Quelle: Tina Stöckle: "Die Irren-Offensive. Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von Psychiatrieüberlebenden", Berlin: Antipsychiatrieverlag, Neuausgabe 2005. Siehe http://www.antipsychiatrieverlag.de/verlag/titel1/stoeckle.htm
Tina St�ckle
M�glichkeiten und Grenzen antipsychiatrischer Selbsthilfe
Dieses Kapitel stammt aus Tina St�ckles Buch �Die Irren-Offensive. Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von Psychiatrieopfern� (Frankfurt am Main: Extrabuch-Verlag 1983). Die Irren-Offensive ist eine autonome Selbsthilfe-Organisation ausschlie�lich von Psychiatrie-Betroffenen, die sich 1980 im Westteil Berlins gr�ndete. Tina St�ckle beschrieb den Werdeproze� und die ersten Aktionen dieser Gruppe. Sp�ter dann, ab 1984, bekam die Gruppe von der Westberliner Landesregierung finanzielle Zuwendungen, wodurch sie einen Treffpunkt sowie eine ganze und mit der Zeit eine weitere halbe Stelle f�r den Betrieb der Einrichtung und f�r Beratung finanzieren konnte. Die Wohnung, in der sie ihr Domizil aufschlug, erhielt sie �ber einen Psychiatrie-Betroffenen, der Jahre zuvor eine Reihe von freistehenden Altbauwohnungen zur Weitervermietung an Projekte angemietet hatte. Mit der �ffnung der Beratungs- und Informationstermine auch f�r nicht pers�nlich von der Psychiatrie Betroffene waren nur noch das w�chentliche Plenum und die Vereinszugeh�rigkeit ausschlie�lich (ehemaligen und aktuellen) Anstaltsinsassinnen und -insassen vorbehalten; auf diese Weise blieb die Entscheidungsbefugnis in den H�nden von Betroffenen. Die bald nach Entstehen der Irren-Offensive gegr�ndeten Kleingruppen bestanden immerhin zwei Jahre; Gespr�che �ber pers�nliche Angelegenheiten konnten sp�ter innerhalb des Frauentags, des Beratungstermins oder zum Teil entstandener pers�nlicher Beziehungen gef�hrt werden. Auch m�nnerspezifische Fragen der Verr�cktheit waren Thema — wenn auch nur ein einziges Mal, bei der Vorbereitung zur Teilnahme von vier Mitgliedern der Irren-Offensive an einem Berliner �M�nnertag� Mitte der 80er Jahre.
Nachdem die erste Auflage ihres Buches vergriffen war, widerstand Tina St�ckle allen Verlockungen eines Nachdrucks. Sie bef�rchtete, da� ihr Buch in einigen Passagen zur undifferenzierten Verherrlichung von Verr�cktheit beitragen k�nnte. Dies basierte auf ihren pers�nlichen Erfahrungen, die sie im Lauf der Jahre in der Irren-Offensive Berlin machte: bei Aktionen, in der Beratung im Treffpunkt und in seiner Organisation.
Der Vorstand der Irren-Offensive e.V. k�ndigte Tina St�ckle ihren Arbeitsplatz zu Ende M�rz 1992. Sie starb am 8. April 1992 an Nierenversagen. Bis zuletzt hatte sie die finanzielle Abrechnung der Treffpunktkosten abgewickelt. Tina St�ckle war das letzte verbliebene aktive Mitglied derjenigen Fraktion, die mit ihrer radikalen Einstellung den antipsychiatrischen Ruf der Irren-Offensive begr�ndet hatte. Vor ihr hatten andere langj�hrige antipsychiatrisch Aktive, zu denen ich auch mich selbst z�hle, nach und nach die Gruppe verlassen, nachdem sie der Erfahrung hatten Tribut zollen m�ssen, da� auch das Lager der Psychiatrie-Betroffenen nicht frei von Bosheit, Macht- und Geldgier sowie Gewaltaus�bung ist.
In dieser Situation entschlo� sich Tina St�ckle zur Neuauflage ihres Buches — als historisches Dokument von der Periode der Irren-Offensive, in der die Kriterien am ehesten erf�llt waren, die sie als notwendig f�r anti- und nichtpsychiatrische Selbsthilfe ansah: Solidarit�t untereinander, kritische Distanz zum Krankheitsbegriff, Befreiung vom psychiatrischen Einflu� sowie Abbau von Machtverh�ltnissen innerhalb der Gruppe. Die in der real-existierenden Irren-Offensive seit 1989 neu aufgekommenen Strukturen sollten die fr�heren Ideale nicht dem Vergessen preisgeben.
Urspr�nglich hatte Tina St�ckle 13 Psychiatrie-Betroffene ausf�hrlich interviewt: zu ihrem Leben vor der Psychiatrisierung sowie zu ihren Erfahrungen in der Psychiatrie und danach. In ihrem Buch konzentrierte sie sich schlie�lich auf zehn dieser Interviews. (Eines davon ist in der vorliegenden Anthologie nachgedruckt; s. Ludger Bruckmann: �R�ckblick auf zw�lf Jahre antipsychiatrische Selbsthilfe�.) Die Kritik der Psychiatrie und die Ansatzpunkte zu Alternativen stellte Tina St�ckle in einen Rahmen, der sowohl die Geschichte der antipsychiatrischen Selbsthilfe wie auch die Distanzierung von angeleiteter gemeindepsychiatrischer 'Selbsthilfe' einschlo�.
Ihre Erkenntnisse fa�te Tina St�ckle in zwei Abschnitten zusammen: �Wieweit erf�llt die Irren-Offensive die Kriterien?� und �Wo sind die Grenzen?� Mit K�rzungen und kleinen stilistischen Korrekturen verband ich diese zwei Abschnitte zu einem in sich abgeschlossenen Text. Da ich neun Jahre lang mit Tina St�ckle zusammenlebte und -arbeitete, bis zuletzt ein vertrautes Verh�ltnis zu ihr hatte und zudem das korrigierte Manuskript der von ihr in Erw�gung gezogenen Neuauflage besitze, wei� ich weitgehend Bescheid �ber diejenigen inhaltlichen Aussagen, hinter denen sie zuletzt nicht mehr stand und die sie bei einer Neuauflage gerne �berarbeitet h�tte:
1. �Die Psychiatrie-Betroffenen� als einheitliche Gruppe von Menschen mit gleichgerichteten Interessen gab es f�r Tina St�ckle l�ngst nicht mehr. Im urspr�nglichen Text hatte sie mehr oder weniger unausgesprochen existentielle Interessen wie Selbstbestimmung und k�rperliche Unversehrtheit (im Sinne von Nichtbehandelt-Werden mit sch�dlichen psychiatrischen Psychopharmaka) als absolut und ungebrochen vorausgesetzt. In der Realit�t tauchten bei Psychiatrie-Betroffenen jedoch in unterschiedlicher Auspr�gung und Dauer noch andere, z.T. entgegengesetzte Bed�rfnisse wie z.B. nach chemischer Ruhigstellung und Abgabe von Verantwortung auf, die ebenfalls ernstzunehmen waren. In ihrem Text sollte deshalb der Begriff �die Psychiatrie-Betroffenen� gelesen werden als �die radikal an zentralen Menschenrechten wie Selbstbestimmung und k�rperlicher Unversehrtheit orientierten Psychiatrie-Betroffenen�. Diese Einschr�nkung spiegelt auch die Tatsache wider, da� es eine Reihe Psychiatrie-Betroffener gibt, die aus unterschiedlichsten Gr�nden nicht zu einer Gruppe wie der Irren-Offensive kommen: die z.B. davon �berzeugt sind, da� ihnen die Psychiatrie mit ihren spezifischen Ma�nahmen geholfen hat; die sich vom aggressiv-ironischen Namen der Gruppe abschrecken lie�en; die mit dem Komplex Psychiatrie nichts mehr zu tun haben wollen, weil die Erinnerung zu schmerzlich ist oder weil sie inzwischen andere Schwerpunkte gesetzt bzw. sich den 'sch�nen Dingen des Lebens' zugewandt haben.
2. Die oft idealisierende Darstellung von organisierten Psychiatrie-Betroffenen, die im Laufe der Praxisjahre Kratzer bekommen hatte, h�tte Tina St�ckle in Zeiten des inneren Abstands am liebsten in einem �Schwarzbuch Irren-Offensive� revidiert. Schon in ihrem Buch hatte sie vor verinnerlichten Gewaltpotentialen gewarnt. Und damit hatte sie recht: Wieso sollten Psychiatrie-Betroffene von vornherein und ausnahmslos aneinander interessiert sein, solidarisch, mitf�hlend, kritikf�hig und f�hig zu 'echten menschlichen Beziehungen' sowie zu offener Auseinandersetzung? Der Wunsch, die internen Konflikte nicht �ffentlich auszutragen und das Idealbild der Irren-Offensive angesichts des Erreichten und der Erfolge anti- und nichtpsychiatrischer Selbsthilfe nicht zynischer Kritik seitens der Sozialpsychiatrie auszusetzen, war Tina St�ckle jedoch wichtiger als ihr gleichzeitig vorhandenes Bed�rfnis, mit dem Aussprechen der ungeschminkten Wahrheit Psychiatrie-Betroffene vor m�glichen Fehlentwicklungen ihrer Gruppe zu warnen; au�erdem hielt sie sich strikt an die Vereinbarung, keine pers�nlichen Informationen �ber einzelne Mitglieder publik zu machen.
3. Ihre Behauptung, nur durch Selbsthilfe und Selbstorganisation zum Aufdecken und allm�hlichen Aufl�sen der eigenen Konflikte zu gelangen, hielt sie nicht mehr aufrecht. Hintergrund ihrer Meinungs�nderung war vermutlich die Erfahrung, da� gelegentlich Mitglieder, Besucher oder Besucherinnen von zumindest zeitweisen positiven Erlebnissen mit Psychotherapeutinnen und -therapeuten berichteten.
4. In der Neuauflage sollte das im Untertitel enthaltene Wort �Psychiatrieopfer� ersetzt werden durch �Psychiatrie-�berlebende�. Hierdurch wollte Tina St�ckle darauf hinweisen, da� nach der Psychiatrisierung, so schrecklich diese auch sein mag, das Leben mit all seinen prinzipiell vorhandenen M�glichkeiten weitergeht; dem Opfer-Begriff stand sie auch deshalb mehr und mehr mi�trauisch gegen�ber, da er s�mtliche Verantwortung f�r den Verlauf der eigenen Lebensgeschichte Dritten zuweist und das Subjekt zum ausschlie�lichen Objekt der �u�eren Lebensumst�nde degradiert.
5. Der Begriff �psychiatrische Drogen� verschwand mit den Jahren v�llig aus dem Sprachgebrauch der Irren-Offensive. In Tina St�ckles originalem Sprachstil der fr�hen 80er Jahre w�rde heute der Ersatzbegriff �psychiatrische Psychopharmaka� oder �neurotoxische Psychodrogen� als Fremdk�rper wirken, weshalb ich auch in diesem Fall h�ufig die urspr�ngliche Formulierung beibehielt.
6. Die Frage, inwieweit Tina St�ckle heute noch die Zweiteilung der Menschheit in �Zwanghaft-Normale� und �Verr�ckte� in dieser Abstraktion vornehmen w�rde, kann ich nicht beantworten. Die beiden Pole sah sie eher als Tendenzen und weniger als ausreichende Charakteristik des jeweils einzelnen Menschen an. Das entgrenzte 'Jenseits von Normalit�t und Verr�cktheit' wollte sie nicht beschreiben (und damit wiederum fixieren), sondern leben.
Peter Lehmann, Oktober 1992
M�glichkeiten der Irren-Offensive
Wenn ich nun die Selbstaussagen der Interviewten und die Aktivit�ten der Irren-Offensive an den in meinem Buch entwickelten und hier als Kapitel�berschriften wiederholten Kriterien einer antipsychiatrischen Alternative messe, stelle ich deutlich unterschiedliche Meinungstendenzen und manchmal auch kontr�re Standpunkte fest. Deshalb gebe ich meistens Tendenzen wieder und schreibe nur selten in Wir-Form.
Zusammenschlu� der Betroffenen
Die Aussagen machen deutlich, da� die Verr�ckten zur Gen�ge erfahren haben, was es hei�t, ganz allein, ohnm�chtig, isoliert dazustehen, im besten Fall als Exot geduldet zu werden. Die Motivation zur Mitarbeit in der Irren-Offensive ist im Prinzip nicht unterschiedlich, ihr Schwerpunkt ist an Interessen und Bed�rfnissen individuell ausgerichtet. Wenn Werner sagt: �Ich habe gemerkt, da� ich als Alleinstehender vollkommen ohnm�chtig bin�, dann dr�ckt er das aus, was alle aufbrechen m�chten: die Ohnmacht, die Vereinzelung, die Isolation. F�r viele Irren-Offensiv-Mitglieder ist es zun�chst einmal wichtig, Kontakt zu anderen Betroffenen zu kn�pfen, auf Menschen zu treffen, die �hnliches erfahren haben, mit denen sie gemeinsam etwas tun m�chten. Andere Interviewte sprechen von Irren-Solidarit�t, die sie gesucht und gefunden haben, von einer Solidarit�t mit Menschen, die auch anpassungsunf�hig bzw. anpassungsunwillig sind: �Flippies, Outsider, Randtypen� (Bernd).
Hier kann man Solidarit�t lernen. Das ist leichter bei Betroffenen, die die Erfahrung gemacht haben, da� man wie ein armes Schwein behandelt wird, da man auch aufeinander angewiesen ist. Ich wei� von vielen Leuten, da� sie mich als Irre v�llig abschreiben. (Vera)
Viele sehen die gemeinsame Erfahrung als Voraussetzung daf�r, da� sie Verst�ndnis, Einf�hlungsverm�gen und Angenommenwerden vorfinden. Der Zusammenschlu� bedeutet f�r die meisten, da� sie einen gewissen Gruppenzusammenhalt erwarten, da� sie auf gegenseitige Hilfe hoffen, da� sie — wenn sie sich schlecht f�hlen — entsprechend unterst�tzt und nicht, wie sie es bisher erfahren haben, im Stich gelassen werden.
Im Namen �Irren-Offensive� ist enthalten, da� Betroffene sich nicht nur zusammenschlie�en, sondern zugleich offensiv werden, Widerstand leisten: Tendenziell zeigen die Aussagen, da� gerade dieses Offensiv-Werden f�r viele Betroffene von wesentlicher Bedeutung ist bzw. die Motivation war, sich f�r diese Gruppe zu entscheiden. �Ich bin am b�rgerlichen Leben zerbrochen. Soll ich mich jetzt auch noch sch�men, in einer Klapsm�hle gewesen zu sein, die das Werk eben dieser B�rger ist?� (Peter) Durch den Offensivcharakter wird das Sich-Verstecken, das Anonymsein aufgebrochen. Die Betroffenen zeigen in den Interviews, da� sie ihre Scham, ihre �ngste �berwunden haben, da� sie nicht mehr bereit sind zu schweigen, zu dulden, zu leiden, sondern sich gegen die Diskriminierung wehren, die auf ihnen lastet.
Ich glaube, da� es unheimlich wichtig ist, nach au�en zu gehen und zu zeigen, wie 'normal' das ist, verr�ckt zu sein. Einfach auch anderen zu zeigen, wie schnell so was geht, da� man in eine Klinik kommt, wie die Bedingungen das verursachen. (Claudia)
Kampf gegen psychiatrische Menschenrechtsverletzungen
Die Psychiater scheuen das Licht der �ffentlichkeit, deshalb erfordert der Kampf gegen die Psychiatrie �ffentlichkeitsarbeit. Das Schweigen der Betroffenen ist — wie die Irren-Offensiv-Leute meinen — mit ein Grund, da� sich an diesen Zust�nden nichts ge�ndert hat. Die Verr�ckten sind sich einig, da� �ffentlichkeitsarbeit die Voraussetzung daf�r ist, da� �berhaupt etwas in Bewegung kommt.
Denn gerade dadurch, da� es ja eigentlich immer totgeschwiegen wird, ist es so, wie es ist (Vera);
... da� man, bevor man etwas hat, an die �ffentlichkeit mu�. Sonst wirkst du irgendwo im Busch rum, und keiner wei�, was du �berhaupt willst. (Werner)
Das Engagement, die Kraft dazu sch�pfen die Verr�ckten aus ihrer eigenen Betroffenheit; denn einmal ist das, was ihnen in den Anstalten angetan wurde, nicht vergessen, und zum anderen f�hlen sich die meisten immer noch bedroht; sie haben ja mindestens schon einmal erfahren, wie schnell und wie brutal die Psychiatrie zuschl�gt. �ffentlichkeitsarbeit bedeutet f�r Psychiatrie-Betroffene, das Ohnmachtsgef�hl aufzubrechen, endlich etwas sowohl f�r sich selbst zu tun als auch gegen das Unrecht der Psychiatrie und das, was in neuer Form auf uns zugekommen ist, die Gemeindepsychiatrie.
Nach Meinung der Irren-Offensiv-Leute soll die �ffentlichkeit informiert, aufgekl�rt werden. Die Leute sollen mit der Realit�t, was inner- und au�erhalb der Anstalten passiert, konfrontiert werden. Sie sollen nicht mehr, wie im Faschismus, die M�glichkeit haben, sich vor der Wahrnehmung der Realit�t zu dr�cken bzw. die Ausrede ben�tzen zu k�nnen, sie h�tten von nichts gewu�t. Durch eine Gegendarstellung sollen die Menschen so weit informiert werden, da� sie Verst�ndnis f�r Verr�cktsein gewinnen, da� sie erkennen, welche Ursachen das 'Ausrasten' hat, da� sie bei sich selbst Betroffenheit zulassen und entwickeln k�nnen. �Nicht der Schizophrene ist schizophren, sondern die Gesellschaft ist es. Das mu� ganz deutlich gemacht werden.� (Claudia)
Dazu mu� die Psychiatrie als das dargestellt werden, was sie in Wirklichkeit ist:
... als ein Abgrenzungsmittel f�r die Leute, die vor all dem Angst haben, was anders ist, nicht 'normal' ist; als eine M�glichkeit, eine bestimmte Art von Denken, Gesinnung von der Gesellschaft fernzuhalten. (Bernd)
Einige Betroffene haben erkannt, da� es wichtig ist, sich auch theoretisch mit Psychiatrie auseinanderzusetzen, um im Kampf gegen sie und ihre Ausweitung souver�n sein und die Kritik zu fundieren zu k�nnen.
Die Interviewten haben auch dargestellt, wie sie in die �ffentlichkeit gehen wollen. Voraussetzung daf�r ist, da� die einzelnen f�r sich selbst offensiv werden, da� sie offen �ber ihre Anstaltserfahrung sprechen, erkl�ren, warum sie verr�ckt geworden sind und wie sie jetzt mit ihrer Verr�cktheit leben. �Ganz klar offensiv vorgehen und zeigen, hier ist etwas faul.� (Ludger) In der Irren-Offensive k�nnen alle so viel tun, wie sie wollen und was sie wollen. Die Aktionen sollten den Leuten Spa� machen, das ist ganz wichtig. Die einen gehen gerne mit Flugbl�ttern in Anstalten. Andere sprechen von �Schei�-Flugblatt-Aktionen� und geben daf�r lieber Interviews, nicht nur f�r dieses Buch, sondern f�r Rundfunk und Presse. Wieder andere bevorzugen es, Gedichte, Artikel, Kurzgeschichten f�r sich und auch f�r Zeitungen zu schreiben. In der Irren-Offensive sind sehr kreative Leute. Da gibt es K�nstler in allen Bereichen; sie machen Lieder, spielen Theater oder zeichnen Plakate. In dieser Gruppe herrschen keine Regeln, wie �ffentlichkeitsarbeit auszusehen hat; das h�ngt von den Leuten ab, wie sie Lust haben, etwas zu tun.
Ein Teil der Irren-Offensivler arbeitet auch im Beschwerdezentrum mit. Das sind die, die sehr aktiv sind, die merken, da� die Irren-Offensive zu schwach ist, allein diesen Kampf aufzunehmen. Das Beschwerdezentrum verfolgt �hnliche Interessen und Ziele. Im Fr�hjahr 1981 formulierte die Irren-Offensive gemeinsam mit der B�rgerinitiative Festes Haus1 und dem Beschwerdezentrum den Psychiatrieteil des Wahlprogramms der Alternativen Liste, das Antipsychiatrie-Programm, in dem hei�t es u.a.:
Die einzige Alternative ist f�r uns die vollst�ndige Abschaffung der kompletten Psychiatrie! (... Es, T.S.) ist bereits im Ansatz zu verhindern, da� die psychiatrische Unterdr�ckung und Mystifizierung modernisiert, technisiert, sozialpsychiatrisiert, gemeindepsychiatrisiert, also mit neuen Kleidern durchs Fenster wieder hereinkommt... (�Antipsychiatrie� 1981)
Im Antipsychiatrie-Programm wird u.a. gefordert:
Die Gew�hrung der Einsicht in s�mtliche Anstaltsunterlagen einschlie�lich der 'Krankenbl�tter' ist gesetzlich zu verankern... Die Entm�ndigung und der rechtlose Status der Betroffenen sind aufzuheben, ihnen ist volle Rehabilitation zu gew�hren. Den Entlassenen m�ssen finanzielle Entsch�digung und Starthilfe gew�hrt werden...
Laut Selbstdarstellung ist ein Ziel der Irren-Offensive der gemeinsame Kampf gegen die Diskriminierung in allen Lebensbereichen; ein Arbeitsschwerpunkt ist die Erarbeitung der eigenen Rechte (z.B. Einsichtnahme in die 'Krankenakte').
Die Betroffenen haben erkannt, da� nur sie selbst es sind, die f�r ihre Rechte k�mpfen k�nnen;
... da� wir gegen die Diskriminierung angehen, die auf uns lastet, diese Diskriminierung und Isolation aufbrechen, an die �ffentlichkeit gehen und genauso wie andere Minderheiten unsere Sachen �ffentlich vertreten. (Manfred)
Die Verr�ckten haben keine Lobby; wenn sie selbst nichts tun, dann wird nichts geschehen. Erst wenn sie selbst wissen, wof�r sie k�mpfen, k�nnen sie sich solidarisieren mit denen, die sie in diesem Kampf unterst�tzen m�chten.
Es kommen Leute zur Irren-Offensive, denen bewu�t ist oder bewu�t wurde, da� sie als Einzelk�mpfer keine Chance haben, und die inzwischen ihre Wiederbem�ndigung zu erk�mpfen oder eine Pflegschaft loszuwerden versuchen, mit Unterst�tzung von anderen Betroffenen, vom Beschwerdezentrum, von engagierten Rechtsanw�ltinnen und Rechtsanw�lten. An solchen positiven Beispielen sehen auch die anderen Verr�ckten, da� Widerstand m�glich ist: �... da� ich sehe, man kann was machen, denn der Peter ist ein gutes Beispiel f�r mich, seine Klage, die er gef�hrt hat.� (Claudia) Peter versucht seit 1978, Einblick in seine eigene Verwahrakte zu nehmen. Er war 1977 in zwei Psychiatrischen Anstalten, zuletzt in der Psychiatrischen Anstalt der Freien Universit�t Berlin. Er will nicht aus materiellem Interesse in die Akten gucken, sondern:
Ich will mich nach meinem Anstaltsaufenthalt selbstbestimmt mit meiner Lebensgeschichte auseinandersetzen, meine Vergangenheit aufarbeiten. Ich will wissen, was die Psychiater, die Angeh�rigen, die Freunde damals �ber mich gedacht und gesagt haben. Ich will nachlesen, wie die Psychiater meinen 'psychotischen' und 'schizophrenen' und 'paranoiden' und 'hebephrenen' und 'halluzinatorischen' und 'logorrhoeischen' und 'katatonen' und 'stupor�sen' Zustand beschrieben haben. Ich will verhindern, da� mich der Wahnsinn noch einmal total packt und ich mich pl�tzlich im Irrenhaus angeschnallt, gr�n und blau geschlagen, eingesperrt und vollgespritzt wiederfinde. (Lehmann 1981, S. 36)
Die �ffentlichkeit, die durch den Proze� geschaffen wurde, bewirkte, da� die Irren-Offensive bekannter wurde und da� einige Mitglieder neu dazukamen.
Kollektive Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen
Da� ich konkreter die Verbindung zwischen der Unterdr�ckung in der Gesellschaft und der Unterdr�ckung, die in der Psychiatrie l�uft, anstellen kann; da� ich auch so zum ersten Mal politischen Anspruch st�rker verbinden kann mit dem, was l�uft... (Claudia)
Viele der Betroffenen erkennen ihre �ngste und lernen, ihre Aggressionen und ihre Wut nicht mehr gegen sich zu wenden und sich selbst damit zu zerst�ren, sondern sie nach au�en gegen die kaputtmachenden Verh�ltnisse zu richten, diese zum Gegner zu machen. Wesentlich bei den Betroffenen ist, da� sie bei sich ansetzen und einsehen, wie die Lebensumst�nde verursacht haben, da� sie 'ausgerastet' sind; da� dies kein Einzelschicksal und keine Individualschuld ist, erfahren sie durch �hnliche Lebensgeschichten ihrer Leidensgenossinnen und -genossen. Es kommen Menschen zur Irren-Offensive, die vorher schon erkannt haben, da� sie sich wehren m�ssen, da� sie sich — anstatt sich selbst zu zerst�ren — mit den Lebensbedingungen auseinandersetzen und andere Menschen suchen m�ssen, die mit ihnen k�mpfen. �Mein Anspruch war, mit den Leuten aktiv was zu machen, echt was zu tun gegen die Gesellschaft, gegen das, was uns bindet und uns kaputtmacht.� (Werner)
Die Suche nach Freir�umen wurde uns durch die Enge aufgedr�ngt, der wir bei unseren w�chentlichen Treffen in einem kleinen Raum des KommRum, einem Kommunikations- und Therapiezentrum, in dem wir uns 1980 gegr�ndet hatten, ausgesetzt waren. Ein Teil der Verr�ckten wollte vom KommRum unabh�ngig werden, wollte ei-gene R�ume haben, der andere Teil w�re ganz gerne geblieben, bekam aber auch die Raumnot zu sp�ren.
In dieser Zeit redeten wir viel vom H�user-Besetzen. Bei Diskussionen zeigte sich, da� die Leute gro�e Angst hatten, bei der Besetzungsaktion nicht in den Knast, sondern sofort in die Anstalt gebracht zu werden. Diese Angst war berechtigt; sie konnte mit Argumenten nicht vertrieben werden. Einige Leute waren zwar f�r H�userbesetzung:
Ich wollte eigentlich nach Portugal fahren, aber das andere ist wichtiger, auch die H�userbesetzung, die ansteht. Weil ich merke, da ist zum ersten Mal ein Punkt, wo ich mich engagieren kann, da will ich jetzt nicht wegrennen, diese Chance hatte ich noch nie in meinem Leben, mich wirklich zu engagieren, weil ich da auch hinterstehe. (Claudia)
...
— aber die Mehrheit war dagegen. Trotzdem war allen bewu�t, da� wir als Irren-Offensive auf legalem Wege nie oder nur sehr schwer R�ume erhalten w�rden, und die hei�en Diskussion ...
Die Irren-Offensive hatte bald Verb�ndete, die in die gleiche antipsychiatrische Richtung mitmarschierten, sich punktuell solidarisierten und beteiligten. Da war das Beschwerdezentrum, in dem auch Betroffene mitarbeiten, und die B�rgerinitiative Festes Haus — zwei Gruppen mit teilweise �hnlichen Ziele wie die Irren-Offensive.
F�r die Alternative Liste (AL) Berlin hatten wir zwar den Wahlprogrammteil Psychiatrie entworfen, aber die einzelnen Irren-Offensiv-Leute standen v�llig unterschiedlich zur AL. Manche wollten damit �berhaupt nichts zu tun haben, hatten Angst, dort 'untergebuttert' zu werden; andere bef�rchteten, da� damit noch mehr Aktionen und Verpflichtungen auf sie zukommen w�rden; nur ein einziger arbeitete aktiv bei der AL mit. Die Einstellung zu ihr war jedoch tendenziell positiv.
Auf einer Beschwerdezentrum-Sitzung im Fr�hjahr '81 (ich war auch eine Zeitlang Mitglied im Beschwerdezentrum) planten wir, gemeinsam ein Haus zu besetzen: die Irren-Offensive und das Beschwerdezentrum zusammen. Statt ein Haus neu zu besetzen, hatten wir die Idee, in ein bereits besetztes Haus einzuziehen.
Der 'Wahn' ist die Sache, die Tradition und Konvention durchbricht. Deshalb ist darin die Chance, das Unmenschli-che wieder menschlich zu machen, neue Wege zu beschreiten. (Bernd)
Die Irren-Offensiv-Leute hatten viele Ideen, wie sie diese Chance verwirklichen k�nnten. Es war aber klar, da� eine Voraussetzung, um gemeinsame Lebenszusammenh�nge zu entwickeln, entsprechende R�umlichkeiten sind. Den meisten Verr�ckten ist bewu�t, da� die Entwicklung neuer Formen des Zusammenlebens gerade f�r sie von wesent-licher Bedeutung, ja der Punkt ist, an dem die Gefahr, wieder 'auszurasten' und deshalb in die Anstalt gebracht zu werden, in den Griff zu bekommen w�re.
Ich glaube, da�, wenn man die alternativen Lebensformen ausbaut, da� dann Therapie gar nicht mehr so notwendig ist, weil man im t�glichen Leben trainieren kann, was man im fr�heren Leben vers�umt hat, mit Leuten, die Verst�ndnis, Erfahrungen haben; wo man dann versuchen kann, gemeinsam diese Schwierigkeiten aufzuarbeiten. (Manfred)
Viele haben als Zielvorstellung den Aufbau gemeinsamer Lebens- und Arbeitsstrukturen: zusammen die Schwierigkeiten im t�glichen Leben angehen, die Bed�rfnisse auszuleben versuchen, sich wehren.
Selbstorganisation und Selbsthilfe
Alle haben individuell verschiedene Bed�rfnisse, Probleme, Schwierigkeiten; deshalb ist das Verst�ndnis von Selbsthilfe unterschiedlich. Die Leute sind auf verschiedenen Entwicklungs- und Bewu�tseinsebenen: die einen k�nnen dies besser, die anderen jenes; deshalb braucht der eine mehr Hilfe hier und die andere dort. Deshalb setzen alle unterschiedliche Schwerpunkte, was sie unter Hilfe zur Selbsthilfe verstehen.
Viele sehen als ersten Schritt hierzu, da� sie Kontakt zu anderen Betroffenen und dadurch das Gef�hl kriegen, nicht mehr so isoliert, nicht mehr ganz so au�enstehend, nicht mehr ganz so hilflos zu sein; da� sie wieder von sich aus aktiv werden, unter Menschen gehen und dort Unterst�tzung, Halt finden. �Das Gef�hl, neben den anderen zu stehen, ist weg, wenn ich in die Irren-Offensive gehe.� (Vera)
F�r alle Verr�ckten ist es sehr wichtig und f�r manche neu, da� sie au�erhalb der Anstalt mit anderen Betroffenen reden k�nnen, da� die anderen zuh�ren, da� sie sich gegenseitig ernst nehmen, sich verstehen.
Ich habe noch nicht einmal erlebt, da� irgend jemand gelacht hat, wenn jemand was Peinliches oder Verr�cktes erz�hlt. (Christa)
Ich f�hle mich best�tigt. Gerade Gespr�ch ist wichtig, da� man so 'ne Art Gegen�ber findet und nicht isoliert ist. (Andreas)
Einmal kam eine Frau zur Irren-Offensive, die schon mit dem Gedanken an eine Hirnoperation spielte, da 'in ihrem Kopf etwas nicht in Ordnung' sei. Sie konnte es kaum glauben, da� alle Mitglieder der Irren-Offensive auch schon in der Anstalt gewesen waren, denn sie hatte von sich den Eindruck, als w�rde man es ihr im Gesicht ansehen, da� sie 'irre' sei. Die Tatsache, da� wir als ehemalige Anstaltsinsassinnen und -insassen jedoch 'v�llig normal' aussahen, �berzeugte sie von ihrem unverd�chtigen �u�eren und brachte sie von ihrem Vorhaben ab.
Voraussetzungen f�r einen gegenseitigen Austausch sind Offenheit, Vertrauen, echte menschliche Beziehungen. Erst dann ist eine intensive Begegnung m�glich, wodurch sich die Leute bei der Selbstbefreiung gegenseitig unterst�tzen k�nnen. Die Interviewten sprechen je nach ihren individuellen Bed�rfnissen von den verschiedensten M�glichkeiten dazu.
Manche haben verlernt, mit Menschen zu reden, und wollen dies wieder lernen. Andere kommen in die Irren-Offensive und sind noch mit Drogen vollgeknallt. F�r sie ist es eine wesentliche Hilfe, wenn sie sehen, da� andere positiv �ber das Absetzen berichten, und wenn sie merken, da� die Leute, obwohl sie die Pillen weggeschmissen haben, nicht wieder in der Anstalt gelandet sind; da� zum ersten Mal ein positives Bild von Verr�cktsein entsteht und da� sie einen Weg sehen gegen die Angst, die die Psychiater erzeugt haben. F�r diejenigen, die bisher nur ertragen, erduldet, gelitten haben, die sich unterdr�cken, diskriminieren, zerst�ren lie�en, ist es ein ganz neues und einschneidendes Erlebnis, wenn sie den Mut finden, sich zu wehren. Es sind viele Leute in der Irren-Offensive, die hier zum ersten Mal gewagt haben, laut zu werden, zu br�llen, sich massiv zu wehren.
Claudia schildert, was sie von den anderen lernen m�chte:
Ich kann das ganz deutlich an euch festmachen: Was ich an Tina gut finde, da� sie ihre Aggressionen rauslassen kann, das will ich lernen. Was ich an Bernd gut finde, da� er seinen Egoismus voll leben kann, das will ich lernen; da� Annedore ihr Verr�cktsein rauslassen kann, das finde ich unheimlich toll; da� Manfred engagiert, aktiv wird da� Peter sich intensiv mit Sachen, die abgelaufen sind, auseinandersetzt, da� er das auch in die �ffentlichkeit f�hrt, so wie den Proze�, den er gemacht hat.
Und Werner: �Was ich lernen kann, ist das, was ich f�hle, denke, so mitzuteilen, da� die anderen es auch so aufnehmen, wie ich das sage: 'den Spiegel entzerren'.� Die eigenen Gef�hle kennenzulernen und versuchen, diese auch auszudr�cken und auszuleben, das ist vielen sehr wichtig. Voraussetzung daf�r ist, da� wir alle lernen, �... uns so zu akzeptieren, wie wir sind, nicht mehr irgendwelche Rollen zu spielen.� (Ludger) Dann werden die Betroffenen auch f�hig, ihre Minderwertigkeitsgef�hle �ber Bord zu werfen, sich von ihrer Selbstdiskriminierung und verinnerlichten Gewalt zu befreien, sich in ihrem ganzen Sein sicherer zu f�hlen und neues Selbstvertrauen zu gewinnen.
Die Betroffenen haben alle ein gemeinsames Ziel, worin sie sich gegenseitig unterst�tzen: die Wiedereinweisung in die 'Klinik' zu verhindern. In der Irren-Offensive sind Leute dabei, deren Anstaltsaufenthalt schon Jahre zur�ckliegt, andere kommen gerade 'frisch' aus dem Irrenhaus. Trotzdem haben alle Angst, erneut den Psychiatern ausgeliefert zu sein.
Kurz bevor die Interviews stattfanden, hatte die gesamte Irren-Offensive 'versagt'. Wir hatten nicht bemerkt, wie es einer Frau immer schlechter ging, bis sie f�r drei Tage in der Anstalt landete. Sie wurde zwar sofort besucht, kam auch kurz danach wieder in Freiheit, aber uns wurde bewu�t, da� etwas schief gelaufen war. Wir erkannten, da� die Organisationsform der Irren-Offensive als Plenum — 20 bis 25 Leute — inzwischen viel zu gro� war, als da� dort Probleme der einzelnen Leute angesprochen, geschweige denn angegangen werden konnten. Wer in dieser gro�en Gruppe zu Wort kam, waren die Leute, die keine Schwierigkeiten hatten, vor so vielen Menschen zu reden, sowie diejenigen, die sich selbst gerne reden h�rten. Daraufhin beschlossen die Irren-Offensiv-Mitglieder, zus�tzlich zur Gro�gruppe Kleingruppen zu bilden, in denen f�nf bis acht Leute ihre Erfahrungen aufarbeiten und ihre Probleme und Schwierigkeiten angehen wollen.
Wir haben inzwischen auch erkannt, da� wir Einweisungen ins Irrenhaus nicht v�llig verhindern k�nnen. Nur wer regelm��ig in der Irren-Offensive erscheint, wer sich mit sich selbst und den anderen auseinandersetzt, kann darauf vertrauen, da� die Leute auch dann f�r ihn da sein werden, wenn es ihm oder ihr 'dreckig' geht — denn wir sind kein Samariterverein oder ein Verein, der auf Abruf Leute wieder so weit bringen k�nnte, da� sie gegen die Gefahr gefeit sind, in die Anstalt gesperrt zu werden. Dieses Problembewu�tsein bestand von Anfang an in der Irren-Offensive; schon in der ersten Selbstdarstellung steht:
Das hei�t aber nicht, da� bei uns angerufen werden kann nach dem Motto: �Anruf gen�gt und wir kommen.� Nur durch eine Mitarbeit k�nnen die eigenen Probleme gel�st werden, wobei wir selbstverst�ndlich von der jeweiligen Verfassung der einzelnen Menschen ausgehen.
Wichtig ist, da� echte menschliche Beziehungen eingegangen werden, da� sich die Leute m�gen, da� sie aneinander Interesse haben und dadurch dann auch bereit sind, diejenigen, die 'wegrutschen', zu unterst�tzen. Manche Betroffene meinen im Interview, da� sie, auch wenn sie in die Klapsm�hle k�men, jetzt nicht mehr die Angst wie fr�her h�tten, denn da hat sich etwas ge�ndert: Sie w�rden sich nicht allein f�hlen, drau�en w�re eine Gruppe, die sich einsetzen kann, die versteht, die mitf�hlen kann, die auch nach dem Anstaltsaufenthalt noch vorhanden ist.
Es gibt auch Betroffene, die es mit Hilfe der Irren-Offensiv-Leute geschafft haben, ohne Einweisung eine Krise durchzustehen und zu �berwinden. Wer einmal ohne Psychodrogen das 'Ausrasten' durchleben kann, wer da durchgehen kann, der wird auch nicht mehr so schnell total verr�ckt werden, da� alle hilflos zusehen m�ssen, wie sie ihn oder sie nicht auffangen k�nnen.
Au�erdem sind die gesellschaftlichen Verh�ltnisse so, da� die Gefahr des 'Ausrastens', gro� ist. Deshalb ist es notwendig, da� Betroffene lernen, auch individuell offensiv zu werden, sich zu wehren und durchzusetzen gegen die Normalen und die gesellschaftlichen Machttr�ger. �Es hat mich befreit, dazu zu stehen, im Gesch�ft zu sagen: 'Ich bin in der Irren-Offensive.' Diesen Mut hab ich durch die Irren-Offensive gekriegt.� (Ludger)
Wichtig f�r das individuelle Offensiv-Werden ist, da� sich Betroffene auch wirklich stark genug f�hlen, da� sie sich gegenseitig unterst�tzen. Zum Beispiel gehen Mitglieder der Irren-Offensive nie allein zum Sozialpsychiatrischen Dienst, zur Polizei, zum Arbeits- oder Sozialamt. Sie werden dabei unterst�tzt von anderen Betroffenen und von Leuten, die ihre Kenntnisse und F�higkeiten bereitstellen, ohne da� sie den Anspruch, Leute bevormunden zu k�nnen, daraus ableiten.
Voraussetzung, um mit sich selbst weiterzukommen, um sich von den eigenen Zw�ngen zu befreien, ist, da� die Betroffenen zu ihrem Verr�cktsein stehen.
Ich f�hl mich gut dabei, ich brauch mich nicht zu verstecken, ich brauch nichts verheimlichen, brauch nicht l�gen. Ich nehm das als einen Teil meines Lebens, das will ich nicht wegstreichen, ich finde, das mu� man akzeptieren. (Christa)
Viele erz�hlen allen und �berall ganz selbstverst�ndlich, da� sie in der Klapsm�hle waren und was sie dort erlebt haben. Manche sind stolz darauf, verr�ckt zu sein. Wenn sie in der Gruppe lernen, sich selbst in ihrer Verr�cktheit zu akzeptieren, dann werden sie auch f�hig, das nach au�en zu tragen, auch au�erhalb der Irren-Offensive ihre Meinung offensiv zu vertreten. Dieses Nach-au�en-Gehen ist f�r das Selbstwertgef�hl au�erordentlich wichtig und bewirkt, da� sich die Leute gut und stark dabei f�hlen. Sie unterst�tzen sich gegenseitig, damit sie f�hig werden, die Kr�fte, die sie sonst gegen sich selbst powern, nach au�en zu richten, damit sie lernen, ihren Ha� zu erkennen, zu bestimmen und dann, statt ohnm�chtig dazustehen, diesen produktiv umzusetzen gegen die zerst�rerische Umwelt.
Das erfolgreiche Ausleben der Wut befreit, macht Spa� mit anderen zusammen, steigert das Kr�ftepotential, bringt neue Energie und Anerkennung.
Befreiung vom psychiatrischen Einflu�
Solange sie unter dem Einflu� der Psychiatrie und speziell unter pharmakologischer D�mmerwirkung stehen, ist es den Betroffenen grunds�tzlich nicht m�glich, die eigenen Gef�hle kennenzulernen. Die verheerende, zerst�rende Wirkung der psychiatrischen Psychopharmaka habe ich in meinem Buch (S. 133 — 139) angesprochen. Ich habe die Interviewten nicht gefragt, ob sie noch welche nehmen, ich wei� aber, da� die meisten inzwischen abgesetzt haben. Einzelne Betroffene beschreiben, welche Wirkung die 'Medikamente' auf sie hatten: Sie werden zu Robotern, passiv, werden depressiv, weil sie sich nicht mehr f�hlen, nicht mehr kreativ sein, sich nicht mehr bewegen, nicht mehr reden k�nnen. Was bleibt, ist trotz der �u�eren ruhigen Erscheinung ein inneres Chaos, ein totales Minderwertigkeitsgef�hl.
Ich war halt minderwertig. Da� ich von all den Sachen, die ich vorher gerne gemacht hatte, was ich vorher an Lebensgef�hl hatte, nichts machen konnte. Ich konnte nicht arbeiten, nicht allein in Urlaub fahren, nicht mal allein in meine Wohnung, ich konnte nicht schreiben, nicht lesen, nicht denken, mich nicht vern�nftig unterhalten, mein Selbstwertgef�hl war absolut auf Null, weil ich nichts mehr machen konnte, bei meinen Eltern wohnte. Ich sp�rte ganz klar, da� ich in einem tiefen Loch sitze. (Bernd)
Weil die derart Behandelten keinen Ausweg aus ihrem Leiden sehen k�nnen, haben viele Selbstt�tungsgedanken, die von denjenigen, die noch in der Lage dazu sind, oft auch ausgef�hrt werden; alle in der Irren-Offensive kannten Leute, die keinen anderen Ausweg mehr gewu�t hatten, als sich selbst zu t�ten.
Auf die Idee, 'einfach' die Psychopharmaka abzusetzen, kommen die meisten von sich aus nicht; dazu funktioniert die psychiatrische Gehirnw�sche zu gut. Viele Psychiatrie-Opfer haben starke �ngste vor dem Absetzen, denn sie werden nur von einem Gedanken, der ihnen eingetrichtert wurde, beherrscht: da� dann der n�chste 'R�ckfall' und die Einweisung in die Psychiatrie folgen m�ssen. Andererseits kann das durch die Chemie Unterdr�ckte nicht einfach verschwinden, sondern rumort im Innern weiter, ohne da� es zum Ausbruch kommen kann, denn ihnen ist ja der 'chemische Knebel' verabreicht. Allein die Erfahrung mit dem Absetzen kann hier dem Teufelskreis ein Ende setzen und neue Wege aufzeigen.
Ich habe mich viel mit Pharmaforschung besch�ftigt und eine unheimlich negative Einstellung gegen�ber der Pharma-'Behandlung' gekriegt. Ich habe selber gute Erfahrungen mit dem Absetzen gemacht und deshalb gro�es Interesse, das anderen Leuten weiterzuvermitteln. (Peter)
Die Irren-Offensiv-Leute haben erkannt, da� vor allem Aufkl�rung �ber die zerst�rerischen Drogen wichtig ist, da� die meisten noch zu wenig dar�ber wissen, da� sie sich informieren m�ssen; manche m�chten eine Arbeitsgruppe dazu bilden, einiges wurde schon getan.
Die Gleichg�ltigkeit der Psychiater und ihrer Handlanger, der Psychologen, gegen�ber dem Leben ihrer Opfer zeigte sich beispielhaft, nachdem in der Irren-Offensive die Zeitungsmeldung �ber eine m�glicherweise krebsf�rdernde Wirkung des Neuroleptikums Penfluridol (Semap) bekanntgemacht und besprochen wurde: Als Claudia daraufhin ihre Psychologin bat, die Semap-Tabletten abzusetzen, willigte diese erst ein, als Claudia die Psychologin, die mit der Psychiatrie zusammenarbeitete, auf die Zeitungsmeldung hinwies. Mit den Worten �Ach, Sie wissen es ja schon� war die 'Sache' schnell erledigt. Kein einziger Semap-Konsument war von seinem Psychiater oder sonst einem 'Fachmann' auf die bekanntgewordene Gefahr hingewiesen worden. Erst als diese in der Irren-Offensive bekannt wurde, setzten die Leute das 'Medikament' ab.
In der Irren-Offensive wird �fters �ber die Funktion speziell der Neuroleptika diskutiert, wie Menschen durch deren stumpfsinnig machende Wirkung in die moderne Form der Sklaverei, die Arbeit in den sogenannten besch�tzenden Behindertenwerkst�tten, gezwungen werden sollen.
Wenn eine Betroffene erz�hlt, 'ihr' Nervenarzt habe gesagt, da� bei ihr eine Therapie nichts n�tze, weil die 'Krankheit' ja mit dem Lithiumgehalt im Blut zusammenhinge, dann hei�t das, da� die Psychiater die Leute nicht nur volldr�hnen, sondern sie zugleich auch als unheilbar Kranke diagnostizieren.
Wir haben in der Irren-Offensive einmal die Etikettierungen, die uns verpa�t wurden (alle wu�ten sie nicht, sie wurden ihnen �in ihrem eigenen Interesse� verschwiegen), zusammengestellt und lernten dabei die verschiedensten Form der Psyc-Hosen und Neu-Rosen kennen, aber auch diagnostische Zuschreibungen wie 'notorischer Querulantenwahn' oder 'Hang zum alternativen Leben'.
Die Aussagen der Betroffenen zeigen, da� sie erkannt haben, da� sie durch solche Etikettierungen entm�ndigt, unter psychiatrische 'Hilfe und Obhut' gestellt werden sollten mit dem Ziel, sie wieder 'gesund' und damit verwertbar, anpassungsf�hig, kontrollierbar, normal zu machen. Der Krankheitsbegriff beinhaltet, da� zum einen die Schuld bei den 'Kranken' selbst liegt und zum anderen die 'Behandlung' eine medizinische Aufgabe darstellt und medizinische Fachleute und medizinische Hilfsmittel erfordert — eben Psychopharmaka, Elektroschocks, Gehirnoperationen.
In der Irren-Offensive erkennen die Leute mit Hilfe von anderen Betroffenen, da� sie nicht krank sind, sondern sich als Individuen sehen, die z.B. etwas durchmachen m�ssen, eine gewisse Zeit brauchen, bis sie sich wieder o.k. f�hlen, oder im Moment mehr Aufmerksamkeit und Unterst�tzung n�tig haben. Sie lernen, das 'Durchdrehen' als Teil ihres Lebensprozesses, ihrer Lebensentwicklung zu sehen, sich als Irre im Sinn von Umherirrende und Suchende zu bezeichnen und zu ihrem Verr�cktsein im Sinne von Wegger�cktsein (von der Norm) zu stehen.
Es kommen auch Menschen zur Irren-Offensive, die noch 'krankheitseinsichtig' sind. Die Meinungen der Interviewten gehen tendenziell in die Richtung, da� sie sich von diesen Leuten, den 'Krankheitseinsichtigen', genervt f�hlen.
Wenn sie sich als krank bezeichnen, beschr�nken sie das nicht nur auf ihre eigene Person, sondern sehen auch in mir ebenfalls den Kranken, Verr�ckten — denjenigen, der sich �ndern mu�, der geheilt oder therapiert werden mu�. Sie tragen diesen Anspruch voll in die Gruppe rein; dies gibt dann jedesmal Clinch. Da sag ich, da� diese Leute nicht nur nichts begriffen haben, sondern in der Irren-Offensive v�llig fehl am Platz sind. Sie m��ten in eine Therapiegruppe, Gruppengespr�chstherapie oder sonstwas machen. (Peter)
Die 'Krankheitseinsichtigen' bringen den Konflikt — was ist psychisch krank, was psychisch gesund? — mit; viele dieser Leute bleiben bald wieder weg — was sollen sie mit Verr�ckten? Andere bleiben, und dann passiert etwas: Sie sehen und erleben, da� sich ehemalige Anstaltsinsassinnen und -insassen nicht mehr verstecken, zu ihrem Verr�cktsein offensiv stehen, da� sie sich von Psychodrogen und psychiatrischem Einflu� befreit haben und daf�r die Normalit�t hinterfragen. Sie merken, da� diese Verr�ckten sich dabei wohl f�hlen, nicht mehr in die Psychiatrie m�ssen; sie finden sich in diesen Erfahrungen und Erlebnissen wieder, da� sie sich selbst irgendwann fragen, warum sie denn nun eigentlich 'krank' und 'behandlungsbed�rftig' sein sollen, so da� sie dann auch Konsequenzen ziehen und sich von dem Krankheitsbegriff befreien.
Leute, die in die Irren-Offensive kommen und dort Hilfe, Unterst�tzung finden, haben es nicht mehr n�tig, sich an den Krankheitsglauben zu klammern.
Fr�her hab ich mich in so ein Kranksein reingesteigert, wollte psychisch krank sein — da hab ich B�cher dr�ber gelesen. Weil ich auch keine Hilfe bekam, dachte ich, wenn ich krank bin, dann bekomme ich Hilfe. (Andreas)
Selbstfindung und Selbstbefreiung
Intensive Gruppenprozesse laufen ab, seit sich in der Irren-Offensive zus�tzlich zum Plenum (Gro�gruppe) Kleingruppen gebildet haben. Dort versuchen die Leute ohne erzieherischen Anspruch, ohne Ma�regelung, sich selbst mit Hilfe von anderen weiterzubringen. In der Kleingruppe besteht die Chance zu lernen, Hemmungen abzule-gen, sich zu �ffnen, Gef�hle und Gedanken auszusprechen, Neues zu probieren, sich selbst zu helfen, weil andere Betroffene da sind, die mitf�hlen k�nnen, verstehen, keine Angst haben vor verr�ckten Ideen oder Taten, nicht abblocken.
Voraussetzung daf�r, da� die Leute aufnahmef�hig und bereit sind, sich zu �ffnen, ist eine bestimmte Vertrau-ensebene. Dieses Vertrauensverh�ltnis kann sich nicht von heute auf morgen entwickeln. Gerade bei Menschen, deren Vertrauensf�higkeit derart �berstrapaziert und mi�braucht wurde, ist es nur konsequent, wenn sie mi�trauisch sind, und auf der anderen Seite ist es gerade f�r sie ein 'unheimlich' starkes Erlebnis, wenn es ihnen gelingt, Vertrauen zu jemandem zu entwickeln. Es ist individuell verschieden, wann Betroffene f�r sich entscheiden, ob sie anderen vertrauen k�nnen. Da spielt die Zeit eine Rolle, wie lange sich die Mitglieder kennen; dann, wie sich die einzelnen verhalten, ob sie bereit sind, sich zu �ffnen; und zudem liegt es bei jedem und jeder einzelnen, wie stark die �ngste sind, wie schnell sie die negativen Erfahrungen �berwinden und die erworbenen �ngste, Zweifel und Blockaden aufbrechen k�nnen.
Wenn die Irren-Offensiv-Leute ihr Ziel, nicht mehr in der Klapsm�hle zu landen, verwirklichen wollen, sind sie gezwungen, das Verr�cktsein ernstzunehmen. In der Kleingruppe besteht die M�glichkeit, sich damit auseinanderzusetzen.
Au�erhalb der Irren-Offensive haben sie kaum die Gelegenheit, sich darauf einzulassen, nur unter Betroffenen treffen sie auf Experten, auf Erfahrene im Verr�cktsein, und k�nnen mit deren Unterst�tzung bei sich selbst versuchen, Inhalt, Form und Ausma� des Wahnsinns als Signale und Botschaften zu entschl�sseln, also den Konflikt, wie er im 'Wahn' ausgedr�ckt wird, zu verstehen.
Im �Antipsychiatrie-Programm� haben die Irren-Offensiv-Leute geschrieben:
Die Verr�ckten — auch diskriminierend 'psychisch Kranke' genannt — sind Menschen, die gesch�digt sind durch Kleinfamilie, autorit�tsgepr�gte und sexualfeindliche Erziehung, Schule, Berufsausbildung, Milit�r, Ehe, menschen-feindliche Arbeitsplatzsituation, Wohnbedingungen und Umwelt. Dadurch sind sie anpassungsunf�hig bzw. anpassungsunwillig in der b�rgerlichen Gesellschaft geworden.
Auch in den Interviews zeigen manche Betroffene, da� es ihnen inzwischen bewu�t ist, warum sie 'ausgerastet' sind oder wo ihre verletzlichen Stellen liegen. Einige haben erkannt, welche Folgen die kleinb�rgerliche Erziehung f�r sie hatte — die Gef�hls- und Sexualverklemmtheit, der Zwang, immer lieb und artig sein zu m�ssen, nie aggressiv werden zu d�rfen. Eine Betroffene sieht ihren Wahnsinn als den einzigen Selbstschutz, den sie noch hatte und worin sie sich fl�chten konnte, weil alle anderen Schutzmechanismen wie z.B. Verdr�ngen nicht mehr da waren. Andere werten das Verr�cktwerden als ein positives, einschneidendes, produktives Moment.
Die Interviewten sprechen von 'bewu�t zum Verr�cktsein stehen', 'das Verr�cktsein rauslassen'. Sie haben erkannt, da� sie �berall und immer bestimmte Rollen spielen mu�ten, da� sie nie so sein durften, wie sie sich f�hlten, da� ihnen sogar die eigenen Gef�hle fremd wurden. �Mein Anspruch an die Irren ist, da� ich dort so sein kann, wie ich mich gerade f�hle, da� ich dort lernen kann, immer mehr zu mir selber zu finden und mich zu leben.� (Tina) In der Irren-Offensive besteht die M�glichkeit, da� die Betroffenen (manche auch im Plenum, andere bis jetzt nur in der Kleingruppe) ihr Bed�rfnis, nichts spielen und nichts vorzeigen zu m�ssen, verwirklichen k�nnen. Tendenziell wollen die Leute lernen, das, was sie denken und f�hlen, ohne Abstriche einzubringen, eben so zu sein, wie sie gerade sind mit all ihren Macken, �ngsten, Zw�ngen, Unf�higkeiten und auch in ihren St�rken. Hier ist ein �bungsplatz, sich selbst zu erleben, sich bewu�t wahrzunehmen, sich damit auseinanderzusetzen, sich in anderen wiederzufinden, Neues zu probieren, um so langsam zu sich selbst zu finden, bewu�t zu leben und auf der anderen Seite ebenso offen zu werden f�r das, was andere f�hlen, mitteilen und zeigen. Dabei geht es den Leuten nicht nur darum, sich gut zu f�hlen, sondern sie wollen auch lernen, den Schwierigkeiten entgegenzutreten und nicht mehr vor Dingen, die sie belasten, die Augen zu verschlie�en.
Wenn die Verr�ckten die Normalit�t hinterfragen und sagen, da� die 'Zwanghaft-Normalen' auf Sparflamme leben, dann bedeutet das, da� sie selbst dazu stehen, wenn sie emotional, spontan, phantasievoll, tr�umerisch, chaotisch, aggressiv, w�tend sind, da� sie ihre Anpassungsunf�higkeit und -unwilligkeit als positives Moment erkennen, ihre eigenen Minderwertigkeitsgef�hle abbauen und sich ihrer eigentlichen St�rke bewu�t werden.
In der Irren-Offensive, da knallt es richtig, wir tragen das richtig aus! (Ludger)
Ich habe mir gestattet, in der Irren-Offensive rumzubr�llen, meine Aggressionen rauszulassen. Ich hab mir so was fr�her nie gestattet: �So was macht man eben nicht!� �Beherrschen!� Jetzt schaff ich das auch schon am Arbeitsplatz. Jedesmal wenn ich br�lle und schreie, das tut mir gut, da geht's mir gut, ich wei�, da� ich das brauche. (Werner)
In der Irren-Offensive ist der Platz, wo die Leute lernen k�nnen, sich endlich zu wehren — statt wegzugehen, einzustecken, sich zu verleugnen. Statt auf sich selber sauer sein, sich selber zerst�ren, gelingt es den Betroffenen Schritt f�r Schritt, die Wut, den Ha� zu bestimmen und produktiv umzusetzen.
Wichtig ist, da� die Verr�ckten sich allm�hlich von den Zw�ngen befreien, da� sie weinen, lachen, schwach und stark sein d�rfen, da� sie Angst haben d�rfen, aggressiv, geil, euphorisch und z�rtlich sein d�rfen; da� sie lernen, ihre St�rken auszuleben, Kreativit�t und Spontaneit�t rauszulassen, Verr�cktsein produktiv umzusetzen in Gedichte, Artikel, Kurzgeschichten, Presseerkl�rungen, Lieder, neue Spiele und Theater, Malen, Comics, Collagen, Filme-Machen oder Feste-Feiern — alles, was die Leute in der Irren-Offensive schon praktizieren. �Ich habe in meinen schlechtesten Momenten Gedichte geschrieben, das war f�r mich wie so 'ne Art Lebensrettung gewesen.� (Andreas) Dadurch k�nnen die Verr�ckten ein ganz neues Selbstwertgef�hl entwickeln, indem sie explizit das, was als verr�ckt, unnormal, krank abgewertet wird, als positives Moment erkennen und entsprechend handeln. Ausschlaggebend dabei ist, da� sie die Balance zwischen der �u�eren, normalen Realit�t und der inneren, verr�ckten Realit�t halten k�nnen, da� sie f�hig werden, beides zu leben: das Normale und das Verr�ckte.
Ich kann ausflippen, mit dem Gef�hl rauskommen, aber auch wieder ruhig sein. (Andreas)
Da� ich versuche, meinen Wahn und das, was man mir als normal anlastet, unter eine Glocke zu bringen, das hei�t zwei M�glichkeiten zu leben, zwei M�glichkeiten, die Welt zu sehen und f�r mich aus dieser Polarit�t eine Kraft rauszuziehen. Ich merk, da� das f�r mich 'ne Kraft ist. (Bernd)
Dadurch entsteht ein ganz neues Selbstwertgef�hl — das Bewu�tsein, beides zu k�nnen: verr�ckt sein und arbeiten zu k�nnen, verr�ckt sein und Verantwortung �bernehmen zu k�nnen, verr�ckt sein und sich trotzdem anderen mitteilen zu k�nnen, verr�ckt sein und Kraft zu haben, verr�ckt sein und mit anderen leben zu k�nnen, verr�ckt und selbstbewu�t, verr�ckt und gl�cklich sein zu k�nnen.
Autonomie und pers�nliche Entfaltung
Die Meinungen der Interviewten zu der Frage, ob in der Irren-Offensive die einzelnen f�r sich sprechen und ihre Individualit�t entwickeln k�nnen, sind unterschiedlich. Manche sehen das sehr positiv und sagen, da� sich dort niemand wie ein Therapeut verhalte, sondern da� die Gruppenmitglieder gleichberechtigt handeln. Andere berichten von Leuten, die versuchen, die Therapeutenrolle zu �bernehmen, die ausfragen und gute Ratschl�ge geben m�chten, ohne da� sie bereit w�ren, sich selbst einzubringen. Manche erz�hlen von sich, da� sie in der Irren-Offensive inzwischen gelernt h�tten, sich gegen solche 'Therapeuten' zu wehren. Tendenziell zeigen die Aussagen, da� es den Betroffenen bewu�t ist, da� nur sie selbst ihre Interessen und Bed�rfnisse zum Ausdruck bringen k�nnen; da� aber daf�r Voraussetzung ist, da� sich alle frei entfalten und bewegen k�nnen, da� sie eben so sein d�rfen, wie sie gerade sind, ohne da� ein fremdbestimmter Anspruch gilt.
Andererseits kommt in den Interviews zum Ausdruck, da� die M�glichkeit zur pers�nlichen Entfaltung und Autonomie noch nicht ausreichend vorhanden ist, wie es sich die Betroffenen eigentlich w�nschen. Sie haben aber die Schwierigkeiten erkannt und wissen, was zu tun ist: Die Gruppensensibilit�t mu� sich st�rker entwickeln gegen Leute, die �ber andere bestimmen m�chten. Erst wenn sich die Gruppe gemeinsam wehrt, wird es m�glich sein, dieses ungleiche Verh�ltnis aufzubrechen. Wichtig ist auch, da� die Leute das eigene Verhalten und das der anderen reflektieren, um somit eine Voraussetzung f�r eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zu schaffen.
Manche haben schon gelernt, ihre Meinung nicht nur innerhalb der Irren-Offensive, sondern auch au�erhalb zu vertreten. Es sind auch Leute dabei, die kaum oder garnicht sprechen, die einfach nur anwesend sind. Auch das mu� nach Meinung der Interviewten m�glich sein, da� die Menschen nicht gedr�ngt werden, sondern da� sie so viel Zeit haben, sich zu �ffnen, wie sie es individuell ben�tigen. Die Meinungen und Einstellungen zu dem Prinzip �Betroffene unter sich� sind unterschiedlich. F�r viele ist es sehr wichtig und eine ganz neue Erfahrung, au�erhalb der Irrenanstalt unter Verr�ckten zu sein. Wenn sie dort selbstbewu�te Verr�ckte erleben, sind sie oft zun�chst �berrascht, da� diese Leute in der Anstalt gewesen sein sollen. Sie hielten sich bis zu dieser Erfahrung oft f�r irgendwie auss�tzig. Dadurch, da� die Leute schon alle mindestens einmal in der Anstalt waren, entsteht eine gemeinsame Erfahrungsebene, die den einzelnen das Gef�hl gibt, keine Angst haben zu m�ssen, nicht blo�gestellt zu werden, nicht so viel Erkl�rungen abgeben zu m�ssen, verstanden zu werden.
F�r einige Irren-Offensiv-Mitglieder ist das Wort 'Betroffene' sehr widerspr�chlich, wenn darunter nur die Menschen fallen, die in der Anstalt waren. Sie vertreten die Meinung, da� es gen�gend Leute gebe, die — auch wenn sie nicht im Irrenhaus waren — �hnliches erlebt h�tten; oder die sehr gef�hrdet seien, denen wir eine gro�e Unterst�tzung sein k�nnten, weil sie vielleicht auch so empfindsam seien, da� sie mit sogenannten Normalen nicht mehr umgehen k�nnten. Diese Frage �Wer ist Betroffener?� ist in der Irren-Offensive noch nicht endg�ltig ausdiskutiert. Es wurde und wird dar�ber lange und oft gesprochen. Die Mehrheit hat sich immer wieder daf�r entschieden, da� in die Irren-Offensive nur Leute zugelassen werden, die im Irrenhaus waren oder sind.
Einig sind sich alle Mitglieder darin, da� sie eine Art Freiraum ohne Professionelle und andere Nicht-Betroffene wie Familienangeh�rige, Freundinnen und Freunde brauchen.
Weil n�mlich gerade Leute, die mal in der Klapse waren, oft sehr abh�ngig sind von den Freunden oder den Familienangeh�rigen und sich dann wirklich nicht so �u�ern k�nnten, wie sie eigentlich sollten. Also die Irren-Offensive sollte da ein St�ck f�r sich selbst sein. (Vera)
Dies ist nach Meinung der Betroffenen einfach auch deshalb wichtig, weil sie gezwungen sind, Tag f�r Tag und �berall mit und unter Normalen zu leben.
Also, ich glaube, da� dieses Irresein, Verr�cktsein ein Zustand ist, der unnormal ist, vom Normalen so weit entfernt ist, da� dieser Durchblick nur m�glich ist, wenn man schon mal verr�ckt gewesen ist. Deshalb sind Normale in der Irren-Offensive fehl am Platz, weil sie mit der ganzen Problematik, mit diesem Unterschied leben zu m�ssen, nichts anfangen k�nnen, weil sie nur die eine Polarit�t haben. (Bernd)
Die interviewten Betroffenen sprechen auch noch von einem anderen Grund, warum sie unter sich sein m�chten: Sie haben Angst, ausgebeutet, zum Lernobjekt gemacht zu werden. Viele haben erfahren, da� die Normalen zwar Interesse zeigen, da� sie sogar nachfragen, da� aber das Verst�ndnis fehlt, da� es f�r sie mehr eine Faszination oder ein Bed�rfnis ist, sich mangels eigenem Erleben und Leben durch Anh�ren fremder Erlebnisse Befriedigung zu verschaffen; oder da� sie ihre eigenen Probleme verdr�ngen und sich auf Kosten der vermeintlich Schwachen, Irren stabilisieren m�chten.
Kritische Auseinandersetzung mit den 'Experten' und 'Expertinnen'
In den Interviews kommt klar zum Ausdruck, da� die sogenannten Experten in der Irren-Offensive nichts zu su-chen haben. Es gibt zwar Betroffene, die au�er-halb der Irren-Offensive noch eine Therapie machen, aber einig sind sich alle darin, da� die Irren-Offensive als Selbsthilfegruppe die Professionellen ausschlie�en mu�. Viele der Interviewten zeigen auf, da� und warum sie sich von den 'Fachm�nnern und -frauen' sowie ihren Therapien befreit haben bzw. befreien wollen. Denn wenn das Krankheitsurteil, das �ber die Verr�ckten gesprochen wird, von diesen selbst abgelehnt wird, dann stellt sich die Frage, warum sie sich noch behandeln oder therapieren lassen sol-len.
Vielen Betroffenen ist inzwischen bewu�t, da� sie selbst die Erfahrenen, die Experten, die Fachfrauen, -m�nner f�r Verr�cktsein sind, weil nur sie das Verr�cktwerden erfahren haben, weil nur sie wissen, was es hei�t, als Verr�ckte von Psychiatern mi�handelt zu werden, weil nur sie selbst erkennen k�nnen, wie sie leben m�chten. Deshalb gibt es in der Irren-Offensive Leute, die sich gegen Therapien mit ihrem Renormalisierungsziel und dem ungleichwertigen Verh�ltnis zwischen 'Patient' und Therapeut wehren, die den Expertenanspruch der Professionellen nicht mehr akzeptieren.
Da brauchen wir keinen Psychofachmann, da sind wir viel zu sehr Fachm�nner f�r uns selber, da sich jeder in der Kleingruppe bewu�t wahrnimmt. Bewu�theit ist eigentlich alles, mehr brauchste nicht, Fachm�nner brauchste nicht. (Claudia)
Vorher hielt ich es noch f�r m�glich, da� eine qualifizierte Hilfe was f�r mich sein k�nnte. Aber durch die Irren-Offensive, durch die Best�tigung, jetzt w�rde ich das nicht mehr machen, w�rde mich nicht bei so einem Typen ausquatschen. Glaube, das w�rde mich von mir wegbringen. (Bernd)
Tendenziell haben die Betroffenen den Glauben an die Professionellen verloren, indem sie f�r sich herausgefunden haben, da� Therapien Fremdbestimmung beinhalten, da� sie an dem vorbeigehen, was die Leute eigentlich m�chten, und als Ziel haben, die einzelnen wieder an die normalen gesellschaftlichen Verh�ltnisse anzupassen, wobei der Ver�nderungsproze� allein beim Therapieobjekt stattfinden soll.
Ich hab mir noch zwei Monate gesetzt, wo ich dann sage: So, jetzt mache ich das, was ich f�r richtig finde, und nicht das, was der Fachmann mir vorschreibt. (Werner)
Nach der Verhaltenstherapie, da haben sich eine Reihe von Leuten umgebracht — dieser total individualisierende Ansatz, der die gesellschaftliche Umwelt ausklammert und das Verhalten an die beschissenen Bedingungen anpa�t. (Tina)
Die Mehrheit der Irren-Offensiv-Mitglieder ist auch nicht mehr bereit, sich einer Therapie zu unterziehen, in der der Therapeut als der gro�e Durchblicker und K�nner dasitzt und zuh�rt, also nicht bereit ist, sich selbst mit seinem eigenen Leben einzubringen. Manche bezeichnen im Interview die Therapie als Ersatz f�r fehlende, echte, menschliche Beziehungen. Es besteht auch die Angst, da� in dem Moment, wenn die Therapie beendet wird, die Therapierten pl�tzlich allein dastehen, ganz auf sich gestellt sind und alles wieder zusammenbricht.
Viele der Betroffenen haben erkannt, da� sie, auch wenn sie noch Therapie machen, auf Menschen zugehen und versuchen m�ssen, zu diesen eine Vertrauensebene aufzubauen, damit die Therapie allm�hlich �berfl�ssig wird. Einigen ist bewu�t, da� die Arbeit an sich selbst nicht gen�gt, sondern da� es gilt, die kaputtmachenden Lebensumst�nde zu ver�ndern.
Die Irren-Offensiv-Leute setzen sich nicht nur innerhalb der Gruppe und individuell mit Professionellen kritisch auseinander, sondern sie sind auch st�ndig in dem Rahmen, wie sie sich treffen, gezwungen, sich mit der Au�enwelt zu besch�ftigen.
F�r sich spricht, da� wir im KommRum als Selbsthilfegruppe von 20 bis 25 Leuten in einem winzigen Raum, im sogenannten Glaskasten, eingepfercht waren, w�hrend in einem f�nfmal gr��eren Raum f�nf bis acht Leute mit ihren 'Experten' therapierten.
Die Interviewten sprechen einerseits von einem gewissen Gruppenzusammenhalt, andererseits von dem 'Chaos', das alle in sich haben und sich in der Gruppe widerspiegelt, das f�r viele aber das besondere dieser Gruppe darstellt, weil sie nicht — wie andernorts �blich — autorit�r oder streng strukturiert ist.
Die meisten sehen die Auseinandersetzungen, die Streitereien, die harten Diskussionen, das 'Chaos', das dort herrscht, nicht negativ, sondern als Gruppenbildungsproze�, der sich in vielen Auseinandersetzungen st�rker entwickelt, die Gruppe immer mehr zusammenwachsen l��t.
Wenn die Irren-Offensiv-Leute die Gruppe genauer ansehen, �ber sich selbst und andere Mitglieder sprechen, dann stellen die meisten fest, da� es ganz verschiedene Rollen gibt, die aber nicht statisch bleiben, sondern wechseln k�nnen, je nachdem, was gerade besprochen oder angegangen wird, wie die einzelnen Leute sich f�hlen, wer anwesend ist und wer nicht. Von vielen wird kritisiert, da� manche zu viel reden, 'quatschen', sich immer in den Mittelpunkt stellen m�ssen; andere sehen das wiederum nicht so negativ und meinen, da� das bei jeder und jedem einzelnen ein notwendiger Proze� sei.
Wichtig und auch neu ist f�r viele, da� ihnen offen gesagt wird, was die anderen an ihnen zu kritisieren haben. Gerade dieses offene Austragen von Konflikten ist au�erordentlich wichtig f�r Menschen, die meist an der Unaufrichtigkeit und Unoffenheit ihrer Umwelt 'ausgerastet' sind. Manche Interviewte haben den Eindruck, da� die Leute zum Teil in der Irren-Offensive v�llig aufgehen, �da� sie das, was sie brauchen, gefunden haben� (Vera) und da� sie sich in der Irren-Offensive insgesamt wohl f�hlen, da� sie ehrlich und offen zueinander sind. Andere erleben nur einen Teil der Mitglieder als engagiert, den anderen Teil als sehr zur�ckgezogen und distanziert, einzelne so, da� diese nur �ber sich selbst reden wollen. Einer bezeichnet die Rollen als Rollenspiele und sieht darin einen Teil Selbsterfahrung:
Das h�ngt auch wieder damit zusammen, da� die Leute alle verr�ckt sind, da� alle genau sp�ren, da� das ganze Mackertum, das Vorne-, Oben-, Untensein Rollen sind, da� die jeder spielen kann. (Bernd)
Bestimmte Irren-Offensiv-Leute werden oder wurden zeitweise von manchen anderen Mitgliedern als sehr dominant empfunden; andere Interviewaussagen zeigen, da� auch die Dominanz sich st�ndig �ndert.
Eine unterschwellige, aber sehr starke Form der Machtaus�bung ist die Sprache. Manche Interviewte zeigen Schwierigkeiten mit der Kommunikation auf. Sie f�hlen sich allein, unverstanden, weil sie oft die Sprache nicht verstehen, sei es, da� sie zu abgehoben, zu theoretisch ist, da� die Leute sich nicht klar ausdr�cken k�nnen oder mit Fremdw�rtern wild um sich werfen. Das bewirkt, da� manche, die sich noch nicht wehren k�nnen, sich selbst dadurch als minderwertig erleben, weil sie nicht so 'gebildet' sind, da� sie nicht nachfragen und kritisieren, sondern abschalten oder sogar weggehen.
Das Gef�hl hab ich unheimlich oft, da� wir so 'ne Scheinkommunikation f�hren, die �berhaupt nicht die wirklichen Punkte ber�hrt, sondern nur an der Oberfl�che dahinrast. Das st�rt mich dann auch, aber ich bin nicht f�hig, das aufzudecken und aufzuknacken, weil ich bef�rchte, dann in eine feste Rolle reinzukommen. (Claudia)
Einerseits w�nschen sich manche Betroffene, da� in der Irren-Offensive die Leute ihr Verhalten gegenseitig reflektieren, andererseits haben sie Angst vor dem Aussprechen der Kritik, weil sie bef�rchten, in eine feste Rolle (z.B. Therapeutenrolle) gedr�ngt oder von anderen daf�r angegriffen zu werden. Wir haben dies in der Irren-Offensive schon oft problematisiert und dar�ber gesprochen, wie leicht jemand in so eine Rolle kommt, wie schwierig es aber ist, sich davon wieder zu befreien, eben auch die anderen Mitglieder so weit zu bringen, da� sie einen aus dieser Rolle wieder 'rauslassen'.
Den Interviewten ist zum Teil bewu�t, da� es in einer Selbsthilfegruppe notwendig ist, da� die Mitglieder gleichberechtigt und selbst�ndig zusammenarbeiten. �Da sollte jeder versuchen, sich so einzubringen, da� die anderen auch zum Zug kommen.� (Manfred) Auf der anderen Seite sehen sie, wie bestimmte Mitglieder versuchen, andere als Macher herauszufordern, so da� diese gezwungen sind, sich dagegen zu wehren oder, wie Claudia sagt: �Der Peter hat nur seine Rolle dadurch abbauen k�nnen, da� er sich total zur�ckzieht, er hat's nicht anders geschafft.� Dieser meint dazu:
Es hilft mir auch, wenn noch andere Leute da sind, die mir sagen, was ich mache, die mich auch kritisieren, die aber von sich aus ganz bestimmte Impulse in die Gruppe reintragen k�nnen oder m�ssen, wenn's total bescheuert l�uft.�
Tendenziell meinen die Betroffenen, da� die Rollen des Mackers, Machers, Anf�hrers, Antreibers, auch die des Theoretikers, Beobachters, des Distanzierten nur abgebaut werden k�nnen, wenn die Leute das Verhalten bei sich selbst und auch gegenseitig reflektieren, da� sie sich einen Spiegel vorhalten und zun�chst einmal erkennen, was abl�uft. Wichtig ist, damit auch andere Mitglieder von sich aus Impulse in die Gruppe einbringen k�nnen, da� die Aktiven sich zur�cknehmen, damit andere aktiver werden k�nnen. Das kann bedeuten, da� eine Zeitlang weniger geschieht, da� Frust und Chaos herrschen, da� aber daf�r allm�hlich andere, bisher passive Leute etwas tun und somit auch ein St�ck Verantwortung �bernehmen werden.
Am Anfang war ich total ruhig. Jetzt bin ich aufgelebt, ich geh�re zu denjenigen, die am meisten sagen. Diese Entwicklung kann jeder durchmachen, wenn er seine Schwierigkeiten erkennt und versucht, diese in der Gruppe zu �berwinden. (Manfred)
Ungeschriebenes Gesetz ist in der Irren-Offensive, da� die Mitglieder Informationen, die sie von anderen Betroffenen erhalten, nicht nach au�en tragen. Wird dennoch ein solcher Fall bekannt, wird er offen diskutiert; meist ahnden die Irren-Offensiv-Leute den Versto� so, da� sie vor dem 'Plappermaul' nichts mehr sagen. In der Kleingruppe, wo das Vertrauensverh�ltnis und die Intimit�t besonders wichtig sind, f�hrte dies im bislang einzigen Konfliktfall zum sofortigen Ausschlu� — nicht aus der Irren-Offensive, aber aus der Kleingruppe.
Ein anderer Anla�, an dem immer klar wird, da� die Betroffenen bef�rchten, unter Fremdkontrolle und in den alten Objektstatus zu geraten, ist die Geld- bzw. Finanzierungsfrage. Tendenziell ist den Irren-Offensiv-Mitgliedern bewu�t, da� es f�r sie als Gruppe sich langsam emanzipierender Personen den Todessto� bedeuten w�rde, w�rde sie von Institutionen abh�ngig. Andererseits haben wir schon immer �ber Selbstausbeutung und dar�ber diskutiert, da� die Arbeit, die wir leisten, eigentlich bezahlt werden m��te, weil wir diejenigen Sch�den unbezahlt zu beheben versuchen, die andere bezahlt verursachen. Einige der Interviewten zeigen auf, wie wenig Zeit ihnen bleibt, wirklich das zu tun, was sie m�chten und was wichtig und notwendig w�re, weil sie t�glich acht Stunden arbeiten m�ssen.
1980 erfuhren wir von der M�glichkeit, bei der Berliner Senatsverwaltung �ber den autonomen Arbeitskreis 'Finanzierung von Alternativprojekten Berlin' Finanzmittel zu beantragen: pauschal, ohne Auflagen. Gerade f�r die Irren-Offensiv-Mitglieder w�re eine derartige Finanzierung die Chance, da sie als Verr�ckte 'anders' leben m�chten und in herk�mmlichen Betrieben und Einrichtungen aufgrund ihrer Vergangenheit und ihrer jetzigen Art zu leben ohnehin selten unterkommen.
Die erste 'Kr�nung' in der Geschichte der Diskriminierung der Irren-Offensive war die Aufnahme in die sogenannte �Behindertenliste�: In der �Anschriftenliste von Behinderteninitiativen�, herausgegeben von der 'Stiftung f�r staatsb�rgerliche Mitverantwortung Die Mitarbeit' in Heiligenhaus bei D�sseldorf im M�rz 1981, fanden wir uns wieder neben dem �Block Deutscher Hirnbesch�digter� und anderen Initiativen f�r Menschen, die als geistig behindert gelten. Ohne da� je ein Mitglied gefragt worden w�re, wurden wir einfach in diese Liste aufgenommen. Manfred protestierte sofort im Namen der Irren-Offensive, aber die Initiatoren hielten es nicht f�r n�tig, uns zu antworten.
Wenn wir uns dagegen wehren, da� wir derart diskriminiert werden, dann soll das nicht hei�en, da� wir uns von Menschen distanzieren, die auch als Behinderte etikettiert werden, im Gegenteil: Wir solidarisieren uns mit diesen (z.B. mit der Kr�ppelgruppe), die ebenfalls gegen ihre Entm�ndigung und Diskriminierung k�mpfen. Aber bezeichnend ist, da� wir in einen Topf mit Hirngesch�digten geworfen werden, da� unser Verr�cktsein mit organischer Hirnsch�digung gleichgesetzt wird.
Im Rahmen der �berarbeitung des AL-Wahlprogramms f�r die Neuwahlen im Mai '81 wurde die Irren-Offensive zur Mitarbeit an einem Psychiatrie-Reformprogramm eingeladen. Wir schrieben ein radikales antipsychiatrisches Programm. Mit allerlei haneb�chenen Tricks versuchten daraufhin psychiatrisch T�tige, unsere Aussagen zu verw�ssern oder in ihrem Sinne umzubiegen. Die Irren-Offensiv-Mitglieder fanden es bezeichnend, da� — als Betroffene zum ersten Mal in der deutschen Psychiatrie-Geschichte ihre Psychiatriepolitischen Vorstellungen formulierten — prompt 'fortschrittliche' Sozialpsychiater, Mediziner und Psychologen zur Stelle waren, um zu verhindern, da� Betroffene ungehindert zu Wort kommen konnten. Bezeichnend war auch das Argument, mit dem sie in der Hauptdiskussion der AL-Mitgliederversammlung versuchen wollten, einen Stimmungsumschwung herbeizuf�hren: �Mit einem solchen Psychiatrie-Programm, wie es die Irren-Offensive entworfen hat, wird man keinen der Psychiatrie-Besch�ftigten dazu bringen, die AL zu w�hlen.�
Ludger, ein Mitbegr�nder, meint auf die Frage, ob es Grenzen f�r die Irren-Offensive g�be: �Bisher sind wir so weit gekommen, wie wir �berhaupt nicht erwarten durften.� Es gibt auch Interviewaussagen, die zeigen, da� Betroffene nicht nur �ber M�glichkeiten und Perspektiven sprechen, sondern da� sie an bestimmten Punkten Grenzen sehen. Diese werden gem�� dem Bewu�tsein, den Erwartungen, Bed�rfnissen und Anspr�chen der Irren-Offensiv-Leute verschieden bestimmt. Ich werde die in den Aussagen benannten Grenzen nach denselben Kriterien wie im vorigen Kapitel zusammenfassen.
Zusammenschlu� der Betroffenen
Ein Hauptproblem sehen die Mitglieder in der starken Fluktuation: da� in dem Grad, wie die Irren-Offensive bekannter wird, immer mehr Leute dazukommen, da� aber auch zugleich Leute wegbleiben, wobei die Gruppe den Grund f�r das Wegbleiben nicht erf�hrt; da� dieses ewige Kommen und Gehen die Gruppe keine Ruhe finden l��t, da� sie sich deshalb nur unter schwierigsten Bedingungen festigen kann.
Ja, was zur Zeit nicht herrscht, ist ein Zusammengeh�rigkeitsgef�hl. Es fehlt die Harmonie; da sehe ich auch ziemlich schwarz f�r die n�chste Zeit, weil dazu die ganze Sache zu zerfahren ist. (Manfred)
Die Gruppenmitglieder wissen, da� die Neuen von sich erz�hlen wollen, da� sie eigentlich besonders viel Zuwendung, Entgegenkommen, Verst�ndnis brauchen, da� sie aber auf eine Gruppe treffen, in der f�r solche Bed�rfnisse momentan nicht gen�gend Platz ist. Wenn jemand zum erstenmal in die Irren-Offensive kommt und erz�hlt, warum er oder sie in dieser Gruppe mitmachen m�chte oder was er oder sie erlebt hat, dann bleiben die anderen Gruppenmitglieder zun�chst anonym. Denn es ist eine schlichte �berforderung f�r alle, wenn sie bei jedem Treffen immer wieder ihre Geschichte und ihre Interessen darstellen sollen. So wie es sich momentan in der Irren-Offensive verh�lt, k�nnen sich Neue nicht angenommen f�hlen, denn nach dem Plenum verschwindet ein Gro�teil der Leute in Kleingruppen. Unter diesen Bedingungen bleiben eigentlich nur solche, die ein entsprechendes Durchhalteverm�gen haben, die einen bestimmten Frust ertragen k�nnen. Viele Interviewte meinen, da� es eigentlich notwendig w�re, ein Extratreffen f�r Neue zu planen, weil wir in der Irren-Offensive auch nicht mehr so vorsichtig miteinander umgehen, weil im Plenum viel Organisatorisches besprochen werden mu�, was zun�chst einmal Neue, denen das alles fremd ist, absto�en mu�.
Kampf gegen psychiatrische Menschenrechtsverletzungen
Sowohl das individuelle Offensiv-Werden als auch die Kraft und der Mut, sich zu wehren, h�ngen davon ab, wie weit die Betroffenen in ihrer Entwicklung sind. Manche Interviewte sehen zwar die �ffentlichkeitsarbeit und die Offensive grunds�tzlich als positiv und notwendig an, zeigen aber auf, da� sie sich selber dazu noch nicht in der Lage sehen: �Ich habe mit mir selber soviel zu tun.� Menschen, die erst schrittweise wieder lernen m�ssen, Selbstverantwortung zu �bernehmen, die mit ihren eigenen Problemen so stark besch�ftigt sind, da� sie sich auf andere nicht einlassen k�nnen, sind in dieser Situation �berfordert, wenn sie auch noch politisch aktiv werden sollen. Die Frage, wohin sie dann ihre Aggressionen, ihre Wut, ihre �ngste steuern, wenn nicht gegen sich selbst oder 'Unschuldige', bleibt offen.
Einige Betroffene beklagen sich, da� wir eigentlich zu viel reden und zu wenig tun, da� wir zu wenig an die �ffentlichkeit treten, zu wenig Aktionen machen, da� wir zwar viel planen, aber kaum etwas verwirklichen. Sie sehen die Grenze u.a. momentan darin, da� die Gruppe sich einfach noch nicht gen�gend stabilisiert hat, da� viele Kr�fte, die man sonst aktiv einsetzen k�nnte, beim Gruppenbildungsproze� und der internen Konfliktbearbeitung verbraucht werden. Andererseits gibt es so viel zu tun, da� wir alleine damit �berfordert sind; da� wir uns bis jetzt zum gemeinsamen Kampf nur mit wenigen Gruppen zusammengeschlossen haben, liegt nicht nur an uns, sondern an der Begrenztheit der politischen Bewegung, sowohl quantitativ als auch qualitativ: an der relativen Schw�che der fortschrittlichen Kr�fte, die sich zudem h�ufig in Diffamierungskampagnen der Verr�ckten als psychisch Kranke und Behinderte einspannen lassen. Wir k�nnen nicht als Gr�ppchen die gesellschaftlichen Verh�ltnisse ver�ndern, deshalb sind auch Aktionen wie z.B. eine Wiederbem�ndigung sehr aufwendig, ja fast aussichtslos. Dazu ben�tigen die Betroffenen Gegengutachten, doch gerade an diesem Punkt sto�en sie an Grenzen, denn 'eine Kr�he (sprich: Psychiater) hackt der anderen kein Auge aus'. Es passiert, da� sie ewig und �berall gegen Mauern rennen und da� ein Gutachten, das einmal ein Psychiater erstellt hat, die 'Betreuten' weiterhin in allen Lebensbereichen bevormundet und aller Rechte beraubt.
Noch schwieriger und aussichtsloser wird der Wiederbem�ndigungsversuch, wenn sich die Betroffenen zu ihrer Verr�cktheit bekennen, wenn sie nicht bereit sind, sich von verr�ckten Ideen und Zielen zu trennen. Es gibt zwar engagierte Leute unter den Nicht-Betroffenen, z.B. einige Rechtsanw�lte, aber solange diese auch nur vereinzelt aktiv werden, ist es m�glich, da� weiterhin die Entm�ndigung und Diskriminierung der Verr�ckten betrieben wird, da� sich die Psychiatrie in Form der Gemeindepsychiatrie ausweitet und da� sich die Pr�ventivstrategie, die Fr�herkennung der Andersartigen, immer mehr versch�rft.
Kollektive Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen
Auch hier bestehen momentan �hnliche Grenzen. Manche Gruppenmitglieder sind mit ihren eigenen Problemen und Schwierigkeiten so besch�ftigt, da� sie unf�hig sind, aktiv gemeinsam mit anderen und und f�r andere etwas zu tun. Die Gruppe wurde zwar immer gr��er; dadurch nahmen aber auch die Konflikte und Probleme zu, so da� die einzelnen sich zun�chst einmal als Gruppe zusammenraufen m�ssen, bevor sie Ziele wie den Aufbau gemeinsamer Lebenszusammenh�nge oder das Schaffen von Freir�umen und Perspektiven angehen k�nnen.
Durch die Chaosgeschichten, die manchmal da sind, wenn irgendwelche Leute sich nicht gut f�hlen und nicht dar�ber sprechen und dann Aggressionen haben und mit Worten boxen, geht 'ne Menge verloren, was man erarbeiten k�nnte. (Christa)
Die Interviewten zeigen auch, da� f�r sie die Wohnsituation ein ungel�stes Problem ist, da� sie nicht alleine wohnen m�chten, aber keine Alternative sehen. Hier liegt die Grenze in den gesellschaftlichen Verh�ltnissen, da� es auf dem normalen Wohnungsmarkt inzwischen f�r Menschen mit geringem Einkommen unm�glich geworden ist, gro�e Wohnungen zu mieten, da diese nicht mehr an Wohngemeinschaften und schon gar nicht an Verr�ckte vergeben werden. Dasselbe gilt f�r die Irren-Offensive als Gruppe, die sich im KommRum auf engstem Raum treffen mu� und dort keine M�glichkeit hat, sich weiter zu entfalten. Die Grenze liegt hier momentan auch in der Angst vieler Betroffener, ein Haus zu besetzen; sie kann aber auch in der Angst davor liegen, selbst�ndig, unabh�ngig, eigenverantwortlich zu werden.
Die Suche nach Verb�ndeten und der Zusammenschlu� mit ihnen ist dadurch derzeit begrenzt, da erst eine in sich geschlossene Gruppe, die wei�, was sie m�chte, nach au�en gehen und Verb�ndete um sich scharen kann; ansonsten l�uft sie Gefahr, wiederum verobjektiviert und benutzt zu werden. Au�erdem haben die Irren-Offensivler bisher schon mehrmals erfahren, wie sie auf der Hut sein m�ssen vor Leuten, die vorgeben, im Interesse von Betroffenen zu handeln, in Wirklichkeit diese aber nur wieder befrieden und hintergehen m�chten.
Selbstorganisation und Selbsthilfe
Die Grenzen liegen im Selbsthilfeprinzip an sich: �Das passiert einfach nicht, da� irgendeinem geholfen wird, blo� weil er die Forderung stellt. Da macht jeder was f�r sich, egal was er macht.� (Bernd) In der Irren-Offensive besteht kein Helfzwang, sondern die Leute unterst�tzen sich gegenseitig dann, wenn sie selber das Bed�rfnis dazu haben, wenn ein echter pers�nlicher Bezug zwischen den einzelnen besteht. Hier zeichnet sich klar die Grenze ab, was in der Irren-Offensive m�glich ist und was nicht. Wieweit eine Person unterst�tzt wird, h�ngt individuell davon ab, wie weit sich andere darauf einlassen; das ist von Fall zu Fall verschieden.
Manche Betroffene �u�ern im Interview, da� sie noch nicht das n�tige Vertrauen besitzen; da� sie Angst haben, die anderen k�nnten ihre Probleme nicht verstehen und nicht ernstnehmen; da� sie andere damit zu sehr belasten; da� sie zu viel Zeit beanspruchen k�nnten und die anderen dann zu kurz k�men; da� sie �berhaupt noch Angst haben, sich in einer Gruppe zu �ffnen, oder da� sie bef�rchten, abgeblockt und abgelehnt zu werden, wenn sie von sich erz�hlen; da� sie Angst haben, zu viel von sich preiszugeben. Deshalb gibt es Leute in der Irren-Offensive, f�r die Einzeltherapie noch wichtig ist, die Therapie als hilfreiche Unterst�tzung sehen, weil sie dort Vertrauen gewonnen haben, weil der Therapeut ihnen alleine zur Verf�gung steht, weil sie sich dort nicht auch noch mit Problemen anderer Leute.