Mittelstand

Aus kulturkritik
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"Das Proletariat beginnt erst durch die hereinbrechende industrielle Bewegung für Deutschland zu werden, den nicht die naturwüchsig entstandne, sondern die künstlich produzierte Armut, nicht die mechanisch durch die Schwere der Gesellschaft niedergedrückte, sondern die aus ihrer akuten Auflösung, vorzugsweise aus der Auflösung des Mittelstandes, hervorgehende Menschenmasse bildet das Proletariat, obgleich allmählich, wie sich von selbst versteht, auch die naturwüchsige Armut und die christlich-germanische Leibeigenschaft in seine Reihen treten." (Karl Marx MEW 1, S.390f)

Soziologisch werden die Klassen der bürgerlichen Gesellschaft nach den Einkommensverhältnissen unterschieden in Unterschicht, Mittelschicht und Oberschiecht. Die Mittelschicht, also der Mittelstand ist sowohl seinem Einkommen nach, als auch seiner Daseinsweise in einer sozialen Zwischenschicht zwischen Arbeit und Kapital am intensivsten den Schwankungen der Wirtschaft und ihrer Verwertung (siehe Wertwachstum) ausgesetzt. Ihn treffen die Stockungen der Geldzirkulation ebenso unmitelbar wie der Niedergang von Nachfragen und die Bedrohung von Arbeitslosigkeit. Darin sind Dienstleister ebenso wie Kleinaktionäre als Kleinbürger in einer Existenzangst zusammen geschlossen, die sich hart entlang der Grenzen zwischen Wohlstand und Untergang, zwischen Siegerpose und Verelendung verhält. Von daher besteht in den zwischenmenschlichen Beziehungen ein starkes Bedürfnis nach Abgrenzung gegen die Unterschicht und einer Kumpanei mit der Bourgoisie des nationalen Kapitals.

Der Mittelstand besteht aus einem Teil des Kleinbürgertums, der sich in der Mitte der Gesellschaft etablieren konnte und durch seine Unternehmungen sich selbständig verhalten kann. Es hat von daher jede Nähe zur realen Arbeitswelt verloren und wird durch Anteile am durchschnittlichen Geldbesitz der reichen Länder auf der Seite eines gesellschaftlichen Wohlstands verortet. Im Mittelstand herrscht das Sowohl-als-Auch, das gemeine Leben, wie es im Durchschnitt so profan wie auch religiös hier und da un dort daher kommt, sich im schlichten Dasein der unterschiedlichen Existenzen im Mittelmaß des Bildungsbürgertums verhält.

"In einer fortgeschrittenen Gesellschaft und durch den Zwang seiner Lage wird der Kleinbürger einesteils Sozialist, anderenteils Ökonom, d.h. er ist geblendet von der Herrlichkeit der großen Bourgeoisie und hat Mitgefühl für die Leiden des Volkes. Er ist Bourgeois und Volk zugleich. Im Innersten seines Gewissens schmeichelt er sich, unparteiisch zu sein, das rechte Gleichgewicht gefunden zu haben, das den Anspruch erhebt, etwas anderes zu sein als das rechte juste-milieu. Ein solcher Kleinbürger vergöttlicht den Widerspruch, weil der Widerspruch der Kern seines Wesens ist. Er selber ist bloß der soziale Widerspruch in Aktion." (K. Marx an Annenkow, 1846, MEW 4, 557).

Die Reproduktion der Menschen ist allgemein in der bürgerlichen Gesellschaft durch die Existenzbedingung des Kapitals bestimmt (siehe hierzu Kapitalismus). In Klassen stellen sich die wirtschaftlichen Lebensbedingungen und kulturelle Lebensumstände einer dem Menschen entfremdeten Gesellschaft dar. Sie sind nicht von einzelnen Menschen überwindbar, solange sie die gesellschaftliche Macht einer Formbestimmung über deren Leben und dessen Selbsterneuerung verkörpern. Kleinbürger unterscheiden sich allerdings von den produktiven Arbeitsleuten vor allem dadurch, dass sie keinen Mehrwert schaffen, sondern sich in den zirkülären Bereichen der Gesellschaft bewegen, sich lediglich mit der Warenzirkulation, also den reinen Tauschverhälnissen von Gütern befassen. Weil und sofern sie ihre Arbeitskraft im Warentausch "gerecht entlohnt" sehen, können sie sich selbst als bloße Warenbesitzer verstehen, deren Arbeitskraft nicht unbezahlt (siehe unbezahlte Arbeit), sondern ihrem Wert entsprechend entlohnt zu sein scheint. Von daher erscheint ihnrn ihr ganzes Arbeitsverhältnis auch durch bezahlte Arbeitverwirklicht und geht ungebrochen in ihre Lebenswelt ein, der zwischen Arbeitszeit und Freizeit entsprechend hinreichende Anteile am Nutzen und Genuss ihres Besitzes zugeführt werden - zumindest, soweit sich Produktivität hierdurch steigern lässt und keine Wirtschaftskrise dies verunmöglicht (siehe hierzu auch Dienstleitungsgesellschaft).

Der Kleinbürger ist ein Nutznießer im doppelten Sinn: Einmal als Nutzer eines durchschnittlichen Lebensstandards, wodurch er sich als Subjekt seiner Gesellschaft vorkommt der genug zum Leben und Freizeit verdient. Und zudem kann er als Benutzer aller Nützlichkeiten, die ihm diese Welt zu bieten hat, auf alles zugreifen, was ihm seine Gesellschaft in der Konsumtion erschließt und schlüssig macht, dass er sich dadurch bestätigt, dass er für sich einverleiben kann, was andere durch ihr Leben ohne Besitz entäußern müssen.

"In diesem Falle hat das Nützlichkeitsverhältnis einen ganz bestimmten Sinn, nämlich den, daß ich mir dadurch nütze, daß ich einem Andern Abbruch tue (exploitation de l'homme par l'homme ); in diesem Falle ist ferner der Nutzen, den ich aus einem Verhältnisse ziehe, diesem Verhältnisse überhaupt fremd, wie wir oben beim Vermögen sahen, daß von jedem Vermögen ein ihm fremdes Produkt verlangt wird, eine Beziehung, die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt ist - und diese ist eben die Nützlichkeitsbeziehung. Dies Alles ist wirklich bei dem Bourgeois der Fall. Ihm gilt nur ein Verhältnis um seiner selbst willen, das Exploitationsverhältnis; alle andern Verhältnisse gelten ihm nur so weit, als er sie unter dies eine Verhältnis subsumieren kann, und selbst wo ihm Verhältnisse vorkommen, die sich dem Exploitationsverhältnis nicht direkt unterordnen lassen, subordiniert er sie ihm wenigstens in der Illusion. Der materielle Ausdruck dieses Nutzens ist das Geld, der Repräsentant der Werte aller Dinge, Menschen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Im Übrigen sieht man auf den ersten Blick, daß aus den wirklichen Verkehrsbeziehungen, in denen ich zu andern Menschen stehe, keineswegs aber aus Reflexion und bloßem Willen, erst die Kategorie "Benutzen" abstrahiert wird und dann umgekehrt jene Verhältnisse für die Wirklichkeit dieser aus ihnen selbst abstrahierten Kategorie ausgegeben werden, eine ganz spekulative Methode zu verfahren. Ganz in derselben Weise und mit demselben Rechte hat Hegel alle Verhältnisse als Verhältnisse des objektiven Geistes dargestellt.." (MEW 3, S. 394 f).

Von daher ist der Kleinbürger weder an produktiver Arbeit beteiligt, noch an bloß notwendiger Arbeit. Er wird im gesamten Arbeitsprozess zwar nur reproduktiv eingesetzt, ist aber zugleich für den Gesamtprozess darin produktiv, dass er der Mehrwertbildung substanziell zuarbeitet, z.B. als Angestelte in der Verwaltung oder als Arbeiter in vielen Dienstleistungsberufen, die selbst der Systemerhaltung dienen, z.B. dem Verwaltungswesen, der Werbung, dem Verkehrswesen, der Kommunikation, der Medien, der Kultur oder der Bildung und Ausbildung.

Kleinbürger leben also von einer Arbeit im Reproduktionsbereich der Gesellschaft, worin sie sich als Mensch wahrnehmen, der sich alleine um seinen Selbsterhalt zu kümmern hat, sich unbhängig von der gesellschaftlichen Entwicklung und Reichtumsbildung als Privatperson wahrhaben und als bürgerliches Subjekt handeln kann. Kleinbürger sind von daher einerseits direkt dem Kapital unterstellt, soweit sie für den Warenumschlag und dem Systemerhalt arbeiten, zum anderen auch dem bürgerlichen Staat in den Reproduktionsagenturen der Gesellschaft. Nur indirekt nützen eingige der Mehrwertproduktion in Dienstleitungen, welche die Waren- oder Kapitalzirkulation beschleunigen. Aber sie alle erleiden das ganze gesellschaftliche Verhältnis als Gewalt gegen sich und ihre ökonomische Lage, weil sie über ihre Lebenshaltungskosten, vor allem durch die Miete und Gebühren die Verknappung ihres Lebensstandards im Verhältnis der allgemeinen Wertlage und Konjunktur erfahren. Aber im Unterschied zu den produktiven Arbeitsleuten erfahren sie dies im Nachhinein, also nicht in den Verhältnissen ihrer Arbeitskraft selbst, also nicht unmittelbar in den Arbeitszeit- und Lohnverhältnissen, sondern als Lohnabzug durch die Lebenshaltungskosten, die in Krisenzeiten auch sie verarmen lässt.

Kapital produziert Mehrwert durch unbezahlte Arbeit, durch produktive Arbeiten und Dienstleistungen, die nicht zu den Preisen bezahlt werden, die ihre Arbeit teils zur Verbesserung der Zusammensetzung des konstante Kapitals (z.B. Technologie, Verwaltung, Instanthaltung), teils für die Beschleunigung der Warenzirkulation (z.B. Transport) an Wert schafft, die also in diesen Bereichen auch insgesamt anteilsweise mehr Wert produziert, als sie kostet. Im Mehrwert des Kapitals, also nicht in seinem variablen Kapitalanteil stellt sich ihr Anteil an der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit in einem Arbeitsquantum dar, das über ihre Gesamtreproduktion und das organische gesellschaftliche Wachstumdurch Mehrproduktion hinaussgeht, indem sie dem Wertwachstum überhaupt dienlich ist. Produktion stellt sich gesellschaftlich in sachlichen Produkten dar, die auf dem Markt soviel Absatz finden, wie die arbeitenden Menschen und das investierende Kapital an Geld hierfür aufwenden können. Jenseits der Welt der Produktion leben die Menschen von Dienstleistungen, die mehr oder weniger schon während ihrer Entstehung verbraucht werden und also nicht als Produkte auf dem Markt zirkulieren. Während jene Mehrwert durch Abverkauf realisieren, besteht der Mehrwert aus Dienstleitungen im Lohnabzug für Lebensbedingungen durch die Verpreisung von Eigentumstitel, also durch Miete, Energie, Steuern, Gebühren, Lizenzen, und Kommunikationskosten.

Hier existiert vor allem der Arbeitsanteil für den Warenumschlag der gesellschaftlichen Reproduktion als Dienstleistung: Die Menschenbildung (Erziehung), die Warenpflege und der Warenabsatz und die Geldzirkulation an (z.B. Bankarbeit, Verkauf und Werbung oder Design, der Ästhetik ihrer Kultur), aber auch Arbeit für die Produktion, als Teil ihrer vielen Bewegungsformen, - z.B. im Transport von Rohstoffen und Zwischenprodukten, Reinigungsarbeiten usw. Dienstleistungen sind Behilflichkeiten im Umgang mit Gegebenheiten, die im Allgemeinen nicht als Ware existieren, sondern als bloße Leistung schon bei ihrer Produktion verbraucht werden (z.B. Fahrt mit Transportmittel, Taxifahrt) oder als Zustandsveränderung eines Menschen oder Gegenstands verbleiben (z.B. Haare schneiden, medizinische Betreuung, Reinigung usw.) oder zur Bewältigung ihrer Unterhaltsprobleme (z.B. Babysitten, Beauty & Wellness, Unterhaltung, Kommunikation) nötig sind.

„Gewisse Dienstleistungen oder die Gebrauchswerte, Resultate gewisser Tätigkeiten oder Arbeiten, verkörpern sich in Waren, andere dagegen lassen kein handgreifliches, von der Person selbst unterschiedenes Resultat zurück; oder ihr Resultat ist keine verkaufbare Ware. Z. B. der Dienst, den mir ein Sänger leistet, befriedigt mein ästhetisches Bedürfnis, aber was ich genieße, existiert nur in einer von dem Sänger selbst untrennbaren Aktion, und sobald seine Arbeit, das Singen, am Ende ist, ist auch mein Genuss am Ende: Ich genieße die Tätigkeit selbst – ihre Tonschwingungen auf mein Ohr. Diese Dienste selbst, wie die Ware, die ich kaufe, können notwendige sein oder nur notwendig scheinen, z. B. der Dienst eines Soldaten oder Arztes oder Advokaten, oder sie können Dienste sein, die mir Genüsse gewähren. Dies ändert an ihrer ökonomischen Bestimmtheit nichts: Wenn ich gesund bin und den Arzt nicht brauche oder das Glück habe, keinen Prozess führen zu müssen, so vermeide ich es wie die Pest, Geld in ärztlichen oder juristischen Dienstleistungen auszulegen. Dienste können auch aufgedrungen sein, Beamtendienste etc.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 380.

Insgesamt gründet das Bürgertum auf dem Privateigentum und den Besitzverhältnissen, in denen es Güter durch Tausch aufeinander bezieht und als Ware bewegt und gesellschaftlich allgemein entfaltet. Während aber der Bourgois der eigentliche Geldbesitzer ist, hat der Kleinbürger auch nur das zum Leben, was seinen Erhalt ermöglicht und ist von daher dem Arbeiter gleichgestellt, auch wenn er nicht wie dieser vom variablen Kapital lebt, sondern in den Verhältnissen des konstanten Kapitals existiert. Er lebt von dem Kapital, dem er zugleich in seiner ganzen Existenz verpflichtet ist.

"Der Kleinbürger ist ... zusammengesetzt aus ein Einerseits und Andererseits ... Er ist der lebendige Widerspruch. .... Wissenschaftlicher Scharlatanismus und politische Anpassung sind von solchem Standpunkt unzertrennlich. Es bleibt nur noch ein treibendes Motiv, die Eitelkeit des Subjekts ..." (Karl Marx, Über Proudhon, MEW 16, 31f)." (siehe auch MEW Band 23 Seite 189f)

Doch der Kleinbürger leidet die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst als Bedrohung, als das Böse. Während Gesellschaft als Meute boshafter Ineressen der Eigennutzes wahrgenomen wird, gilt die persönliche Leistung als Ursprung der Güte. Und das Gute ist dann eben konsequenterweise eine Vorstellung von einem Wohl der Allgemeinheit (siehe Gemeinwohl) das sich über die einzelnen Menschen so ausbreitet, wie es den sittlichen und moralischen Vorstellungen des Kleinbürgertums entspricht. Und es sind eben Vorstellungen, Positionen der herrschenden Moral und sonst nichts: Die Moral des "aufrechten Demokraten". Und die könen nur in eine andere Form von Herrschaft münden, die freilich hier unterschlagen wird

"Aber der Demokrat, weil er das Kleinbürgertum vertritt, also eine Übergangsklasse, worin die Interessen zweier Klassen sich zugleich abstumpfen, dünkt sich über den Klassengegensatz überhaupt erhaben." (Karl Marx, 18. Brumaire, MEW 8, 144).