"Die Regierung wollte den Krieg"
Der Vorwurf wiegt schwer: Tyler Drumheller beschuldigt den US-Pr�sidenten, Geheimdienstinformationen massiv manipuliert zu haben. Im SPIEGEL-Gespr�ch erkl�rt der fr�here CIA-Chef f�r Europa, wie trickreich die Regierung von George W. Bush dabei vorging.
ZUR PERSON
Drumheller, 54, diente mehr als 25 Jahre in der CIA, von 2001 an als Europa- Chef. In seine Amtszeit fallen die spektakul�ren Verschleppungen von Qaida- Verd�chtigen wie dem Deutsch- Syrer Mohammed Haydar Zammar oder dem Deutsch- Libanesen Khaled el- Masri durch CIA- Geheimkommandos. Unter dem Titel "On the Brink" hat Drumheller, seit 2005 pensioniert, in den USA seine Memoiren publiziert.
SPIEGEL: Mr Drumheller, trauen Sie sich eigentlich noch nach Europa?
Drumheller: Ja, nat�rlich. Ich war schon immer ein guter Freund der Europ�er, ich bin in Wiesbaden aufgewachsen. Ich mag Deutschland sehr.
SPIEGEL: Wegen der Beteiligungen an Verschleppungen sind in Europa gegen Ex-Kollegen von Ihnen Haftbefehle erlassen worden. Sie machen sich keine Sorgen?
Drumheller: Nein, ich bin nicht beunruhigt.
SPIEGEL: Einer der F�lle ist mittlerweile weltweit bekannt: die Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri, der Ende 2003 in Mazedonien festgenommen und sp�ter nach Afghanistan ausgeflogen wurde. Wie konnte es passieren, dass Sie einen Unschuldigen entf�hrten?
Drumheller: Ich w�rde gern dar�ber reden, aber die CIA erlaubt es mir nicht. Wir unterzeichnen eine lebenslange Verschwiegenheitsverpflichtung.
SPIEGEL: Waren Sie denn an Verschleppungen von vermeintlichen Islamisten in Drittstaaten beteiligt?
Drumheller: Ich w�rde l�gen, wenn ich nein sagte. Ich halte solche Aktionen aber nur dann f�r sinnvoll, wenn sie korrekt ausgef�hrt werden. Typen, die in einer europ�ischen Metropole herumsitzen, Pfeife rauchen und Anschl�ge planen, lassen die Finger davon, wenn sie h�ren, dass ein Gleichgesinnter aufgegriffen und irgendwo hingeschickt wird, um dort f�r seine Verbrechen zu bezahlen.
SPIEGEL: Aber Sie m�ssen doch daf�r sorgen, dass es keine Unschuldigen trifft.
Drumheller: US-Vizepr�sident Dick Cheney hat von der "dunklen Seite" gesprochen, der wir freien Lauf lassen m�ssen. Mit diesen Worten hat er eine Politik artikuliert, die nach der Devise "Geht und holt sie euch" funktioniert. Die Geheimdienste und das Milit�r wurden damit von der Leine gelassen, mussten aber das Risiko f�r jede bedauerliche oder illegale Handlung selbst tragen.
SPIEGEL: Es gab keine klaren Richtlinien, was im sogenannten Krieg gegen den Terrorismus erlaubt war?
Drumheller: Jeder Verantwortliche in der CIA wei� doch: Je geheimer die Aktion, umso wichtiger die Notwendigkeit f�r eine klare Linie und ein eindeutig definiertes Ziel. Einmal musste ich Condoleezza Rice �ber eine �berstellung informieren. Ihre Hauptsorge war nicht, ob das richtig war, sondern was der Pr�sident dar�ber denken w�rde. Ich h�tte eine echte Debatte erwartet, eine Diskussion, ob wir den Plan durchf�hren sollten. Wir h�tten �ber die Bedeutung des Zielobjekts reden sollen und ob die Gefahr, die der Mann darstellte, eine wom�glich umstrittene Intervention rechtfertigen w�rde. Wenn das Wei�e Haus mit au�ergew�hnlichen Ma�nahmen gewinnen will, darf es sie nicht einfach ohne jede Debatte �ber Werte und Moral durchlaufen lassen.
SPIEGEL: Vielleicht wollte das Wei�e Haus die eigene Verantwortung vertuschen.
Drumheller: Grunds�tzlich gesagt: F�r das Wei�e Haus war es geschickt, die Linien dar�ber zu verwischen, was im Krieg gegen den Terrorismus erlaubt ist. Wann immer es jemand in einer dunklen Verh�rzelle �bertrieb, konnten Bush und seine Entourage anderen daf�r die Schuld geben. Die �berstellungsteams setzen sich aus Paramilit�rs zusammen, mutigen und schillernden Typen. Wir reden von M�nnern, die nach Bagdad einsickerten, bevor die Bomben fielen. Wenn die beruflich keine paramilit�rischen Eins�tze durchf�hrten, w�rden sie wahrscheinlich Banken �berfallen. Vielleicht hat die Bush-Administration ganz bewusst eine Grauzone bei diesen �berstellungen geschaffen.
SPIEGEL: Sowohl das EU-Parlament als auch der Bundestag untersuchen, wie die Zusammenarbeit der europ�ischen Regierungen mit der CIA nach dem 11. September ausgesehen hat. Wie eng ist die Beziehung?
Drumheller: Wenn es um Terrorismus ging, sehr eng. Wir haben einige sehr gute Dinge mit den Europ�ern gemacht. Zwei Wochen nach dem 11. September kam BND-Chef August Hanning mit einer Delegation nach Washington, um �ber eine verbesserte Kooperation zu diskutieren. Manche in der Bush-Administration fanden, Europa reagiere zu langsam und dass die Datenschutzgesetze daran schuld seien. Es kann sehr frustrierend sein, mit uns zusammenzuarbeiten. Ich habe gesagt: H�rt auf zu n�rgeln, die Europ�er haben seit Jahren mit Terrorismus zu tun. Wir k�nnen von ihren Erfolgen und Fehlern lernen.
SPIEGEL: Wie wichtig ist Europa f�r die CIA?
Drumheller: Wenn wir uns wirklich sch�tzen wollen, m�ssen wir die Bedrohung in Europa in den Griff bekommen. Es ist der Kontinent, auf dem islamistische Fanatiker am besten die entscheidende Lektion lernen k�nnen: Wie tauche ich in einer westlichen Gesellschaft unter? Europa ist die vorderste Verteidigungslinie der USA. Es hat sich zum Trainingsplatz f�r Terroristen entwickelt, besonders weil sich im Irak eine Untergrundbewegung formiert hat, die K�mpfer ins Land schleust. Junge Fanatiker aus Europa werden in den Irak geschmuggelt, um gegen Amerikaner zu k�mpfen. Wenn sie �berleben, kommen sie wieder zur�ck. Und dann sind sie noch viel gef�hrlicher als vorher. Weil die Chancen, die F�hrungsebene von al-Qaida zu infiltrieren, ungeheuer gering sind, m�ssen wir die Fu�soldaten verfolgen.
SPIEGEL: Angesichts der Emp�rung in Europa ist eine umfassende Kooperation mit der CIA nicht gerade wahrscheinlicher geworden.
Drumheller: Die Typen, die das World Trade Center angegriffen haben, sind doch nicht aus Kabul nach New York geflogen. Sie kamen aus Hamburg. Wir m�ssen uns mit den europ�ischen Diensten vertragen, damit sie uns alles erz�hlen, was sie wissen.
SPIEGEL: Es war doch Ihre CIA, die mit all den Falschinformationen �ber Saddams angebliche Massenvernichtungswaffen aufwartete. Wie verantwortlich sind die Geheimdienste f�r das Desaster?
Drumheller: Die Agency ist nicht ohne Schuld, und kein Pr�sident in meiner Dienstzeit hat eine reine Weste, wenn es um die CIA geht. Aber ich habe nie zuvor eine solche Manipulation von Geheimdienstinformationen gesehen wie seit dem Amtsantritt von George W. Bush. Als Europa-Chef konnte ich aus erster Hand den beispiellosen Drang nach Erkenntnissen beobachten, die den Irak-Krieg rechtfertigen sollten.
SPIEGEL: Zur Rechtfertigung bediente sich die Bush-Regierung auch der Information einer BND-Quelle mit dem Decknamen "Curveball". Es ging um angebliche mobile Biowaffenlabors. Eine offizielle Untersuchung in Amerika gelangte zu dem Schluss, das sei die schlimmste unter all den falschen Behauptungen gewesen.
Drumheller: Das war ein Kernst�ck. "Curveball" war ein Iraker, er behauptete, Ingenieur zu sein und an dem Biowaffenprogramm gearbeitet zu haben. Als er Asyl in Deutschland beantragte, befragte ihn der BND und schickte viele Berichte �ber den US-Milit�rgeheimdienst Defense Intelligence Agency an uns. "Curveball" war ein cleverer Typ, der pausenlos �ber seine Geschichte redete und alle ziemlich lange �berzeugte.
SPIEGEL: In Washington gibt es nicht wenige, die den Deutschen deshalb vorwerfen, einen gro�en Teil der Schuld an dem Geheimdienst-Debakel zu tragen.
Drumheller: Die Deutschen haben nie versucht, jemanden zu beeinflussen. Hochrangige BND-Leute haben ihre Zweifel deutlich gemacht und auf die Probleme mit dem Kerl hingewiesen. Sie waren sehr professionell. Es gab auch Bedenken innerhalb der Auswertung der CIA, aber sie wurden nicht ber�cksichtigt. Die Regierung wollte den Krieg rechtfertigen, sie brauchte eine handfeste Geschichte, sie brauchte das deutsche Material. Die Bush-Administration konnte nicht nur mit der Begr�ndung einmarschieren, den Nahen Osten ver�ndern zu wollen. Sie brauchte eine Bedrohung, auf die sie reagieren konnte.
SPIEGEL: Die Bundesregierung war �berzeugt, dass die Aussagen von "Curveball" nicht in der Pr�sentation des damaligen US-Au�enministers Colin Powell im Februar 2003 vor dem Uno-Sicherheitsrat verwendet werden w�rden.
Drumheller: Ich hatte meinen deutschen Freunden versichert, dass es nicht in der Rede auftauchen w�rde. Ich dachte wirklich, dass ich die Geschichte beerdigt h�tte. John McLaughlin, der stellvertretende CIA-Chef, war von mir gewarnt worden - alles k�nnte erfunden sein. In der Nacht vor der Rede rief mich der CIA-Direktor George Tenet zu Hause an. Ich sagte: "Hey, Chef, sei vorsichtig mit dem deutschen Bericht, das sollte aus der Rede rausgenommen werden, es gibt damit eine Menge Probleme." Er sagte: "Ja, ja, mach dir keine Sorgen ..."
SPIEGEL: ... und dann war es das Herzst�ck von Powells Pr�sentation - und niemand hatte ihm ein Wort �ber die Bedenken gesagt.
Drumheller: Ich schaltete meinen Fernseher im B�ro an, und da war es. Mein erster Gedanke war, wir haben Powell die falsche Rede gegeben. Schlie�lich habe ich mein ganzes Leben f�r die Regierung gearbeitet. Wir �berpr�ften die Akten und stellten fest, dass sie unsere Einw�nde einfach ignoriert hatten.
SPIEGEL: Das Wei�e Haus hat alle Bedenken, dass die Geschichte falsch sein k�nnte, ignoriert?
Drumheller: Die politischen Entscheidungen waren getroffen. Der Krieg sollte kommen, sie suchten die dazu passenden Geheimdiensterkenntnisse. Kurz vor dem Krieg sagte ich zu einem hochrangigen CIA-Mann: "Ihr m�sst noch irgendetwas anderes haben." Man denkt ja doch, da muss es was Geheimes geben, das ich nicht kenne. Er antwortete: "Nein, aber wenn wir erst in Bagdad sind, finden wir Lagerh�user voller Zeug. Kein Mensch wird sich dann an all das hier erinnern."
SPIEGEL: Nach dem Krieg durfte die CIA schlie�lich "Curveball" direkt befragen - was der BND bis dahin nicht erlaubt hatte. Was kam dabei heraus?
Drumheller: Im M�rz 2004 flog einer meiner besten Leute, ein Offizier, der flie�end Deutsch spricht und eine wissenschaftliche Ausbildung hat, nach Deutschland. Er blieb zwei Wochen. Am Ende lehnte sich "Curveball" zur�ck und sagte: "Ich habe nichts mehr zu sagen." Aber er hat nie gestanden. Hier fragen die Leute immer, ob wir einen L�gendetektortest gemacht haben. Aber das ist in Deutschland nun mal nicht �blich.
SPIEGEL: Glauben Sie, es h�tte einen Unterschied gemacht, wenn der BND Ihnen eher erlaubt h�tte, "Curveball" zu befragen?
Drumheller: Wenn wir ihn so h�tten vernehmen k�nnen wie im M�rz 2004, dann ja. Vielleicht w�re die Geschichte dann anders ausgegangen.
SPIEGEL: In Ihrem Buch erw�hnen Sie eine hochrangige Quelle, die der CIA schon vor dem Krieg berichtete, dass der Irak gar kein aktives Programm f�r Massenvernichtungswaffen besitze. Es soll sich um Saddam Husseins Au�enminister Nadschi Sabri gehandelt haben.
Drumheller: Ich darf nicht sagen, wer das war. Anfangs war die Regierung richtig begeistert, dass wir Zugang auf einer so hohen Ebene hatten. Sogar der Pr�sident wurde informiert. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sonst eine Quelle im Kabinett hatte. Sie erz�hlte uns, dass der Irak gar keine Biowaffen besa�, sondern nur ein Forschungsprogramm. Alles andere sei nach dem ersten Golfkrieg zerst�rt worden. Nach einer Weile bekamen wir keine Fragen mehr, und zum Schluss sagte die Bush-Administration, sie sei nicht daran interessiert, was die Quelle zu sagen h�tte. Sie wollten, dass der Mann �berl�uft. Am Ende bekamen wir von Tenet noch einmal die Erlaubnis, die Quelle zu befragen. Er sagte, wahrscheinlich ohne das Wei�e Haus zu fragen: "Okay, macht weiter und seht zu, was ihr hinbekommt."
SPIEGEL: Was passierte?
Drumheller: Die Story ist wirklich voller Ironie. Wir folgten unserem Mann rund um die Welt, am Ende sa� er in einem Land und unser CIA-Offizier in einem anderen. Der bat um Reisegenehmigung. Ich rief die f�r die Kontrolle von Operationen zust�ndige Abteilung an. Die sagten: "Mach dir keine Gedanken, es ist zu sp�t, der Krieg beginnt. Das n�chste Mal seht ihr euren Mann vor dem Kriegsverbrechertribunal."
SPIEGEL: H�tten Sie beharrlicher sein m�ssen?
Drumheller: Wir haben Fehler gemacht. Es passt dem Wei�en Haus, wenn Leute die Schwarzwei�version akzeptieren: dass der Krieg h�tte verhindert werden k�nnen, wenn die CIA nur ein zutreffendes Bild von Saddams Waffenarsenal gezeichnet h�tte. Aber die Wahrheit ist, dass das Wei�e Haus glaubte, was es glauben wollte. Ich war ein Gesch�pf der CIA, ich habe in meinem Leben wenig anderes gemacht, als zur Schule zu gehen und f�r die Agency zu arbeiten. Rational glaube ich, dass ich getan habe, was ich konnte. Gef�hlsm��ig denkt man immer, man h�tte mehr tun k�nnen.
SPIEGEL: Mr Drumheller, wir danken Ihnen f�r dieses Gespr�ch.