K2012
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212. Die Selbstbehauptung der Eigenliebe
Im Lebensraum ihres Selbstgefallens stellt sich für die Menschen eine Selbsteinengung her, die das Leben vereinseitigt, das sich seiner selbst versichern muss, um seinen Raum zu füllen, um die Erwartungen an die Abschirmung vor fremden Lebenswelten zu erfüllen. Solche Sicherheit verlangt eine allseitige Defensive, einen Schutz vor Infiltration. Und die damit verengten Beziehungen können sich nur bewähren, indem sie sich nicht ausweiten, indem sie sich also selbst immer inniger verwesentlichen. Ihre Vereinseitigung entwickelt sich in der allgemeinen Körperlichkeit der Selbstwahrnehmung, die im einzelnen gegen sich selbst unangemessen erscheinen muss, weil sie keinen allgemeinen Körper verwirklichen kann, weil es diesen eben nicht geben kann, solange die Tätigkeit der Menschen, ihre Lebensäußerung, keine gesellschaftliche Gegenständlichkeit hat (siehe Arbeitsteilung). In der Einzelheit erscheint jedes als Ganzes, wenn es in seiner allgemeinen Isolation als dieses wahrgenommen wird. Aber es gibt keinen Mann als Mann, keine Frau als Frau und kein Kind als Kind, was rein körperlich für sich zu begreifen wäre. Jede Körperlichkeit kann nur durch ihr Menschsein auch körperlich da sein, bliebe für sich so verrückt wie ein Knie an sich, das nicht zugleich Bein und Bein an sich, das nicht zugleich Mensch wäre, wenn es eben einem Menschen und nicht einer Ameise angehört. So ist es mit allen körperlichen Eigenschaften, welche nicht nur in ihrer individuellen Körperlichkeit, sondern zugleich in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen körperlich sind und daher auch in ihrer Einzelheit diese Verhältnisse verkörpern, nur durch diese eben auch im Allgemeinen körperlich sind. Das betrifft ihre ganze Körperwelt, aber auch ihre Beziehungen selbst, besonders die Beziehung der Geschlechter und Generationen.
In der Isolation ihrer Lebensräume als zwischenmenschliche Objekte finden die Menschen eine Wahrheit ihres Geschlechtsverhältnisses, die als besondere Eigenwelt alle Welt von der Seite einbezieht, wie sie hierfür dienlich ist, zugleich aber auch ausschließt, indem sie ihr Leben gegen das Leben ihrer Gattung und Generationen im Allgemeinen als isolierte Besonderheit begründen. Aus dieser Entgegensetzung begründet sich nun ein besonderes Leben, das zugleich allgemein dadurch ist, dass es sich gegen die Anfechtungen durch allgemeine Lebensnotwendigkeiten der Gesellschaft wohl hütet und sich hiergegen geborgen fühlen kann. Das Vertrauen von Menschen in ihre unmittelbare Liebe hebt sie aus der Borniertheit der bürgerlichen Kultur heraus, bindet sie zugleich aber in ihrer Konsequenz um so inniger an diese, weil sie nur aus ihr die Substanz ihrer Beziehungen schöpfen können. Das Leben ist nun in die Wirklichkeitsform eines allgemeinen Selbstwerts geraten, der sich in dem Ziel verhält, das Leben zu bewahren, das sich darin äußert und veräußert. In der Isolation, in der Abtrennung von einer Menschenliebe, verwirklicht sich diese als Eigenliebe in wechselnder Körperlichkeit. Die muss sich geradezu bewahren und abschirmen gegen jene, um nicht beständig durchbrochen zu sein. Und sie ist schon darin gebrochen, dass sie niemals ganz zu sich selbst finden kann, in Wahrheit also Eigenliebe sich nicht verwirklichen kann. Sie muss sich verbergen, wo sie geborgen erscheinen soll.
Die Liebe in den darin bestimmten Verhältnissen gerät hierdurch zu einer unendlichen Hoffnung, eigenes Leben zu bergen, zu einem Prinzip der Lebensbergung, für welche die Gewohnheiten Sinn machen, die ihren Gegebenheiten entsprechen. Sie schaffen den Lebensraum einer Geborgenheit, in der Menschen ihr Leben auch sein lassen können, in der sie sich beständig erleben ohne unmittelbar leben zu müssen, weil sie über alles Leben in diesem Verhältnis verfügen können. Dies macht Sinn allerdings nur durch Nachleben, also hauptsächlich durch die Erzeugung von Nachkommen, durch Lebensstiftung. Das eigene Leben verschwindet in der Selbstergebenheit dem Leben gegenüber, dem allgemeinen Prinzip der Fortpflanzung, der Generierung des Menschseins in der Generationenbildung. Das Glück eigener Kinder macht diese zum Lebensbesitz und zugleich zu einer Gestalt der Eigenliebe, in der sie von Geburt an bestimmt sind.
Doch Lebensbesitz kann keinen wirklichen Sinn haben. Es ist lediglich die Verfügung über Leben in bürgerlichen Lebensverhältnissen, zu der die Menschen in Kleinfamilien gezwungen sind, um es überhaupt am Leben zu erhalten. Aber dass darin ihre Liebe sich vermittelt, das macht einen Sinn, der vom Leben selbst dadurch beherrscht wird, dass er als dessen bloßes Objekt bestimmt ist, als ein Sinn, der sich gegen alle Sinnlichkeit der Welt behauptet und sich in seiner Selbstbehauptung allgemein besondert, zu einem eingeschlossenen Sinn wird. Er wird genährt über die Inhalte der Kultur und es wird hiergegen verschlossen, was daraus von den Besitzern des Lebens gemacht wird. Das ist ja auch das Leben in einer Burg: Es muss dorthin alles geliefert werden, wovon man sich nähren kann und zugleich alles verschlossen sein, damit es nicht ausbricht und den Zusamenhalt der Lebensfestung zerstören könnte. Hier ist es meist eine Familie oder ein erzieherisches Verhältnis.
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212.1 Der geborgene Sinn (Die Symbiose der Eigenliebe)
Die Notwendigkeiten der Bergung von menschlichem Leben ergeben sich aus den Gewohnheiten einer Kultur, die Leben nutzt, um sich politisch und wirtschaftlich über dieses zu erheben und es in seiner Form fort zu bestimmen. Ihre Formbestimmung besteht ja auch gerade nur aus dieser Fortbestimmung. Was in diesen Verhältnissen natürlich ist, wird dadurch fortbestimmt, dass es in einer politischen Formbestimmung nur zu sich kommen kann. Alles, was natürlich ist, wird in dieser Besonderheit politisch denaturiert, bekommt ein Sein außer sich, ein Wesen, das im Grunde unwesentlich ist, aber außer sich alles davon abhält, das Geborgene zu stören.
Der geborgene Mensch lebt daher hier in einer Symbiose zwischen Macht und Ohnmacht seiner Zwischenmenschlichkeit und ist damit zum Subjekt einer objektiven Notwendigkeit geworden, die nun auch wirklich subjektiv wirksam ist. AlsMensch ist er weder mächtig noch ohnmächtig, aber in seinem unmittelbar scheinenden Lebensverhältnis ist darin eine mächtige Gesellschaft bestimmend geworden. Nirgendwo ist er vollständiger bestimmt, nirgendwo objektiver als dort, wo er sich geborgen fühlt. Der geborgene Sinn ist daher zwar natürlich, aber in seiner Isolation vollständig objektiv, also ausßerhalb der Menschen, denen er zu eigen ist, weil er ihnen nur zugeeignet wurde. Sie gehen darin auf in einem Glück, über das sie nicht verfügen können, das sie in ihrer Beziehung glücklich macht, weil sie das Glück haben, in einer gesellschaftlich notwendigen Form leben zu können. Diese Geschlechtsform der Geborgenheit ist die innigste gesellschaftlicher Formm des Menschseins überhaupt und bestimmt daher auch alles, was darin möglich ist - solange es möglich ist.
Doch es besteht eine ungeheuerliche Gefahr am Rande dieser Geborgenheit, ein Abgrund des gesellschaftlichen Verhältnisses, das zwangsläufig ungeborgen bleiben muss und in den alles abstürzt, das hier herausfällt. Es kann nur als Randgruppe existieren, solange es keine anderen Zusammenhänge entwickelt, solange es also nicht in der Lage ist, sich als Mensch wieder einzufinden, als Mensch, der in der Geborgenheit untergegangen war. Auf diese Gefahr richtet sich die hohe Aufmerksamkeit der Beteiligten. Ihre Konflikte werden besonders hierdurch oft unauflösbar. Sie geraten in absurde Rollen, in denen die einen zu Heiligen, die andere zu Monster werden müssen, um der objektiven Infragestellung zu entgehen, in die sie schon durch die Grundform ihrer Kleinfamilie gestellt sind.
Das Private der gesellschaftlichen Öffentlichkeit besteht eben zugleich immer als öffentliche Gefährdung. Es besteht als ein isolierter Sinn für sich, als ein ausschließlicher und ausschließender Sinn, der nur dadurch sinnlich ist, dass und soweit er in dieser Gefahr existiert. Nur weil er aus dem öffentlichen Sinn geborgen wird, kann dieser Sinn für sich leben. Aber sein Leben für sich macht auch einen eigenständigen Sinn, der sich aus den Zugehörigkeiten in der Abgeschlossenheit des Privaten ergibt. Dieses macht Familie als Lebensform wesentlich aus. Und da geht er auch erst richtig auf.
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212.2 Der geborgte Sinn oder die Hörigkeit der Zugehörigkeit
In der bürgerlichen Familie entsteht ein Lebenszusammenhang, der zum einen urwüchsig ist, weil die Menschen darin sich natürlich verbinden, sich also in Haushalt, Geschlecht und Lebensraum naturgemäß ergänzen, erhalten und vermehren. Zum anderen sind sie aber auch nur Angehörige ihrer Verhältnisse, weil diese davon abhängen, was gesellschaftlich gegeben ist. In der Familie verhält sich ein gesellschaftlicher Sinn ganz privat, während die Beteiligten einen Sinn füreinander äußern, in welchem sie sich ihres Lebens gegenwärtig werden. Es ist ein Sinn, der nicht gebildet, sondern gewahr und gewährt wird, ein Sinn der gegenwärtig, aber nicht wirklich ist, weil er nur gesellschaftliche Wirksamkeit reflektiert, also das enthält, was die Kultur zu bieten hat. Dennoch erscheinen sich die Menschen in ihrem Familienzusammenhang unmittelbar als eine Gesellschaft, weil die sich diesen Sinn für ihr familiäres Dasein borgen, weil sie aus ihm die Familie für sich dadurch gewinnen, dass sie ihn in ihrer körperliche Gegenwart ausgestalten. Alles was gesellschaftliche Kultur ausmacht, z.B. Sprache, Kunst, Musik, Architektur, Nahrungsmittel usw. wird zum bloßen Medium des Familienlebens herabgesetzt und als dessen Lebensinhalt hergenommen.
Von daher ist das familiäre System eine Symbiose aus gesellschtlichen Inhalten und der persönlichen Verhältnisse, die sich darin aus den körperlichen Anwesenheiten heraus entwickeln und gestalten. Die bloße Gewissheit dieser Anwesenheit macht die Kraft der Familien aus, in der als Liebe verstanden wird, was deren Notwendigkeit ist. Die familiäre Symbiose ist daher immer und vor allem ein System der Selbstverliebtheit, die einen Sinn hat, der sich in ihr garnicht wirklich bilden kann, in den aber alle Bildungen eingehen, die durch die anwesenden Menschen beigebracht werden. Von daher ist die Familie eine Sinnesgemeinschaft, die für sich keinen Sinn hat, die aber die Sinne der Menschen vollständig ausfüllt, ihre familiäre Persönlichkeit ausmacht. Diese ist im Grunde immun gegen ihre Gesellschaft, weil gerade sie sich als ihre wesentliche Trägerin vorkommen. Und darin kommt auch der Bürger wirklich zu sich: Im Verhältnis von Vater und Mutter und Kind erscheint sich das ganze gesellschaftliche Verhältnis nur noch als Lebenszelle des gesellschaftlihen Ganzen, in der alles nun persönlich sein soll, was in der bürgerlichen Gesellschaft sachlich gegeben ist. Phänomenologisch bedacht erscheint dann eben die Familie auch sich selbst als die Keimzelle des bürgerlichen Staates. Zumindest rein politisch mag das soweit stimmen, wie sie ebenso formal vergemeinschaftet ist wie dieser, weil sich darin alles gleich geltend, also in gleicher Gültigkeit, im Grunde gleichgültig gegenübersteht, was ungemein verschieden ist: Die Geschlechter, die Generationen, die Mobilität und dergleichen. Doch es ist gerade dies faszinierend, dass die Familie zusammenschließt, was sie im Grunde gesellschaftlich und in großem Ausmaß überhaupt nicht fassen kann, weil sich darin fremd bleiben kann, was sich leiden können muss. Der Sinn ihres Ganzen ist das Heil ihrer Entfremdung von ihren Lebensbedingungen. Es ist das Resultat eines Unsinns der Selbstverwertung, die nur Sinn hat, wenn sie ihn macht und die ihn nur macht, wo Gleichgültigkeit herrscht. Als natürlicher Hort der Liebe erscheint sie aber genau umgekehrt: Als Erzeugerin dessen, wovon sie nur zeugen kann und Zeuge bleibt.
Von daher ist die Familie der wesentliche Austragungsort dieses gesellschaftlichen Unsinns. Doch obwohl dieser massive Wirkungen hat erscheint er nicht wirklich. Er besteht in der Hörigkeit der Menschen, die in einer gesellschaftlichen Symbiose vereint sind, von der sie auch nicht lassen können, solange sie gegen ihre Gesellschaft gleichgültig bleiben.
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212.3 Der verheimlichte Mensch
Weil die Familie den gesellschaftlichen Sinn der Kultur nicht bilden kann, wohl aber reflektiert und für sich wahrmacht, bildet sie eine Gemeinschaft, in der das nicht wirklich wahr sein kann, was als kulturelle Gegebenheit in sie eingeht, weil es nur außer ihr entstehen kann. Dessen Bildungsgeschichte und Wirklichkeit wird in ihr nur genutzt und zum Teil auch aufgebraucht. Aber die Menschen erscheinen sich hierdurch als Menschen schlechthin, als Lebenserzeuger und Lebensträger eines Menschseins, das durch sie da ist, wenn auch nur durch ihre bloße körperliche Anwesenheit vermittelt wird, durch den gesellschaftlichen Sinn, den sie für sich haben, vollziehen und transportieren. Von daher hat sie schon Sinn, bevor der wirklich menschlich sein kann. Doch es sind immer Menschen, die ihn objektiv haben, während sie sich darin subjektiv zu sein scheinen. Es ist der Sinn einer verheimlichten Menschlichkeit, die in der Objektivität einer familiären Kultur menschlich vermittelt wird. In der Familie selbst ist dieser Sinn herrschend, weil er die Zusammenhänge in ihr stiftet, wenn auch in aller Heimlichkeit und ohne wirklich da zu sein. Und von daher entwickelt sich in ihr ein Familiensinn, der diese Herrschaft vermittelt, zugleich aber auch gestaltet, ohne an ihrer Macht teilzuhaben. Ihre Macht besteht nur negativ als Ohnmacht, die eintritt, sobald sie verlassen wird und solange kein entsprechender Sinn hierfür gebildet werden kann. Immerhin trägt sie "ex negativo" zur Sinnbildung bei.
In der Familie herrscht ein Sinn, den sie nicht bildet, zugleich aber verkörpert. Er ist in ihr geborgen und zugleich doch nur der gesellschaftlichen Kultur entliehen. Aber er hat seine Macht durch die ausschließlich persönliche Existenz in der Familie als Lebensburg der bürgerlichen Lebensverhältnisse. Und diese sind damit zugleich feudalisiert: persönliche Machtverhältnisse, die in ihrer Substanz ohnmächtig sind, sinnlose Macht. Ohnmächtige Menschen sind darin mächtige Persönlichkeiten der Kultur, in der solche Festungen nötig sind. So ist das beherrschte Leben in ihr die Leibeigenschaft eines kultivierten Lebensverhältnisses, das den Lebensraum der Menschen bestimmt hat, den sie selbst subjektiv zu bestimmen meinen. Es ist ja ihr persönlicher Lebensraum, den sie aber nicht wirklich selbst bestimmen können, ihm aber ihr Leben verdanken, das Leben ihrer Liebe. Es fungiert darin eine Lebensformation als Liebesmacht, die nicht wirklich ist, aber in der Form des Heims sich liebend mitteilt. Es ist daher eine heimliche Macht voller unheimlicher Wirkungen, eingeschlossene Sinnlichkeit unwirklicher Verhältnisse.