Wolfram Pfreundschuh (23.03.2018)

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Das Scheitern des "Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg"

Ich dachte, die Geschichte mit dem Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelberg sei längst abgeschlossen und uninteressant geworden. Doch soeben war ein neuer Film hierzu - "Der SPK-Komplex" - herausgekommen und am 22. März 2018 war in München im Hörsaal B der TUM (Institut für Medizingeschichte) ein Diskussionsabend veranstaltet worden an dem es medizinhistorisch eingeordnet werden sollte. Aus dem dokumentarische Werk von Prof. Pross ("Wir wollten ins Verderben rennen - Die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelber 1970-1971", erschienen 2016 im Psychiatrie-Verlag) sollten Schlussfolgerungen im Bezug auf den Zustand der Psychiatrie heute und den Möglichkeiten ihrer Anpassung an die Bedürfnisse der Gegenwart bezogen werden. Deshalb hieß die Veranstaltung. "Das Sozialistische Patientenkolektiv Heidelberg - Utopie oder Irrtum?". Ich war als ehemaliges Mitglied in den Anfangszeiten des SPK als Teilnehmer an der Posiumsdiskussion mit Prof. Dr. med. Gerrit Hohendorf (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Technische Universität München TUM, Klinikum rechts der Isar), Prof. Dr. med. J. Bäuml (Leitender Oberarzt Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar der TU München), Prof. Dr. med. Brieger (Ärztlicher Direktor kbo-Isar-Amper-Klinikum, das ist das ehemalige Bezirkskrankenhaus Haar),  Prof. Dr. med. Christian Pross (Zentrum Überleben, GSZ Moabit, Berlin) und Gottfried Wörishofer (Vorstand der Betroffenenvereinigung MüPE) eingeladen.

Das Publukum bestand aus cia. 200 Menschen, Studenten, psychiatrisch Betroffene, Ärzte, Psychiaterinnen und Psychiater,und irgendwie Interessierte. Nach dem Vortrag von Prof. Pross zu seinem Buch begann ich meine Rede mit einer sehr persönlichen Geschichte aus der Zeit (1969-1971), in der ich genau wie Prof. Pross in Heidelberg Medizin studierte, mich immer weniger mit der Medizin identifizieren konnte und immer mehr absonderte, meinen Bekannten- und Freundeskreis verlor und schließlich mit Angstzuständen und Panikattacken nicht mehr leben konnte und nach psychotherapeutischer Hilfe suchte. Nach einem kurzen Versuch mit einer Psychoanalyse hielt ich das ganze individualpsychologische rumdoktern inmitten katastrophaler Zustände der Medizin und Psychiatrie, der öffentlichen Medienhetze der Springerpressse gegen die Aufstände der Studenten, der Schüsse auf Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke und den westslichen Machtansprüchen im Vietnamkrieg nicht mehr aus. Die alle kulturellen Selbstverständlichkeiten des "Wirtschaftswunders Deutschland" und den immer noch faschistisch unterlegten Ideologien der Eltern, Lehrer, Dozenten und Politiker war in ihrer Brutalität immer offensichtlicher geworden. Ich hatte keine Sprache, kein Bewusstsein und keine Lebensperspektive hierzu und hielt mich zunehmend für untherapierbar, wurde immer "lebensmüder", bis ich mich auf Anraten meiner Freundin bei Dr. Huber in der psychiatrischen Poliklinik in Heidelberg einfand.

Praktische Dialektik als Methode der Selbsterkenntnis

Nach dem Vortrag von Prof. Pross zu seinem SPK-Buch stellte ich den Arzt Wolfgang Huber positiv dar, weil ich mit ihm über das Wichtigste in meiner Situation gut reden konnte. Im Gespräch mit ihm erkannte ich, dass ich in meinem Leben eine so feste Struktur von Angstvermeidungen eingerichtet hatte, dass meine Selbsterkenntnisse sich hierauf in dem Maß verfestigt hatten, wie ich mein Umfeld in der Klinik und in der Uni, die Sprache und Behandlungen mit den Patienten nicht mehr aushielt. Zunehmend kam ich mit meiner Lebenswelt nicht mehr zruecht. Meine Bindungen und Beziehungen und Freundeskreise waren hiervon bestimmt, mir unerreichbar geworden und damit für mich immer mehr mit Fremdbestimmungen verfüllt, die nach zunehmenden Abstand zu meinem Studium und meiner Tätigkeit in der Krankenpflege nicht mehr als eigene Empfindungen erkennbar waren, mich von mir selbst entfremdet hatte. Meine Gefühle aus den darin entstandenen Lebensängsten konnten nur noch in Angststörungen durchbrechen. Und das war mir eine wesentliche Erkenntnis: Angststörungen entstehen aus systematisierten Angstvermeidungen. Es ist seinem Begriff nach einfach: Die Störung entsteht durch das, was gestört ist, was in seiner Wirklichkeit nicht wirklich gelebt werden kann, was nicht mehr empfunden wird, und deshalb nur noch als herrschendes Gefühl, als fremde Kraft seine Wirkung haben kann, nicht einfach nur in mir "verdrängt", sondern wirklich wahr ist. Es war das erste Mal, dass ich mit einem dialektischen Denken konfrontiert war, in dem das Abwesende als Bestimmung der Anwesenheit zu einer verselbständigten Wirklichkeit werden und auch als solche erschlossen werden kann. - So jedenfalls habe ich diese Gespräche im Nachhhinein für mich rezipiert.

Erst nach der Besetzung der Univerwaltung hatten wir das Patientenkollektiv "sozialistisch" genannt. Die Diskussionen waren in einem Arbeitskreis fundamental geworden und auf die für mich wichtigsten Gedanken von Karl Marx gekommen. Der hatte geschrieben, dass Krankheit ein "in seiner Freiheit gehemmtes Leben" ist und dass deshalb die Hemmung nicht durch eine Symptombekämpfung verdoppelt werden dürfe. Marx bezeichnete den Arzt, der jederzeit bereitstand, Symptome zu bekämpfen, einen "perpetuierlichen Arzt", der das Leben durch die Ausschaltung seiner "Störungen" abtötete. "Das Leben mag sterben, der Tod darf nicht leben!", hatte er gefolgert. Es war für mich grundlegend für mein Denken und meine praktischen und theoretischen Erkenntnisse geworden.

Heute leiten viele Mediziner, besonders Psychiater, ihr Selbstverständnis aus dem Vermögen ihres Instrumentariums ab, Symptome mit Psychopharmazie und zunehmend auch wieder mit Elektroschocks zu bekämpfen (siehe hierzu "Psychiatrie: Mehr Schaden als Nutzen"). Ihr Einsatz in der Symptombekämpfung, die inzwischen auch mit immer mehr gesetzlichen Zwangsverordungen abgeschirmt wird, ist wieder fast vollständig zu einer psychiatrischen Selbstverständlichkeit geworden. Solche Ärzte sehen sich als Heiler in einer Welt des Unheils, kompetent für alle Lebenslagen und sie verbergen ihren Unverstand mit dem Postulat: "Wer heilt hat Recht". Und das ist eine gezielte Täuschung, weil die das gar nicht können, weil immer nur der Mensch, der ja in der Krankheit um sein Leben kämpft, sich heilen kann. Medizin kann immer nur Wege und Mittel als eine Art Notversorgung bereitstellen, die alle in diesem Zweck zu beurteilen sind. Mit den Sprüchen der psychiatrischen Heilungspotentiaten wird der kranke Mensch von seiner wirklichen Heilung dispensiert, obwohl nur sein Leben, sein Körper und sein Geist seine Heilung betreiben kann. Natürlich müssen ihm hierfür einige Mittel und Erfahrungen eines gesellschaftlichen Wissens zuteil werden. Doch wo diese in der Einzelheit ihrer Verfügung als Macht juristischer oder ärztlicher Urteile und Institutionen zugeführt werden, kann der Kranke dies nur als Objekt wahrnehmen. Das SPK Heidelberg organisierte hiergegen einen Zusammenschluss von Patienten, die ihr Leben in ihrer Krankheit durch eigene Wissenbildung selbst bestimmen und behaupten wollten. Dem entsprechend bildeten sie ihren Zusammenhalt im Zusammenhang von Einzeltherapie und Gruppenerfahrung durch die Vermittlung individueller Problemstellungen in der Dialektik von individueller und gesellschaftlicher Erfahrung - als ein Verhältnis von Einzelagitation und Gruppenagitation, wie das dort bezeichnet wurde, um sich vom Konsum einer "Heilkraft" einer angewandten Psychotherapie zu unterscheiden.

Psychopharmaka und Elektroschock, sind keine Heilmittel. Mit einer hirnorganischen Störung kann man keine psychische Störung aufheben, nicht wirklich "beheben". Sie sucht sich nur eine andere Art, damit zu leben - oft mit einer Lähmung, zumindest der Beschränkung und Reduktion der eigenen Wahrnehmung und Lebenschancen. Psychopharmaka sind Drogen, Suchtmittel wie alle anderen auch, die durch die Erhöhung des Serotonin- und Dopaminhaushalts zunächst Linderung beschaffen, die aber ebenso schwer wie alle anderen Suchtmittel zu entwöhnen sind. Und sie verlangen früher oder später nach einer Dosissteigerung, wenn man sich ihnen nicht mehr entziehen kann (siehe hierzu auch den Artikel von Peter Lehmann: "Offene Fragen Psychiatriebetroffener zum Absetzen von Psychopharmaka"). Die Leute hatten so etwas scheinbar nicht mehr gehört. Jedenfalls sagten mir das die Zuhörer, die im Anschluss mir für meinen Beitrag dankten. Ohne Selbstbewusstsein wird der kranke Mensch zum Objekt einer medizinischen Rechtsprechung, die sich durch nichts anderes rechtfertigt, als durch jenseits von ihm entwickelten Behauptungen oder Ideologien eines instrumentellen Verhältnisses mit einem entsprechenden Instrumentarium, das disfunktionale Krankheitssymptome ausschalten kann.

Die theoretischen Widersprüche des SPK

Das Grundproblem des SPK als Ganzes bestand allerdings in seinem politischen Anspruch einer gesellschaftlichen Aufklärung und Veränderung durch einen Denkzusammenhang isolierter Menschen über die Anwendung der bereits allgemein vorhandenen und verfügbaren und instrumentalisierbaren Erkenntnisse von Hegel, Marx und Wilhelm Reich. Doch diese widersprechen sich fundamental: während Hegel eine überhistorische Logik der Weltgeschichte als Logik aus einer Idealität des Geistes zu verstehen suchte, deren Wahrheit als objektives Sollen jede Gegenwart bestimmen würde, begriff Marx diese Geschichte aus den wirklichen Klassenkämpfen der gesellschaftlichen Subjekte um die Wirklichkeit ihrer Arbeit in den Epochen ihrer Produktivität. Und mit Wilhelm Reich wurde der Mensch als objektives Natursubjekt einer Triebökonomie verstanden, das durch die gesellschaftliche Wirklichkeit in seinem Ausgleich, seiner Harmonie zwischen Arbeit und Sexualität unterdrückt und deformiert wird. Die Vermengung dieser Ansätze verrührt eine objektive "Wahrheit" der "Phänomenologie des Geistes" als das "Erwachsen der Seele" in die Klassenkämpfe der Gegenwart mit der Radikalität eines Natursubjekts, das seine gesellschaftliche Wirklichkeit abzulegen hat, um als "wahrer Mensch" hervorzutreten. Die subjektive Wahrnehmung wurde daher auch nicht in ihrer gesellschaftlichen Vermittlung als politische Kultur bedacht, die selbst schon im Widerspruch zu den Nutzungsverhältnissen der Wirtschaft, zur politischen Ökonomie der Arbeit in ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit stand, sondern als unmittelbare Form der Unterdrückung von Bedürfnissen durch das Kapital.

Diese Art des "subjektiven Faktors" war auch ein zentrales Thema der Linken, die aus der antiautoritären Bewegung hervorgegangen war und subjektive Emanzipation mit der objektiven, der Bekämpfung objektiver Machtverhältnisse unmittelbar gleichgesetzt hatte. Das SPK entwickelte hieraus einen "revolutionären Krankheitsbegriff", eine Krankheit, die als die "höhere Wahrheit" einer allgemeinen Subjektivität gelten sollte. Die subjektiven Probleme der Menschen sollten demnach unmittelbar als objektive zu verstehen sein. Und so wurde auch ihre Psyche in der allgemeinen Logik der "Phänomenologie des Geistes" von Hegel als das wirkliche Subjekt im Begriff eines objektiven Sollens, seiner Idee nach als bloßes Moment des Weltgeistes interpretiert. Damit sollte der einzelne Mensch schon als gesellschaftlicher Mensch ohne wirkliche Gesellschaft begriffen sein, der dessen radikale Selbstverwirklichung schon als unmittelbare gesellschaftliche Veränderung aus dem Streben des subjektiven Geistes betreiben könne. Die Selbsterkenntnisse, die der "Psychisch Kranke" in dieser Gesellschaft machen konnte war demzufolge die Erkenntnis eines gesellschaftlichen Subjekts, das weitaus umfangreicher bestimmt ist, als das im Schatten der "Wirtschaftswunder" bestimmte Subjekt der Arbeit, das "Proletarische Subjekt". Erst im Bewusstsein der "psychischen Krankheit" sei daher das umfassende Wissen um die Notwendigkeit der Aufhebung des Kapitalismus vorhanden. Es war daher ein Begriff, der auch in der antiautoritären Linken viele faszinierte.

Die weitere Entwicklung des SPK wurde nach meiner Auffassung dadurch sektiererisch, dass seine konstituierende Theorie sich durch die Vermischung der unterschiedlichsten Erkentnisinteressen der völlig gegensätzlicher Denkansätze zwischen Karl Marx. G.W.F. Hegel und Wilhelm Reich zerrieben und in ihrer Vermengung absurde Perspektiven herstellten. In dieser zerfielen alle subjektiven Antriebe zu einem Brei von objektiven politischen Zielen, das objektive Sollen von Hegel im Kampf um die Klassenherrschaft der "bewusst Kranken", was auch praktisch dazu führten, dass sich das SPK von realen Möglichkeiten seiner Entwicklung ablösen und in eine Art Psychokratie des objektiven Sollens auflösem musste. Eine politische Strategie, die durch die Vereinigung der Denkansätze von Hegel, Marx und Reich die Gesellschaft verändern will, ist ein Widersinn in sich, weil sie letztlich nur die psychologisierte Emanzipation einer Egozentrik als gesellschaftliche Kraft ausgibt. Besonders die Uminterpretation des Herrschaft-Knechtschafts-Verhältnisses, wie es Hegel in seiner Psychologie als das "Erwachen der Seele" hin zur Vernunft der bürgerlichen Sittlichkeit entwickelt hatte, wurde mit der Gleichsetzung des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital, wie sie Marx aus der Geschichte der Produktivkraft der Arbeit als Klassenverhältnis der Lebensproduktion verstand, zu einem gedanklichen Fiasko. Hinzu kam die "Triebökonomie" des Wilhelm Reich, der das Leben im Ausgleich von Arbeit und Sexualität begriffen wissen wollte und dessen Störung durch das Kapital als Charakterpanzerung an den einzelnen Menschen beschrieb, die sich gesellschaftlich durch den damit konstituierten autoritären Charakter als "emotionale Pest" ausbreiten würde, die jeden Unterdrückten zugleich zu einem Unterdrücker macht. Damit war ein subjektiver Objektivismus geschaffen, der in seiner psychoanalytischen Subjektivität sich nur noch in einer radikale Selbstbehauptung verwirklichen konnte.

Es war ein verrückter Denkzusammenhang voller Widersprüche in den Zielsetzungen aus völlig gegensinnigen Geschichtsverständnissen heraus entstanden: Hegel will Geschichte als reine Gedankenform des Weltgeistes begreifen, als dessen Objektivation, zu der sich alle Subjektivität emanzipieren soll. Nach Marx gibt es Geschichte nur im materiellen Sein der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit und der hieraus begründeten Klassenverhältnisse. Und nach Wilhelm Reich verwirklicht sich in der Geschichte der Gesellschaft die Triebenergie der Selbststeuerung freier Individuen, die in ihrem freien Fluss zwischen Sexualität und Arbeit durch das Kapitalverhältnis gehemmt und in gepanzerten Charakteren verhärtet ist. Im Zusammenrühren dieser Theorien zu einer dreieinigen Begrifflichkeit sollen sich deren wesentlichen Unterschiede aufheben: Herrschaft und Kapital, Knechtschaft und Arbeit, Verdrängung und Sexualität werden zur identischen Elementarform einer vollkommen abgehobenen "Wahrheit". Hierdurch gelten Unterdrückung, Ausbeutung und Verdrängung identisch und die Krankheit selbst als allgemeinen Ausdrucksform von Unterdrückung. Im Kampf der "bewussten Kranken" gegen diese Hemmungen ihres Lebens soll sich deren negative Identität ganz allgemein durch ihre Kollektivierung, durch ihre abstrakte Vereinigung gegen den Kapitalismus durchsetzen. Letztlich wurde mit dem Rekurs auf diese drei völlig gegensinnigen Denkansätze der hegelianische Dogmatismus mit dem politisierten Ansinnen einer "höheren Wahrheit" im wahrsten Sinne des Wortes für alles und jeden niederschmetternd. Das SPK war nicht mehr in der Lage, mit anderen politischen Gruppen oder auch mit den Institutionen der Uni, die ihm mit der Übertragung einer Studentenberatungsstelle entgegenkommen wollten, zielführend zu kommunizieren. Das SPK wollte mit seiner "höheren Wahrheit" politisch einzigartig sein und sich durch einen "multifokalen Expansionismus" von selbst ausbreiten, dem sich alle Institutionen der Universität und besonders der Medizin mit ihren Versorgungsproblemen unterwerfen sollten - so wie die Kapitalisten vor den wahren Produzenten des gesellschaftliche Reichtums ihre Ohnmacht zu begreifen hätten, wodurch das das "revolutionäre Subjekt" sich durchsetzen könne. Der Begriff eines politischen Selbstverständnisses sollte sich als revolutionäres Selbstbewusstsein im missverstandenen Sinne Hegels aus der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft verwirklichen und als solches sollte sich die politische "Wahrheit der Krankheit" auch allgemein politisch durchsetzen (siehe hierzu auch Michel Foucault: "Wahnsinn und Gesellschaft").

Für eine praktische Stringenz seiner Politik, die letztlich auf eine kettenartige Ausbreitung dieser Wahrheit der "bewusst Kranken", setzte, gab es damit keine wirklichen Eingriffsmöglichkeiten mehr, kein wirkliches Sein, das im Dasein der Auseinandersetzungen sich beantworten ließe. So gingen die Forderungen des SPK, die es der Univerwaltung abverlangte, weit über deren Möglichkeiten hinaus. Schließlich war es auch politisch isoliert. Der Gegner war aus der Sicht des SPK in Wirklichkeit auch nur die Institution als solche. Die Übernahme der universitären Bürokratie wurde ähnlich vorgestellt wie die der "Staatsmaschine" bei Lenin. Die absurde Forderung an ein System, das damit übernommen und zugleich aufgehoben werden soll, das also durch unendliche Forderungen in seiner "Unwahrheit" entblößt und zugleich angeeignet werden könne, ist ein Selbstwiderspruch, der sich zwangsläufig gegen den Fordernden entwickelt. Sie ist deshalb als Ganzes gegen sich selbst verschlossen, totalitär, und macht aus dem Opfer den Täter einer vollständig selbstbezüglichen und also verselbständigten Totalität.

Das Scheitern des SPK

Die radikalen Forderungen an die universitären Administrationen und die behauptete Bewältigung unabsehbarer Ansprüche in der Übernahme der Betreuung psychischer Probleme erfordert eine Masse an Kraft und Substanz, die als eine illusionäre Spekulation unterstellt wird. Jedes Auftreten, welches das Gegenüber beeindrucken sollte, musste zugleich Angst um die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten bereiten. Innerhalb des SPK entstand unter vielen der "sozialistisch" sich dünkenden Patienten vermehrte Angst, die eigentlich völlig "unpolitisch" war und ihren ganz persönlichen Lebensperspektiven entsprang. Der symbiotisch gewordene Verbund des "Kollektivs" zerfiel in einen Kader von wenigen "Stammhaltern" und vielen abhängigen Patienten. Die unterstellte Identität des SPK war durch seine Existenz schon nach innen und durch seine Isolation von anderen politischen Gruppen auch nach außen gebrochen. Das darin Notwendige trennte das darin Mögliche von sich ab und begründete Pflichten, die nur wenige erfüllen konnten. Das bewirkte eine Verdopplung der Abhängigkeiten und damit auch der Ängste, mit denen die Betroffenen sich an das SPK gewendet hatten, dem sie schließlich vollständig ausgeliefert waren. Die politischen Selbstbehauptung des SPK wurde im Innern zu einem Echoraum der Angst und trennte einen kleinen inneren Kern von den Hinzugekommenen ab, die mit ihren Problemen und Haltungen zu einer zunehmenden Belastung wurden. Aus dem politischen Anspruch des Kollektivs wurden Symbiosen der Selbstbehauptung und in diesen entstand eine sich ausbreitende allgemeine Existenzangst, die sich als persönliche Lebensangst verstärkte. Dies entzieht den hiervon Betroffenen entscheidende Möglichkeiten der Selbsterkenntnis und lädt sie mit Erregungen auf, die einem um sich greifenden Selbstverlust entspringt. Die politische Radikalität verselbständigte sich, weil sie ihre eigentliche Wurzel verloren hatte. Überzogene Forderungen nach außen und Rausschmiss und Gewalt gegen Infragestellungen der eigenen Mitglieder wurde zur Krankheit des SPK, einem Gefühl allgemeiner Verfolgung ihrer wesentlichen Wahrheit, ihrer Lebenswahrheit, das zunehmend auch durch die politische und polizeiliche "Behandlung" des SPK bestärkt wurde.

Wie bei jeder Zerrüttung einer symbiotischen Selbstbehauptung entstanden in der Verlustangst des zerfallenden Zusammenhangs Positionen zwischen den Aktiveren und den ,Abhängigeren. Der aktive Kader positionierte sich schließlich auch in Bedrohungen gegen die anderen, die sogleich als "Konsumenten" etikettiert und abgesondert ("Wer nicht für uns ist, ist gegen uns") und als Unfähig zu einem kollektiven Bewusstsein bezichtigt wurden ("Wer das Problem nicht erkennt ist Teil des Problems"). Ein sublimer autoritärer Zirkel war entstanden, der die einen abstieß, die anderen hörig machte. Schon wer mit Mitgliedern von anderen politischen Gruppen sprach, wurden schließlich aus dem SPK "entfernt", weil sie diesen Zirkel zu durchbrechen drohten. Für mich endete dies, als ich zu einer Patientenversammlung Huber am Info-Brett aufforderte, zu begründen, warum er zwei Leute aus dem SPK rausgeworfen hatte, die in einer Pizzeria "erwischt" worden waren, wie sie mit Mitgliedern des KBW ("Kommunistischer Bund Westdeutschland") sprachen. Er erschien zu dieser Versammlung nicht und mir wurde bedeutet, dass ich jetzt auch nicht mehr dazugehören sollte. Damit war meine Geschichte und mein Vortrag zum SPK zu Ende.

Eine Auflösung der Irrenhäuser gab es schon mal wirklich - in Italien

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum kamen dann auch praktische Konsequenzen zur Sprache. Prof. Bäuml, der mit seinen Büchern und seinem von fünf Pharmafirmen gesponserten "Manual" über "Psycho-Edukation" bekannt ist, brachte sich mit seinen "Erfolgen" bei der Erziehung von "psychisch Kranken" und mit seinem "Psychose-Seminar" ein und befand es als "verantwortungslos", wenn man Psychopharmaka in ihrer "Heilkraft" kritisiere. Seine professionelle Unterstützung beim "Umgang mit ihrer Krankheit" würde den "Psychotikern" die nötige Sicherheit bieten, die ohne Medikation "natürlich" nicht zu erreichen ist. Ich fragte ihn, warum er so mutlos ist und sich nicht auch durch die Geschichten der italienischen Psychiatrie durch Franco Basaglia beeindrucken lasse. Schließlich hat Franco Basaglia durch die Öffnung der Irrenhäuser wirklich die Menschen dazu gebracht, jenseits der psychiatrischen Institutionn und Beschränktheit neue Lebenszusammenhänge und Aktivitäten zu schaffen, die z.B. heute noch in Triest als alternative Initiativen (Kaffees, Theatergruppen, Werkstätten u.a.) existieren.

Die "Auflösung der Irrenhäuser" (ein Buch von Josef Zehentbauer, das wir seinerzeit im "Druck und Verlag der Arbeitsgruppe Psychologie" verlegt hatten) beschreibt die Grundhaltung Basaglias, die sich gegen die Institution der Gedankenherrschaft selbst wendet. Die Professionellen erfüllen hierbei immer vor allem eine Funktion, die mit einem Hoheitsrecht in den Irrenhäusern verbunden ist und damit zu einem geschlossenen System von Medikation, Maßnahme und Hausrecht in einem hiervon bestimmten Lebensraum wird. Der "psychiatrische Blick" auf die "psychisch Kranken" bleibt immer schon auch durch die Ausbildung und Gesetzgebung beschränkt. Was die Menschen heilt, sagt er, ist nicht die Medikation, sondern die Freiheit, ein eigenes Leben in Liebe zu führen, ein Leben in der Freiheit, so wie es ihnen wirklich notwendig ist und schrittweise von den medizinischen Drogen wegführt oder sie selbst schon unnötig macht. Von allem seine Empfehlung zur Herstellung von "Therapeutischen Gemeinschaften", in denen die "Verrückten" und ganz  normale "Laien" nicht nur gesprächsweise oder "trialogisch" in so genannten Psychoseseminaren, sondern existenziell und auf ihre Zukunft bezogen in Beziehung zueinander treten können, ist für alle bereichernd. Auf diese Weise lassen sich psychische Störungen durchaus auch in ihrer Beziehung auf andere Menschen und in der Bewusstwerdung ihrer zwischenmenschlichen Substanz als gesellschaftliche Bereicherung verstehen. Damit sind sie dem praktischen Leben der Betroffenen weitaus näher als dem psychiatrisch edukative Psycho-Coach, der in der Psychiatrie sein reaktionäres Potenzial verfestigt.

Die Psychiatrie ist in ihrer Funktion nach wie vor ein bloßes Anpassungsinstrument und wird mit den fortschreitendern sozialen Verwahrlosungen schleichend zu einem immer sublimeren Herrschaftsmittel, das sich als Sozialpsychiatrie schon wie von selbst in der Tendenz zu einem Menschenpark stark macht, der eigentlich für alle Menschen eine Horrorvorstellung sein müsste (vergl. den "großen Bruder" bei George Orwell). Wo Menschen aus ihren psychotisierten Gefühlen, aus ihren "Gedankenstürmen" heraus dennoch zu anderen Menschen finden können, verändert sich schrittweise auch die gesellschaftliche Bezogenheit aller Menschen und das Bewusstsein, dass die Menschen nicht an sich scheitern, sondern an der Vereinzelung ihrer Nöte in ihrer gesellschaftlichen Isolation. "Psychische Krankheit" wird dabei wieder erkennbar als eine verheimlichte gesellschaftliche Notwendigkeit.

An den Therapeutischen Club, den wir im Sinne Basaglias 1972 in München im Studentenwohnheim am Steineckeweg in München gründet hatten und bis Anfang der 1980er Jahre in der evangelischen Studentengemeinde in der Friedrichstraße erhalten konnten, erinnerte dann auch eine anwesende Frau aus dem Publikum, die erzählte, wie der TC ihr gut getan hatte, so dass sie auch mit dieser Hilfe ihre Suizid-Versuche überleben konnte. Es gibt viele antipsychiatrischen Möglichkeiten (siehe auch das Weglaufhaus Berlin), die interessierte und neugierige Menschen bieten können, wenn und solange sie sich nicht von den Interessen eines abgehobenen Heilungsanspruchs der Administrationen der herrschenden Gesundheit eintüten lassen.

"Aus der Krankheit eine Waffe machen"?

Wo Medizin zur Erniedrigung von Kranken beiträgt, wird sie zur Sachwalterin der herrschenden Gesundheit. Und die kann letztlich nur die Gesundheit der Geldbesitzer sein, die immer vor allem eine chronische Entwertung ihres Geldes befürchten und keine Störung ihrer Verwertungsbedingungen dulden können. Jede psychische Störung ist für sie eine Unabhängigkeitserklärung, denn ihr fiktives Kapital kann nur dort Wert schöpfen, wo es Menschen dem Arbeitsprozess unterwirft und über ihre Eigentumstitel, ihre Wertpapiere und Immobilien usw., also vor allem als Lohnabgaben durch Gebühren (wie z.B. Mieten, Agenturkosten, Steuern), also als Wert aus menschlicher Arbeitszeit aneignen und damit die darin veräußerte Lebenszeit und Lebenssubstanz von Menschen kassieren kann. Hildgard Knef hatte gesagt: "Wer unter diesen Verhältnissen nicht verrückt wird, der ist nicht normal."

Aber es kann nicht darum gehen, dass Krankheit selbst schon ein Kampfmittel, eine politische Waffe wäre. Sie hätte sich gegen eine Gesundheit zu wehren, die selbst nur politisch auftreten würde. Tatsächlich wurde diese schließlich vom SPK als Iaktrokratie (Ärzteherrschaft) bezeichnet. Aber die rei politische Gegnerschaft alleine genügt nicht, um die wirklichen Lebensverhältnisse der Menschen zu verändern. Krankheit und Gesundheit sind Funktionseigenschaften, nicht substanzielle Lebensäußerungen. Und der rein politisch verstandene Kampf um solche Funktionalitäten mit ihren entsprechenden Strukturen vereinseitigt die gesellschaftlichen Verhältnisse, ist bestrebt die Macht und Gewalt der gegnerischen Seite auf die eigene Seite zu bringen,. Er bleibt rein strukturell. Damit werden die kämpfenden Positionen schlicht dadurch gewechselt, dass insgesamt die Gewalt der pollitischen Verhältnisse mit der poltischen Gewalt einer hiergegen abstrakt bleibenden Entgegnung verdoppelt wird und damit die wirklichen Beziehungen der Menschen in ihrer Einseitigkeit zusätzlich reduzieren werden, sie ihrer lebendigen Substanzen weiterhin entheben würde. Auf der Ebene von politischer Herrschaft und Knechtschaft kann das Resultat solcher Kämpfe nur totalitär sein. Darin allerdings war auch die antiautoritäre Linke jener Zeit noch befangen und fand sich im "politischen Kampf" des SPK bestärkt.

Es muss darum gehen, dass eine subversive Einbeziehung der Ausgegrenzten die Verwirklichung eines erneuerten gesellschaftlichen Zusammenhangs ist und somit einen gesellschaftlichen Gewinn im Sinne eines Fortschritts im Selbstbewusstsein der Menschen mit sich bringt, ihre Widersprüche und Fixierungen zu ihrer Selbsterkenntnis befähigt und dazu verhilft, ihre Fetische als bloße Mythologisierungenen der Nöte ihres Daseins zu überwinden, "aus ihrem unglücklichen Bewusstsein ein Bewusstsein ihres Unglücks" (Marx) werden zu lassen. Das ist aber nicht nur eine Frage des Bewusstseins, sondern eine der Wirklichkeit des Seins. Wenn das psychische Leiden als gesellschaftliches Leiden und dessen Sensibilität zur Kritik der modischen Selbstgefühle in privatisierten Lebensräumen, zur Kulturkritik einer Gesellschaft wird, die eine neue Entwicklung aus der Kritik solchen Eigentums heraus möglich macht, wird auch eine Gesellschaft wieder denkbar, die sinnvoll und also sinnlich und menschlich sein kann. Der Widerstand gegen und Alternativen zur psychiatrischen Institutionalisierung kann hierdurch auch wieder subversiv werden, wenn er öffentlich zum Tragen kommt.

Wo Menschen das Potenzial ihrer Selbsterkenntnis der Scheinwelt einer Konsumgesellschaft, einer Sucht nach der Einverleibung von Erlebnissen mit Menschen und Sachen überantworten, wo sie dem Reiz von Events durch Drogen, Sex und Parties erliegen, können sie keinen Frieden mit sich und anderen finden. Sie befrieden nur ihre exklusive Existenz nach den Möglichkeiten ihres Geldbesitzes, indem sie ihre narzisstischen Selbstgefühle veredeln, um sich hierdurch gegen ihre sublimen Verlust- und Lebensängste aufzuputschen. In solcher Scheinwelt werden ihre Empfindungen nur noch zur Veräußerung ihrer Gefühle als Lebensprothese benutzt, zur Produktion allgemeiner Selbstgefühle als Massengefühle der Befriedung gesellschaftlicher Erregungen. Sie passen sich freiwilig an ihre "Friedensstifter", ihre Drogen an und werden gleichgültig gegen die instrumentelle Gewalt der Anpassung, die sich in der Gesetzgebung und der zunehmenden Anwendung von Zwangseinweisungen, der Ruhigstellung durch Pharmakologie, Elektroschocks und Disziplinierung von "unangepasstem Verhalten" zunehmend verstärkt. Und dies betrifft nicht nur die so geannte zivile Welt. Auch kein Krieg könnte ohne die emsige Militärpsychiatrie mehr durchgezogen werden, die diese Entwicklung schon seit dem Ersten Weltkrieg allen voran wissenschaftlih und gesetzgeberisch vorangetrieben hat. Nicht nur die Diagnoseschemata, auch die Verschärfung der psychiatrischen Intervention und biopolitischen "Einregelung" sollen die Menschen, Soldaten, Technologen usw. "auf Kurs halten".

Doch empfindende Menschen sind mit ihrer Neugier und Tatkraft immer und überall in der Lage, sich in die abgekapselten Lebensräume der zwischenmenschlichen Lebensburgen und Institutionen gesellschaftlich einzubringen und aus der existenziellen Lebensangst heraus, die in dieser Gesellschaft allgemein herrscht, neue Beziehungen eingehen zu können. Solange sie nicht von einem politisch gewollten Kulturkonsum in einer Eventkultur durch ihnen fremde Gefühle bestimmt werden (siehe auch Tittytainment), ist ihr Leben immer schon subversiv gegen die politische Kultur des Kapitals. Deshalb: Hüten wir uns vor dem Edelmut ästhetisierter Selbstgefühle und ihren kulturbürgerlichen Potentaten! Es sind die Agitatoren der Selbstentfremdung, die Fiktionen einer Eventkultur und ihrer Verwertung, die es aufzuheben gilt und die vor allem auch in der "psychischen Krankheit" herrschen. Die kann keine Waffe im Kampf gegen den Kapitalismus sein. Sie wäre selbst nur eine fiktive Waffe, die ihren wirklichen Gegner längst aus dem Auge verloren hat. Krankheit ist in der Tat ein "in seiner Freiheit gehemmtes Leben" und kann deshalb auch nicht in der Hemmung, sondern nur im wirklichen Leben seine Unfreiheit erkennen, seine eigene Welt finden und empfinden und hieraus seinen Gegner als Gegenstand seiner Kraft zur Veränderung angehen.

»Es ist grotesk und tragisch, dass Intellektuelle, indem sie sich an die Institutionen der Macht anbinden, unter dem Schein der Hilfeleistung die Opfer der Macht vollends entwaffnen: In der Pose des Samariters geben sie ihnen den tödlichen Kuss.« (Basaglia & Basaglia-Ongaro, 1980, S. 22) zitiert nach Peter Lehmann: Wie aktuell ist eigentlich noch Franco Basaglia?