Deutschland

Aus kulturkritik

Als Auszug gespiegelt aus:

[[1]]


Du bist Deutschland - oder auch nicht

von Martin Bayer - 26.09.2005

Wenn ARD und ZDF mit Werbespots die Aktion „Du bist Deutschland“ er�ffnen, dann beginnt damit ein Propagandafeldzug.

Ein Volumen von �ber 30 Millionen Euro stellen 25 Medienunternehmen kostenlos zur Verf�gung, um eine neue Aufbruchstimmung in Deutschland zu bef�rdern.

In zweimin�tigen Werbespots sowie in Anzeigen wird die „gr��te Social Marketing Kampagne in der deutschen Mediengeschichte“ (Presseinformation von „Du bist Deutschland“) durchgef�hrt.

Denn Deutschland redet sich angeblich selbst schlecht, wie Dr. Bernd Kundrun von Gruner + Jahr meint. Der Leiter des ZDF-Hauptstadtb�ros, Dr. Peter Frey, erg�nzt: „Wir m�ssen Schluss machen mit Unsicherheit und Verzagtheit“ und „jeden Einzelnen daran erinnern, dass sein Beitrag f�r dieses Land wichtig ist“. Das kann auch als Drohung aufgefasst werden.

Bis Januar 2006 wird so unter Koordination der Bertelsmann AG und entwickelt von namhaften Werbeagenturen ein Trommelfeuer an Guter-Laune-Propaganda auf die Bev�lkerung hernieder prasseln.

Mit dabei sind neben den �ffentlich-rechtlichen TV-Sendern auch Premiere, ProSiebenSat.1 und die RTL-Gruppe. An Gedrucktem mischen 14 Verlage mit, von Axel Springer und Heinrich Bauer �ber die Frankfurter Allgemeine Zeitung bis zum Spiegel und dem Focus oder dem S�ddeutschen Verlag, der WAZ-Gruppe und mehr. Mit dabei leider auch der Heise-Verlag mit seinem ansonsten sehr brauchbaren Internetmagazin Telepolis. Erg�nzt wird das Ganze durch Plakatwerbung, Kinospots und Internetauftritt (www.du-bist-deutschland.de). Inhalt ist ein Manifest f�r Deutschland, das von 30 mehr oder minder Prominenten unters Volk gebracht wird.

Das Singem�dchen Yvonne Catterfeld darf hier ebenso wenig fehlen wie die Heulsuse Xavier Naidoo oder der Pseudowitzbold Oliver Pocher. Was aber Marcel Reich-Ranicki geritten hat, sich unter diese Unn�tigen zu mischen, das wird wohl auf Dauer unklar bleiben. Der Gro�meister der deutschen Literaturkritik h�tte ein besseres Umfeld verdient. Dass sich der fr�her Polenwitze verbreitende Dampfplauderer Harald Schmitt und die Eish�pfdohle Katarina Witt unter den Du-bist-Deutschland-Deutschen befinden, mag dagegen nicht �berraschen. Auch G�nter Jauch und der obermissmutige Oliver Kahn verwundern nicht. Gerald Asamoah h�tte aber wirklich lieber auf dem Spielfeld bleiben sollen, war er doch bisher ganz symphatisch. Sandra Meischberger und Reinhold Beckmann allerdings tauchen wahrscheinlich sofort freiwillig vor jeder aufgestellten Kamera auf. Nur Sabine Christiansen m�ssen wir im Reigen der Sprecher/innen des Manifestes f�r Deutschland vermissen. Und gerade die Chefplaudertasche des Neoliberalismus h�tten wir hier doch erwartet.

Nicht unbescheiden rechnen die Verantwortlichen von „Du bist Deutschland“ mit 1,6 Milliarde Kontakten durch ihre Aktion. Das hei�t: Jede/r Einwohner/in soll 16mal durch die Aktion angesprochen werden.

Und wozu? Damit wir „wenn n�tig auch auf Privilegien verzichten“ (Edgar Medien AG im Medien-Infopaket), indem wir mittels „Motivation durch Gef�hle“ (Western Star) „mit Optimismus, Ver�nderungsbereitschaft, Kreativit�t und Spa�“ (Axel Springer) feststellen: „Es muss Schluss sein mit dem allgemeinen Lamentieren.“ (Heinrich Bauer Verlag) Wichtig ist dabei das Fernsehen. Denn es „kann diese Botschaft emotional und glaubw�rdig transportieren“ (ProSiebenSat.1 Media AG). Dabei gilt: „Es ist Zeit, die �rmel hochzukrempeln und den Blick nach vorne zu richten.“ (Str�er Out-of-home-Media) Die „Kommunikationsagentur“ (fr�her hie� das Werbeunternehmen) Jung von Matt bringt es dann doch noch auf den Punkt: „Diese Kampagne kann und wird keine wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder sozio-kulturellen Probleme l�sen.“ (ebd.) Es geht eben um Stimmungen, um neoliberales Wortgeklingel, um Ideologie.

Die Botschaft hinter den ausgefeilten und wohlklingenden S�tzen ist klar: Jede/r kann sich gut f�hlen, etwas leisten, ist seines/ihres Gl�ckes Schmied, ist an Arbeitslosigkeit und anderen Problemen selbst schuld, hat gef�lligst auch etwas f�r Deutschland zu tun.

Und Deutschland, das ist immer der Wirtschaftsstandort, also der Umsatz, der Profit; das bedeutet im Einzelnen: Senkung der so genannten Lohn-Nebenkosten, Absenkung der Einkommen, Verringerung der Sozialleistungen, Verteilung der Risiken auf den Einzelnen und so weiter. Dass das Presseb�ro von „Du bist Deutschland“ ausgerechnet in der Berliner Tucholskystra�e sitzt, darf als unfreiwillige Satire gewertet werden, h�tte der gro�e Tucho doch ganz bestimmt herzerfrischenden Sarkasmus �ber dieses neoliberale Ideologieprojekt ausgegossen. �ber jenes Projekt, das so hervorragend zum allgemeinen Angriff der Marktextremisten passt, die alle Lebensbereiche und damit auch unser Denken und Empfinden, unsere ganze Pers�nlichkeit nach ihren Bed�rfnissen ausrichten wollen.