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Zum Thema siehe auch  => Das heillose Geschäft mit dem Heilsversprechen



Interview mit Colin Goldner zur esoterischen Heilpraxis

Wolfram Pfreundschuh (Radio Lora) sprach mit Colin Goldner, einem klinischen Psychologen, der auch als Esoterikexperte bekannt ist und für das Forum Kritische Psychologie, angeschlossen an die "Aktion für Geistige und Psychische Freiheit - Bundesverband Sekten- und Psychomarktberatung e.V., arbeitet:

Radio Lora: Herr Goldner, Sie befassen sich als kritischer Psychologe schon seit über zwei Jahrzehnten mit der Kritik okkulter oder esoterischer Therapien. Zur Zeit sind Sie wieder im Gespräch und werden auch im Fernsehen diskutiert. Schon im Jahr 2007 waren Sie bei solchen Diskussionen dabei, u.a. im Nachtcafè bei Wieland Backes und gerade unlängst bei Sandra Maischberger. Was ist Ihnen da so alles durch den Kopf gegangen, als sie um Sie saßen, die Wiedergeborenen oder Engel oder Hellseherinnen oder Wahrsager oder Wunderheiler oder sonstige Esoteriker?

Goldner: Ich bin da ja einiges gewohnt, nicht zuletzt durch langjährige Tätigkeit in einer psychiatrischen Klinik. Bei Figuren wie etwa der Hellseherin in der Maischbergersendung unlängst, die behauptet, mit dem Geist des verstorbenen Uwe Barschel in Kontakt treten zu können, frage ich mich immer: glauben die das wirklich selber, was sie da behaupten oder wissen sie ganz genau, dass sie nichts dergleichen können bzw. dass es das alles gar nicht gibt, sie behaupten's aber trotzdem, weil sich gut Geschäft damit machen lässt. Die Frage also, ob es sich eher um einen Fall für die Psychiatrie handelt oder eher für den Staatsanwalt. Meiner Beobachtung zufolge überwiegt unter den Wahrsagern und Wunderheilern mehrheitlich die kriminelle Energie, gleichwohl es da natürlich auch große Schnittmengen mit teils massiver psychischer Störung gibt. Man vermarktet gewissermaßen die eigenen Wahnvorstellungen, und das nicht ohne Erfolg.

Radio Lora: Auch innerhalb der Heilpraktiker-Szene gibt es diesbezüglich Fronten zwischen den mehr handwerklich ausgerichteten und den eher esoterisch ausgerichteten Heilberufler. Sie spielen in dieser Auseinandersetzung eine gewichtige Rolle als Grenzmarke zwischen beiden. Was meint darauf bezogen esoterisch? Ist das immer auch okkultisch oder was ist der Unterschied hierzu? Was ist Esoterik?

Goldner: Der Begriff Esoterik bezeichnet ursprünglich mystisches oder okkultes Geheimwissen, wie es in den Religionssystemen sämtlicher Kulturkreise zu finden ist. Nur besonders Eingeweihte - Priester, Schamanen, Druiden usw - haben Zugang zu diesem innersten Kern der jeweiligen Lehre, aus dem sie auch ihre Macht herleiten..

Heute gilt der Begriff Esoterik - in sozusagen säkularisierter Form - als Bezeichnung für ein weites Spektrum an Heils- und Weltanschauungslehren, deren Gemeinsames in ihrer Abkehr von Wissenschaftlichkeit, Plausibilität und Vernunft liegt; oder andersherum formuliert: die auf alles abstellen, was nur irgendwie spiritistisch, mystisch, okkult oder schlicht antirational daherkommt.

Das Gros der Heilpraktiker hierzulande arbeitet insofern esoterisch, sprich: mit Praktiken, die jenseits von Wissenschaftlichkeit und Plausibilität angesiedelt sind, sprich: deren Theorie keinerlei nachvollziehbaren Sinn macht und die auch in der Praxis über keinerlei tragfähigen Wirkbeleg verfügen, außer über den allemal möglichen Placeboeffekt.

Heilpraktiker rekrutieren ihr Klientel in der Regel unter Menschen, die in der ein oder anderen Form Alternativen zur wissenschaftlichen Medizin suchen, die ihnen als unpersönlich, apparatebezogen, chemielastig usw. erscheint. Heilpraktiker dagegen versprechen persönliche Zuwendung, ein "ganzheitliches" statt symptomorientiertes Herangehen, sowie "sanfte", "natürliche" und in jedem Falle "chemie-" und damit vermeintlich "nebenwirkungsfreie" Heilmittel. Aus Apothenkenrundschauen, Hausfrauenpostillen und Lifestylemagazinen sind ihnen dutzende von Verfahren geläufig, die sie für besonders natürlich halten: Alternativheilkunde und Naturheilkunde werden insofern häufig ineinsgesetzt.

Tatsächlich haben die so genannten Alternativheilverfahren mit Naturheilkunde überhaupt nichts zu tun. Zu den wirklichen Naturheilverfahren - allesamt Teil der Schulmedizin - zählen Luft- und Lichttherapie, Wasseranwendungen, Entspannungs- und Bewegungsübungen, bewußte Ernährung und allgemein "gesündere Lebensführung"; pharmakologisch auch der Einsatz wirkbelegter Pflanzenpräparate.

Im Gegensatz zu diesen bewährten Naturheilverfahren können die Alternativheilverfahren keinerlei tragfähigen Wirkbeleg vorweisen, ein Umstand, der mit Hilfe suggestiver Begleitbegriffe wie "unkonventionell", "komplementär" oder eben auch "ganzheitlich" vertuscht wird. Wären die Alternativheilverfahren wirkbelegt, wären sie längst Teil der Schulmedizin.

Heilpraktiker, die sich als eher "handwerklich" tätig verstehen, führen besagte Naturheilverfahren im Sortiment - Luft- und Lichttherapie, Entspannungs- und Bewegungsübungen oder auch den Einsatz wirkbelegter Kräutermedizin - Verfahren also, die es beim naturheilkundlich ordinierenden Schulmediziner auch gibt, und zwar qualifizierter und über die Kasse abrechenbar - wenngleich nicht mit der womöglich gewünschten persönlichen Zuwendung)

Bei vielen Heilpraktikern finden sich Schnittmengen pseudotherapeutischer Alternativheilverfahren und wirkbelegter Naturheilverfahren. Mir persönlich ist kein handwerklich tätiger Heilpraktiker bekannt, der nicht auch esoterische Praktiken im Angebot führt. Kaum ein Heilpraktiker, um ein Beispiel zu nennen, bei dem es nicht das Flaggschiff aller Pseudoheilverfahren gäbe: die Homöopathie.

Radio Lora: Zur Zeit hört man Sie auch auf Radio Lora in München und Umgebung. Können Sie mal sagen, worüber Sie da sprechen - vielleicht auch mit ein paar Stichworten dazu?

Goldner: Es geht um eine Aufklärungsreihe, die sich mit den weitestverbreiteten Verfahren der sogenannten Alternativheilkunde befasst: von Akupunktur, Bach-Blütentherapie und Craniosakraler Arbeit über besagte Homöopathie, Neuraltherapie und Schüßler-Salze hin zu Spagyrik, Urin- oder Zytoplasmatischer Zelltherapie. Jeden Mittwoch wird eines dieser Pseudoheilverfahren vorgestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dass sich da ein paar Heilpraktiker aufregen, ist verständlich aber unerheblich: mir geht es um die Aufklärung rat- und hilfesuchender Menschen, die wissen sollen, worauf sie sich bei der Konsultation eines sogenannten Alternativheilers oder Heilpraktikers einlassen - auf welch zum Teil hanebüchenen Unfug wie Aura-Healing, Bioresonanztherapie oder Clustermedizin. Die wenigsten Menschen, die sich derlei Pseudoheilpraktiken aufschwatzen lassen, wissen, was genau es damit auf sich hat. Die wenigsten wissen auch um die fachlich indiskutable Qualifikation von Heilpraktikern, die nicht die geringste medizinische Ausbildung durchlaufen müssen, um sich an kranken Menschen zu schaffen machen zu dürfen. Mir geht es um bestmöglich Aufklärung im Gesundheitswesen - übrigens auch im Bereich der wissenschaftlichen Medizin -, das Geschäft der Heilpraktiker interessiert mich dabei wenig. Wenn die sich aufregen, ist das Bestätigung meiner Arbeit.

Radio Lora: Ist die esoterische Heilbehandlung nicht auch nützlich, z.B. zur Stressreduktion durch Massagen und Entspannungsübungen? Mindert nicht auch sie Leiden? Was ist daran eigentlich bedenkenswert? Was unterscheidet z.B. eine physiotherapeutische Hilfeleistung von der eines esoterisch ausgerichteten Heilpraktikers? Selbst innerhalb der Anwendungen wie z.B. der Kinesiologie gibt es ja physiologische und esoterische Ansätze. Kann man sie voneinander unterscheiden und als unterschiedliche Angebote erkennen?

Goldner: Es spricht überhaupt nichts dagegen, bei kleineren Beschwerden und Mißbefindlichkeiten, auch zur Vor- und Nachsorge - und selbstredend zur Stressreduktion und Entspannung - die wirkbelegten und erprobten Verfahren der Naturheilkunde einzusetzen. Abzuraten ist indes von sämtlichen Verfahren und Praktiken der sogenannten Alternativheilkunde, die, wie gesagt, mit Naturheilverfahren überhaupt nichts zu tun haben. Die physiotherapeutische Hilfeleistung an sich - das heißt: die Technik an sich - unterscheidet sich natürlich nicht, ob sie nun von einem Esoteriker oder Nicht-Esoteriker ausgeübt wird. Der Kontext, in dem das Ganze abläuft, dagegen schon, wenn etwa ein Therapeut auf irgendwelche "Energien" abstellt, die in irgendwelchen Kanälen oder Meridianen fließen sollen, die es aber tatsächlich gar nicht gibt. Im Übrigen sind Heilpraktiker nicht befugt zur Ausübung von Physiotherapie, das ist nur medizinisch qualifiziertem Personal mit dreijähriger Vollzeitausbildung erlaubt, zu denen die Heilpraktiker bekanntlich nicht zählen.

Radio Lora: Die wichtigsten Methoden der esoterischen Heilpraxis, besonders die verschiedenen Techniken der Kinesiologie, gelten im naturwissenschaftlichen Verständnis als unwissenschaftlich und teilweise auch von der Aussage her als falsch und widerlegt. Die esoterische Alternativmedizin besteht aber darauf, dass rein naturwissenschaftliches Verstehen zu einseitig sei, bzw. für eine ausgewogene Gesundung nicht hineiche, und nimmt aus der chinesischen Medizin Inhalte der Meridian- und Elementenlehre hinzu, die allgemeinere Bezüge zu einer Lebensenergie - z.B. das daoistische Qi - hinzunehmen, wie sie z.B. auch bei der Akupunktur grundlegend sind. Ist es nicht richtig im Sinne eines ganzheitlichen medizinischen Verständnisses auch solche Organ übergreifende Beziehungen hinzuzunehmen, wie das teilweise ja auch schon durch die Einbeziehung chinesischer Techniken in die Humanmedizin und sogar in die Tiermedizin gemacht wurde?

Goldner: Wenn's denn so wäre, dass die Bezugnahme auf irgendwelche anderen Heilersysteme irgendeinen Vorteil brächten, wäre ja nichts dagegen einzuwenden. Nur ist das halt nicht der Fall: wer von Energieflüssen spricht, von daoistischem Qi oder Ch'i, und das nicht nur metaphorisch meint, sondern diagnostische Schlüsse aus dem Verlauf dieser Energie zieht und direkten Einfluß darauf nehmen will, muß zumindest nachweisen können, dass es sie überhaupt gibt. Und da sieht es eben sehr düster aus: bislang gibt es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die von der Traditionellen Chinesischen Medizin postulierten Energien und Energiebahnen, in die man dann Akupunkturnadeln stecken kann, tatsächlich existieren. Ein Verfahren muß nicht in allen Details erklärbar sein, aber es muß einen belegten spezifischen Effekt haben, und man muß über die Nebenwirkungen Bescheid wissen, um Nutzen und Risiken abwägen zu können. Einfache Behauptungen oder Anektdoten oder der simple Verweis auf eine angeblich lange zurückreichende Tradition wie bei der Chinesischen Medizin oder bei Ayurveda reichen nicht aus. Ein Heilverfahren oder ein Heilpräparat muß zumindest mit Blick auf Wirkung und Nebenwirkung wissenschaftlichen Kriterien genügen, so wie das bei jedem Aspirin zu verlangen ist.

Im Übrigen sagt der Umstand, dass einige der Alternativheilverfahren, wie etwa die Akupunktur, mittlerweile auch Eingang in die Schulmedizin oder die Veterinärmedizin gefunden haben, gar nichts. Alle ernstzunehmenden Wirksamkeitsstudien besagen, dass gezieltes Setzen der Nadeln auf vermeintliche Energiemeridiane und beliebiges Setzen der Nadeln an irgendwelchen anderen, also "falschen" Stellen des Körpers absolut gleichwertige Resultate zeitigen. Dass das Ganze überhaupt irgendeinen Effekt hat, dürfte darin begründet sein, dass durch die Nadelung stimmungsaufhellende Serotonine und schmerzlindernde Opioide freigesetzt werden. Auf keinem Fall jedoch hat diese gänzlich unspezifische Wirkung mit irgendwelchen Meridianen oder Akupunkten zu tun.

Radio Lora: Der Boom esoterischer Heilpraxis liegt wohl erst mal an der Zunahme negativer Einwirkungen auf die Menschen, Zunahme von Stress, psychischer Belastung im zwischenmenschlichen Bereich und Lebensängste? Was suchen die Leute aber konkret, die Geld dafür hinlegen, dass sie solche Behandlung bekommen, was macht das besondere des Angebots esoterischer Verfahren gegenüber anderen wie z.B. Physiotherapie, Eutonie oder dergleichen aus?

Goldner: Der große Zuspruch, den die Alternativheilkunde erfährt, begründet sich darin, daß ihre Anbieter sich dem jeweiligen Patienten und seinen Problemen meist sehr viel intensiver zuwenden als Schulmediziner dies tun. Es ist ein erhebliches Manko des schulmedizinischen Versorgungssystems, daß viel zu wenig Zeit aufgewandt wird, dem Patienten wirklich zuzuhören und persönlich auf ihn einzugehen. Ebendeshalb wenden sich rat- und hilfesuchende Menschen gerne an Heilpraktiker und Homöopathen, bei denen sie sich alleine schon des anamnestischen Zeitaufwandes wegen sehr viel ernster genommen fühlen als in der regulären Arztpraxis oder Klinik. Die Alternativheilverfahren selbst erscheinen attraktiv, da sie - auch wenn dies nicht zutrifft - als "natürlich wirksam" und damit "nebenwirkungsfrei" angepriesen werden.

Die ausdrücklich auf magisch-okkulte Wirkkräfte abstellenden Verfahren versprechen eine schnelle Problemlösung ohne große Eigenbeteiligung, was natürlich hochattraktiv ist. Das Ausschalten jeder Vernunft ist dabei der notwendige Preis. Im übrigen beruht die tatsächliche Zufriedenheit vieler Kunden, etwa bei Homöopathie, wesentlich darauf, daß eine große Zahl an Gesundheitsstörungen ganz ohne jede Behandlung von selbst wieder verschwindet. Patienten mit solchen Problemen suchen häufig "alternative" Heiler auf, die dann, ebenso wie sie selbst, natürliche oder spontane Heilungsverläufe bzw. zyklische Besserungen als Ergebnis der jeweiligen "Behandlung" interpretieren. Auch Realitätsverzerrungen spielen eine Rolle: selbst wenn keine objektive Verbesserung nachweisbar ist, können Anhänger alternativer Heilverfahren überzeugt sein davon, daß ihnen geholfen wurde, allein weil sie sich besser fühlen, auch wenn sich tatsächlich nichts getan hat.. Es kann dieses "Gefühl" der Besserung in sich durchaus ein bedeutender Genesungsfaktor sein, der allerdings nichts mit dem eingesetzten Verfahren zu tun hat. Keine Besserung zu erhalten, nachdem man Zeit, Geld und guten Glauben in eine alternative Behandlung investiert hat, führt oft auch dazu, solchen Erfolg herbeizukonstruieren, alleine um das Eingeständnis zu vermeiden - vor sich selbst und anderen -, dass man einem Quacksalberverfahren aufgesessen ist. Vielfach werden die untauglichsten Verfahren mit nachgerade fanatischem Glaubenseifer verteidigt, auch mit großer Aggressivität.

Radio Lora: Gibt es eindeutig fassbare Schäden oder Nachteile, die durch esoterische Behandlung entstehen können?

Goldner: Ja, vor allem die vielkolportierte Behauptung, Alternativheilverfahren seien nebenwirkungsfrei, kann nur für die Verfahren gelten, die, wie etwa Bachblüten- oder Edelsteintherapie überhaupt keine Wirkung haben. Einige der Alternativheilpraktiken können durchaus auch Schaden anrichten. Beispielsweise kann es bei niedrigverdünnten Homöopathika, in denen noch Wirkstoffanteile enthalten sind, durchaus zu Problemen kommen. Auch die Akupunktur birgt ungeahnte Risiken, und auch andere Verfahren wie etwa die vermeintlich harmlose Aromatherapie sind nicht risikofrei: bestimmte Öle können zu allergischen Reaktionen führen, bei exzessivem Gebrauch gar zu schleichender Leber- und Nierenschädigung. Im übrigen besteht das Hauptrisiko der alternativen Heilverfahren darin, dass der rechte Zeitpunkt zum Einsatz einer verfüglichen und sinnvollen Therapie womöglich verzögert oder verhindert wird - weil der Heilpraktiker nicht über ausreichende diagnostische Fähigkeiten verfügt bzw. weil sein eingesetztes Verfahren nichts taugt -, wodurch das jeweilige Problem sich massiv verschärfen kann.

Radio Lora: Eine Ausbildung zum Heilpraktiker gibt es eigentlich nicht. Esoterische Heilpraktiker erwerben ihre Berufserlaubnis als Heilberuf wie alle Heilpraktiker durch eine Überprüfung ihres Leumunds und eines medizinischen oder psychologischen Grundwissens durch das Gesundheitsamt. Es gibt aber viele Schulen und Fernstudien, die Kurse anbieten, in denen das Wissen erworben wird, das zur Überprüfung beim Gesundheitsamt verlangt ist. Der Stoff wird durch Abend- oder Wochenendausbildung oder per Hörbuch auf DVD übermittelt, so z.B. die Paracelsus-Schulen. Diese Schulen machen gerade über diesen Berufszweig hohe Profite und machen daher auch auf hohe Einkommensmöglichkeiten aufmerksam. Auch Ausstattungsfirmen wie z.B. "Bioresonanz 3000" mischen da mit. Welche Befähigung ist zum Betrieb solcher Schulen oder Fernstudieneinrichtungen nötig? Wer hat die Zusammenstellung des erforderlichen Wissens festgelegt? Wer prüft die Adäquanz ihres Leerstoffs zum erforderlichen Wissen?

Goldner: Angehende Heilpraktiker müssen bei ihrer Überprüfung durch die Gesundheitsbehörde keinerlei heilkundliche Ausbildung nachweisen. Die Überprüfung sieht laut Heilpraktikergesetz von 1939 - ein altes Nazi-Gesetz, das In leicht modifizierter Form immer noch Gültigkeit hat - lediglich die Festellung vor, ob die antragstellende Person eine "Gefahr für die Volksgesundheit" bedeuten könne, ob also der angehende Heilpraktiker weiß, was er als solcher nicht darf: Ausübung von Gynäkologie und Zahnheilkunde, Behandlung von Infektionskrankheiten u.a. Eine inhaltliche Überprüfung findet, wenngleich der Fragenkatalog sich aufgrund verschiedener Durchführungsverordnungen in den zurückliegenden Jahren etwas verschärft hat, nur in sehr oberflächlicher Weise statt. Es wird eine Liste an Fragen zu Berufs- und Gesetzeskunde sowie zu medizinischen "Grundkenntnissen" abgehakt - überwiegend im multiple-choice-Verfahren. Eine praktische Prüfung gibt es nicht. Voraussetzungen zur Teilnahme gibt es auch keine: es reicht, über 25 Jahre alt und Hauptschulabsolvent zu sein. Nochmal: Heilkundliche Ausbildung wird nicht vorausgesetzt. Die "Überprüfung" als Verwaltungsakt kann im Falle des Nichtbestehens endlos wiederholt werden, so daß irgendwann selbst der Ahnungsloseste durchkommt. Im Bestehensfalle ist der Heilpraktiker berechtigt, sich mit nahezu jeder Methodik in nahezu jedem medizinischen Bereich zu schaffen zu machen: ein Skandal, den sich nur das bundesdeutsche Gesundheitswesen leistet, es gibt so was in keinem anderen Land der EU, in Österreich ist die Ausübung der Heilkunde ohne ärztliche Approbation sogar unter Strafe gestellt.

Die Heilpraktikerschulen selbst - es gibt hunderte davon - sind reine Privatunternehmen, die völlig willkürlich und nach Gutdünken der jeweiligen Betreiber strukturiert sind; die Rahmenbedingungen unterliegen ebensowenig einer öffentlichen Kontrolle wie die Qualifikation der Dozenten oder die jeweiligen Lehrinhalte. Sie unterstehen nicht den Kultusbehörden. Konsequenterweise kann man sich an vielen dieser Schulen nicht nur zum Heilpraktiker sondern gleichzeitig auch zum "Astrologen", zum "Engelmedium" oder zum "Reinkarnationstherapeuten" ausbilden lassen.

Aber, wie gesagt, es ist noch nicht einmal das Durchlaufen der windigsten Heilpraktikerschule vonnöten, noch nicht einmal das Absolvieren eines Fernlehrganges mit ein paar photokopierten Blättern, um zur amtsärztlichen Überprüfung zugelassen zu werden, die zu bestehen nicht viel mehr erforderlich ist als durchschnittliches Kreuzworträtselwissen. Heilpraktiker dürfen anschließend, mit den erwähnten Einschränkungen, praktisch das gleiche machen wie ein Arzt, sie dürfen ohne die geringste ernstzunehmende Ausbildung und mit untauglichsten Verfahren an der Gesundheit anderer Menschen herumdilettieren.

Radio Lora: Wie Sie schreiben, gibt es kaum einen Beruf, der so einfach und unkontrolliert auszuüben ist, obwohl er sich mit schweren seelischen und körperlichen Krankheiten oder Konflikten befasst. Jeder normale Lehrberuf wie z.B. Automechaniker verlangt einen weit größeren Aufwand, um ihn ausüben zu dürfen. So geraten schon hierdurch viele Menschen in diese Sparte, welche die Methoden der Heilbehandlung rein objektivistisch übernehmen, ohne dass eine tiefergehende Auseinandersetzung damit vorausgesetzt wird. Gibt es dann wenigstens während ihrer Berufstätigkeit irgendeine Kontrolle hierzu? Gibt es für die Patienten eine Möglichkeit, sich bei Schädigungen oder Verfahrensfehler an Institutionen oder Verbände zu wenden, wo sie dies anzeigen können?

Goldner: Vermutlich fiele es keinem Menschen ein, sich in die Hände eines alternativen Zahnheilkundlers zu begeben, der seine Fachkompetenz auf ähnlichem Wege wie ein Heilpraktiker erworben hätte: über Fernkurse, Wochenendseminare, Heilpraktikerkurse oder einfach per Selbstakklamation. Man ließe vermutlich nicht einmal sein Auto reparieren von einem Mechaniker, der ähnlich wenig Ahnung hat von Autos wie die meisten Praktiker auf dem Alternativheilermarkt. Niemand würde sich die Toilettenspülung reparieren lassen von jemandem, der gerade einmal einen Fernkurs per Post absolviert hat. Ganz abgesehen davon, dass das Reparieren von Autos oder Toilettenspülungen nur dem erlaubt ist, der eine abgeschlossene dreijährige Lehre nachweisen kann. Heilpraktiker haben nichts dergleichen, die amtsärztliche Zulassung ist per se kein Hinweis auf irgendeine fachliche Befähigung.

Für Heilpraktiker gibt es auch keine Kammer mit obligater Zugehörigkeit, Fehlverhalten - diagnostische Fehler, klinische Fehler, ethische Fehler - können grundsätzlich nicht kammergeahndet werden. Patientenschutz gibt es insofern nicht. Unabhängige Beratungs- oder Hilfseinrichtungen, an die sich Hereingelegte, Übervorteilte oder sonstig Geschädigte wenden können, existieren nur in Form privater Initiativen. Heilpraktiker praktizieren in einem rechtlichen Grauraum, in dem sie selbst bei gravierendster Fehlbehandlung juristisch kaum zu greifen sind.

Radio Lora: Man hört viel über schnelle Heilung, wenig über Folgeprobleme. Gibt es eine objektive Prüfbarkeit der wirklichen Heilerfolge oder auch der Schädigungen durch solche Heilpraxis?

Goldner: Keines, ich wiederhole: keines der sogenannten Alternativheilverfahren verfügt über einen Wirkbeleg, ansonsten wäre es kein Alternativverfahren mehr, sondern Teil der wissenschaftlichen Medizin. Trotzdem sind Alternativheilverfahren wie etwa die Homöopathie oder die Anthroposophische Medizin sogar im Sozialgesetzbuch angeführt und werden, teilweise zumindest, von den Kassen bezahlt. Tatsache ist, dass homöopathische und anthroposophische Heilmittel einer gesetzlichen Ausnahmeregelung unterliegen: die Wirkung der jeweiligen Präparate muß nicht anhand der wissenschaftlichen Kriterien nachgewiesen werden, die Maßstab der Zulassung jedes anderen Medikaments sind. Eine klinisch-kontrollierte Arzneimittelprüfung außerhalb des jeweiligen Binnenkontexts findet nicht statt. Homöopathen prüfen Homöopathika, Anthroposophen prüfen Anthroposophika. Die Mehrzahl an Verfahren wurde allerdings überhaupt noch nie ernsthaft überprüft.

Im Übrigen ist die Alternativheilerszene selbst durchsetzt von Figuren, die, selbst dem Laien erkennbar, persönliche Störungen dadurch zu kompensieren suchen, dass sie sich zu "Heilern" und "Lebenslehrern"aufspielen. Neben teils hochgradig Gestörten treiben auch zynische Geschäftemacher ihr Unwesen, die die Problemlage ihrer Kundschaft - auch deren Gutgläubigkeit, Unaufgeklärtheit und damit Wehrlosigkeit - gnadenlos ausbeuten. Viele Klienten alternativheilerischer Praktiken erhalten nicht nur nicht die erwünschte Hilfe, sondern werden finanziell massiv übervorteilt; ganz abgesehen davon, dass sich die Probleme, deretwegen sie sich um Hilfe bemüht hatten, allein durch die zeitliche Verzögerung bis zum Einsatz ernstzunehmender Hilfestellung erheblich verschärfen können. Auch die eingesetzten Verfahren selbst können, wie bereits erwähnt, fatale Folgen zeitigen.

Radio Lora: Besonders durch die mystischen Dimensionen solcher Heilpraxis werden auch besonders tiefsinnige Preise für die Behandlung erhoben, die mit geringem Aufwand an Material und Kraft zu erzielen sind. Wie liegen denn die Einkommen in etwa, bzw. die Stundenpreise einer Behandlung? Wie wirkt sich das auf die Therapie selbst aus? Wer kann sich das leisten?

Goldner: Esoterisches Denken und damit einhergehend der Glauben an die Wirkkräfte alternativer Heilverfahren haben sich in den letzten 20 Jahren zu einem Markt ungeheuerer Dimension ausgewachsen. Man muß sich vorstellen: 40% der Deutschen der Überzeugung, ihr Leben sei bestimmt oder jedenfalls durchzogen von übernatürlichen Wirkkräften. Jeder fünfte hält es für möglich, Kontakte zum Jenseits bzw. zu Toten herstellen, jeder siebte glaubt an Magie und Hexerei. Fast zwei Drittel aller Deutschen glauben an die Existenz von Schutzengeln. Nicht weniger als 40% glauben, bestimmte Menschen seien befähigt, durch Beschwören oder Handauflegen Krankheiten zu heilen und über 50% sind davon überzeugt, Methoden wie Ayurveda oder Bach-Blütentherapie böten eine echte Alternative zur Schulmedizin. Der Umsatz der Szene liegt zwischen 20 und 25 Milliarden Euro pro Jahr, wobei allein der Markt der Alternativheilkunde gut die Hälfte umfasst, zwischen 9 und 12 Milliarden Euro. Die andere Hälfte entfällt auf parapsychologische Dienstleistungen wie Astrologie, Hellsehen, Kartenlegen usw. sowie esoterische begründete Praktiken in Psychotherapie und Lebenshilfe. Wobei die Umsätze der etablierten Kirchen, die sich diesen Markt spiritueller Lebenshilfe mit den Esoterikern teilen, noch gar nicht berücksichtigt sind. Die Honorarsätze von Alternativheilern sind nicht festgelegt, jeder kann für seine Praktiken verlangen, was er will. Es gibt, wie gesagt, keine gesetzlichen Schutzregelungen für Patienten, auch keine Kammer, die Richtlinien vorgeben oder Verstöße ahnden könnte. Jeder kann mit praktisch jedem Verfahren und zu jedem beliebigen Honorarsatz machen, was ihm beliebt.

Radio Lora: Heute brennt's an allen Ecken. Soziale Verelendung greift um sich, die Kommunen gehen pleite, der Euro droht zu kippen. Warum finden Sie die Kritik an der Esoterik jetzt so wichtig? Was ist die politische Dimension Ihrer Kritik?

Goldner: Die politischen Implikationen des fortschreitenden Irrationalismus - wie er auch und insbesondere von den Alternativheilern vorangetrieben wird - liegen auf der Hand: Die einzige Möglichkeit, die Menschen haben, sich gegen inhumane gesellschaftliche Verhältnisse zur Wehr zu setzen - Verstand und Vernunft -, werden gezielt unterlaufen und zerstört. Übrig bleibt ein Volk von Karma-, Schicksals- und Vorsehungsgläubigen, das alles ergeben hinnimmt. Irrationalität ist insofern einem autoritären Herrschaftsgefüge gut verwertbar.