Gespiegelt aus: http://www.uni-koeln.de/phil-fak/fs-philo/as/walser/nolte.html
Der Historikerstreit um Ernst Nolte
Ein weiterer Versuch, einen Schlussstrich unter die Zeit des Nationalsozialismus zu ziehen bzw. Auschwitz zu verharmlosen, kam im Historikerstreit 1986 zum Ausdruck. Er fiel in die Zeit von Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“, in der konservative Kräfte wieder stärker in den Vordergrund traten - nach einem Regierungswechsel, der gleichzeitig auch einen Wechsel in der politischen Atmosphäre der BRD schaffte. Es kamen vermehrt Stimmen auf, die nun, 40 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges, forderten, die BRD dürfe sich nicht länger nur für ihre Vergangenheit schämen, dürfe sich nicht nur als das Volk, das die Shoah verursacht habe, sehen, sondern müsse ihre „lange Geschichte“ (so M. Stürmer, einer der Historiker) in den Blickpunkt nehmen und eine neue nationale Identität entwickeln.
Doch sind dies wohl vor allem leere Phrasen, wie uns scheint. Es sind in Wirklichkeit nichtssagende Sonntagsreden (s. Artikel von Toria Burkert), voll von Verzerrungen der Realität nach einem manichäischen Weltbild: Dort die bösen ewigen Philosemiten, die mit erhobenem Zeigefinger hinter dem armen, unschuldigen deutschen Michel stehen und ihn bei allem, was er tun möchte, um aus seiner Schläfrigkeit herauszukommen, sagen: „Aber denk dran, du musst dich schuldig fühlen für Auschwitz.“ Und den guten, erhabenen, seriösen Wissenschaftlern, die die Philosemiten wegschubsen, den Michel an die Hand nehmen und ihn freundlich ermuntern: „Du musst dich nicht schuldig fühlen! Geh mutig deines Weges!“ Wie ist es aber nun mit den ‚Guten‘ bestellt, den ‚Edlen‘, den ‚Reinen‘, die für sich in Anspruch nehmen, endlich ohne diese ‚Moralapostel‘ Geschichte schreiben zu wollen? Ein gutes Beispiel dafür ist Ernst Nolte. Der Heideggerschüler und durchaus anerkannte Historiker und Geschichtsphilosoph war nämlich mit seinem Artikel in der FAZ im Sommerloch 1986 für den Ausbruch des ganzen Streites verantwortlich. Dieser ‚hehre‘ Mann kritisierte die „Tyrannei des kollektivistischen Denkens“, also diejenigen, die vereinfachend von der Schuld ‚der Juden‘ oder der Schuld ‚der Deutschen‘ sprachen und sehnte sich nach einer „entschiedene[n] Hinwendung zu allen Regeln einer freiheitlichen Ordnung [...], welche die Kritik zulässt und ermutigt“. Mit dieser absolut zustimmungswürdigen Einleitung schaffte sich Nolte die Ausgangsbasis für seine eigenen Untersuchungen, die jedoch alles andere als objektiv waren.
Worum ging es ihm? Er beabsichtigte, den Nationalsozialismus zu erklären und den Völkermord an den Juden möglichst verstehbar zu machen. Wenn dies geschafft war, so Nolte, war diese Zeit historisiert; dann war „die Vergangenheit, die nicht vergehen will“ (die Überschrift seines Artikels) endgültig vergangen und es braucht sich nicht anders mit ihr auseinandergesetzt zu werden, wie mit jedem anderen Geschichtsabschnitt auch.
Nolte machte folgenden ‚genialen‘ Vorschlag:
I. Der Bolschewismus und der Nationalsozialismus sind vergleichbare Ideologien,
Klassenideologie hier, Rassenideologie dort.
II. Die Verbrechen beider, der Archipel GULag hier, Auschwitz dort, sind vergleichbar.
III. Der Archipel GULag war vor Auschwitz.
IV. Hitler wusste vom Archipel GULag.
V. Die Nationalsozialisten betrachteten die Bolschewisten als ihre Feinde. Nationalsozialismus und Kommunismus waren konkurrierende Bewegungen.
Aus diesen Tatsachen zog er folgenden Schluss:
1. Bolschewismus und Nationalsozialismus waren Gegenbewegungen, zwei Seiten einer Medaille.
2. Die Nationalsozialisten nahmen sich den Archipel GULag als Vorbild für die Shoah.
3. Die Nationalsozialisten betrachteten sich als Opfer der Bolschewisten und verübten aus Angst und Reaktion auf sie den Völkermord an den Juden.
Hätte irgendeine dahergelaufene Geschichtsstudentin diese Behauptung aufgestellt, hätte es nicht weitere Beachtung gegeben. Wäre sie von einem rechtsextremen Historiker aufgestellt worden, wie beispielsweise David Irving, den Nolte auch gerne zitiert, hätte dies nur bedauerndes Kopfschütteln verursacht. Bei einem durchaus anerkannten Experten wie Nolte verhält sich die Sache nicht ganz so einfach. Er erweckt nämlich gerade den Anschein von Objektivität, Wissenschaftlichkeit und fundierter Argumentation.
Dazu kommt sein unnachahmlicher Schreibstil: Lange verschachtelte Sätze, Einschübe, Konjunktive, Doppeldeutigkeiten, Abwägungen und vor allem Aussagen in Frageform machen es nahezu unmöglich, ihn auf irgend etwas festzulegen, was über eine banale Tatsache hinausgeht, wie eben der Umstand, dass der Archipel GULag vor Auschwitz war.
So fragt er: „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine 'asiatische' Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer 'asiatischen' Tat betrachteten? War nicht der 'Archipel GULag' ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten?“
Es ist nicht notwendig einen Doktortitel in Literaturwissenschaft sein eigen zu nennen, um zu erkennen, dass diese Fragen doppeldeutig und rhetorisch angelegt sind, denn er gibt selbst die Antworten, indem er sagt, dass „sie [...] auf schlichten Wahrheiten [beruhen]“.
Was sind nun diese Wahrheiten, seine Argumente, die objektiven Belege?
Wir wissen es nicht. Er gibt keine. Wie er von dem zulässigen Vergleich zweier großer Bewegungen des 20. Jahrhunderts zu der Opferrolle und der Notwendigkeit des Nationalsozialismus und Auschwitz kommt, bleibt schleierhaft. Natürlich bringt er das ein oder andere, in seinen Augen stichhaltige Argument(chen), hält einzelne Zitate von Hitler oder einen Kommentar aus dem Vorwärts vor, aber sie sind so absurd, dass wir auf eine genauere Erörterung getrost verzichten können.
„Was will uns dieser Nolte also sagen?“, fragen sich die aufmerksamen Lesenden und kommen zu dem Schluss, dass der Autor das wohl menschenfeindlichste Regime der Geschichte soweit wie möglich entschuldigen und damit entschulden will, den Nationalsozialismus allein aus historischen Phänomenen zu begründen und die Täterrolle weiterzugeben. Am Ende steht die Einsicht, zu der schon deutsche Stammtische vor über drei Jahrzehnten angelangt sind: dass alle Geschichte eine Geschichte von Verbrechen ist und an der deutschen Geschichte wenig ist, was negativ aus dem Rahmen fällt. Die ‚eigentliche‘ Feindin ist die "Ewige Linke", die ‚eigentliche‘ Gefahr kommt aus dem Osten, aus Asien.
Mit seinen Aussprüchen, „die These vom `jüdischen Bolschewismus´ war falsch, aber ihr Aufkommen war nur allzu naheliegend.“, oder Hitler habe "historisch unrecht [gehabt][...], obwohl er in einigen wesentlichen Punkten richtig sah", wollen wir abschließend noch eine Kostprobe seiner ‚eindeutigen‘ Ausdrucksweise geben und anmerken, dass wir uns auf zukünftige öffentliche Debatten schon ganz ‚doll‘ freuen.
Christopher Pott, Rishi Arora