Jeffrey M. Masson

Rezension

D�rte von Drigalski: Blumen auf Granit.
Eine Irr- und Lehrfahrt durch die deutsche Psychoanalyse.

Taschenbuch, 352 Seiten, aktualisierte Neuauflage, Original 1980. Geleitwort von Gaby Sohl und mit Adressen von Selbsthilfegruppen, Schlichtungsstellen und Internetseiten. Berlin: Antipsychiatrieverlag 2003.

D�rte von Drigalski hat ein Buch �ber ihre eigene Lehranalyse in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts geschrieben – f�nfeinhalb Jahre der Auseinandersetzungmit den hierarchischen und patriarchalisch orientierten Strukturen des psychoanalytischen Lehrgeb�udes und seiner Verwalter. Direkt und schonungslos, auch sich selbst gegen�ber, beschreibt sie ihre Zweifel, ihre Dem�tigung, ihr Aufbegehren, ihre Bewusstseinsentwicklung, schlie�lich ihre Erkenntnis �ber die grundlegenden Gefahren der Psychoanalyse und die von ihr gesetzten und m�glicherweise lebenslang wirkenden psychischen Sch�den. Mir fallen nur wenige B�cher ein, die - aus eigenem Erleben - �hnlich grundlegende Zweifel an Psychiatrie und Psychotherapie �u�ern wie D�rte von Drigalskis �Blumen auf Granit�. Ich denke an das Buch von Kate Millett �Der Klapsm�hlentrip�, eine wichtige Anklage gegen Zwangsbehandlung, Kerstin Kempkers autobiographische und mit vernichtendem Witz verfasste Abrechnung �Mitgift - Notizen vom Verschwinden�, Janet Frames Biographie �Gesichter im Wasser�, den Bericht �Zu viel Zorn, zu viele Tr�nen� von Janet und Paul Gotkin oder Tina St�ckles �Die Irren-Offensive-Erfahrungen einer Selbsthilfeorganisation von Psychiatrieopfern�.

Was der Autorin passierte,ist erschreckend, es ist jedoch kein Einzelfall, und es ist keine akademische Frage der �Passung� (zwischen ihr und ihren AnalytikerInnen). Was D�rte von Drigalski beschreibt, ist die emotionale Tyrannei, die in der Psychoanalyse einsetzt, wenn sich Analysierte w�nschen, ihren eigenen Weg zu gehen, die Dinge auf ihre Weise zu sehen, und wenn sie die leeren Phrasen und die routinierten, formelartigen Interpretationen der Durchschnittsanalytiker nicht l�nger akzeptieren. (Beispiel: �Ihre Unf�higkeit, mich zu bewundern, ist ein Ausdruck Ihrer Psychopathologie.�)

Jeder Analytiker ist im Grunde ein durchschnittlicher Analytiker, auch wenn er sich selbst gern f�r einzigartig weise h�lt. Ein gutm�tiger Analytiker nimmt eine eigene Sichtweise der Analysanden vielleicht hin, findet sie engstirnig oder unf�hig zu psychologischem Denken (denn alles, was Analytiker nicht wertsch�tzen, m�ssen sie etikettieren) und l�sst die fehlende �bereinstimmung als solche durchgehen. Aber dies ist schon eine Idealsituation, die meiner �berzeugung nach im wirklichen Leben sowie im Leben von Menschen in Analyse selten eintritt.

Zu h�ufig verwandeln sich die Meinungsverschiedenheiten in einen Machtkampf, und zwar in einen mit zwei ungleichen Parteien, denn jemand in Not - ob durch Leiden oder durch den Druck, einen Arbeitsplatz zu bekommen - ist nicht in der Position, unabh�ngig und ungehemmt zu argumentieren.

Die Autorin vergleicht die Situation in der Analyse oft mit einer schlechten Ehe, und sie hat zweifellos recht. Allerdings w�rden wir selbst nach jahrelanger Ehe kaum behaupten, unseren Partner wirklich zu �kennen�. Warum der Analytiker dieses Privileg der Vertrautheit beansprucht, es aber oft nach nur wenigen Sitzungen mit einer negativen Diagnose besiegelt, ist ein R�tsel. Es ist eine sehr ungleiche Ehe, in der sich die Macht auf einer Seite konzentriert. Ich w�rde Analyse mit der Ehe mit einem gewaltt�tigen Mann vergleichen.

Sicherlich werden viele Leser anderer Meinung sein als ich. Sie werden viele Analysen kennen, die nicht so sind, und AnalytikerInnen, die anders sind als die von D�rte von Drigalski. Ich bezweifle nicht, dass es warme, mitf�hlende Menschen gibt, die Psychotherapie praktizieren. Aber ich bin �berzeugt, es w�re ein Fehler, D�rte von Drigalskis Buch als die Beschreibung eines Einzelfalls einer fehlgeschlagenen Psychoanalyse abzutun. Es zeigt ein viel gr��eres Problem auf, das sich aus der Situation selbst ergibt.

Die Autorin gibt gen�gend spezifische Illustrationen der abgedroschenen Interpretationsversuche: Kastrationsbed�rfnis, Kastrationsangst, Penisneid usw. Diese Versatzst�cke k�nnen problemlos in jede Geschichte hineininterpretiert werden, die man einem Therapeuten erz�hlt. Ihre Wirkung kann zerst�rerisch sein. D�rte von Drigalski zeigt, dass das zerst�rerische Potential in der Natur der Psychotherapie liegt, in der Ausbildung der Psychotherapeuten und in der Literatur, die diese lesen.

Ihr Buch spricht die M�glichkeit an, dass nicht nur die Analyse, sondern alle Formen der Psychotherapie problembehaftet sind, dass gerade die Annahme, man k�nne in der Therapie eine andere Person erkennen, voller Gefahren ist, kurzum: in die Irre f�hrt. Keine der Therapieformen ist frei von diesem Makel. Der Grundgedanke hinter jeder Form der klinischen Psychotherapie muss �berpr�ft werden. Und dies muss auf der Basis von Material gemacht werden, wie es D�rte von Drigalski bereitstellt. Ihr Buch ist eine gro�e Unterst�tzung f�r alle diejenigen, die sich zu fragen beginnen, ob sie wirklich �krank� sind und ob irgend jemand - au�er einem Freund - das Recht hat, ihnen �Hilfe� anzubieten. �Blumen auf Granit� ist einfach das beste Buch �ber den Schrecken der Psychoanalyse. Ein Insiderbericht, und D�rte von Drigalski scheut sich nicht, die Wahrheit auszusprechen.

 

Jeffrey M. Masson

 

Jeffrey Moussaieff Masson war Direktor des Sigmund-Freud-Archivs in Washington und Psychoanalytiker. Ist in keiner Weise psychotherapeutisch t�tig. Ver�ffentlichungen: �Was hat man dir, du armes Kind, getan? Sigmund Freuds Unterdr�ckung der Verf�hrungstheorie�, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1986; �A Dark Science: Women, Sexuality, and Psychiatry in the 19th Century�, New York: Farrar, Straus & Giroux 1986; Herausgeber von: Sigmund Freud, �Briefe an Wilhelm Fliess. 1887 – 1904�, Frankfurt am Main: S. Fischer 1986; �Die Abschaffung der Psychotherapie�, M�nchen: C. Bertelsmann 1991; �Final Analysis: The Making and Unmaking of a Psychoanalyst�, London: Harper/Collins u.v.m.