch eine "esoterische" Bedeutung, einen verborgenen Sinn. Hierin verh�llt ist das Geheimnis von Ordnung und Herrschaft, das den breiten Massen nicht er�ffnet werden d�rfe. Darum begann aus der Sicht der Straussianer alles moderne Verh�ngnis eigentlich mit Machiavelli, weil der gro�e italienische Machttheoretiker dieses "Geheimnis" aller Welt enth�llt hat. Man kann das f�r ein wenig exaltiert und abgedreht halten, aber man soll dabei nie vergessen, welchen Einfluss diese Philosophie auf die Politik des Welthegemons heute hat. F�r den linksliberalen britischen Autor Will Hutton stellt der Straussianismus darum schlicht das "weitgehendste, reaktion�rste politische Programm dar, das seit dem Zweiten Weltkrieg in einer westlichen Demokratie Bedeutung erlangt hat".
Ihren privilegierten Platz im �ffentlichen Leben der USA haben sich die Straussianer, hervorragende Networker, in den vergangenen drei�ig Jahren erobert. Der Aufstieg des Straussianismus ging paradoxderweise parallel mit dem der neuen Linken in den Sechzigerjahren. Damals liefen Teile der alten Linken wegen der Unordnung, f�r die Hippies, Linksradikale und Black-Power sorgten, zur Rechten �ber. Sowohl aus dem Lager der Demokraten als auch aus dem der Exmarxisten kamen die Protagonisten der ersten Stunde. Irving Kristol, einer dieser �berl�ufer, formulierte einmal halb ironisch, wie ihm sein Vorleben als Marxist n�tzlich war: "Lenin hat gesagt, wenn man eine Bewegung ins Leben rufen will, muss man als Erstes ein theoretisches Organ schaffen. Nun, das Erste, was wir taten, war die Schaffung eines theoretischen Organs." Der Essayist Michael Lind hat den Neokonservativismus einmal einen "inversen Marxismus" genannt - aus ihrem Vorleben haben sich die Straussianer nicht nur eine Abneigung gegen den "Isolationismus" der klassischen US-Konservativen bewahrt, sondern auch eine Art bolschewistischer Schneidigkeit und den Glauben, eine gute Ordnung sei herstellbar, wenn man das nur will. Kein Wunder, dass Daniel Cohn-Bendit in seinem j�ngsten Streitgespr�ch mit Richard Perle verwundert dessen Revoluzzergestus feststellte: "Sie erinnern mich an meine Jugendtage."
Dieser gleichsam weltrevolution�re Gestus ist es, der die Straussianer vom �blichen Konservativismus ebenso unterscheidet wie ihr Atheismus, der sie von der religi�sen Rechten trennt. Zwar sind in ihren Augen auch die USA ein Fall eines solchen Liberalismus, der notwendigerweise den Nihilismus nach sich ziehe und den zu bek�mpfen sie verschworen sind - und doch sehen sie im politischen System der USA immer noch jenes, das der guten Ordnung am n�chsten kommt, welches tugendhaftes Leben erm�glicht. Sie sind gewisserma�en Imperialisten der Demokratie, ohne dass sie, um es mit einem Wort von Strauss zu sagen, "Schmeichler der liberalen Demokratie sein m�ssen". Allerdings: An eine gute, irgendwann v�llig friedliche Weltordnung glauben Straussianer nicht. Von daher kommt auch ihr Misstrauen gegen die UNO. So etwas wie Vereinte Nationen kann es, ihrer Meinung nach, definitionsgem�� niemals geben - und soll es auch nie geben. Insofern sind sie "Schmittianer" geblieben: Eine vollst�ndig pazifizierte Welt ist erstens unrealistisch und w�re zweitens eine Welt ohne Ernst. Insofern, aber nur insofern war Strauss ein Antiglobalist avant la lettre.
Ihre elit�re Doktrin ist vielen von ihnen gleichsam zur zweiten Natur geworden, in den Habitus �bergegangen. Der Rest der Welt wird schnoddrig abgekanzelt. Auch dies ist eine erstaunliche N�he zum Bolschewismus: Das straussianische "esoterische" Wissen erinnert frappant an das leninistische Prinzip von der Avantgardepartei, der revolution�ren Elite.
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