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Wolfram Pfreundschuh (08.05.09)

Von der Volksherrschaft des Kapitals
zur demokratischen Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums

Teil 2 : Die Asche des Geldes: Hitzköpfe und verbrannter Geist - zur Bücherverbrennung der nazistischen Studenten und Profs

"Es sollte ein Fanal sein, und es wurde ein Fanal des neuen Deutschlands, als in jenem Mai im Jahre 1933 in vielen deutschen Städten, vor allem in den Universitätsstädten, die Scheiterhaufen brannten. Es waren Bücher, die da vernichtet wurden: Schriften von Heinrich Mann, Arthur Schnitzler, Erich Maria Remarque, Lion Feuchtwanger, Carl von Ossietzky, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky, Erich Kästner und vielen anderen Autoren, die heute zu den Klassikern zählen, den Bücherbrennern damals aber als "unsittlich", als "dekadent" und "geschichtsverfälschend", als "jüdisch" und "volksfremd" galten. Die "Aktion" lief fast überall von Königsberg bis München nach demselben Schema ab: In Bibliotheken und Buchläden wurden missliebige Schriften beschlagnahmt, aufgesammelt und zu abendlicher Stunde im Herzen der Stadt oder in der Nähe der Universität verbrannt, in München auf dem Königsplatz, am Kaiser- Friedrich-Ufer in Hamburg, in Frankfurt auf dem Römerberg. ...

Die "Aktion" war keineswegs, wie späterhin gern kolportiert, von Propagandaminister Joseph Goebbels angeordnet worden. Sie kam aus der Universität selbst, aus dem Kreis der nationalsozialistischen Studenten und Professoren. Sie waren es denn auch, die neben SA- und SS-Männern bei dem Spektakel Spalier standen und als "geistige SA" mit besonderem Feuereifer bei der nationalen Sache waren." (Benedikt Erenz in der ZEIT)

„Am 10. Mai 1933, wenige Wochen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, beteiligten sich 50.000 Münchnerinnen und Münchner an der Bücherverbrennung auf dem Königsplatz, die von Studenten der beiden Münchner Universitäten und der Deutschen Studentenschaft inszeniert wurde. ... In München begann der Terrorakt gegen das angeblich "volkszersetzende Schrifttum" mit einer pompösen Auftaktveranstaltung im Lichthof der Münchner Universität. Nach einem nächtlichen Fackelzug durch die Stadt wurde dann auf dem Königsplatz der Verbrennungsakt inszeniert, die Bücher der "Reichsfeinde" den Flammen übergeben. Viele der 1933 verbrannten Bücher sind bis heute weitgehend unbekannt.“

So steht es in einem Flugblatt von Wolfram Kastner, der am Sonntag wieder auf dem Königsplatz durch die Erzeugung eines Brandflecks daran erinnern wird, - auf dem wohl behüteten städtischen Rasen vor den Bauten des 1000jährigen Reichs, auf welchem längst Gras über diese Geschichte gewachsen ist.

Heute ist die Bücherverbrennung eingereiht in das Archiv des gewöhnlichen Geschichtsverstandes. Wie soll man auch noch verstehen, dass Studenten und Professoren der deutschen Hochschulen von sich aus dahin kamen, Bücher zu verbrennen, die doch Stoff ihrer Auseinandersetzung sind, den man annehmen oder ablehnen, beurteilen, relativieren oder verurteilen kann, der aber in jedem Fall das Denken durch Bedenken fördert? Wie konnten intelligente Menschen sich der Basis ihres Erkenntnisvermögens entziehen und sie sogar unzugänglich machen, ausrotten. Wie konnten sie überhaupt Gedanken, die sie kritisierten, befürchten? Wie konnten sie glauben, dass das Denken der Anderen lediglich eine Unreinheit des Geistes und dass diese durch die Vernichtung von Büchern überwunden wäre?

Offenbar hatte der Verstand der Menschen ausgesetzt, die ehrfürchtig an den Verbrennungsakten teilnahmen, die Studenten in ihren Verbindungsfarben, die Professoren in ihren Talaren und die Bürger in ihrem empörten Gemüt. Offensichtlich waren sie irrational, voller Angst, dass es um ihre Zukunft schlecht stehen könnte. Das sagte ihnen ihr Gefühl. Sie waren in einer panikartigen Ahnung, dass ihr ganzes gesellschaftliches Sein auf dem Spiel stand. Die Zerrüttungen der privaten, industriellen und staatlichen Vermögen  hatten tiefe Besorgnis erzeugt. Die bürgerliche Gesellschaft funktionierte nicht mehr.

Das wollten sie nicht wahr haben. Erwachsene Menschen, die es hätten wissen können, wenn sie denn genügend hierüber nachgelesen hätten, wollten, dass es das Werk feindlicher Kräfte und böser Gedanken sei, die ihre gesellschaftlichen Werte zerstört hatten, dass es  das Machwerk des Bösen sein musste, was ihre Republik an den Rand des Abgrunds gebracht hatte. Wie anders sollte zu verstehen sein, dass ihr Geld ihnen unter der Hand zerronnen war, ihre Papiere wertlos und ihre Geschäfte mies geworden waren? Und wer sollte die übermächtigen Staatsschulden nun bezahlen, die sich im letzten Jahrzehnt aufgetürmt hatten? Was gut war, ist nicht mehr. Jetzt herrschte die Zersetzung, die Auflösung, der Untergang. Schuldige mussten gefunden werden. Wie ertappte Kinder weisen sie in die dunkle Ecke. Die Abartigkeiten, die Monster der Finsternis, die dunkle Macht teuflischer Götter und die Weltverschwörungen habgieriger Geldraffer haben alles zugrunde gerichtet, was die abendländische Kultur in Jahrtausenden geschaffen hatte: Die guten Sitten, die alten Bräuche, die deutschen Ursprünge, den deutschen Geist. Jetzt sollten die Feinde des Deutschtums dran glauben, die „Stachel im eigenen Fleisch“ sollten gezogen werden.

So befand man das an den Biertischen, in der Presse, in den Kirchen und den Emporen und Lobbies der Politik. So wollte es eben nicht nur der Staat; - so wollten es Studenten, Professoren und ein großer Teil der deutschen Bevölkerung. Es war der Wählerwille jener Zeit, die Sehnsucht nach einem eigenem Kern, nach Ursprünglichkeit in der Asche der bisherigen Geschichte, die Sucht nach einer übermächtigen Identität. Das Spektakel der Bücherverbrennung sollte einen Gegner erklären, vor ihm Angst machen, sollte Menschen nach ihrer Gesinnung sortieren und Volksfeinde herstellen, damit der Grund allen Übels ausgerottet sei: Die Kommunisten, die Juden, die Freidenker und die Feinsinnigen, der kritische Geist schlechthin.

 

 

Der Populismus der Krisenzeit und die Wahl Hitlers

Ein paar Monate zuvor – im Januar 1933 – hatten sie Hitler zum Reichskanzler gewählt. Es sollte eine Hochzeit der deutschen Geschichte werden, ein tausendjähriges Reich, das aus dem Niedergang der Weimarer Republik neu erblüht und allen guten Deutschen endlich „Kraft durch Freude“ vermittelt. Sie wollten nach den unendlichen Entwertungsprozessen in ihrem Lebensalltag und dem offensichtlichen Niedergang ihres Parlamentarismus den Modergeruch ihrer Zeit beseitigen und ihre „eigentliche Größe“ wieder finden, den großen Geist der Deutschen, das deutsche Wesen, zur Weltherrschaft führen. Sie wollten nicht mehr schuldig sein am ersten Weltkrieg und keine Schulden mehr haben und keine Schulden mehr zahlen - vor allem nicht die Auslandsschulden. Der Schuldner wollte Gläubiger sein, Glauben machen und Glauben nutzen, den Glauben an das ganz Große, das Totale, das Heil für alle und jeden. Die Staatsverschuldung hatte die nationale Politik erstickt und ungeheueres Elend, Arbeitslosigkeit, Armut, Verwahrlosung und Hoffnungslosigkeit mit sich gebracht. In kurzer Zeitfolge waren mehrere demokratisch gebildete Regierungen verworfen worden, weil sie im Glaubenskrieg um die Finanzierbarkeit eines total verschuldeten Staates zerbrechen mussten. Die Weltwirtschaftskrise war zur Verfassungskrise geworden. Man wollte endlich einen starken Staat, - einen ungeheuer starken, einen, der stärker als die bisherige demokratische Verfassung sein sollte, einen Staat von höchster Befugnis und Macht, einen Staat, der selbst eine neue Gesellschaft sein sollte.

Der Kapitalismus war mit seinem Latein am Ende und eine neue Gesellschaftsform nötig. Das war jedem klar geworden. Die Zeit war heiß gelaufen und Hitzköpfe hatten das Sagen. Sie mussten nur die Demagogie der großen Vision zu nutzen verstehen und schon war mit den Belastungen der Gegenwart auch das gesamte Selbstverständnis der bürgerlichen Demokratie vergessen. Es musste nur jemand auftreten, der es verstand, alle wirklichen Bedrängnisse mit einer Geste beiseite zu fegen, und mit diesem Gestus die Bevölkerung eines ganzen Landes zu vereinen.

Allerdings musste der auch wissen, wie aus Schulden Kapital zu machen ist, wie die Schuldenfalle der Republik sich auflösen lässt. Hitler und seine Berater wussten von vorn herein, dass dies nur durch einen zweiten Weltkrieg zu erreichen war. Viele deutsche Industrielle standen hinter ihm, aber auch Künstler, Bildungsbürger, Bedienstete, Arbeiter und andere, die nur wollten, dass alles jetzt wieder besser werder. An das Gute kann man immer glauben und man war es auch noch irgendwie gewohnt, dass alles sich zum Guten auflösen lässt. Das haben Krisen nun mal so an sich. Das Verfängliche an einer finalen Krise des Kapitalismus jedoch ist, dass ihr immer eine Hochphase, die Blüte der Kapitalfiktionen, die Blähungen seiner Wirtschaftsblasen vorausgeht. Von daher wird der Absturz der Wirtschaft besonders krass und wie ein Unglück inmitten einer Hochglanzperiode erlebt. Gerade war man noch betört von den Geschäften der Hochfinanz und der Kulturindustrie, - und schlagartig soll davon nichts mehr Fortbestand haben? Das will man nicht glauben. Und die Wut und Empörung gegen den Entzug schöner Lebens- und Konsumgewohnheiten wird zu einer massenhaften Protestwelle.

Aber die Masse hat ihre eigene Gesetzmäßigkeiten. Vor allem verdichtet sie das Komplexe zu einem Klumpen des Populismus. In ihr kommt zum Tragen, was dem Selbstverständnis des gewohnten und unbeschadeten Lebens zukommt, wie man es von früher kannte und wie es immer seine und bleiben soll: Eine heile Welt ohne Last und Unglück. Denn die Welt war zu kompliziert geworden, zu abgehoben, so weit in den Himmel gewachsen, dass vom kleinen Mann und der kleinen Frau nichts mehr zu merken war. Die Wut des kleinen Mannes ist der Kern des reaktionären Bewusstseins. Es will sich zurückwenden, auf die Fortschritte der Modernen reagieren, ihre Seinsvergessenheit, ihre Leichtigkeit und Leichtsinnigkeit abmahnen und ihren Glauben an die Technik und Automation relativieren. Und es will dabei sich gestählt durch Tradition und Bewährung erweisen, denn es muss sich selbst edler und besser vorkommen, um nicht wieder unterzugehen in den Geschäften der großen Leute.

Die kleinen Leute gab es in Massen. Sie sind das Produkt des Niedergangs einer breiten Mittelschicht. Und sie folgen immer noch gerne der großen Gestik, weil es die kleinen Probleme in den Niederungen ihrer Existenz waren, die sie niedergezwungen hatten. Aus den unendlich vielen und unübersichtlichen Kleinigkeiten hatte sich der großer Zusammenbruch ergeben. Jetzt sollte das Große das Kleine beherrschen. An die Größe des vereinigten Menschseins wollen sie jetzt glauben, an die Großartigkeit des gereinigten Wesens, der großen Seele des Volkes, an das gute Gemeinwesen des Staats, an die großen Ideen und die reine Art, an die Natur des Wesens. Der deutsche Idealismus feierte schon immer mal wieder seine Urständ. Nicht nur in Deutschland. Man musste ihn jetzt nur zu einer unbezwingbaren Autorität machen.

Zugleich war die Arbeiterklasse der eigentliche Krisenverlierer. Aus verbranntem Kapital wird frisches nur durch erneute Arbeitsleistung. Deutschland aber war erschöpft und hatte keine Reserven mehr, weder aus seiner Kolonialzeit noch aus seinem Sozialprodukt. Es blieb alles an den Arbeitern hängen. Ihnen wurde immer mehr Leistung abverlangt, und wer nicht mehr mit konnte, wurde ins Elend verbannt. Die Arbeiter spürten ihre Lage am deutlichsten und empfanden auch ihre Ausweglosigkeit sehr klar. Sie waren zwar zu jedem Kampf bereit, aber sie waren durch die Nebelschwaden der Sozialdemokratie und dem Politgetöse der Parteikader auch ohne Wissen und Strategie geblieben, die ihrer Lebenssituation und ihrem unmittelbaren Bewusstsein entsprach. Die „deutsche Revolution“ war an ihrer rein politischen Formation schnell gescheitert. Weder das Gesicht noch der Grund des kapitalistischen Gegenübers war kenntlich geworden.

So entdeckte schließlich der Werkzeugschlosser und Arbeiterführer Anton Drexler die wahren Schuldigen, die Personifikationen des Finanzkapitals, die Juden, und damit das nationalsozialistischem Pathos, das mit seiner Schrift „Mein politisches Erwachen“ unter die Leute kam. Am 5. Januar 1919 hatte er bereits die Deutsche Arbeiterpartei gegründet. Nun traf Adolf Hitler hinzu – bis dahin noch nicht sonderlich auffällig als Antisemit. So war die NSDAP entstanden.

An den deutschen Universitäten war es das moralische Erwachen, das verübt wurde. Wo kein Wissen über die Verhältnisse selbst mehr erzeugt wird, wo die Ursachen unhinterfragbar werden weil sie als purer Sachzwang wahrgenommen werden, da bezichtigt Moralismus den Problemträger, selbst das Problem zu sein, das er hat, - bezichtigt ihn, gegen ein Sollen verstoßen zu haben, weshalb sei, was nicht sein soll.

Die sozialen Konflikte werden in Krisenzeiten immer unauflösbarer, weil die Mittel fehlen, etwas zu verbessern, zu ändern oder zu beeinflussen. Wirtschaftliches Elend und wirtschaftliche Not erzeugen Ruin und Zerrüttung, Gewalt und Kriminalität, Sucht und Zusammenbruch. Die Wissenschaften und ihre Anwender wurden immer mittellloser, das wirtschaftliche und soziale Unrecht wurde immer krasser, und es wurde daher auch immer gewaltsamer vom Staatsrecht sanktioniert, polizeiliche Härte zum staatlichen Prinzip der Gefügigmachung, der Staat zum Polizeistaat.

Für die Intelligenz wird in einer solchen Situation die eigentliche Aufgabe, gesellschaftliche Probleme zu lösen und gesellschaftliche Entwicklung zu befördern, unerquicklich. Sie bezieht sich daher eher wieder auf ihren eigenen Standort im Kulturbürgertum, als dass sie sich sonderlich mit den wirklichen gesellschaftlichen Problemen abgibt. Mit Moralismus schottet sie sich hiervon ab und durch höhere Werte und Esoterik wendet sie sich ihrem Selbsterleben als Kulturelite zu. So wie Armut und Reichtum wirtschaftlich längst auseinander gedriftet waren, sind es nun auch die Kultureliten von der „Welt des kleinen Mannes“. Während hier immer enger und einseitiger und einfacher gehandelt werden muss, verspinnt sich die Welt der Bildungsbürger und Kultureliten hinter dem Raunen ursprünglicher Wahrheiten, die keine mehr sind, hinter Wunschträumen und höheren Gefühlen, die ihnen heile Gedanken und heile Welten eröffnen. In den Eliten erblühen die Sehnsuchtswelten des Reinen und Schönen und sie bilden von selbst die heilige Ordnung, die auf keine andere sich beziehen muss und sich deshalb als bloßes Kulturmaß verhält, das Maß dessen, was schön und gut sei. Von daher werden auch die Funktionäre der Elite, die Staatsagenten, Wissenschaftler und auch bedienstete Künstler zu Kulturfunktionären einer Staatsordnung, die sich nun als Kulturstaat konstitutioniert. Ihr „höheres Wissen“ wird zur Agentur einer ungeheuerlichen Sinnesgewalt, einer Macht der Gesinnungsordnung, welche mit staatlichen  Mitteln Kulturbestimmungen setzt und durchsetzt, als sittliche Gewalt Staatsgewalt verübt, die Kultur zu bewahren sucht, um das Staatswesen abzusichern und Staatsgewalt und militärische Gewalt zu kulturell zu legitimieren.

Die Bücherverbrennung war der Eröffnungsakt des Faschismus der Kultureliten, der faschistischen Intelligenz.

 

Über diesen Zusammenhang hat Emanuel Kapfinger recherchiert und sich Gedanken gemacht mit seinem Beitrag: Kulturbewahrung als Kulturzerstörung - Gründe und Ziele der Bücherverbrennungen 1933

 

Kultur und Politik

Das ist wohl klar geworden: Wo die bürgerliche Gesellschaft im Untergang begriffen ist, da erstarken die Reaktionäre, die Funktionäre der höheren Wahrheit, der gehobenen Pflicht und Schuld. Es sind die Verbündeten einer durch Schuld vermittelten Gesellschaft, dem Feudalismus. Sie wollen den Kapitalismus feudalisieren, um ihn zu retten und zu verewigen. Sie fühlen sich geschichtlich berufen, das Gute zu bewahren, und verurteilen Veränderung und Fortschritt, der für sie eine Gefahr der Ungewissheit darstellt. Doch woher kommt ihr Größenwahn, woher die Bezichtigung, der Hass auf alles Fremde und Unreine, gerade dann, wenn es um das Überleben einer ganzen Gesellschaft, der eigenen Gesellschaft geht? Was bringt die Menschen dazu, ihre Schlächter auch noch zu wählen, ihren Metzger zu verehren? Was lässt ihn wie einen Erlöser erscheinen? Was macht diesen wahnhaften, diesen überlebensgroßen Glauben an die Größe des Überlebens, an die Macht einer Omnipotenz aus? Und warum machen dieselben Menschen ihre eigenen Leute nieder? Warum fürchten sie Ihresgleichen?

Die kapitalistische Krise stellt in ihrer Konsequenz einen Zusammenbruch nicht nur des Kapitalismus, sonder des gesellschaftlichen Organismus schlechthin dar, der in der Folge alle gesellschaftlichen Bereiche niedermacht und abzieht, Kultur, Politik, Wissenschaft und Kunst und anderes. Die wichtigsten stofflichen Funktionen funktionieren nicht mehr richtig, wenn das Geld, das alle bürgerlichen Verhältnisse gesellschaftlich vermittelt, nicht mehr funktioniert. Es geht den Menschen in dieser Situation um ihr Überleben als Mensch in den ungeheuerlichen Verwüstungen ihrer Gesellschaft. Leni Riefenstahl hat ausgesprochen, was ihr in jener Zeit der großen Not durch den Kopf gegangen war: Sie wollte trotz allem dabei sein, Künstlerin sein, nicht inmitten einer Welt voll unstillbarem Überlebenswillen auf sich, auf ihre elendige Individualität verworfen werden. Sie wollte auch selbst Herrin sein, um nicht gar nichts zu sein. Und sie machte Filme von herrschaftlicher Schönheit, Ästhetik der Macht.

Der Glaube an das Edle und Gute

Der Kult um das Große und Edle entspringt der Notwendigkeit des Überlebens in einer verwüsteten Welt und verschafft sich eine entsprechend abstrakte Identität durch die hierzu nötigen Charaktere. Wer herrschen will, kann dies nur in der Charaktermaske des Übermenschen, in den Flexionen einer ungeheuerlichen Autorität, die alles kontrollieren kann, was sie bestimmen will. Ihm fliegen die Menschen in gutem Glauben an das Gebotene, weil Nötige, zu. Es ist der Glaube an den Helden, der Größe erwirbt, weil er überleben muss, und der überlebt, weil er an das Große auch glaubt. Jeder muss ihm nacheifern, will er sich in dieser Welt noch behaupten. Das ist so kindisch wie trivial. Das Heil steckt in der Größe und Macht des Ganzen, der Totalität, wenn die wirklichen Lebenszusammenhänge zusammengebrochen sind. Aber in der gesellschaftlichen Verwüstung kann es nur eine Macht der Nichtigkeiten und Nichtungen geben, die sich zu einer Vernichtungsmacht emanzipieren muss, um überhaupt Wirklichkeit zu erlangen. Wer in einer vernichteten Wirtschaft herrschen will, kann nur durch Vernichtungsmacht bestehen, kann nur bezichtigen, um für eine Zucht und Ordnung zu stehen, die Großes von sich behauptet, indem sie es zu werden verspricht. Und die es wird, wenn sie zu züchtigen versteht.

Die Basis einer solchen Macht ist eine Gesellschaft, worin die Menschen zu keiner gesellschaftlichen Kontrolle mehr befähigt sind, worin jeder Mensch sich nur als völlig vereinzeltes Individuum erfährt, als gesellschaftlicher Mensch verworfen ist, indem alles Gesellschaftliche an ihm isoliert und auf eine Eigenart des Menschseins reduziert wird. Jeder Einzelne gilt für sich als nichts. Aber ihm wird eine gesellschaftliche Natur zugesprochen, eine völkische Natur. Von seinem wirklichen Menschsein wird er abgespalten, aber in dieser Isolation zu einer naturbestimmten Individualität einer abstrakten Gesellschaft, zum Körper eines Volkes befördert. Er bezieht sich daher auf sich selbst wie auf ein übergesellschaftliches Wesen, das sich grundlos erscheinen muss, weil es keinen Grund mehr außer sich hat und sich selbst nur als Moment eines allgemeinen Grundes weiß. Ein solches Individuum ist selbstlos und folgsam, weil es seiner Art folgen muss. Ohne dies kann es auch nicht mehr gesellschaftlich wirksam werden, weil seine Gesellschaftlichkeit nun vollständig außer ihm bestimmt ist. Auf diese Weise verkehrt sich Gesellschaft zu einem individuellen Naturmenschen. Jedes Individuum wird unmittelbar zu einer gesellschaftlichen Naturgestalt. Gesellschaftlichkeit gilt dann überhaupt nur als Art einer bestimmten Körperlichkeit von Menschen, als bestimmte Naturalform, die als Naturgestalt des Menschseins, als bestimmte Eigenschaftlichkeit der menschlichen Natur oder als Rasse begriffen wird.

Daher erscheint auch alles Verhalten letztlich aus dieser Natur begründet, aus dem naturhaften Willen der Individuen, aus der Masse dieser Horde Menschen, die nur durch Führung zum richtigen Menschsein gesellschaftlich angeleitet werden können, soll ihre Gesellschaft Bestand haben. Jede Selbstbestimmung ergeht von daher nur aus der Macht dieses Willens. Jeder wird sich selbst zum Gegner, weil er sich nur darin erkennen kann, was er wollen muss, um in Gesellschaft zu sein. Sein Hass gilt allen Menschen, weil er sich unter dieser Bedingung selbst hassen muss, wie er sie hassen muss, die seinesgleichen sind und ihn hierdurch mit bestimmen. Und so wird er zum Gegner seiner eigenen Klasse und der Staat zu einem unmittelbaren gesellschaftlichen Subjekt, das einzig und alleine menschliche Güte zu vermitteln hat – als Belohnung, als Tadel und eben auch als Strafe. Gesellschaftlich bestimmend kann hier nur ein Wille werden, der zu herrschen versteht.

Der Nationalsozialismus war von daher eine groteske Form des Selbsthasses, eine sadomasochistische gesellschaftliche Formation von vernichtender Omnipotenz, die durch übermächtige Selbstbezogenheit jeden Menschen zu absoluter Selbstlosigkeit bestimmt. Er ist das Produkt einer allgemeinen und massenhaften Selbstbeziehung, in welcher die Menschen sich nur durch ihre Selbstveredlung an ihrer Gesellschaft beteiligen können. Hierdurch nehmen sie Teil am Wesen eines Staates, der sich praktisch nur noch daraus begründet, dass er das Unedle, das Unreine, das Eigenartige oder das wirkliche Eigene aus sich heraussetzt und verfolgt. Sein Idealismus ist absolut, autoritär und unmittelbar praktisch. Und während er wie ein rein ästhetischer Wille funktioniert, sind die Bedürfnisse der Menschen hiervon beherrscht und ausgeschlossen. Er befriedigt nichts, aber er befriedet die Menschen, die ihm folgen, indem er die Menschen bekämpft, die sich ihm widersetzen. Das Schaf will nicht geschlachtet werden und es folgt seinem Schlächter doch in der idiotischen Hoffnung, durch Folgsamkeit unauffällig zu sein und von ihm frei zu kommen. Der Idealismus der Faschisten ist daher nicht einfach nur theoretisch und auch nicht einfach nur autorität. Er ist die Funktionalität einer staatspolitischen Symbiose, welche ihre Objekte subjektiv bestärkt, indem sie ihre Einzelheit allgemein wahrnimmt, und sie bestärkt sich, indem sie deren Kraft und Vermögen im Zweck ihrer Totalität und ihres Totalitarismus aufzehrt. Indem ein solcher Staat die Arbeit sich einverleibt, die er den Arbeitern durch seine Staatsschuld zusätzlich aufzwingt, erzwingt er zugleich deren Gehorsam als staatspolitisch funktionale Personen. Er hat den Kapitalismus auf ein plattes Feudalsubjekt zurückgeführt und reduziert. Er funktioniert als konkreter Übermensch, indem er seine Macht als herrschenden Willen an den Menschen vollstreckt, die ihn auch noch nähren müssen.

 

Faschismus ist logisches Resultat der Kapitalverwertungskrise

Der deutsche Faschismus wird immer wieder gerne als missbrauchte Demokratie, als Gebrauch der Staatsgewalt von illegitimen Machtinteressen beschrieben. Das aber ist grundsätzlich falsch. Wie der Verschuldungsstaat die Konsequenz aus der notwendigen Verselbständigung des fiktiven Kapitals auf den Aktienmärkten ist, so ist der Faschismus die logische Fortentwicklung der repräsentativen Demokratie hin zum Meinungsterror eines Gesinnungsstaats, der durchaus auch in der Lage ist, den Wählern sein Handeln als notwendig und hilfreich zu belegen. Tatsächlich wurde durch den Hitlerstaat die Arbeitslosigkeit und das soziales Elend der 20ger Jahre erheblich gemindert. Wenn es drum geht, so hätten es Schäuble oder Merkle oder Steinbrück auch nicht anders machen können. Es ist wohl schwer zu begreifen, dass der staatliche Wille der Faschisten auch bei den schillernden Kulturfacetten ihrer Legitimation letztlich selbst nur funktional ist, dass es den faschistischen  Staat selbst auch nur als praktische Konsequenz, als Notwendigkeit des niedergehenden bürgerlichen Staates gibt, - dass es also nicht nur Wille, nicht nur Kulturalismus, nicht nur Demagogie, sondern vor allem sachliche Notwendigkeit des Staates ist, der seine Bürger beherrschen muss, um ihnen die Leistungen abzuverlangen, welche die gesellschaftlichen Funktionen wieder in Gang bringen und seine Schulden bezahlen und seine Banknoten und Devisen decken.

Auch heute weiß niemand in Deutschland, wie und von wem die irrsinnigen Kapitalaufnahmen des Staats je zu bezahlen sind. Man hofft auf eine breite Streuung in die Zukunft, in der sich aus irgendwelchen, jetzt noch nicht erkennbaren Gründen durch hohe Gewinne und sogenannte Finanzhebel wieder alles zum Guten wenden soll. Doch damit sich Gewinne ergeben und Hebel greifen können, verlangt das vor allem einen hohen Absatz der Produkte, also nicht nur Beschleunigung und Erhöhung der Produktion, sondern vor allem die massive Verbesserung der Konsumtion und Rationalisierung der Arbeit und der Arbeitskosten. Und das müsste heißen: Die Arbeiter bekommen weitaus bessere Löhne, dass sie wieder besser einkaufen können, bekommen mehr Freizeit, damit die Arbeitslosigkeit weniger Belastung darstellt und die Eltern werden besser für die Ernährung und Ausbildung ihrer Kinder ausgestattet. Auch wenn noch viele Gewerkschafter glauben, dass dies möglich ist und auch wenn die Grünen schon die Chancen für vernünftige Staatsausgaben, für einen grünen Kapitalismus sehen und damit das Bruttosozialprodukt mitsamt den Löhnen wachsen könnte: Genau das wird und kann nicht eintreten, weil die Gründe der Kapitalisten, die kapitalistische Produktion in Gang zu halten, dann nurmehr schwinden können.

Das wesentliche Problem des Kapitalismus ist nicht die Geldverteilung, sondern der tendenzielle Schwund der Verwertbarkeit der Kapitalanlagen. Das lässt sich nun schon über lange Zeit zurückverfolgen. Der Grund hierfür ist, dass Maschinanarbeit und Automation immer weiter entwickelt werden und dabei relativ zum gesamten angewandeten Kapitalwert immer weniger realen Wert erzeugen können. Tendenziell ist das Produkt aus Maschinenarbeit und Automation immer weniger wert, weil es allein menschliche Arbeit und ihr Lohn sein kann, was den Kreislauf von Produktion und Konsumtion in Gang hält.

Es ist absurd, dass die menschliche Geschichte immer noch und immer wieder an diesem Ende der Staatskapitalisierung und Feudalisierung angelangen muss. Es ist absurd, weil es beim heutigen Stand der Produktivität und Automation keine stoffliche Notwendigkeit mehr gibt, den Menschen den gesellschaftlichen Reichtum vorzuenthalten, den sie erzeugen. Es ist absurd, ihnen Arbeit zuzumuten, die sie nicht wirklich weiterbringt, weil sie zum größten Teil nur noch Kapital erzeugt, das sich als politische Macht gegen die Menschen verhält. Es ist absurd, dass ihre Ohnmacht zur Verpreisung von hohen Mieten, Energiekosten, Kommunikations- und Verkehrsmittel genutzt wird, die sie auf Dauer in ihrem Konsumtionsvermögen immer mehr beschränkt. Und es ist absurd, dass sich Menschen abrackern, damit sich Kapital bildet, das sich zur Risikoabsicherung in fiktives Kapital verwandeln muss und sich schließlich immer wieder auch selbst zugrunde richtet, weil es auf dem Finanzmarkt immer wieder seinen Wert verlieren muss. Alles frische Geld der Welt kann es auf Dauer nicht decken. Und der Kapitalismus ist auch durch die beste Notenpresse auf Dauer nicht zu retten. Er zerstört durch seine immanente Logik alle seine Grundlagen, wo er sie nutzt, weil er im Prinzip sie nur vernutzen kann: Mensch, Natur, Kultur und Gesellschaft.

Es muss deshalb endlich darum gehen, dass die Menschen eine Gesellschaft verwirklichen können, in der das gesellschaftliche Produkt auch wirklich auf sie zurückkommt, der gesellschaftliche Fortschritt der Produktivkräfte auch ihren Fortschritt ausmacht und der privaten Verfügungsmacht des Kapitals entwunden wird. Darüber soll es in den nächsten beiden Sendungen gehen.

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