Zur�ck zum Text: Der Sozialstaat, Hartz IV und der Staatsbankrott
Wolfram Pfreundschuh (8/2004) Flugblatt zu den Hartz-Demos
Hartz IV bedeutet das Ende der bisherigen Sozialkultur!
Hartz IV macht aus "Langzeit-Arbeitslosen" auf die Schnelle Sozialhilfeempf�nger. Das sei gerechter f�r alle. Und den Sozialhilfeempf�ngern soll es dabei besser gehen. Sie bekommen durch das Arbeitslosengeld II zuk�nftig mehr Geld - n�mlich 345 statt 336 Euro zum Lebensunterhalt, und ihre Ausgaben f�r Strom, Gas und Wasser werden gesondert erstattet. Daf�r aber w�chst der Druck auf ihr Leben gewaltig: Ihr bisheriger Lebensstandard (Wohnung und soziale Umgebung) steht jetzt schon nach 6 Monaten zur Disposition (zwangsweiser Ersatz der alten Wohnung durch Sozialwohnung) und sie sind generell zu jeder Arbeit verpflichtet, zu jedem Minijob, der sich durch Gesetzeskraft auf einen Stundenlohn von 1 Euro beschr�nkt - zus�tzlich zum Sozialgeld. Arbeitsverweigerung hat zur Konsequenz, dass die Sozialleistung gek�rzt oder ganz abgewiesen wird. Was bisher gelegentliche Komunalarbeit von Sozialhilfeempf�ngern war, wird zum ausgewiesenen Arbeitsmarkt einer sozialen Zwangsarbeit f�r Langzeitarbeitslose. Dieser Markt bekommt eine eigene, f�r den gesamten Markt bestimmende Dynamik: Die unterbewertete Arbeit dr�ckt auf alle Bewertung von Arbeit �berhaupt, beherrscht die Hintergr�nde von Lohnk�mpfen und die Auseinandersetzungen um die L�nge der durchschnittlichen Lebens- und Wochenarbeitszeit. Das "soziale Netz" ist mit Hartz IV zu einem "produktiven Faktor" geworden: Die Allgegenwart einer Angst um die eigene Zukunft beherrscht alle Preisverh�ltnisse zwischen Arbeit und Konsum.
Diese Angst wird auf alle Besch�ftigte und Selbst�ndige �berspringen. Die Bewertung sozialer Arbeit als unterwertige Zwangsarbeit wird nicht nur die sozial Randst�ndigen betreffen. Sie wird die Kluft zwischen ihnen und den anderen versch�rfen und den Schutzgedanken, der im "sozialen Netz" steckt, umkehren: Was bisher das Recht der B�rger auf Schutz in besonderen Notlagen war wird zu ihrer Verpflichtung f�r das Wohl des Staats- und Kapitalganzen; - was sie als Recht durch Arbeit und Einzahlungen in die Sozialkassen erworben hatten wird zu ihrer G�ngelung durch den Treuh�nder Staat. Der Reichtum eines der produktivsten L�nder der Welt zehrt vom Notgroschen derer, die daran nicht mehr teilhaben k�nnen. Dies ist der eigentliche Skandal: Hartz IV ist die hinterh�ltige Verkehrung des Sozialstaats zu einer kapitalistischen Staatsdirektive: Armut soll produktiv gesteuert werden. Die Unterworfenheit der Menschen unter die M�chte des Faktischen wird vervielfacht, die Entfaltungschancen der Kapitalspekulation vereinfacht. Die �rmeren werden �rmer und zahreicher, die Reichen reicher und weniger. Dies wird jedes Selbstverst�ndnis der Menschen und der Kultur und das Verh�ltnis von Staat, Kultur und Bev�lkerung grundlegend �ndern. Man wird wieder von Klassen sprechen m�ssen: Von Reichtum als Verf�gungsmacht �ber die Preise der Lebensbedingungen, der Mieten, der Lizenzen, der Kommunikation, der Verkehrswege und der Berichterstattung auf der einen Seite - und von den Abh�ngigen auf der anderen, die nichts anderes hierf�r tun k�nnen, als zu arbeiten, was immer auch der Zweck der Arbeit sei, nur um dabei sein, – um in Gesellschaft sein zu d�rfen. Das ist das das absolute Armutszeugnis der Neuzeit, die eine Produktivit�t erbracht hat, die sie nicht dem allgemeinen Lebensalltag der Menschen �berlassen will, weil das Kapital um jedes Leben geizen muss.
Die staatlichen Initiativen, die mit Hartz IV umschrieben werden, weisen vor allem auf zweierlei hin: Der Staat will kein Geld mehr ausgeben, um der Entwicklung und den sozialen Problemen der Arbeitslosigkeit in Gegenwart und Zukunft ad�quat zu begegnen und er steuert den Arbeitsmarkt insgesamt in die Konkurrenz zu der Armut, die aus einer Sozialpolitik bei staatlichen Geldknappheit hervorgeht. Da weht ein neuer Wind, ein amerikanischer. So wie die USA ihre Sozial- und Gesundheitspolitik auf das Allern�tigste beschr�nkt haben, so soll es hier werden und so wie dort verbreitert dies die Armut, die nicht mehr behoben wird und nicht mehr behoben werden soll: Das Gesetz besorgt vor allem die Bedr�ngung des "freien Lohnarbeiters" und des „freien Selbst�ndigen“ und ihrer Preise durch die Androhung aufgezwungener Billigarbeit – schlagartig und unmittelbar nach Beendigung des Arbeitslosengeldes I. Der Billigjob soll Prinzip werden: Auf dem Arbeitsmarkt wie auf dem Sozialmarkt.
Ein solches Gesetz dient nicht mehr der Regelung „gleicher und freier Verh�ltnisse“, begr�ndet sich nicht auf der Notwendigkeit, Regeln zum Ausgleich allgemeiner Probleme zu schaffen. Es ist ein Akt von Staatsp�dagogik: Es dient einzig dazu, Druck zu machen und Arbeitszwang als Naturzwang auszugeben, an welchen der hochentwickelte Industriestaat gemahnen will, um Arbeit billiger zu machen. Die L�ge ist vielf�ltig: Der Staat legitimiert dies aus seiner "Pflicht gegen�ber den Einzahlern" - als ob dies die Betroffenen nicht gewesen w�ren. Nicht nur die Begr�ndung ist zynisch: Das Gesetz selbst geht �ber alles hinweg, was die soziale Freiheit einer Wohlfahrtsgesellschaft ausgemacht hatte, was Jahrhunderte der Entwicklung der menschlichen Arbeit und Produktivit�t erbracht haben. Es instrumentalisiert seinen sozialen Auftrag zur �berwindung von Verwertungskrisen des Kapitals, seinen angeblichen Dienst am Gemeinwohl zur Umsetzung der Erfordernisse des Kapitals. Sozialabgaben gereichen so zur Sozialdisziplinierung.
Mit einem solchen Gesetzesvorhaben kann sich der Staat nicht mehr als Sozialstaat geben, der als Treuh�nder seiner B�rger ihnen eine wirkliche Chance zur sozialen Rehabilitation bieten will. Im Gegenteil: Er beraubt sie ihrer Einlagen f�r Notlagen und verwaltet ihre Armut nach Ma�gabe seiner Verteilungskompetenz. Und dahinter steht ein gewaltiges Kalk�l: Die Langzeitarbeitslosen werden nicht mehr als die Reservisten des Arbeitsmarktes, als potenzielle Arbeitskr�fte behandelt, sondern als Ausgesonderte, die durch einen eigenen Billigmarkt dem Arbeitsmarkt Konkurrenz bieten. Sie sollen die allgemeinen Reproduktionskosten durch unterwertige Arbeitspreise im Sozialbereich dr�cken. Dies ist auch der Vorgriff auf eine Zukunft, wie sie in der politischen Klasse l�ngst ausgelotet und Grundlage ihrer Strategie ist: Auf Dauer k�nnen Krisen des Kapitalismus nur behoben werden durch eine Vergr��erung der Arbeitslosigkeit und die Handhabung einer vom Staat abh�ngigen Konsumentenklasse. Arbeitslosigkeit ist gewollt und entsteht dort, wo die vorhandene Arbeit nicht im Ma� der Produktion auf die Menschen aufgeteilt wird, die sich damit ern�hren und entwickeln. Es w�re das Ende des Kapitalismus, wenn gesteigerte Produktivit�t zu einer Verringerung der Konkurrenz der Arbeitsanbieter f�hren w�rde; ihr Arbeitspreis w�rde die Verwertung der Arbeit durch Kapital und AGs reduzieren und auf Dauer ausschalten. Und so ist es der Druck der Kapitalspekulation, der durch die Verl�ngerung der Arbeitszeit von wenigen zugleich ihre Arbeitspreise dadurch dr�ckt, dass sie vermehrt vom sozialen Absturz bedroht werden. Und es ist der Druck der Kapitalspekulation, die Reproduktion der Menschen so zu kontrollieren, dass ihre soziale Versorgung so billig ist, wie nur m�glich, dass sie also einen Arbeitsmarkt f�r Soziales bekommen, der zum Unterwert von ihnen selbst getragen wird. Dies beides ist der Motor eines neuen Krisenmanagements. Es basiert auf Konkurrenzversch�rfung, Drosselung der Reproduktionskosten und Konsumsteuerung.
W�hrend die Konzerne immer gr��ere Profite machen und immer mehr von den Pflichten des Steuerzahlers befreit werden, gibt sich der Staat als Armutsverwalter, der nicht in der Lage ist, auch nur Bruchst�cke des immensen Reichtums, welchen Menschen durch ihre Arbeit und durch technologischen Fortschritt erzeugt haben und best�ndig erzeugen, zur Grundsicherung seiner B�rger zu verwenden, den Lebensstandard in die Breite der Bev�lkerung zu heben und sie von Existenzangst zu befreien. Es ist umgekehrt: Jede Ertragsvermehrung des Kapitals bewirkt eine Versch�rfung der Konkurrenz derer, die von ihm abh�ngig sind und die daher ihre Einkommen entsprechend reduzieren m�ssen. Das sind im Prinzip alle.
Die politische Klasse stellt die B�rger nun vor die Alternative: Entweder sie sind in angestellt oder in selbst�ndiger Arbeit, oder sie besorgen zu einem Hungerlohn eine Arbeit, die aus dem sonstigen Arbeitsvolumen herausgenommen wird, wohl aber die Reproduktionskosten der Menschen verbilligt (z.B. durch Kinder- und Altenbetreuung, Stadtg�rtnerei, Krankenhausarbeit). Diese Politik gr�ndet nicht mehr auf Volkswirtschaft, sondern auf einer Staatswirtschaft, die sich als Notl�sung gegen die Arbeitslosigkeit gibt, aber in Wahrheit ausschlie�lich ein Triumph des kapitalistischen Verwertungsinteresses ist. Dieses beruht nicht auf Ausgleich von Arbeit und Arbeitslosigkeit durch mindere Arbeitszeit, sondern auf der Konkurrenzversch�rfung der von der Arbeit abh�ngigen, die ihre Arbeitszeit bei gleichem Lohn auch noch ausdehnen und ihre sozialen und privaten Ersparnisse abtreten sollen, wenn sie mal "nicht mehr arbeiten k�nnen" - wollen, d�rfen oder sollen. Es ist die Totalisierung der einen Botschaft des Kapitals: Diese Welt soll nur funktionieren, wenn und solange die Verwertung, die Auspressung von Natur und Menschen funktioniert.
Das ist die Botschaft einer Kultur der Barbarei!
Kulturattac M�nchen wendet sich gegen Ausbeutung von Natur, Kultur und Menschen,
gegen staatliche Disziplinierung und Staatskultur,
gegen Hartz IV und den Abbau des Sozialstaats.
Wolfram Pfreundschuh