Sozialdarwinismus

Aus kulturkritik

„Der Darwinismus ist alles andere eher als sozialistisch. Will man dieser englischen Theorie eine bestimmte Tendenz beimessen, so kann diese Tendenz nur eine aristokratische sein, durchaus keine demokratische und am wenigsten eine sozialistische. (…) Der grausame und schonungslose ‚Kampf ums Dasein‘, der überall in der lebendigen Natur wüte und naturgemäß wüten muß, diese unaufhörliche und unerbittliche Konkurrenz alles Lebendigen ist eine unleugbare Tatsache; nur die auserlesene Minderzahl der bevorzugten Tüchtigen ist imstande, diese Konkurrenz glücklich zu bestehen, während die große Mehrzahl der Konkurrenten notwendig elend verderben muß. Man kann diese Tatsache tief beklagen, aber man kann sie weder wegleugnen noch ändern. Alle sind berufen, aber nur wenige sind auserwählt.“ (Ernst Haeckel 1878, S. 73)

In Deutschland wurde der Sozialdarwinismus vor allem von Ernst Haeckel eingeführt und zu einem Wesenselement des Nationalsozialismus. Es ist aber strittig, ob die mit Sozialdarwinismus gelabelte Theorie vom "Überleben der optimal Angepassten" (surviving of the fittest) überhaupt auf Darwin in vollem Umfang zu beziehen ist. So schreibt z.B. Utz Anhalt:

"Der Begriff „surviving of the fittest“, den Darwin von Herbert Spencer übernahm, bedeutet Überleben der am besten Passenden, nicht etwa der Stärksten oder der Besten. Im Gegensatz zu den „Sozialdarwinisten“ wie Ernst Haeckel hielt sich Darwin sehr zurück, was die – bei Haeckel zusätzlich verzerrte – Übertragung dieses biologischen Grundmusters auf menschliche Kulturen betrifft. Das Überleben der am besten passenden Arten – heute heißt es Anpassung an ökologische Nischen – ist bei Darwin zudem hierarchiefrei und hat auch in diesem Sinne mit „Völker- oder Rassenkampf“ nichts zu tun."

Darwin selbst hatte sich hierzu allerdings zumindest zwiespältig geäußert. Zum einen ging es ihm wesentlich um die Abweisung jedweder Teleologie, also jeder höheren Finalität und Zwecksetzung; zum anderen räsonierte er doch auch selbst durchaus reaktionär:

„Bei Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt und die, welche leben bleiben, zeigen gewöhnlich einen Zustand kräftiger Gesundheit. Auf der andern Seite thun wir civilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Process dieser Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze und unsere Aerzte strengen die grösste Geschicklichkeit an, das Leben eines Jeden bis zum letzten Moment noch zu erhalten. (…) Hierdurch geschieht es, dass auch die schwächeren Glieder der civilisirten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen. Niemand, welcher der Zucht domesticirter Thiere seine Aufmerksamkeit gewidmet hat, wird daran zweifeln, dass dies für die Rasse des Menschen im höchsten Grade schädlich sein muss." (Charls Darwin in "Die Abstammung des Menschen").

Darwin war einerseits ein naturwissenschaflicher Meilenstein in der Argumentation gegen jeden religiösen Schöpfungsgedanken, zugleich allerdings auch Begründer einer Totalisierung naturwissenschatlicher Soziallehre. Auch Karl Marx stimmte ihm teilweise positiv zu. Er schrieb 1861 an Ferdinand Lassalle:

„Sehr bedeutsam ist Darwins Schrift und passt mir als naturwissenschaftliche Unterlage des geschichtlichen Klassenkampfs. Die grob englische Manier der Entwicklung muss man natürlich in den Kauf nehmen. Trotz allem Mangelhaften ist hier zuerst der ‚Teleologie’ in der Naturwissenschaft nicht nur der Todesstoß gegeben, sondern der rationelle Sinn derselben empirisch auseinandergelegt.“ (MEW 30, S. 578)

Es ist jedoch hieraus nicht abzuleiten, dass Sozialismus jemals in einer positiven Beziehung zum Sozialdarwinismus gestanden hätte, auch nicht der russische. Im Gegenteil: Die diesbezüglichen Dokumente weisen aus, dass die sozialistische Argumentation (mit Ausnahme der sozialdemokratischen Varianten von Ludwig Woltmann) sich fast immer gegen Sozialsdarwinismus wendete.