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Karl Marx

Ökonomisch-philosophische Manuskripte

 

[Geld]

<562>||XLI| Wenn die Empfindungen, Leidenschaften etc. des Menschen nicht nur anthropologische Bestimmungen im [engeren] Sinn, sondern wahrhaft ontologische Wesens-(Natur-)bejahungen sind – und wenn sie nur dadurch wirklich sich bejahen, daß ihr Gegenstand sinnlich für sie ist, so versteht sich, 1. daß die Weise ihrer Bejahung durchaus nicht eine und <563>dieselbe ist, sondern vielmehr die unterschiedne Weise der Bejahung die Eigentümlichkeit ihres Daseins, ihres Lebens bildet; die Weise, wie der Gegenstand für sie, ist die eigentümliche Weise ihres Genusses; 2. da, wo die sinnliche Bejahung unmittelbares Aufheben des Gegenstandes in seiner selbständigen Form ist (Essen, Trinken, Bearbeiten des Gegenstandes etc.), ist dies die Bejahung des Gegenstandes; 3. insofern der Mensch menschlich, also auch seine Empfindung etc. menschlich ist, ist die Bejahung des Gegenstandes durch einen andren, ebenfalls sein eigner Genuß; 4. erst durch die entwickelte Industrie, i.e. durch die Vermittlung des Privateigentums, wird des ontologische Wesen der menschlichen Leidenschaft sowohl in seiner Totalität als in seiner Menschlichkeit; die Wissenschaft vom Menschen ist also selbst ein Produkt der praktischen Selbstbetätigung des Menschen; 5. der Sinn des Privateigentums – losgelöst von seiner Entfremdung – ist das Dasein der wesentlichen Gegenstände für den Menschen, sowohl als Gegenstand des Genusses wie der Tätigkeit. –

Des Geld, indem es die Eigenschaft besitzt, alles zu kaufen, indem es die Eigenschaft besitzt, alle Gegenstände sich anzueignen, ist also der Gegenstand im eminenten Besitz. Die Universalität seiner Eigenschaft ist die Allmacht seines Wesens; es gilt daher als allmächtiges Wesen … Das Geld ist der Kuppler zwischen dem Bedürfnis und dem Gegenstand, zwischen dem Leben und dem Lebensmittel des Menschen. Was mir aber mein Leben vermittelt, das vermittelt mir auch das Dasein der andren Menschen für mich. Das ist für mich der andre Mensch.

"Was Henker! Freilich Händ’ und Füße
Und Kopf und Hintre, die sind dein!
Doch alles, was ich frisch genieße,
Ist des drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann
Als hätt’ ich vierundzwanzig Beine."
Goethe, Faust (Mephisto) [33]

Shakespeare im Timon von Athen:

"Gold? Kostbar, flimmernd, rotes Gold? Nein, Götter!
Nicht eitel ficht’ ich.
So viel hievon macht schwarz weiß, häßlich schön;
Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel.
Dies lockt … den Priester vom Altar;
Reißt Halbgenesnen weg das Schlumrnerkissen:
<564>Ja, dieser rote Sklave lost und bindet
Geweihte Bande; segnet den Verfluchten;
Er macht den Aussatz lieblich, ehrt den Dieb
Und gibt ihm Rang, gebeugtes Knie und Einfluß
Im Rat der Senatoren; dieser führt
Der überjähr’gen Witwe Freier zu;
Sie, von Spital und Wunden giftig eiternd,
Mit Ekel fortgeschickt, verjüngt balsamisch
Zu Maienjugend dies. Verdammt Metall,
Gemeine Hure du der Menschen, die
Die Völker tört"

Und weiter unten:

"Du süßer Königsmörder, edle Scheidung
Des Sohns und Vaters! glänzender Besudler
Von Hymens reinstem Lager! tapfrer Mars!
Du ewig blüh’nder, zartgeliebter Freier,
Des roter Schein den heil’gen Schnee zerschmelzt
Auf Dianas reinem Schoß! sichtbare Gottheit,
Die du Unmöglichkeiten eng verbrüderst,
Zum Kuß sie zwingst! du sprichst in jeder Sprache,
||XLII| Zu jedem Zweck! o du, der Herzen Prüfstein!
Denk, es empört dein Sklave sich, der Mensch!
Vernichte deine Kraft sie all verwirrend,
Daß Tieren wird die Herrschaft dieser Welt!" [34]

Shakespeare schildert das Wesen des Geldes trefflich. Um ihn zu verstehn, beginnen wir zunächst mit der Auslegung der goethischen Stelle.

Was durch das Geld für mich ist, was ich zahlen, d. h., was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes selbst. So groß die Kraft des Geldes, so groß ist meine Kraft. Die Eigenschaften des Geldes sind meine – seines Besitzers – Eigenschaften und Wesenskräfte. Das, was ich bin und vermag, ist also keineswegs durch meine Individualität bestimmt. Ich bin häßlich, aber ich kann mir die schönste Frau kaufen. Also bin ich nicht häßlich, denn die Wirkung der Häßlichkeit, ihre abschreckende Kraft ist durch das Geld vernichtet. Ich – meiner Individualität nach – bin lahm, aber das Geld verschafft mir 24 Füße; ich bin also nicht lahm; ich bin ein schlechter, unehrlicher, gewissenloser, geistloser Mensch, aber das Geld ist geehrt, also auch sein Besitzer. Das Geld ist das höchste Gut, also ist sein Besitzer gut, das Geld überhebt mich überdem der Mühe, unehrlich zu sein; ich werde also als ehrlich präsumiert; ich bin geistlos, aber das Geld ist der wirkliche Geist aller Dinge, wie sollte sein Besitzer geistlos sein? Zudem <565>kann er sich die geistreichen Leute kaufen, und wer die Macht über die Geistreichen hat [1*], ist der nicht geistreicher als der Geistreiche? Ich, der durch das Geld alles, wonach ein menschliches Herz sich sehnt, vermag, besitze ich nicht alle menschlichen Vermögen? Verwandelt also mein Geld nicht alle meine Unvermögen in ihr Gegenteil?

Wenn das Geld das Band ist, das mich an das menschliche Leben, das mir die Gesellschaft, das mich mit der Natur und den Menschen verbindet, ist das Geld nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Ist es darum nicht auch das allgemeine Scheidungsmittel? Es ist die wahre Scheidemünze, wie das wahre Bindungsmittel, die […] [2*] chemische Kraft der Gesellschaft.

Shakespeare hebt an dem Geld besonders 2 Eigenschaften heraus:

1. Es ist die sichtbare Gottheit, die Verwandlung aller menschlichen und natürlichen Eigenschaften in ihr Gegenteil, die allgemeine Verwechslung und Verkehrung der Dinge; es verbrüdert Unmöglichkeiten;

2. Es ist die allgemeine Hure, der allgemeine Kuppler der Menschen und Völker.

Die Verkehrung und Verwechslung aller menschlichen und natürlichen Qualitäten, die Verbrüderung der Unmöglichkeiten – die göttliche Kraft –des Geldes liegt in seinem Wesen als dem entfremdeten, entäußernden und sich veräußernden Gattungswesen der Menschen. Es ist das entäußerte Vermögen der Menschheit.

Was ich qua Mensch nicht vermag, was also alle meine individuellen Wesenskräfte nicht vermögen, das vermag ich durch das Geld. Das Geld macht also jede dieser Wesenskräfte zu etwas, was sie an sich nicht ist, d. h. zu ihrem Gegenteil.

Wenn ich mich nach einer Speise sehne oder den Postwagen brauchen will, weil ich nicht stark genug bin, den Weg zu Fuß zu machen, so verschafft mir das Geld die Speise und den Postwagen, d.h., es verwandelt meine Wünsche aus Wesen der Vorstellung, es übersetzt sie aus ihrem gedachten, vorgestellten, gewollten Dasein in ihr sinnliches, wirkliches Dasein, aus der Vorstellung in das Leben, aus dem vorgestellten Sein in das wirkliche Sein. Als diese Vermittlung ist das [Geld] die wahrhaft schöpferische Kraft.

Die demande [3*] existiert wohl auch für den, der kein Geld hat, aber seine demande ist ein bloßes Wesen der Vorstellung, das auf mich, auf den 3ten, <566>auf die [anderen] ||XLIII| keine Wirkung, keine Existenz hat, also für mich selbst unwirklich, gegenstandlos bleibt. Der Unterschied der effektiven, auf das Geld basierten und der effektlosen, auf mein Bedürfnis, meine Leidenschaft, meinen Wunsch etc. basierten demande ist der Unterschied zwischen Sein und Denken, zwischen der bloßen in mir existierenden Vorstellung und der Vorstellung, wie sie als wirklicher Gegenstand außer mir für mich ist.

Ich, wenn ich kein Geld zum Reisen habe, habe kein Bedürfnis, d.h. kein wirkliches und sich verwirklichendes Bedürfnis zum Reisen. Ich, wenn ich Beruf zum Studieren, aber kein Geld dazu habe, habe keinen Beruf zum Studieren, d.h. keinen wirksamen, keinen wahren Beruf. Dagegen ich, wenn ich wirklich keinen Beruf zum Studieren habe, aber den Willen und das Geld, habe einen wirksamen Beruf dazu. Das Geld – als das äußere, nicht aus dem Menschen als Menschen und nicht von der menschlichen Gesellschaft als Gesellschaft herkommende allgemeine – Mittel und Vermögen, die Vorstellung in die Wirklichkeit und die Wirklichkeit zu einer bloßen Vorstellung zu machen, verwandelt ebensosehr die wirklichen menschlichen und natürlichen Wesenskräfte in bloß abstrakte Vorstellungen und darum Unvollkommenheiten, qualvolle Hirngespinste, wie es andrerseits die wirklichen Unvollkommenheiten und Hirngespinste, die wirklich ohnmächtigen, nur in der Einbildung des Individuums existierenden Wesenskräfte desselben zu wirklichen Wesenskräften und Vermögen verwandelt. Schon dieser Bestimmung nach ist es also schon die allgemeine Verkehrung der Individualitäten, die sie in ihr Gegenteil umkehrt und ihren Eigenschaften widersprechende Eigenschaften beilegt.

Als diese verkehrende Macht erscheint es dann auch gegen das Individuum und gegen die gesellschaftlichen etc. Bande, die für sich Wesen zu sein behaupten. Es verwandelt die Treue in Untreue, die Liebe in Haß, den Haß in Liebe, die Tugend in Laster, das Laster in Tugend, den Knecht in den Herrn, den Herrn in den Knecht, den Blödsinn in Verstand, den Verstand in Blödsinn.

Da das Geld als der existierende und sich betätigende Begriff des Wertes alle Dinge verwechselt, vertauscht, so ist es die allgemeine Verwechslung und Vertauschung aller Dinge, also die verkehrte Welt, die Verwechslung und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen Qualitäten.

Wer die Tapferkeit kaufen kann, der ist tapfer, wenn er auch feig ist. Da das Geld nicht gegen eine bestimmte Qualität, gegen ein bestimmtes Ding, menschliche Wesenskräfte, sondern gegen die ganze menschliche und <567>natürliche gegenständliche Welt sich austauscht, so tauscht es also – vom Standpunkt seines Besitzers angesehn – jede Eigenschaft gegen jede – auch ihr widersprechende Eigenschaft und Gegenstand – aus; es ist die Verbrüderung der Unmöglichkeiten, es zwingt das sich Widersprechende zum Kuß.

Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen etc. Wenn du die Kunst genießen willst, mußt du ein künstlerisch gebildeter Mensch sein; wenn du Einfluß auf andre Menschen ausüben willst, mußt du ein wirklich anregend und fördernd auf andere Menschen wirkender Mensch sein. Jedes deiner Verhältnisse zum Menschen – und zu der Natur – muß eine bestimmte, dem Gegenstand deines Willens entsprechende Äußrung deines wirklichen individuellen Lebens sein. Wenn du liebst, ohne Gegenliebe hervorzurufen, d. h., wenn dein Lieben als Lieben nicht die Gegenliebe produziert, wenn du durch deine Lebensäußrung als liebender Mensch dich nicht zum geliebten Menschen machst, so ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglück. |XLIII||

 

Redaktionelle Fußnoten

1*. In der Handschrift: ist

2*. in der Handschrift ein Wort nicht zu entziffern

3*. Nachfrage

 

Anmerkungen

33. Siehe Goethes Faust. Ersten Teil. 4. Szene: Studierzimmer.

34. Shakespeare, Timon von Athen, 4. Akt, 3. Szene.

 


Zuletzt aktualisiert am 5.12.2000

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