Was ist eine Realabstraktion? Ein Erkl�rungsversuch der besonderen Art.
Geht eine Frau in einen Hutladen, will einen Hut.
Der eine passt nicht zu ihrem Typ, der andere nicht zu ihrem Freund, der dritte nicht zum Kleid, zum Anlass usw. usw. Nach drei Stunden hat sie einen, der f�r sie stimmt als ob er f�r sie bestimmt w�re. War vielleicht Zufall, vielleicht aber geht sie schon seit Jahren in diesen Hutladen, weil es dort irgendwie immer die Sachen gibt, die ihr gefallen. Ihr ist halt wichtig, dass alles stimmt f�r sie. Sie ist ganz konkret, inmitten mannigfaltiger Bestimmungen.
Geht ein Mann in den Hutladen. Will einen Hut.
Was es sein soll? Ein Hut. Drau�en regnets. Also ein wasserdichter Hut. Da gibts f�nf im Angebot. Egal geben sie mir halt den billigsten! Wichtig ist, das er was taugt und billig ist, also n�tzlich f�r seinen Besitzer.
Jetzt reichen zwei Bestimmungen: Wasserfest und billig. Aber auch das sind konkrete Gr�nde f�r den Einkauf von einem Hut.
Fragt am Abend der Chef seine Verk�uferInnen, wieviel H�te haben sie heute verkauft? Was nur drei!!!? Ihm gehts nur um die eine Bestimmung: Absatz und also Geldmenge. Das ist eine abstrakte Bestimmung, weil sie mit dem Hut als solchem garnichts zu tun hat. Der Hut ist nur eine Form einer g�nzlich anders begr�ndeten Notwendigkeit, weil n�mlich der Chef seinen alten Laden nicht mehr hat, worin er Staubsauger verkauft hat. Zum Leben hat er aber bei gen�gend Hutverk�ufen doch noch genausoviel. Daran hat sich nichts ge�ndert. F�r ihn sind die H�te gleichg�ltig, solange er genug zum Leben hat. H�te sind ihm wirklich nur etwas Abstraktes: ihm �ndert sich nichts durch die H�te. Und wem sie gefallen, passen oder f�r welchen Anlass sie stimmen, ist ihm wurscht. Die Hauptsache: Sie werden verkauft.
Und jetzt in der Hutfabrik: Arbeit, wohin man schaut. Die einen machen Filzh�te mit bayerischen Hornimmitationen, die anderen Trachtenh�te, andere H�te f�r den Sportsfreund und wieder wo anders wird ein neues Hutmodell kreiert, von dem noch kein Mensch wei�. Auch M�tzen machen sie und sogar Helmunterlagen f�r den �rtlichen Katastrophenschutz. Die aber macht die Oma, die Mutter vom Chef, weil ihr Enkel dort Untersturmbannf�hrer ist und weil sie das gut findet und unterst�tzen will.
Wie ruhig oder hektisch es dort zugehen mag: In der Hutfabrik muss alles stimmen, sonst funktioniert sie nicht. Um zu arbeiten, muss alles in bestimmter Art und Weise zusammengebracht werden und "passen": Der Filz und das Horn, der Stoff und der Helm, usw. usf. Wer demgegen�ber gleichg�ltig ist, fliegt fr�her oder sp�ter raus (au�er der Oma, weil die kann machen, was sie will, weil sie es nur f�r ihren Enkel tut und selbst das Interesse hat, dass sein Helm gut wird und ihn sch�tzt). Eine unkonkrete Arbeit oder eine abstrakte Arbeit gibt es nicht wirklich. Es g�be sonst nur Unsinn, den niemand haben will.
Der Chef passt auf, dass alle arbeiten. Er hat keine Ahnung, welches Horn zu welchem Filz geh�rt, welcher Zwirn zu welchem Stoff usw. Er merkt nur, wenn jemand tr�delt und weniger H�te macht als am Tag zuvor oder Fehler macht, weil sie aus der Versandabteilung st�ndig zur�ckkommen, weil sie M�ngel haben und nicht durch die Endkontrolle gehen und unverkaufbar sind. Um seine Sache gut zu machen, kann sich der Chef garnicht um die H�te k�mmern. Sie m�ssen stimmen und die Arbeitspl�tze m�ssen passend hierzu eingerichtet sein und die Arbeitskr�fte m�ssen optimal mit den Bestimmungen des Betriebs �bereinstimmen. Daf�r hat er auch einen Betriebsleiter, dass das alles l�uft.
Der Chef sieht von all dem ab. Er muss ein bestimmtes Soll erf�llen, das nichts mit den H�ten zu tun hat, sondern nur damit, ob die Firma das n�chste Jahr �bersteht. Die Kapitaldecke ist d�nn geworden, weil der Absatz geschwunden ist. Die Arbeitszeiten sind zu lang, um gegen die derzeitigen Hutpreise ank�mpfen zu k�nnen. Es fehlt an Geld, um mit der bestehenden Ausstattung weiterzukommen. Um konkurrenzf�hig zu bleiben, braucht er neue Maschinen und also viel Geld, das er in diesem Jahr oder in Raten verteilt auf mehrere Jahre beischaffen muss. Egal, was die Leute sagen, was die Hutmode ist usw. Das alles ist ihm vorausgesetzt. Er muss so viele H�te wie m�glich in der geringsten Zeit wie n�tig haben und sie zu einem Preis verkaufen, der die Verkaufszahlen um so viel wachsen l�sst, dass der Preisnachlass sich rentiert. Seine Arbeit hat nichts mit den H�ten zu tun. Sie muss nur H�te �berhaupt absetzen. Das ist ganz sch�n abstrakt. Aber der Chef selbst ist dennoch ein sehr konkreter Mensch. Er will ja f�r sich und "seine Arbeitsleute" nur das Beste. Niemandem ist damit gedient, wenn der Betrieb pleite geht.
Aber auf alle Arbeiten bezogen und im gesellschaftlichen Durchschnitt gedacht, dr�ckt sich in dieser Bem�hung, den Betrieb zu retten, abstrakte Arbeit aus: Die Notwendigkeit, von den wirklichen Verh�ltnisses der Arbeit abzusehen. So verl�uft erst mal eine reale Abstraktion von der Arbeit zu ihrem Produkt, nur dass sie als abstrakt menschliche Arbeit in allem ist, was auch konkret ist, also beides in einem, weil alles als Ware f�r den Markt existiert, H�te wie Hutmaschinen, gekauft und verkauft wird und Preise hat, wo der Teufel sehr wohl wei�, woher die kommen: Sicher nicht unmittelbar von den Lebensnotwendigkeiten der Arbeitsleute und vom Chef - nur irgendwie auch.
Eine real wirksame Abstraktion gibt's im Arbeitsprozess aber erst, wenn alles auch nach einem abstrakten Grund bemessen wird, wenn also die Tatsache, dass wichtig ist, was auf dem Markt "hinten raus kommt" zum Ma�stab aller Verh�ltnisse wird und dieses Ma� deshalb den Leuten und den H�ten viel nimmt, was ihnen zuvor noch einfache Beziehung auf ihre Arbeit war. Die Oma kann weitermachen, wie sie will. Sie hat mit dem Maschinenkauf nichts am Hut. Aber die anderen m�ssen schneller arbeiten, die Stimmmung wird schlecht, neue Fehler entstehen, die Leute streiten immer �fter miteinander und beim Bier sagen sie vielleicht: Ja fr�her, das ist lange her. Und vielleicht sagt einer: Uns hat's ganz sch�n was abgerissen. Dann meint der, dass da die Arbeit, die immer noch dasselbe erzeugt wie zuvor, immer weniger �brig l�sst, was die Leute, die Stoffe, die Kreation usw. f�r sich waren.
Nun gehts aber nicht um fr�her. Weil da war auch vieles schlimm. Nicht so sehr der permanente Zeitdr�ck immer und �berall, aber die Hierarchie, die Launen des Chefs, die Macht, die er �ber das Leben jedes einzelnen hatte, die Verordnungen usw. usf. Nein, das will man auch nicht mehr haben. Das hat einem ja auch viel genommen. Sicher: Man hatte mehr Zeit, aber auch gr��ere Abh�ngigkeit zu versp�ren. Beides ist n�mlich das Produkt von Realabstraktion, der Reduktion von Wirklichkeit. Weil alles f�r den Markt, die Marktpreise, die Konjunktur, die Weltwirtschaft zu stimmen hatte, konnte unter den Menschen nichts mehr so richtig stimmen. Die Abstraktion von der Arbeit wird dann immer zur Reduktion von Wirklichkeit. Das aber verl�uft nicht hintereinander, wie in dieser Hut-Geschichte. Es besteht als Kreislauf aller Bestimmungen gleichzeitig, sowohl Wirklichkeit bildend, als auch Wirklichkeit nehmend; was genommen wird, bildet sich als Form heraus. In der R�ckwendung der Form auf die Inhalte, werden sie zu neuer Wirklichkeit bestimmt - eine etwas andere Art, die Dialektik zu verstehen, aber anschaulich auf allen Ebenen in der Entwicklung des Kapitals vom Gebrauchswert zum Wert, vom Geld zum Kapital, vom Geldkapital zum Warenkapital, vom Mehrprodukt zum Mehrwert, von der Mehrwertrate zur Profitrate usw. usf. Ganz allgemein entsteht eine immer mannigfaltigere Welt, alles scheint immer vielf�ltiger und konkreter, aber zugleich wird auch alles immer einf�ltiger, alles immer gleicher und sinnloser, weil unabh�ngiger, scheinbar unabh�ngig von dem, was Menschen eigentlich an Wirklichkeit haben wollen. Da t�rmen sich ihre Produktivkr�fte bis ins Uferlose, aber sie m�ssen tagt�glich zu einer Arbeit antreten, die ihnen zumeist sinnlos erscheint. Es ist der faktische Zynismus der Realabstraktion, die in der Bewertung der Dinge nach dem Wert ihrer Tauschbarkeit steckt, die alles sein l�sst, wie es der Teufel will: "So ist denn alles, was entsteht, nur wert, dass es zugrunde geht." (Mephisto in Goethes Faust).
Abstrakte Arbeit ist keine Idee der gehobenen �konomie, sondern blindw�tiger Durchschnitt von Arbeit in einer umschriebenen Gesellschaft, die in einer bestimmten Zeit verrichtet wird. Nix anderes. Ihre Substanz aber ist nicht das, was die Leute tun oder das, was an Stoffen verarbeitet wird, sondern lediglich die Zeit, in der gearbeitet wird: pro Tag, oder pro Hut, oder pro Lohn usw. Alle Dinge sind konkrete Produkte der Arbeit. Aber obwohl die Arbeit selbst nicht abstrakt sein kann, haben ihre Produkte keine konkrete gesellschaftliche Wirklichkeit, weil und solange sie blo�e Waren sind und nur als Werdinge existieren, f�r den Markt existieren. Die Realabstraktion ist also die Absehung von ihrer wirklichen Gesellschaftlichkeit, in der sie als reale Dinge nicht in Beziehung sind. Indem geseellschaftlicher Reichtum produziert wird, wird auch die Verarmung gesellschaftlicher Zusammenh�nge produziert. Die Realabstraktion besteht daher auch wirklich aus einer Minderung von Bezogenheiten mit dem Resultat, dass den Menschen ihre eigene gesellschaftliche Wirklichkeit abhanden kommt. Und das genau ist das, was die Menschen merken, wenn sie damit noch zu tun haben. Weil