Siehe hierzu auch die Themenabende der Kulturkritik M�nchen

Dieses Papier will die "Thesen zur Militarisierung der deutschen Sebstverst�ndigung" unterlegen.

 

Wolfram Pfreundschuh (5.2. 2005)

 

Die Militarisierung der deutschen Selbstverst�ndigung

 

Der Umgang mit Andersdenkenden hat sich in der Zeit, in der sich das Kapital zur Bestimmung des Weltmarkts verselbst�ndigt hat, also in der Zeit der Globalisierung (siehe hierzu: "Die Globalisierung und das Ende der b�rgerlichen Gesellschaft"), merklich ver�ndert. International haben sich die Gegens�tze radikalisiert zu einer Doktrin der Kapitalinteressen gegen die Chancen der Autarkie der V�lker und Nationen, die sich im Konzept der "Weltordnungskriege" bereits zynisch formuliert hat. Und auch national entstehen zunehmend kulturelle Interpretationsmuster, die eine Selbsterm�chtigung von Kulturhoheit gegen wirkliche Probleme und Konflikte, wie sie in gegensinnigen Lebensverh�ltnissen entstanden waren und entstehen, darstellen. Die Schlagworte (z.B. Leitkultur, Integrationsbedarf, Leistungskultur) zeigen selbst schon, dass eine wirkliche kulturelle Beziehung von h�herer Warte aus ausgeschlossen werden soll, und stattdessen eine Art Kulturmanagement eingef�hrt wird, das sich gegen fremde Kulturen und auch gegen Randgruppen der eigenen Kultur wendet. Die Mittel hierzu sind k�mpferisch und zielen auf Unterordnung des Andersdenkenden, des Fremden oder des Unangepassten unter einen allgemeinen Kulturanspruch ab, der sich als selbstverst�ndlich, als allgemein g�ltges Selbstverst�ndnis �ber die bestehende Wirklichkeit stellen soll. Ich will diese Entwicklung mit der Formulierung einer Militarisierung der Selbstverst�ndigung zusammenfassen.

Militarisierung setzt voraus, dass ein Gegen�ber zum Gegner geworden war und dass die Mittel und Ma�nahmen, die ihn bezwingen sollen, beigeschafft und ausgerichtet werden, und auf die Herstellung seiner Wehrlosigkeit gerichtet sind. Sie ist zum einen die Ausstattung mit Beherrschungsmitteln (z.B. Z�chtigungsmittel, Gesetze), also im Grunde Bewaffnung, und zum anderen Interpretation seines Tuns unter dem Gesichtspunkt der strategisch optimalen Handhabung einer Reaktion hierauf, also die Ausrichtung eigenen Tuns zum Zweck der Beherrschung eines fremden. Es versteht sich von selbst, dass ein entsprechendes Selbstverst�ndnis hierzu n�tig ist. Dieses wird aus dem genommen, was sich im Lebensalltag der Menschen als hierf�r wirksam erwiesen hat.

Eine militarisierte Selbstverst�ndigung kommt nicht aus der Entwicklung einer Auseinandersetzung, sondern besteht aus einer notwendigen Abhebung hiervon, die zugleich eine Abl�sung der Beziehung zu denen ist, die als Gegner behandelt werden sollen, weil eine Auseinandersetzung mit ihnen zu ihrem Ende gekommen war. Sie ist also ein verselbst�ndigtes Verh�ltnis, aus dem ein Verhalten entsteht, das zur Ausschaltung der Handlungsf�higkeit eines Gegners treiben will. Es ist ein geistiger Krieg gegen ihn.

Nat�rlich wird Krieg nicht mit Kriegsnotwendigkeit erkl�rt. Das w�rde die wirklichen Verh�ltnisse ziemlich krass als feindliche Verh�ltnisse er�ffnen und die Frage aufkommen lassen, um welche Auseinandersetzung es hierbei eigentlich wirklich geht. Man r�stet auch nicht zum Krieg, weil man Krieg will. Er entsteht ganz allm�hlich in den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Staaten, bis er schlie�lich schlagartig ihrer oft verwunderten Bev�lkerung er�ffnet wird. Kriegsvorbereitungen sind meist weder bewusst auf Krieg bezogen und auch f�r sich alles andere als kriegerisch. Es sind Lebensbedingungen, die sich in voller Pracht entwickelt hatten, bevor sie an ihre historischen Grenzen gelangt sind. In den K�pfen erscheinen sie noch ideal, w�hrend in der Wirklichkeit ihre Widerspr�chlichkeiten �ble Auswirkungen haben. In den K�pfen sind es noch die Ideale, das Gute und Sch�ne, das Selbstverst�ndis befl�gelt, auch wenn es mit der Realit�t nicht mehr mitkommt. Die Ideale, welche das B�rgertum entwickelt hatte, als es Zeit f�r seine Entstehung war, kehren sich dann um zur Ideologie einer Kriegsf�hrung. Wir sehen das an Begriffen wie Freiheit, Gleichheit und Solidarit�t, wie sie z.B. noch in den USA benutzt werden. Freiheit ist f�r George W. Bush die Begr�ndung seines Milit�rhaushalts, Demokratie die Begr�ndung amerikanischer Expansionsinteressen und Solidarit�t ist l�ngst schon allein durch die Realit�t des amerikanischen Staatshaushalts und seiner Sozialentwicklung �berlebt und soll ein v�llig abstrakt gewordenes Gemeinwesen per Ideal noch irgendwie zusammenhalten. Und seine Au�enministerin Rice erg�nzt, dass es den USA vor allem um die "Macht der Ideen, des Mitgef�hls und der Hoffnung" ginge und wer das nicht akzeptiere, der bestreite die Fundamente der Vereinigten Staaten.

In Deutschland ist man etwas zur�ckhaltender, zumindest in der Einf�ltigkeit solcher Begriffsverwendung. Aber auch hier ist der Begriff der Freiheit politisch elementar f�r die "Verteidigung der Freiheit", womit behauptet ist, dass Angriffe unfreier V�lker zu erwarten seien. Schon die Thematisierung der Rolle der deutschen Wehrmacht erzeugte eine Reihe Probleme, die sich zur Behauptung auftaten, es w�rde damit in deutschen Wunden gew�hlt und eine Schande f�r das deutschen Volkes und die Bundeswehr aufgebaut. Etwas komplizierter wurde es mit dem deutschen Friedensverst�ndnis und dem psychologisch entwickelten Vers�hnungsbegriff, der sich als Verteidigungsbegriff f�r die Wesenssache des Menschen, f�r die Humanit�t schlechthin hervortat. Der sehr sublime Chauvinismus, den solcher Verstand impliziert, ist schon schwerer zu erkennen. Und schlie�lich haben die Deutschen schon seit langem ein sehr detailliertes Faible f�r die Fragen der Menschenf�hrung, der Menschenerziehung und der Menschenzucht, letztres immer noch als eine Fata Morgana zeitgen�ssischer Philosophie, die nicht von ungef�hr kommt. Sie entspringt dem Zweifel am Verst�ndnis des Humanismus. Die bisherige Ethik (Indexup2a1a1b2) reicht der Philosophie f�r die Entscheidungsprobleme der Wissenschaften nicht mehr aus. Sofern Wissenschafter �ber das Leben der Menschen entscheiden, wollen sie neue Kriterien hierf�r haben. "Der Mensch" soll neu definiert, seine Entwicklung neu verstanden werden. In dieser Gigantomanie des Wissenschaftsverst�ndnisses sollen nun auf h�herer Stufenleiter, als es im letzten Jahrhundert bereits schon mal versucht war, von der Seite der Helfer und Heiler die "Probleme der Menschen" neu verstanden, neu begriffen und in eine wissenschaftlich zu vertretende Zukunft geleitet werden.

Nicht mehr nur der "Untergang des Abendlandes" (Spengler) wird heute hierzu beschworen, es geht jetzt um die ganze Welt. Der "Kampf der Kulturen" ist vor allem ein Kampf der Wissenschaften um ihre Rolle f�r die sogenannte Zivilisation, die selbst schon ein Begriff der anwartenden F�hrungskultur ist. Die Funktion ihres Kulturverst�ndnisses ist sehr sublim. Der "Kampf der Kulturen" ist die Ideologie der Westm�chte, mit der sie in "Weltordnungskriege" eingestiegen sind. Westliche Ideologie tritt heute an, um diese Kultur als notwendige Weltkultur zu "verteidigen", also zu behaupten, und fremde Kulturen zu unterordnen, damit sie unterworfen werden k�nnen. Damit wird jede Kultur unm�glich. Denn Kultur kann nur das geschichtliche Sinnlichsein der Menschen betreffen, ihre Lebensweise, wie sie unter bestimmten Lebensbedingungen m�glich und n�tig ist. Eine Kultur, die sich als Notwendigkeit f�r andere Menschen ausgibt, kann keine Kultur sein. Und ein Kampf um Lebensweisen ist notwendig selbstzerst�rerisch, wenn er von beiden Seiten konsequent betrieben wird.

Eigentlich wei� man das und es ist unglaublich, dass der amerikanische Regierungsberater und Soziologie-Professor Samuel Huntington mit seinem Buch "Kampf der Kulturen" auf die Bestsellerliste der USA und auch in Europa gelangen konnte, worin er eine F�hrungsmacht der Westkultur beanspruchte. Wie konnte es dazu kommen, dass eine solche Auffassung bei den Menschen mit ihrer sehr beschr�nkten und sachlich und fachlich falschen, aber �u�erst popul�r aufbereiteten Kultursoziologie �berhaupt ankommen konnte? Was war schon bis dahin mit ihrem Bewusstsein und Zeitverst�ndnis geschehen, dass sie der darin formulierten "Sorge um die Entwicklung der Welt" zustimmen konnten, die doch letztlich das als Notwendigkeit verhie�, was die Aufl�sung der Kulturen betrieb? War es, weil der Krieg inzwischen in fast jedem Wohnzimmer stattfand? Dass die Existenzanfordernungen selbst schon den Charakter einer Unterwerfung haben, mit der die Menschen nicht zurechtkommen und ein Wendung gegen andere sich hieraus ergibt? Jedenfalls w�re dann nicht n�tig, die Wissenschaften zu bem�hen. Es bleibt die Mutma�ung, dass es hier um eine Frage nach der weiteren Entwicklung der Gesellschaften und der Welt geht, die zunehmend in die Richtung der Reaktion gelenkt wird.

Um dieser Frage nachzugehen, sollen hier die Momente einer Geschichtsverarbeitung nachgezeichnet werden, wie sie in der j�ngsten Geschichte aufkamen und noch bestehen. Nach meiner Auffassung geht es hierbei um eine eklatante Wende in der Selbstverst�ndigung der Menschen seit dem letzten Weltkrieg. Zugleich ist die darin beschworene Geisteshaltung auch eine R�ckkehr zu sehr alten reaktion�ren Denkweisen und Verarbeitungsinteressen. Die Gr�nde f�r diese Ver�nderung liegen zwar wesentlich im Wandel der Lebensverh�ltnisse, haben sich aber auch in den geistigen Auseinandersetzungen zugetragen und verselbst�ndigt. Im Zirkelschluss von den Notwendigkeiten dieser Lebensverh�ltnisse und der reaktion�ren Affirmation des Verstandes hierzu entwickelt sich Vernichtungswut, die sich schlie�llich ihre Vermittlungen und Mittel, ihre milit�rischen Werkzeuge suchen muss.

Es geht hier darum, solches Verst�ndnis in seiner Entwicklung aus den Anschauungen und Zwecken der deutschen Lebenspraxis heraus bis hin zu seinen milit�rischen Implikaten zu entwickeln. Es ist dabei unterstellt, dass dem Leser klar ist, dass diese Begriffe nicht selbst milit�risch begr�ndet sind und also nicht durch sich milit�risches Handeln bestimmen k�nnen, sondern dass sie lediglich implizit f�r milit�rischen Bed�rfnisse taugen und verwendbar sind. In erster Linie geht es hier um das, was in den Menschen geschieht, die solche Begriffe zur Bl�te bringen, also um eine Kritik bestimmter Entwicklungen des Selbstverst�ndnisses. Dessen Militarisierung geschieht in mehreren Beziehungen zugleich: In einer politischen, worin Ideologie entsteht und als Idealeinforderung in Lebensanspr�chen wirksam wird, in einer psychologischen, worin die Erfahrungen von Isolation und Selbstentwertung zum Potenzial eines allgemeinen Selbstgef�hls erm�chtigt werden, und in einer philosophischen, worin sich die Selbsterm�chtigungsinteressen der Wissenschaften durch Endzeitszenarien formulieren, in welcher feindliche Prinzipien als Bedrohung der Menschheit ausgelotet werden. Diese Bez�ge und ihre Einheit sollen im Folgenden herausgearbeitet werden.

 

Freiheit, die ich meine

Seit dem 1. Januar 2005 sind wir im "Schiller-Jahr". Das passt ganz gut. Wenn Antworten fehlen, wirkliche Ziele einer Geschichte nicht erkennbar sind, dann ist Idealismus gefragt, dann muss Geschlossenheit herrschen, zumindest in der Vorstellung, in einer Idee von Einheit. Denn Einheit gibt es selten wirklich, am ehesten dann, wenn man gemeinsame Feinde hat. Manchmal muss man den Feind deshalb auch erst erfinden. Am besten einen, der gegen die Einheit verst��t, auch wenn diese wiederum nur eine Vorstellung davon ist, wogegen man ist.

Die "freie Welt" ist sich in ihrer Freiheit einig. Es gibt eben Ideale, die einfach und kr�ftig sind. Hierf�r steht Friedrich Schiller: Einigkeit und Freiheit, das ist eine tolle Mischung. Aber die Frage muss erlaubt sein, wie dies zusammengehen soll: Eint Freiheit? Macht Einigkeit frei? Sind Menschen sich einig, wenn sie frei sind? Wozu eigentlich? Und wo sie sich einig sind, werden sie sich da auch frei sein lassen? Wozu eigentlich?

Einigkeit ist f�r die Freiheit notwendig, gerade weil man sich in der Freiheit nicht einig sein kann. F�r sich ist sie nichts, weil auch Einigkeit f�r sich nichts ist – g�hnende Leere der Beliebigkeiten. Der Widerspruch ist notwendig und nur im Besitz (Indexup2a1a1b2a) gel�st: Freiheit muss die Meine sein, ganz so wie ich sie meine. Und das muss f�r alle gelten, allgemein richtig sein, damit auch Einigkeit herrscht! Im allgemeinen Rechtsverh�ltnis bewegt sich das widerspr�chliche Verhalten von Einigkeit und Freiheit als allgemeines Besitzverh�ltnis. Daher sind Einigkeit und Recht und Freiheit die Parolen des Besitzstandes, - f�r sich genommen also seine idealisierten Verallgemeinerungen.

Allgemein ist Freiheit nicht Befreiung, nichts Bestimmtes, Auseinandersetzung mit Sache und Mensch, Emanzipation aus einem Unterdr�ckungsverh�ltnis. Allgemein ist sie ein gro�es Ideal. Und das ist immer auch weit weg. Das kannst du nicht geschenkt kriegen. Freiheit hat man nicht so einfach. Daf�r muss man etwas tun; was man nicht kriegt, daf�r muss man eben k�mpfen. Freiheit ist einfach alles und nichts zugleich. Aber als Ideal eignet sie sich auf jeden Fall f�r jede Form der Militarisierung, sei es in der Ideologie, der Politik, der Psychologie oder der Philosophie. Um Freiheit geht es irgendwie in jedem Krieg. Sie ist dessen Ideologie, Selbstgef�hl und Schlachtruf in einem:

Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd!
von Friedrich von Schiller, 1797  

Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd,
Ins Feld in die Freiheit gezogen!
Im Felde da ist der Mann noch was wert,
Da wird ihm das Herz noch gewogen;

|: Da tritt kein anderer f�r ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allein. :| 

Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist,
Man sieht nur Herren und Knechte;
Die Falschheit herrschet, die Hinterlist,
Bei dem feigen Menschengeschlechte:

|: Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein ist der freie Mann! :| 

Des Lebens �ngste, er wirft sie weg,
Hat nichts mehr zu f�rchten, zu sorgen;
Er reitet dem Schicksal entgegen keck,
Trifft's heut nicht, so trifft es doch morgen.

|: Und trifft es morgen so lasset uns heut
Noch schl�rfen die Neige der k�stlichen Zeit. :| 

Warum weinet die Dirn und zergr�met sich schier?
La� fahren dahin, la� fahren!
Er hat auf Erden kein bleibend Quartier,
Kann treue Lieb nicht bewahren.

|: Das rasche Schicksal, es treibt ihn fort,
Seine Ruh l��t er an keinem Ort! :| 

Auf des Degens Spitze die Welt jetzt liegt,
Drum froh, wer den Degen jetzt f�hret,
Und bleibt ihr nur wacker zusammengef�gt,
Ihr zwingt das Gl�ck und regieret.

|: Es sitzt keine Krone so fest, so hoch,
Der mutige Springer erreicht sie doch. :| 

Drum frisch, Kameraden, den Rappen gez�umt,
Die Brust im Gefechte gel�ftet!
Die Jugend brauset, das Leben sch�umt,
Frischauf! eh der Geist noch verd�ftet!

|: Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein! :| 

Wohlan, zur Freiheit. So klingt es auch heute noch, wenn Kriege angek�ndigt werden. Die d�rfen ja auch nicht zeigen, worum es wirklich geht. Auf der hohen Abstraktionsstufe allgemeiner Ideen vermittelt sich der Hinterhalt, vor allem der des Kriegers. Die Inbrunst abstrakter Allgemeinheit l�sst die konkrete L�ge darin verblassen.

Und also sprach George W. Bush bei seiner Vereidigung im Januar 2005: "Die Hoffnung auf Frieden in der Welt w�chst mit der Ausdehnung der Freiheit auf der ganzen Welt." Und dann: "In einer Welt, die sich auf Freiheit zubewegt, haben wir uns dazu entschlossen, die Bedeutung und das Versprechen der Freiheit unter Beweis zu stellen." (SPIEGEL 4/05, S. 104). Gemeint war das, was l�ngst vorbereitet ist: Sein n�chster Krieg gegen die "Achse des B�sen", jetzt: gegen den Iran. Und wer nicht "auf der richtigen Seite der Freiheit ... geboren wurde" (Condoleza Rice), hat dann eben Pech gehabt. Somit ist Freiheit auch zu einer geografischen Tatsache der US-Kriegspolitik geworden.

Soweit Bushs W�hler aus dem Besitzstand kommen, kommt das bei ihnen auch tats�chlich an. Es besorgt ihnen den Schutz vor Eindringlingen, vor den R�ubern ihres Hab und Guts, Sicherheit gegen jede Ver�nderung ihrer Lage. Und deshalb bef�rdert es auch ihren Stolz, wenn sie die Ausschlie�lichkeit ihres Verm�gens in der Ausgeschlossenheit von allem anderen verallgemeinern, den Glanz ihrer Existenz f�r sich behalten und die Enge ihrer Eigenwelten auch mal neu beseelen k�nnen. Der pers�nliche Reiz solcher Phrasen steckt in der Vorstellung, sich der Bezwungenheit des eigenen Lebens dadurch zu entledigen, dass mensch - wenn er schon nicht mehr um seine wirkliche Befreiung k�mpft - so doch f�r die Freiheit.

Krieg muss Befreiungskrieg sein, um als legitim zu gelten. Freiheit wird in Argumente gekleidet, die ihre Notwendigkeit aus der Sch�dlichkeit von Unfreiheit beziehen. Und das sind die Gefahren f�r eine Bev�lkerung als Ganzes, ihre Verunsicherung, der Feind von au�en, der vielleicht auch der Feind von innen ist. Das Schwein ist allzu oft der innere Schweinehund. Und so sind die Gefahren von au�en auch geradezu notwendig, wenn den Gefahren im eigenen Land nicht mehr begegnet werden kann, wenn sich dort Prozesse �berst�rzen, welche die Gef�hrlichkeit eines gesellschaftlichen Verh�ltnisses, einen gesellschaftlichen Zerst�rungsprozess zeigen.

Nur Gefahren, die sich erkennbar machen lassen, bringen den Freiheitsk�mpfer an die Front. Leichter erkennbar als das Eigene ist immer das Fremde. Und ist es vielleicht auch nicht wirklich bedrohlich, so muss es eben bedrohlich gemacht werden. Man muss es zu einer bedrohlichen Figur bringen, es herausfordern. Manchmal gen�gt ein kleiner Sto�, ein Rempler, manchmal braucht es einen Schlag von hinten. So bekommt man einen Feind. Und der ist dann auch das sogenannte B�se.

Das B�se ist �berall und nirgends. Das macht es eben auch aus: Es steckt in den L�chern und Nischen, wo man es nicht sieht und bedroht alles, was sich frei bewegt. Es ist der Feind der Freiheit, Gefahr f�r die "freie Welt". Und dieser geht es umso mehr um ihre ganz besondere Freiheit: Nicht um die des Andersdenkenden, sondern um die eigene Willk�r. Das B�se ist ganz einfach zu bestimmen: Es ist das Andere der "freien Welt", also die "unfreie Welt". Das waren mal die Kommunisten, die "Parteiterroristen". Jetzt sind es die Moslems, die "religi�sen Fanatiker", die den "gr��ten Feind der Menschheit" stellen. Fr�her, da war man mit ihnen noch ganz gut zurechtgekommen, fr�her, als es um den Kommunismus als "gr��ten Feind der Menschheit" ging. An ihrer Religion hat sich seitdem aber nichts ge�ndert. Das M�rchen von der "freien Welt" ist in Wirklichkeit ein Militarismus, der sich seine Feinde eben so bestimmt, wie es opportun erscheint.

 

Die Achse des Guten oder das politische Vorherrschaftsinteresse

Das B�se liegt uns ja so fern und das Gute allzu nah. Und wer das dann auch noch zu begr�nden versteht, der ist schon Gesetz, Richter und Polizist in einem. Mit der Wirklichkeit kann es da allerdings Probleme geben, besonders mit den dunklen Stellen der eigenen Vergangenheit. Um sich in das Gute zu integrieren, mussten in Deutschland einige Aufw�nde betrieben, das deutsche Ged�chtnis bearbeitet werden. Da war doch was: Mit Freiheit haben die schon mal ziemlich Mist gebaut – und mit vielem anderen auch.

Da muss man dr�ber weg. Als erster bot sich der bekannte und bis dahin unbescholtene Historiker Erich Nolte an. Der wollte das ganze Thema mit seiner 1980 aufgestellten Behauptung ausl�schen, dass Auschwitz "in erster Linie" nicht ein V�lkermord gewesen und also nicht aus deutschem Rassismus und Antisemitismus entstanden, sondern eine "aus Angst geborene Reaktion auf die Venichtungsvorg�nge der Russischen Revolution". Es sei eine introjizierte "asiatische Tat" hierauf. Die Schuldfrage sollte an einen m�chtigen Feind weitergegeben werden, an das, was weit schlimmer als der hitlersche Faschismus gewesen sei: Die russische Revolution. Das war damals eindeutig zu krass und der daran ankn�pfende "Historikerstreit", an dem sich auch Politiker (z.B. Kohl, Weiz�cker) und Journalisten beteiligten, stellte diese Behauptung schnell ins fachliche Abseits. Aber es war die erste gro�e Chance, mit der "Schuldfrage" fertig zu werden – eigentlich mit der Frage, warum und wozu sich Staaten zu einer derartigen Barbarei entwickeln k�nnen, dass die Bestialit�t ihres Handelns in "Friedenszeiten" unfassbar ist. Aber als dies wurde die "Schuldfrage" nie behandelt. Man nutzte die Chance vor allem f�r eine rein subjektive Geschichtsposition f�r das wiedererwachende deutsche Selbstbewusstsein. Ein deutscher Patriotismus sei alleine schon deshalb n�tig, um mit der Geschichte umgehen zu k�nnen. Alfred Dregger zeigte sich pl�tzlich der geschichte verpflichtet, allerdings nur, um sie aus der Welt zu schaffen: "Besorgt machen uns Geschichtslosigkeit und R�cksichtslosigkeit der eigenen Nation gegen�ber: Ohne einen elementaren Patriotismus, der anderen V�lkern selbstverst�ndlich ist, wird unser Volk nicht �berleben k�nnen. Wer die sogenannte (!) 'Vergangenheitsbew�ltigung', die gewi� notwendig war (!), mi�braucht, um unser Volk zukunftsunf�hig zu machen, mu� auf unseren Widerspruch sto�en." ("Historikerstreit", Piper 1987, S. 194)

Die Geschichtslosigkeit h�tte wunderbar in der Goldhagen-Debatte �berwunden werden k�nnen. Goldhagen beschrieb die verheerende Zwangsl�ufigkeit des deutschen Rassismus und Antisemitismus ausdr�cklich als ein aus dem v�lkischen Bewusstsein geborenes und vom Gro�teil der Deutschen �bernommenes Unterwerfungsprinzip, das Bestandteil der Kriegsvorbereitung und Kriegsf�hrung in der deutschen Politik und auch in der Deutschen Wehrmacht war. Aber seine Behauptung, dass der Holocaust ein "deutsches Projekt" gewesen sei, eine Unternehmung des v�lkischen, den ethnischen Patriotismus der Deutschen, wurde weitgehend abgelehnt und bef�rderte eine "Volksgemeinschaft der Beleidigten" (R. K�hn), die dieses �rgernis nicht gelten lassen wollte. Man wollte sich neu bestimmen, die Geschichte neubeginnen mit einem "Weg zu einer neuen, durch l�stige Erinnerungen nicht gest�rten, sozusagen unbefangenen deutschen Machtpolitik." (Simone Dinah Hartmann und Karin Lederer auf: http://www.univie.ac.at/staatswissenschaft/staatswissenschaft/ForschungsprojekteWM/Goldhagen.html#GoldhagensThesen).

�hnlich erging es der Wehrmachtsausstellung von Jan Philip Reemtsma. Sie fand zwar zun�chst viel Zuspruch von der Seite der Leute, die sich mit den Realit�ten des Nazi-Regimes befassen wollten, wurde aber bald in einem Streit um die detaillierte Stichhaltigkeit einzelner Dokumente dahin gebracht, ihren objektiven Anspruch aufzugeben und sich auf die Frage zu beschr�nken, wie es dazu kommen konnte, dass Menschen bereit waren, sich am V�lkermord der Nazis und seinen Grausamkeiten zu beteiligen ("Brandstiftung", S.38f). Das stellt die Frage nach dem Unterwerfungsprinzip des Nazismus allerdings auf den Kopf: Nicht die Menschen seien schon darin befangen gewesen, bevor Hitler demokratisch gew�hlt werden konnte, sondern er selbst habe erst als intronisierter Machthaber eine Kriegs- und Vernichtungspolitik vollzogen, die von den deutschen B�rgern im Nachhinein subjektiv mehr oder weniger �bernommen worden sei. Nicht die Lebensverh�ltnisse der Menschen und deren Ideologien h�tten Hitler hervorgebracht, sondern Hitler habe die Menschen dahingebracht, zu werden, wie sie f�r ihn sein mussten. Dass der Kapitalismus in Deutschland zusammengebrochen war und die deutsche Heilserwartung aus der deutschen Philosophie hereinbrechen konnte, sollte nichts mit dem Bewusstsein der Deutschen zu tun haben: Niemand hatte einen Grund, aber alle machten mit, weil sie von einer b�sen Macht dahin getrieben wurden. Die bedeutende Frage, wie und warum ein b�rgerlicher Staat auf demokratische Weise zu einem v�lkischen Kulturstaat mit einer lange entwickelten Gesinnungshoheit werden konnte, wie er dazu kommen konnte, einen Teil seiner Bev�lkerung gezielt zu vernichten und die Welt mit einem Vernichtungskrieg zu �berziehen, blieb damit au�en vor.

Vor allem bleibt hierdurch vorenthalten, wie nahe Faschismus dem Kapitalinteresse steht. Dessen Krise ist die Bedingung daf�r, dass Menschen eine absolute Chancenlositkeit in ihrer gesellschaftlichen Lage versp�ren, aus der heraus sich die Tr�ume einer absolut vers�hnten Volksgemeinsschaft als Heilserwartung und Endl�sung bilden. Die Antwort auf die Probleme des Kapitalismus �berhaupt w�re f�r die weitere Geschichte von h�chster Bedeutung, h�tte vielleicht die Geschichtswissenschaft geradezu revolutionieren k�nnen. Man w�re schnell darauf gesto�en, dass das Zusammenflie�en von gesellschaftlichen Zerst�rungsprozessen und ideologischen Vers�hnungsanspr�chen in den Menschen zu einer Sehnsucht nach einer Einheit in �bermenschlicher G�te, nach einem Prinzip des �bermenschen werden m�ssen, wenn sie ihr Leben noch nicht anders begriffen hatten. Und dass die Erwartung des �bermenschlich Guten, ob nun theologisch, philosophisch oder psychologisch formuliert, schon immer der Grund daf�r war, dass die Menschen sich einem F�hrungsprinzip unterworfen haben. Die Entwirklichung der Lebensverh�ltnisse und ihrer Geschichte ist hierf�r voraussgesetzt.

 

Das Geschichtsbewusstsein des Sonntagsfriedens

Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die Erfordernisse der deutschen "Handlungsf�higkeit" und die geschichtliche Entlastung der deutschen Politik dringlich. Altes Misstrauen erneuerte sich ob der wiedergewonnen Gr��e Deutschlands und nur dessen vollst�ndige Einbindung in das Weltgeschehen konnte dies mindern. Zudem waren die deutschen Interessen l�ngst mitten in der Welt – wie eben die Interessen des Kapitals mit dem "Niedergang des Ostblocks" auch weltweit allgemeine geworden waren. Die Spannung des zweigeteilten Landes an der Frontlinie zwischen Ost und Weest war aufgel�st. Was die Vernunft staatlichen Handelns bis dahin angeblich blockiet hatte, war befreit von den Zw�ngen der politischen B�ndnisse. Die Vernunft der Aufkl�rung war doch eigentlich sehr deutsch und man h�tte nun meinen k�nnen, dass die Zeiten der Konfrontation der Staaten und damit auch jegliche Form des Nationalismus h�tte �berwunden oder zumindest �berwindbar gewesen sein k�nnen. Auch wenn die deutsche Wiedervereinigung als v�lkische Integration skandiert wurde, sah es doch insgesamt wirklich so aus, als ob Nationalismus �berholt und sp�testens jetzt die deutsche Vergangenheit auch mit einem Bewusstsein zur deutschen Geschichte zu bew�ltigen sei und zum intergralen Bestandteil deutschen Selbstverst�ndnisses werden k�nnte. Das aber h�tte vor allem hei�en m�ssen, dass "die deutsche Vergangenheit" wirklich begriffen war und dass es wirklich keinen Krieg mehr geben konnte und dass sich die deutsche Geschichte tats�chlich mit allen anderen Staaten in die Konsequenzen der Aufkl�rung hineinbegeben h�tte, in den "ewigen Frieden" Immanuel Kants, in die praktische Vernunft der Koexistenzen, - dass eben die b�rgerliche Gesellschaft auch das, was sie sich von sich, von ihrer Freiheit, Gleichheit und Br�derlichkeit vorstellte, auch wirklich h�tte sein k�nnen, dass Aufkl�rung ihr Ziel in der Weltgeschichte wirklich erreichen, b�rgerliche Gesellschaft auch wirkliche Gesellschaft werden k�nnte.

Aber es kam ziemlich anders. Nur die Ideale waren verblieben, der Krieg nur verloren, die Waffen nicht vernichtet, sondern wurden besonders gut und massig in Deutschland produziert und verkauft. Das und anderes f�rderte die Wirtschaft und den Export und bewirkte, dass wirtschaftliche Krisen sich in Grenzen hielten. Der letzte Weltkrieg sollte unbegreiflich bleiben, solange die Weltwirtschaftskrise nicht begriffen war, - und der Welthandel musste weitergehen. Und da sollte jetzt Deutschland auch milit�risch wieder dabei sein. Es war ja schlie�lich l�ngst wieder in einer F�hrungsposition auf dem kapitalistischen Weltmarkt und schon von daher �berall pr�sent. Und der Markt war weiterhin alles andere als friedlich. Man konnte nicht sicher sein, dass die Armut der L�nder, die darauf unterlagen, sich nicht jederzeit zu einer Bedrohung der L�nder entwickeln konnte, die darauf re�sierten. Die deutsche "Sonderrolle" nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches mit ihrem defensiven Milit�r, das nur auf die Bedrohung durch angrenzende L�nder bedacht war, erschien anachronistisch und zudem als klammheimliche "Pflichtverweigerung" f�r "den Weltfrieden". Sie gemahnte �berdies an eine Zeit, in der die Vernunft der Aufkl�rung versagt hatte – zumindest was ihren Anspruch als Friedensstifter betraf. Die deutsche Geschichte war nat�rlich ein Problem – nicht nur f�r Deutschland, sondern f�r das aufgekl�rte kriegerische Potenzial �berhaupt. Schlie�lich war nirgendwo so deutlich geworden, dass die Friedensforderung "Nie wieder Krieg!" absolut zu verstehen ist. Und wenn man sich weiterhin vom Krieg her bestimmt, so setzt Frieden eben die milit�rische Beherrschung aller Kriegsursachen voraus, Herrschaft schlechthin, Militarismus. Die einen waren reich und gro� geworden, und die anderen arm und klein. Das ist gef�hrlich. Auch von daher musste man sich der Zeit anpassen. Das Ged�chtnis einer b�sen Zeit musste von der guten �berdeckt werden. Erinnerung ist daf�r nicht gut. Die deutsche Rolle in der Vergangenheit musste jetzt f�r die Gegenwart ausgel�scht, eine neue "Erinnerungskultur" geschaffen werden, die dieses Unding m�glich machen sollte.

Deutsche Politiker und Journalisten, allen voran Schr�der, Augstein und Donahnyi, stimmten in den �ffentlich einsetzenden Verdr�ngungsprozess ein. Deutschland m�sse wieder "handlungsf�hig" werden und "nur" wegen der Deutschen Geschichte k�nne man sich nicht mehr "raushalten" und sich "mit dem schlechten Gewissen traktieren" (Schr�der in "Die Zeit" vom 4.2.99). Mit der Berliner Republik sollte eine neue Geschichtsbew�ltigung einsetzen, eine "handlunsf�hige". Schon f�r die Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien stand das bisherige deutsche Selbstverst�ndis auf dem Kopf: "Nie wieder Krieg" bedeute auch Wegschauen, passiv sein. Deutschland m�sse die "Lehre aus Auschwitz" ziehen (Fischer) und sich f�r "die Freiheit" einsetzen. Wie die USA eben einst f�r Deutschland. Ja, ihnen sei es wirklich nur um unsere Freiheit gegangen. Und so war das amerikanische Selbstverst�ndnis jetzt auch flugs ein deutsches.

Der inzwischen weltber�hmt gewordene deutsche Schriftsteller Martin Walser bekam 1998 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels zugesprochen. Man erwartete eine kl�rende Rede von ihm zu diesem Thema, schlie�lich waren seine j�ngeren Erz�hlungen von einer eindeutigen Sprache. Und er war dazu bereit und er machte gut, wozu er ausersehen war. Im Grunde sollte die Scham f�r die Entbl��ung menschlicher Bestialit�t, mit der die deutsche Geschichte verbunden war, aus der Welt sein, ohne dass die Barbarei, in der die Menschen auf der Welt auch heute noch leben, zur Sprache kommen durfte. Die Rede war so t�ckisch, wie man es nur aus der Politik kennt. Walser sprach politisch f�r eine Allgemeinheit, die wie ein ganz pers�nlicher Herzenswunsch eines allgemein geachteten Schriftstellers zu nehmen sei. Er sprach f�r die Gem�tslage eines ganzen Volkes und trat doch ganz privat und einzeln auf als zun�chst versch�mtes Bed�rfnis nach Seelenfrieden, das dann aber immer gr��ere Anspr�che f�r Seele, Volk und Vaterland stellte.

Er f�hrte sein Anliegen als ein Sonntagsredner ein, der auch mal �ber sich reden darf, wenn ihm tagt�glich zugemutet wird, sich mit einer Moralkeule gegen "die deutsche Schande" immer befassen und zur Wehr setzen zu m�ssen. Als Sonntagsredner konnte er nat�rlich alles sagen und auch jammern �ber allerlei, besonders �ber die linksintellektuellen Anma�ungen, seine Gem�tslage beherrschen zu wollen. Von solchem b�sen Willen verfolgt stellt er unvermittelt die erstaunliche Behauptung auf, dass es hierf�r einen allgemeinen Grund gebe: Man f�hle sich eben �berhaupt schlecht dabei, ein Deutscher zu sein, wenn man dabei "st�ndig" mit deutscher Vergangenheit konfrontiert werde. Und er will sich nicht mehr einfach nur schlecht f�hlen. Viele haben solche Gef�hlsprobleme nicht, wenn sie sich aus ihrer Geschichte geworden begreifen. Aber es geht ja wohl um was anderes.

Unter der Hand war eine schlichte allgemeine Befindlichkeit zur ma�geblichen Bedeutung seiner Rede geworden, welche den Sachverhalt, um den es eigentlich ging, schnell umkehrte. Und dann kam es so richtig raus, was seine Seele schon die ganze Zeit bedr�ngte: Nicht die Nazisoldaten machen ihr das Problem, sondern die "linken Meinungssoldaten" des Holocaust-Bewusstseins, welche die Sonntagsruhe, "die Gewissensfreiheit f�r die Deutschen" nicht zulassen. Und ebenso seicht wie entschlossen restaurierte Walser mit seiner Sonntagsrevision und der darin bezweckten Rehabilitation der Deutschen die altbekannte Metaphorik gegen Juden, die sich durch das R�hren in deutschen Wunden wieder ungeziemlich geltend machen w�rden. In Walsers Diskussion mit Ignaz Bubis forderte deutscher Antisemitismus das Recht auf seinen Seelenfrieden. Bubis‘ Antwort auf Walser sei eine Einmischung und sei eine Zurechtweisung, welche das Selbstbewusstsein der Nation besch�dige. Und schlie�lich: Die Juden h�tten kein Recht, sich in deutsche Angelegenheiten einzumischen ("Brandstiftung" S. 66f), so deutsch d�rfen sie sich niemals f�hlen! Da hatte jener j�dische Psychoanalytiker wohl recht, als er nach 1945 feststellte, dass die Deutschen es den Juden nie verzeihen w�rden, dass sie "Ausschwitz n�tig gemacht" h�tten.

Die Begriffswandlung von Scham zu Schande diente nur dazu, eine notwendige Entwicklung aus einer Scham zu einem neuen Verh�ltnis zu Leben und Wirklichkeit zu gelangen, abzuwehren. Indem von einer Schande gesprochen wird, wei� man sich von einer unredlichen Selbstherrlichkeit verfolgt. Dem wurde einfach die Redlichkeit des Sonntagsb�rgers entgegengehalten, die ja schon oft dem deutschen Selbstverst�ndnis �u�erst dienlich war. Der redliche Deutsche war ja schlie�lich auch der ideologische Kern, der dem Antisemitismus inne ist. An den Juden, denen das Zinsgesch�ft angelastet wird, sollte die Redlichkeit des arbeitenden Deutschen entgegengehalten werden, die Tugend der Selbstfindung durch "eigener H�nde Arbeit", durch die Arbeit, die den Menschen frei mache. Damit war Kapitalismus, Kapital wie Arbeit, zu einem Kulturph�nomen herausgeputzt, das durch die Abweisung einer besonderen Kultur, die mit den Juden irgendwie zu verbinden war, indem sie ihm die Rolle eines wuchernden Kapitalisten zuwies, erledigt ist. Die "Endl�sung" sollte dem Volk suggerieren, dass das wirtschaftliche Elend, das ihnen die Geschichte des Kapitalismus gebracht hatte, mit der Judenvernichtung "aus der Welt" sei, w�hrend sie in gro�em Ma�stab der Vervollkommnung einer Staatsmacht dient, die f�r die deutsche Kapitalwirtschaft die Welt erobern wollte.

Aber wer die Walser-Rede f�r ein unmittelbar bewusstes politisches Interesse gehalten hatte, wer wie z.B. die "Antideutschen" glaubte, Walser wolle einem wiedererwachenden deutschen Nationalismus das Wort reden, verkennt dennoch die wirkliche Lage. Walser trat nicht f�r rechte Politik ein, sondern f�r die Verschleierung von Politik �berhaupt. Politik macht man heute nicht mehr mit politischem Interesse, sondern mit dem Seelenfrieden, durch den sie unwahrnehmbar wird. Die Sonntagsruhe, die Martin Walser beansprucht, ist eher eine Reminiszenz an das selbstgef�llige Siechtum b�rgerlicher Beh�bigkeit mit all den darin einbegriffenen Dummheiten, als dass auf diese Weise Politik als ein auf eine Gesellschaft bezogener Wille aufkommen k�nnte. Dies dient vor allem der Entpolitisierung sowohl nationaler, wie internationaler Auseinandersetzungen. Seine Rede war aber darin politisch, dass sie ablenkt, dass sie nationalistische Interessen anrei�t, um sie auch sogleich zu beschwichtigen. Es ging ihm scheinbar um den R�ckzug in die traute Kammer, aber eben doch eigentlich nicht, sondern um den Ausgleich aller gegen alle, um die Erzeugung von Wirklungslosigkeit im nationalen Streit der Positionen, um ihre Entwirklichung, damit Deutschland im Gro�en und Ganzen auf die Matte kommt, auf der es stehen muss, um in der Welt zu sein. In der Kammer, worin sich das unbefleckte Bewusstsein gleicherma�en tr�stet wie emp�rt, sich von rechts wie von links beschimpft, will sich keine �ffentlichkeit auf Dauer so recht einstellen. Darin hat alles eher den Charakter von nostalgischer Besch�ftigung mit sich selbst. Es geht in der neueren Befassung mit der deutschen Geschichte um eine "Psycho-�konomie des Wegsehens" ("Brandstiftung", S. 109), aber nicht, um rechte Politik zu best�rken, sondern um eine Politik durchzusetzen, die von allem absehen muss, was die Geschichte der Deutschen betrifft.

Was die "deutsche Schande" f�r Martin Walser bedeutet, wird ein R�tsel bleiben, behauptet dies doch, dass deutsche Kultur durch eine Vergegenw�rtigung des Holocaust entwertet sei. Das Gegenteil ist wohl eher der Fall. Und ansonsten sind die kulturellen Werte der Deutschen damit �berhaupt nicht betroffen, ja geradezu abgetrennt. Weder deutscher Geist noch deutsches Kapital wurden so richtig begriffen. Die Entstehungsgeschichte des deutschen Nationalismus aus dem Patriotismus von Schiller, der Humanismuskritik von Nietzsche, dem Willen von Schopenhauer und der Daseinsanalyse von Heidegger ist genauso wenig erforscht, wie die deutsche Wirtschaftskrise inmitten der Weltwirtschaftkrise, die Ausschaltung der Konkurrenz des deutschen Kapitals durch den europ�ischen Kapitalismus. Die Wirkung von wirtschaftlicher Zerst�rung zu einer geistigen Verabsolutierung, die sich in einem faschistischen Kulturstaat vereint hatte, w�re gut begreifbar geworden.

Aber solche Nationalgeschichte interessierte die Politik eigentlich nicht mehr wirklich. Politik hat heute in erster Linie einen internationalen Grund. Rechte und linke nationale Wertungen sind f�r die Politik in Deutschland dazu da, Selbstbewusstsein zu gaukeln, und nicht, um eine deutsche Geschichte voranzubringen. Die Bewegungsr�ume sind ausgelotet und im Hochhalten von kulturellen Werten kann man h�chstens etwas leichter und doch st�rker auftreten, als ohne. Rot-Gr�n hat uns da ideologisch ja erst richtig drauf gebracht: Es sind ausgesprochene Antinationalisten und Antifaschisten, die sich f�r die Globalisierung des Kapitals engagieren. Nationalismus ist f�r diese Entwicklung hinderlich, dumm. In der Welt z�hlt nur noch, was wirklich auf der Welt ist, gleichg�ltig, was kulturelle Werte hierf�r bedeuten. Deutschland ist in der Welt angekommen - als gleichwertiger Gesch�ftspartner und als "Partner im NATO-Verband".

Jede Art von nationalem Bewusstsein hat sich er�brigt, weder als Vorwurf, noch als Verteidigung. Es geht nicht mehr um Nationen und nicht um Land und Leute: Es geht ausschlie�lich um Bereicherung, um das Prinzip in seiner h�chsten Sachlichkeit - um die Sache der Sachen, die hierzu dienlich ist und darum, wie man dazu kommt: Geld. Es geht um die Ordnung, durch die man es errreicht und f�r sich nutzen kann. Hierf�r ben�tigt man nicht mehr unbedingt Feinde, sondern Bestimmungsmacht - m�glichst als "Freund und Befreier". Das ist heute der eigentliche Prozess, der die Militarisierung ausmacht. Aber der Seelenfrieden als solcher und die Politik mit der Kultur ist hierf�r von gro�er Bedeutung.

 

Die Macht der Vers�hnung und der deutsche Kulturchauvinismus

Geschichte interessiert in der �ffentlichkeit nicht wirklich als Nachdenken �ber die Epochen und ihre Unterschiede, �ber die Abfolge von Wirklichkeiten und deren Gr�nde. Wenn sie nicht an den Akteuren demonstriert wird, ist Geschichte uninteressant. Aus den Entscheidungen der Geschichtspersonen wird Geschichte zum Beispiel von pers�nlichem Handeln, an dem sie sich klipp und klar aufbereiten l�sst. So muss sie sich auch nicht mehr aus den Lebensverh�ltnissen der Menschen erkl�ren lassen. Sie sind belanglos, wenn die Welt als Plan und Entwurf, als eine Konstruktion von einzelnen m�chtiger Menschen begriffen wird. Macht scheint ihrer Pers�nlichkeit inne zu liegen wie eine stille Seele im Weltgeschehen. Beispiele pers�nlicher Entscheidungen und Verf�gungen sind f�r das heutige Lebensverst�ndnis die vorwiegende Substanz dessen, was Geschichte hei�en kann. Der Nachvollzug vom "Menschen Hitler" und seinen Zeitgenossen scheint bedeutsamer, als die Geschichte der Verh�ltnisse, woraus er und sie entstanden waren. Wir m�ssen es nicht mehr begreifen, nicht wirklich erinnern, nicht wirklich zu Ende bringen, was die Nazis taten und wollten. Wenn wir verstehen, was sie als Mensch darin gef�hlt, gelitten oder zerst�rt haben, dann haben wir es begriffen, abgeschlossen f�r uns und die Welt. Was wir jetzt tun, das hat dann nichts mehr damit zu tun, das ist ja sowieso klar. Das ist die wahre und einfache Konsequenz dessen, was auch Martin Walser zeigen wollte. Es ist die Bew�ltigung der Vergangenheit, welche schon durch den Tod der darin handelnden Menschen entschwindet. Es ist die finale Versenkung von Geschichte und Lebensverh�ltnisse in Lebensweisen, in subjektive Lebenskonstruktionen, in Genealogie. Das Verstehen und Begreifen hat sich hierdurch umgekehrt: Nicht das wirkliche Leben erkl�rt die Erlebensweise, sondern die Erlebensweise soll das wirkliche Leben erkl�ren. Das ist das Ph�nomen schlechthin, Ph�nomenologie, wie sie f�r sich leibt und lebt, ohne ein wesentliches Leben au�er sich zu haben. Und da spielt denn alles herbei, was nicht mehr Beispiel oder blo�es Ph�nomen ist und uns seinen Grund befragen l�sst. Es ist die Begr�ndung selbst. Alles erscheint als Grund f�r sich, durch sich selbst begr�ndet, wenn auch mit welchselnden Verursachern.

Der Nationalsozialismus l�sst sich ebenso durch Hitler erkl�ren, wie auch Hitler sich durch den Nationalsozialismus erkl�ren l�sst. Der Grund f�r jede Beziehung ist nur noch eine Frage der Allgemeinheit, ein Zirkelschluss der Verallgemeinerung. Die besondere Geschichte erkl�rt die allgemeine, der besondere Wahn, den allgemeinen: Hitler als Waisenkind, Hitler als gescheiterter K�nstler, Hitler und die Frauen, Hitler und das Geld, Hitler und der Untergang. Eigentlich k�nnte fast jeder Mensch Hitler sein. Es l�sst sich nur umgekehrt immer weniger erkl�ren, warum er es eigentlich nicht ist. Es gibt so viele Waisenkinder, Frauengeschichten, Geldsachen etc. Aber wir interessieren uns inzwischen eben f�r Lebensverh�ltnisse nur noch vom Standpunkt des Zuschauers, den das Besondere zur Unterhaltung geworden, das Wahrnehmbare nicht mehr wahrgehabt werden muss. Wir haben uns l�ngst abgew�hnt, selbst Akteuere unserer Geschichte zu sein. Es ist zu riskant, und solange es gut geht, bleiben wir lieber drauf als drunter. Hitler k�nnte heute locker bei J.B. Kerner in der Talkshow auftreten und als herausgesetzter Sonderling einer ansonsten ganz gew�hnlichen Geschichte brillieren, als dass klar werden m�sste, warum die Geschichte einer Weltkrise den Sonderling zum Besonderen, zum Erl�ser gemacht hatte. Mensch Hitler! "Wie gut, dass du so b�se bist!" (Leitspruch des Hellinger-Instituts, der auffordern will, das B�se in sich selbst zu entdecken).

Aber auch wenn alles so h�bsch nachvollziehbar ist, wird doch nicht nur dar�ber berichtet. Im Nachvollzug muss das Allgemeine eben auch besondert werden, um sich wirklich umsetzen zu k�nnen. Dass Geschichte eine Geschichte der Lebens- und Produktionsverh�ltnisse ist, die in unterschiedlichen Bedingungen der menschlichen Entwicklung bestimmt sind, das soll ja nicht mehr wahr sein. Die Besonderung, die von den einzeln handelnden Menschen selbst ausgeht, sei daher auch unmittelbar ihre Allgemeinheit: Der Geist ihrer Zeit. Schlie�lich war ja auch Hitler ein "Kind seiner Zeit". Die Zeit selbst wird somit zum ma�geblichen Argument f�r das, was die Identit�t von Geschichte und ihrem Wesen tats�chlich allgemein machen soll. Und schon sind wir wieder bei Heidegger’s Sein und Zeit, die Zeit als Wesensbestimmung des Seins, die Endlichkeit des Einzelnen als Wesen des Allgemeinen, der Tod als Bestimmung des Lebens. Wir alle sind Kinder unserer Zeit, in die Welt geworfen, mit der wir dann einfach zurecht kommen m�ssen. Also m�ssen wir uns mit ihr vers�hnen, ob wir wollen oder nicht. Das sei unsere Wahrheit, unser Sein, das in unserem Dasein sich hier und dort lichtet, lebendig wird durch die Ereignisse des Lebens. Auf solchen Lichtungen erfahren wir unsere Zeit als unsere Bestimmung und diese letztlich wie ein "h�heres Wesen", einen h�heren Grund, der keinen Sinn f�r uns hat, aber uns aus einem dunklen Hintergrund, aus einer Art Kosmos des Zeitgeistes in uns f�hrt. So haben wir Geschichte eben als das, was in die Menschen f�hrt, wenn sie entscheiden und handeln. Hitler ist nicht nur blo�es Beispiel der Geschichte von Pers�nlichkeiten, als Geschichtsperson ist er auch ein Beispiel f�r die Art und Weise einer Geschichtsinterpretation und interessiert auch hierf�r: Er ist gerade durch seine Pers�nlichkeit als Allgemeinheit eines Zeitgeistes ein besonderer Mensch seiner Zeit, die zugleich durch seine Pers�nlichkeit wesentlich bestimmt sein soll. Als diese Pers�nlichkeit muss er uns f�r die �berwindung der deutschen Geschichte also auch ungeheuer wichtig sein. Eigentlich m�ssen wir ihn nach dieser Logik menschlich in uns aufnehmen, um ihn historisch zu �berwinden, um einen neuen Zeitgeist f�r uns zu schaffen. Das macht den psychologischen Sinn von Heideggers (Indexup2a1a1b2d) Philosophie.

Der Heidegger-Sch�ler Hellinger (Indexup2a1a1b2c) hat dies au�erordentlich konsequent in den Irrsinn getrieben, der auch wirklich in diesem Zirkelschluss solcher abstrakten Allgemeinheit herauskommt, indem er in der Vers�hnung mit Hitler die Notwendigkeit unserer Zeit sieht:

"Hitler. Manche betrachten dich als einen Unmenschen, als ob es je jemanden gegeben h�tte, den man so nennen darf. (...) Wenn ich dich achte, achte ich auch mich. Wenn ich dich verabscheue, verabscheue ich auch mich. Darf ich dich dann lieben? Muss ich dich vielleicht lieben, weil ich sonst auch mich nicht lieben darf? Wenn ich bekenne, dass du ein Mensch warst, wie ich es bin, dann schaue ich auf etwas, das �ber uns beide in gleicher Weise verf�gt, auf etwas, das sowohl deine wie meine Ursache ist - und unser Ende. Wie d�rfte ich mich von dieser Ursache ausschlie�en, indem ich dich ausschlie�e? Wie d�rfte ich diese Ursache anklagen und mich so �ber sie erheben, indem ich dich anklage? Doch ich darf auch kein Mitleid mit dir haben. Du stehst und f�llst der gleichen Ursache wie ich. Ich verehre sie in dir wie in mir und unterwerfe mich ihr in allem, was sie in dir bewirkt hat und was sie sowohl in mir und als auch in jedem anderen Menschen bewirkt". (Bert Hellinger 2004 in "Gottesgedanken" S. 247). 

Die Logik ist irre und hat alle irritiert, die bis dahin flei�ig in die Helllingerschen Familienaufstellungen gegangen waren. Man soll sich nur lieben k�nnen, wenn man Hitler liebt? Wer Hitler verachtet, der w�rde sich verachten? Wer dessen Taten unmenschlich findet, ist selbst ein Unmensch? Ist Hellinger verr�ckt geworden?

Es mag erst mal so erscheinen. Aber die Einheit des Allgemeinen, die gleiche Ursache, ist eben nur durch die Entgegensetzung der Besonderheiten. Das Gute ist nur durch das B�se. Das klingt dialektisch. Dieser Widerspruch muss zum tragen kommen. Denn aus dessen Aufhebung soll sich ergeben, was die Identit�t des Widersinns zur menschlichen Identit�t macht. Hier geht es eben nicht mehr nur um kosmische Abstraktionen, sondern um deren R�ckvermittlung ins konkrete Leben. Nat�rlich ist die Behauptung, dass eine Identifizierung mit Hitler einen Menschen erst wirklich zu sich bringt, ungeheuerlich. Aber das Gute im B�sen zu sehen, ist raffiniert: Moralische Begriffe werden wahrnehmbar gemacht. Was f�r sich als gut oder b�s gilt, scheint somit bezogen, vermenschlicht ohne menschlich zu sein.

Immerhin wird der konkrete Schein solcher Abstraktion zum Ereignis, zum Gef�hlssturm gegensinniger Empfindungen. Die Raffinesse steckt in der Erzeugung einer Notwendigkeit, mit sich in dem Eins zu werden, was im Widerspruch hervorgekehrt wird, was im Erleiden gegensinniger Wahrnehmungen, Erinnerungen, Gef�hlen und Ahnungen zum schlichten Menschlich-Sein gebracht wird. Das Teuflische an Hellingers "Therapie" ist die R�ckf�hrung des Zerstreuten auf abstrakte Einheiten, die als konkrete Gef�hle auftreten und darin als eigene Wahrheit erscheinen. Durch deren Reduktion wird deren Einheit durch scheinbar eigene Aktivit�t erst wirklich erzeugt, produziert als Unterwerfung, als Demutshandlung f�r einen Sinn, der vergangen ist und f�r die Zukunft Verwendung bekommt: Die "Ordnung der Liebe" (Hellinger). Die Herstellung dieser Ordnung soll ein Zur�ckfinden in die "Gesundheit" sein, ein Nachf�hlen des Gesunden im Kranken, des Positiven im Negativen, und so entsteht immer und �berall positives Selbstgef�hl, wo es vonn�ten ist, gleich was ihm widerspricht. Die sublime Selbstentfremdung wird als Massenereignis zu einem vollst�ndig �berhobenen Gef�hl, mit dem Menschen nat�rlich leichter in ihrer fortbestehenden Isolation leben k�nnen, als im unmittelbaren Leiden hieran. Das Heil ist nahe und es ereignet sich �ber die Rekonstruktion dessen, was niemals Wirklichkeit werden konnte, im Selbstgef�hl einer Nachempfindung aber jetzt vollst�ndige Wirkung erf�hrt (siehe hierzu auch: "Ein Heiland der herrschenden Ordung").

Durch das Ineinsnehmen von Gutem und B�sem wird Menschsein einge�bt. Und es erscheint nahe am Menschen, festigt das Menschsein zumindest f�r das Einzelwesen Mensch, wie es in Hellingers Erleuchtungsszenarium massenhaft vorkommt und so in den Menschen best�tigt wird, was au�erhalb von ihnen pure Not w�re. Sie wird wieder positiv lebbar, ertr�glich im Verein des Zwischenmenschlichen, dem sie entspringt. Das ist das Gute am B�sen, dass wir jetzt vollkommen dr�ber stehen und es dennoch leiden k�nnen. So werden die Konsequenzen einer Abstraktion von Moral erst wirklich zutiefst moralisch empfunden, ohne dass deren wirkliche Geschichte interessiert. Denn durch sie ist sowieso evident, dass wir nicht Hitler sind.

Doch der Rekurs auf ihn hat eine psychomilit�rische Funktion: Die Selbstwahrnehmung wird f�r sich selbst moralisch, indem sie sich dem B�sen antimoralisch zuwendet. Und die moralische Selbstwahrnehmung wird in dem Ma�e wirklich, wie die Wahrnehmung von Wirklichkeit darin untergeht. Was geschichtlich wahrgehabt wird, wird unwahrnehmbar, weil Selbstwahrnehmung schon alles enth�lt, was f�r sich selbstverst�ndlich sein muss: Die Liebe, die Familie, die Familiengeschichte und die Ahnen. Das ist das ganze Geheimnis der Hellingerschen Familienaufstellungen. Die Vers�hnung mit einer nat�rlich gemachten Geschichte macht sie zur Naturgeschichte eigener Zeit, zum Wesen eigener Abstraktion, zu einer Archetypie eigenen Werdens, gefestigt durch dessen Ursprung quasi im Nachhinein. Und die Demut vor den Notwendigkeiten des Vers�hnens macht es auf eine esoterischen Art und Weise �bersinnlich, eigentlich �bermenschlich. Das klappt vorz�glich und damit verdient Hellinger viel Geld.

Und nicht nur er. Auch sein Anh�nger, der allseitig moderate Pfarrer Fliege, zeigt im ARD-Programm fast jeden Nachmittag, wie sehr wir doch bestimmt sind durch die Verstrickungen der Vergangenheit, die immer mitl�uft, als sei sie ein Drehbuch des Lebens. Da z�hlt am wenigsten die Gegenwart, wirkliche Not und wirkliche Lebensbedingung. Was in fr�heren Jahren geschehen war, wird gemessen an dem, wie das Leben eigentlich sein sollte, wie es nat�rlich w�re, vertraut usw. wenn, ja wenn alles so w�re wie es sein sollte. Die Vers�hnungsideologie bekommt hier ihre Institution, die sich als Helfershelfer hautnaher Verst�ndigung �ber das eigentliche Sein und Sollen hergibt, um Gl�ck durch Vereinigung und Wiedervereinigung zu stiften, gleich, was immer die Trennung und das Ungl�ck hervorgerufen hatte. Die praktizierte Aufhebung von vielleicht auch wirklich Unvers�hnlichem macht jede Wirklichkeit zum Gleichnis eines Seelen-Events, das hohe Einschaltquoten hat.

Tats�chlich macht die Vers�hnung – ob mit Hitler oder allen anderen - auch vers�hnlich mit allem anderen, mit der ganzen Welt. Es ist die Initiation der Gleichg�ltigkeit gegen wirkliche Geschichte, die Erzwingung einer Entwirklichung durch das Vergessenmachen dessen, was wirklich war. Alles, was in einer Geschichte b�se verlief, wird von seiner Begr�ndung freigemacht und einer h�heren Ursache des "Menschenschicksals" unterstellt, letztlich einem Vater des Lebens. Indem das Schicksal als unbezwingbare Gegebenheit und zugleich der Schutz des Allerh�chsten versichert ist, muss auch jede Bosheit vers�hnt werden – schlie�lich kann man sie nur dann ertragen. Das ist die konkrete Pastorale, zwar hoch gegriffen, aber es funktioniert fast immer, weil damit die Unterwerfung der Lebensimpulse in einem Menschen unter die Macht einer im Grunde unab�nderlichen Bestimmung einer h�heren Lebensschuld, eine Art seelisches Milit�rprinzip, erzeugt wird: Das Leben sei so gewaltig wie ein Kosmos, der selbst unbegreiflich ist wie die ganze Welt und dem wir letztlich nur folgen k�nnten, um in unserem Leben zu gesunden. Der Schluss wird umgekehrt: Dass es Probleme gibt, liegt an einem Versto� gegen dieses Prinzip. Jeder Mensch ist auch das B�se. Hast Du dich dem B�sen erst mal gen�hert, bist du auch mit ihm wie mit dir vertraut. Du verlierst jede Scheu, weil Du damit alles bist, was Du sein kannst und das kann nur gut sein. Dem Prinzip nach ist jeder Mensch mit allem vers�hnt, wenn er zu allem vers�hnlich ist – und das ist er, sobald er seine Unterwerfung in das "Schicksal" vollzogen hat. Denn in dieser Allgemeinheit ist er dann schlicht und einfach mit seiner "Natur" vers�hnt, was immer dies sei, hat keinerlei Scheu, weil er mit allem vertraut ist, kann sich beherrschen, weil er von allem beherrscht ist und kann mit bestimmen, was alle bestimmen soll. Aber wehe ihm, er nimmt an dieser Vers�hnung nicht teil! Dann widerspricht er seiner eigenen Natur, wie sie in dieser Allgemeinheit eben bestimmt ist, dann ist er widernat�rlich! Jedes Anderssein wird damit unterworfen und herabgesetzt zu einem Sein von anderer Art, die unvers�hnlich ist, abartig, vielleicht auch hinterh�ltig, terroristisch ... Nein, nat�rlich geht es nicht um Hitler und die deutsche Geschichte. Es geht ausschlie�lich um eine Gemeinschaft von Menschen, die sich dadurch definiert, dass sie B�ses zu beherrschen versteht.

Es geht hierbei um Politik mit den Lebensgef�hlen, mit denen praktisch alle wirklichen Zusammenh�nge in die Gef�hligkeit des Zeitgeistes eingewickelt werden. Und die wird nicht nur von Hellinger betrieben. Die Militarisierung der Psyche findet in vielen Anwendungen der Psychologie statt, wenn Lebensgef�hle eingesetzt werden, um individualisierte Lebenszust�nde von ihrem Grund abzuheben, alles ertragbar zu machen, indem alles vers�hnt leben kann, ohne Sinn f�reinander zu haben, um die "Macht des Mitgef�hls" (Condoleza Rice). Das ist letztlich, was solche Theorie einer urspr�nglichen Gesundheit des F�hlens gegen die Unvers�hnlichkeit wirklicher Auseinandersetzungen und K�mpfe auch vermitteln will. Es geht nicht um deren wirkliche Aufhebung, sondern um die gro�e Demut vor den Gegebenheiten des Lebens, denen alles Lebendige unterworfen werden muss, um sich gut f�hlen zu k�nnen. Die Rituale der Psychologie, die Verbeugungen und Demutsbezeugungen, finden nicht nur bei Hellinger statt. Erwachsene werden durch die Unterwerfung unter eine seelische Allmacht, durch die Erm�chtigung einer seelischen Abstraktion, zu Kindern ihrer Geschichte, und Kinder m�ssen ihre Geschichte lieben, - ihre V�ter, auch wenn sie von denen missbraucht worden sind, ihre M�tter, auch wenn sie von denen aufgehetzt worden waren. Die Seele wird betreten mit der Macht ihrer pers�nlichen Geschichte, die in der Gewalt von Psychokraten steht (vergl. hierzu "Gehirn-W�sche" von Elisabeth Reuter, Antipsychiatrieverlag 2005). Sie wird zuerst entwirklicht, von ihrem Ged�chtnis abgehoben, und dann militarisiert, um sich auch seelisch durchzusetzen, geh�rtet, um sich gegen alles behaupten zu k�nnen. Sie ist f�r alles ger�stet, was das Schicksal bringt, allem nah, ohne sich bedr�ngen zu lassen, weil in Wirklichkeit allem fern ohne fern zu sein, abstrakt und doch konkret. Solche N�he beherrscht alles, was sich von ihr nicht entfernen kann.

In der Vers�hnung entsteht die N�he zu allem und mit allem, ohne Wirkung oder Wirklichkeit au�er der, dass alles darin auf seine Unwirklichkeit reduziert wird, auf ein Substrat von Beziehungen, die keinerlei Ausdruck haben k�nnen, auf die blo�e Anwesenheit von Sinn, der ohne sinnliche Existenz, f�r sich vollst�ndig unsinnlich, rein seelisch ist. Vers�hnende Kultur ist beseelt und bestrebt, Ausgleich zu finden und zu schaffen, sich zu ereignen, wie es in den Sinn kommt und sich zugleich darin zu enteignen, wie es Sinn hat. In der Konsequenz hat in solcher Kultur nichts einen Sinn, weil alles nur dadurch Sinn macht, dass es sich ereignet und als Ereignis selbst schon besticht. Es macht die Politik unserer Kultur aus, eine Allgemeinheit �ber allem zu erzeugen, Anf�hrung eines jeden zu stiften, der darin befangen ist und daf�r sein Bestes gibt, um auf der "B�hne des Lebens" zu stehen. Dort muss er sein, was von ihm erwartet wird, was eben f�r alle Sinn macht. Und ist er das, so erzeugt dies in ihm ein allgemeines und abstraktes Selbstbewusstsein guten Einvernehmens, die Gemeinschaft des Guten im Gutsein der Gemeinschaft.

Solche G�te ist besitzergreifend, indem sie nat�rlich scheint. Gerade indem ihre Natur durch die Kultur von Pers�nlichkeiten bestimmt ist, wird sie zur pers�nlichen Kultur der Menschen, die sich darin vers�hnen. Darin sind sie sich ohne Auseinandersetzung einig, eine Gemeinschaft, ohne Zusammentragen oder Herausnehmen, ohne Fortschreiten oder Zur�cknahme. Weil darin alles nur durch seine Zeit bestimmt ist, in der es sich ereignet, gibt es hierf�r keinen bestimmten gesellschaftlichen Ort, keine wirkliche Begegnung und keinen Sinn, der hierin f�r etwas gebildet wird, das gesellschaftliche Gegenst�ndlichkeit h�tte. Durch den schlichten Beitrag ihrer Anwesenheit ereignet sich ihr Zusammenhang als Prozess permanenter Vers�hnlichkeiten, durch die sie sich zwangsl�ufig und gezwungenerma�en n�her kommen, sobald sie sich nicht mehr aus dem Weg gehen k�nnen. Unsere Kultur ist voll solcher zwischenmenschlichen Begebenheiten und von daher in ihrer vers�hnlichen Gestik �berhaupt "dem Menschen n�her" als jede andere. Und es wundert nicht, wenn darin jeder sich als Beispiel f�r ein allgemein friedliches Menschsein versteht, als Moment eines ewigen Friedens, an denen wir nur noch durch fremde Kulturen scheitern k�nnen, die schon durch ihr Anderssein unfriedlich sein m�ssen.

So stand es schon bei Huntington und so steht es in fast allen �ffentlichen Verlautbarungen. Die Egozentrik unserer Weltwahrnehmung wird �bert�nt von unseren "Angeboten" an den Rest der Welt. Unser Kriegsgeschrei ist die ohrenbet�ubende Vers�hnung, die wir tagt�glich mit allem betreiben, was uns �ber den Weg l�uft. Und es ist die Entwirklichung, die wir jedem zumuten, der mit uns zu tun hat, auch und gerade, wenn er um sein Leben f�rchtet. Im Verh�ltnis zu anderen Kulturen sehen wir uns als Weltmeister, weil wir Weltmeister der Exportwirtschaft sind. Unser Kulturchauvinismus ist eigentlich ein �konomischer, indem wir die Erzeugung von Kulturabh�ngigkeiten durch �konomische Beziehungen nicht mehr nachvollziehen m�ssen, weil wir das haben, was andere nur bekommen, wenn sie uns ihre Lebensmittel und Ressourcen zu Schleuderpreisen geben. Die Vielfalt unserer Kultur gr�ndet auf vielf�ltigen Monokulturen und auf der Vereinseitigung der Produktion und der Landwirtschaft der abh�ngigen L�nder. Es herrscht unerbittlicher Wirtschaftskrieg, der immer wieder auch milit�rischer Krieg ist. Und zumindest an der �konomischen Ausbeutung und Vereinseitigung sind wir beteiligt, ob die nun konventionell oder im direkten Zwang zur Genfoodproduktion verl�uft.

Wir f�hlen uns im Grunde als Kultursubjekte, die es gut mit der Welt meinen, w�hrend sich diese Welt permanent r�stet, um unserer Entr�stung �ber die Armut der Welt Rechnung zu tragen. Die R�stung ist das Milit�r der Entr�stung, die Angst im Bezug auf eine Welt voller Armut, wie sie ein von den Menschen entfremdeter Reichtum hervorruft. Armut ist das Argument der Reichen, gegen sie vorzugehen, wie Reichtum das Argument der Armen ist, sich diesen anzueignen. Solange dies so ist, geht es nicht um die Aufhebung der Verh�ltnisse, welche Armut erzeugen, sondern nur darum, ihr Elend zu beherrschen. Solange dies so ist, ist milit�rische R�stung das Werkzeug unserer Kultur, die einzig wirkliche Vers�hnungsmacht. Im Mitleid mit ihren Opfern sind wir zugleich m�chtig, das Leiden der Geschichte zu bestimmen, indem alle anderen in der Leidensform verharren m�ssen. Die Geschichte wird dadurch selbst schmerzhaft und ohne ihre Wirklichkeit zu einer Geschichte seelischer Bezogenheiten.

Die Weltgeschichte erscheint so als Geschichte des Leidens, als Seelengeschichte der Kulturen, die entweder gef�rdert oder bedroht werden m�ssen, um sich auf dieser Welt in unserem Sinne zusammenzufinden. Wir wissen, dass es so nicht geht und erschrecken �ber das Auseinandertriften der Welten, die zwischen kultureller Macht und Ohnmacht die Entwirklichung ihrer Lebensbedingungen erfahren, die Armut und Reichtum als ein Verh�ltnis sublimer Klasssenk�mpfe enthalten. Angesichts der Seele, die wir dem Zeitgeist zuweilen verleihen, ist das nur noch "traurig aber wahr". Wir haben es schon immer so kommen sehen, aber durch unsere Vers�hnungsgestik erm�chtigen wir unsere Kultur zum Ma�stab f�r alles andere.

"Traurig aber wahr" ist zynisch. Aber Zynismus kann auch gelebt werden, wenn man sich damit zu kultivieren versteht. Man muss die L�ge des darin behaupteten Humanismus entkleiden und sich aus der Geborgenheit solcher Burgherrlichkeiten hervortun. Der Heidegger-Sch�ler Peter Sloterdijk (Indexup2a1a1b2b) zeigt den Weg einer Kritik des Zynismus, die vor allem eine R�ckbesinnung auf ihren geistigen Ursprung, dem Kynismus ist. Der universelle Patriotismus der Humanitas wird erst richtig allgemein, wenn sie sich er�brigt, wenn sie sich als Notwendigkeit ausgeben kann, dass der Mensch erst noch zum Menschen gemacht werden muss. Das ist nun zu g�tig, als dass es durch Vers�hnung zu erreichen w�re. Es ist die G�te eines neuen Helfers der Menschheit, der sich immer wieder mal aus der Philosophie heraussch�lt. Die Wissenschaft der Wissenschaften gibt sich allerdings jetzt anekdotisch, wenn Sloterdijk deren Konsequenz auff�hrt: Es muss ein Machtwort f�r das Menschliche gesprochen werden, das Menschentier bedarf der Z�hmung. Nat�rlich "meint" er das nicht so, aber er gibt dies als eine Frage heraus, die sich nur Philosophen in dieser Form stellen k�nnen, um in ihrer abgetrennten interpretativen Welt "wissenschaftliche Denknotwendigkeiten" unter die Leute zu bringen, deren Probleme sie nicht wirklich wissenschaftlich analysieren und erkl�ren will.

Dies ist wohl die hinterh�ltigste Militarisierung eines Selbstverst�ndnisses, das sich selbst als die Subjektivierung von "Humankultur" dazu aufmacht, den Philsophen mal im Vorbeigehen zum Zuchtberater zu machen. Mal "sehen, was dabei herauskommt"? Nein. Man soll sich angesichts der "Ungeheurlichkeiten der Welt" eben auch mal an ungeheuerliche Konsequenzen gew�hnen, um sich dann dem zu zuwenden, der das geringst m�gliche �bel verspricht. Um eine Universalkultur durch die Erzeugung einer Einheitskultur gez�hmter Menschen zu vermeiden, muss man erreichen, dass sie sich durch philosophische Vernunft selbst z�hmen. Sloderdijk fordert ja nichts, er beobachte ja nur, eben als Zuschauer, was in der Welt geschieht, und er zeige der Welt eigentlich nur, was ihr selbst n�tig sei. Und nat�rlich soll man das auch als Widerstand gegen diese Welt verstehen. Es ist n�mlich ganz einfach, wenn wir unseren Kulturgenuss als deren Kritik begreifen. So sind sie eben, die "Fortschritte" in der Philosophie. Jetzt allerdings mit mehr Selbstbewusstsein denn je: Wer heute noch glaubt, wirklich etwas �ndern zu k�nnen, der ist einfach nur ein armer Irrer. Mit solchem Verstand wei� die Wirtschaft umzugehen und jeder Politiker wird hierdurch auf seine Bem�hung um ihr Wohl relativiert, weil alleine sie auch das Wohl der Menschen bedeute. Und es vermittelt sich ihnen so als Hintergrund ihres Lebensverst�ndnisses das, was der kluge Danton als Inschrift der H�llenpforte begriffen hatte: "Lasst alle Hoffnung fahren!"

 

Der "wilde Mensch" im Menschenpark oder die "H�tung des Menschen"

Peter Sloterdijk w�re philosophisch bedeutungslos und vielleicht ein netter Essayist f�r philosophische Momentaufnahmen geblieben, h�tte er die allgemein gewordene Haltlosigkeit der Philosophie nicht genutzt und das besondere Gesp�r f�r Theorien gehabt, die dort f�llig sind, die also in die Zeit fallen, gleich, wer sie ausspricht. Ruhm erf�hrt der, der sie zuerst ausspricht – nat�rlich nicht als Gedanke oder gar als eine konkret denkende Ausf�hrung eines Weltverst�ndnisses, sondern als eine Provokation, die nicht nur Provokation ist, als Essay, das nicht nur Essay ist und als Perspektive, die keine sein soll. Sein Essay �ber die Menschenz�hmung und Z�chtung, �ber Bio-Technologie und Menschenparks sollte ja nur ein wenig aufr�hren, eigentlich eher scherzhaft, wie er sich sp�ter dazu erkl�rte. Aber auch darin liegt die Ungeheuerlichkeit des medial erfahrenen Endzeittheoretikers. Er sucht Wirkung um jeden Preis f�r eine preisg�nstige Theorie, die doch unverbl�mt ausspricht, was "auf der Hand liegt", wenn man die Welt nur sieht, wie sie ohne Menschen erscheint. Und dann bezieht man sich auf die Menschen, um sich selbst in dieser Erscheinung auszubreiten. Man muss eben schon mal auch agieren, um aufzufallen und reinzukommen in den Dunstkreis zerfledderter Philosophie. Klarheit entsteht eben nur durch Vorsto�. Da ist Sloterdijk ganz wie George W. Bush.

Er tritt als Philosoph auf - und das ist heute nicht schwer, wenn man sein Denken aus dem Wahrheitsgeraune des Martin Heideggers bezogen hat. Schwer ist nur zu begreifen, was Heidegger mit seinen Begriffen alles anstellt. Ohne es begriffen zu haben, macht Sloterdijk schlicht dasselbe. Nat�rlich nicht mehr als Gedanke, sondern als Betrachtung. Die f�ngt mit Allerweltswahrnehmungen an, die einen Namen bekommen, der einfach klingt, aber folgenschwere Implikatite hat: "Durch die mediale Etablierung der Massenkultur in der Ersten Welt 1918 (Rundfunk) und nach 1945 (Fernsehen) und mehr noch durch die aktuellen Vernetzungsrevolutionen ist die Koexistenz der Menschen in den aktuellen Gesellschaften auf neue Grundlagen gestellt worden. Diese sind, wie sich ohne Aufwand zeigen l�sst, entschieden post-literarisch, post-epistolographisch und folglich post-humanistisch." (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark"). Da sieht man doch gleich mal wieder, was Internet und Fernsehen so alles anrichten k�nnen: Die Leute reden nicht mehr miteinander, es gibt keine guten "Erz�hlungen" �ber das Menschsein – und ergo ist das Humane jetzt am Arsch! Aber auch ohne dies sei der Humanismus ein Problem und geh�rt deshalb auch kritisiert. Vielleicht kommt von da her, dass Sloterdijk im Fernsehen ja auch m�chtig mitwirkt und dort viel erz�hlt? Er ist ja nicht von gestern und hat seinen Lehrer Baghwan und die Frankfurter Schule eingeatment und hinter sich gelassen. Immerhin konnte er von dem alten Inder lernen, wie man die Menschen im Widersinn ihrer Zeit begreifen muss: Sie machen sich einfach zuviel vor mit ihrem "Menschlich-Sein". Sie sind eigentlich nur verklemmt und stehen sich selbst im Weg. Schau sie dir doch an: Alles was sie anfassen machen sie kaputt.

Gro�e Notwendigkeit fordert gro�es Denken heraus! In epochalen �berblicken durchstreift Sloterdijk in seiner Elmauer Rede �ber den Menschenpark vor dem bildungsb�rgerlichen Publikum, wie es in evangelischen Akademien �fter anzutreffen ist, Jahrtausende der menschlichen Bildungsgeschichte. Aber der Gedanke, der darin aufgelesen und eingesammelt wird, ist einfach und alt.

Wie Heidegger gemahnt auch Sloterdijk der Seinsvergessenheit angesichts einer Welt, die durch Trechnik und Bewaffnung den Menschen zu entgleiten droht. Allerdings sieht er darin weniger die Notwendigkeit einer R�ckbesinnung auf ein gestaltendes Prinzip besserer Wahrheit, wie sie Heidegger vermitteln wollte, sondern schlichten Handlungsbedarf. Und hierf�r entdeckt er eine neue Epoche der Wissenschafts-Aristokratie, die es auch schon mal vor 2400 Jahren gab. Der soeben festgestellte Untergang "der Humanitas" soll mit einer Bildungsaristrokratie � la Platon �berwunden werden. Das ist echter Journalismus! Als Essay nicht schlecht!

Schlicht und unbefangen m�ssen wir ihm folgen, wollen wir das Ende dieser Story kennenlernen. Denn man bedenke ohne dabei viel zu denken: Die Lage ist ernst, das Leben ist hart, aber wir lassen uns nicht kleinkriegen und schon gar nicht eins�lzen von dem humanit�ren Geschw�tz. Also: Es geht erst mal um eine Kritik der Humanitas. Diese beginnt mit der inzwischen modisch gewordenen Kritik am Anthropozentrismus, denn der ist (nat�rlich) jedem Humanismus vorzuwerfen. Schlie�lich leben wir ja selbst in der Natur und m�ssen also uns mit ihr auch gut stellen. Als ob der Mensch nun kein nat�rliches Wesen ist, das nat�rlich mit seiner Natur klar kommen muss, wird ihm mit diesem Vorwurf eine Natur au�er ihm als h�here Macht angewiesen, die er zu befolgen habe. Schlie�lich gibt es ja auch wichtigeres als die Ausbreitung des Menschen auf dem Planeten. Und da muss man nat�rlich nicht viel dr�ber zu verlieren, das versteht sich von selbst. Dass "der Mensch das h�chste Wesen f�r den Menschen" (Marx) sei, sei schlicht humanistische �berheblichkeit �ber das Weltganze. Was wesentlich ist und was Mensch meint, das interessiert doch heute sowieso nicht mehr. Es geht inzwischen ja um nichts Geringeres als die Zukunft des Planeten. Dem gegen�ber benehmen sich die Menschen "schlimmer als Tiere". Darum n�mlich ginge es "dem Humanismus": "Wer heute nach der Zukunft von Humanit�t und Humanisierungsmedien fragt, will im Grunde wissen, ob Hoffnung besteht, der aktuellen Verwilderungstendenzen beim Menschen Herr zu werden. Dabei f�llt beunruhigend ins Gewicht, dass Verwilderungen, heute wie immer, gerade bei hoher Machtentfaltung aufzubrechen pflegen, sei es als unmittelbare kriegerische und imperiale Roheit, sei es als allt�gliche Bestialisierung der Menschen in den Medien enthemmender Unterhaltung."

Ergo ist Humanismus ein "Ph�nomen" unserer Zeit, und nur als solches interessant. Hier gibt es nicht viel nachzudenken �ber Lebensverh�ltnisse, wenn der Mensch in seiner Wildheit das Problem ist und auch noch Macht entfaltet, bei alle dem. "Das Ph�nomen Humanismus verdient Aufmerksamkeit heute vor allem, weil es - wie auch immer verschleiert und befangen - daran erinnert, dass Menschen in der Hochkultur st�ndig von zwei Bildungsm�chten zugleich in Anspruch genommen werden - wir wollen sie hier der Vereinfachung zuliebe schlicht die hemmenden und die enthemmenden Einfl�sse nennen." (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark").

Eigentlich finden wir solche Prinzipien in allen Theorien, die sich mit Widerspr�chen nicht befassen wollen. Dar�ber haben sich alte Griechen genauso ausgebreitet und auch neuzeitliche Weltbetrachter wie z.B. Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud. In solcher Anschauung gibt es anfangs immer einen Dualismus zwischen Begierde und Hemmung, Lebenstrieb und Todestrieb, Lust und Schmerz, Wille und Stachel, ES und �ber-Ich, und schlie�lich die Vers�hnungsmacht. Und um die geht es bei den gehemmten Enthemmungen. Eigentlich so abstrakt wie einfach und einf�ltig. Aber es geht weiter mit der Dualontologie des Peter Sloterdijk, der zu dem Schluss kommt, dass die Sache des Menschen die Beherrschung des Menschen sei, denn er hat begriffen, "dass Menschlichkeit darin besteht, zur Entwicklung der eigenen Natur die z�hmenden Medien zu w�hlen und auf die enthemmenden zu verzichten." (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark"). Daran zieht er die Humanisfrage, wie Heidegger sie einst aufgeworfen hatte, auf die Matte der modernen Antropozentrik-Kritik: "Das Wort Humanismus muss aufgegeben werden, wenn die wirkliche Denkaufgabe, die in der humanistischen oder metaphysischen Tradition bereits als gel�ste erscheinen wollte, in ihrer anf�nglichen Einfachheit und Unausweichlichkeit wiedererfahren werden soll. Zuspitzend gesprochen: Wozu erneut den Menschen und seine massgebliche philosophische Selbstdarstellung im Humanismus als die L�sung anpreisen, wenn sich gerade in der Katastrophe der Gegenwart gezeigt hat, dass der Mensch selbst mitsamt seinen Systemen metaphysischer Selbst�berh�hung und Selbsterkl�rung das Problem ist?" (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark").

Der Mensch ist das Problem. Das ist nicht nur das Resultat, das war eigentlich schon der Ursprung der ganzen Denke. Jetzt muss eigentlich nur noch aufgez�hlt werden, was mit ihm angestellt werden muss, damit er dennoch weltgeschichtlich wieder "richtig funktioniert". Diese Frage hatte einst Nietzsche auch und Heidegger auch, und Hitler auch. Und die Amis haben sie sowieso. Aber nicht um den Menschen geht es hierbei, sondern um seinen H�ter. Und da wird Sloterdijk ganz ernst, denn jetzt spricht Heidegger direkt aus ihm: "Unter Verwendung von Bildern aus dem Motivkreis der Pastorale und der Idylle spricht Heidegger von der Aufgabe des Menschen, die sein Wesen ist, und von dem Menschenwesen, aus dem seine Aufgabe entspringt: n�mlich das Sein zu h�ten und dem Sein zu entsprechen." (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark").

Jetzt sind wir endlich beim Thema angelangt: Wie kann das Menschentier dahin gebracht werden, sich an die Gegebenheiten des Seins anzupassen? Nein, nat�rlich geht es nicht um Anpassung, nein, nat�rlich haben wir ihn da missverstanden, dem es ja nur um die Bewohnbarkeit des Menschenhauses geht, eigentlich um einen noch radikaleren Humanismus. Aber doch: Jetzt beantwortet Sloterdijk die Frage endlich selbst, "Was z�hmt noch den Menschen, wenn der Humanismus als Schule der Menschenz�hmung scheitert? Was z�hmt den Menschen, wenn seine bisherigen Anstrengungen der Selbstz�hmung in der Hauptsache doch nur zu seiner Machtergreifung �ber alles Seiende gef�hrt haben? Was z�hmt den Menschen, wenn nach allen bisherigen Experimenten mit der Erziehung des Menschengeschlechts unklar geblieben ist, wer oder was die Erzieher wozu erzieht? Oder l�sst sich die Frage nach der Hegung und Formung des Menschen im Rahmen blosser Z�hmungs- und Erziehungstheorien gar nicht mehr auf kompetente Weise stellen?"

 

Die "Anthropotechnik" zur Z�chtung eines �bermenschen

Die humanistische "Sozialgeschichte der Z�hmung" sei gescheitert, weil dabei etwas �bersehen worden sei: Der Mensch ist so etwas �hnliches wie ein Halbwesen, etwas, das zwischen Tiersein und Menschsein schwankt. Und das nicht nur, weil er Natur ist und Natur hat und die vermenschlichte Natur in den menschlichen Lebensverh�ltnissen sich noch nicht verwirklicht, sondern weil er einen Fehler hat. Jedes Tier kommt ja auf die Welt so, sie es ausgetragen worden ist, immer rechtzeitig. Nur der Mensch kommt immer zu fr�h auf die Welt und k�nne ihr deshalb auch nicht gewachsen sein. Der Mensch, diese "Gattung von fr�hgeburtlichen Wesen" habe einen Geburtsfehler: Die "chronische animalische Unreife des Menschen" (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark"). Man k�nnte so weit gehen, den Menschen zu bezeichnen als das Wesen, das in seinem Tiersein und Tierbleiben gescheitert ist. Durch sein Scheitern als Tier st�rzt das unbestimmte Wesen aus einem Schattenreich in eine Umwelt, die ihm zu schwer vorkommt und erwirbt sich die Welt im ontologischen Sinn nur "mit halber Kraft". Da ist man dann auch schon wieder bei Heideggers reaktion�rem Existenzialismus, der zwangsl�ufig eine gewaltige Ladung Sophistik braucht: Das Existieren in dieser Welt muss erst noch in langer Menschheitsgeschichte erworben werden; der Mensch ist nicht voll und ganz in sie geworfen, sondern in widerspr�chlicher Ekstatik. Dieses ekstatische Zur-Welt-Kommen und diese "�bereignung" an das Sein ist dem Menschen aus gattungsgeschichtlichem Erbe als wesentlicher Widerspruch in die Wiege gelegt, als Prinzip seiner Enthemmung und Hemmung. Wenn der Mensch in-der-Welt ist, dann, weil er einer Bewegung folgen und gehorchen muss, die ihn zur Welt gebracht hat und ihn der Welt aussetzt. Er ist das "Produkt einer Hyper-Geburt, die aus dem S�ugling einen Weltling macht" (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark"). Von daher ist er nirgendwo richtig zu Hause und muss domestiziert werden.

Und jetzt wird es Ernst; jetzt kommt Nietzsche hinzu: "Nietzsches Verdacht gegen alle humanistische Kultur dringt darauf, das Domestikationsgeheimnis der Menschheit zu l�ften. Er will die bisherigen Inhaber der Z�chtungsmonopole - die Priester und Lehrer, die sich als Menschenfreunde pr�sentierten - beim Namen und ihrer verschwiegene Funktion nennen und einen weltgeschichtlich neuartigen Streit zwischen verschiedenen Z�chtern und verschiedenen Z�chtungsprogrammen lancieren. Dies ist der von Nietzsche postulierte Grundkonflikt aller Zukunft: der Kampf zwischen den Kleinz�chtern und den Grossz�chtern des Menschen - man k�nnte auch sagen zwischen Humanisten und Superhumanisten, Menschenfreunden und �bermenschenfreunden. ... Wenn Nietzsche vom �bermenschen spricht, so denkt er ein Weltalter tief �ber die Gegenwart hinaus. Er nimmt Mass an den zur�ckliegenden tausendj�hrigen Prozessen, in denen bisher dank intimer Verschr�nkungen von Z�chtung, Z�hmung und Erziehung Menschenproduktion betrieben wurde - in einem Betrieb freilich, der sich weitgehend unsichtbar zu machen wusste und der unter der Maske der Schule das Projekt Domestikation zum Gegenstand hatte." (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark") Und das ist es! Damit sei das Gel�nde abgesteckt, "auf dem sich die Bestimmung des Menschen der Zukunft wird vollziehen m�ssen, gleichg�ltig ob dabei R�ckgriffe auf das �bermensch-Konzept eine Rolle spielen oder nicht." (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark").

Uns also betreten wir damit auch das "Gel�nde" der M�glichkeiten, die man heute zur Menschenz�hmung und -z�chtung hat. Wenn man das Humanismus-Problem nicht wieder verharmlosen wolle, so m�sse man eben auch dazu stehen: Z�hmung verschr�nke sich mit Z�chtung und daran komme man einfach nicht vorbei. Nur mit den "Ausmerzungs- und Verst�mmelungstechniken" h�tte Nietzsche "den Bogen �berspannt". Es ginge nicht um "das vorbedachte Werk eines Z�chterverbandes", sondern vielmehr um einen langfristigen Gedanken: "Es ist die Signatur des technischen und anthropotechnischen Zeitalters, dass Menschen mehr und mehr auf die aktive oder subjektive Seite der Selektion geraten, auch ohne dass sie sich willentlich in die Rolle des Selektors gedr�ngt haben m�ssten. Man darf zudem feststellen: Es gibt ein Unbehagen in der Macht der Wahl, und es wird bald eine Option f�r Unschuld sein, wenn Menschen sich explizit weigern, die Selektionsmacht auszu�ben, die sie faktisch errungen haben. Aber sobald in einem Feld Wissensm�chte positiv entwickelt sind, machen Menschen eine schlechte Figur, wenn sie - wie in den Zeiten eines fr�heren Unverm�gens - eine h�here Gewalt, sei es den Gott oder den Zufall oder die Anderen, an ihrer Stelle handeln lassen wollen. Da blo�e Weigerungen oder Demissionen an ihrer Sterilit�t zu scheitern pflegen, wird es in Zukunft wohl darauf ankommen, das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechniken zu formulieren. Ein solcher Codex w�rde r�ckwirkend auch die Bedeutung des klassischen Humanismus ver�ndern - denn mit ihm w�rde offengelegt und aufgeschrieben, dass Humanitas nicht nur die Freundschaft des Menschen mit dem Menschen beinhaltet; sie impliziert auch immer - und mit wachsender Explizitheit -, dass der Mensch f�r den Menschen die h�here Gewalt darstellt." (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark").

Und damit sind wir auf der H�he der Zeit: Das "gattungspolitische Problem". "Es gen�gt, sich klar zu machen, dass die n�chsten langen Zeitspannen f�r die Menschheit Perioden der gattungspolitischen Entscheidung sein werden. In ihnen wird sich zeigen, ob es der Menschheit oder ihren kulturellen Hauptfraktionen gelingt, zumindest wirkungsvolle Verfahren der Selbstz�hmung auf den Weg zu bringen. Auch in der Gegenwartskultur vollzieht sich der Titanenkampf zwischen den z�hmenden und den bestialisierenden Impulsen und ihren jeweiligen Medien. Schon gr�ssere Z�hmungserfolge w�ren �berraschungen angesichts eines Zivilisationsprozesses, in dem eine beispiellose Enthemmungswelle anscheinend unaufhaltsam rollt. Ob aber die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften f�hren wird - ob eine k�nftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pr�natalen Selektion wird vollziehen k�nnen - dies sind Fragen, in denen sich, wie auch immer verschwommen und nicht geheuer, der evolution�re Horizont vor uns zu lichten beginnt." (Sloterdijk in "Regeln f�r den Menschenpark").

Und damit hat Sloterdijk den Kern des globalen Zeitgeistes formuliert und auch vertreten: Die "Probleme der Menschheit" seien so gewaltig, dass man zu allen Mitteln greifen m�sse, um sie zu beheben. Das ist der Stand des allgemeinen Bewusstseins der Weltelite, besonders der USA, die sich auf dieser Grundlage f�r eine "einzig m�gliche Weltordnung" vorbereitet, bei der sie �berleben kann. Wir haben inzwischen kennengelernt, was sie darunter versteht: Die Weltordnungskriege. Die f�hrenden amerikanischen Politiker setzen ihre Politik als Neocons auf dieser �berzeugung auf und haben nicht nur die Werke von Nietzsche und Heidegger, sondern auch des deutschen Politsoziologen Leo Strau� hierzu gelesen und seine grundlegenden Vorlesungen geh�rt. Er war einst im Nazideutschland der Theoretiker der politischen Umsetzung dieser Anschauung und der offizielle "Jurist des F�hrers". Von daher hat sich das deutsche Geschichtsbewusstsein jetzt gut in der amerikanischen Elite eingeklinkt und feiert dort Urst�nd. Auch Sloterdijk ist dort dabei, aber zum Milit�rberater wird er es dort nicht bringen. Zwar hat das geistige Weichei einen harten Kern, aber das Milit�r kann keinen Schw�tzer brauchen.

 

Fremde Kulturen als Aufstellung einer Bedrohung der Menschheit und die "Ves�hnungsmmacht" des Westens

Zucht muss ja nicht so total und weltgeistig vorgestellt werden, wie bei Sloterdijk; sie kann einfacher auch durch Z�chtigung zu einer Unterwerfungsf�higkeit ersetzt werden. Aber auch da bleibt die Frage, wer erzieht wen, wer belohnt und bestraft und bestimmt das Ziel? Hellinger hat es ja bereits vorgef�hrt: Nur in der Demut gegen�ber h�herer Ordnung sollen wir unsere eigene finden. Vereint im Kosmos des Lebens sind wir nicht nur mit Hitler vers�hnt, sondern mit der ganzen Welt. Und da muss eigentlich nur noch herausgefunden werden, wer ihr durch seine Entwicklung am n�chsten, durch seine "Reife" am weitesten ist.

Der einstige US-Regierungsberater Samuel Huntington hat in seinem Buch "Der Kampf der Kulturen" die Bedrohung der Menschheit daran festgemacht, dass es Kulturen g�be, die nicht reif f�r diese Welt seien. Von ihnen sei Schlimmes zu bef�rchten: Der "Clash of Civilisation". Von daher sei Zeitdruck geboten, denn es ginge nicht mehr um Hunanismus, sondern um das �berleben der Menschheit als solches, um einen permanenten Krieg um ihr Fortbestehen. Das nun stellt alle bisherigen Bem�hungan der Diplomatie auf den Kopf: Es gilt nicht mehr zu begreifen, wie Menschen sich zu den Problemen der Zeit verhalten k�nnen, sondern wie sie sich verhalten m�ssen, um als Menschen existent zu bleiben. Es geht nicht mehr darum, sich aus den Problemen der Zeit heraus zu entwickeln, sondern den Stand der bisherigen Entwicklung zu bewahren.

Sowas hatten wir schon mal mit Spenglers Theorie vom "Untergang des Abendlandes". Es ist die Umkehr, die Verkehrung des machtpolitischen Verstands: Die M�chtigen sind in Wahrheit ohnm�chtig und m�ssen sich mit aller Macht verteidigen. Aus jedem Don Quichotte des Geistes wird so ein weltm�chtiger K�mpfer f�r die Allgemeinherrschaft des Guten und des Weltenheils im Bestehenden und Bestandhalten. Die Sorge um das Heil der Welt macht den wahren F�hrer zu einer Zukunft der Vergangenheit aus, auch wenn er nicht als Person, sondern als soziale gesinnte Philosophie, als m�chtiges Selbstverst�ndnis f�r eine bestimmte Gesellschaft auftritt.

Das macht das Selbstverst�ndnis des Westens. Das "Verantwortungsbewusstsein" der westlichen Kulturen sei eben gerade durch den drohenden Untergang gefragt, denn es beinhalte zugleich die Gew�hr f�r ein wirklich "goldenes Zeitalter". Es versetze sie am ehesten in die Lage, die Rolle des Hirten der Welt einzunehmen: "Der Westen ist, mit einem Wort, eine ,reife' Gesellschaft an der Schwelle dessen geworden, was k�nftige Generationen einmal als ein ,goldenes Zeitalter' betrachten werden, eine Periode des Friedens, die, laut Quigley resultiert aus ,dem Fehlen rivalisierender Einheiten im Inneren der betreffenden Zivilisation und aus der Entferntheit oder dem Fehlen von K�mpfen mit anderen Gesellschaften au�erhalb ihrer'." (Samuel Huntington: Buch "Der Kampf der Kulturen", S. 497) Zwar habe auch der Westen Probleme (Kriminalit�t, Verfall der Familie, schwindendes "Sozialkapital", Nachlassen der "Arbeitsethik", "abnehmendes Interesse f�r Bildung und geistige Bet�tigung" usw.), und er wird deshalb auch von manchen Menschen in Frage gestellt. Aber auch dies doch meist nur "von Einwanderern aus anderen Kulturkreisen, die eine Assimilation ablehnen und nicht aufh�ren, Werte, Gebr�uche und Kultur ihrer Herkunftsgesellschaften zu praktizieren und zu propagieren." (ebd. S. 501) Das �bel ist der Gegensatz. Die Kriege auf der Welt sind f�r den amerikanischen Professor "Bruchlinienkriege" der Kulturen und er malt ganze Karten davon und Demografien der V�lker. Die "Achse des B�sen" ist fein s�uberlich aufgelistet und aufgezeigt, wovor sich die modernen Staaten des Westens sch�tzen m�ssen. Zuf�llig war die "Achse des B�sen" genau das Gebiet, unter dem 95 % der Erd�lvorr�te der Welt lagern. Aber als kulturelles Psychogramm nimmt es sich einfach v�llig anders aus. Es stellen sich darin Beziehungsmuster �ber die Konflikttr�chtigkeit von Glaubenss�tzen her (ebd. S. 395 f), die aussehen wie eine Familienaufstellung des Psychomissionars Hellinger. Es geht dem Professor wie dem Psychologen eben haupts�chlich um "grunds�tzliche Machtrivalit�ten" zwischen den Beteiligten und ihren Machtbedarf in die sonstige "multipolare Welt" hinein" (ebd. S.397) - und damit meint er auch uns.

Huntington spricht nicht f�r die USA allein. Sein Buch will ein explizites Statement f�r den gesamten Westen sein: "Wenn Nordamerika und Europa ihre moralischen Grundlagen erneuern, auf ihre kulturelle Gemeinsamkeit bauen und Formen einer engen wirtschaftlichen und politischen Integration entwickeln, die erg�nzend neben ihre Sicherheitszusammenarbeit in der NATO treten, k�nnten sie eine dritte, euroamerikanische Phase des wirtschaftlichen Wohlstands und politischen Einflu� stiften. Eine sinnvolle politische Integration w�rde in einem gewisssen Umfang ein Gegengewicht zum relativen R�ckgang des westlichen Anteils an Bev�lkerung (!), Sozialprodukt und milit�rischem Potential der Welt bilden und in den Augen von F�hrungspers�nlichkeiten anderer Kulturen die Macht des Westens erneuern. ,Das B�ndnis aus EU und NAFTA k�nnte in einer geballten Handelsmacht dem Rest der Welt die Bedingungen diktieren', mahnte Ministerpr�sident Mahathir die Asiaten. Ob der Westen politisch und wirtschaftlich zusammenfindet, h�ngt jedoch �berwiegend davon ab, ob die USA ihre Identit�t als westliche Nation bekr�ftigen und es als ihre globale Rolle definieren, die F�hrungsnation der westlichen Kultur zu sein." (Samuel Huntington: Buch "Der Kampf der Kulturen", S. 506f).

Damit war die Aufstellung klar und daraus ergab sich die Rolle der USA und die Rollenverteilung f�r den Rest der Welt. Wir sollten jetzt schon mal mitdeuten, dann mitsorgen, mitk�mpfen und am besten schlie�lich mitschlachten. Klar, dass der US-Geheimdienst die ersten Schritte machen muss.

Die "vorbeugenden Aktivit�ten" des CIA bestanden vor allem daraus, kleine Widerstandsgruppen in den auf der Grundlage des neuerstandenen Kulturinteresses bedrohlich gemachten Regionen (z.B. um Bin Laden) zu bewaffnen und zu finanzieren. Im Glauben, dass Waffengewalt und Geldbesitz sie zu Kumpanen machen, sie an die Westinteressen angleichen und an die Freiheit und an den "Fortschritt des Westens" binden w�rde, erhoffte er sich durch sie Aufruhr in diesen Regionen. Es sollte nach einem Freiheitskampf aussehen. Doch was ihnen und uns als Befreiung dieser Regionen vorgestellt wurde, war f�r diese Gruppen ein Bem�chtungsversuch ihrer Kulturen.

Doch ihre Beherrschung musste sein, denn es ging jetzt auch um den ganzen "Fortschritt der westlichen Welt". Die "Beweise", die als sachliche "Aufkl�rung" der Gef�hrlichkeit des Irak verbreitet wurden, die "Massenvernichtungswaffen", entlarvten sich gleich nach Beginn des Krieges, den sie begr�nden sollten, als glatte L�gen, als bewusste Irref�hrung der �ffentlichkeit. Die Gefahren des Terrorismus, die man zu bek�mpfen vorgab, waren hierdurch erst richtig geweckt und entwickelten sich aus der Ohnmacht der betroffenen L�nder in diesem "Weltordnungskrieg" ins unermessliche. Die Androhung westlicher Kulturmacht durch Krieg und Vernichtung haben sie begriffen. Der Krieg ist da. Wir hatten es ja gewusst! Und jetzt sind wir dran. Jetzt muss das mit der Vers�hnung laufen, die humanit�re Unterst�tzung als Flankierung der Weltordnungskriege. Und damit wird dann endlich auch die gute alte Humanitas wieder gerettet sein ... und die deutsche Kultur auch. Denn "neues Leben bl�ht aus den Ruinen" (Schiller, Wilhelm Tell).

 

Der Militarismus der Wissenschaften: Die "Demokratie durch Weltordnung"

 

Das Dilemma der humanistischen Selbstbildung mit der Wirklichkeit der Menschen ist so alt wie die Entwicklung des sogenannten demokratischen Staates, der bis heute immer noch eine Art Aristokratie der politischen Klasse ist. Noch niemals konnte auf den Selbstbestimmungsprozess der Menschen vollst�ndig gesetzt werden, weil ihre Lebensverh�ltnisse noch nie von ihnen wirklich bestimmt waren. Der politischen Elite des Staatswesens entsprach daher auch immer die Elite der gesellschaftlichen Verh�ltnisse, die Personifikationen der Geschichtsepochen.

Platon, der bedeutendste Staatstheoretiker des Altertums, hatte das humanistische Dilemma schon klar benannt und im Staat die Notwendigkeit einer F�hrungselite der Alten und Weisen gesehen: Bildung und Weisheit m�ssen herrschen, damit die Wirklichkeit so weise werde, wie sie. Hierdurch wird die Kultur einer Elite total und die Menschen als noch nicht wirklich lebend festgestellt. Von Platon kam auch der Begriff des lebensunwerten Lebens und der Menschenzucht: Behinderte und Kinder mit Geburtsfehlern wurden im platonischen Staat ganz selbstverst�ndlich umgebracht und die staatliche Exekutive war zur Hauptsache das Milit�r. Schon immer war Humanismus ein �u�erst widerspr�chlicher Begriff, der letztlich ethisch war und den "guten Menschen" zu formulieren hatte. Das war er selbst noch in der Kritik. Der radikalste Kritiker des Humanismus, Friedrich Nietzsche, war zugleich sein �u�erster Protagonist, insofern er praktisches Menschsein dem vorgestellten entgegenhielt. Zugleich aber blieb die humanismuskritische Philosophie Vorstellung, kritischer Humanismus, die ihre Windungen auch nur in einer Metapher vom �bermenschen machte. Aus dem Sophismus dieser Humanismuskritik ist der Faschismus ideel ebenso unterlegt worden wie sich damit auch die Neocons in den USA und ihre deutsche Vertretung im philosophischen Quartett durch dessen Moderator Sloterdijk hervortun. Er radikalisiert in einem gedankenlosen Vorbeigehen Nietzsche zu dem, was es an Ungeheuerlichkeit des Undenkbaren zwar im Nationalsozialismus, nicht aber in der Philosophie bisher je gab: Die Behauptung eines quasi ontologischen Geburtsfehlers der Menschheit, der die Notwendigkeit einer Elite von Menschenz�chtern begr�nde, wenn auch hinter vorgehaltener Hand.

Sloterdijk tut so, als habe er lediglich Nietzsches Denken und Heideggers Humanismuskritik weitergebracht und so quasi als Berichterstatter mal zu bedenken gegeben, was angesichts der massiven "Probleme der Menschheit" nun auch zu denken ist, will man kein Denkverbot akzeptieren. Schlie�lich leben wir nun mal in einer Welt, worin die b�rgerlichen Lebensvorstellungen keinen Sinn mehr machen, ihr Humanismus sich selbst erledigt hat. Die Aufregung �ber seine Rede war nat�rlich gewollt, aber er "k�nne es sich eigentlich garnicht erkl�ren", warum er derart "missverstanden" w�rde. Warum auch solle man das alles nicht mal so denken k�nnen?

Ja, wenn es Denken w�re. Und wenn es �berhaupt noch etwas mit Wissen und Bewusstsein zu tun h�tte. Was Sloterdijk allerdings darlegt, ist die simple Verkehrung von philosophischem Denken �berhaupt. Darin sind nicht mehr Erfahrung und Weisheit der Menschen gedanklich t�tig, sondern T�tigkeit als Bedingung der Erfahrung gesetzt. Es bezieht sich nur auf M�glichkeiten des Handlens, als m�glichen Einriff in die Voraussetzungen des Menschseins, den unvollkommenen Menschen erst zu ordnen, ihn durch eine vollkommene Technik als Technik der Vollkommenheit erst zu erschaffen. Sloterdijk thematisiert die h�chst m�gliche Ordnung als Prinzip der Zukunft und der Begriff "Menschenpark" ist nicht nur eine Provokation, sondern auch die Vorstellung einer gro�en Vers�hnung in einer Ordnung friedliebend gemachter Menschen einer zuk�nftigen Welt, in der sich sein Kynismus auch allgemein aufhebt. Letztlich steckt ein Verst�ndnis h�herer Ordnung einer Ganzheit als Ziel oder Ursprung in allen reaktion�ren Philosophieans�tzen, die als Anleitung zur Gesundung dienen wollen, als Heilsvorstellung irgendeiner Art.

Zun�chst mal ist dies allerdings ein provokatives Gedankenspiel mit Zucht, Z�chtigung und Z�chtung, das jederzeit auch blutiger Ernst werden kann, die teuflische Spekulation einer Geltungssucht, die auch praktiziert wird und alles aufs Spiel setzt, was Wissenschaft bisher ausmachte: Der Versuch, wahre Aussagen zum menschlichen Leben und zum Leben �berhaupt zu finden, seine Wirklichkeit als menschliche Wirklichkeit zu analysieren und auf die M�glichkeiten ihrer Fortentwicklung zu hinterfragen. Ohne dies ist alles Denken t�dlich. Das modische In-der-Welt-sein als Kulturb�rger befl�gelt zwar vielerlei Fantasien �ber die Welt und die Notwendigkeit einer Weltordnung, aber es ist zugleich ihr kriegerischer Bestandteil, der von einer wahnsinnigen Selbst�berhebung einer bestimmten Schicht ihrer Bev�lkerung getragen wird. Das macht den modernen Intellektuellen aus, der nicht mal einen Sinn f�r den Stoff seines Tuns haben muss, weil er daf�r nicht arbeitet, sondern sich in blo�en Sph�ren seines Standes mit unendlich viel Informiertheit bewegt, �ber alles reden kann, was es zu denken gibt, ohne dabei selbst zu denken oder �berhaupt etwas anderes zu sagen, als was l�ngst gesagt war.

Humanitas war schon immer auf einem elfenbeinernen Tron, aber sie ist von Karl Marx auf die Stra�e gef�hrt worden, als er dazu aufforderte, alle Verh�ltnisse zu verwerfen, worin der Mensch als ein "ver�chtliches Wesen" bestimmt ist, und der deshalb die Analyse dieser Verh�ltnisse als die vordringliche Aufgabe und Arbeit der Intelligenz ansah und dies auch in seinen Resultaten bewies. Dies war die geistige Zeitenwende des Humanismus, der sich fortan nur noch praktisch begreifen konnte.

Dem konnte sich tats�chlich nur noch der Nietzscheanische Zynismus entgegenhalten, eigentlich auch nur als Aufschrei eines wahnsinnigen Widerspruchs, der sich nicht aufheben konnte, als antihumaner Humanismus des �bermenschen. Erst Heidegger machte daraus eine Systemantik und kritisierte die Menschen der Zeitgeschichte in ihrer Seinsvergessenheit, in ihrer Unf�higkeit zu eigener Wahrheit. Seine hinterh�ltige Wahrheitsbehauptung �ber das Sein in der Zeit sollte die Menschen seiner Zeit unter deren Sein stellen, sie dem Seinsbegriff unterstellen. Sein wurde so zur Sache der Wahrheit ihrer Zeit – und damit war der Sachzwang der Philosophie unterlegt worden, bzw. die Philosophie der Logik ihres Gegenstands unterworfen, indem Erkenntnis zur Erleuchtung werden sollte, zur Lichtung der Wahrheit des Seins im Dasein. Mit viel sophistischem Tamtam wollte sie die Menschen in die Welt einf�hren, ihnen ein sachgerechtes In-der-Welt-sein vermitteln, ihnen ihre Selbsterkenntnis im Angesicht ihrer Endlichkeit als Individuen, also im Angesicht des Todes beschr�nken. Es war der Militarismus der Philosophie, der den Tod der Menschen zur notwendigen Aufgabe ihres Lebens machte – im doppelten Sinn des Wortes.

Mit dem Nationalsozialismus war im letzten Jahrhundert solcherlei Gedankengut zur Begr�ndung politischer Macht opportun, die als Basis eine zerst�rte Wirtschaft hatte. F�r die Herstellung eines kapitalm�chtigen Kulturstaats sollten die Menschen zugerichtet werden. Und damit war eine Ungeheuerlichkeit in die Welt getreten, welche die Menschen bis dahin f�r unm�glich gehalten hatten: Ein Staat bestimmt seine Staatskultur selbst, indem er eine Vernichtungsmaschinerie gegen einen betr�chtlichen Teil seiner Bev�lkerung, der da nicht hineinpasst, plant, organisiert und durchzieht. Adorno sprach hier�ber von "dem Undenkbaren", von etwas, das nicht nur jeden Menschen in seinem Menschsein zu besch�men hat, sondern das auch keinen Gedanken verdient. Es war nicht nur die Perversion des Krieges, sondern die Pervertierung einer ganzen Nation und des Verh�ltnisses zu anderen Nationen. Aber offenkundig geworden war hierdurch auch, dass das "Undenkbare" sehr wohl mit den Gedanken jener Zeit zu tun hatte: Ohne den deutschen Idealismus und die deutsche Aufkl�rung h�tte sich das Gedankengut des Nationalsozialismus nicht errichten k�nnen. Es war nicht nur Resultat der Weltwirtschaftskrise, sondern auch der deutschen Philosophie. Es war die Barbarei schlechthin, wie sie Marx als Entwicklung der b�rgerlichen Gesellschaft und des b�rgerlichen Staates durch das Kapital vorhergesagt hatte.

Heute steht man vor einem geistigen Scherbenhaufen, wenn diese Entwicklung nur noch in der Art und Weise Sloterdijks konstatiert und noch darin versch�rft wird, dass die Behebung einer menschlichen Fehlgeburt anst�nde, die Korrektur des Menschen durch den Menschen. Das ist nicht nur wissenschaftlich unterlegte Menschenverachtung, das ist die Menschenverachtung durch Menschenkonstruktion, der Fetisch abgehobener Intellektualit�t, die nichts, aber auch gar nichts wei� von dem, wor�ber sie spricht, und sich in ihren Vorstellungswelten mit Scheinwissen, mit Information, so aufgeblasen hat, dass sie nicht mal mehr merkt, dass sie praktisch im Begriff steht, genau das zu erzeugen, was sie zu beheben vorgibt.

Der Humanismusbegriff, mit dem sowohl die Philosophen als auch die Politiker des B�rgertums angetreten waren, Demokratie als politische Form der Auseinandersetzung menschlicher Entwicklung zu unterlegen, ist mit der b�rgerlichen Demokratie selbst zu einem Ende gekommen, an welchem es schon mal schick geworden ist, auch die Macht von selbst�ndiger Intellektualit�t zu propagieren, die sich �ber die mangelhaft gewordene Humanit�t der b�rgerlichen Demokratie "besserem Wissen" hinwegzusetzen versteht. Dies entspricht zweifellos den �konomischen Tendenzen der Weltwirtschaft, die auch �konomische Verhandlungen zunehmend aus den Sph�ren vollkommen selbst�ndiger Kapitalinteressen als Prinzip einer reinen Wertlogik betreibt. Diese Logik verfolgt das Interesse ein vollst�ndigen Bestimmung des der Menschen, deren Leben f�r sich hiergegen nur noch mangelhaft, unerf�llt erscheint. Von daher ist der Zuchtgedanke auch tats�chlich in einer Entsprechung zu den Interessen des Weltkapitals. Er ist die implizite Forderung nach totaler Politik durch die Wissenschaften, nach totalit�rer Wissensaristokratie, wie sie Platon niemals h�tte einfallen k�nnen. Er empfand auch als Vertreter einer Bildungsaristokratie Wissenschaft noch als Weisheit. Bei Sloterdijk kann dies nur noch die Dummheit eines totalen Intellektualismus meinen. Sie ist ein R�ckfall hinter alle Zivilisation. So locker sie als deren Rettungsversuch daherkommt, so gef�hrlich ist sie f�r die Menschen, die wirklich noch subjektiv in dieser Welt stehen und von daher noch ihre wirkliche Ver�nderung versuchen m�ssen. Eine Welt der Objekte kennen wir zur Gen�ge. Auf solche Objektivit�t kommt es nicht mehr an. Wer aber den Menschen zum Objekt von intellektueller Geltungssucht macht, kann nur eine objektive Subjektivit�t der Geltungssucht, also die totale Verdummung meinen und wollen: Geld wie es leibt und lebt. Solche "Philosophie" ist die Militanz des Geldes, das sich gerne subjektiv gibt, weil es immer allgemeine Objektivit�t ist.

Leider ist dies nicht nur das Geschw�tz eines Peter Sloterdijks, sondern die schon ziemlich verbreitete Haltung einer intellektuellen Elite, die zu allem Stellung bezieht, wozu sie keine Beziehung hat, weil sie sich nur darin in ihrer Abgehobenheit noch n�tig f�hlt. Ein Psychologe w�rde das wohl als Suchtverhalten zur Abwehrt einer gewaltigen Depression beschreiben. Immerhin: Depressionen lassen sich durchaus darin aufl�sen, dass ihr verfremdeter Schmerz, ihr unendlicher Selbstaufl�sungsprozess, konfrontiert wird mit dem wirklichen Schmerz, der diese Aufl�sung begr�ndet: Die Zerst�rung gesellschaftlicher Geistest�tigkeit durch die geistlosen gesellschaftlichen Verh�ltnisse des Geldes. Dessen Konsequenzen sind die Ausf�hrungen politischer, psychologischer und philosophischer Machtanspr�che. Und daran kann man durchaus auch intellektuell arbeiten. Es sei dabei aber auch immer hinzugedacht, dass "die Waffe der Kritik die Kritik der Waffen nicht ersetzten" kann (Karl Marx).

 

Wolfram Pfreundschuh

 

Quellen:

Johannes Klutz / Gerd Wiegel: "Geistige Brandstiftung - Die neue Sprache der Berliner Republik" (ATV)

Der Historikerstreit: http://historikerstreit.adlexikon.de/Historikerstreit.shtml

Historikerstreit und Ernst Nolte:
http://kulturkritik.net/quellen/Historikerstreit.html

zu Martin Walsers Rede:
http://kulturkritik.net/quellen/walserrede.html

zu Entwirklichung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/en.html#entwirklichung)

zu Zerst�rung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/z.html#zerstoerung)

zu Heidegger:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/hei.html#heidegger)

zu Sloterdijk:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/s.html#sloterdijk)

zu Hellinger:
Wolfram Pfreundschuh (2004):Ein Heiland der herrschenden Ordnung -
Der Kultur-Chauvinismus des Bert Hellinger
http://www.kulturkritik.net/Psychologie/Leben_Tod/index.html
Dasselbe im Buch: http://www.antipsychiatrieverlag.de/versand/titel/sprecherrat.htm

Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/he.html#hellinger)

zur Philosophiedebatte um Sloterdijks Menschenpark: http://home.t-online.de/home/HelmutWalther/sloterd2.htm

zum Kampf der Kulturen:
Harald M�ller: Der Kampf der Kulturen findet nicht statt
http://kulturkritik.net/Kultur/Keinkulturkampf/index.html

Wolfram Pfreundschuh (2004): Gegen die Politisierung der Kulturen im Kampf um die "Weltordnung"
http://www.kulturkritik.net/Kultur/Weltordnung/

Wolfram Pfreundschuh (2002) Gibt es einen "Kampf der Kulturen"?
http://kulturkritik.net/Kultur/Kulturkampf/index.html

Zur Postmodernen und zum Konstruktivismus:
Werner Seppmann: "Das Ende der Gesellschaftskritik? Die Postmoderne als Ideologie und Realit�t" (PapyRossa-Verlag 2000)