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Aus kulturkritik

Zusammen mit Friedrich Engels stellt Karl Marx in der "Deutschen Ideologie" (1845) dar, dass Philosophie nicht aus sich selbst heraus begreifen kann, was sie tut, dass sie selbst nur einem ideologischen Kern des reinen Gedankens verhaftet bleibt (siehe hierzu auch Ideologie), wenn sie sich nicht über ihr bloßes Denken hinaus zur Reflexion ihrer eigenen Voraussetzungen entwickelt, sich also nicht zu einer analytischen Wissenschaft weltlicher Gegenstände und den Bedingungen ihrer Wahrheit emanzipiert. Sie bleibt ein "jenseitiges Denken", im Kern theologisch (siehe hierzu auch Religion), wenn sie sich nicht in der Kritik des Jenseits, der Kritik des Mystizismus des sich selbst fremden Denkens begreift. Marx formulierte nach seiner Auseinandersetzung mit Hegel und Feuerbach die Einsicht, dass die Selbstverständigung, welche Philosophie betreibt, sich notwendg zu einem Bewusstsein der praktische Lebenswelt der Menschen entwickeln muss und daher reelle Wissenschaft als Kritik der Hirngespinste und bloßen Vorstellungen werden müsse, Kritik der Ideen einer abstrakten Selbstbegründung und Selbstbestätigung, der Ideologie schlechthin werden müsse, die ganz allgemein und wesentlich mit der Hegelschen Dialektik ausgeführt worden war.

"Feuerbach ist der einzige, der ein ernsthaftes, ein kritisches Verhältnis zur Hegelschen Dialektik hat und wahrhafte Entdeckungen auf diesem Gebiete gemacht hat, überhaupt der wahre Überwinder der alten Philosophie ist. Die Größe der Leistung und die geräuschlose Einfachheit, womit F[euerbach] sie der Welt gibt, stehn in einem wunderlichen Gegensatz zu dem umgekehrten Verhältnis. Feuerbachs große Tat ist: 1. der Beweis, daß die Philosophie nichts andres ist als die in Gedanken gebrachte und denkend ausgeführte Religion; eine andre Form und Daseinsweise der Entfremdung des menschlichen Wesens; also ebenfalls zu verurteilen ist; <570>2. die Gründung des wahren Materialismus und der reellen Wissenschaft, indem Feuerbach das gesellschaftliche Verhältnis "des Menschen zum Menschen" ebenso zum Grundprinzip der Theorie macht; 3. indem er der Negation der Negation, die das absolut Positive zu sein behauptet, das auf sich selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete Positive entgegenstellt. Feuerbach erklärt die Hegelsche Dialektik – (und begründet dadurch den Ausgang vom Positiven, vom Sinnlich-Gewissen) – folgendermaßen: Hegel geht aus von der Entfremdung (logisch: dem Unendlichen, abstrakt Allgemeinen) der Substanz, der absoluten und fixierten Abstraktion. – D.h. populär ausgedrückt, er geht von der Religion und Theologie aus. Zweitens: Er hebt das Unendliche auf, setzt das Wirkliche, Sinnliche, Reale, Endliche, Besondre (Philosophie, Aufhebung der Religion und Theologie). Drittens: Er hebt das Positive wieder auf, stellt die Abstraktion, das Unendliche, wieder her. Wiederherstellung der Religion und Theologie. Feuerbach faßt also die Negation der Negation nur als Widerspruch der Philosophie mit sich selbst auf, als die Philosophie, welche die Theologie (Transzendenz etc.) bejaht, nachdem sie dieselbe verneint hat, also im Gegensatz zu sich selbst bejaht. Die Position oder Selbstbejahung und Selbstbestätigung, die in der Negation der Negation liegt, wird für eine ihrer selbst noch nicht sichere, darum mit ihrem Gegensatz behaftete, an sich selbst zweifelnde und darum des Beweises bedürftige, also nicht durch ihr Dasein sich selbst beweisende, als nicht eingestandne Position gefaßt und darum ihr direkt und unvermittelt die sinnlich gewisse, auf sich selbst gegründete Position entgegengestellt. Aber indem Hegel die Negation der Negation – der positiven Beziehung nach, die in ihr liegt, als das wahrhaft und einzig Positive, der negativen Beziehung nach, die in ihr liegt, als den einzig wahren Akt und Selbstbetätigungsakt alles Seins – aufgefaßt hat, hat er nur den abstrakten, logischen, spekulativen Ausdruck für die Bewegung der Geschichte gefunden, die noch nicht wirkliche Geschichte des Menschen als eines vorausgesetzten Subjekts, sondern erst Erzeugungsakt, Entstehungsgeschichte des Menschen ist." (Marx in MEW 40, Seite 568ff)

Mit diesem Bedenken wandte sich Marx den Bedingungen des sich abstrakt bleibenden Denkens zu, in welchem der denkende Mensch auf der Identitätssuche durch seine Gedanken sich vor allem aus seiner Lebenspraxis heraussetzt, sich nur sich selbst veredelt. Abgewiesen wurde sowohl ein platter Materialismus, der als Empirismus (oder Positivismus) daher kommt, als auch der Idealismus des reinen Seins, der Logik des absoluten Geistes. Damit sollte Philosophie sowohl als Affirmation der Empirie durch den Empirismus, als auch als Selbstverständigung über die Entfremdung des Menschen von seinem geistigen Wesen (Hegel) überwunden werden. Sie sollte übergehen in ein Bewusstsein der Entfremdung der Menschen von sich und ihrem gesellschaftlichen Wesen (Gattungswesen), das nur ein Wissen über die praktische Lebensverhältnissen des gesellschaftlichen Verkehrs der Menschen sein kann. Marx suchte den Beweis, dass Philosophie als solche keine vollständige Erkenntnis sein konnte, sondern eine reine Interpretation geblieben war, ein zu sich selbst nur relativer, ein rein theoretischer Verstand, der sich seinem Lebensgrund zwangsläufig entzog, der sich nur zu sich selbst verhielt, um sein eigenes Unglück, den "Schmerz der Erkenntnis" (Hegel), die Kränkung des Gedankens durch die Welt zu beschreiben und die Abstraktheit seines Denkens zu beherrschen. Ein solch "unglückliches Bewusstsein" (Hegel) wollte Marx zu einem "Bewusstsein des Unglücks" (Marx) emanzipieren.

Was zunächst wie eine Fortführung des Hegelschen Denkens erscheinen mag, war dessen Umkehrung im Bezug zur Wirklichkeit: Marx fand den wirklichen Grund der Entfremdung in den Lebensverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft selbst, die er dann als die Form einer sich selbst entzweienden Selbsterzeugung und Selbsterhaltung vor allem in ihrer Wirtschaftsweise untersuchte. Was von Hegel übrig blieb, war die Denkmethode, die Dialektik, die allerdings ihre Quellen nicht mehr aus der Geschichte eines Weltgeistes beziehen sollte, sondern aus der praktischen Geschichte der Menschheit, aus der Emanzipationsgeschichte des Menschen von einem Naturwesen zu einem sein Leben gestaltendes Wesen (siehe historischer Materialismus).