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222. Die objektivw Subjektivität der erzieherischen Symbiose

Die zwischenmenschlichen Beziehungen, die daraus bestehen, dass Menschen andere Menschen nach sich ziehen, sind deshalb erzieherisch zu nennen, weil darin der Inhalt, der über eine Person der anderen angeraten wird, sich persönlich darstellt, wiewohl er außer der Beziehug selbst seinen Grund hat. Es geht bei dieser erziehenden Beziehung wesentlich um die Herstellung eines verinnerlichten Gebots, welches der inneren Nichtigkeit der wirklichen Bezogenheit entgegentritt und die darin auftretenden Ungewissheiten beherrscht, indem es der Selbstvergegenwärtigung in diesem Verhältnis dienlich ist. Es geht also um ein Gewissen des "Bezogenseins", das nur moralisch wirksam sein kann, weil es seine Grundlagen aus einem Machtverhältnis in dieser Beziehung erfährt. In deren Bestimmung geht es schlicht um die Mittel und Möglichkeiten einer Einpassung von abhängigen Menschen in ein Lebensverhältnis, das zunächst vielfältige Formen haben kann, z.B. als Ausbildungsstätte, Arbeitsplatz, Familie, Schule, Waisenhaus, Gefängnis oder Bundeswehr und alle anderen Beziehungsformen autoritärer Charaktere oder Institutionen.

Die Fähigkeiten und Wege der Menschen ergeben sich immer aus ihren wirklichen Möglichkeiten, auch aus dem Beistand von anderen Menschen, Betreuern und Eltern und Geschwister usw. Nur aus Liebe tun die Abhängigen, was ihnen hier geheißen wird, aus Liebe folgen Kinder ihren Eltern und oft auch Schüler ihren Lehrern usw. - obwohl sie zugleich dies müssen, weil ihre Existenz darin gegeben ist. Die Einpassung in solche Existenz vollzieht sich daher als Unterordnung des einzelnen Menschen unter die Vernunft einer Gesellschaft, wie sich in diesem Lebensraum bietet. Und diese Vernunft ist von vielerlei Tücken geplagt: Deren hauptsächliche ist die Liebesschuld, unter welcher Erziehung funktioniert, wenn sie zugleich lebensverpflichtung ist. Solche Vernunft ist also immer doppelbödig, weil das Nötige zugleich als das Geliebte geboten wird.

Eine erzieherische Beziehung betreibt das Hineinziehen von Menschen in eine Lebenswelt, in welcher sie sich nicht frei entfalten, also weder ihre Freiheiten noch ihre Notwendigkeiten sich entsprechend gestalten können. Hierdurch entwickeln sie keinen wirklichen Sinn füreinander, sondern einen Sinn, in welchem sie seelisch gebeugt sind, um ihrer Beziehung Seele zu verleihen. Darin entwickeln sich Gefühle, die als Gemeingefühligkeit nötig ist, um in der Lebenspflicht auch mit voller Seele füreinander da zu sein. Es ist das wirkliche Verhältnis einer Lebensschuld, die als Liebesschuld einer symbiotischen Bestimmung gegeben und zur Selbstvergewisserung nötig ist. Nur hierdurch kann Liebe als Lebensnotwendigkeit erscheinen, denn eine Beziehung durch Erziehung vermittelt Lebensnotwendigkeiten als Liebesbeweis. Sie setzt damit außer Zweifel, dass es solche Lebensnotwendigkeiten gibt und macht sie hierdurch unhinterfragbar. Es zeigt sich darin das doppelte Verhältnis, was Erziehung auch wirklich ausmacht: Ziehen als Moment einer Fremdbestimmung und mitziehen als Moment der Wegbegleitung.

Erziehung unterscheidet sich von den Lern- und Entwicklungsgeschichten der Menschen darin, dass sie die Gebotenheiten eines isolierten Lebens als Notwendigkeiten des Lebens überhaupt mitteilt und darin zugleich vermittelt. Es geht also wesentlich nicht um das, was hierfür gerne vorgegeben wird: wirkliche Bildung, Moral- und Wissensvermittlung. Es geht schlicht um die Mittel und Möglichkeiten einer Einpassung von abhängigen Menschen in ein Lebensverhältnis, das für die beteiligten Menschen nicht unmittelbar sinnvoll sein kann, weil es nur durch eine Vermittlung Sinn macht. Es ist ein Verhältnis, worin sich die Menschen zu einer Wirklichkeitsform ihrer Beziehung erziehen müssen.

Es werden durch die Erziehung zwar Inhalte vermittelt, aber was diese bestimmt, ist die Lebensform, worin und wofür sie Mittel sind. Erziehung ist durch den Lebensraum bestimmt, in welchem sie stattfindet, und ist zugleich für ein Leben, das darin nicht stattfindet.

Erziehung wäre lediglich Machtinstrument von Autoritäten eines Lebensraums, also nicht das, was sie sein will, wenn sie ihre Vermittelheit nicht begreift. Sie ist kein Mittel, um Probleme des Lebensraums selbst zu bewältigen oder einzuregeln. Auseinandersetzungen innerhalb der Familie würden per Erziehung nur durch Macht aufgelöst, wenn sie nicht in Hinblick auf das ihr äußere Leben in Beziehung gebracht werden. Erziehung zur Auseinandersetzung reflekt also immer schon ein Leben jenseits dieses Lebensraums.

Auch wenn z.B. Kinder zum "richtigen Fernsehen" erzogen werden, so geschieht dies in Hinsicht auf ihre Fähigkeiten, eine Beziehung zu den Inhalten des Angebots zu bekommen und damit umgehen zu können. Für den häuslichen Lebensraum selbst ist Fernsehen entweder nur Unterhaltung oder Form einer Information oder dergleichen. Hierfür kann nicht erzogen werden.

Erziehung ist immer doppelt, bedingt durch einen Lebensraum und dessen Identität, die wahrgehabt wird, Basis der Selbstgefühle darin ist; zum anderen bestimmt durch die Inhalte, welche als äußere Lebensnotwendigkeit vermittelt werden und welche doch eigentlich nachempfunden werden sollten. Das ist ein Unding, wo doch nichts empfunden werden kann, was nicht wirklich ist, also alles nur gefühlt wird, was sein soll. Empfindung tritt in der Erziehung nur als gedoppeltes Gefühl auf, als Entzweiung von Beziehung und Sein im Selbstgefühl, als geliebte Notwendigkeit eines Lebensraums. Die Menschen sind in diesem Verhältnis füreinander, was sie in ihrer Bezogenheit sein sollen.

Erziehung geschieht in jedem Lebensalter, - eben immer dann, wenn die Beziehung der Menschen aufeinander keine wirkliche, keine in ihrer Wirklichkeit bestätigte Inhalte einer Lebensform findet. Auch wenn die zunächst am meisten als Familie oder auch als Schule oder Ausbildungsstätte besteht, so ist das Wesentliche dieser Institutionen nicht ihre gesellschaftliche Funktionalität, sondern der Lebensraum erzogener Beziehungen, den sie darstellen und der auch in allen anderen möglichen Institutionalisierungen auftreten kann (z.B. in Vereinen, Kirchen, Sekten, politischen Gruppierungen usw.)

Es ist ein Lebensraum, in welchem die Menschen sich durch ein gemeinschaftliches Sollen vergegenwärtigen, durch eine in Freiwilligkeit anerkannte Notwendigkeit, in welcher sie nur sein können, wenn sie deren gemeine Not auch anerkennen. Hier ist das gemeinhin Gewöhnliche nicht mehr wohnlich und hat keinen konkret wirklichen Sinn. Es herrscht als notwendiger Sinn für etwas, das nicht anwesend ist, also für eine abwesende Sinnlichkeit. Es geht hier also um ein Verhältnis, worin die Menschen objektiv bestimmt sind durch einen Sinn und Zweck, der nur durch seine Abwesenheit nötig ist (z.B. der Sinn für Wissen, Fähigkeiten, Sorgen, Probleme usw.). Von daher muss es in solchen Lebenszusammenhängen immer Vermittler geben, welche die Beziehungen in abwesender Sinnlichkeit gestalten: Erzieher.

Im Grunde sind die Menschen, welche einen abwesenden Sinn erwerben wollen, immer Schüler, die etwas lernen müssen. Sie suchen in solchen Zusammenhängen einen Meister, der sie darin lehrt und befähigt. Der Zweck des Lernens läge aber in den Menschen selbst und nichts treibt z.B. Kinder mehr an, als ihre Neugierde. Aber wo Lernen nicht aus sich heraus begründet sein kann, weil es etwas gibt, was gelernt werden muss, da setzt Erziehung dann auch wirklich ein.

Im Verhältnis von Subjekten und Objekten der Erziehung, also besonders im Verhältnis von Eltern und Kindern oder LehrerInnen und SchülerInnen, gestaltet sich die eigenartige Innigkeit einer objektiv begründeten Notwendigkeit. Nur aus Liebe tun die Abhängigen, was ihnen hier geheißen wird, aus Liebe folgen Kinder ihren Eltern und oft auch Schüler ihren Lehrern usw. - obwohl sie zugleich dies müssen, weil ihre Existenz darin gegeben ist. Die Einpassung in solche Existenz vollzieht sich daher als Unterordnung des einzelnen Menschen unter die Vernunft einer Gesellschaft, wie sich in diesem Lebensraum bietet. Und diese Vernunft ist von vielerlei Tücken geplagt: Deren hauptsächiche ist die Liebesschuld, unter welcher nur Erziehung funktionieren kann. Solche Vernunft ist also immer doppelbödig, weil dat Nötige zugleich als das Geliebte geboten wird.

Wieweit die Erziehung der wirklichen Lebensgestaltung der Zöglinge wirklich widerspricht hängt davon ab, wie weit sie sich in dem gebotenen Lebensraum selbst verwirklichen können oder nicht. Wesentlich ähnlich sind zumindest die Lebensbedingungen von Eltern und Kiondern, soweit sie sich in demdselben Haushalt befinden. Hier könnte Erziehung daher am ehesten funktionieren, wenngleich sie dabei vor allem ihren doppelten Grund entwickelt. In der Schule ist der Ort der Erziehung schon wesentlich komplizierter, weil hier mehr auf die Zukunft der einzelnen Persönlichkeit verwiesen werden muss, denn auf eine liebevolle Gemeinschaftsexistenz. Aber auch hier besteht noch beides. In der Berufsausbildung stehen demgegenüber die Fähigkeiten und Wissensinhalte im Vordergrund, wodurch die eigentliche Erziehung eher zurücktritt. Wir kümmern uns hier aber nur um diese.

Erziehung betreibt das Hineinziehen von Menschen in eine Lebenswelt, in welcher sie sich nicht frei entfalten, also weder ihre Freiheiten noch ihre Notwendigkeiten sich entsprechend gestalten können. Hierdurch entwickeln sie keinen wirklichen Sinn füreinander, sondern einen Sinn, in welchem sie seelisch gebeugt sind, um ihrer Beziehung Seele zu verleihen. Erziehung entwickelt Gefühle, die als Gemeingefühligkeit nötig ist, um in der Lebenspflicht auch mit voller Seele füreinander da zu sein. Es ist das wirkliche Verhältnis einer Lebensschuld, die als Liebesschuld gegeben und nötig ist. Nur hierdurch kann Liebe als Lebensnotwendigkeit erscheinen, denn Erziehung vermittelt Lebensnotwendigkeiten als Liebesbeweis. Sie setzt damit außer Zweifel, dass es solche Lebensnotwendigkeiten gibt und macht sie hierdurch unhinterfragbar.

 

222.1 Der gewöhnliche Gemeinsinn

Die in der Erziehung begründete Entzweiung des Selbstgefühls als Selbstgefühl eines Sein-Sollens und eines gewöhnlichen Selbstgefühls in einem Lebensraumes für sich, welche jedes Selbstgefühl in sich aufheben muss, kann nur in einer gemeinen Äußerlichkeit des Empfindens und Fühlens existieren, in einem Sin, welcher beidem gemein ist, ohne je eines von beidem wirklich zu sein. Es ist der gemeine Sinn eines Lebensraum, der keine Wirklichkeit außer sich hat, in welchem aber dennoch alle Notwendigkeiten und Freiheiten in einer wirklichen Bestimmung aufgehoben sind: Gemeinsinn. Darin begründet sich der Sinn einer Gemeinschaft, die keinen Sinn außer sich hat und die zugleich Wirklichkeit für sich sein muss, um gemeinhin sinnvoll zu sein. Ausführlich besteht solcher Sinn vor allem in dem innersten Lebensraum der bürgerlichen Persönlichkeit, der Familie, jedoch auch in dieser ähnlichen Abhängigkeitsformen (z.B. Religionsgemeinschaften, Sekten, Bildungsgemienschaften usw,). Wesentlich darin ist, dass die lebendige Zuwendung der Menschen zugliech notwendig ist, um ihr Leben überhaupt "zu meistern", um also eine Lebensform in einem an und für sich unsinnig gewordenen Lebenszusammenhang zu erhalten, Pflicht und Schuld gegenüber dem Leben im gemeinen Selbstgefühl, im Gemeinsinn aufzuheben.

Im Gemeinsinn (z.B. in einer Familie) hebt sich die Lebenspflicht darin auf, dass sie Lebensschuld überwindet, dass sie also ein Leben durch den Familiensinn gründet, an welchem prinzipiell jedes Familienmitglied teilnehmen kann, was immer es für sich ist und will und tut. So, wie man es darin gewohnt ist, wird befunden und empfunden. Es ist ein für jeden einzelnen Sinn wirklich gleichgültiger Sinn, in welcher alleine die Liebe der Lebenspflicht reflektiert ist, ihre Lebensfürsorglichkeit, die zum Gemeinsinn geworden ist.

Dieser versetzt zwar jeden in die Lage, an einer menschlichen Gesellschaft Teil zu nehmen und Teil zu haben, er verstellt aber zugleich auch die Möglichkeit einer wirklichen Selbstreflexion. So, wie er oder sie im Familiensinn reflektiert ist, so wird er oder sie auch wirklich wahrgenommen. Dessen Lebenswerte führen sich so hinterrücks als Liebeswerte der Beziehung ein und bestimmen das Selbstgefühl darin.

Da in der Familie natürliche Beziehungen von Menschen in einer bestimmten Lebensform zwischenmenschlich strukturiert sind, erscheint der Familiensinn zunächst naturnotwendig als eine Lebenspflicht, soweit es das organische Verhältnis besonders von Eltern und Kindern, besonders das Aufwachsen der nachfolgenden Generation betrifft. Ein Familiensinn ist notwendig, um eine Familie als zwischenmenschliches Verhältnis gerade dann funktionsfähig zu halten, wo die Menschen keinen wirklichen Sinn mehr füreinander haben. Von daher beruht er auf einem hierfür objektiv notwendigen Sinn für diese Gemeinschaft, die subjektiv in sich auch vollkommen gegensätzlich oder sogar widersinnig sein kann. Für die aus ihren natürlichen Verbindlichkeiten symbiotisch bestimmten Beziehungen ist eine Selbstbehauptung der unterschiedlichen objektiven Rollen (Eltern Kinder, Mann und Frau) nötig, die durch einen gemeinen Sinn zusammengehalten werden (siehe symbiotische Selbstbehauptung), und durch den natürlich erscheinen kann, was strukturell als bloße Schuldpflichtigkeit vorgegeben ist (siehe auch Schuldgefühl).

Weit mehr als die einzelnen Wahrnehmungen und Äußerungen bilden die Stimmungen in dieser strukturellen Einheit der Familie die Lebensgrundlage ihres Familiensinns und damit auch mehr oder weniger direkt des Selbstgefühls ganzer Generationen in der Ausgestaltungen ihres Lebensraums. Sie sind somit schon Keime einer Hörigkeit, in der das Zugehörige sein Geltungsstreben entwickeln (siehe hierzu auch Fremdenfeindlichkeit) und deshalb auch rassistisch werden kann (siehe hierzu auch Massengefühl). Dies allerdings notwendig erst, wo es für sich selbst kulturell verloren hat (siehe Selbstverlust) und widersinnig wird.

Unmittelbar entwickelt sich in solchen Verhältnissen eine Identifikation aller Beziehung mit diesem Verhältnis, also auch der Gefühle mit den Empfindungen darin. Widersprüche werden damit der Wahrnehmung entzogen. Und weil in Verhältnissen, die nur als Beziehung wahrgenommen werden, alles nur als das wahrgenommen wird, als was es wahrgehabt wird, entsteht darin eine Art ästhetische Weltfremdheit, also eine Entfremdung der Lebensgefühle von der Welt, weil darin die zwischenmenschlichen Gefühle ihren Empfindungen vorausgesetzt sind und zugleich als Lebensbedingung empfunden werden. Es entsteht hieraus eine Art Verhältnisschwachsinn zu wirklichen sozialen Beziehungen und den wirklichen Dingen und vor allem den Bedingungen einer Lebensgewissheit. Es verbleibt eine in den Gefühlen gedoppelte Empfindungswelt, die ihre symbiotische Selbstbehauptung bestärkt.

Dieser Verhältnisschwachsinn, der in einer chronischen Verständigkeit jeden Verstand in sich auflöst und also auch kein Bewusstsein nötig hat, verschafft sich sein Verständnis aus den Gewohnheiten seiner Lebenswelt. Dies zerstört vor allem die Fähigkeit zu deren Kritik. Denn die setzt eine Erkenntnis widersinniger Wahrnehmungen voraus, aus der ihrer Widersprüche überhaupt erst begreifbar werden.

Familiensinn ist daher ein vergemeinschafteter Sinn eines Selbstgefühls, welches aus dem objektiven Selbstgefühl einer Familie die Gemeinschaft der psychischen Ausprägungen des familiären Systems ausmacht und - so wie sie - sich aus ihrer gesellschaftlichen Not heraus zu einem hiervon abgetrennten Familiensystem isoliert, wie es sich als Sinn ihres Lebensraums ausgebildet hat. Es vereinen sich darin die Empfindungen und Gefühle zu einer familiären Symbiose in der Selbstwahrnehmung, durch die in der Familie sich das Lebensverhältnis im Verhalten objektiver Selbstgefühle allen gemein zu einer symbiotischen Selbstbehauptung entwickelt. Die Psyche entwickelt sich darin notwendig gegen eine veräußerlicht wirkende gesellschaftliche Lebensform wie ein Schutzraum und begründet darin ihre private Gefühlswelt als Familiensinn gegen die Wirklichkeit der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse (siehe Lebensburg).

Der Familiensinn macht den Zusammenhalt einer bürgerlichen Familie als ihr Übersinn aus, auch wenn diese nur aus zwei Menschen bestehen sollte, weil sie eine existentielle Liebesbeziehung ist. Er bestimmt sich durch die Bedeutungen, die Menschen ihrer Familie in der Abgrenzung von anderen Lebensverhältnissen geben, ergibt sich also zunächst negativ aus dem Nichtsein des Menschlichen in anderen Verhältnissen, aus der Suche nach einer menschlichen Identität in einem wirklichen Lebensverhältnis. Positiv nährt er sich aus dem Gelingen eines seelischen Lebenszusammenhanges, welcher außerhalb der Familie nicht ist und von daher die Wahrnehmung der Wirklichkeit bedrängt. Der Familiensinn ist daher ein Sinn, der das bestimmt, was nicht wirklich sein soll, was also auch in Wirklichkeit nicht sein darf, unbewusst bleiben muss, was dort wahrgehabt wird. Weil er auf ihrer Unwirklichkeit beruht, erzeugt er eine Schuld an ihrer Wirklichkeit, eine Pflicht zun ihrer Verwirklichung (siehe Schuldgefühl).

Aus diesem Grund macht der Familiensinn die Absicht der Eltern zur Lebensaufgabe der Kinder. Menschen, die diese Absicht weder umsetzen, noch ihr etwas entgegenstellen können, weil sie für sie unerkennbar ist, also er ihrer Erkenntnis äußerlich bleibt, können verrückt werden, so sie keinen Lebenszusammenhang finden, der ihrer Selbsterkenntnis entspricht.

In jedem Fall ist der Familiensinn der Grund für eine Angst vor dem Leben jenseits der Familie, eine allgemeine Lebensangst. Daran ist alle andere Wirklichkeit sowohl unbenommen, wie auch ausgeschlossen. Es ist alleine der Sinn der ausgeschlossenen Wirklichkeit, der den Lebenszusammenhang seelisch ausfüllt. Dies macht allerdings auch, dass sich die wirklichen Sinne der Wahrnehmung durch ihn verstellen und entrücken können, soweit er in sich wirklich abgeschlossen ist. Es ist eigentlich die Wirklichkeit des isolierten Sinnes, der hier als Gemeinsinn wirkt. Dieser ist jetzt objektiv, ein objektives Gefühl, das zugleich höchst subjektiv wirkt, also gedoppelte Wirklichkeit in einem Menschen bewirkt. Und entsprechend sind auch die Folgen dieser doppelten Erscheinung.

222.2 Der gewöhnliche Eigensinn

In der Erziehung gilt der Eigensinn als Erfolg der Besonderheit gegen das Gemeine der Welt schlechthin, als die besondere Gemeinschaft des Erziehungsverhältnisses, wie sie sich im Einzelnen als dessen persönliche Besonderung, als besondere Fähigkeit, Originalität usw. für gewöhnlich zuträgt. Solcher Eigensinn ist allerdings das Gegenteil von einem wirklichen Sinn; er ist der Sinn einer eigenen Negativität, also eine Selbstbegründung, die aus der Selbstbezogenheit einer Gemeinschaft entsteht, in welcher das wirklich ausgeschlossen ist, was Wirklichkeit ausmacht: Die Wirkung, welche sinnliche Beziehungen haben.

Das auf diese Weise gebildete Eigene ist äußerlich bestimmte Eigenheit, hat nichts anderes im Sinn als das, was Eigen sein soll, was als das Eigene dieses Lebensverhältnisses in den Menschen bestimmt sein soll. Als Erzieher können die Menschen das Eigene daher ganz im dem Sinn befördern, der ihrer Persönlichkeit auch entspricht. Sie sind als solche nicht jenseits ihrer Wirkung auf den Erzogenen erkennbar, weil sie dessen Lebensbedingung darstellen, seine Lebensbegründung sind. Sie teilen sich in absoluter Freiheit mit, indem sie die absouten Notwendigkeiten setzen.

Im Erzogenen erscheint deren Eigensinn negativ als Pflichtschuldigkeit einer Beziehung, als Liebe, die nur das Leben der Erziehung kennt. Von daher stellt sich darin auch Negativ der erzieherischen Persönlichkeit dar, und nicht nur als Persönlichkeit, sondern zugleich als Bestimmung des Lebensraums selbst, worin sie erziehend ist - eben als dies beides in einem. Das Eigene ist also an und für sich bedingt, ein Widersinn in sich. In der Erziehungsgemeinschaft ist es durch die Extreme der Erziehung, durch Erzieher und Erzogenem, an sich selbst relativiert. Aber es ist der Kern, das Wesen einer Selbstentfremdung, was hier zugeeignet wird. Sie ist darin angelegt, ohne schon Wirkung zu haben. Solange Erzieher und Zögling den Lebensraum teilen, kann die Gemeinschaft jede Entfremdung relativieren. Letztlich sind die Zöglinge darin eben doch auch wirklich das, was sie für das Lebensverhältnis der Erzieher sein sollen und sind sie das, so geht es ihnen innerhalb dieses Verhältnisses auch gut, nicht aber unbedingt, wenn sie es verlassen. Die dieser Welt äußere Welt erscheint hiergegen als völlig getrennt hiervon bestimmt, obwohl Erziehung doch gerade auch dorthin führen soll.

Das macht die Absurdität einer Weltentrennung aus, die sich gegenseitig bedingt und die doch nur gelingen kann, wenn diese Bedingtheit in Wahrheit geleugnet wird. Die Erzieher werden ungern die Erkenntnis zulassen, dass ihre Gründe für das Erziehen eigennützig sind, dass sie die Zöglinge für sich auch nötig haben; und die äußer Welt gilt als Bedrohungslage des Eigenen um so mehr, wie diese Gründe geleugnet werden müssen. Die Welt dieser abstrakten Eigenheit ist vopller Lügen, die Geltung haben müssen, damit das Unvermögen der Liebe in solchen Verhältnissen nicht in der Gewalt auch wirkliche hervortritt, mit der sie in den Menschen wirksam ist. Der Eigensinn muss sich um alles in der Welt durchsetzten;- - die Kinder müssen so sein, wie sich die Eltern auf sie beziehen, müssen die Lüge teilen, mit der sich die Älteren ihre Existenz begründet haben. Erziehung ist das wesentliche Mittel hierfür.

222.3 Der entäußerte Sinn der Gewohnheit

Indem alle Sinne in ihrer vollständigen Eigensinnigkeit dem Gemeinsinn zugehörig werden, werden sie gerade in ihrer Eigenheit gleich und in ihrer Absehung von ihrer Wirklichkeit vollständig gleichgültig, zum gemeinhin Eigenen, - und damit zur vollständigen Eigentumslosigkeit. Als im Gemeinsinn betstätigte Eigensinnlichkeit werden die Menschen in ihrem Erkenntnisvermögen selbst unmittelbar enteignet, ihrer konkreten Gegenwart enthoben, entgegenwärtigt. Was immer sie äußern und tun unterliegt dem Verhältnis des Gemeinsinns der sagen könnte: Was immer du tust, ich kenne es schon, ich kenne dich besser als du dich selbst je erkennen kannst. Die Wirklichkeit eigener Sinnbildung und Äußerung wird von daher bestimmt durch die Wirklichkeit einer Beziehung, die diese vorwegnimmt, sie dadurch unmöglich macht, dass sie diese zu einem Moment ihres Zusammenhangs bestimmt und dadurch beherrscht, dass solche Wirklichkeit innerhalb dieses Verhältnisses nur unsinnig sein kann.

Mit der Entwirklichung durch das Gemeine fallen alle Sinne zusammen in eine sinnliche Macht des Allgemeinen schlechthin, in ein Gefühl, dem die Menschen folgen, weil darin immerhin ihre Selbstwahrnehmung bewahrt ist, durch das sie aber zugleich gebeugt sind, weil es ihnen kein eigenes, sondern ein notwendiges Gefühl ist. So sehr sie sich auch wehren und mit der Produktion von Eigensinnigkeiten dieses aufzuhalten versuchen und sich ihm widersetzen, sie verfallen ihm um so mehr, wie sie ihre Selbstwahrnehmung als das gemeinhin Eigene darin bestärken. Sie werden dem Allgemeingefühl ihrer Beziehungsverhältnisse, wie sie durch Erziehung entstanden waren, hörig.

Im allgemeinen Gefühl der Zugehörigkeit verfallen sie einander auch als Menschen, die keine andere Gegenwart mehr haben, als die in ihnen vergegenwärtigte Allgemeinheit.. Die Menschen verfallen sich in der Unauflöslichkeit ihrer Selbstwahrnehmung, die aufgehoben ist in einer Gemeinwahrnehmung, die keinen Sinn für sie hat, in der aber ihre Sinne verfallen sind, unerkennbar und für sich verloren, solange sie keinen dem entgegengesetzen Sinn verwirklichen können, nicht selbst kritisch aus dem Gemeinen hervortritt.

In der bloßen Gewöhnung, also ohne gegenwärtige Gewissheit, ohne Gegenwart, gibt es keinen wirklichen Sinn. Die Gemeinschaft im gemeinen Sinnlichsein ist ein permanenter Prozess der Selbstauflösung, die meist durch vielerlei verrückt erscheinenden Äußerungen umgangen wird. Menschen kommen dazu, sich überhaupt nur einzubringen, wenn sie eine außergewöhnlich bestimmte Lebensgestalt einnehmen, und sei es auch nur eine besonderer Hut oder eine Uniform.

In dieser entwirklichten Form der Entgegensetzung ist alles möglich, wenn es sich denn nur dem Lebensraum der Gewohnheiten entgegentreten kann. Denn alles Verhalten muss sich vor allem als kulturell ungewöhnlich auszeichnen. Der entgegenwärtigte Sinn tritt in einer verkehrten Gestalt wieder auf - aber nicht als Sinn, sondern als bloße Sinnesgestalt. Es ist also in solchen Lebenszusammenhängen kein Bewusstsein, keine Sprache oder modische Begabung, welche die Menschen "schräg" erscheinen lässt, sondern die absolute Notwendigkeit einer entgegenwärtigten Sinnlichkeit. Nur darin entkommen die zur Beziehung erzogenen Menschen der Hörigkeit ihrer Beziehungen.

Das Resultat bei diesem Ausschluss der ihrer Gewohnheit hörigen Beziehungen ist eine Selbstkontrolle, die zur reinen Gewohnheit wird, zu einem Gewissen, das als Selbstgefühl fungiert und das in den hierauf gründenden zwischenmenschlichen Beziehungen zugleich ein objektives Selbstgefühl im wahrnehmenden Subjekt bildet, dessen wesentlicher Sinn nicht nur darin besteht, das Gedächtnis überflüssig zu machen, sondern es von jedem anderen Sinn zu trennen, es durch die Macht der Gewohnheit praktisch von seiner Bildung abzulösen und sich der Wahrnehmung des Augenblicks, den Umständen des Erlebens zu überantworten. Erst mit dieser Ablösung des Gedächtnisses hat die Erziehung ihren Zweck ereicht und wird zur Grundlage einer verkehrten Wahrnehmung, welche sich in den Perversionen des Selbstgefühls fortbilden wird.

Weiter mit Buch II: 223. Das Objekt der Selbstgefühle