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Wolfram Pfreundschuh (09.4.09)

Von der Volksherrschaft des Kapitals zur demokratischen Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums

Einführung: Von der Wirtschaftskrise zur Verfassungskrise

Die Gründe für die momentane Weltwirtschaftskrise, die als Finanzmarktkrise abgehandelt wird, gelten jetzt als geklärt. Es sei eine Krise des Kreditsystems gewesen, das in der amerikanischen Hypothekenkrise geplatzt war. Es sei also ein bloßer Fehler der Banken, die zu wenig auf Bonität geachtet hatten - nicht etwa die Krise des kapitalistischen Systems, das sich in fiktiv werdenden Geldwerten immer wieder abspielt. Hätten die Banker sich bessere Gläubiger ausgesucht, so wäre denn alles wieder gut. Hätten sie mehr gutes Frischgeld gegen ihr fiktives Kapital getauscht, so wären die Immobilienpreise auch nicht gefallen. Hätten die Leute noch Arbeit gefunden, dann wäre das Geld auch gut geblieben. Sie hätten sich alle einfach ein bisschen mehr anstrengen, ein bisschen sauberer wirtschaften sollen. Ganz einfach. Man ist bescheiden geworden in den Erklärungen. „The Show must go on“, koste es, was es wolle. Deshalb müssen die Gründe der sogenannten Finanzmarktkrise auch als Bosheiten der handelnden Personen, als Gier und Plage von Räubern und Schreckern herausgestellt werden. So wollen das ja auch die Bürger von ganz rechts bis ganz links im parlamentarischen Lokus. Und auf die kommt es an, wenn es in der Kapitalwirtschaft schlecht läuft.

Die Fiktionen können also weitergehen. Daher jetzt das viele neue Geld, das auch in Deutschland wie aus Aladins Wunderlampe oder besser: aus der Wunderlampe einer ungeahnten Zukunft herausquillt - aus der Maschinerie der Zentralbanken und Staatsanleihen! Aber nicht etwa für eine Konsumanreizung, wie das propagiert wird. Dafür wäre die Erhöhung der Sätze für Hartz IV und der Billig-Löhne das probateste Mittel. Nein. Die 4,2 Milliarden Euro für die Abwrackprämie und die vielen Milliarden Bankeinlagen und Staatsbürgschaften für die Banken sollen die deutschen Geldwerte und die Kernindustrie für den Export stabilisieren, die wichtigsten Träger der deutschen Kapitalwirtschaft. Die staatliche Beteiligung an ihren Defiziten, die nun sogar als Verstaatlichung gelabelt wird, lassen sich momentan als „Wege aus der Krise“ gut verkaufen, auch wenn es nur die Wege in die nächste Krise sind. Immerhin helfen sie über die nächsten Wahltermine.

Aber nach der Wahl läuft dann nichts Neues mehr. Es bleibt beim Alten und das wird immer älter. Dann sind die alten Autos weg und keine neuen werden mehr gekauft. Und dann werden die Steuern fällig, um die Bankdefizite einzulösen. Und dann werden die Branchen, welche die veraltete Automobilindustrie durch neue Technologien und Produkte ablösen könnten, keine Potenziale und Kräfte mehr haben werden, um den Inlandkonsum anzutreiben. Was sich dann allerdings weiter entwickeln wird, sind vor allem die exportfähigen Technologien. Das ist vor allem die Waffenproduktion und Energietechnologie. Und da kann man beruhigt sein. In beidem liegt Deutschland ganz vorne.

Und für eine solche Zukunftsperspektive muss aufgeräumt und aufgerüstet werden. Alles muss besser werden, die Kontrollen durchgreifender, die Moral höher. Es wird also auch an Bekenntnissen nicht mehr gespart. Es war alles etwas zu krass geworden und eine etwas andere Art der Entschuldung ist nun politisch nötig geworden. Sogar mit persönlichen Konsequenzen zeigt man sich ganz vorne. Ackermann, der 14 Millionen Euro pro Jahr kassiert, verzichtet auf seine Bonuszahlungen und der Obermanager von Mercedes Benz will sogar ein Jahr lang für nur 1 Euro arbeiten. Einfach rührend! Das unterbietet die untersten Einkommen auf dem 1 Euro-Markt der Hartz IV Empfänger. Ein guter Chef - und gaaanz arm. Sehr eindrucksvoll. Ein neues Gütesiegel! Damit werden nun endlich die Gründe der Krise als behoben gelten und ein neuer Finanzmarkt erblühen können. Mit „blühenden Landschaften“ kennt man sich eben aus. Die nächsten Blüten werden ja bereits gedruckt.

An Geld mangelt es nie, wenn man damit auf die große Erlösung mit großen Erlösen spekulieren kann. Der Kapitalismus ist schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Endlosschleife von Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Überproduktion, Kapitalvernichtung, Naturzerstörung, Kulturzerstörung, imperialer Selbstermächtigung, Weltordnungskrieg und wieder von vorn. Und so könnte das auch wieder weitergehn – allerdings mit immer weniger Lebenssubstanz und immer weniger Natur und einer zunehmenden Barbarisierung der menschlichen Kulturen.

Finanzmarktkrise, Wirtschaftskrise, Verfassungskrise – die Endlosschleife des Kapitalismus

Das historische Grundproblem der Menschheit ist im Kapitalismus der Antagonismus zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und dem Wertwachstum des Kapitals - also einerseits die Notwendigkeit des Kapitals, die Arbeit der Menschen mit immer geringerem Aufwand betreiben zu müssen und andererseits seine Notwendigkeit, die Verwertung der Arbeit für sich immer stärker durchzusetzen. Das Kapital finanziert sich zunächst selbst, indem es seine Anlagen fortwährend durch Produktion von Wert und Mehrwert erneuert und erweitert. Aber mit einer immer größeren Wertmasse, die es auf diese Weise aufhäuft, muss es auch beständig den Umfang seiner Produktion und seiner Märkte erweitern und seine Ausbeutungsrate verschärfen. Das führt dazu, dass es immer mehr Produkte unbezahlter Arbeit auf den Markt wirft, und relativ hierzu immer weniger Lohn zu ihrem Erwerb freisetzt.

So entsteht Geld, das sich nicht im selben Wertkontinuum mehr anwenden lässt, wie es erzeugt wird, weil die Produkte an Wert verlieren, wenn sie nicht mehr gekauft werden können. Solches Kapital wird für die Verwertung riskant und daher risikobereit. Es ist einerseits Kapital, weil es aus der Produktion entstanden ist, es ist ihr aber entzogen, solange es keine neue Anwendung findet. Es spekuliert auf dem Finanzmarkt auf jede Möglichkeit, sich neu zu verwerten und treibt sich solange als fiktives Kapital dort herum, bis ihm das auch gelingt. Aber solange es dem wirklichen Verwertungsprozess, also dem Erzeugen und Konsumieren entzogen bleibt, stellt es immer mehr Wert dar, der sich nicht realisieren lässt und daher auch immer aggressiver auf Anwendung drängt, um nicht in sich zusammen zu fallen, wertlos zu werden. Das fiktive Kapital bedrängt damit die gewöhnlichen Verwertungsprozesse des Geldes und seinen Preis, den Zins. Als spekulatives Kapital wird es auf dem Aktienmarkt selbst zu einem Papier, um das man wettet und damit Wert bewegt. In dem Maße, wie das Geld als freie Spekulationsmasse hierbei immer größere Vorstellungen bewegt und Spekulationsblasen erzeugt, verselbständigt es sich in einer Scheinwelt, die ihre reale Wertlosigkeit immer wieder schlagartig erfahren muss. Das macht dann den Ablauf der Verwertungskrisen aus: Geldanlagen, die bis dahin noch Wert hatten, werden schlagartig wertlos. Es stellt sich auf diese Weise aber im Grunde nur heraus, dass Spekulation nur temporär funktionieren kann und dass eine hohe Ausbeutungsrate insgesamt nicht wirklich zu halten ist.

Dies hatte Karl Marx schon vor 160 Jahren herausgestellt und als notwendige Konsequenz aus dem Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung bewiesen, den der Kapitalismus entwickelt hat und durch den er sich auch heute noch fortbestimmt. Weil im Kapital gesellschaftliche Geschichte und Kraft aufgehäuft wird, über die nur privat verfügt wird, kann und muss damit spekuliert werden. Die gesamte Kapitalanwendung muss man als Spekulation begreifen, sei es mit dem Wert der Arbeitskraft, mit Rohstoffen oder mit dem Wert des Geldes. Solange es Kapital als Existenzgrundlage der Arbeit gibt, muss es ihm um optimale Profite durch optimale Verwertungsbedingungen, also um eine Profitrate mit wachsendem Wert gehen, sonst geht es pleite.

Dass es aber gerade hierdurch immer wieder sein eigenes Kapital entwerten muss, dass sein Risko auch als Risiko seiner Verwertungslage auf es zurück fällt, ist ihm selbst nicht geheuer. Nicht ein Mangel an Arbeit, nicht Überbevölkerung oder Ressourcenverknappung machen das gesellschaftliche Problem aus, das wir haben. Das Kapital selbst betreibt die Beschränkung einer menschlichen Gesellschaftsentwicklung. Seine Profitrate kann nicht halten, was sie verspricht, weil sie immer wieder an den Verwertungsbedingungen, an den Bedingungen der Mehrwertrate scheitert. Der Kapitalismus erzeugt seine eigene Schranke und ist durch sich selbst beschränkt – ein Widersinn in sich.

Marx hat das im 3. Band des Kapitals auf den Punkt gebracht, indem er schreibt:
„Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: daß das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint; daß die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind. Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des Kapitalwerts, die auf der Enteignung und Verarmung der großen Masse der Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem Zweck anwenden muß und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion, auf die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit lossteuern. Das Mittel - unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte - gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandnen Kapitals. Wenn daher die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen.“ MEW 25, S. 260

Doch solange die politische Form des Kapitalismus seine Krisen übersteht, solange er politische Gewalt in einem kapitalistischen Staat hat, übersteht er den Zwang der Selbsterhaltung mit der Verbürgung seiner Bürger – und damit auch die bürgerliche Gesellschaft. Die Staatsverschuldung ist dabei sein beständiges Gleitmittel und das Überlebenselexier des Kapitals überhaupt. Im Kreislauf der ökonomischen Krisen zu den gesellschaftlichen Krisen, die er immer wieder hervorbringt, zurück zur Verbürgung der Menschen kann sich der Kapitalismus als Schuldverhältnis, als Feudalkapitalismus immer wieder überleben. Die Gewährleistung der Güte liegt damit zwar immer nur in der Zukunft, aber die lässt sich machen, wenn das reale Geld bedroht ist und seine Gegenwart entschwindet.

Die Meinungen der Menschen lassen sich hiervon beeindrucken – jedenfalls immer dann, wenn die Gegenwart keine andere Wahl lässt. Und die Staatsvertreter müssen ja gewählt werden, solange der Staat für die Verhältnisse nötig ist. Wenn das Geld nicht mehr funktioniert wird alles gut, was sonst schlecht ist: Härte gegen sich, Selbstverleugnung und Kollektivismus – alles, damit der Markt sich doch noch halten lasse. Mit zunehmender Staatsverschuldung wird der Kapitalismus auf diese Weise selbst zur Volksherrschaft einer teuflischen Haltung, die sich auch als Wählermeinung niederschlägt.

Die Macht der politischen Vision

Die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit und Lohnentwertung liegt ja sozusagen permanent in der Luft. Angst wird zu einer Vermittlungseinrichtung von Opferbereitschaft, die sich kollektiviert, ohne dass sich die Menschen dabei näherkommen. Im Gegenteil: Auf der einen Seite verschärft sich ihre Konkurrenzlage im Gerangel um Arbeitslöhne und Arbeitsplätze, auf der anderen versagen zunehmend die staatlichen Möglichkeiten, soziale Konflikte noch wirklich aufzufangen und ausgleichend tätig zu werden.

Zur Wahl gehen die Bürger eigentlich, um eine bestimmte politische Handlungsbereitschaft, einen politischen Willen im Unterschied der verschiedenen Handlungsalternativen zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen und zur Beförderung gesellschaftlicher Bedürfnisse auszuwählen. Jetzt kann es aber nicht mehr hierum gehen, weil es keine diesbezüglichen Vorzüge mehr gibt. Die Staatsverschuldung und der fortlaufende Krisenzyklus bestimmen die ganze parlamentarische Politik. Deshalb kann es nur noch um die Wahl des kleineren Übels gehn. Das Parlament funktioniert als Arrangeur der Selbstbeschränkung und ist für die Bürger insgesamt lediglich in unterschiedlichen Bedeutungsmustern des Zumutbaren unterscheidbar. Von daher hat sich implizit das Anliegen der bürgerlichen Verfassung selbst aufgehoben, einen politischen Willen zu bilden und ihn "zum Wohle des Volkes" zu gestalten. Doch Parlamentarier müssen ja eigentlich Volksvertreter bleiben und werden daher sich bemühen, über ihre wahren Möglichkeiten hinwegtutäuschen. Je unerträglicher die Zumutungen werden, desto dubioser die Begründung der Zumutung, welche das Parlament durchzusetzen hat. Aus dem Dunstkreis der Lügen wird immer wieder das Geraune um eine Erlösung und dann auch meist um eine Erlöserpersönlichkeit die öffentliche Stimmung durchziehen. Aber einen solch abstrakten Parlamentarismus kann nur eine politische Persönlichkeit durchbrechen, die psychologisch, rhetorisch und dämagogisch begabt ist. Zur Wahl steht und gefragt ist nicht mehr die reale Handlung sondern die Vision. Gewählt wird der Visionär. Es muss ja eigentlich nur eine Persönlichkeit sein, die in der Lage ist, als positive Vision das zu verkörpern, was sich die Menschen von der Politik erhoffen, und im Hintergrund das durchzusetzen, was an Gewalt hierfür nötig ist.

Der Visionär ist von allen gewollt. Er rettet Parlament und öffentliche Selbstdarstellung. Und vor allem kann er am besten die notwendige Härte begründen, die zur Erlösung aus dem Übel nötig ist. Das Gute soll ja auch in einer bösen Welt entstehen. Aber es wird sich innerhalb der bürgerlichen Politik ihm nicht entziehen können. Und so wird die Vision zum Träger einer Macht, die stets das Gute will und stets das Böse schafft (so erklärt sich der Teufel selbst in Goethes Faust). Wo die Wähler keine andere Wahl mehr haben, da müssen sie ihm folgen, wenn sie ihn nicht zum Teufel jagen können. Und das hängt davon ab, inwieweit sie ihre Lebensverhältnisse selbst in die Hand nehmen, inwieweit sie die herrschende Politik und die herrschende Ökonomie in einem überwinden können.

Die Auseinandersetzung hierüber ist das Anliegen dieses Textes. Er verläuft daher von der ökonomischen Krise über die Kapitalisierung der Politik zu ihrer Umkehrung zu einer menschlichen Ökonomie. Ich habe ihn mit dem Themenschwerpunkt betitelt: „Von der Volksherrschaft des Kapitals zur demokratischen Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums“.

Er besteht aus folgenden Teilen:

1. Die Volksherrschaft des Kapitals - oder die Selbstzerfleischung der repräsentativen Demokratie

2. Die Asche des Geldes: Hitzköpfe und verbrannter Geist (Verschwörungsangst und Bücherverbrennung)

3. Zwischen Armut und Emanzipation: Alternativen oder Veränderung?

4. Wie solidarisch kann solidarische Ökonomie sein? (Selbstorganisation, Gewerkschaft und Genossenschaft)

5. Über das Menschenrecht auf eine menschliche Gesellschaft

6. Ist der Kommunismus noch zu retten?

7. Wie kann eine Gesellschaft demokratisch wirtschaften?