Peter Lehmann im Interview mit Andy Str�ssle

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung der schweizer Strassenzeitung Surprise.

aus: Surprise – Strassenmagazin (Basel), Nr. 75 (16.2. bis 7.3.2004), S. 12 – 13

Die Pillengesellschaft - oder vom Kampf gegen die Windm�hlen

Erneut kommt Ritalin in die Schlagzeilen, da es in USA und teilweise in BRD und der Schweiz sehr viel an Kinder verabreicht wird, ohne dass die Langzeit-Nebenwirkungen und die Abh�ngigkeit zweifelsfrei gekl�rt sind, wie stehen Sie dazu?

Das Bundesamt f�r Gesundheit der Schweiz (BAG) stellte in den letzten Jahren eine massive Ausweitung der Verwendung von Ritalin� (Methylphenidat) fest. Aufgrund der alarmierenden Zunahme liess das Bundesamt im Kanton Neuenburg eine Analyse der Methylphenidat-Verschreibungen zwischen 1996 und 2000 durchf�hren. Dabei zeigte sich, dass die verschriebene Gesamtmenge von 1996 bis 2000 um 690 Prozent gestiegen ist, sich also innerhalb von vier Jahren beinahe versiebenfacht hat. Die Zahl der Patienten kletterte in derselben Zeit um 470 Prozent, die Dosis pro Patient um 41 Prozent. Die �berwiegende Mehrzahl der Rezepte betraf Kinder zwischen 5 und 14 Jahren. Laut BAG unterscheidet sich diese Situation nicht wesentlich von der gesamtschweizerischen (1).

Wir leben in einer Drogengesellschaft. Man lernt von fr�h auf, Probleme mit synthetischen psychotropen, das heisst stimmungsver�ndernden Substanzen zu �l�sen�, sei es Alkohol, Cannabis oder sonst ein Mittel. Dar�ber hinaus bearbeiten Pharmakonzerne gezielt Funktion�re von Angeh�rigengruppen, Druck auf Politiker auszu�ben, damit diese m�glichst viel Geld f�r biologische Psychiatrieforschung ausgeben. Es soll nach Wegen geforscht werden, psychische Probleme sozialer Natur mit Chemie in den Griff zu bekommen. Ein solches einseitiges Herangehen ist extrem kostentreibend. Nat�rliche Wege werden nicht gesucht, nutzerorientierte Alternativen wie zum Beispiel die geplante �Villa Therapeutica� des Psychotherapeuten Theodor Itten in St. Gallen verhindert und Probleme nur kurzfristig k�nstlich unterdr�ckt: um den Preis hoher sozialer und gesundheitlicher Folgekosten und st�ndig steigender Krankenversicherungsbeitr�ge.

Ritalin ist ein Psychostimulans, ein Aufputschmittel, und hat eine den Amphetaminen vergleichbare Wirkung. Kinder reagieren in der Regel aufgrund ihrer nat�rlichen, starken Sensibilit�t paradox, das heisst sie werden in ihrer als �berm�ssig empfundenen Lebendigkeit ged�mpft. Die Freunde von Ritalin definieren nun diese Lebendigkeit als Krankheit und das Psychopharmakon als Medikament. Dabei kann die kindliche Lebhaftigkeit, auch Zappel-Philipp-Syndrom oder Hyperaktivit�t genannt, selbstverst�ndlich extrem st�rend sein, insbesondere wenn kombiniert Bewegungsmangel, Fehlern�hrung, bornierte Lehrer, stressige Familienverh�ltnisse oder Reiz�berflutung durch stundenlanges TV-Glotzen hinzukommen.

Dass Ritalin abh�ngig machen kann, ist unter Psychiatern und �rzten allgemein bekannt. Nach dem Motto �Der Zweck heiligt die Mittel� argumentierte der Psychiater Paul Wender aus Salt Lake City, einer der Ritalin-P�pste in den USA:

�Das Problem ist nicht, ob eine Substanz ein Medikament oder eine Droge ist, sondern ob sie n�tzlich oder sch�dlich ist. (...) Der Zweck der Medikamentengabe ist mehr, als bloss das Verhalten des Kindes zu kontrollieren und ihm zu erm�glichen, sich an eine Umgebung anzupassen, die es nicht mag und in der es schlecht zurechtkommt: an die Schule. Indem es gehorsamer ist (aber es wird nicht zu einem Roboter!) und weniger herumkommandiert, cooler in der Stimmung wird und ein besserer Sch�ler, werden es die Lehrer, Eltern, Geschwister und Gleichaltrigen mehr m�gen.�

Eines der wenigen Mitglieder der institutionellen Psychiatrie, das sich �ber eine Abh�ngigkeitsgefahr bei Kindern Gedanken machte und von Wenders Pl�doyer f�r eine chemische Herstellung von Gehorsam offenbar so ohne weiteres nicht beeindrucken liess, war der Schweizer Psychiater Manfred Bleuler, als er schrieb, die Gefahr sei bei Kindern nicht so stark ausgepr�gt:

�Eine Gew�hnungsgefahr scheint bei Kindern viel geringer zu sein als bei Erwachsenen. Es soll ihr entgegengewirkt werden, indem die Medikation zeitweise unterbrochen wird.�

Vielleicht ist diese Geringersch�tzung des Risikos aber auch mit einer fehlenden Lobby von Kindern verbunden. In den USA, ein f�r hohe Schadenersatzanspr�che bei mangelhafter Aufkl�rung bekanntes Land, informiert das offizielle Medikamentenverzeichnis �Physicians' Desk Reference� �ber das dortzulande ausschliesslich f�r Kinder angebotene Ritalin:

�Chronische missbr�uchliche Anwendung kann zu deutlicher Toleranz und psychischer Abh�ngigkeit mit unterschiedlicher Auspr�gung abnormen Verhaltens f�hren. Es k�nnen offen psychotische Episoden auftreten, besonders bei parenteralem [unter Umgehung des Verdauungstraktes, das heisst per Spritze oder Infusion vollzogenem] Missbrauch. Sorgf�ltige �berwachung ist w�hrend des Absetzens notwendig, denn eine ernsthafte Depression und auch die Folgen einer chronischen �beraktivit�t k�nnen freigelegt werden.�

M�glicherweise gibt es deshalb so wenig Informationen �ber Entzugserscheinungen bei Kindern, weil es diesen aufgrund ihrer schwachen Rechtsposition kaum gelingt, der Verabreichung von Psychostimulantien zu entgehen, wenn diese erst einmal verordnet wurden. Bekannt geworden sind allerdings die Folgerisiken. Werden die Kinder �lter und nimmt ihre Empfindlichkeit ab, verlieren die Psychostimulantien ihre d�mpfende Wirkung, dann putschen sie auf. Psychiater greifen in dieser Situation gerne zu anderen psychiatrischen Psychopharmaka. Ein schlimmer Weg ist vorgezeichnet.

Z�hlen Sie die Eltern von Zappelphilippen zu den T�tern?

Als Erziehungswissenschaftler w�rde ich dies so nie sagen. Klar, Eltern haben die Erziehungsgewalt, vor einigen Jahrhunderten durften sie ihre Kinder noch straffrei totschlagen, bis vor einigen Jahren noch durchpr�geln. M�glicherweise sucht sich die Gewalt ein anderes Ventil, Familienkonflikte l�sen sich ja nicht in Luft auf durch das Verbot der Pr�gelstrafe. Manche gutgewillten Eltern sind m�glicherweise schlicht �berfordert oder k�nnen den St�reinwirkungen, denen die Kinder von ausserhalb der Familie ausgesetzt sind, nichts entgegensetzen. Ihnen hier einen Vorwurf zu machen, w�re absurd. Das schw�chste Glied in der Kette ist das Kind, was nun nicht heissen soll, dass alle Kinder Engel sind. Glaubenshaltungen von Medizinern, Auff�lligkeiten bei Kindern seien bedingt durch Stoffwechselst�rungen, fallen angesichts dr�ngender Erziehungsprobleme auf fruchtbaren Boden. Man schaut dann gar nicht mehr, was im Einzelnen an diesen Behauptungen und Theorien dran ist – schliesslich stammen sie von studierten Weisskitteln. Und Ehrfurcht vor �rzten, die wir bei ernsthaften Krankheiten ja als unsere Helfer erleben, ist vielen so in Fleisch und Blut �bergegangen, dass sie ihnen alles glauben, auch wenn die Chemobehandlung ihren Kindern offensichtlich schadet.

Man darf nicht vergessen: Kinderpsychiater machen sich kaum die M�he, mit Kindern zu sprechen, zu spielen oder zu malen, um ihnen zu helfen, sich von l�stigen Verhaltensweisen und Gef�hlen zu befreien. Kinderpsychiater sind naturwissenschaftlich ausgebildete Mediziner, die gelernt haben, psychologische Probleme sozialer Natur vorrangig auf Stoffwechsel- oder andere organische St�rungen zur�ckzuf�hren und entsprechend mit k�rperlichen Behandlungsformen, speziell Psychopharmaka, zu bek�mpfen.

Eltern kann man nur raten: Sie sollten sich nicht kirre machen lassen, wenn von irgendeiner Seite, sei es Lehrer, Hausarzt oder Schulpsychologin, der Vorschlag kommt, ihr Kind psychiatrisch untersuchen zu lassen. Sie sollten mit ihrem Kind �ber seine Probleme, �ngste und W�nsche sprechen. Und sie sollten auch mit den anderen Vertrauenspersonen ihres Kindes sprechen, wenn es das Kind will. Eltern sollten ihren eigenen Wahrnehmungen trauen, denn in aller Regel kennt niemand ihr Kind besser als sie selbst. Niemand sollte sich nicht von Diplomen, Titeln und weissen Kitteln beeindrucken lassen, Eltern nicht und ihre Kinder auch nicht. Wird doch einmal das Ansinnen an Eltern gestellt, aufgrund von nichtmedizinischen Problemen ihr Kind dem Arzt oder gar Kinderpsychiater vorzustellen, dann rate ich, das Ansinnen schlichtweg zur�ckzuweisen, aus der m�glichen Isolation herauszugehen und sich mit anderen betroffenen Eltern zusammenzutun, sich an geeigneter Stelle Rat zu holen, das Kind m�glichst nicht alleine zum Arzt oder gar Psychiater gehen zu lassen, Gespr�che und Ausk�nfte zu verweigern, wenn diese aktenm�ssig erfasst werden, Rechtsauskunft einzuholen �ber die Notwendigkeit, Therapie- und Behandlungsauflagen Folge leisten zu m�ssen, und im Falle der Verschreibung von Psychopharmaka auf einer umfassenden Aufkl�rung �ber alle nicht auszuschliessenden Behandlungsrisiken und -sch�den zu bestehen und das eigene Recht auf Ablehnung der vorgeschlagenen Behandlung nicht zu vergessen.

Chemische Antworten – die Liste der Medis wird immer l�nger – scheint es praktisch auf jedes Problem zu geben, von der Depression und Schlaflosigkeit bis zur einfachen Stimmungshebung oder eben der St�rkung der Potenz, ist dies ein gesch�ftlicher Trend?

Ja, da sind wir wieder bei der Drogengesellschaft. Synthetische Psychopharmaka sind ein wichtiger Marktfaktor, nicht nur f�r die Chemieindustrie, auch f�r die professionell T�tigen im Psychobereich. Diese Substanzen haben keine Heilwirkung, sie verhindern wegen ihrer pers�nlichkeitsver�ndernden Wirkung aufdeckende Psychotherapien. Sie verursachen Abh�ngigkeit und produzieren durch ihre Wirkung, die in der Regel in der Herstellung einer sogenannten therapeutischen Zweitkrankheit zur Unterdr�ckung der prim�ren �Hauptkrankheit� besteht, Abh�ngigkeit und k�rperliche Folgesch�den. Ein Heer von arbeitsplatzgef�hrdeten Profis mit medizinischer Ausbildung wird diese Art medizinischer Therapie mit allen Klauen verteidigen, ohne allerdings im Traum daran zu denken, die zentrale Bedeutung ihrer eigenen wirtschaftlichen Motive einzugestehen; sie wollen ja �nur unser Bestes�. Und Mediziner verst�rken noch den Trend. Hanfried Helmchen etwa, vormals Psychiater an der Berliner Universit�tsklinik, beschrieb 1978 das Wirken in den Chemielaboren von Pharmafirmen:

�Werden im allgemeinen f�r bekannte Krankheitsbilder Medikamente gesucht, so werden hier f�r interessante Substanzen Indikationen gesucht. Solche 'Indikationen' m�gen durchaus ausserhalb konventioneller psychiatrischer Nosologien [Krankheitslehren] liegen: z.B. Ersch�pfungszust�nde bei �berarbeiteten Managern oder berufst�tigen M�ttern, 'Schulm�digkeit', Konzentrationsst�rungen, aggressive Zust�nde bei Strafgefangenen, schizoide [kontaktarme, ungesellige] oder zyklothyme [durch ausgepr�gte Stimmungswechsel charakterisierte] Pers�nlichkeitsstrukturen, Empfindlichkeit gegen Ger�usche, leichter Schlaf (...). Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Welt immer k�nstlicher, 'menschengemachter' werden wird, gleichzeitig die Anforderungen der Leistungs- und Massengesellschaft an unsere psychische Stabilit�t immer gr�sser werden, muss dann nicht jede m�gliche chemische Beeinflussung psychischer Funktionen auf ihre eventuelle soziale Brauchbarkeit hin untersucht werden?�

F�r diese Worte wurde er nicht etwa kritisiert; man w�hlte ihn zum Pr�sidenten der Deutschen Gesellschaft f�r Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde.

Nat�rlich sind nicht alle Mediziner derart psychopharmakaorientiert. Es gibt Ausnahmen. In der Schweiz wirkt zum Beispiel der Arzt, Therapeut und Fachbuchautor Marc Rufer, der in Z�rich lebt. Aber wenn dieser sich als �Rufer in der W�ste� bezeichnet, weiss er sicher selbst am besten, wie er die Wirkung seiner Warnungen bei Kollegen, in den Medien und der desinformierten �ffentlichkeit einzusch�tzen hat.

Wie sch�tzen Sie denn die gesellschaftlichen Folgen dieses Verhaltens ein, kommen da nicht ungeahnte �Nebenwirkungen� auf uns zu?

Mit den Langzeitfolgen der Bew�ltigung von Erziehungsproblemen mittels psychotroper Substanzen besch�ftigten sich Salvatore Mannuzza und Kolleginnen des Long Island Jewish Medical Center in New Hyde Park, New York. Wie sie 1993 in den Archives of General Psychiatry mitteilten, wirkt sich die fr�he Verabreichung von Psychostimulantien an Kinder in ihrem weiteren Leben so aus, dass sie mit dem �lterwerden in erh�htem Ausmass gef�hrdet sind, auf andere Drogen �berzugehen. Untersucht wurden 103 Personen, die man als Kinder im Alter zwischen sechs und zw�lf Jahren unter der Diagnose �Aufmerksamkeits- und Hyperaktivit�tsst�rung� zumeist mit Psychostimulantien ged�mpft hatte und die inzwischen 16 bis 23 Jahre alt geworden waren, und eine ungef�hr gleich grosse Kontrollgruppe, deren Erziehung ohne psychotrope Substanzen stattgefunden hatte. W�hrend sich bei dieser ein Missbrauch von (nichtalkoholischen) Drogen nur bei 3% herausstellte, lag die Drogenrate bei den fr�her psychiatrisch Behandelten bei 16%. In einer Folgeuntersuchung sieben Jahre sp�ter war die Drogenabh�ngigkeitsrate bei den vormals mit Ritalin Behandelten immer noch viermal so hoch wie bei der Kontrollgruppe. Eine �hnliche Langzeitstudie von Gabrielle Weiss und Kollegen in der Psychiatrischen Abteilung des Montreal Children's Hospital brachte 1988 entsprechende Ergebnisse, als es um Alkoholkonsum ging. Die Psychiater verfolgten das Schicksal von 61 Kindern, die unter der Diagnose �Hyperaktivit�t� mutmasslich mit Methylphenidat behandelt worden waren, und einer 41k�pfigen nichtdiagnostizierten und unbehandelten Kontrollgruppe. Nach 15 Jahren war die Alkoholmissbrauchsrate bei den zwischen 21 und 33 Jahre alt gewordenen ehemaligen �Hyperaktiven� mit 68% mehr als doppelt so hoch wie bei der Kontrollgruppe mit 33%.

Die Quellen und Berichte �ber m�gliche ritalinbedingte St�rungen k�nnen Sie in meinem Doppelband �Sch�ne neue Psychiatrie� von 1996 nachlesen. Dort finden Sie zu Berichte �ber psychische und zentralnerv�se St�rungen als Folge von Ritalin, zum Beispiel Verdrossenheit, Weinerlichkeit, Traurigkeit, Verlust des Selbstwertgef�hls, Depressivit�t, Schlaflosigkeit, Aggressivit�t, Halluzinationen, Angstzust�nde, Konzentrationsmangel, Ged�chtnisst�rungen, Kopfschmerzen, Lethargie, EEG-Ver�nderungen, epileptische Anf�lle, Alptr�ume); Stoffwechsel-, Organ- und Muskelst�rungen, zum Beispiel Angina, Hautausschlag, Fieber, Gelenkschmerzen, Appetitlosigkeit, Magenschmerzen, Wachstumsverz�gerungen und verminderte Gewichtszunahme (gerade f�r Kinder eine dramatische Auswirkung!), Hormonst�rungen, K�rpertemperaturst�rungen, Herzjagen, Blutdruckerh�hung, Schleimhautst�rungen, Durchfall, Verstopfung, Erbrechen, Verminderung der Blutpl�ttchen, �deme am Hodensack, Sehst�rungen, Bindehautentz�ndung, Muskelzuckungen, Sprachst�rungen sowie Toleranzbildung. Der Platz hier ist zu knapp, um dies alles auszuf�hren.

Sie weisen seit Jahren auf die Gefahren und Nebenwirkungen von Psychopharmaka hin, ein Kampf gegen die Windm�hlen der Industrie?

Ich bin einer der relativ wenigen, die warnen. Ich tue, was ich kann, mehr geht nicht. Ich studiere medizinische Fachliteratur und gebe dann in allgemeinverst�ndlichen Worten wieder, was dort auf Fachchinesisch an Schadensberichten steht. Immerhin kann ich mein Leben mit B�cherschreiben und Vortr�gen finanzieren. Meine B�cher erleben teilweise f�nf bis sechs Auflagen. Mein letztes Buch �Psychopharmaka absetzen – Erfolgreiches Absetzen von Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium, Carbamazepin und Tranquilizer� ist schon in der zweiten Auflage erschienen und Pirkko Lahti, die Pr�sidentin des Weltverbands Psychosozialer Hilfsvereine, hat daf�r ein freundliches Vorwort geschrieben. Das Buch kommt im M�rz 2004 in englischer �bersetzung heraus, derzeit wird es noch ins Italienische und Holl�ndische �bersetzt, ich vertreibe die B�cher weltweit. Das Internet bietet viele preiswerte Kommunikationsm�glichkeiten. Allerdings kann ich mit normalen Verlagen und ihren Pro-Psychoharmaka-B�chern nicht mithalten. Ein Buch des Basler Psychiaters Asmus Finzen konnte man zum Beispiel gratis bei einem Pharmaunternehmen in Deutschland bestellen. Solche Marketing- und Vertriebswege habe ich nicht, und wenn ich sie h�tte, dann sollte ich mir ernsthaft Gedanken machen, was da falsch l�uft. Aber eine solche Sorge ist unbegr�ndet.

Ein Wort zu Alternativen, was w�re eine Alternative zu den Medikamenten?

Das ist eine im Grunde nicht zu beantwortende Frage, wenn Sie sich die Breite der Indikationen anschauen. Alleine Neuroleptika, sogenannte antipsychotische Medikamente, k�nnen von Asthma bis �Schizophrenie�, von Bettn�ssen bis Neurose, von Juckreis bis Depression eingesetzt werden. Dabei werden Sie von drei Psychiatern auf die Frage, was Schizophrenie denn nun sei, sechs verschiedene Antworten bekommen.

Der D�ne Karl Bach vom Weltverband von Psychiatriebetroffenen hat im Schlusskapitel des Buches �Psychopharmaka absetzen� eine �bergreifende Antwort auf Ihre Frage gegeben, der ich mir nur anschliessen kann. Das �berkommene Konzept der psychischen Krankheit und des Bedarfs an synthetischen Psychopharmaka abzulehnen, speziell wenn sie �ber lange Zeit oder gar lebensl�nglich verordnet werden, kann nicht heissen, die Augen zuzumachen vor den realen Problemen, die viele Menschen haben. Es kann nicht sein, dass man sich um andere, wenn sie psychosoziale Probleme haben, etwa gar nicht k�mmern sollten, dass die Leute eingesperrt und allein gelassen werden sollten.

Ein wesentliches Charakteristikum alternativer psychosozialer Dienste w�rde darin bestehen, Menschen bei der Bew�ltigung ihrer Probleme und beim Wiedergewinnen des Gleichgewichts zu helfen – unter anderem durch gegenseitige Lernprozesse, Rechtsbeistand, alternative Medizin, gesunde Ern�hrung, nat�rliche Heilverfahren und spirituelle �bungen. Die alternative Arzneimittelkunde hat beispielsweise ein grosses Wissen �ber die Wirkung von Kr�utern und Hom�opathika, die dem K�rper und der Psyche helfen k�nnen, Entspannung zu finden und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. Mit solchen Dingen kann man m�glicherweise nicht so viel Geld verdienen, doch sie sind es, die Zukunft haben.

Qualifizierte Hilfe in der Schweiz bekommt man bei PSYCHEX, einem Verein, der sich zum von Juristen, �rzten und Betroffenen, der sich zum Anwalt von psychiatrisch Verfolgten gemacht hat und unentgeltliche Unterst�tzung bei f�rsorgerischer Freiheitsentziehung und Zwangsmedikation anbietet: PSYCHEX, Postfach 2006, 8026 Z�rich, Tel. +41 (0)1 – 2417969, Fax +41 (0)1 – 8180871, eMail info@psychex.org, Internet http://psychex.org. PSYCHEX vermittelt den Eingeschlossenen VerteidigerInnen aus dem sozialen, medizinischen oder juristischen Fachbereich, interveniert bei Anstalten und Gerichten, sammelt Adressen von Personen, die KlientInnen Unterkunft und Besch�ftigung anbieten oder vermitteln, leitet zur Selbsthilfe an und sorgt gegebenenfalls f�r die Betreuung der Entlassenen.

Die organisatorischen und praktischen Vereinst�tigkeiten werden von einem vollamtlichen Sekretariat koordiniert, welches den Betroffenen und den Interessierten als Anlauf- und Kontaktstelle dient. Beratung und Vermittlung durch PSYCHEX sind kostenlos. Der Verein ist jedoch auf Spenden angewiesen: Konto 80-39103-2 beim Postcheckamt Z�rich. Ich bin �brigens seit fast 15 Jahren Vorstandsmitglied von PSYCHEX, von daher erhalte ich Hinweise �ber die Zust�nde in der Schweizer Psychiatrie aus erster Hand, n�mlich den Betroffenen.

 

Quelle

(1) Artikel 26: Zeit-Fragen Nr. 17 vom 22 4. 2002 Schweiz. Massive Zunahme an Ritalinverschreibungen. Die Meldung bezieht sich auf diese Aussage: �Das Bundesamt f�r Gesundheit der Schweiz (BAG) hat in den letzten Jahren eine massive Ausweitung der Verwendung von Ritalin� (Methylphenidat) festgestellt. Ritalin unterliegt der Bet�ubungsmittelkontrolle. Aufgrund der alarmierenden Zunahme liess das Bundesamt im Kanton Neuenburg eine Analyse der Methylphenidat-Verschreibungen zwischen 1996 und 2000 durchf�hren. Dort stieg die verschriebene Gesamtmenge von 1996 bis 2000 um 690 Prozent, hat sich also innerhalb von vier Jahren beinahe versiebenfacht! Die Zahl der Patienten kletterte in derselben Zeit um 470 Prozent, die Dosis pro Patient um 41 Prozent. Die �berwiegende Mehrzahl der Rezepte betraf Kinder zwischen 5 und 14 Jahren, mehrheitlich Knaben. Die Situation d�rfte sich laut BAG nicht wesentlich von der gesamtschweizerischen Situation unterscheiden.� ( aus: Bet�ubungsmittel – Entwicklung der Anzahl Verschreibungen f�r RITALIN� (Methylphenidat) im Kanton Neuenburg zwischen 1996 und 2000. BAG-Bulletin 15, 8. April 2002, S. 284 – 288)

 

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Informationen:

Peter Lehmann, Zabel-Krüger-Damm 183, D-13469 Berlin, Tel. +49-(0)30-85963706,
eMail mail@peter-lehmann.de, Internet www.antipsychiatrieverlag.de

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