Solidarische Ökonomie
Solidarische Ökonomie will eine neue Form des Wirtschaftens in einer solidarischen Gemeinschaft sein. Darin wird vorgestellt, sie könne sich innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse als Nischenkultur bilden und dennoch Strukturen und Ziele haben, welche den Kapitalismus von innen her sprengen, auflösen und damit unnötig werden lassen könnten. Es wird unterstellt, dass eine Ökonomie, wenn sie schon unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, aber doch "jenseits von Kapital und Staat" auf solidarischen Beziehungen unter den beteiligten Menschen gründen könnte, als ob durch persönliche Integrität in einer solidarischen Gemeinschaft die herrschenden Bedingungen auch schon materiell unterwandert und zu einer besseren Gesellschaft gewendet werden könnten.
Allerdings bleibt bei dieser Vorstellung dir Macht des Kapitalismus durch seine Produktivität ausgeklammert und das Potenzial des Geldes als deren Vorraatsspeicher, als Kreditwesen und Spekulationsmaterial unterschätzt. So richtig es ist, dass in Nischen der Gesellschaft Kraft gefunden werden kann, Menschen zu solidarisieren und sich Bewusstsein über ihre gesellschaftliche Lage zu erarbeiten, so naiv bleibt dennoch die Behauptung, dass diese ausgeklammerten Wirtschaftsbereiche per se in der Lage seien, den Kapitalismus zu überwinden oder zumindest zu seiner Überwindung elementar beizutragen, indem durch eigenes Tun jenseits der existierenden Produktionsverhältnisse schon Kommunikations- und Widerstandskulturen entwickelt werden könnten, durch welche eine alternative Produktionsform von Personen im guten Glauben an ihre Gemeinschaft (siehe auch Kollektivismus) verallgemeinert werden könnte, die in der Lage wäre, auch ohne die Aneignung der herrschden Mittel eine Alternative zum Kapitalismus, die "Neugeburt" (alter natus) einer "guten Gesellschaft" zu errichten wäre. Wenn die Menschen in der Lage wären, sich den allgemein herrschenden Zwängen zu Ausbeutung und entfremdeter Arbeit zu entziehen, würden sie sich auch in die Lage versetzen, ihr Leben nach ihren einzelnen und kollektiven Bedürfnissen zu besorgen und dem Kapitalismus sein ihm nötiges lebendiges Potenzial entziehen - mehr noch: selbst Keimzelle einer neuen Gesellschaftsform sein, die sich von selbst sich in eine andere Gesellschaft transformiert, ohne sich in einer grundsätzlichen Gegnerschaft zu den herrschenden Gesellschaftsformen verhalten zu müssen. Nur: Wie soll ein solcher Entzug möglich sein? Durch einfaches Miteinander? Durch Geschenkökonomie? Durch Produktionsgenossenschaften?
Vom Gedanken her stammt der Begriff aus der Geschichte der Alternativökonomie in den 80ger Jahren. Damals ging es um eine von der Kapitalwirtschaft unterschiedenen Autonomie der Arbeitsform, um selbstverwaltete Betriebe (siehe Selbstorganisation). In ihnen waren zwar andere Kommunikationsformen möglich, die als Nische funktiioniert haben und vielen die Chance auf eine ihnen adäquate Form der Auseinandersetung gegeben hatten. Die grundsätzlichen Probleme einer Ökonomie, die einen gewissen Reichtum an Material und Vermögen und Fähigkeiten zur Bedingung nötig hat, waren aber nur spärlich vorhanden.
Die Verallgemeinerung von "Keimformen" kann nur dort gelingen, wo sich auch wirkliche Vergesellschaftungsformen durchsetzen können (siehe internationale Komunalwirtschaft). Hierzu muss aber vor allem auch das Glücksversprechen einer vorgestellten Gemeinschaft kritischer Personen, einer quasi universalisierten Familie überwunden sein, die ihre "ehrliche Arbeit" gegen den Raub durch die Willkür des Kapitals stellt (siehe auch Proudhonismus). Gesellschaftliche Arbeit gibt es nicht nur in Nischen, sondern durchaus überall in dieser Gesellschaft (z.B. Ausbildung, Lehre, Dienstleistung, Produktion, Haushalt, Kinder, Regeneration). Wird dies aus den Augen verloren, so scheitert solidarische Ökonomie an einer selbstverschuldeten Isolation und fällt zwangsläufig auf die herrschenden Produktions- und Verteilungsverhältnisse zurück, die ja immer schon aus einer abstrakten Überwindung des Isolierten, auf Teilung der Arbeit, auf der Trennung von Arbeit und Konsum beruht.
Gegen die Formen der "toten Arbeit", dem Kapitalismus, gegen die Zerstörung von Infrastrukturen, gegen Ausgrenzung und Vereinzelung, Marginalisierung, Prekarisierung, Arbeitslosigkeit und Armut hatten sich schon in den 80ger Jahren Menschen zum Aufbau "einer anderen Ökonomie" zusammengeschlossen, um eine Selbstbewirtschaftung - z.B. als Genossenschaft - zu versuchen. Diese Wirtschaft sollte durch ihre sozialen Erfolge eine neue Arbeitswelt entwickeln, die einerseits dazu verhilft, prekäre Notlagen der Einzelnen durch Vergemeinschaftung ihrer Kraft zu überwinden, und sich zugleich dauerhaft der Verwertung durch das Kapital zu entziehen. Von daher soll es auch möglich sein, sinnvollere Projekte - wie z.B. Öko-Landwirtschaft, alternative Energiewirtschaft - ins Leben zu rufen, auch wenn sie keine hinreichende "Kapitaleffizienz" aufweisen, wenn sie also durch die Leistungsbereitschaft der einzelnen Beteiligten diese ersetzen. Es entstanden tatsächlich durch das Zusammentragen freiwilliger oder unterwertig behandelter Arbeit Ökokulturen, die heute durchaus wirtschaftlich funktionieren, teilweise aber auch der Kapitalwirtschaft als neue Investmentbereiche entdeckt werden (z.B. Solarenergie, Biokraftwerke). Viele der Alternativbetriebe haben sich daher zu "normal bewirtschafteten" Kleinbetrieben entwickelt, in denen die Beteiligten "selbständig" geworden sind und auch Lohnarbeit nutzen.
Es hatte sich der Mangel der Alternativökonomie hauptsächlich im Mangel eines strukturierten Gemeinwesens gezeigt, der schon in der bloßen Reduktion auf gemeinschaftliches Handeln begründet ist. Gesellschaft ist als menschliches Lebensverhältnis, dem man nicht einfach nur beitritt oder es verlassen kann, wesentlich anders bestimmt als Gemeinschaft, welche Menschen lediglich an einem Zweck versammeln kann. Ohne die Auseinandersetzung mit der politischen Form des gesellschaftlichen Eigentums werden sich die Formen des Privateigentums nicht auflösen lassen und damit jede Alternative in die Zuliefererfunktion eines Verwertungsverhältnisses des Kapitals verwiesen, sei es durch fortbestehende Mietforderungen oder Rohstoff- und Maschinenpreise. Eine derartige Alternative bleibt Mangelwirtschaft und wird von daher nur entsprechendes Nischenbewusstsein ansprechen und auch nicht zur Entwicklung eines Mehrprodukts in der Lage sein, das den Lebensstandard der Menschen und ihre gesellschaftliche Geschichte weiterbringt. Ohne eine poltische Form des Wirtschaftens (siehe demokratische Wirtschaft) bleibt die Alternative bloße Selbstbehauptung, die früher oder später auch die ihr entsprechenden Strukturen erzeugt (z.B. psychische Hierarchien je nach Durchsetzungsfähigkeit) und zu einer Art kollektivierter Selbstausbeutung geraten kann.
Allerdings hatte sich besonders in den armen Ländern Lateinamerikas diese zunächst bloße Selbsterhaltungsfunktion einer Solidarwirtschaft tatsächlich bald in die Arbeitswelt hinein ausgedehnt. In Argentinien z.B. wurden mehrere hundert Unternehmen von ihren Belegschaften übernommen. In Brasilien richtete die Regierung unter Staatspräsident Lula da Silva ein Staatssekretariat für solidarische Ökonomie ein.
Solidarische Ökonomie ist inzwischen ein Sammelbegriff für Formen des Wirtschaftens und für eine Organisation der Arbeit jenseits von Markt und Staat auf der Ebene von genossenschaftlich organisierter Selbsthilfe, Non-Profit-Logik und lokaler Ökonomie. Vor allem in Europa und Lateinamerika existieren Modelle und Konzepte der Beschäftigung, in denen Arbeit bereits auf der Grundlage von solidarischer Ökonomie organisiert ist. Auch in Deutschland existieren bereits einige Projekte, die solidarische Ökonomie (z.B. bei der lokalen Energiegewinnung oder in der ökologischen Landwirtschaft) praktizieren.
Geht man theoretisch mal davon aus, dass solche Ökonomie durch eine in ihrer Aufgabenstellung systematisierten Vertragswirtschaft in der Lage sein kann, die Reproduktion von Menschen vollständig zu bewältigen, dann wäre das funktional erst mal eine Form der Unabhängigkeit gegen Existenzangst und damit eine Minderung des psychologischen Kapitals, das darauf beruht. Selbst wenn z.B. Agrarprodukte billiger aus dem Ausland eingeführt werden als hier für die hierfür aufgebrachte Arbeitszeit bezahlt wird: Könnte nicht die Sicherstellung der Reproduktion durch eigene vollständige Arbeits- und Ernährungskreisläufe einen weit höheren Wert für die Menschen haben? Könnte man solche Ökonomie kommunal durchsetzten und unterstützen? Könnten kommunale Gelder zu Investitionen in eine kommunale Reproduktionstechnologie verwendet werden und somit die Grundlagen anderer Gesellschaftsformen schaffen? Würde sich dann nicht auch die kommunale Landschaft, vor allem die politischen Verhältnisse und Bestimmungen, entscheidend verändern?
Sind genossenschaftliche Ansätze wie z.B. die Übernahme unkapitalisierbar gewordener Betriebe oder Immobilien nur reine Selbsthilfe oder können oder müssen sie Bestandteil einer Widerstandskultur sein, die zugleich auf neuen sozialen Lebenszusammenhängen gründet? Erledigen sie nur das Geschäft des Kapitals, die Desintegrierten zu versorgen und damit auch zu entsorgen oder können sie auch zu einem Moment der Kulturbildung gegen die Globalisierung werden?
Bei diesen Fragestellungen wird es wichtig sein, wie sich in großem Maßstab arbeitende Menschen, Betriebe und Industrie sozialisieren und einem Gemeinwesen eingliedern lassen, ohne dass eine Kapitalform von ausschlaggebender Bedeutung für die Bestimmung der Arbeits- und Lebensverhältnisse ist, wie sich Geld in ein Vergeltungsmittel für Aufwände rückverwandeltn lässt, ohne Wert, also durchschnittlich notwendige Arbeitszeit darzustellen und inwiefern bei solcher Wirtschaft auch gesellschaftliche Fortentwicklung, also die Herstellung eines Mehrprodukts möglich ist, und wie das alles international, also ohne den Vorrang nationaler Interessen zu bewerkstelligen ist.
Ohne eine politische Struktur (siehe z.B.internationale Kapitalwirtschaft), die sich aus den wirtschaftlichen Notwendigkeiten einer Gesellschaft ergibt und schon im Vorhinein als notwendige Form dargestellt ist (siehe z.B. Vertragswirtschaft), wird es immer dahin kommen, dass diese sich hinterrücks als "natürlicher Zwang" einstellt, indem sie sich aus der Not einer Zusammenbrechenden Produktion notwendig erweist.
Eine andere Frage ist, wie sich solche Strukturen gegen die politischen und ökonomischen Angriffe der herrschenden Kapitalwirtschaft behaupten können.